Rudolf Hawel
Im Reiche der Homunkuliden
Rudolf Hawel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Wie der große Entschluß des Herrn Professors aufgenommen wird. Lorenz wird ein berühmter Mann und entzweit sich mit seiner Braut.

Eine ganz unbeschreibliche Bewegung hatte die Stadt erfaßt. Der einzige Gegenstand des Gespräches war der Vortrag des Professors über seine furchtbare Erfindung. An den Stammtischen sämtlicher Gasthäuser der großen Stadt wurde erregt über die Möglichkeit, über den Wert oder Unwert der Erfindung gestritten. In den Kaffeehäusern blieben die Billardbretter und die Spieltische verwaist, man war allgemein in das Studium der Journale vertieft oder diskutierte mit Eifer die Sache.

Die Gemüter erhitzten sich. Die Kaffeesieder machten betrübte Gesichter, da der Ertrag aus den Billard- und Kartengeldern für diesen Tag sich voraussichtlich höchst minimal gestalten würde. Die Wirte waren höchst vergnügt. Der Konsum von Bier und Wein stieg um ein Erkleckliches, da die streitenden Parteien in ihrer Erregtheit ungeheure Massen Alkohol hinunterstürzten. Die fröhlichsten Gesichter machten am Abend des nächstfolgenden Tages die Advokaten der Stadt, die angegangen wurden, in einer Riesenzahl von Ehrenbeleidigungsprozessen zu intervenieren, die das Resultat hitziger gelehrter Gespräche bildeten. Der Offiziersehrenrat wurde in Permanenz erklärt, da beim Rapport desselben Tages 248 Herren vom Militär, zumeist Leutnants und Oberleutnants, Duelle angemeldet hatten, um auch auf ihre Weise ihre Ansichten über die Erfindung des Dr. Voraus geltend zu machen. Die Mitglieder der unteren Stände, die kein Geld für Advokaten hatten und über deren Ehrenhaftigkeit kein höherer Rat zu entscheiden hatte, prügelten sich gegenseitig durch, wenn sie sich gegenseitig nicht von der Trefflichkeit ihrer Anschauungen und Meinungen zu überzeugen vermochten, ein Verfahren, das bedeutend weniger Umstände verursachte als die Ehrenaffären der übergeordneten Stände, aber schließlich von demselben Erfolg gekrönt war.

In der Stadt bildeten sich zwei Parteien – für und gegen Dr. Voraus. Jene, welche nicht wußten, was sie von der Sache halten sollten, gefielen sich in geschmacklosen Witzen.

Professor Dr. Voraus hatte einen höchst unruhigen Nachmittag verbracht. Daß die Sache so ausgehen werde, das wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Er war nicht der Mann, der auf äußere Ehren, auf Anerkennung der Massen reflektierte; er hatte wohl vorausgesehen, daß die Verkündigung seiner Entdeckung eine tiefgehende Erregung verursachen werde, daß aber eine kleine Revolution ausbrechen werde, das lag außerhalb seiner Berechnung.

»Lorenz«, sagte er mit starker Stimme, »hätten Sie gedacht, daß die Sache so kommen wird?«

»Sehr wohl, Herr Professor! Daß die Arbeit des Herrn Professors die Meinungen sehr aufregen wird, war anzunehmen. Daß wir damit in Konflikt mit den Behörden geraten würden, hätte ich nicht für möglich gehalten. Gestatten, Herr Professor, eine Frage?«

»Was wünschen Sie zu wissen?«

»Ich bin neugierig, wann wir einmal von unserer Ehrenwache befreit werden«, meinte Lorenz, »die Sache fängt an, ungemütlich zu werden. Ich sollte schon längst, meine Braut aufsuchen, sie wird sich sehr ängstigen, daß ich so lange nicht komme.«

»Ich werde mit dem Polizeipräsidenten sprechen«, tröstete der Professor, »ich finde es sehr abgeschmackt, daß man auch Sie bewacht!«

Dann setzte sich der Professor wieder zu seiner Arbeit.

Es war gegen acht Uhr abends, als der Polizeipräsident in Begleitung eines Herren wieder das Zimmer des Professors betrat.

»Bringen Sie mir die Freiheit, Herr Präsident?« rief ihm der Professor entgegen.

»Noch nicht, aber die Situation hat sich merklich gebessert, die heutigen Abendblätter treten sehr warm für Sie ein. Sogar die ›Volksstimme‹ schlägt gemäßigtere Töne an und findet das Vorgehen der Polizei gegen Sie höchst unwürdig – aber gestatten Sie, daß ich Ihnen Herrn Doktor von Hartmann vorstelle, den Chef unseres Pressebüros.«

Die beiden Herren begrüßten einander auf sehr würdige Weise.

»Ihr Vorhaben habe ich der Regierung angezeigt und meine Mitteilung verblüffte die Herren geradezu. Es ward die Meinung ausgesprochen, daß die Veröffentlichung dieses Vorhabens von günstigem Einflüsse auf die Menge sein könnte. Ich bitte Sie, wenn es Ihnen möglich ist, Herrn Doktor von Hartmann die Sache auseinanderzusetzen – er wird es vermitteln, daß noch heute alle Blätter von Ihrem Entschlusse in Kenntnis gesetzt werden.

»Ich bin Ihnen nur dankbar dafür – ich hätte sonst selbst die Öffentlichkeit von meinem Entschlusse in Kenntnis gesetzt. Diese Blätter hier – er reichte Dr. von Hartmann einige Bogen engbeschriebener Blätter hin – enthalten alles, was ich darüber zu sagen habe.«

Dr. von Hartmann nahm das Manuskript mit einer tiefen Verbeugung entgegen.

