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Das elfte Abenteuer

beginnt mit Klimperimpimper und endet mit Klimperimpimper. Was es sonst noch enthält, ist nicht mit zwei Worten zu sagen. Nennen wir es eine Begegnung mit Saturn, die in eine Saturnalie ausläuft.

 

Doch hopp heißa, mir wird allzu kreischend der Gang meiner Mühle,
die im Grunde ja leider nur brandige Ähren und Spreu mahlt.
Müllerknecht der Verwüstung zu sein ist kein Ding, das mir Spaß macht.
Auf, und singe dir eins! wie die Hängebank immer auch laste
über dir, es gelingt dir zuletzt, das Gewölk zu zerteilen.
Till, dies denkend, verläßt er das Wagengeniste im Hochsprung
und beginnt, seine Laute im Arme, ein Klimperimpimper.
»Das ist recht! sing und spiele, du Lump, weil dies, glaub' ich, mir Schlaf gibt
und mir löset das Herzgespann, das mir das Atmen so schwermacht.«
So die Gule, indes Till begonnen, gewaltig zu klimpern.
Und er sang: »Von Sorrent, meine Liebste, entstammet dein Holzbauch,
reizend ist er und voller Getön und voll Klimperimpimper!
Laß es gut sein, ich frage nicht nach, wer damit dich geschwängert,
ich entbinde dich nur, Mandoline, ich treibe Maieutik.
Klimper klimperimpim, du verzeihst mir, ich kitzle dein Schalloch!
Sokrates ist mein Lehrer, den, scheint es, Xanthippe belehrt hat.
Klimper klimperimpim. Klimperim, klimperim. Ei, was seh' ich? –
Weisheit tanzt auf der Stange, der Kauz, und er dreht sich belustigt
um sich selber im Kreis, und dann kratzt er mit Eifer sein Ohrloch.
Hört, er spricht: Guter Till, voller Ohrenschmalz ist mein Gehörgang,
und ich möchte dein orphisches Klimperimpim doch genießen. –
Gut tut Weisheit daran, auf mein Liebchen, Frau Narrheit, zu hören«,
trällert Till, »denn so wird etwa wohl ihre Halbheit zur Ganzheit.
Doch was geht mich das an?! Einst befahl seinem Diener der Kaiser
Heliogabal, ihm Spinnengeweb', tausend Pfund, zu beschaffen,
und erhielt, was er wollte. Ich hätte weit mehr ihm geliefert!
Klimper klimperimpim. Einen goldenen Faden, den zweiten.
Stella, klimperimpim! König Abalus, klimperimpimper!
Deutscher Seeheld, Graf Spee, klimperim, wo denn hast du dein Denkmal?
Nicht einmal in der Seele des Volks, klimperim. Und wer denkt noch,
armer Angler, an deinen Tod? klimperim, und an jene
Hekatomben, die man, klimperim, jüngst im Kriege geopfert?
Wieder hat sie der Boden gezeugt, blonde Felder von Halmen,
Wogen, lachend im Winde, gesäet, entkeimet, erwachsen,
neue Jugend, als wär' es die alte, aus Gräbern entsprungen.
Doch schon wieder durchschleicht ihre Reihen der alte Verderber,
jagt und lockt sie in Garne des Krieges, klimpimperimpimper!
Mehr, als einst nach den Brüsten der Mutter, erfaßt diese Knäblein
die inbrünstige Lust nach dem eisernen Tode der Feldschlacht.
Hei! frisch-fröhlicher Krieg! Hei, frisch-fröhlich zerrissenes Bauchfell!
Wein her, klimperimpimper! Es lebte in Genf einst ein Schalksnarr,
Jean Alard. Ihn verließ auf der Folter selbst nicht sein Gelächter,
denn er litt, so wie ich, klimperim, an dem erblichen Übel,
daß ihm Galle ins Zwerchfell geriet und dort Krämpfe erzeugte.
Jean Alard! Jean Alard, o du müßtest vor Lachen zerbersten,
hättest du diesen Cancan erlebt, den Europa getanzt hat.
