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Das sechste Abenteuer

enthält sehr viel krauses Zeug, das dem Haupte Till Eulenspiegels entstammt, und noch viel krauseres, das im Hexenkessel Deutschland durcheinandergewirbelt wird. Es hat einen blutigen Kern und eine ebensolche Schale. Der Landfahrer Till zeigt sich darin sowohl auf der Höhe seiner Menschlichkeit als seiner Narrheit: er ist edel, hilfreich und gut, sucht aber zugleich, wie Diogenes, am lichten Tag mitten unter Menschen den Menschen mit der Laterne und hält eine Turmpredigt, die niemand hört. Das ganze Abenteuer riecht sehr nach Pulver und Blei und ist deshalb recht kurzweilig. Auch die Gesellschaft mag kurzweilig sein, die der Landschelm in Laubaum erhält: einen Nichtsnutz von einem Mädchen, das er Gule nennt und auf lange hin nicht mehr loswerden wird.

 

Wenig Tage war Till unterwegens, wie immer die Shagpipe
in den Winkel des Mundes geklemmt, als ein seltsames Wesen
hinter Rainen querfeld wie auf Stegen und Straßen sich anhub.
Nach der Stadt, deren Türme, nicht allzu entfernt mehr, erblitzten,
zog sich mancherlei ärmliches Volk. Nun, mag sein, es ist Markttag!
denkt der fahrende Mann bei sich selbst. Doch es mehrt sich der Zuzug,
überholt wird das knasternde Wäglein von lärmenden Weibern.
Kinder schleppen sie mit, leere Säcke und mancherlei Hausrat.
Eifer macht sie hochrot, und sie wischen sich keuchend den Schweiß ab
mit den Armen; es wirrt ihr Gezänk und Geschrei durcheinander.
»He, ihr Weiber! was habt ihr verloren? wer ist euch entlaufen?
um was geht's?« Und sogleich kommt die Antwort: »Es geht um das Leben!« –
»Immer geht es ums Leben! Das ist keine Neuigkeit«, Till drauf.
»Warum aber so hurtig? dem Tode entläuft man ja doch nicht!«
Doch es stürmten die Weiber vorbei und davon ohne Umsehn.
»Brennt's in Laubaum?« rief wiederum Till dieses Mal einem Mann zu. –
»Ja, es brennt, aber nicht nur in Laubaum! Was brennt, ist ganz Deutschland!«
schreit der keuchende Mann. »Und anstatt daß sie löschen und löschen,
wolln die Großen, se gahn keene Ruhe, es sool wieder Krieg waan!« –
»Teufel, was du nicht sagst!« spricht da Till. »Eine Spatzenpistole
hat man, scheint es, da irgendwo doch noch im Reiche gefunden!
Ich bin von der Partie als der siebte der Schwaben: oh, prächtig,
dieses Mustergeschütz mit den übrigen sechs zu bedienen!
Und es sollen dem gallischen Hahnen die Federn schon fliegen!« –
»Seid Ihr toll?« spricht der Mann. – »Oh, das glaube ich wohl!« sagte Till drauf.
»Aber könnt Ihr mir denn nicht erklären, Gevatter, was vorgeht?«
So erfuhr denn der Schalk nach und nach, was inzwischen geschehn war,
während er in dem Faulbett verbotener Lust sich gewälzet.
Die Gewalt dem Erwählten des Volkes, dem Sattler, zu rauben,
hatten Menschen versucht, einen Mann namens Kapp an der Spitze.
Diese hatten die Fahne entrollt des geflüchteten Herrschers,
der im selber gewählten Exil auf dem Boden von Holland
ruhmlos saß, das Verdikt seiner harten Besieger erwartend:
Angeklagter der Welt! Doch der Retter des Reiches, der Sattler,
der die Zügel ergriffen, nach Gottes Beschluß, die der Flüchtling
hatte von sich geworfen: er, welcher die kollrigen Rosse
des gekenterten Wagens mit mutiger Umsicht beruhigt,
die Karosse des Reichs vor Zertrümmerung glücklich bewahrend,
war nun selber geflohn von Berlin, aus der Hauptstadt des Reiches.
Aus dem wirren Gepolter des Mannes entnahm Till dies alles
oder reimte es schnell sich zusammen. Ein Putsch also! denkt er,
und so schleifen die Zügel des Reiches wohl wieder am Boden.
Nicht mehr achtet er ferner des Volkes, das um ihn vorbeistrebt.
»Welch ein Kreuz!« stöhnt er auf. »Wann wohl gönnt man dem Kranken die Ruhe?«
Und als wollt' er zum mindsten ein Restchen davon sich ergattern,
wirft der Schalk sich ins Grüne. »In Zuckungen liegst du, mein Deutschland,
Roß Bayard, übersäet mit Wunden, von heiligem Blute
rieselnd, wie, Gott verzeih es! von Wasser ergluckset ein Bergland.
Und da ziehst du auf dich den Quacksalber, den Stümper, den Pfuscher,
Ungeziefer des Markts, das in offenen Wunden sich festsaugt,
das kuriert und kuriert, bis auf immer du aus und dahin bist.
