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Das fünfzehnte Abenteuer

zeigt einen veränderten Till. Das Barometer seiner Narrheit aber steigt. Abgesehen davon, daß er wieder den Versuch macht, die Gule loszuwerden, wendet er sich in einer absurden Weise seinem Hunde zu und erzählt ihm Geschichten. Mit Recht wird er von der Gule deswegen verspottet. In diesem Abenteuer ist die erste seiner Geschichten enthalten: ein Eselsritt durch die Luft, der zunächst bei dem Alten vom Berge sein Ende findet.

 

Was geschah? – Till erwachte und sah, wo er war. Nah am Feuer
lag er. Dieses indes war nur mehr noch still glimmende Asche.
Morgenwind griff hinein, sie verjagend in stäubenden Wölklein.
Neben Till ruht der Pudel und drückt die feuchtschwärzliche Schnecke
seiner Nase ihm gegen die Wange. Nah rollet der Elbstrom
lautlos flutend und breit seinen Gang. Till ist tränengebadet
und begreift nicht, warum, bis ihm langsam Erinnern zurückkehrt.
»Mensch, du hast ja verzweifelt geflennt und geschluchzt!« sagt die Gule. –
»Ja, das hab' ich«, spricht Till, »und ich weiß auch, warum.« – »Denkst du, ich nicht?
Wasserrüben, sechs Stück, hast du gestern im Felde gestohlen
und hinuntergewürgt ohne Brot«, gibt die Gule zur Antwort. –
»Ja, das ist es gewiß!« Und Till tupft mit dem Sacktuch die Augen,
während über dem Strom die aufsteigende Sonne einherblitzt.
»Wie denn nennt sich die Stadt, deren Türme wir sehen?« so fragt er. –
»Wittenberg!« so die Gule, »du sagtest es gestern, ich weiß nicht.« –
»Wir umfahren sie langsam im Bogen!« spricht Till, »denn Gespenster
hausen dort, die den Kindern der Menschen nicht freundlich geneigt sind.«
Dies gesagt, stand er auf und begab sich ans Ufer des Elbstroms,
Leib und Seele in läuternden Fluten des Morgens zu baden.
»Diese Nacht! diese Nacht! Eine zweite wie diese, und nichts mehr
kann mich halten in unsrer unendlich alldeutigen Schöpfung.
Prinz, mein Pudel!« Er war ihm zur Seite und blickte ihn klug an.
Till, die Kleider vom Leibe sich ziehend, spricht fort: »Ich beschließe,
diese Traumnacht in apokalyptischen Büchern zu spiegeln,
nur für dich, und sie dir untertänigst ersterbend zu widmen.
Hab' ich dieses getan, nun, dann naht meine irdische Irrfahrt
sich dem Ende, und du, Lieber, wirst mein Vermächtnis betreuen.
Prinz, ich fürchte gar sehr, mein Planet ist Saturn! Saturnalisch
ist mein Wesen bestimmt. Saturnalien muß ich erleben
so und so: so in Lust wie in Schmerz, in Leichtsinn und Trübsinn!
Doch der Spaß dieser Nacht ist zu stark für ein menschliches Mücklein.«
Und schon schwamm in den Fluten der ewige Träumer und Schalksnarr:
ein Beschwörer, der selber gerufene Geister nicht loswird.
Selbst das Bad, es besaß nicht die Kraft, ihn wie sonst zu erneuern.
Mißmut hielt ihn gelähmt, und Verdrossenheit griff seine Kraft an.
»Ich will sterben«, so spricht er, »mein Kind!« und verkriecht sich im Wagen.
Dort nun lag er wie tot, aber atmend. Da denkt sich die Gule:
Laß ihn schlafen, und schirret die Pferdchen und rollet des Weges,
weiter, wie er's von ihr sich erbat, das Kraweel; denn er wollte
weit entfernt von dem häßlichen Traum seiner schrecklichsten Nacht sein.