Oder lachst du im Grab wie Fra Diavolo? Aber genug nun!«
Peitschen knallten nunmehr hinter Till. Von zwölf Rappen gezogen,
mahlte schwer durch den Sand die gewaltigste fahrbare Wohnung.
Diese ächzte und schwankte vorbei an Freund Tillens Geschirre.
»He, du Misthahn, was krähst du denn da?« ruft vom Kutschbock ein Weißbart.
»Meinst du etwa, du seiest Homer, weil ein wenig dein Kamm juckt?« –
»Nein, mir schwillt nicht der Kamm, und ich bin nicht Homer. Eher bin ich
ein homerischer Held, dessen Vaterstadt Troja geschleift ward,
wie Äneas und ziehe nun aus, mir ein Weltreich zu gründen!
Ob's gelingt oder nicht, ist mir freilich ganz gleich. Ich besinge,
und das ist mir genug, unsres Reiches unsel'ge Zerrüttung.
Sagt Homer doch, es schlügen die Götter die Werke der Menschen
kurz und klein immer wieder nur darum, damit es den Sängern
spätrer Jahre an Stoff nicht zu neuen Gesängen ermangle.« –
»Sachtchen, sachtchen, nur eins nach dem andern, Herr Piepsrich! Herr Spinnbein!
Erstlich sag' Er mir: hat Er Zigeuner im Walde begegnet?
Diese Leute sind brav, und ich zeigte recht gern mich erkenntlich.
Lieblich riecht's hier herum, wie nach reinlichen Opfern von Hundsfleisch,
Räucherwerk dieser Art tut mir gut und befreit mich von Kopfschmerz!« –
»Mir ward übel davon«, sagte Till, »und es machte mir Alpdruck.« –
»Schneiderseele, was weißt du davon?!« ruft der Greis auf dem Wagen.
»Städtegründer, jawohl: an der Straße für Bandwurm und Spulwurm!
Hungerleider wie du, wann denn nähmen sie wohl nicht das Maul voll?!« –
»Sprich ein Wort, lieber reisender Herrgott«, gab Till ihm zur Antwort,
»es bekommen sofort meine Pferdchen den herrlichsten Heubauch,
und mein altes Kraweel ist mit Barren von Golde befrachtet.« –
»Halt!« so schrie der langbärtige Greis. Er war merklich geschmeichelt.
Und im Nu stand der riesige Wagen im knirschenden Sand still.
»Woher kennst du mich denn?« – »Oh, das wäre gelacht, dich nicht kennen«,
sagte Till, »wo dein Name doch täglich, ja stündlich genannt wird,
Anschlagsäulen ihn tragen, Brandmauer und Bauzaun ihn künden.
Dein Schaubudenbestand, wo denn hätte er wohl seinesgleichen?!
Alle Märkte und Ausruferschellen der Welt sind dir dienstbar.
Nur es hieß, daß du selber nicht reistest – du hast deine Leute! –
und, aus eignem Beschluß ein Gefangner, dein Haus nicht verließest.
Außerdem hätt' ich grade in diesem Gebiete des Reiches
dich zu sehn kaum gehofft, weil es deiner wahrhaftig nicht wert war.
Du entsetztest dich stets, und mit Recht, vor dem schwarz-weißen Grenzpfahl.« –
»Freund«, so wieder der Greis, »du bist wirklich nicht übel berichtet.
Überdies, du gefällst mir nicht schlecht. Grade hier dich zu treffen,
ist ein freundlicher Wink des Geschicks. Und so laß dir erklären:
ja, es war eine Greuel von je mir der schwarz-weiße Grenzpfahl,
weil ein Erzfeind von mir ihn gesetzet und allem Asyl gab,
was mit lästerlich sündigem Hohn und mit Spott meiner lachte.
Heute ist er nicht mehr, wie man sagt, und du wirst mir's bestät'gen.« –
»Ich bestätige dir's!« sagte Till. Und der andre: »Wohlan denn!
Meine Zeit ist nun da. Und ich war nie der Mann, ungenützet
die Sekunde verstreichen zu lassen der mahnenden Weltuhr.