»Herr Professor, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meine Bewunderung ausdrücke, aber Ihr Entschluß ist uns gewöhnlichen Sterblichen so unfaßbar –.«

»Was ist da weiter daran – ich verschlafe zweitausend Jahre, wie ein anderer sein Mittagsschläfchen hält! Meine gelehrten Vorgänger haben mit scharfsinnig erdachten Instrumenten den Raum bezwungen. Sie sehen mit ihren Teleskopen in die Weltenferne, mit dem Mikroskop durchforschen sie die Welt des Allerkleinsten, der elektrische Funke überfliegt in einer Sekunde das Erdenrund, und ich will das Wunder zustande bringen, in zwei verschiedenen Jahrtausenden gelebt zu haben. Ich will denen, die einstmals von uns so zeitlich entfernt sein werden, wie wir es heute von Cäsar, Ovid und Vergil sind, die Kunde unseres Lebens und unserer Kultur bringen – als lebender Genosse der Vergangenheit. Ich will mir eine Auferstehung in meinem Sinne bereiten!«

Dr. von Hartmann sah gespannt auf den tief erregten Redner. Der Professor saß sinnend da, als wenn ihm jetzt erst die ganze Größe seines Vorhabens zu Gemüt gekommen wäre.

»Wann wollen Sie sich in den zweitausend Jahre währenden Schlaf versenken lassen?« fragte der Präsident und schüttelte dabei seinen grauen Kopf.

»Sobald als möglich, denn ich will anno dreitausendneunhundertsieben als rüstiger, gesunder Mann aufwachen – ich bin jetzt vierzig Jahre alt!« antwortete der Professor.

»Und dann werden Sie zweitausendundvierzig Jahre alt sein! Nein – das ist ganz unfaßbar, ganz unmöglich –!«

»Ich werde Sie leider von meinem Erwachen nicht verständigen können!«

»Wenn Ihnen aber während dieses zweitausendjährigen Schlafes etwas geschieht – wie viele Kriege – Erdbeben – werden sich während dieses Zeitraumes ereignen!« warf Dr. von Hartmann ein.

»Dann ist es dasselbe, als wenn ein Nordpolfahrer vom Eise, ein Afrikaforscher von den Wilden verschlungen wird oder ein Naturforscher an selbstgezüchteten Pestbazillen zugrunde geht. Ich habe mich einfach für die Wissenschaft geopfert und damit ist die Sache gut!«

Der Professor stand seinem großartigen Experiment so kühl gegenüber wie ein Lehrer an der Volksschule seiner Elektrisiermaschine.

»Herr Professor!« begann der Präsident, »Sie haben mir den Kopf warm gemacht mit Ihren Ideen, mir geht das bekannte Mühlrad darin herum.«

Dr. von Hartmann war aufgestanden und reichte dem Professor bewegt beide Hände hin,

»Ich kann es nicht sagen«, begann er, »wie ich Sie bewundere, die Welt kennt bis jetzt keinen größeren Helden als Sie es sind!«

»Also dieses Manuskript enthält die vollständige Darstellung Ihres Vorhabens und Sie übergeben es uns mit der Erlaubnis, seinen Inhalt unserer staunenden Mitwelt bekanntzugeben.«

»Ja«, stimmte der Professor zu, »Sie führen nur das aus, was ich selbst vorhatte.«

»Dann danke ich«, sagte der Präsident, »ich hoffe, unsere Mitteilungen werden die Wogen des Aufruhrs ebnen!«

»Man wird begeistert sein von Ihrer Heldentat«, sagte Dr. von Hartmann, »man wird Sie bewundern und feiern!«

»Ich glaube, wir werden morgen die Wachen nur mehr benötigen, um sie vor der Begeisterung der Menge zu schützen«, sagte der Präsident; »übrigens hoffe ich, der Abend wird ruhig verlaufen.« Er sah zum Fenster hinaus. »Es fängt tüchtig zu regnen an und einem ordentlichen Regengusse gegenüber hält weder die Begeisterung noch die erbittertste Aufregung der Volksmenge stand. Herr Doktor, wir müssen eilen, damit wir der Bevölkerung noch rechtzeitig Mitteilung von dem bevorstehenden einzigartigen Ereignisse machen können!«

Die beiden Herren empfahlen sich in schmeichelhaftester Weise vom Professor.

»Pardon – eine Bitte hätte ich«, wandte sich Professor Dr. Voraus noch einmal an den Polizeipräsidenten, »ich ersuche Sie, wenigstens meinem Diener sofort die Freiheit zu geben. Er hat doch nicht das Mindeste dazu beigetragen, daß das Volk sich so wahnsinnig aufregte!«

»Bitte zu entschuldigen, Herr Professor! Es ist uns nicht eingefallen, Ihren Diener den gleichen Maßregeln zu unterwerfen, deren Opfer Sie geworden sind, – es war ein Mißgriff der Wache – Ihr Diener kann sich hinbegeben, wohin er will!« erklärte bereitwilligst der Präsident.

Nachdem der hohe Herr in Gegenwart Lorenzens der Wache eingeschärft hatte, daß dem treuen Diener vollste Bewegungsfreiheit zu gestatten sei, entfernten sich unter nochmaligen ergebensten Verbeugungen die beiden und der Herr Professor begab sich ziemlich befriedigt in sein Arbeitszimmer und begann wieder eifrig zu arbeiten. Nach einer Weile läutete er dem Diener. Als Lorenz kam, fand er seinen Herrn wieder eifrig beschäftigt.

»Nehmen Sie sich einen Stuhl daher, ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen!«

Lorenz rückte sich einen Stuhl zum Schreibtisch hin und erwartete in großer Aufregung die Mitteilungen des Herrn Professors.

Der Herr Professor schrieb an einem umfangreichen Manuskript. Blatt um Blatt legte er weg, ohne den Diener zu beachten. Er schien ihn total vergessen zu haben. Eine Viertelstunde verging – eine halbe – und noch immer raste des Professors Feder über die unschuldigen weißen Blätter.

