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Achtes Kapitel

In diesem Sommer feierte Rom das Zentenarium der St. Peterskirche. Das Straßenbild war bunt und bewegt, Rom prangte majestätisch als die geistliche Hauptstadt der Welt. Fünfhundert Bischöfe und Prälaten waren nach der ewigen Stadt gekommen und den Zeitungsmeldungen nach ungefähr vierzehntausend Geistliche. Die Franzosen trugen niedrige Schuhe mit Schnallen, die Spanier Don-Bartolohüte über ihren Asketengesichtern, sie benahmen sich sehr gemessen und ruhig. Die Deutschen, zum größten Teil Tiroler und Bayern, trugen Zylinder, viele der slawischen Geistlichen trugen Bärte und Schnurrbärte. Die östlichen Popen sahen aus wie Patriarchen des Alten Testaments. Auch maurische und chinesische Geistliche konnte man in Gewändern sehen, die Rom bisher überhaupt nicht gekannt hatte. Es gab sogar einen Erzbischof, der einen Ring durch die Nase trug. Der Katholizismus der ganzen Welt traf sich in der Hauptstadt. Zwischen all den Fremden bewegten sich lebhaft und ungezwungen die Italiener. Ein Fest übertraf das andere. Als bei festlicher Beleuchtung der Peterskirche eine nächtliche Prozession veranstaltet wurde, nahmen vierhundert Erzbischöfe und Bischöfe am Zug teil, mit den verschiedensten Mithren und Kronen, jeder eine brennende Kerze in der Hand. Am Tage darauf erregte am Monte Pincio der katholische Bischof der Türkei Aufsehen, der einen Teppich hinter sich hertragen, ihn ausbreiten ließ, sich mit gekreuzten Beinen darauf niedersetzte und seine Pfeife rauchte. Einem chinesischen Bischof hatte der Papst eine Audienz erteilt, man fand aber keine Sprache zur gegenseitigen Verständigung, da der Chinese nicht lateinisch konnte.

In dem von unzähligen Geistlichen wimmelnden Rom verbreitete sich eine aufregende Neuigkeit: Papst Pius wollte im nächsten Jahr eine Synode einberufen, auf der die Unfehlbarkeit der Päpste verkündet werden sollte. Die Partei der Jesuiten im Vatikan hatte sich schon seit langer Zeit dafür eingesetzt. Obwohl es dem Kardinal Antonelli im vorigen Jahr geglückt war, den Führer dieser Partei, den Kardinal-Kriegsminister Merode, zu Fall zu bringen, blieb der Gedanke der Unfehlbarkeit als Erbe zurück. Dem Papst gefiel diese Idee außerordentlich.

Franzi hörte diese Nachricht zum ersten Male von Carolyne. Sie sprach mit schwärmerischem Entzücken darüber.

»Das hätte man schon lange haben müssen! Ein genialer Gedanke! Bisher haben die Gläubigen ihre Tribute dem Statthalter Christi in Peterspfennigen entrichtet. Das war zu wenig, der Heilige Vater verlangt jetzt ihre Vernunft als Tribut. Und man muß sie hingeben. So ist es richtig. Entweder glaubt man, oder man glaubt nicht. Wer nicht blind glaubt, ist kein Katholik. Denken Sie nicht genau so?«

»Zunächst denke ich noch gar nichts. Was die Synode bestimmen wird, das werde ich dann auch glauben. Das ist der Unterschied zwischen uns. Denn wenn die Synode der Unfehlbarkeit nicht zustimmt, so werden Sie es trotzdem glauben.«