Darum siehst du mich hier auf dem Wege zur schutzlosen Hauptstadt.
Sage mir denn zunächst, ob wir nicht in die Irre gereist sind?« –
»Niemand reist in der Irre, der Schutzloses suchet in Deutschland.« –
»Höre«, sagt der gewaltige Barnum, des Bart bis zum Gürtel
niederströmt und, von diesem gehalten, noch weiter hinabfließt,
»du vermissest dich hoffentlich nicht, die Macht Gottes zu frotzeln,
denn das wäre mir leid. In die Walke mit dir, wenn es so ist!
Was denn bist du für mich und die Meinen? soviel als ein Spielzeug.« –
»Blech und Pappe!« spricht Till da, »ich hätte den Kauz nicht im Wagen,
wüßt' ich nicht, daß das Spielen des Katers das Sterben der Maus ist.« –
»Gut«, so wieder der seltsame Magus, »die Antwort mag hingehn.
Deinem Kauz allerdings wohl, erhasch' ich ihn, beiß' ich den Kopf ab
Ohne Umschweif: bei dem, was mir obliegt, ist manches vonnöten,
was zu tun du, als Landschelm und Nichtsnutz, geeignet mir scheinest.
Und du bist hier zu Haus. Jeder Preis ist mir recht: was verlangst du
für unschwierigen Dienst, dessen Hauptteil Gehorsam bedeutet?« –
»Prächtig! Prächtig!« rief Till. »Und wahrhaftig, es würde mir guttun,
meine Katze sich füllen zu sehen von selbst, wenn sie leer ist.
Manches könnte ich freilich auch Nützliches gaukeln beim Kehraus,
mit Tiara und Schwert und mit Krone zum Beispiel ein Ballspiel.
Und ich singe, du hast es gehört, wie ein Nachtigallmännchen,
besser täglich – verzeih diesen ornithologischen Umstand –,
weil mein Kot täglich reicher von blutigen Flecken durchsetzt ist.
Aus dem Effeff versteh' ich das Spiel mit der Eule, dem Spiegel.
Überhaupt übertrifft mich im heiligen Reiche der Narrheit
schwerlich wohl irgendwer! Und der heil'ge Gervasius hätte
keinen zweiten Hanswurst, der das Wasser mir reicht, zur Verfügung!
Doch ich mag keine Bindung. Ich nehme von niemand Gehalt an,
den man doch guter Letzt aus dem Strumpf meiner Mutter gestohlen.«
Als Till solches gesprochen, ergrimmte der andre gewaltig,
ächzte laut, und hervor aus der Nase entfuhr ihm ein Sturmwind.
Seinem Kutschbock enthob er sich dann und erreichte die Erde
mit kolossischen Füßen aus Gold. »Armer Lump, du betrügst dich,
falls es Hohn war, womit du die Ehre mir gabst zur Begrüßung!
Bete an oder stirb! Mehrmals hast du bereits mich erahnet,
mit dem Namen Saturn meine irdische Gottheit beleidigt.
Immerhin sei gewiß, daß ich weniger nicht als Saturn bin!
Wenn ich auch mich dem Gotte der Götter nicht grade vergleiche,
immer bin ich ein Gott! und du bist mit unzähligen andern
Kreaturen leichthin mir, nur etwa beim Niesen, entfahren!
Ja, da lachst du, Äneas! Dreikäs'hoch! Es wackelt die Erbse
deines weltreichbegründenden Kopfs! Solcher Erbsen, mein Bürschlein,
ess' ich aber und aber Millionen im täglichen Erbsbrei!« –
»Friß mich auf!« sagte Till, immer wieder von Lachen geschüttelt.
Und so konnte nun selber Saturn seinen Ernst nicht bewahren.
»Höre«, sagte der Storger, »ich bin dir gewiß nicht an Reichtum
noch an Macht, doch an Armut gewiß und an Ohnmacht gewachsen.