Als der Professor wieder ein Blatt zu dem großen Haufen der bereits beschriebenen legen wollte, glitt es ihm aus der Hand und schwebte, langsam niedergleitend, auf den Boden. Lorenz hob es auf. Dadurch wurde der Professor erst wieder auf seine Gegenwart aufmerksam.

»Ah, Sie sind schon hier, Lorenz?« fragte er zerstreut.

»Sehr wohl, Herr Professor!«

»Nur eine Minute noch...! Ich bin sofort fertig!«

»Sehr wohl, Herr Professor!«

Und Herr Doktor Voraus schrieb weiter – Blatt um Blatt. Lorenz sah ihm geduldig zu. Mählich überkam ihn eine bedeutende Schläfrigkeit. Die starken Gemütserregungen und der Ruster Ausbruch übten ihre Wirkung. Er neigte erst den Kopf ein wenig nach vorn, und die Bilder des vergangenen aufregenden Tages zogen durch seine Seele, immer und immer mehr verblassend, schließlich wie in einem Nebel verschwindend. Lorenz schlief ein.

Plötzlich wurde er durch lautes Rufen erweckt. Er schreckte auf. Der Herr Professor stand bei der geöffneten Zimmertür und schrie mit lauter Stimme in das Schlafzimmer hinaus:

»Lorenz, Lorenz! Wo bleibt denn der Kerl!«

»Herr Professor, da bin ich«, sagte Lorenz und wischte sich den Schlaf aus den Augen.

»Ah, da ist er ja«, begann der Professor, »ja sagen Sie mir, wo sind Sie denn gewesen?«

»Ich bin immer dahier gesessen«, sagte Lorenz und deutete auf den Stuhl neben dem Schreibtisch.

»Ach ja... ja, ja..., ich hatte Sie vergessen und zum Schluß ganz übersehen. Ja, ja... ganz richtig! Aber wo steckten Sie denn? Ich habe Sie um acht Uhr herbestellt... und jetzt ist es...« Er sah auf seine Uhr. »Sie steht... natürlich...«, sagte er zornig.

»Jetzt ist es dreiviertel eins«, bemerkte Lorenz.

»Und sie sitzen seit acht Uhr da – das ist schrecklich.«

»Sehr wohl, Herr Professor!«

»Ich muß einiges mit Ihnen besprechen, wir sind gleich fertig – nehmen Sie Platz!«

Lorenz setzte sich, der Professor gleichfalls, nahm aber sofort eine Feder zur Hand.

»Herr Professor, verzeihen«, fing Lorenz an, »wollen Herr Professor die große Güte haben und die Feder wieder weglegen, denn sonst würden wir zu keiner Konversation mehr kommen.«

»Da haben Sie recht. Also, mein lieber Lorenz, Sie sind jetzt – erlauben Sie – wie lange bei mir?«

»Elf Jahre, zehn und ein halbes Monat!« antwortete Lorenz.

»Nicht möglich! Habe ich Sie nicht vor zwei Jahren ungefähr – es können auch drei sein – erst aufgenommen?« warf der Professor zweifelnd ein.

»Ich bin am 18. Mai des Jahres 1895 in den Dienst des Herrn Professors getreten!« sagte Lorenz.

»So? Ist das wirklich schon so lange her?«

Lorenz schwieg. Der Professor fuhr in sonderbarer Aufgeregtheit fort: »Und Sie sind immer zufrieden gewesen in meinem Dienst?«

»Ich bin dem Herrn Professor sehr oblischiert!« antwortete äußerst gewählt der Diener.

»Lassen Sie diese Flausen«, sagte der Professor, »reden Sie deutsch!«

»Sehr wohl, Herr Professor!«

»Ich muß Ihnen ankündigen, daß wir uns trennen werden!«

Lorenz sah seinem Herrn erbleichend ins Gesicht. »Ich hoffe doch nicht, daß Herr Professor unzufrieden gewesen sind!«

»Nein, nein, mein lieber Lorenz«, begann der Professor eifrig, »davon ist keine Rede. Aber ich habe ein Experiment vor, das so lange Zeit in Anspruch nimmt, daß es ungerechtfertigt wäre, ja einfach unmöglich, Sie für diese Zeit an mich zu binden!«

Lorenz sah ruhig vor sich hin.

»Ich werde in längstens Jahresfrist Abschied nehmen von dieser Welt, besser gesagt, von meiner Gegenwart; ich will, um meine Erfindung an mir selbst zu probieren, mich in einen zweitausend Jahre währenden Schlaf versenken lassen! Ich will, mein treuer Lorenz, die Zukunft des Menschengeschlechtes kennenlernen. Was sagen Sie dazu?«

Lorenz war etwas überrascht. »Zweitausend Jahre! Glauben Herr Professor, daß man nicht in hundert Jahren auch manches Interessante sehen wird?«

»Jawohl, aber ich will die Welt zweitausend Jahre nach mir sehen. Also«, er wurde sehr ernst und sprach in einem ganz veränderten Ton, »an dem Tage, an dem ich meine Augen zu meinem zweitausend Jahre langen Schlaf schließen werde, sind Sie ihres Dienstes enthoben. Ich werde natürlich nicht ermangeln, Ihnen bei Auszahlung Ihres Gehaltes an diesem bedeutungsvollen Tage eine Zubuße zu widmen, die Sie instand setzen wird, Ihre eigenen Zukunftspläne auszuführen und Ihre Wetti zu heiraten, wonach Sie sich ja so sehr sehnen.«

»Es ist mir nicht um das«, fing Lorenz an. »Ich muß aber bedenken, daß, wenn der Herr Professor nach zweitausend Jahren munter wird, dann niemand mehr da ist, der des Herrn Professors Gewohnheiten kennt und dem Herrn Professor dann Tee mit Butterbrot, Schinken und Anschovis präsentiert. Denn die Leute werden sich in der Zeit an andere Frühstücke gewöhnt haben und der Herr Professor bekommen im Lande der Zukunft sofort einen Magenkartarrh!«

»Dann wird es schon Ärzte geben, die so etwas sofort heilen werden!«

Lorenz gab unentwegt weiter zu bedenken: »Es wird dann aber niemand sein, mit dem Herr Professor bekannt sind, und der Herr Professor werden sich recht einsam und verlassen fühlen... und daher meine ich...«

Er stockte und sah verlegen vor sich auf den Boden.