O Bayard, o Bayard! du erlagest im wütenden Stierkampf,
braves, kühnes, gewaltiges Tier! unter Schauern der Ehrfurcht
sah ich, was du an Wundern der Kraft und des Mutes verrichtet.
Keine Müdigkeit schienst du zu kennen, bedurftest des Sporns nicht.
Drei der furchtbarsten Stiere durchwühlten den Grund mit den Hörnern,
doch du zagst nicht; du bäumst und gebrauchst deine vorderen Hufe.
Nur dein Reiter, dein Reiter, er kennt deinen Wert, deinen Mut nicht,
und er hat keinen Sitz, und er strampelt bereits auf der Erde!
Dann der andere, der dich bestieg? und was war mit dem dritten?
Wer das fragte, ihm gäbe dein sterbendes Auge die Antwort!
Feuerschnaubend betritt wiederum die Arena ein Todfeind,
Stier auf Stier, mit den furchtbaren Hörnern das Schlachtroß berennend.
Oh, du Ausbund von Gaul, was doch tust du für Wunder! Vergeblich –
denn nun mußt du erliegen und mußt es erdulden, daß Hörner
blutig wühlen in dir und voll Wut ihres Sieges genießen!«
Till erhebt sich, springt auf: »Ich vergaß noch das Beste!« so lacht er.
»Gassenpöbel umsteht dich und ätschet dich aus, ja beschimpft dich,
einen tückischen Schinder dich heißend und wütende Schläge
nach dir führend! Halunken durchaus und in jedem Betrachte!
Lustig! lustig!« ruft Till. Und da Galle, das Pferdchen, die Schnute
hängend, schläft, springt er jählings der schläfrigen Stute aufs Rückgrat.
Sie ist klein, aber derb und ein Ausbund nachträglicher Bosheit.
Schreck befällt sie und Wut, und so keilt sie ingrimmig ins Ortscheit,
reißt ins klapprige Wagengestell. Also tut auch das Hengstlein.
Till beruhigt sie nicht, seine Ponys, durchaus nicht. Er schreit sie
an, traktiert sie mit Schlägen vielmehr, bis der fliegende Hausstand
des entflügelten Fliegers, beinahe nun wirklich beflügelt,
hüpfend, holterdiepolter, die holprige Straße dahinschießt.
Solches war ein Vergnügen für Prinz, und er bellte gewaltig.
Wilder wurde dadurch nur die Jagd. Nicht genug für den Gaukler!
Heftig klirrte der Spiegel, ein Brett wurde locker. Er dachte:
Geh zum Teufel die räderne Kiste und alles, was drin ist!
Wohl bekomm dir's! Da fiel auch bereits von der Stange der Steinkauz,
blieb mit Knallen ein Brett auf der Straße, alsbald auch der Spiegel.
Eine Truhe enthüpfte und schüttelte sich in den Staub aus,
Püppchen streuend, nach allerlei Ständen des Reiches beklunkert,
Kaiser, Fürsten voran, und es krachte nicht schlecht, als sie aufsprang.
Nun ergriff auch die Flucht ein zum Bersten gestopfeter Knappsack,
Zwiebeln flogen, Karotten, geräucherte Schinken und Mettwurst.
Fahre wohl, Proviant, du ernährtest ja doch meine Wut nur!
zuckt es Till durch den Sinn, und es hole der Teufel mein Fahrzeug!
Es geschah: seines Weges allein ging das eine der Räder,
zum Erstaunen der Wache, durchs offene Stadttor von Laubaum.
Das Gefährt lag zerbrochen davor. Ach, der Aufzug war kläglich.
Und es standen zur Seite des Tores Soldaten im Stahlhelm,
auf dem Rücken das Mausergewehr, die Granate im Gürtel.
»Hast du Waffen? Vom Leder damit, denn sonst geht es dir dreckig!«
spricht der eine von ihnen zu Till, der mit Lachen vom Pferd springt.
Und der tolle Gesell gibt zurück: »Du vermöchtest mich eher,
ein verwesendes Nashorn des Nachts in mein Bette zu nehmen
als ins Wägelchen eins von den Mordinstrumenten der Kriegszeit!«
Hierauf herrschet ein Leutnant ihn an: »Kerl, zum Teufel, was treibst du?
Deinen Ausweis! Woher und wohin, und was führst du im Schilde?« –
»Eine Eule, ein Rad, eine Kappe mit Schellen«, spricht Till drauf,
»trägt das Schild meiner Väter, Kam'rad, und ich hab' es erneuert!
Wollt Ihr wissen, woher ich gekommen? Das Bette der Liebe
ist mein jüngster sowie auch mein erster und ältester Ursprung.
Was ich treibe? Nun, hab' ich nicht eben ein Ding Euch gedrehet,
das die Antwort recht deutlich Euch gibt? Narretei! Narretei ist's!
Liegt mein Scheißhaus nicht zwecklos und sinnlos zerbrochen am Stadttor?
warf ich nicht mein verängstigtes Restchen Verstands auf die Straße,
meinen Mut, meinen Stolz, meine Hoffnung, zuletzt meine Tatkraft?