»Mir gefällt dieser Bursch nicht mehr recht«, spricht zum Pudel die Gule,
einsam zottelnd, entlang des Geströms, in die herbstliche Landschaft.
»Er ist bleich, er ist krank, sicher wühlt ihm ein Gift in den Adern.«
Und der Gaukler, er schlief und er schlief. In zwei Tagen und Nächten,
wie die Gule es immer versuchte, er war nicht zu wecken.
Plötzlich sprang er empor, schien der alte zu sein und verlangte,
daß die Gule ihm brate und koche, soviel nur das Zeug hielt.
Nun, sie tat es. Sie drehte den Spieß und am Spieße ein Häslein,
putzte Grünzeug und röstete Till seine Lieblingskartoffeln.
Doch vergaß sie dabei nicht, den Gaukler verstohlen zu prüfen.
Seine Farbe war bleich, seine Miene verzehrt, ob sein Blick auch
in die Ferne verzückt und von schönen Gesichten beglückt schien.
Sorgen muß man sich, denkt sie, um ihn, denn er ist nicht bei Sinnen.
Dies bestätigte sich, als der Gaukler nach Tische so anhub,
seine Pfeife, wie immer, im Mund und ins Waldgras gelümmelt:
»Gule, höre! Das Leben erweist sich als Mittelglied zwischen
der Materie und dem Geiste! Doch wisse, ich hab' es
satt, noch lange, wie jetzt, zwischen Himmel und Erde zu baumeln.
Und so haue ich ab. Doch das Wie, liebes Kind, bleibt Geheimnis.« –
»Dies Gequatsch' hab' ich satt, hier ist Wein, meinetwegen besauf dich.
Tränke deinen Verstand«, spricht die Gule, »der fast schon verdorrt ist.
Oh, was wärest du, Till, für ein Kerl auf dem Markte zu Laubaum!
Heute fährst du nur Stroh in die gähnenden Scheuern und drischst es.
Du bist krank, Till, ich merkte es längst, und du leidest am Hirnschwund.
Wasser hast du im Kopfe, ganz deutlich, Mensch, hört man es gluckern
in der Stille der Nacht.« – »Ja, du triffst auf den Punkt es, so ist es«,
sagte Till, »nur nicht ganz, und deswegen, Kind, bist du im Irrtum.
Kein Aquarium hab' ich im Kopf, eher etwa ein Vöglein
ausgestorbener Art, einen schwarzen Kanarienvogel
etwa, welcher gar Süßliches singt und alleine mir hörbar.
Schweig ein wenig, mein Kind, denn er spielt grade wieder: vielleicht, daß
doch ein Triller, ein Jauchzer, ein Schluchzer des Lieds auch zu dir dringt.
Horch und stelle dir vor: einen Hügel, von schwärzlichem Efeu
übersponnen, darauf eine goldene Leier errichtet;
auf der marmornen Wandung dahinter den Gott, der die Fackel
umgestürzt, auf der goldenen Leier ein singendes Vöglein,
schwarz, betäubt von Gesang! Und wer liegt unterm Hügel begraben,
Galgenstrick? Und was ist auf dem marmornen Grabstein zu lesen?
Rate, Gule!« – »Was willst du damit?« schreit die Gule. »Was Grabstein!
Ist's ein Grabstein, so ist es der deine, nicht meiner, verstehst du?!
Halb ja bist du schon tot, und dein Haar ist gebleicht wie mit Kalkmilch!
Und ich denke noch lange nicht dran, mich im Sarg zu verkriechen!« –
»Du hast recht«, sagte Till, »meine Stunde ist nah, nicht die deine.
Und er steht nur in mir, in dem sterbenden Narren, dein Grabstein.
Mein prophetischer Schlaf, Mädchen, hat mir mein Ende verraten.
Nah dem Tode, tut mancher schon Blicke ins bessere Jenseits,
jede Leichenbestatterin wird dir die Sache bestät'gen.