Darüber stritten sie noch lange. Die Fürstin war mit dem Glauben ihres Freundes nicht zufrieden. Sie forderte schon um deswillen einen noch eifrigeren, mustergültigen Glauben von ihm, weil sie immer noch nicht verzichtet hatte, ihn mit Hilfe ihrer vatikanischen Verbindungen zum Musikdirektor der Peterskirche ernennen zu lassen. Und das würde bedeuten, daß Franz Liszt sich ebenso in die Geschichte der Kirchenmusik eingeschrieben hätte, wie Palestrina oder Orlando di Lasso. Es war zwar schon vorgekommen, daß Papst Pius ihn einmal im Castelgandolfo als »mein lieber Palestrina« angeredet hatte; daß aber dieser Traum in Erfüllung gehen würde, das glaubte nur noch Carolyne in ihrem von Zigarrenrauch angefüllten Zimmer an der Via del Babuino, das sie tagelang nicht verließ. Auf diesen schönen Traum hatte Franzi längst verzichtet. Für seinen Aufenthalt in Rom hatte er nunmehr eine andere musikalische Grundlage geschaffen: er wollte die Italiener mit Beethoven bekannt machen, damit sie über ihn zu Wagner kämen. Sein liebster Schüler in Rom, Sgambati, war glücklich, ihn dabei unterstützen zu können. In den neuen Mauern der Sala Dante veranstaltete er eine Reihe von Konzerten, auf jede nur mögliche Art und Weise wollte er den Römern Beethoven verkünden. Jedes Mittel war ihm recht. Franzi war bei jedem Konzert anwesend, half bei den Proben und beobachtete gewissenhaft das kaum wahrnehmbare Anwachsen der kleinen Zuhörerschaft. Jetzt hielt ihn in Rom nicht mehr die Hoffnung auf seine große Berufung zur Kirchenmusik, sondern Beethoven. Er fühlte sich nicht mehr so eng an Rom gebunden und unternahm gerne Reisen, was die Fürstin nicht sehr erfreute. Als er dann eines Tages erfuhr, daß der Großherzog von Weimar im Rahmen einer großen Festlichkeit sein Oratorium von der heiligen Elisabeth in der Wartburg aufführen wollte, schrieb er mit Freuden hin, daß er kommen würde. Carolyne schrieb sofort einen langen Brief an Schorns, die einzige ihr treugebliebene Weimarer Familie, und bat die Tochter Adele, sie möge auf Franzi gut aufpassen und ihr einen genauen Bericht schicken, wenn Franzi auch nur niesen würde.

In der Altenburg fand der Heimkehrende eine neue Situation vor. Dieses Schloßgebäude war inzwischen Eigentum des Großherzogs geworden, der als gewissenhafter Besitzer nicht zusehen konnte, daß eine ganze Reihe der verschlossenen Zimmer unbenutzt stehen sollten. Er ließ also eine ganze Anzahl Zimmer öffnen, die Möbel in einem Magazin unterstellen und vermietete die Räume.

Auf der Wartburg wurde in Anwesenheit zahlreicher Zuhörer das Oratorium aufgeführt, das am Wohnplatz der heiligen ungarischen Königstochter, in ihrer ursprünglichen Umgebung, besonders stark wirkte. Diesem Werk war auch schon in Pest ein sehr schöner Erfolg beschieden gewesen, hier war er zehnmal so stark. Und inmitten der Feierlichkeiten nahm der Großherzog den Meister in dem einstigen Heim der Elisabeth zu einer langen Unterredung beiseite. Langatmig setzte er ihm auseinander, daß die Verhältnisse in Weimar jetzt viel günstiger seien, das Publikum liebe das Theater, und das Ensemble sei sehr gut. Dann forderte er ihn auf, wieder nach Weimar zurückzukehren.

»Ich habe ja nicht einmal mehr meine alte Wohnung«, erwiderte Franzi etwas spitz.

»Natürlich haben Sie sie. Ihre Wohnung hat niemand angetastet. Die Fürstin Carolyne wird wohl kaum wieder zu uns zurückkehren, und nur deren Zimmer haben wir verwertet. Ihre Wohnräume stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung. Nun?«

»Königliche Hoheit, um die Uraufführung des ›Tristan‹ sind wir ein für allemal gekommen.«

»Das bedaure ich auch sehr. Aber andere Dinge können uns gehören. Wir können ja auch über ganz detaillierte Bedingungen verhandeln, ich brauche Sie wirklich sehr.«

Und er redete weiter. Franzi lehnte das Angebot nicht grundsätzlich ab. Er erwiderte, daß er darüber nachdenken wolle. Er schrieb an Carolyne, die in einem erschrockenen, zornigen Brief antwortete. »Lüge, Lüge, Lüge«, schrieb sie, »das sind nur Worte. In Weimar sieht man in jedem Sandhügel einen Alpengipfel. Man spricht immer nur von der Vergangenheit und von der Zukunft Weimars. Seine Gegenwart überläßt man der Verwesung. Sascha verdient Dich nicht und kann Dir nicht das bieten, was Du verdienst.«

Er sah ein, daß Carolyne in vielem recht haben mochte. Nach diesem Brief beschloß er, nicht mehr nach Weimar zurückzukehren. Er räumte die Altenburg vollständig, ließ die Möbel versteigern und behielt nur einzelne wertvolle Stücke, die in einem Lager untergebracht wurden. Obwohl das eigentlich gar keinen Zweck hatte. Aber irgend etwas in seiner innersten Seele veranlaßte ihn, sich von dieser Stadt nicht für immer zu trennen. Er bemerkte erst jetzt, daß er Weimar sehr lieb hatte, wenn ihm dort auch noch soviel Trübes widerfahren war.