»Was meinen Sie denn?« fragte der Professor erstaunt.

»Daß es gut wäre, wenn Herr Professor auch in der Zukunft jemand um sich hätten, der mit Ihnen so gut bekannt ist und der mit Ihnen reden kann von der alten Zeit, wenn Herr Professor einmal eine freie Stunde haben. Denn ich glaube, daß man dann vielleicht keine von den Sprachen mehr spricht, die heute gangbar sind, und daß es dem Herrn Professor doch manchmal recht unangenehm sein werde, immer lateinisch zu reden... was dann infolge fortgeschrittener Bildung alle Leute tun werden, wenn sie sich nicht unterdes eine andere Sprache gemacht haben, die dann für alle Leute gelten tut. Und es wird so manches anders sein... und... der Herr Professor werden recht froh sein, wenn Sie so jemand haben, der sich auskennt in allem...«

»Ja, so sagen Sie doch zum Kuckuck, was Sie denn eigentlich wollen!« fragte erregt der Professor.

»Ich möchte den Herrn Professor gebeten haben, daß ich auch auf zweitausend Jahre eingeschläfert werde!«

»Aber!« fuhr der Professor auf.

»Ich muß wohl zugeben, daß ich mir einen Abzug vom Lohn gefallen lassen muß, denn der Dienst während dieser Zeit wird ja durchaus nicht anstrengend sein...«

»Sind Sie verrückt, Lorenz... und was würde Ihre Braut dazu sagen?« warf der Professor ein.

»Ich will ihr vorschlagen, daß sie sich auch auf zweitausend Jahre einschläfern lassen soll. Ich habe mir darin bis zu unserem Erwachen so viel erspart, daß wir uns heiraten können. Sie kann noch ein paar Jahre zum Herrn Professor als Köchin eintreten... sie kocht ganz ausgezeichnet... und dann wollen wir uns ein Gasthaus gründen, so wie die Gasthäuser jetzt sind, und wir werden großen Zulauf haben, weil jeder von diesen Leuten sich so ein altes Gasthaus wird anschauen wollen, und wir werden eine berühmte Kuriosität werden. Und wenn es bei uns auch etwas teurer ist, so werden sich die Leute nichts daraus machen!«

»Sie sind ein märchenhafter Kerl!« sagte der Professor. »Haben Sie auch alle die Gefahren bedacht, denen wir entgegengehen? Wenn unser Schlafgemach vom Feuer zerstört wird, wenn ein Erdbeben uns die Decke während des Schlafes auf den Kopf wirft, wenn Feinde eindringen und uns im Schlafe ermorden...«

»Das wäre wohl unangenehm, aber ich tät' mir dabei denken, daß, wenn ich nicht eingeschlafen wäre, ich ja schon längst tot wäre. Denn man wird doch einige hundert Jahre auf unser Schlafzimmer gut aufpassen!«

Der Professor sah eine Weile kopfschüttelnd vor sich hin. »Ist das Ihr voller Ernst?« fragte er dann und sah dem Diener ernst und eindringlich in die Augen.

»Ich würde den Herrn Professor recht sehr um die Güte gebeten haben«, sagte Lorenz in schlichter Einfachheit.

»Ja, und was wird Ihre Braut dazu sagen? Ich glaube nicht, daß die mit dem Plan einverstanden sein wird«, gab der Professor noch zu bedenken.

»Ich habe mit meiner Braut noch nicht gesprochen, aber ich glaube, sie liebt mich ganz außerordentlich, so daß ich dieses kleine Opfer von ihr verlangen kann. Ich werde morgen mit ihr sprechen – und wenn ihr das Unternehmen nicht konveniert, dann kann ich sie überhaupt nicht heiraten, denn dann ist sie nicht das Frauenzimmer, wofür ich sie halte!«

»Also, Sie bleiben wirklich dabei, mich in dieses... na, wie hat er nur gesagt... in dieses ›Land der Träume‹ zu begleiten? Wollen Sie wirklich mit mir zweitausend Jahre verschlafen?«

»Sehr wohl, Herr Professor, wir verlängern unseren Kontrakt! Wenn Sie, Herr Professor, mir darüber den notariellen Kontrakt vorlegen, ich unterschreibe sofort!«

»Das ist köstlich! Ein Mensch ohne Mittelschule, ohne Universität, er hat mehr Begeisterung für die Wissenschaft als jene alten Zöpfe. Lieber Lorenz!«

»Sehr wohl, Herr Professor!«

»Also gut – es soll so sein, Sie gehen mit mir, selbst wenn wir Ihre Köchin mitnehmen müssen. Ich achte in Ihnen den treuen Menschen, den großen Menschen, der unbewußt, sorglos, das Größte wagt. Werden Sie aber auch standhaft bleiben, standhaft, im letzten Moment?«

»Herr Professor...«, sagte Lorenz und legte beteuernd seine Rechte an sein Herz.