So erging es auch mir.« Danach wandte sich Till an den Pudel:
»Hast du Zeit, etwas Näheres, Prinz, aus dem Jenseits zu hören,
so erbaun wir den Kynosarges sogleich, wenn auch flüchtig
nur gezimmert, und lassen uns nieder darin. Und mein Vortrag
vom Katheder herab kann sogleich ohne Umschweif beginnen.«
Prinz gab Laut, somit stimmte er zu, und der Gaukler hub so an:
»Wisse, Prinz, daß ich jüngst bei dem Reinigungsbade im Elbstrom
in ein plötzliches Leuchten und Überallglänzen versenkt ward.
Welche Freude mich da überkam, kannst du schwerlich dir denken,
denn Hetairos, mein Dämon, mein Lenker war's, der mir so nah trat,
nahe trat, daß ich fast auf dem Punkt war, mich selbst zu ertränken.
Sah ich doch nur noch schwarz nach der Nacht, die ich zwar überstanden,
doch durchaus nicht verdaut. Und am Ufer stand Justus, du sahst ihn,
Faustens Sohn und Helenens, mein Pudel, vom Lenker gerufen!« –
»Wer stand dort, wenn's gefällt? Um Verzeihung, du spinnst, mein Geliebter«,
rief die Gule, »es stand und es steht weiter nichts als ein Pfahl dort!« –
»Justus winkte mir heiter«, fuhr völlig gelassen der Narr fort,
»von Hetairos beglänzt, und er sprach die unsterblichen Worte:
›Nicht vermag dich die Flut dieser gelblichen Wasser zu heilen
von dem ätzenden Schlamm, den der Zinkplatz der Marionetten
ausgegossen, Freund Till, über dich. Steig herauf und erfahre
nun ein anderes Bad, das dir Helios selber gerichtet,
feurig-rein, in dem zartesten Äther glückseliger Schönheit!‹«
Herzlich heulte da Prinz in die Lüfte, wogegen die Gule,
die durchsessene Hose des Fahrenden stopfend, »Nanu!« rief.
»Justus schritt mir voran«, sagte Till, »und hinüber nach Rimlich
in das alte Gehöfte, wo Faustus sein Ende gefunden.
Und dort war's, in dem Stall des Geweses, allwo wir ein Eslein
fanden, lose gehalftert, allein, von Gott weiß wem vergessen.
Dieses Eslein war mehr, als es schien, und das sollt' ich erfahren.
Justus klatschte es derb, und so wachte es auf. Im Erwachen
schien es Licht zu verbreiten durch feuchte Gewölbe des Stallraums!
›Satan hat es vergessen, das Tier‹, sagte Justus, vielleicht auch
nichts vermocht gegen dieses Geschöpf, das von Bileams Esel
stammen soll, der zu sprechen verstand, und zudem jenes Reittier
in der Reihe der Ahnen besitzt, das Maria und Joseph
auf der Flucht nach Ägypten gedient. Nun, dem sei, wie ihm wolle!‹
Andre Nücken noch hat es mit ihm, denn es hätte mich schwerlich
sonst entführt, wie es tat, und sogar, bester Prinz, durch die Lüfte!
›Habe Mut und sitz auf!‹ sagte Justus. Ich ließ mich nicht bitten.
Und es trabte hinaus, von der Halfter befreit, durch den Stallmist.
Freilich saß ich nicht weich. Denn, wie seltsam die Wahrheit auch sein mag:
dieses Eslein, das trotzdem sich regte, es war nur ein Erzguß.
Sieh, nicht lange bevor ich das Langohr bestieg, war ich Kaiser,
guter Prinz, von den Völkern der Erde erwählt und erlesen,
das Millennium anzubeginnen und weise zu leiten.
Doch die Sache schlug fehl. Und nun war mir die Aussicht willkommen,
eine Hedschra, vom Dämon gelenkt, in die Wege zu leiten.