Somit habe ich nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren,
wenn ich frei von der Leber, im Schutze der Kappe, dir sage:
Überheblich ein wenig erscheint dein Gebaren und gar nun
die Behauptung, du seiest ein Gott! So auch hat Alexander
sich vermessen, der Lügenprophet, und so auch Alexander,
Philipps Sohn, Simon Magus und endlich der Kaiser Augustus.
Doch sie starben dahin, denn sie waren ja sterbliche Menschen.« –
»Ich und sterben? Du Niemalsgewesner! Was ist, Mensch, das stirbt nicht!
Heringsseele, steig ein! Und sofern ich dich nicht überlebe,
so beschlafe mein Weib und besteige, Gesell, meinen Weltthron!«
schrie der fahrende Riese und qualmte, als ging' er in Rauch auf.
»Unbegreiflich dein Glück – bei so wenig Verstand –, mich zu treffen!
Rette, da du es lieb hast, dein blindes, barbarisches Volkstum!
Rette, rette dein Volk! Saturnalien sollet ihr feiern
Tag und Nacht, ihr teutonischen Raunzer! nicht nur durch fünf Tage,
die Caligula einstens verordnet. Ich habe die Feste
drin im Wagen, zu Dutzenden, Mandeln und Schocken gebunden!
Und die Namen dazu führ' ich mit von unzähligen Heil'gen,
eingeweckt, eingelötet, in luftdichten Büchsen verschlossen,
und zum Überfluß viele gelegt in den mächtigsten Rumtopf.
Dazu halt' ich Gewänder bereit, vom Talar bis zur bunten
Affenjacke Hanswursts. Ich besitze Fabriken von Spielzeug,
Knarren, Pägsen und alles und jedes, was irgendwie Lärm macht,
und ihr feiert Befana, Befana fortwährend, das Jahr durch.
Überdies …«, und hier külsterte mehrmals der fahrende Dämon,
wie ein Sänger, der nicht daran zweifelt, sein weithin berühmtes
hohes C mit gewohnter Bravour ohne Müh' zu erklettern.
Und beim Himmel, er sang, ja, er girrete schwärmerisch Till an:
»Komm in mich, o du Kyrios Hermes! komm in mich hinein, Freund,
wie das Kind in den Leib seiner Mutter! Besteige mich, Logos!
gieß in mich deinen Samen, begatte mich, ewige Weisheit!
Nach Befruchtung, o Freund, bin ich geil, nach der mystischen Hochzeit,
nach der Wurzel des Alls, die der Unio mystica Folge
gibt und Wonne und Sinn und die selig verzückte Vollendung.«
Dies nun wurde der Gule zuviel, und sie schrie wie besessen
»Oh!« und »Uh!« und »Uhu!«, ihn in jeglicher Tonart begleitend
und verhöhnend zugleich. »Gib ihm Hustenbonbons!« war ihr Schlußwort.
Da ergrimmte der Mann wiederum und bestieg seinen Kutschbock,
griff die Leinen der Zwölf, vierundzwanzig schwarzlederne Riemen,
ein gewaltiges Bund. Auch die Hand, die sie hielt, war gewaltig.
»Dieser Fratz da ist nichts. Aber du, guter Till, bist ein Dummkopf.
Faß die Patsche des Luderchens an, und du riechst die Verwesung.
Junges Volk, das sie liebt, schleppt sie mit sich ins Grab und schlampampet,
hörbar schmatzend, dort unten ihr Fleisch, ja zermalmet die Knochen.
Sieh in mir deinen Schöpfer und deinen Erhalter, du Unkraut!
Bist gehorsam, sonst jät' ich dich aus, und das ewige Feuer
frißt dich auf. Denn die Schlüsselgewalt über Himmel und Hölle
hat kein andrer als ich. Wärst du nicht zu gering mir, ich täte
Wunder, wie ich sie tat seit Äonen, vor Buddha und Christus.
Soll ich zaubern? da nimm dich in acht, daß der Sturm deine Heken
und dein klappriges Wagengebein nicht hinaus aus der Welt fegt!« –
»Drohe nicht!« sagte Till, und er setzte sein Klimperimpimper
fort mit tändelnder Hand. »Unverwundbaren droht man vergeblich!