Zu den Feierlichkeiten auf der Wartburg war unter den Honoratioren ein interessanter Gast aufgetaucht: Baronin Olga Meyendorff. Ihr Mann hatte sich mit dem Papst überworfen, sie mußten Rom verlassen. Und der Zar hatte den Baron erst vor kurzem hierher nach Weimar versetzt. Franzi sah die Baronin mit Freuden wieder. Wenn er sie früher nur als Spielzeug betrachtet hatte, so gewann er sie seit ihrer Trennung fast lieb. Er liebte in ihr das Opfer, das sie seinerzeit für die Ruhe seiner andächtigen Seele gebracht hatte. Das Opfer war gebracht, die göttliche Harmonie, nach der er sich so sehr sehnte, war nicht eingetreten. Die Frau aber stand vor ihm mit der lebendigen Erinnerung ihrer einstigen Küsse. Eines Tages zur Dämmerstunde, der Baron war auf der Jagd, saßen sie zu zweit in Olgas Boudoir. Ähre Erinnerungen trieben sie einander in die Arme.

»Ich werde immer auf dich warten«, sagte die geschmeidige Frau, »schreibe, daß du nach Weimar kommst, und ich werde dich mit offenen Armen erwarten, du Bösewicht.«

Der »Bösewicht«, wie ihn die Frau mit so feuriger Koketterie nannte, war sechsundfünfzig Jahre alt und, wenn auch durch keinerlei Gelübde gezwungen, auf den Kuß zu verzichten, trug er doch den Pfarrock. Dieses Gewand hatte sie aber nicht gehindert. Und die sechsundfünfzig Jahre merkte man der kraftvollen Umarmung des Mannes nicht an. Sie verabschiedeten sich mit dem Versprechen, daß Franzi wieder nach Weimar kommen würde, sobald er könnte.

Zunächst fuhr er aber nach München, auf einen schweren Weg. Er mußte Hans besuchen, der dort wieder arbeitete. Aus Basel war er zur Einstudierung einzelner Opern nach München zurückgekehrt, da sich die allgemeine Erregung gelegt hatte und er Geld verdienen mußte. Er hatte sich aber noch nicht wieder beruhigt. Sein Schwiegervater wollte gründlich und eingehend mit ihm sprechen.

Jetzt war aber nicht nur Hans, sondern auch Cosima nervös. Den Eintretenden übermannte in diesem Heim ein peinliches Gefühl der Befangenheit. Ein zu Tode gehetzter Mann, der soviel gearbeitet hatte, daß er tagelang nicht einmal dazu gekommen war, die Zeitung zu lesen, eine Frau voller Vorwürfe, der bald der Kopf, bald der Magen weh tat und die die Münchner Luft verdammte. Streit, Lärm, das Greinen von vier kleinen Mädchen. Und über diesen Klagen, der Krankheit und dem Lärm eine unsinnige, verkrampfte Wagnerschwärmerei.

»Eine fürchterliche Situation«, stöhnte Hans, »am ersten Oktober muß ich das neue Konservatorium eröffnen. Die Direktion macht entsetzlich viel Arbeit. Und zwischendurch die Proben im Theater. Der König ist so nervös, daß man schon gar nicht mehr auf ihn rechnen kann. Er hat sich zwar mit der Prinzessin Sofie verlobt, trotzdem ist er aber so aufgewühlt; es ist unmöglich, mit ihm zu verkehren. Ich selbst habe irgendein böses Geschwür am Halse, der Arzt hat mir sogar das Reden verboten. Welchen Trost habe ich in diesem furchtbaren Durcheinander? Der Mensch, der die Hälfte meiner Seele ist, ist weit weg von mir, und Cosima will jetzt wieder auf lange Zeit verreisen.«

»Du willst verreisen?« wandte sich der Vater an Cosima.

»Ja. Ich vertrage die Münchner Luft nicht. Die Ärzte sagen, ich brauche mindestens ein halbes Jahr Höhenluft. Ich habe schon meinem Schwager, dem Marquis Charnacé, geschrieben; ihm steht ein schönes Schloß in Südfrankreich mitten im Gebirge zur Verfügung. Oder, unter Umständen … kann ich auch nach der Schweiz gehen …«

»Ich bin für die Schweiz«, fiel Hans ein, »denn dann kannst du auch Richard besuchen, diesen armen, einsamen, großen Menschen.«

Franzi hörte ihnen schweigend zu und beobachtete ihre Gesichter. Was Cosima anbetraf, so konnte über den Stand der Dinge kein Zweifel bestehen. Dieser Frau fehlte auf der ganzen Welt gar nichts, sie wollte nur zu Wagner. Und noch dazu auf ein halbes Jahr. Aber was für ein Mensch war dieser Hans? War er denn blind? Er selbst schickte seine Frau zu dem Manne, mit dem sie schon die Zeitungen ins Gerede gebracht hatten? Das war entweder Wahnsinn oder überstieg alle Grenzen krankhafter Selbstpeinigung.