Also höre denn nun! Und zunächst meinen Ritt auf dem Eslein,
später dann meinen Ritt auf dem Rücken des weisen Kentauren
Cheiron, welcher die Erde seit Jahrmillionen umkreiset.
Fort! nur fort! dacht' ich, Prinz, und, beim Hunde! ich denke es jetzt noch,
aus dem finster verhangenen Himmel kimmerischer Länder,
aus dem zeugenden Weh der versteinerten Höhlen der Gottheit,
dem gebärenden Wuste der düster hinstockenden Geister!
Fort! nur fort! Nun, mein Wille geschah, und du siehst mich getröstet.
So vernimm: Als mein Eslein erst langsam durchs Hoftor getrabt war,
stand es still, und ich schüttelte Justus die Hände zum Abschied.
Danach setzte es sich in Galopp, um am Ende die Erde
zu verlassen und höher und höher ins Blaue zu steigen.
Sausend schossen wir auf und dahin überm Bande des Elbstroms.
Unter uns flog die Eule, sie trug in den Krallen mein Spieglein.
Und so wohl ward mir da, so entspannt um den schmerzenden Brustkorb:
ich entschlief auf dem Rücken des Tiers und schlief selig und traumlos! –
Unter uns lag das Meer, als ich wieder erwachte, und, Purpur,
quoll die Sonne empor, einer glühenden Qualle vergleichbar.
Nun, da war es ja wieder, das Meer! In der Weite des Raumes,
unbegrenzt, ging es fort. Doch wie lange wir flogen, ich weiß nicht.
Lüfte trank ich und Licht und vergaß fast mein seliges Dasein,
bis mein ehernes Eslein zusehends sich senkte. Es stiegen
Inseln gegen mich an, und die See mit blauschäumenden Buchten
hob sich, Küsten mit schneeichten Gipfeln. Am Ende, urplötzlich
stolpernd, traten wir Grund, und ich fragte ins Leere: ›Wo sind wir?‹
Wo nun war ich? – Es gibt einen Fluß, der genannt wird Eurotas.
Seinen sumpfigen Ufern gehörte das raschelnde Röhricht,
das erkannt' ich sogleich. Aber frage mich nur nicht, wieso, Prinz!
Da mein Esel zu weiden begann, stieg ich ab und sah um mich,
einer Stille alsbald mich erfreuend, die köstlich und rein war.
Heiter morgendlich lachte der Fluß, der gen Süden dahinrann.
Pappeln zeigten den Lauf durch das fruchtbar gebreitete Schwemmland
weit dahin. Es begrenzte im Westen mit Mauern und Zinnen
eines unübersteiglichen Bergwalls das grünende Tal sich.
Wenn du meinest, ich flunkere, Prinz – und du grinsest bedenklich –,
laß mich flunkern. Ich leite des Morgens belebenden Lufthauch
ganz absichtlich hinein in die bildergebärende Werkstatt.
Trotzdem rede ich wahr, und nie habe ich wahrer geredet,
als indem ich dir Dinge erzähle, die heiter und schlicht sind.
Unfern ward ich gestellt den arkadischen Höhen. Schon tönten,
durch Pans Künste gewecket, im Echo die Laute der Syrinx,
nach der Nymphe benannt, die er liebte und deren geliebte
Stimme schwieg, als sie unter die Schatten des Hades hinabsank.
Oh, wie war sie gelinde, die Schönheit der wenigen Töne!
Und der Spieler, er zeigte die nämliche Schönheit und Einfalt:
unbekleidet fast stand er vor mir und goldlockigen Haupthaars.
Staunend blick' ich ihn an, und, beim Hunde! ich falte die Hände.
Was das Auge erblickt und ermißt, es begreift nicht die Schönheit
dieses Jünglings! Es ist Apoll oder sonst eine Gottheit!
›Warum staunst du?‹ so spricht er darauf mit warmklingendem Kehlton.