Oh, erlaubt mir, ich bitt' Euch, Kam'rad, meine Lumpen zu sammeln!« –
»Nach Belieben, Kam'rad!« gibt der Leutnant errötend zur Antwort,
denn er hat die Papiere durchflogen, die Till ihm gereicht hat.
Dieser trollt sich und fängt seinen Steinkauz, den allbereits viele
Spatzen wütend bedrohn. Und die Mannschaft der Torwache hilft ihm,
einzuholen die Bretter, den Spiegel, die Kiste, den Knappsack
und zuletzt, ihm das Rad an die Achse des Wagens zu stecken.
»Habt ihr jemand der neuen Regierung«, so spricht Till, »in Laubaum,
und es will mit der Kutsche des Reichs nicht mehr gehn, ich verkaufe
gern die meine ihm dann, denn der Karren ist prächtig und preiswert!«
Und schon knarrt er durchs Tor, dieser Karren, und Till ist verschwunden. –
»Blut zu weinen, ihr Leute!« so sagt, als er weg ist, der Leutnant.
»Unverkennbar, er war's! Ich erkannte ihn gleich auf der Stelle,
diesen unüberwindlichen, furchtbaren Würger im Luftkampf!
Tausend Pfund hatte London gesetzt auf den Kopf dieses Stößers,
dem kein Opfer entwischte, auf das er sich einmal herabwarf.
Keiner hat es vermocht, sich das Blutgeld, den Preis, zu verdienen!
Heute hat er den Knacks im Gehirne und liegt auf der Straße,
dieser einstige Held, ein Hanswurst, dessen Karren ein jeder
Hund benässet und dem keine Seele im Lande mehr Dank weiß!
Welch ein Zustand! Wir werden ihn ändern!!« so endet der Leutnant. –
Was nicht mußtet ihr zäh überdauern, ihr uralten Städtchen,
in der endlosen Wirrsal der Zeit! Noch am Leben geblieben,
düstert efeuumnistet der Turm, das verwitterte Stadttor,
Mauertrümmer und was noch zu Schutz und zu Trutz sonst gedienet.
Solches grübelnd, sitzt Till in dem Wägelchen, das sich, mit Wackeln,
ohne Eile bewegt, von den hörigen Tieren gezogen.
Und er sinnt: Gegen wen oder was hat der Mensch sich bewehret?
und wer ist sein unsterblicher Feind, der zum schrecklichen Meister
ihn gemacht in den Künsten des Mords, in den Arten des Totschlags?
Er! Er selbst! niemand sonst! Und wer hat ihn mit Giften des Abgrunds
so geschwängert, daß, wie aus dem Haupte des Zeus einst Athene,
aus dem seinen der Höllengedanke Tortur in die Welt sprang?
Sammet heiß' ich die Tatze des Tigers, den Hauch seines Rachens
Rosenduft, mit dem ekelhaft ruchlosen Brodem verglichen,
der den Folterverliesen, Gewölben und Kellern und Kammern
alter Städte entsteigt und die Luft zum Erbrechen verpestet!
Blutgewaschene Mauern und Steine, angstschwitzende Fliesen,
kotig stinkender Grund, der das menschliche Schandaas und Schindaas
handelnd, leidend, in beiden Gestalten am Werke gesehn hat!
Leiden leiden, die nie eine Gottheit dem Menschen bestimmte,
handeln, daß sich der Teufel entsetzt und die Krallen in Unschuld
wäscht und alle unzähligen Engel des Himmels zum Herrgott
flehn: Erlöse, o Herr, o erlöse vom Menschen den Menschen!
Sind es Zwillinge, denkt der Vagant, diese gotischen Kirchen,
die zur Rechten, zur Linken der Straße die Türme erheben,
weisend über die irdische Wohnung der leidenden Gottheit
auf die ewige, ewig-glückselige hin in der Höhe?
Jesu Christo, ihm sind sie geweiht, dem allduldenden Heiland,
der freiwillig am Kreuz die Torturen der Menschheit erlitten.
Und nun wachen sie auf und erheben die erzenen Stimmen
in das dumpfe Gesumme hinein, das von ferne herandringt.
Till erschrickt, denn das Lied, das den Hälsen der Glocken entströmet,
nicht ist's ein und dasselbe: was jegliches predigt, ist Feindschaft.
Wir nur haben den wahren Herrn Jesum! singt jene zur Linken.
Wir nur haben ihn, wir! gibt die rechte dawider zur Antwort.
Glockenzank! sinnet Till. Seid ihr zänkische Vetteln? Ei, seht doch!
Und schon rufet die eine der anderen zu: Schlechtes Weibsbild,
was du klöppelst mit geiferndem Maul, ist Geheule des Satans,
jeder Ton Felonie, Häresie, Blasphemie, du Verstoßne
unsres Gottes und Heilands und Herrn, Abgefallne des Himmels,
in den Abgrund gestürzt und zur Hure des Satans erniedrigt!
Ei der Tausend! so dröhnet die andre. Das schreit die Verworfne,
unauflösbar in heidnische Greul und Verderbnis Verstrickte!