Laß mich zirpen und geigen, als Grille, Herr, oder als Heupferd.
Bist du wirklich ein Gott – und die Frage ist schwierig zu lösen –,
ist es dennoch gewiß, daß du ziemlich empfindlich nach Gruft riechst.
Wirfst du also den Stein nach der Gule, du sitzest im Glashaus.
Dir nicht unrecht zu tun und dich richtig zu fassen, es ist nicht
grade leicht, denn du bist sozusagen ein lebender Leichnam
ungeheuerster Art! Was du anlockst, sind Würmer und Fliegen.
Diese nehmen ihr Leben von dir, wie es einstens die ganze
Ökumene getan, als du noch der lebendige Gott warst.
Wenig hast du zu tun mit dem Werk, das du treibst, weil du Schale
mehr als Kern und recht eigentlich schon überlebt und dahin bist,
Schlangenhaut mehr als Schlange des Lebens, wie dieses sie abwarf.
Männlich bist du durchaus und durchum, ob du zehnmal Helenen
mit dir führest in deinem Hausierergespann. Sie entstammt dem
Freudenhause, allein du berührest sie nicht. Von der Mutter
mit dem Leben beschenket, verachtest du eben die Mutter.
Und so liebendes Weib wie Gebärerin machst du zur Sklavin
und zur Hure, dieweil du die Lust und die Zeugung verflucht hast,
Barbelit, der du bist! Doch du hast ein Idol dir geschaffen,
und du nennst es ein Weib: diesem willst du die Welt unterwerfen.
Nimmermehr! Was dem Lebenden fehlschlug, gelingt keinem Toten!«
Was geschah? Der geschmähte Prophete und fahrende Dämon
war zu Ende mit seinem Latein: »Ja, du Grille, du Heupferd,
wie du selber dich treffend benennest, jetzt lerne mich kennen!«
Till erschrak und vergaß es beinah, seine Laute zu zupfen,
als der zornige Riese sich dehnete, einem Efrit gleich,
schlangenwuchernden Bartes, gehörnt und umwitterten Hauptes.
Welch ein Gaukler! so denkt er bei sich, als darauf der Gehörnte
die erhabenste Form eines thronenden Gottes sich anmaßt,
als Gewölk seinen Nüstern entstiebt und ein brummender Donner
hörbar wird, wie wenn Wetter die Brust des Giganten durchwölkten!
Tillens Finger erstarrt, die Gitarre verstummt, keine Schelle
an der Mütze des Narren getraut sich des leisesten Lauts noch,
als, dem Sand dieser seltsamen Straße vielfältig entsprießend,
der gewaltigste Dom sich erbaut und die Helle des Tages
durch die steinerne Wucht seiner Massen erhaben verfinstert.
»Lernt mich kennen!« so ruft eine Stimme. »Dies ist meiner Stifter
kleinstes, aber, verglichen mit mir, ein gehöhletes Sandkorn,
das ein Mammut zertritt, und ich, wahrlich, bin mehr als ein Mammut.
Ich zertrete es nicht, alldieweil ich im Größesten klein bin
und im Winzigsten groß. Also zwäng' ich mich ein in dies Sandkorn.«
Dieser Zaubrer, denkt Till, macht mich stumm. Und er knickt auf die Fliesen,
die den Boden des gottesgewaltigsten Münsters bedecken.
Denn nun ist man im Innern des Doms, wie man eben davorstand.
Und es brechen die Stimmen der Engel herab aus der Wölbung,
mit der brausenden Macht einer tönenden Orgel verschwistert.
Fünfzehntausend der Pfeifen und mehr noch, vom Meister gemeistert,
wechseln ab oder einen sich herrlich im Lob des Allmächt'gen.
Plötzlich reißet die Stille sich auf als ein schweigender Abgrund.
Eine Schelle erklingelt, sehr dünn, kaum vernehmlich, fast blechern.
Till erschrickt auf den Tod, unwillkürlich die Kappe befingernd:
ihr entstammte vielleicht das Geschell. Doch mitnichten, er irrt sich.