›Sahst du nie einen Hirten? Das bin ich. Ein Knecht des Admetos!‹
Dieses sprach er, mein Pudel, und als er sein Goldhaar zurückwarf,
königlich, in den herrlichen Nacken, da mußt' ich das Auge
senken vor dem durchdringenden Glanz, der dem Hirten ums Haupt stob.
Um mich blickend, ermaß ich die grünen Gelände und Triften,
wo die feurigen Hengste und Stuten, die Herden des Hirten,
Pferdeherden und Herden von Rindern, verbreitet, sich nährten,
unter ihnen, ich sah es mit Staunen, mein ehernes Eslein.
›Komm, mein Freund!‹ sprach der Hirt, ›du bist jung, ewig jung wie ich selber!‹
Ja, beim Hunde! ich fühlte mich jung, wie am Tage der Schöpfung!
›Du bist Jung!‹ spricht der Mensch. Dabei blickt er mich an, und so bin ich's!
Er fährt fort: ›Was dich herführt, du brauchst es nicht erst zu berichten:
Reinigung ist dein Ziel. Und der Ort, wo du bist, ist der rechte,
dich zu läutern und rein dich zu waschen vom Blute des Python,
denn es hat dich der Kampf mit dem Drachen der Urnacht besudelt!
So beginne, mein Bruder: es bietet ein Bad im Eurotas
sich zwei Schritte von hier. Gar leichtlich durchbrichst du den Schilfrand.
Erste Sühnungen gibt dir die Flut, wenn du gläubig hinabtauchst!‹
So geschah's. Welch ein Bad! Aus dem wärmenden Golde des Luftraums
in die silbernen Tiefen erfrischender Wasser gesunken,
ward ich über die Maßen erquickt und zum Dasein beseligt.
Aufgetaucht und ans Ufer gestiegen, verjüngt fand ich alles,
wie mich selbst, und beglückend umgab mich das Wunder der Kindheit.
›Komm!‹ spricht wieder der Hirt oder Gott, und ich bin ihm zur Seite,
scheu entzückt, und wir schreiten selbander. Oh, Wunder der Syrinx!
Welch ein Töner ist doch dieser Knecht oder Freund des Admetos!
Lauschend heben die Rosse die Häupter, es äuget das Rind auf,
Herden ziehen heran, tönehungrig und horchend-gehorsam,
ziehn uns nach, ihrem Hirten und mir, auch mein ehernes Eslein:
manchmal hör' ich sein frohes Iah! und bin lächelnd verwundert.
Ich erspare es mir, mein Prinz, dir den Weg zu beschreiben,
den wir zogen, von Herden gefolget. Genug, daß er weit war,
nur noch schöner als weit und noch wunderbarer als schön, Prinz!
Frühling! kennst du das Wort? Nicht der flüchtige Frühling, der ew'ge
ist um uns, als wir wandern. Der Hirte, der schön wie der Tag ist,
ist er selber der Tag? Er ist mehr als der Tag! ist Apollon,
auf die Erde gestiegen, der Sohn seiner selbst. Manchmal dacht' ich:
auch der meine, mein Sohn, Doppelgänger womöglich von einstmals.
Nein, das ist Sakrileg. Es erweckte die Flöte des Spielmanns
alle Lüfte zum Klang, alle Kehlen zu schmetterndem Singsang!
Lerchenjubel, nicht endender, wogte. In Büschen verborgen,
allenthalben erwachten gefiederte Sänger zum Wettstreit.
Aber mehr: der Erlöser Apollon, er war auch Versöhner,
als das wilde Getier von überallher an den Tag kam.
Und sie schritten wie Lämmer, die Löwen, hin zwischen den Rindern,
Tiger schmiegten sich uns um die Füße, und keinerlei Furcht war
anzumerken dem wiehernden Roß und dem meckernden Zicklein.