Birst denn nicht fast von Götzen ihr Haus? und der höllische Kuckuck,
Antichristus und Gnadenverkäufer, wie Luther ihn nennet,
der im Neste der Kirche schmarutzt, dieser törichten Glucke,
frißt er nicht ihre Eier noch heut und entleert Kardinäle?
Plötzlich hatte der Narr ein Gesicht: Es entfuhren den Glocken
beider Kirchen, vereint mit dem Klange, verzehrende Feuer!
Nicht wie etwa der Schuß aus dem Schlund des Geschützes sich loslöst,
nein, mit Flammen und feurigen Zungen und Pfeilen und Rauchdampf,
bis sich, wie ein Boviste der Luft, beide Kirchen verbindend,
eine hangende Wolke gebildet, giftschwarz und von Blitzen
tödlich spielend. Sieh da! jählings platzet der Bauch des Bovists auf:
scheußlich wühlt sich ein Dämon heraus, der im Fliegen die Fackel
schwingt und ruft: »Betet an! fallet nieder! die Mißgeburt bin ich,
aus der wütenden Unzucht des ewigen Hasses geworfen!«
Damit schleudert er weit durch die Luft seine Fackel! Till sieht es.
Und schon fegt es mit glühendem Hauche dahin über Deutschland,
seine Städte und Höfe und Auen zu Asche verödend.
Till, im Augenblick nur übertäubt durch die düstre Erscheinung,
kommt ins Leben zurück. Er erkennt, wo er ist, und blickt um sich.
Nicht erdröhnet, erschüttert wie sonst von Fuhrwerken, das Pflaster.
Alle Läden sind zu und verschlossen die Türen der Bürger.
Nur Patrouillen durchschreiten die Stadt, und es lauern im Torweg,
das Maschinengewehr in Bereitschaft, soldatische Posten.
Da: ein Panzergefährt! eine selbst sich bewegende Festung,
die Bemannung darauf schußbereit das Gewehr und Geschützrohr!
Armes Städtchen, wie hast du gejauchzt neunzehnhundertundvierzehn,
von dem heiligen Stolze erfüllt auf die Kraft deiner Söhne!
Heut verkriechst du dich zitternd vor ihnen! Was ist denn geschehen?
Der gepanzerte Wagen hält stille, nicht ferne dem Rathaus.
Seinem Innern entheben, nun plötzlich erst sichtbar, sich sieben
Mann. Sie lagen bisher, von der Waffe bedroht, auf dem Boden.
Und sie steigen vom Wagen: hier Gehrock, gebügelte Hosen,
dort der Bart des Professors, das weiße Gesicht des Studenten,
das betroddelte Antlitz des redlichen Kriegers der Landwehr.
Alle heben gemeinsam die Hände empor auf Kommando,
so, als hätten sie alle zu Gott auf Kommando zu beten!
Danach treten sie, stumm eskortiert, in ein Haus und verschwinden.
Da durchdrang ein Erkalten den sehnigen Körper des Gauklers,
der dann zitternd ein Steinchen zerknirscht zwischen knirschenden Kiefern.
Man entwöhnet dergleichen! so denkt er. Und hämischen Kicherns
fügt er an: Nun, was macht es, zum Liebesmahl sind sie geladen!
Wo die Mähren sich hin verzottelt, des achtete Till nicht.
Plötzlich rühret ihn etwas – er weiß es nicht, was –, daß er still hält.
In den Kellern des Hauses zur Linken des Gäßchens rumort es:
Stimmen, Worte, Proteste, Befehl, dann vielstimmiger Notschrei.
Till, du wirst diesen Schrei und den folgenden Laut nicht vergessen,
weil du lebst! Dieser war einer Sprengung im Tunnel vergleichbar.
Und noch schwingen die Glocken und klingen. Till scheint es, sie heulen
unter schrecklichem Zwang ein unendliches Weh in den Luftraum.
Dorten brummet und brauset in zornigen Kreisen ein Flugzeug.
Bitter würgt es in Till: Auch ein Ding, das der Herrgott verweigert
und der Satan uns gab! Damit biegt sein Gefährt in den Hauptmarkt.
Dicht gestaut stand die Menge des Volks vor der Treppe zum Rathaus.
So viel Menschen! denkt Till, es verfinstert sich förmlich die Menschheit!
Also stößt ihn der Schalk, die Laterne zu nehmen, den Lichtstump
anzugokeln darin, um den Weg durch das Dunkel zu suchen.
Rings erbrauste der Markt wie am Strande des Meeres die Brandung.
Aus der Gegend des Rathausportals kamen gellende Rufe:
»Brot! mehr Brot!« unterschied der Vagant. Und nach Milch ward geschrien.
»Ist es Nacht«, rief ein Mann, »daß der Kerl mit Laterne und Licht fährt?«
Eingekeilt war im Nu das Gefährt und nicht vorwärts zu bringen.