»Morgen bringen die Blätter die Ankündigung meines Vorhabens. Abends werden dieselben Blätter mitteilen, daß auch Sie mich in das ›Land der Träume‹ begleiten werden. Haben Sie Photographien?«

»Sehr wohl, Herr Professor!«

»Sie werden sie brauchen, alle Blätter werden sich um Ihr Bild reißen, überall wird Ihr Bild erscheinen...«

Lorenz stand in würdiger Einfachheit da... »Ich finde nicht, daß da etwas Besonderes daran ist, wenn ich mit meinem Herrn zweitausend Jahre verschlafe!«

»Lorenz, Sie sind einfach großartig«, sagte der Professor. Er versank in tiefes Nachdenken.

»Gute Nacht, schlafen Sie wohl, mein Teurer! Besorgen Sie morgen sofort alle Blätter aus der Trafik! Wecken Sie mich Punkt sechs Uhr, morgen wird ein unruhiger Tag!«

Lorenz ging mit einer Verbeugung ab. Nachdem er in seinem Zimmer den Wecker auf dreiviertel sechs Uhr gestellt hatte, begab er sich zu Bette. Er konnte lange nicht einschlafen.

»Eine schreckliche Geschichte das! Aber ich verlaß mich auf ihn... und das Gehalt... zweitausend Jahre... zweitausendmal... der Monat zu hundert Kronen... das Jahr zu zwölfhundert Kronen, zweitausendmal zwölfhundert Kronen... Wieviel macht das aus?«... Er nahm einen Bleistift aus dem Nachtkästchen heraus und schrieb sich die Rechnung am Rande eines Zeitungsblattes auf.

»Zweitausendmal zwölfhundert Kronen – das macht – zweimal zwölf ist vierundzwanzig – zwei Nullen sind vorhanden – noch drei Nullen dazu, das macht – zwei Millionen und vierhunderttausend Kronen. Es ist viel – und ich verzichte dabei auf die Kost... Ich wache als Millionär auf!«

Er konnte lange nicht einschlafen. Was waren die zweitausend Jahre? Nicht mehr als eine Nacht. Und am nächsten Morgen als Besitzer von zwei Millionen vierhunderttausend Kronen aufzuwachen! Ihn schwindelte. Er drehte die elektrische Lampe ab und schlief ein.

Des anderen Tages besprachen sämtliche Blätter in spaltenlangen Artikeln das Vorhaben des Herrn Professors. Die freiheitlichen Journale priesen das Unternehmen des Professors als eine gewaltige, herrliche Tat und ergingen sich in enthusiastischen Schilderungen des großen selbstlosen Mannes, der ohne Bedenken sich im Interesse der Wissenschaft von allem scheiden wollte, was ihn derzeit umgab, und wehr- und schutzlos einer unerforschlichen, weltfernen Zukunft entgegenschlafen wollte. Das sozialdemokratische Blatt zeigte eine ähnliche Auffassung wie das freisinnige Organ und stellte den Professor unter Anwendung sehr ernsthafter, rührender Bezeichnungen in eine Stufe mit jenen großen Kämpfern der Menschheit, die duldend und leidend ihr Leben für den Fortschritt opferten.

In gänzlich entgegengesetztem Sinne äußerte sich die klerikale Presse. Sie stellte gründliche theologische Untersuchungen darüber an, ob das Verhalten des Professors mit den Geboten Gottes und besonders mit den Geboten der Kirche in Einklang zu bringen sei, und kam dabei zu höchst interessanten Resultaten. Besonders der Umstand, daß im magnetischen Schlafe der Mensch Jahrtausende ungeschädigt verbringen könne, verstimmte die Herrschaften, und sie beschuldigten den Professor direkt des Mißbrauches einer Sache, die bis jetzt ausschließliches Eigentum der Gottheit war. Der Professor wolle, so führten sie aus, das Donnerwort Ewigkeit seiner religiösen und göttlichen Schauer entkleiden und das Unfaßliche dieses grauenvollen Begriffes menschlichem Erfassen näherbringen, indem er sich selbst einen »Jüngsten Tag« konstruieren wolle, indem er nach zweitausendjährigem Schlafe wieder zu neuem Leben zu erwachen gedenke. Diese streitbaren Blätter führten mit großer Entrüstung aus, daß Herr Professor Dr. Voraus ein Attentat auf die Kirche plane, ein Attentat, das bei seinem Gelingen alle Grundlagen des Glaubens erschüttern würde. Sie wendeten sich im Schlußsatz des Artikels an die Polizei, diese auffordernd, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln das frevelhafte Beginnen zu verhindern.

Dr. Voraus las kopfschüttelnd diese Berichte und Artikel. »So sind sie!« rief er erregt aus. »Wie leid wird es ihnen sein, daß sie mich nicht zum Scheiterhaufen verurteilen können!« – Die »Volksstimme« schlug um, der »Arbeiterwille«, der die Erfindung des Professors als einen nicht zu duldenden Eingriff in das freie Selbstbestimmungsrecht, ja als Attentat auf die Menschheit im allgemeinen dargestellt hatte, tat, als hätte er von seinen früheren Artikeln keine Ahnung, schimpfte auf die Polizei und forderte gebieterisch die Zurückziehung der Wachen vor dem Hause des Professors.

In allen Gast- und Kaffeehäusern wurde natürlich wieder von nichts anderem geredet als von dem kühnen Unternehmen des Professors. Man beriet eifrigst, wo der Herr Doktor Voraus schlafen werde, und die dümmsten Witze wurden über diese hochernste Sache gemacht.

