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Das zweite Abenteuer

zeigt, was einer Schnitterin mit Till Eulenspiegel begegnet. Ferner, wie Till seinen Spiegel prüft, weil ihm das »Erkenne dich selbst!« durch den Kopf geht. Und wie sein eigenes Bild aus dem Spiegel tritt, als Doppelgänger neben seinem Wägelchen herschreitet und mit ihm disputiert.

 

Als die Sonne am Morgen heraufkam, stand Till auf den Füßen
und hielt Umschau. Noch schnarchte der Blinde und schlief seine Mutter.
Heilig ist euer Schlaf, ihr Geplünderten! denkt er. Da locket
unter Erlen ein Bachlauf zum Bade. Bald ist Till am Ufer,
und er singt, von Vergißmeinnichtbläue die Kniee umspület:
                                        »We like this game,
                                        this very same,
                                        we all the same
                                        we do!«
's ist ein Arbeitsgesang, den der rudernde Sklave im Lastboot
singt und singt durch den heißesten Tag, sich den Fron zu versüßen.
Ja, wir lieben das Spiel, wir lieben es, immer dasselbe!
Alle tun wir das gleiche, so grübelt der Gaukler, wir Menschen,
essen, trinken, vermehren uns, lachen und weinen und wandern.
Wir vermessen uns hoch, Kinder Gottes und Herren des Weltalls,
was nicht sonst noch zu sein – und wir leeren den Leib aus am Wegrand.
Trotzdem! trotzdem! was tut's, wenn we like it, this game und we like it,
lieben es, wie es ist, unser närrisch glückseliges Dasein! –
Doch wer stand dort im Felde, den Rock um die Hüften gewulstet,
nackten Fußes, die Wade entblößet bis über das Knierund?
Kaum eräugte der Gaukler das Wild, stand er jenseits des Bachs schon,
eine köstlich bemähnete Schnitterin fröhlich begrüßend.
»Grüß' dich Gott«, rief er ohne Besinnen, »du bildschöne Kuhmagd!« –
Trotzig hatte geblickt und verdutzt und erstaunt die Errufne.
Endlich dann, als Till schwieg, einen Augenblick nur, um zu prüfen,
inwieweit seine Rede gewirkt, da brach kreischend die Stallmagd
aus und wußte, die Hände gestemmt in die Hüften, vor Lachen
kaum noch aufrecht zu stehn. Ob's ihn lächerte, lachte doch Till nicht.
Unbeirrt fuhr er fort: »Blindes Pack, unter dem du dahinlebst!
Pack sieht immer den Adel nur dort, wo der Dünkel verbrieft ist.
Ich erkenne dich wohl mit der rostroten Mähne als Mantel.
Herrlich blühst du, Barbarin, aus strotzender Kraft deines Ursprungs,
unerkannt und versklavt! Unerkannt und versklavt nur von mir nicht!
Rom hat oft dich gesehen, stolz schreitenden Gangs, im Triumphzug!
Und es stahl deinen Haarschwall die römische Dame und flocht ihn
in die spärlichen Rattenschwänzchen hinein ihres Kahlkopfs!«
Längst schon war nicht mehr frei, die er so mit Geschwätz überschüttet,
denn mit blitzschneller Kraft hatte Till sich des Opfers bemächtigt,
wie's die Schule des Kriegs ihn gelehrt. Und die Dirne war wehrlos.
Kaum empfand sie die Fessel, so warf sie voll Urkraft sich aufwärts,
heiß von Arbeit und wilder von Trotz und voll Wut der Empörung.
Keines wich, und ein Ringen begann. Doch da schrie plötzlich Till auf,
weil der heftige Biß eines Tiers ihm die Schulter verwundet.
Aber eben damit war der Haß aus dem Spiele gewichen.
Till verstand, daß die Schnitterin selbst ihm nun lachend den Kranz bot.
Und er war nicht der Mann – nein, wahrhaftig nicht! –, es zu mißdeuten. –
Es erwachte die Mutter des Blinden. Auch dieser erwachte.
Und sie suchten nach Till, der sie beide so freundlich bewirtet.
»Nirgend kann ich ihn sehn«, sprach die Frau, »der Vagant ist verschwunden!«
Und sie warteten einige Zeit, doch vergeblich, er kam nicht.
Gerne hätten sie ihm noch gedankt, doch es drängte die Stunde.
Endlich zeigte der Blinde sich willig zu wandern. Es putzte
ihn die Mutter zurecht, und sie wankten selbander von dannen. –
»Nein«, sprach Till, »liebe Lene, was lange verliegt, das wird ranzig,
und ich bin ein Vagant, ein Verehrer der Wandrung und Wandlung.
Niemals aber – das gilt als ein Schwur! – kommst du je aus dem Sinn mir!
Weib, ich könnte dich essen, wahrhaftig, dich fressen vor Liebe,
ganz dich schlingen in mich – allein dieses sag' ich als Bild nur.
Ist der Magen doch nicht das Organ, um ein Wunder an Schönheit,
ein unsterbliches, einzuverleiben der sterblichen Seele.