Aber, aber, mein Pudel, du hättest den Schwanz wohl gekniffen
bei dem allem und wärest gewißlich nicht ruhig geblieben,
hätt'st du tanzen gesehn eine selig begeisterte Hirschkuh
vor dem Zuge des Allbeglückers, der wonnig dahinschwamm.
Dort im Osten, westöstlich, erglänzet noch immer Olympos
und versammelt noch immer die Zwölf, die olympischen Götter.
Heil, so sei es! Im orgiastischen Taumel Europens,
der, vom wirrenden Hauch der phlegräischen Felder gestachelt,
rast und raset, befreit und erkühlet der Geist sich im Anschaun
ihrer himmlischen Form und Gestalt und maßwirkenden Schönheit.
Dies begreifst du gewiß, o mein Prinz! Warum blickst du ein wenig
phosphorschillernd-blaugrünlich mich an, fast als dächtest du nicht so?
Bist du mehr für den andern Olymp, der in noch nicht zweitausend
Jahren neu sich gebar aus dem grausenhaft christlichen Beinhaus? –
Steil am Felsen gereiht, in beträchtlicher Höhe, dort lag sie,
jene Burgstadt Admets, dessen Knecht unser Führer im Zug war.
Oder war er vielleicht auch sein Leiter und Führer und Schutzgott?
Zitternd wogte das Glänzen des Mittags und löste die Säulen
alter Tempel, die Mauern und Bogen der fränkischen Burg auf.
›Steig hinan!‹ sprach mein Hirte, ›du wirst von Admetos erwartet
Dort im Schatten der Burg, in den Hallen der Höfe und Tempel
wird dir Schutz vor der nimmer verhüllbaren Macht meiner Gottheit,
deren unaufhaltsames Wachstum mich selber in Bann schlägt.‹
Unverborgen, Prinz, mußte mir bleiben, was hiermit gemeint schien,
war doch nur mehr ein zitternder Duft die Gestalt meines Hirten,
und mir schienen sich Zug sowie Herden im Licht zu verlieren.
Auch zerschmolz ich fast selbst. Aber nun war mein ehernes Eslein
auf dem Plan. Ich bestieg's, und es jagte sogleich mit mir felsan.
Allernächst traf Verwandtes bereits auf Verwandtes am Burgtor,
wo Steineichen, unsterblichen Wachstums, gewaltiger Stammkraft,
riesenmäßig verbeult und mit ebenso mächtiger Armwucht,
plump gigantisch verknorrt, in weitrauschende Wipfel sich dehnten:
so viel Wucht und Gewalt, um die leichten Gewölke der Blättlein,
erzen glänzenden, dunkelsten Grüns, in den Lüften zu spreiten!
Hier nun tummelten eherne Panther grimmfreundlichen Spiels sich,
lauernd, schleichend, den Bauch an der Erde, – dann mächtiger Zusprung,
Biß und Hatz und verknäuletes Wälzen, doch alles ganz lautlos.
Wohnt hier, denk' ich, Admetos, so ist er gewißlich ein Magier,
und du wärest dann, sag' ich zu mir, wiederum mitteninnen
im gespenstigen Wuste und Dust, dem du doch dich entrückt wähnst!
Schweigend stand alles Land in der brütenden Hitze des Mittags;
eingeschlossen nur schien sie zu sein im Bereiche des Schattens,
nicht gelinder geworden. Recht seltsam haust dieser Admetos,
in der schweigenden Glut und von ehernen Tieren umspielet!
Wie dem immer auch sein mag, wir drangen hinein in den Burghof,
und es hallte bereits auf den Fliesen der Huf meines Esleins.
›Seid willkommen!‹ so sprach eine Stimme. Ein bärtiger Mönch trat,
sanften Blicks, auf mich zu, als ich jetzt, von dem Eslein gestiegen,
stand und suchend mein Blick über Hallen und Höfe dahinglitt.
›Lange hat dich, Freund Till, schon der Alte vom Berge erwartet!‹
Unter Lächeln verkündet's der Mönch, und dann winkt er mich mit sich.