Aber geradezu ungeheuer stieg die Aufregung, als man nachmittags aus Extraausgaben erfuhr, daß sich auch der Diener entschlossen habe, zweitausend Jahre zu verschlafen. Das Abendblatt des »Freisinnigen Journals« brachte ein Bild des treuen todesmutigen Menschen, und eine halbe Stunde nach dem Erscheinen dieser Sensationsnummer war jedes Blatt vergriffen, vor der Administration drängte sich eine ungeheure Menschenmenge. Die Zeitung veranstaltete eine zweite Auflage, die Maschine lief bis zwölf Uhr nachts, und jedes Exemplar, das die Presse verließ, war in der nächsten Minute abgesetzt. Auflage dreihundertundachtzigtausend konnte das Blatt des anderen Tages mit stolzer Befriedigung melden.

Lorenz kam an diesem Tage aus den Ruhmesdelirien nicht heraus. Bis halb fünf Uhr nachmittags hatte er einundzwanzig Interviews hinter sich, die ihn äußerst anstrengten, da er mit den Herren Berichterstattern prinzipiell nur äußerst gelehrt sprach und dabei eine wahre Verschwendung mit Fremdwörtern trieb. Er kam gar nicht dazu, den gewohnten Dienst bei seinem Herrn zu verrichten, und bezeichnete es als ein wahres Glück, daß der Herr Professor ebenso okkupiert war wie er selbst. Es war ihm sehr leid gewesen, daß er nur eine einzige Photographie besaß und daß sich die anderen Blätter mit einer Wiedergabe seiner Unterschrift begnügen mußten.

Um acht Uhr verließ der Herr Professor sein Heim. Er war müde und abgespannt.

»Ein aufregender Dienst, nicht wahr?« fragte er lächelnd den treuen Diener, als ihm dieser in den Überzieher hineinhalf.

»Es ist eine unbeschreibliche Ehre«, sagte hochbefriedigt Lorenz, »mein Bild ist bereits erschienen und meine Biographie hab' ich einem Interviewer diktiert«, setzte er stolz hinzu.

»Na, da werden Sie ja einen Haufen Geld verdienen«, meinte der wohlwollende Professor.

Nachdem der Professor sich entfernt hatte, ging Lorenz in sein Zimmer und begann sich umzukleiden. Auf seine Toilette verwendete er die möglichste Sorgfalt, band eine funkelnagelneue Krawatte um und stülpte den neuen Zylinder auf seine herrlich gekräuselten Locken. Er wußte, daß heute im Stammgasthaus aller Augen auf ihn gerichtet sein würden, und empfand es als seine Pflicht, seiner inneren Bedeutung entsprechend auch äußerlich durch Kleidung und wundervolles Gehaben Ausdruck zu geben. Beinahe wäre er, die Schnurrbartbinde umgebunden, auf die Gasse hinuntergegangen, so tief war er mit seinen Gedanken und seinem sich stündlich steigernden Ruhm beschäftigt.

Er fand Gast- und Extrazimmer bereits gefüllt, den Stammtisch vollkommen komplett. Als er eintrat, begrüßte ihn der donnernde Applaus seiner Freunde.

Von allen Seiten legte man ihm die Abendblätter mit seinem Bilde vor. Er nickte dankend, als wenn ihm das gar nichts Neues wäre, daß sein Bild in einer Zeitung erscheine.

»Das Bild ist gar nicht übel«, sagte er wohlwollend.

»Sehr gut getroffen!« warf einer ein.

»Etwas zu jung, wahrscheinlich nach einer alten Photographie«, kritisierte ein zweiter.

Der Wirt kam selbst und fragte Herrn Lorenz Unterkofler um seine Wünsche. Lorenz bestellte einen Mastochsenrostbraten mit gebratenen Kartoffeln, womit er Sensation erregte, da die Mitglieder seines Tisches aus Gesundheitsrücksichten abends gewöhnlich nur eine Kleinigkeit, wie Gulasch oder Augsburger mit Erdäpfeln, zu verzehren pflegten.

Der Wirt schrie mit lauter Stimme dem Speisenträger zu: »Mastochsenrostbraten mit gebratenen Kartoffeln für Herrn von Unterkofler!«

Nun strömte alles mit Fragen auf ihn ein: ob das wahr sei, daß er zweitausend Jahre schlafen werde, ob er dabei seinen Lohn fortbekomme, ob ihm nicht bange sei, usw. Er hüllte sich in tiefes Schweigen. Ein redebegabtes Stammtischmitglied erhob sein Glas, um den berühmten Mann zu begrüßen, er hatte aber noch nicht das erste Wort gesagt, als aus der Küche lautes Geschrei und Geheul von Frauenzimmern heraustönte. Alle Gäste standen erregt auf, der Wirt stürzte in die Küche und kam nach wenigen Minuten mit der beunruhigenden Mitteilung zurück, daß die Köchin neuerdings in Ohnmacht gefallen sei.

»Es ist schrecklich mit dem Frauenzimmer«, sagte Lorenz mit finsterem Gesicht und stand auf, um sich zur Köchin zu begeben. Als er die Küche betrat, erwachte sie just aus ihrer Ohnmacht. Sie hielt ein zerknittertes Abendblatt mit dem Bilde des Geliebten in der Hand. Gellend schrie sie den Eintretenden an und verlangte zu wissen, ob die Zeitungsnachricht wahr sei und ob Lorenz wirklich zweitausend Jahre zu verschlafen gedenke.

Lorenz wollte sie begütigen, aber sie sank in den Sessel zurück, schluchzte und heulte zum Erbarmen.