Nicht zwei Blätter sind gleich an ein und derselbigen Linde,
und so ist auch zum einzigsten Male von Anfang der Welt her
eine Frucht so wie du, Kind, entquollen am Baume des Lebens.
Einmal bist du, warst nie, und du bist auch nie wieder in Zukunft!
Das ist's, immer und ewig Geliebte, wodurch mich dein Antlitz
über alles Vermögen entzückt und zugleich bitter peinigt!
Schreien möcht' ich: O seht dieses rostrote Haar, diesen Nacken!
Diese dunkleren Brauen, es sind zwei romanische Bögen,
eine Grade beinahe die Stirn und der Rücken der Nase.
Kommt und seht diese Augen, einmalig, der Nixe, des Meerweibs!
Seht und fühlt diese Schultern und tastet herab diese Arme,
diese Brüste mit schwelgender Hand und mit taumelnden Lippen!
Doch was sag' ich: ich würde den morden, der jetzt meinem Rufe
etwa folgte! Ich gönne nicht einmal der Sonne den Anblick!
Den erschlag' ich, der sagt, du seist schön! Und blickt einer dich stumpf an,
ihn erschlag' ich erst recht: der Verweste verdient zu verwesen!
Einmal nur noch vermähle dich mir, und dann trenn' uns für immer das Schicksal!«
So geschah's. Und es geigte dazu in den Büschen der Buchfink. –
Einsam rauschte die Sense nun wiederum draußen im Kleefeld.
Tränen tropften: kein Wasser nun brauchte die Magd für den Wetzstein.
Ja, sie rannen auch innen hinein in die Brust, diese Tränen,
bitter brennend, hinab durch den Hals und hinunter die Brustwand.
»Ob ich zürne? Oh, nie! denn du nahmst mich ja doch aus dem Grabe.
Und ich nehme ins Dunkel hinunter mit mir deinen Maitag!
Doch mir brennt, oh, mir brennt gar so furchtbar das Herz, und ich weiß nicht,
ob es standhält dem Brand, dem unendlichen Kummer der Trennung!
Kurz, wie kurz war der Tag! Eben stieg doch im Morgen die Sonne,
nun ist Abend bereits, und es senkt sich die Nacht auf die Feldflur.« –
Was tat Till? Till gelangt' an die Stätte des nächtlichen Biwaks,
nahm, eratmend, es wahr, daß die Lagergenossen das Weite
schon gesucht, denn er wollte vor allem mit sich jetzt allein sein.
Ja, es fehlte nicht viel, und ihn störten sogar seine Tiere.
Fort, nur fort! Und schon standen die Klepper geriemet ans Ortscheit,
Schon begannen sich Reifen und Felgen und Speichen zu rühren:
Dreh dich, Rad! dachte Till. Mich beseligt allein schon der Anblick!
Mich gelüstet es nicht mehr, auf Sand noch auf Felsen zu bauen,
denn ich baue auf nichts: auf dem rollenden Rade des Lebens!
Jeder Punkt, der es trägt, schon indem er es trägt, trägt es nicht mehr! –
Oh, was mähet dort drüben im Klee? Gib doch acht, Prinz! wer ist das?
Mir kommt vor, Prinz, als hätt' ich das Mädchen, das drüben den Klee mäht,
irgendwo, Gott weiß wo, wohl im Traume, schon einmal gesehen.
Und er stieß einen Juchzer hervor mit gewaltiger Stimmkraft,
wilde Lust, wildes Weh schien im Schrei des Gesellen verschlungen.
Doch so weit er auch drang und das Echo der Fluren erweckte,
schien der Schnitterin Ohr ihn trotz alledem nicht zu vernehmen. –
Und es rollten die Räder, sie rollten dahin durch die Landschaft,
langsam immer bergan, und recht griesgrämlich zogen die Pferdchen.
Endlich ward dann die Höhe erreicht. Till, der neben dem Wagen
Fuß vor Fuß in Gedanken gesetzt, er stand still und sah rückwärts.
Es entfaltete da sich, unendlicher Weite, die Feldflur.
Und dort war ja ein Kleefeld, an dem sich ein Wässerlein hinzog,
in dem Kleefeld ein Punkt, der sich, gleichmäßig pendelnd, bewegte.
Punkt, was wärest du wohl einem andern von hier aus? Ein Punkt nur!
Mir gewiß bist du mehr! Doch nun sei es genug: so versinke!
Abwärts ging es, den Hügel hinab, der den Punkt nun verdeckte,
im Galopp, denn es stieß in die Pferdchen das hemmlose Fahrzeug.
Tillen schien das willkommen. Leichtfüßig den Wagen begleitend,
schlug er Rad und stieg endlich hinein, ohne daß er ihn anhielt.
Und es kam, da die Fahrt wieder ruhig geworden, dem Gaukler
dieser Einfall: Ich habe ja da einen Spiegel im Wagen,
und ich hab' es umsonst, jenes Raubtier zu sehn, dessen Anblick
mir zu Warmbrunn so mancher mit klingender Münze bezahlte,
blick' ich selbst nur hinein! Ja, ich kann mich im Spiegel verdoppeln.