Am anderen Tage nahm sich der Vater Cosima unter vier Augen vor. Die Aussprache durfte jetzt nicht länger hinausgeschoben werden. Zeit hatten sie dazu genug, Hans ging frühmorgens weg von zu Hause und hatte keine Zeit, zum Mittagessen nach Hause zu kommen. Cosima las im Gesicht ihres Vaters sofort die Absicht heraus und wollte der vertraulichen Auseinandersetzung aus dem Wege gehen. Sie berief sich darauf, daß sie in der Stadt sehr viel zu erledigen habe.

»Du gehst jetzt nirgend hin«, sagte der Vater mit erhobener Stimme, »du setzt dich jetzt hierher in diesen Stuhl. Ich will klar sehen und alles wissen.«

Cosima sank in den gegenüberstehenden Sessel und neigte sich sofort schluchzend über den Tisch.

Das erschütterte den Vater. Seine ganze Strenge und Härte, zu der er sich fest entschlossen hatte, war mit einem Male weg. Er streichelte teilnahmsvoll und zärtlich Cosimas Kopf.

»Aber, aber, Cosette, mein liebes, kleines Töchterchen … nimm dich doch zusammen. Deinem Vater kannst du doch alles sagen, du mußt doch wissen, daß du mir das Teuerste auf der ganzen Welt bist … Ist die Sache denn so schlimm? Hast du denn Richard so sehr lieb?«

Die weinende Cosima richtete sich auf und trocknete ihre Augen.

»Vater, ich sterbe, wenn ich bei Hans bleiben muß.«

Franzi pfiff.

»Also so stehen wir? Aber wir wollen mal schön der Reihe nach gehen und sehen, was wir machen können. Du liebst Richard. Hast du dir das überlegt?«

»Ich habe es mir überlegt. Entweder er oder der Tod.«

»Und Richard?«

»Er sagt dasselbe. Ohne mich ist sein Leben kein Leben. Das ist nicht das Gefühl zweier Dutzendmenschen. Wir fühlen und wissen alle beide, daß Gott uns füreinander geschaffen hat. Er ist mein Leben, ich das seine! Was sollen wir aber mit diesem unglücklichen Menschen machen, der sich jetzt schon wie ein Wahnwitziger gebärdet? Mir tut er aus ganzem Herzen leid, und auch Richard bedauert ihn, aber was können wir machen? Vater, lieber, guter, teurer Vater, helfen Sie, sonst werde ich noch verrückt.«

»Aber deswegen bin ich ja gekommen, mein Kind. Antworte mir mal auf einige Fragen. Vor allem, wie weit seid ihr, du und Richard, gegangen?«

Cosima schwieg. Sie sah vor sich nieder. Sie zog die Achseln hoch.

»Wir kennen unsere gegenseitigen Gefühle und wollen uns fürs ganze Leben vereinen.«

»So. Und Hans ahnt davon gar nichts?«

»Ich weiß nicht. Hans ist manchmal geradezu unbegreiflich. Es gibt Augenblicke, in denen ich überzeugt bin, daß er von der ganzen Sache keine Ahnung hat. Ganz München spricht offen davon, daß ich und Richard uns lieben, auch die Zeitungen haben es in ziemlich niederträchtiger Weise aufgegriffen. Und er hat mich trotz allem selbst auf Besuch zu Richard geschickt. Dabei erklärt er sowohl mir als auch Richard fortwährend, wie sehr er uns vertraut. Ab und zu hat er aber auch einen sonderbaren Blick, ein gequältes, fratzenhaftes Lächeln, aus dem ich ahne, daß er doch über alles im klaren ist. Manchmal ist er ganz geisterhaft, und ich habe Angst, mit ihm allein zu bleiben. Da muß man verrückt werden. Ich war schon hundertmal so weit, daß ich ihm alles sagen wollte; wenn ich ihn dann aber ansehe, habe ich nicht das Herz dazu. Ich bedaure und hasse ihn zugleich. Fürchterlich.«

Franzi ergriff die Hand seiner Tochter. Stundenlang saßen sie so im Gespräch nebeneinander. Das Mittagessen unterbrach sie, nach dem Mittagessen sperrten sie sich wieder ein und setzten ihre Unterredung fort. Langsam kam es dazu, daß der Vater seine Tochter in ein Kreuzverhör nahm. Wenn sie sich schon so sehr liebten und ohne jede Aufsicht wochenlang allein in Triebschen waren, wie konnte man sich mit nüchternem Verstände noch vorstellen, daß sie kein Verhältnis miteinander hatten? Bei diesen Fragen aber wurde Cosima ebenso steif, wie sie vorher hingebungsvoll, zutraulich und hilfsbedürftig schien.