»Ede! Lude!« so scholl's durcheinander. »Wohin soll die Reise
gehn mit deiner Bagage? Was hast du? was kannst du? was bist du?« –
»Pickelhering, ihr freundlichen Leutchen, so heiß' ich, das bin ich,
armer Sünder, verrät euch das Glöckchen am Hals, nebenbei noch!«
Wirklich zog er ein Glöckchen hervor, das er unterm Gewand trug.
»Überdies will ich weg aus der Trübsal der Zeiten. Den Karren
hab' ich darum instand mir gesetzt und mit Zugvieh bespannet.
Eine Wallfahrt nach Rom soll zunächst mich von Schulden erlösen,
denn der Papst bleibt der Papst! Und die Zehe des eisernen Petrus
küßt kein Erznarr umsonst. Unterwegens besuch' ich die Wartburg.
Auferstanden, so heißt es, ist Luther und schreibt dort sein neustes
Testament für die Deutschen, das dritte! Man darf wohl gespannt sein.
Bin ich dort erst, so liegt mir der Hörselberg schräg gegenüber.
Meinen Schlüssel besitz' ich dazu. Den Tannhuser zu spielen,
vom Gesinde der Venus umhüpft, in dem Dom seines Innern:
die Gelegenheit lasse ich nicht aus der Hand vor dem Ablaß.
Schließlich gei' ich die Segel in Rom ja nicht auf, sondern mache
nun erst flott meine Schute und hisse die Leinwand zur Meerfahrt
nach dem Heiligen Grabe. Gott gebe es, daß ich's erreiche!«
Schweigend hörte der Haufe ringsum diesen langen Sermon an,
ob die Mehrzahl ihn gleich nicht verstand. »Kerl, wie kommst du auf so was?«
schrie ein Schustergesell. »Daran glaubt heutzutage kein Kind mehr!«
Andre riefen: »Fahr lieber nach Leubus! nach Dalldorf! meintshalben
nach Berlin, wo dich jeder versteht, weil dort alle verrückt sind!«
Unbeirrt, mit erhobener Stimme, sprach weiter der Landschelm:
»Nein, ich sehe das Heilige Grab in dem heiligsten Zion!
Zweifle keiner, es muß mir gelingen, den Weg zu erhaudern.
Menschensohn, stehe auf! wird mein erstes, mein einziges Wort sein,
das entartete Tier zu vernichten, das heute sich Mensch nennt!« –
»Mensch, ich war Theolog vor dem Krieg mit dem Titel Professor!«
rief ein bärtiger Mann, weißgelockt, ohne Hut. Auf dem bloßen
Leibe hingen ihm kläglich die Reste des Rocks und die Reste
zweier Schuh' an den Füßen, mit Zügen aus Gummi versehen.
»Blech und Pappe, nichtsnutziger Schwindel, der Krieg hat's bewiesen,
ist das Zungengedresch vom Sohn Gottes und von der Erlösung,
das verfluchte Geträtsch und Getratsch von der christlichen Liebe!
Bei Dixmuiden blieb tot, siebzehnjährig, mein Junge, mein Kleinster!
Beide Beine verlor mein Zweitältster, er ist nur ein Rumpf noch!
Mit Verblödung belohnt, sitzt mein Größter für immer im Tollhaus,
weil sie alle der christlichen Liebe ins Antlitz gesehen!
Drei Betrüger: Christ, Mohammed, Moses, verdarben die Menschheit!
Da: ich selber bin einer! da sind wir, die Herde, zur Auswahl!«
Und man lachte und zeigte auf einen, der, hoch auf dem Prellstein
und mit Lungengewalt, in das Menschengewimmel hinabschrie:
»Köpft sie alle, die Hundekanaillen! die Metzger der Völker!
die Blutsäufer des Kriegs, und noch mehr die Blutsauger des Friedens!
Überhaupt köpft die Köpfe! was braucht es der Köpfe?! wir haben
Hände nötig! die Hände alleine, sie sind's, was wir brauchen!
nicht die weiße – sie ist nur ein Aas! –, nein, die schwielenbedeckte,
harte, braune, die jeglichen Segen der Menschheit errackert!« –
»Leute! Freunde!« rief Till, auf die Rede des Eifrers nicht achtend.
»Helft mein Zelt mir errichten, ich merke durchaus, was hier not tut!
Not, die heilige Not, macht erfinderisch, steigert den Scharfsinn,
und so hab' ich inmitten des Schuttfeldes einstiger Größe
den alleinigen Grundstein des Reichswiederaufbaus gefunden!
Diesen zeig' ich euch gerne, sobald ich die Bude errichtet!«
Und man lachte, man harrte gespannt, und erregt war die Schaulust.
Hundert Hände, trotz allen Gewühles und dumpfen Gemurmels,
griffen Leinwand und Taue und Pflock und Gestänge. Und bald stand,
wie durch Zauber, die Bude des Gauklers umbraust auf dem Marktplatz.
»Weg, verfluchter Hanswurst!« schrie der Mann, der die schwieligen Hände
pries, das Köpfen empfahl und so immer nur Blutbad auf Blutbad.
»Furchtbar ernst ist die Zeit!« Darauf Till: »Dir nicht ernster, als du bist!