So gesellt sich zu Tillen ein Till! Solches brächte wohl Kurzweil.
Damit griff der Vagant um sich her und ertappte das Spieglein,
hielt es über die Stirn, auf den Rücken gestreckt, und vergnügte
seine Seele damit, sich die ärgsten Grimassen zu schneiden.
»Gäucherei ist dein Leben!« so schrie er sein Bildnis im Glas an.
»Faxenmacher, bluttrunkner Hanswurst, Pickelhering des Luftkriegs!
Geck und Fatzke des Mordes, du Schneidergeselle der Blutschuld!«
Damit schleuderte Till das Gerät in die Tiefe des Wagens,
Lagerstroh um sich häufend und drin wie ein Tier sich verkriechend.
Hinterhältig befiel seine schwärzeste Stunde den Gaukler
oft am lichtesten Tag. Und dann konnte es sein, daß der Ekel
an der Welt, an sich selbst, mit der Dreysepistole zu tändeln
Tillen zwang, die ihm einmal den Garaus nur deshalb nicht machte,
weil ein Sandkorn den Drücker versetzt und die Kugel im Lauf hielt.
Und er wimmerte, fest in die Plane die Zähne verbissen:
»O mein Straßburg, mein Straßburg, mein armes zerprügeltes Deutschland!
Luder nur noch, lebendigen Leibs, der aasfressenden Tierwelt!
Krähen streiten um dein Geschlinke, von Grenzpfahl zu Grenzpfahl,
oder schlagen sich voll in dem blut'gen Gehäus' deiner Rippen!«
Stöhnend warf sich der Narr auf dem Lager herum – dann entschlief er.
Da nun sah er sich selber im Traum, aus dem Spiegel gestiegen,
schreitend neben der Hemme, das klapprige Fuhrwerk bedienend.
Wütend rief er sich zu: »O du trauriger Dandy von Fuhrknecht!
trotz des Pour le mérite, der vom Halse dir baumelt: du wirst mir
auch nichts anderes tun, als du gestern mit Deutschland getan hast,
Schinderkärrner: mich selbst und den Karren im Blute ertränken!« –
Ȇberhebe dich nicht! Was du sagst, guter Till, tat ein andrer!
Sieh mich an und erkenne dich selbst: denn das ist ja dein Wahlspruch!«
So begann nun das Bild, das der fiebernde Gaukler im Traum sah,
Spiegelgänger in jedem Betracht, bis zur Narbe des Keilbeins,
die der Schuß eines englischen Fliegers dereinst Till gezeichnet.
»Ja, erkenne dich selbst!« fährt er fort. »Sieh mich an, und du siehst dich!
Ganz so schrittest du hin, auf dem Ohre die Mütze, wie ich jetzt,
und so kannte der Krieg seinen Till, der zum Tode geweihte
Jüngling ihn, eh der furchtbarste Sturz ihn zur Erde hinabriß.
Falke Till! Adler Till! Männermordender, sieghafter Luftaar,
da war einer …« – »Genug!« keuchte Till, weil die Brust ihm zerquetscht ward
von unsinniger Last des Gewissens. »Schweig stille! Kein Wort mehr!
Willst du zählen, erst eins und dann zwei und dann zehn und dann fünfzig,
und mir sagen, ich hätte der Jünglinge fünfzig ermordet?
Nein, du lügst! und ich kenne dich nicht, und du bist nicht, der ich bin!« –
»Larifari!« so lachte der andre und klopfte die Shagpipe
an der Runge des Wagens sich aus. »Ich bin du! ich bin du, Till!
Gabst du etwa dein Leben nicht preis, eh du's anderen wegnahmst?
Bist kein Scheißkerl, mein Till! Allzu jämmerlich ist mir der Anblick,
wenn der Adler, der Aar, der Beherrscher der Lüfte, der stolze
Massentöter des Himmels, gerupft und verzappelnd im Dreck piepst!
Sei kein Gauch! Und benässe dir nicht deine Hose mit Feigheit!
Schlaf dich aus, wenn es anders nicht geht! aber nimm deinen Strohsack
vorher, klopfe ihn rein, denn er steckt voller Wanzen und Läuse,
die das Haupt dir bekriechen und Herz dir und Nieren bepissen!
Du siehst aus, Till, schon jetzt, als wärst du dem leidigen Satan
aus dem Hintern gefallen! Trink Wein oder Schnaps, bis das Glas heult!
Doch gehabe dich nicht wie die Köchin des Pfarrers im Kindbett!« –
»Halt«, rief Till, »'s ist genug!« Und ein Anfall von Lachen befiel ihn.
»Hab Erbarmen und reize mir nicht bis zu Krämpfen das Zwerchfell!
Schweig! Ich sage dir: Schweig!« Und Till lachte im Traum, bis er aufsprang.
Und den anderen Till aus dem Spiegel, den wandernden, suchend,
rieb er, immer noch lachend und lachend, den Schlaf aus den Augen.
Doch das freche Gespenst seiner selbst war auf einmal verschwunden.


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