»Dringen Sie nicht weiter in mich, Vater, wie ein eifersüchtiger Ehemann. Ich habe kein Verhältnis mit Richard. Im übrigen gehört das gar nicht zur Sache. Die Frage ist die: Wie kann ich die Seine werden, ehe es zu spät ist? Denn ich bin nahe daran, daß meine Nerven nicht mehr mitmachen.«

Sie vermochten Endgültiges nicht zu vereinbaren. Seinen Schwiegersohn sah Franzi nur abends. Er war auch zweimal mit ihm im Theater. Er sah »Tannhäuser« und »Lohengrin«. Beide Opern dirigierte Hans mit einer unbegreiflichen, rasenden, geisterhaften Hingabe. Aus der Loge hörte Cosima zu. Und den ganzen Zuschauerraum packte mit einem Male die Seele dieses unerhört großen tyrannischen Genies, das jetzt in einem Dorfe inmitten der Schweizer Berge lebte, während hier, unterjochten Sklaven gleich, Bülow und seine Frau in ihrer Schwärmerei zu ihm und in dem quälenden Zusammenbruch ihres aufgewühlten Heimes litten. Und auch er selbst, er, Franz Liszt, war sein Sklave, der viele Jahre seines Lebens in den Dienst dieser dämonischen Begabung gestellt, ihm zuliebe gekämpft und Unglück auf sich genommen, Geld, Nerven und alles für ihn hingegeben hatte. Als er so in seiner Loge saß und an die unheimliche Macht dieses Menschen dachte, lief ihm ein Schauer über den Rücken. In der Hofloge saß einsam der König, sein Gesicht konnte man im Halbdunkel kaum erkennen.

Endlich beschloß Franzi, zu Wagner nach Triebschen zu fahren und auch mit ihm zu sprechen. Cosima begleitete ihn an den Zug. Auf dem Bahnhof fing sie an zu schluchzen:

»Sie können sich nicht vorstellen, Vater, was es für mich bedeutet, in diese Wohnung zurückzugehen. Ihre Anwesenheit war eine richtige Erlösung, jetzt habe ich auch das verloren. Ich muß zurück in dieses Gefängnis, in dem ich mit einem wildfremden Menschen zusammengesperrt bin.«

»Sei nicht ungerecht, Hans ist gut und zärtlich zu dir.«

»Das ist ja gerade das Furchtbare. Wenn er nach meinem Kopf greift, um mir übers Haar zu streicheln, möchte ich schon schreien. Eher sollte er grob und schlecht sein, toben und auf den Tisch schlagen. Statt dessen vergöttert er mich und auch Richard, und er selbst leidet. Vater, um Himmels willen, denken Sie sich mit Richard irgend etwas aus, ich werde sonst verrückt. Und nicht wahr, es bleibt dabei, was Sie versprochen haben? Sie kommen aus Triebschen hierher zurück, nicht wahr?«

»Ich komme zurück. Bis dahin sei gut und nachsichtig zu diesem armen, unglücklichen Menschen und vertraue mir.«

Er fuhr ab. Kurz nach dem Mittagessen kam er in dem kleinen Dorf bei Luzern an. Wagner wohnte in einer Villa in einer wunderbaren Lage, er sah den Rigi und den Pilatus, wenn er aus dem Fenster schaute. Die ganze Schönheit der romantischen Tell-Gegend des Vierwaldstätter Sees breitete sich vor ihm aus. In seiner Villa reiche Bequemlichkeit und Luxus. Auf seinem Schreibtisch das Bild Cosimas neben dem Bild König Ludwigs.

»Es ist sehr schön hier«, sagte Wagner als stolzer Hausherr, »ich habe einen jungen Freund, Nietzsche, der diese Gegend für den schönsten Platz der Erde hält. Diesen Nietzsche mußt du unbedingt kennenlernen, Franzi. Ein großer Musiker. Unser Mann. Und die Geschichte der Philosophie kennt er, wie ich meine Handfläche …«

»Lassen wir Nietzsche jetzt, bitte. Ich bin in einer sehr ernsten Angelegenheit gekommen. Ich habe mit Cosima gesprochen. Ich weiß alles. Wir müssen einen Weg finden, wie man diese Angelegenheit mit möglichst wenig Qualen lösen kann.«

»Wenn du alles weißt«, entgegnete Wagner vorsichtig, »dann wirst du auch einsehen, daß ich hier derjenige bin, der am wenigsten tun kann. Ich kann eine Ehe nicht zerstören. Insbesondere nicht die Ehe von Hans, der soviel Hingabe und Begeisterung für mich gezeigt hat. Das kann nur Cosima tun. Und es ist gerade deswegen so fürchterlich, weil sie es nicht tun kann. So müssen wir alle drei zugrunde gehen.«