Ein Gefäß hält der Priester empor, auf der Stufe des Altars,
ganz aus Golde gemacht und das Gold vieler Strahlen entsendend.
Till verliert sich im Glanz. Da nun reibt er auf einmal die Lider:
Hoch noch hängt in den Händen des Priesters der göttliche Kelch zwar;
aber Wandlung befreit sich und wandelt ihn selbst und die Hände,
die ihn halten, den Kelch und den Mysten auf seltsame Art um,
nimmt ihm alles Gewand, in unsterbliche Jugend ihn hüllend.
Unterm Fuß des Altares, noch unter der untersten Stufe,
quillt es dunkel hervor, wie der Leib einer Schlange. Doch ist es
eine Schlange? Es wächst und es windet sich schlangenhaft seitwärts,
unvermutet bald da- und bald dorthin sich krüppelhaft knickend,
Schosser treibend alsdann, welche schwellen; denn dies ist ein Weinstock.
Wie aus Seilen gedreht und verknocht, kriecht er winklig und steil auf.
Und das Rebengewinde des Weinstocks erreicht nun des Gottes
silbrig schimmernden Fuß und umgibt ihn mit Blättern, türkisfarb.
Drauf umschleicht er die göttlichen Knie. Er dringt aufwärts und aufwärts.
Wie mit zärtlichen Zungen belecken die Blätter der Hüften
elfenbeinernen Glanz und die rosigen Male der Brüste.
Weiter grünen empor dann der Stamm und die tastenden Äste,
schmiegend unter den Höhlen der Achseln des Gottes sich aufwärts,
geilen wuchernd empor an den seligen Armen. O Wunder!
diese sind nun von Trauben umhangen; schwarzbeerigen Zudrangs
reifen sie und bespritzen, aufspringend, die Arme mit Weinsaft.
Sie erlüstern den Kelch, und sie hangen hinein und ergießen
süßen Purpur, bis daß seine Höhlung von Weinblut gefüllt ist.
Fädig regnet's herab auf den Gott, dieses Blut, und sein Scheitel
trieft davon, sein Gesicht und der Flaum seines rötlichen Bartes.
Überschwemmt es den Kelch, so vermag nun kein Wehr mehr die Wandlung
aufzuhalten: es ist ihr verfallen im Dom jedes Werkstück,
sie ergreift die Altäre, die Bilder, gemalt und geschnitzet.
Steine schreien, es schreit der gemeißelte Schlußstein im Langhaus,
aufgerissenen Mauls, als dämonische Maske gestaltet.
Und nicht minder ein andrer, den trunkenen Gott mit der Traube
stellt er dar, in der furchtbaren Larve geheiligten Irrsinns;
Schreie heulen hervor aus dem schwärzlichen Krater des Mundes,
das Gehege der Zähne entblößt von feuchtschwammiger Lippe.
Weiße Blindheit des quellenden Auges, durchstochen und stechend
von dem gräßlich-allwissenden Strahle des Sehers: sie zucket
sterbend gleichsam und scheinet in lallender Wut zu vergehen!
Schwerem Klöppel der Glocke vergleichbar, so lastet im Mundloch
fremd die Zunge und tot. Ob nun, schweigender Schönheit am Altar,
umgewendet nach vorn und erhobenen Kelches, die Gottheit –
Iakchos, Bromios? – immer noch blühet im Zauber der Nacktheit,
über Traube und Weinlaub: das Lärmen nimmt zu. Aus den Hälsen
infernalisch versteinten Getiers dringt Gebell und Gewieher.
Mit dem Brüllen des Löwen wetteifert das Grunzen des Ebers,
das Iahen des Esels mit hellem Geblöke des Schafbocks.
Tubarufe ausströmet die Kuh und Gemecker die Ziege.
Brünstig greinet und fauchet der Kater: das steinerne Viehzeug
tobt, so scheint's, im dämonischen Dienst und vom Satan besoldet.
Vögel lärmen, der Pfau, der Fasan, der gewöhnliche Misthahn.
Wie doch drang das unheil'ge Gezücht in die Wohnung des Heils ein?