»Also, das ist Ihre Treue, das sind Ihre schönen Worte, zweitausend Jahre wollen Sie verschlafen wie ein brasilianisches Faultier, und ich soll derweil auf Ihnen warten, bis Sie munter werden? Das könnt' mir eine schöne Geschichte werden... das also hab' ich mir um Ihnen verdient...«

»Wollen Sie mich anhören, Wetti?« fragte verwirrt Lorenz. »Ich will Ihnen etwas sagen, womit Sie sehr zufrieden sein können. Ich habe Ihnen die Treue nicht gebrochen und über das können wir uns aussprechen. Aber nicht hier, meine liebste Wetti, und jetzt seien Sie so vernünftig und trachten Sie, daß ich meinen Mastochsenrostbraten bald bekomme, denn ich habe den ganzen Tag nichts gegessen und mir ist übel vor Hunger! Ich habe heute nur Journalisten und andere Leute empfangen, und das nimmt einen sehr her. Und wenn Sie mit Ihrem Dienst fertig sind, dann will ich Sie über die ganze Sache aufklären!«

Die Mitteilung, daß der Geliebte schon halb vor Hunger sterbe, übte auf das Gemüt der Köchin eine höchst segensreiche Wirkung aus. Mitleid und Liebe einten sich, die Köchin gewann frischen Lebensmut, trocknete ihre Tränen und gab sofort die umfassendsten Befehle wegen der Herstellung des Rostbratens.

»Es ist sehr schön«, sagte Lorenz, als er zum Stammtisch zurückkehrte, »wenn man so geliebt wird, aber es hat seine Unannehmlichkeiten.«

Nach elf Uhr kam die Köchin heraus und winkte Lorenz verstohlen zu. Lorenz stand sofort auf.

»Wir werden in das Extrazimmer gehen«, sagte er, »hier vor den dummen Leuten kann man nicht reden.«

Die Jungfrau folgte ihm in das schon halbdunkle Zimmer und setzte sich mit klopfendem Herzen dem berühmten Manne gegenüber. Nachdem der Kellner den Ruster gebracht und die Gläser gefüllt hatte, hub Lorenz seine Rede an.

»Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß mich Ihr Benehmen sehr irritiert und perplex gemacht hat, wo ich ohnehin schon mit meinen Nerven aus aller Ordnung bin!« sagte er und hoffte, durch die strenge Einleitung etwaigen starken Gemütsbewegungen der Geliebten, die infolge seiner Mitteilung eintreten könnten, zuvorzukommen.

Die Jungfrau seufzte und sah demütig mit wässerigen Augen auf den strengen Mann.

»Sie hätten sich denken können, daß ich Sie mit der ganzen Sache schon vollständig bekannt machen werde und daß ich nichts von Bedeutung tun werde, ohne es Ihnen früher zu intimieren. Und da es keine Kleinigkeit für einen Bräutigam ist, so lange Zeit zu schlafen, so will ich mich mit Ihnen über diesen Punkt auseinandersetzen!«

»Aber Lorenz, mein lieber Lorenz, teurer Lorenz... zweitausend Jahre, haben Sie denn darüber nachgedacht? Ach reden Sie doch nicht wieder von diesen Sachen... ich kann mir das ja gar nicht ausdenken... zweitausend Jahre!« Sie rang die Hände und sah flehend zu Lorenz empor.

»Werden Sie mir nur nicht wieder nervös, denn meine Konstitution ist heute sehr malade!« sagte Lorenz sehr ernst. »Und ich müßt' Sie auf der Stell' hier sitzen lassen, wenn Sie wieder in Ohnmacht fallen möchten!«

Diese Ermahnung genügte, und die Jungfrau kam wieder zu sich. Lorenz fuhr fort:

»Ich bin heute gekommen, um Ihnen die Einladung zu machen, mit mir und dem Herrn Professor ebenfalls die zweitausend Jahre zu verschlafen...«

Wetti fuhr erschreckt auf. »Ich... zweitausend Jahre... o... mein liebster Herr Lorenz... das verlangen Sie von mir?«

»Ich will Ihnen die Vorteile dieser Einrichtung bekanntgeben. Mein Herr wird Sie als Köchin in den Dienst nehmen und wird uns das Gehalt auch für die ganze Zeit auszahlen. Wenn Sie sechzig Kronen im Monat bekommen... und ich hundert... so macht das für uns beide hundertsechzig Kronen aus, was im Jahre eintausendneunhundertzwanzig Kronen sind, wo wir nichts arbeiten und nichts ausgeben können und wo alles nur Reingewinn ist, da wir auch keine Kleider brauchen, weil wir sie beim Schlafen nicht ruinieren. Und wenn wir zweitausend Jahre geschlafen haben, so... macht das aus... erlauben Sie, liebste Wetti, daß ich mir die Rechnung mache...«

Er nahm eine Zeitung und fing wieder am leeren Rande an, eintausendneunhundertzwanzig Kronen mit zweitausend zu multiplizieren.

Er rechnete lange,

»Es ist dies keine Kleinigkeit nicht mit der Mathematik, und ich will Ihnen gern die volle Summe sagen, was wir in dieser Zeit durchs Schlafen verdienen!«

Er beugte sich wieder über das Papier und schrieb. Die Jungfrau sah mit glänzenden Augen auf ihn. Lorenz schwitzte, daß sein Antlitz wie lackiert aussah.

»Ich glaube, das ist's – aber es ist eine sehr lange Zahl, und ich muß erst über sie nachdenken. Es sind sechs Ziffern nacheinander...«

Man hörte ihn Zahlen vor sich hinmurmeln, endlich rief er wie der alte griechische Gelehrte freudig erregt aus: »Ich hab's!«

»Wir haben dann verdient achtunddreißig – nein drei Millionen achthundertvierzigtausend Kronen!« Er sah freudestrahlend auf die Ziffernreihen auf dem Zeitungspapier.

»Da sind Sie ja Millionär!« rief erstaunt die Köchin aus.

»Und Sie sein Millionärin!« sagte er galant.

»Und alles haben wir erschlafen!« sagte sie träumerisch.

»Da haben Sie ganz recht!« sagte Lorenz. »Wir erschlafen unser Vermögen wie die richtigen Millionäre, die auch nur zu schlafen brauchen, und ihr Geld wird immer mehr!«

»Und was wollen wir mit dem Geld anfangen?« fragte mit glänzenden Augen die Jungfrau.