Nicht besing' ich die hallenden Bogen und hallenden Höfe,
Blumenwüsten zugleich, von gewölbeten Gängen umschlossen,
viele, denen der mächtigste Pfeiler und Stamm der Platane
grünen Himmel gefiederter Sänger als schützendes Dach hielt.
Nicht die Wege besing' ich, hinleitend am Absturz der Mauer.
Gänge schritten wir hin, meine Wenigkeit, Prinz, und mein Mönchlein,
von Zypressen gesäumet, Ölweide, Arbutus und Lorbeer.
Wiesen taten sich auf, asphodelosbestandne, von Lilien
weite Auen, still schimmernd, im Schatten der Zeder gebreitet.
Dieser Garten war still und war groß und voll schweigender Wunder!
Götter wohneten hier, doch verzaubert in schweigendem Marmor,
Götter, schweigend wie diese, zugegen und dennoch nicht sichtbar!
Wen wohl sollt' ich hier finden und erstmals erblicken? – Ein Lusthaus,
asphodelosumspült, bot sich dar. Eine rundliche Kuppel
krönte Säulen aus Stein. Wir betraten die Stufen. Eröffnet
lag ein Rundsaal, musivisch bekleidet, buntgoldener Rundwand,
mitteninne ein Rundtisch, mit serischem Stoff überdecket,
leuchtendgrün. An dem Tisch, in Gedanken vertieft, sitzt ein Weißbart.
Zeus? – Er rät, was ich denke, und schüttelt verneinend das weiße,
lockenwallende Haupt. Ob er lächelt? Vielleicht, doch ich weiß nicht.
›Meister!‹ drängt es sich mir auf die Zunge. – Du bist nur ein Tier, Prinz:
gegen sie bin auch ich nur ein Tier, diese Meister des Urlichts! –
Wieder leise bewegeten Hauptes verneinet der Greis es,
Urlichtsmeister zu sein. Doch mir kommt der Gedanke: mein Guru!
das will heißen: der niemals Geschaute, mein heimlichster Führer.
Da bewegt seine Lippen der Alte, und siehe! er spricht mich
liebreich an, ja, er nennet bei Namen, ganz deutlich, nennt Till mich:
›Was dich herführt, ich seh' es dir an. Es ist ebendasselbe,
was dereinstmals ans Licht mich gedrängt aus den Reichen des Nachtmahrs.
Und mir scheinet, du kommst auch in gleicher Begleitung wie ich einst,
lieber Sohn!‹ – Lieber Sohn: Prinz, ich schwöre, so sprach er wahrhaftig! –
Alles dies war so eigen und fremd und so gar nicht erwartet,
so getaucht in Magie, daß ich wenig zu sprechen vermochte!
Um so stärker durchwogte, erschütterte heißes Gefühl mich:
so erhaben und fern, doch so nah und vertraut war der Greis mir.
Manchmal schien es, als wäre ich Er, so vermocht' ich sein Wesen
auszufüllen! wo Er dann vor mir – denke, Prinz! – als dein Till stand.
›Till, du findest mich hier!‹ schlägt es männlich und tief an die Kuppel,
von dem Klange der schwingenden Stimme des Greisen erhallt sie, –
›Till, du findest mich hier, meinen seligen Knaben entwachsen
wiederum und in Sphären entrückt, welche heiter dich anziehn!
Ich enttäuschte dich ungern zu Anfang, doch muß es gesagt sein,
wie schon einst, daß dem Geiste du gleichest, Till, den du begreifest,
und so weit denn auch mir, nur nicht weiter. Doch darf dir's genug sein.
Deine Aura erquickt und belebt mich. Indem ich sie atme
und solange, wird erdenvertrauter ermöglicht mein Dasein.
Till, was immer du siehst, du Verschlagner, und weiter noch sehn wirst
in dem Wunderbereich dieser Gärten, es gilt nur als Gleichnis,
wie es immer dein Auge erstaunt und entzückend bereichert.