Welch ein Sturm ist's, der nun sich erhebt? Er verfinstert das Münster.
Furchtbar lastet die Luft. Till vermag kaum zu atmen. Doch fühlt er,
wie sich's ballt an dem Punkte der Kreuzung von Langschiff und Querschiff:
Seelenstoff, aber stoffloser Stoff, der zum Bersten beladen
und geladen vielmehr mit den ewigen Strafen des Weltleids.
Gegenwärtig ist hier, was nur jemals an Schmerzen erlebt ward,
noch nicht sichtbar vorerst: doch nun bildet Gestalt aus dem Nichts sich.
Ist's ein Mönch? Die Kapuze ist da und ein Fetzen der Kutte.
Und ein Mönch ohne Hirn, ohne Herz, ohne Fleisch ist wohl denkbar:
wofür tötete sonst wohl der büßende Geißler das Fleisch ab?
Nun, es sei, wie es sei: dieser Mönch ist kein lieblicher Anblick!
Eine Knarre bewegt er in fäulnisbegrüneten Fingern,
vorwärts schreitend, auf wackelndem Schädel die schellenbehängte
Kappe eines Hanswursts. Welche Spottprozession, die er anführt!
Nackte Männer und Frauen, mit Schwertern gespickt wie mit Nadeln,
scharfe Klingen aus Stahl in die blutigen Hirne geschlagen.
Griffe ragen von Dolchen aus Brüsten, aus rauchenden Herzen
unter Gittern entblößeter Rippen. Der rostige Nagel,
in die Höhlen der Augen getrieben, erheuchelt die Sehkraft.
Speere werden herzu und in Menge geschleppt, doch es tragen
die Soldaten des Heiles sie nicht in den Händen: ihr Leib ist's,
der sie mitschleift, von ihnen durchstochen, wie klappernde Schleppen.
Kinder, Greise und schlanke Epheben, wie wandelnde Köcher
ganz besonderer Art, schreiten vorwärts im Schmuck ihrer Pfeile.
Abgeschundenen Rückens tritt mancher daher, der benagelt
ist, als wär' er ein Brett. Und der Gott mit der Traube am Altar
wird nun selber mit Nägeln und Strick an ein Kreuzholz befestigt.
Und noch immer ertönet der Lärm des Getiers durch die Schiffe.
Tillen nahe am Ohre hohnlachet die Stimme des Zaubrers:
»Willst du mehr?« Till vermag nicht zu sprechen. Da füllen urplötzlich
nackte Tänzer den Dom. Auf der Kanzel steht einer im Bocksbart,
Bocksgehörn auf dem Haupt, und er prustet und meckert gewaltig.
»Satanas!« flüstert Till. Da erheulet die Kirche: »Lupercus!«
Nun erdonnern die Glocken des Doms wie Gewitter. Der Bockskerl
weist hinauf mit der zottigen Hand und dem wütenden Auge:
»Wie gefällt euch Pans Kuh mit dem Donnergeläute am Halsband?«
Und Gelächter erwacht da und dort in der Menge. Gelächter
schwillt. Es scheinet alsbald, als entspräng' und entquölle Gelächter
den Gesimsen sowie Kapitellen, ja jeglichem Zierat.
Jetzt ertönt es von da und von dort aus der Menge her: »Sabbat!«
Nackte Knaben, Luperken, sie heben ein Tier auf den Altar,
einen Bock. Schon entspringt ihm das Blut, das die Jünglinge rot färbt.
Und sie tauchen die Hände hinein und beschmieren den Leib sich.
Riemen schwingend alsdann, mit dem Felle der Ziege gegürtet,
haun sie ein auf die Menge mit Meckern, wo immer es hintrifft.
Kaum beginnt ihr Getreibe, so lustig wie geil, als die Masse,
die das Langschiff erfüllt und das Querschiff und jene zur Seite,
wie im Fasse der Weingeist zu wogen und gären sich anschickt.
Damit dämpft sich die Katzenmusik. Von erhöhetem Standpunkt
lauert Till, durch den Anblick gebannt, der sich neuerdings preisgibt.