»Darüber hab' ich mir schon meine Meinung gemacht!« sagte Lorenz mit jenem überlegenen Tone, der ihm eigen war, seit er berühmt wurde. »Wenn wir dann aufwachen werden, so werden wir ganz andere Leute finden, als wie es jetzt gibt, und andere Wirtshäuser. Wir machen dann ein Wirtshaus auf, so wie es heute ist, mit allen den Speisen, wie wir sie heute haben, und ganz so eingerichtet, und die Kellner und die anderen müssen sich dann so anziehen, wie sie heute sind, und aus dem ganzen Lande werden die Leute in unser Wirtshaus kommen, was für sie sehr interessant sein wird.«

Er sah lachend auf die Geliebte, die ihn freudig anstarrte. Seine großartigen Zukunftspläne hatten sie ganz verwirrt gemacht.

»Wir werden in wenigen Jahren noch eine oder zwei Millionen dazukriegen und dann kaufen wir uns ein Gut in einer schönen Gegend und werden miteinander ruhig und vergnügt leben!«

Die Jungfrau schluchzte infolge innerer Bewegung. Solch glänzendem Leben sollte sie entgegengehen. Aber sofort befielen neue Zweifel das schwache Weib.

»Aber... zweitausend Jahre... ach Gott... zweitausend Jahre zu schlafen... es ist viel... sehr viel!«

»Sie werden nichts spüren davon!« sagte Lorenz.

Die Jungfrau sah ihn traurig an.

»Denn, sehen Sie«, fuhr er eifrig fort, »wenn man einschläft und wieder aufwacht, weiß man nichts, ob man eine Stunde, zwei Stunden – oder einen Tag geschlafen hat. Und daher ist's auch ganz egal, ob man hundert oder zweihundert – ob man tausend oder zweitausend Jahre geschlafen hat. Man wird einfach munter und verlangt nach seinem Frühstück, als ob man gestern erst eingeschlafen wär'! Das ist alles!«

Die Jungfrau sah sinnend vor sich hin.

»Ach, Herr Lorenz, wenn das wirklich so wäre!«

»Es ist so«, sagte begeistert Lorenz, »wir werden munter, Sie kochen dem Herrn den Kaffee und mir den Tee, und wir gehen dann hinaus und schauen uns die neue Zeit an.«

»Ach, du lieber Gott, ich wäre so gern dabei, aber ich bin ja nur ein schwaches Frauenzimmer.«

»Ach, Wetti, zum Schlafen sind Sie schon stark genug«, sagte er vergnügt und griff liebkosend nach ihrer Hand, die sie ihm willenlos überließ.

»Wollen Sie mit mir hinüberschlafen in die Zukunft, schönste Wetti?« fragte er zärtlich und schlang seinen Arm um ihren umfangreichen Nacken.

Sie sagte kein Wort. Er küßte sie auf den Mund, sie sah vorwurfsvoll zu ihm hinauf.

In diesem Augenblick kam der Kellner herein.

»Pardon!« sagte er und verschwand wieder.

»Lümmel!« sagte mit lauter Stimme Lorenz.

»Esel!« sagte mit starker Stimme die Jungfrau.

Lorenz hatte sich sittsam auf seinen Stuhl gesetzt.

»Und was sagen Sie nun, teuerste Wetti?« bat er dringendst.

Man hörte, wie die Leute draußen im Extrazimmer aufstanden. Der Name Unterkofler ward mehreremal sehr laut und sehr eindringlich genannt.

Lorenz ward wütend.

»Es ist eine Bande...«, sagte er. »Also, liebste Wetti, werden Sie mich begleiten... in jenes unbekannte Land?«

»Ach Gott, Herr Lorenz, da müssen Sie mir doch Zeit lassen, mir das alles zu überlegen. Das ist ja keine Kleinigkeit! Ist es denn so ausgemacht,... daß Sie wirklich mit Ihrem Herrn mitgehen? Ach, Lorenz,... wer wird sich nach Millionen sehnen!«

Da ward Lorenz ernstlich böse.

»Wetti... ich sag' Ihnen bloß das eine. Ich geh' mit meinem Herrn. Und wenn ich bis zum Jüngsten Tag schlafen müßte. Wenn Sie an meiner Reputation Zweifel hegen...«

In diesem Moment ging die Tür auf und die Mitglieder des Stammtisches kamen zögernd herein.

Aber Lorenz ließ sich nicht beirren.

»Ich werde mit meinem Herrn zweitausend Jahre verschlafen. Ich hab' ihm meine Genehmigung zu dieser Expedition zugesagt und bin es meiner Reputation schuldig und darüber ist kein Wort mehr zu verlieren! In drei Tagen werden Sie mir, liebste Wetti, sagen, was Sie tun wollen. Ich habe Sie meinem Herrn rekommandiert, wie ich es mir verpflichtet war. Leben Sie für heute recht wohl!«

Er gab ihr die Hand und schritt auf seine Freunde zu.

»Lorenz!« rief sie ihm nach.

Er aber blieb stark und kehrte sich nicht mehr um.

Lorenz wurde nach Hause begleitet. Die Erinnerung an Wetti hielt ihn wach und er wälzte sich ruhelos auf seinem Lager hin und her. Der Gedanke verstörte ihn, daß sie nicht einwilligen könnte, ihn in das »Land der Träume« zu begleiten. Dann war sie für ihn in dem Moment verloren, als er sein Ruhebett bestieg, um den langen, langen Schlaf zu tun. Dann würde sie ein anderer heimführen, ein anderer ihre schwellenden Lippen küssen. Er hätte weinen können vor Liebeskummer.


 << zurück weiter >>