»Kurz und gut, du erwartest also von Cosima den entscheidenden Schritt?«

»Von wem soll ich ihn sonst erwarten? Soll ich zu Hans gehen und ihm sagen: als Lohn für deine Begeisterung nehme ich dir jetzt deine Frau? Das wäre sehr niederträchtig. Cosima ist aber Herr ihres eigenen Schicksals. Sie kann Hans sagen, daß es ihr unmöglich ist, mit ihm weiter zusammen zu leben. Sie sagt es ihm aber nicht. Das ist eben das Unglück, daß Cosima mich nicht genug liebt.«

»Sprich nicht solche Sachen, Richard. Diese Frau lebt nur für dich. Sie ist darüber schon fast krank geworden. Verlange aber nicht von ihr, daß sie wortlos einen Menschen von sich stoßen soll, von dem sie nur Güte und Anbetung erfahren hat. Dieser Mann ist ja schließlich auch der Vater ihrer Kinder.«

Wagner schlug ungeduldig mit der Hand auf den Tisch:

»Und ich bin nicht der Vater ihrer Kinder?«

Franzi wurde weiß wie die Wand.

»Was redest du da?«

»Was ich da rede? Du hast gesagt, du weißt alles. Da mußt du doch auch wissen, daß ich der Vater der zwei Jüngsten bin.«

Die beiden Männer stierten sich an, Wagner ein wenig ertappt, die unüberlegte Preisgabe des Geheimnisses bereuend, aber den Folgen unerschrocken in die Augen sehend. Franzi hingegen sah schweigend diesen Menschen an, den Geliebten seiner Tochter. Er konnte seine Gedanken nach dieser Enthüllung, die ihn wie ein Faustschlag traf, kaum zusammennehmen. Sie hatten also schon seit Jahren ein Verhältnis miteinander. Sie hatten es auch damals, als er sie darüber befragt hatte, und der Mann, der ihm jetzt mit kühnem Selbstbewußtsein gegenübersaß, hatte ihm seinerzeit mit dem aufrichtigsten Blick in die Augen geschaut.

»Warum hast du mich belogen, Richard«, sagte er endlich, seine Erregung niederkämpfend, still, »warum warst du nicht ehrlich zu mir?«

»Weil ich dir nicht wehtun wollte. Weil ich dich lieb habe. Weil ich geglaubt habe, daß das ewig ein Geheimnis bleiben könnte. Du wußtest die Ehe Cosimas glücklich und zufrieden. Es wäre eine Grausamkeit gewesen, diesen Glauben in dir zu töten. Wenn du jetzt alles weißt, so ist das nicht mein Fehler. Ich wollte dich damit verschonen, solange es ging.«

»Wenn du so sehr darauf achtest, was mir wehtut und was nicht, und wenn du dich Hans' Begeisterung gegenüber so verantwortlich fühlst, dann wäre es vielleicht das Einfachste gewesen, Cosima nicht zu verführen.«

»Verführen? Ich? Dieses Wort ist nicht am Platze. Hier kann von einer Verführung gar keine Rede sein. Cosima ist keine abenteuertolle, spießbürgerliche Frau. Sie ist eine große Seele. Außer ihr kenne ich keine ähnliche. Wir haben uns als zwei gleichwertige Seelen gefunden und haben uns aus freiem Entschluß heraus dem mächtigsten und schönsten Gefühl der Welt überlassen. Die Verantwortung tragen wir zu gleichen Teilen. Cosima hat nicht nötig, die Last der Verantwortung auf einen sogenannten Verführer abzuschieben. Sie hat gewußt, was sie tat.«

»Was willst du also?«

»Wort für Wort dasselbe, womit du begonnen hast: diese Situation so friedlich, als es irgend angeht, lösen.«

»Wenn ich aber richtig verstanden habe, jedenfalls so, daß die Verantwortung für diesen schweren Schritt bei Cosima bleibt, nicht wahr?«

Wagners Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Er ergriff Franzis Hand.

»Sprich nicht in diesem Tone mit mir, Franzi. Hab' doch ein Einsehen, daß ich nicht anders handeln kann. Ich habe Cosima tatsächlich nicht verführt, sie mich aber auch nicht, wir haben einander gefunden. Und ich kann mich jetzt wirklich nicht vor Hans mit der Forderung hinstellen, er möge das Feld räumen. Auch du warst doch in deinem Leben verliebt und warst selber schon oft übel dran. Liebe und verstehe uns.«

»Nein, nein, ich kann euch nicht verstehen. Wenn du der Vater dieser zwei Kinder bist und Hans weiß nichts davon, dann bedeutet das, daß Cosima zwei Männern zugleich angehört hat. Lange Jahre hindurch. Und das von meiner Tochter zu erfahren, ist für mich, als ob die Welt in mir zusammenstürzte. Cosima gegenüber empfinde ich einen tiefen und wehmütigen Zorn, das muß ich sagen.«