Zahle lieber den Rappen und tritt in die Bude! 's ist Leinwand,
die mir schon an der Marne gedient! Drinnen find'st du das Spieglein,
das genannt ist: Erkenne dich selbst! Damit mache den Anfang!«
Jetzt erschwoll vor dem Rathaus aufheulend die Woge des Volkes.
Alles zog sich dorthin, so daß Till vor dem Zelte allein stand.
Nun, ich denke, auch ich tue gut, seh' ich etwas zum Rechten!
Und er tut es. Es mischt sich der Landfahrer unter die Menge,
wühlt hindurch bis ins vorderste Glied, wo nur Weiber sich finden.
Diese rasen, die Wachen vorm Rathausportale beschimpfend.
Was tat Till? Ach, er mischt sich sogleich in die Reihen der Weiber,
so beinahe, als läge ihm ob, die unflätigen Salven
ihrer schäumenden Mäuler und gellenden Kehlen zu regeln,
anzuspornen die sinnlose Wut, die sie alle entstellet;
doch, in Wahrheit, er sucht sie vielmehr überredend zu stillen:
»Nicht doch, Mütterchen, laß! was denn nützt es?! sie haben Gewehre,
und sie schießen dich tot! du verlierst deinen Mann und die Kinder!«
Also spricht er, und weiter: »Mein Kindchen, mein Mädel, was tust du?
Denk, wie jung du noch bist und wie hübsch! Warum willst du schon sterben?«
Plötzlich aber geschiehet ein Ding, das den Warner selbst stumm macht.
Von den kreischenden Müttern die eine erhebt ihren Säugling
mit zwei strähnigen Armen empor, und sie streckt ihn weit vor sich.
So, entschlossenen Schritts und gedeckt von dem zappelnden Würmlein,
rückt sie vor, mit der Härte des letzten Entschlusses im Antlitz,
von der Menge gefolgt, um so tollkühn das Rathaus zu stürmen.
Doch es kracht! und die Menge zerstreuet ein pfeifender Sturmwind!
Fast im Nu ist das Pflaster gefegt, und die Stille des Kirchhofs
herrschet dort, wo noch eben ein gärender Wirrwarr getobt hat.
Armes, blutendes Land! Blut hast du in Strömen vergossen,
sie von Flüssen gespeiset und diese hinwieder von Bächen,
Quellen speisten den Bach! Oh, wie seltsam! denkt Till. Oh, wie seltsam!
Purpurn quillt es um mich, in ein Quellgebiet bin ich geraten.
Wunden, Wunden bedecken den Leib dir, du blutendes Deutschland,
und sie wollen sich nicht mehr verschließen. Wer spricht hier den Blutbann?
»Heißa! Hopsa, mein Kindchen! Was schreist du?« Es hebt Till den Säugling
von den rieselnden Brüsten der Mutter, an die er sich klammert.
Was da rieselt, ist Blut! nicht die Nahrung, die Milch für den Säugling.
»Gott erhielt dich, mein Sohn, und das sichere Auge des Wehrmanns,
dessen Kugel das Herz deiner Mutter durchfuhr, dich verschonend!
Warum stieg sie die Stufen empor, so als wäre die Treppe
ohne Ende und nicht allzu kurz und ihr Ausgang der Himmel?!
Vor sich hielt sie zum Schutz das Palladium, hielt sie ihr Kindlein.
Allerheiligstes, Niezuverletzendes mußte die Häscher
niederwerfen ins Knie: denn sie selber, vom Weibe geboren,
waren schwerlich so blind und entmenscht, diesen Schild zu mißachten!«
Und es schrie, daß der Markt von dem Kreischen erschallte, der Säugling.
»Schreie, schreie, mein Sohn!« sagte Till. »Und, beim Hunde! ich gebe
ganz von Herzen dir recht, wenn du solcherart Spaß dir verbittest!«
Staunend traten die Augen der sterbenden Frau aus den Höhlen,
weil nun alles so anders erschien als vor zween Sekunden.
Schwerlich hätte sie noch es gewußt, was soeben geschehn war.
Doch sie ahnete wohl: ihre Rechnung war falsch, sie betrog sich!
»Oh, ich kenne den Blick, gutes Weib, denn ich bin diesem Blicke
allzu oftmals für meinen Geschmack auf dem Schlachtfeld begegnet!«
Und er öffnete ihr mit Gewandtheit und Schnelle den Schnürleib.
»Dieses Volk ist verrückt!« sagte jetzt hinter Tillen ein Wehrmann.
»Was sie wollen, das wollen wir auch: Brot für Weiber und Kinder!«
Und sie starb. Auf dem Arme das Kind, schritt der Gaukler dem Zelte
zu, sorgfältig den Fuß zwischen Toten und Sterbenden setzend.
Röchelnd lagen sie still oder wälzten sich stumm auf dem Pflaster,
so, als hätte sie Schlaf mit unruhigen Träumen gefesselt.
Jene aber, die Toten, sie sprachen die deutlichste Sprache,
die doch keiner vernahm, außer Till: von der Täuschung des Daseins.