Sodom! denkt er. Zu wenig ist Sodom. Nicht ohne zu sterben,
wär' ich Till nicht, vermöcht' ich zu sehen dergleichen Bescherung.
Oh, was ist wohl die schrecklichste Sünde? so denkt er. Die Zeugung!
Sie gebieret die Lust und die Gier und die Qual und den Wahnwitz,
doch vor allem den Tod! Und hier ist nun dies alles vereinet!
Liebe, furchtbares Wort! sinnet Till, und wie klammert die Menschheit
sich daran, an dies Wort! 's ist ein goldenes Ei: eine Taube
hat es scheinbar gelegt in ein Nest, das von Blüten umkränzt ist,
doch Harpyien vertreiben die Mutter und brüten das Ei aus.
Ach, mein Ende steht nahe bevor, denkt jetzt Till, und ihn schwindelt,
weil die Pfeiler der Kathedrale sich deutlich bewegen.
Geht auch sie aus den Fugen, nun wohl, so begräbt uns ein Steinbruch,
und mit Recht! Doch sie hält, nur bewegt sie sich! Ja, sie bewegt sich,
freilich nicht wie ein Gott, sondern nur wie ein Tier. Sie bewegt sich,
diese Kuh, wie Lupercus sie nennt oder Pan. Und es donnert
ihr am Hals das Geläute. Sie steigt, wie es manchmal die Kuh tut,
wenn's dem Stiere sich ähnlich zu fühlen die törichte ankommt.
»Kuh, halt ein! du zertrampelst am Ende mit Hufen den Altar.«
Allgemein nun erhebt sich ein wütend aufjauchzender Lustruf:
»Herrlich lebt sich's im Bauche der Kuh!« Ein Gedröhne vermischt sich
mit dem Wort. – Doch wer sitzt an der mächtigen Orgel? wer schlägt sie?
»Tritt die Bälge, mein Till! komm herauf, tritt die Bälge!« so ruft der
Organist, der kein anderer ist als der alte Saturnus.
Ob er will oder nicht, drücket Till da die Balken. »Gib acht nun«,
winkt der Dämon ihm zu, »denn es kommt das Finale, das Hauptstück.«
Nach der Kappe greift Till; sind's die Schellen an ihr, was den Lärm macht?
»Obacht! Obacht, geliebtester Grind, daß du jetzt nur mir festbleibst!«
Das Finale begann mit dem letzten Getöse: Erlösung! –
Klimper klimperimpimper! Till wandelte hin auf der Straße,
plötzlich wiederum ganz mit sich selber allein, wie er merkte.
»Herr – Herr, führe uns nicht in Versuchung«, so klimpert' er weiter,
»denn mir scheinet, es wurde ein Dämon, gewaltig wie dieser,
seit den Zeiten des heil'gen Antonius nicht mehr gesehen.
Diesen trat einer an, und er wagte, dem Anachoreten
das ins Antlitz zu sagen: ›Knie nieder, ich bin die Kraft Gottes!‹
Ihn verscheuchte Anton mit dem seligen Namen des Heilands.
Wächst des Teufels Gewalt wiederum, daß ein solcher Geselle
gaukeln darf, wie er tut, und die Gaue der Christen durchreisen
mit der greulichsten Menagerie? Kommt er aus der Thebais,
wo, verbürgt uns die Schrift, die Dämonen mit wildem Getiere
hauseten, sich vertrugen und eines dem anderen diente?
Klimper klimperimpim. Fahre hin, fahre hin, du Verruchter,
du, der Gottlosen Licht! Doch wie wurd' ich dich los? Ei, ich weiß nicht.
Klimper klimperimpim. Oder liegst du mir noch auf der Seele
irgendwie ungesehen? Herr, führe uns nicht in Versuchung!
War's ein Spuk? Oder war es kein Spuk, nur Gespinst meines Hirnes?
Und doch kommt es mir immer noch vor, so als ob ich im Rachen,
klimper klimperimpim, eines gähnenden Hais musizierte.«


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