»Statt sie als unglücklich anzusehen und ihr zu vergeben? Franzi, du bist ein großer Künstler und ein großer Mensch. In diesem Punkt aber unterscheidest du dich kaum von irgendeinem beliebigen Schürzenjäger. Wenn eine andere Frau Gefühle hat, verstehst du das sofort, deine Tochter aber soll eine Heilige sein. Meinst du nicht auch, daß es einen größeren Egoismus auf dieser Welt überhaupt nicht gibt?«

»Ich wünsche nicht, daß sie eine Heilige sein soll, sondern eine Dame, die nie in eine gemeine und erniedrigende Situation geraten kann. Ihr aber seid jetzt in einer gemeinen und erniedrigenden Situation.«

»Mit deinen Augen gesehen. Mit unseren Augen gesehen, befinden wir uns in der erhabensten Lage. Weil wir uns lieben. So wie ein Mann und eine Frau sich noch nie geliebt haben. So, wie nur wir lieben können, sie und ich. Hör' mal zu, Franzi, ich will dir etwas sagen. Als Hans bei dir um die Hand Cosimas anhielt, sagte er, er habe sich in Cosima verliebt, weil er in ihr so sehr dich sah. Dasselbe fühlte auch ich. Auch ich habe dich lange so angebetet, daß man das nur mit Liebe vergleichen konnte. Mit diesem Gefühl war ich Cosima nähergekommen. Ebenso wie Hans. Aber was kann Hans und was kann ich? Er ist ein Zwerg dort, wo ich ein Riese bin. Er kann hingebungsvoll sein und zärtlich und was du sonst noch willst. Ein winselnder, schwacher, weicher Mensch. Ein Klavierspieler. Er ministriert dem Kirchenfürsten und schwingt begeistert die Glocke. Er ist ein seelensguter Mensch, aber kein Mann. Der Mann bin ich. In dem eine so große Liebe wohnt, von der dieser arme Elende gar keine Ahnung hat. Ich bin Cosimas würdig, und nicht er. Mein Schicksal ist Cosima, und mein Schicksal ist auch ihr Schicksal. Das ist so sicher, wie Gott im Himmel. Und das fegt alles andere weg. Wozu willst du spießbürgerliche Einzelheiten wissen? Du sprichst von einer unwürdigen Lage, du, der du, ohne verheiratet gewesen zu sein, Cosima das Leben gabst? Du warst im Recht, denn du hattest jene Frau geliebt und dich um nichts anderes gekümmert. Dann haben aber auch wir recht. Wir wollen glücklich sein, und wir werden es auch sein, und wenn Himmel und Erde einstürzen. Hilf uns lieber und quäle uns nicht.«

Dieser Mensch war nicht zu fassen. Daß er bis zum tiefsten Innern seines Herzens Cosima liebte, daran war kein Zweifel. Aber die mit dieser großen Liebe verbundenen Einzelprobleme wußte er so zu drehen und zu wenden, daß ihn keinerlei Verantwortung noch irgendeine Verpflichtung traf. Franzi sah ihn nur schweigend an, lange. Dann unterbrach er mit einem wehmütigen Lächeln die nach diesem großen Redeschwall eingetretene tiefe Stille:

»Du bist ein Egoist, Richard. Ein großer Egoist, wie es nur ein Genie sein kann.«

»Egoist? Ich Egoist?«

»Lassen wir das, es ist jetzt ja auch gar nicht die Rede davon. Du hast mir das Recht abgesprochen, von euch auf Grund der bürgerlichen Moral Rechenschaft zu fordern. Ich habe stürmisch gelebt, das ist wahr. Ich habe vieles getan, was ich nicht hätte tun sollen. Wenn ich auch schuldig bin, so bin ich doch Vater. Es gibt Dinge, über die ich nicht streiten mag. Cosima ist großjährig und kann tun, was sie will. Sie hängt nicht von mir ab. Auch dir kann ich nicht befehlen. Ob ich euch aber liebhabe, das wird euch beiden vielleicht doch nicht gleichgültig sein.«