Baut so hoch, als ihr wollt, in die Wolken: das Babel des Lebens,
immer steht es doch nur auf dem Grunde des Todes begründet.
Hier lag blutiges Fleisch, nichts weiter, in Flicken gewickelt,
die bestohlene Form, mit dem Trugbild des Menschen noch prunkend.
Nun, die Täuschung ist wahr, darum sei sie uns heilig, die Täuschung,
sei uns heilig die Not und die furchtbare Erbschaft des Irrtums!
Denn die Wahrheit ist niemals vererbt, nur nach Wahrheit das Suchen.
Und so sei uns auch dieses geheiligt als heiliger Notstand.
Wahrer Irrtum, wie blutig er sei, Till, ihn lerne verzeihen!
Innig pressete an sich den schreienden Buben, den Säugling,
Till. Potztausend! was gibt es? Piff paff! piff paff puff! so erschallt es
da und dorther und hoch von den Dächern und Giebeln des Marktes.
Solches ist mir vertraute Musik! denkt der Gaukler. Wie fröhlich
klopfte ehmals mein Herz, wenn Geschosse die Lüfte durchsurrten!
Nun dagegen, wie schal, wie verbrackt und vertrackt ist dies alles,
eine Schießpest, nicht mehr, und es gleichen Miasmen die Kugeln! –
Wer denn spielt, denkt der fahrende Mann, meine Laute im Zelte?
ehbevor er, den Säugling im Arm, durch den Vorhang hineintritt.
Ein Geschöpf, halb ein Kind noch und halb schon erwachsen zur Jungfrau,
hockt am Boden, das Spielzeug im Schoß und den Kauz auf der Schulter.
»Frauenzimmer, wer bist du?« rief Till. »Und wie kommst du auf diese
schwarze Fastnacht? Es wirken Konfetti und Pritsche hier tödlich!
Ist mir recht, kleines Balg, so versuchtest du jüngst dich in Warmbrunn
auf dem Seile mit mäßigem Glück und noch wen'ger Courage!?« –
»Dummerjan, du hast Faxen gemacht, da bekam ich das Lachen
und hernach eine Tracht – nach dem Sturze – gesalzener Prügel«,
spricht die Kleine, »da lief ich davon, und der Chef mag mich suchen!« –
»Nun, das fügt sich!« spricht Till. »Aus dem Heiligen Grabe zu wecken,
so vermaß ich mich grade, den Menschensohn. Nun, und hier ist er:
Jahrmarktsschwätzer, verachtet und einsam noch eben, ich wurde,
tureminack Zickzack! sozusagen zur Heil'gen Familie!«
Kaum war dieses gesprochen, so fand sich der Gaukler von Fäusten
angepackt und geschüttelt und sah durch ein brüllendes Antlitz
sich bedroht und bespien. Beinahe entglitt ihm der Säugling.
»Schweinehund!« rief ein Mann, dem das Auge im Kopfe erblaßte
vor unmenschlicher Wut, dessen Atem schwer keuchend sich Bahn brach.
Dieser Kerl ist der Vater des Kinds und der Mann jener Toten,
sagt sich Till, und es hat ihm der Schmerz die Besinnung genommen.
Also sieht er in dem seinen Feind, der der Sterbenden beistand,
wirft auf mich seine Wut, der sein Kind ihm zu retten bemüht war.
Solches ist der natürliche Lauf, ist die rechte Verkettung
in der besten der Welten, erlöst durch die Gnade des Heilands!
Plötzlich schweigt, wie der Sprache beraubt, fast vor Ingrimm bewußtlos,
der verzweifelte Vater. Ein Färber, man sieht's dem Gewand an.
Er vergißt, wo er ist, und er sieht nur allein noch sein Kindlein.
Zitternd tappt er nach ihm, und er hebt mit den knochichten Fäusten
die unselige Waise. Und leichenhaft widerlich fließt ihm
aus den Winkeln des Mundes der Speichel. Dann kehrt er sich türwärts,
stumpf das Kind an der offenen Brust, welche tierhaft gelockt ist,
und entfernt sich mit ihm, wie im Traum aus dem Bette gestiegen.
Nun, wohlhin denn! Es mußte Till gehn, sich des Wassers begeben.
»Wart auf mich!« rief er, wiedergekehrt, seinem klimpernden Gast zu.
»Besser so als auf andere Art! denn ich bin nicht geschaffen,
von der Windel herauf bis zum Kreuz den Sohn Gottes zu päppeln!«
Wieder machte er kehrt, der Gesell, und verließ seine Bude.
Piff und paff! ging es hin, ging es her, doch ihn scherte es wenig,
und er half unermüdlich und eifrig die Sterbenden bergen.
»Heut ist hier kein Geschäft für die Eule, den Spiegel und meine
Wenigkeit!« sagte Till, als er endlich zur Bude zurückkam.
So begann er denn auch ohne weiteres Zögern den Abbruch.
»Gule«, rief er, »gleichviel, wie du heißest, ich nenne dich Gule,
weil's mich eben gelüstet, dich so und nicht anders zu taufen.