Noch ist alles hier zitternd und flüchtig. Gestalten, ungreiflich,
siehst du schweben, geflügelte zwar, doch der Flügel entratend.
Kaum der Lilien Kelche berührt der geschwisterlich holden,
schön gegürteten Kinder leicht schwebend hinwallender Goldfuß.
Du bist hier, und je länger du bleibst, wird die Fata, Morgana
mehr und mehr sich verdichten, zuletzt wird doch alles nur Schein sein!
Schöner Schein, braver Till, aber endlich vom selbigen Zeuge
wie der häßliche Schein eures ew'gen Konzils, der dich hertrieb.‹ –
›Meister‹, sagte ich da, meine Brust mit den Fäusten mir pressend,
›ich erschrecke vor dir! Doch warum? Weil du mir so vertraut bist!
Laß die Augen uns tauschen, so blickst du doch nur mit den deinen,
und ich sehe, was immer ich sah mit den meinen, nichts andres!
Und dein Herzschlag, dein Herz ist das meine und auch wohl mein Herzschlag,
der den kleinsten Gedanken mit Pulsen des Herzens belebet.
Schellen trag' ich mit mir am Geöhre der Kappe. Das Langohr
ist's, das her mich gebracht, aber freilich ein Langohr aus Erz ist.
Doch erlebet man Großes, wie jetzt, in der Torheit gesteigert!‹
Dies gesagt und gedacht, und schon beug' ich ein Knie. Da erwinket
brauezuckend der Meister ein seliges Knäblein. Schon ist es,
lieblich lächelnd und wonnig errötend, gestellt auf die Schwelle,
so als hab' es ein Lob sich verdienet, voll himmlischer Schalkheit.
Zärtlich blickt es und brennend zugleich aus schwarzfunkelnden Äuglein.
›Wer es ist, Till, du weißt's‹, blinzt der Meister. Und wahrlich, ich wußt' es,
und ich wüßt' es auch nicht. Denn es war und es war nicht Hetairos.
Doch wer schwankt, wird er Eros zu sehen vom Gotte gewürdigt?
Schlank und rosig erhoben, aus köstlichem Stoffe gebildet,
Marmor nicht und nicht Fleisch, steht er da, und es ist mehr als beides
dieser himmlische Stoff, dies Gefäß aller Blitze der Urlust!
Und, man fasse es nun oder nicht, ich erkannte ihn zweimal:
in dem Körper, in den sich zu hüllen es Eros beliebte,
und geschlossenen Auges erschaute, erfühlt' ich sein Innres!
Nahm ich weg von dem Auge die schützende Decke des Lides,
sah ich Eros, gelockt, der die brennende Fackel emporhielt.
Deckt' ich aber und hüllte in Nacht meine Augen, ward Eros
ganz ein Feuer, nur Feuer in mir, in das ich selbst einging!
Ja, beim Pfuhle geschworen! ein seliges Feuer ist Eros,
ist ein Feuer, ein feuriger Busch, drin die Gottheit versteckt ist!
Traum? Meinthalben auch Traum! Ist der Traum denn kein Leben? Vernunft steht
vor den Bildern des Traumes oft ratlos! So steht sie vor Gott auch.
Drum verdaue auch das noch, mein Prinz: Eros, ich und der Weißbart,
durch das Feuer des Eros gefaßt, waren, ob wir die Augen
offenhielten, ob nicht, manchmal nur eine einzige Flamme,
ungeheuerste Lichterscheinung durchaus und ganz formlos!
›Knabe Lenker, tritt her!‹ so der Meister nun wieder. Gehorsam
folgt der Knabe und Gott, der den Abgrund, gebändigt, im Blick trägt.
›Stern, wir brennen in dir, wir sind Brände in dir, sind drei Brände,
ein dreieiniger Brand! Doch wir halten die Augen geöffnet,
uns beschränkend und so der Magie aller Formen teilhaftig!‹«


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