Gule, hilf mir, wir wollen die Schule der Weisheit verstauen!« –
»Gule?! sei nicht so blöd!« spricht die Kleine, die safrangelockte
Zugelaufne, und fasset mit an. Das Gestäng' und die Leinen
werden eilig gelöst und die Zeltbahn zusammengefaltet.
»Ist es nicht an der Zeit, dich ein wenig zu waschen?« so spricht sie,
als der Haushalt, zur Abfahrt bereit, nur des Anrückens harret. –
»Warum soll ich mich waschen?« drauf Till. – »Du siehst aus wie ein Metzger«,
sie darauf, »so von oben bis unten mit Farbe besudelt!« –
»Rot!« sprach Till. »Allerdings! Nun, das ist ja die Farbe der letzten
weltgeschichtlichen Mode! Man muß sich ihr, denk' ich, bequemen!«
Trotzdem schritt er zum Brunnen, der plätschernd den Marktplatz belebte,
um sich lange und immer aufs neue mit Sorgfalt zu waschen.
Jetzt nun strebte das Wägelchen Tillens dem Ausgang der Stadt zu.
»Höre, Gule …« – »Ach, laß doch das ›Gule‹! ich heiße Marienka!« –
»Gule bist du und bleibst du für mich!« spricht dawider der Gaukler.
Beide liegen, das Mädchen und er, auf dem schütternden Strohbund.
»Gulen treiben ihr Wesen in Grüften, verrufenen Orten,
schlingen Luder, benagen Gebein, aus dem Abfall gewühlet.
Und so fandest du denn meine Spur auf dem Kirchhof des Reiches!« –
Warum standen die Pferdchen? Es hatten die Ohren des Gauklers
Orgeltöne vernommen, und diese bewegten ihn seltsam,
dergestalt, daß er, gleichwie im Zwang, seinen Planwagen anhielt.
Schweigend sann er und tippte versonnen die Stirn mit dem Finger,
wie als käm' es drauf an, einen gordischen Knoten zu lösen.
Plötzlich sprang er heraus aus dem Wagen und lief durch die Gassen,
wie das Orgelgetöne ihn lockte, bis daß es jäh stillschwieg.
Doch schon hatte der Gaukler die Kirchtür gewonnen und schlüpfte
durch den Teppich ins Schiff, als soeben der Meßpfaff', die Schelle
heftig schüttelnd, am großen Altare die Wandlung bezeugte.
Jetzt erst merk' ich, sprach Till zu sich selbst, wie sehr Gott mir gefehlt hat!
Und er betete still und vergaß für Sekunden sein Dasein.
Zwölfmal schlug es im Turm. Tillen war es, als träfe der Hammer
sein Gewissen mit ebenso vielen gewaltigen Schlägen.
Zwölfte Stunde! durchfuhr es sein Herz. Und als gält' es zu retten,
steht er auf, und hinan die gewundene Treppe des Kirchturms
hastig springend, erreicht er keuchend den oberen Umgang.
Unter ihm lag die Stadt und das Land. Bulgenähnlich erbrauste
fern Gewühle des Volkes. Und trotzdem schien Deutschland zu schweigen.
Stillgelegt war das Netz des Verkehrs durch den Machtspruch des Sattlers.
Angstvoll horchte der Narr in die Weite hinaus, ob ein Zeichen
wiederkehrendes Leben verrate im Körper des Reiches.
Doch vergebens, er ruhte, wie niedergeworfen im Starrkrampf.
»Hunger hab' ich«, spricht Till, »nach den heiligen Lauten der Arbeit!
Tanzen will ich dich sehn und laut schlagen die schmetternden Becken,
Tag und Nacht, ohne Rast! immerfort, ohne Ende und Anfang,
gleichwie Schiwa, der nimmer ermüdete Tänzer des Lebens!«
Und Till schrie in die Leere hinaus: »Stehe auf! Ich, der Heiland,
sage dir: Stehe auf! Armer Lazarus, werde lebendig!«
Wahnsinn schien ihn zu packen, den Narren. So rief er, so schrie er:
»Simson, hebe dich auf und zerreiße die Ketten des Alpdrucks!
Tanze, Simson! du hast nicht ein Gran deiner Kräfte verloren!
Tanze, Simson, und schüttle dein Haar! es wird wachsen im Tanze!
Deine Wunden, sie heilet die Zeit dir! nur reiße nicht neue,
rasend wider dich selber, dir auf mit dem eigenen Schwerte!
Fürchte, fürchte dein Schwert! Denn nicht ist dir bestimmt, durch ein fremdes
je zu fallen! Der Feind hat von je sich in deines verkrochen!
Und so fürchte dein eigenes Schwert und dich selber, mein Deutschland!«
Lauter wurde die Predigt des Narren: »Quiriten! Quiriten!
Kauft die Wahrheit für wenige Groschen, Quiriten! Quiriten!
Kauft die Rettung für wenige Groschen! Vertragt euch! vertragt euch!«
Piff paff puff! war die Antwort des Markts. Da und dort kam ein Brand auf,
Qualm umwölkte den Turm und erstickte dem Narren die Stimme.


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