»Nein, du gehörst zu unserem Glück, wie wir es uns vorgestellt haben.«

»Gut. Wenn ihr euch so liebt, dann beuge ich mein Haupt vor der Größe Eurer Gefühle. Nicht aber vor ihrer Form. Cosima und Hans beraten zur Zeit darüber, daß Cosima für sechs Monate irgendwohin zur Erholung fahren soll. Meine Bedingung ist, daß Cosima nicht hierher kommt. Sie soll zu ihrer Schwester, der Marquise Charnacé, fahren. In diesen sechs Monaten wird sich Hans an die Einsamkeit gewöhnen. Im Frühjahr wird es doch kein so harter Schlag mehr für ihn sein, die Wahrheit zu erfahren. Dann kann man ohne Skandal den Scheidungsprozeß betreiben, der Klatsch wird sich daran gewöhnen, daß Cosima nicht mit ihrem Manne lebt, aber auch nicht mit dir. Im Frühjahr suche ich dann Hans auf, um ihm zu sagen, was zu sagen ist. Wenn die ganze Angelegenheit so verläuft, bleibe ich euer liebender Vater. Kannst du mir das versprechen?«

»Das ist sehr schwer. Schau, Franzi, ich bin vierundfünfzig Jahre alt. Ich kann nicht mehr so mit Monaten um mich werfen. Wer weiß, wie lange ich noch lebe. Soll ich davon ein halbes Jahr ohne Cosima hingeben?«

»Du mußt es tun, Richard, ich sage es dir noch einmal, ihr könnt tun, was ihr wollt, wenn ihr aber einen Skandal heraufbeschwört, werdet ihr mich verlieren.«

Wagner versuchte zu verhandeln. Er wies darauf hin, daß der Skandal sowieso schon da sei. Franzi bestand aber auf seinem Willen. Es wurde spät abend, als Wagner sich endlich entschloß. Er gab Franzi die Hand. Der Vater sah ihm ernst in die Augen.

»Richard, ich habe dir bis jetzt alles gegeben. Ich habe mich mit meiner Musik bescheiden an die zweite, abwartende Stelle gestellt; statt meinen Kompositionen habe ich mit meiner ganzen Kraft deinen vorwärtsgeholfen. Ich habe dir aber noch mehr gegeben: du hast mir nicht nur einmal gesagt, was du in der Harmonielehre mir verdankst. Jetzt gebe ich dir auch noch meinen letzten Schatz, meine Tochter. Überlege dir das alles und halte mich in Ehren. Ich möchte mich für dich nicht schämen müssen. Haben wir einander verstanden?«

Wagner brach in Freudentränen aus und umarmte seinen zukünftigen Schwiegervater. Dann aßen sie eine Kleinigkeit und setzten sich ans Klavier. Auf dem Notenständer lag der letzte Akt der Partitur der »Meistersinger«, die Instrumentation war erst vor kurzem fertig geworden. Franzi spielte, mit einer bewunderungswürdigen Geläufigkeit las er die Melodie sämtlicher Instrumente zugleich ab, die vorgeschriebenen Tempi einhaltend, in den Klangfarben die kleinsten Schattierungen des Orchesters wahrend. Und der Komponist saß neben ihm und sang die Arien der Hauptpersonen. Das bunte Stimmengewirr des Nürnberger Volksfestes erklang am Klavier. Sieghaft schwingt die Liebe Walther Stolzings zu Eva über dem weisen Verzicht Hans Sachs.

»Ein unerhörtes Werk«, sagte Franzi, »das kann dir auf dieser Welt niemand nachmachen. Ich wiederhole, was ich einst in München schon gesagt habe: das reicht an Shakespeare heran.«

Es wurde tiefe Nacht. Er mußte zurück nach Luzern. Der Wagen wartete reisefertig auf ihn. Zum Abschied umarmten sie sich. Als sich der Wagen in der herbstlichen Pracht der mondglitzernden Nacht in Bewegung setzte, ballte der einsame Abbé die Faust. Er hatte das Gefühl, daß er selbst diesen großen Künstler verherrlichte, zu gleicher Zeit aber auch maßlos haßte.

In München wartete er, bis er mit Cosima allein war. Nur mit einem einzigen milden Wort machte er ihr den Vorwurf, daß sie sich selbst nicht hatte beherrschen können. Die Antwort wartete er gar nicht ab. Er erzählte genau, was er mit Wagner vereinbart hatte. Cosima begann sofort zu feilschen, genau wie ihr Geliebter. Der Vater aber bestand auf seinen Bedingungen hier ebenso wie in Triebschen. Und da der Vater die peinliche Aufgabe übernommen hatte, dem unglückseligen Gatten die Wahrheit mitzuteilen, versprach schließlich auch Cosima alles und versprach es dem Vater in die Hand. Alles andere klärten sie dann in der Anwesenheit des nichts ahnenden Hans: es wurde beschlossen, Cosima für sechs Monate nach Frankreich zu schicken. Am liebsten wäre er nun unverzüglich nach Rom zurückgeeilt, Hans aber bat ihn noch um eine Woche Aufschub. Also blieb er noch eine Woche lang. Er besuchte den Ministerpräsidenten, Fürst Chlodwig von Hohenlohe, den ältesten der drei Brüder, und unterhielt sich lange mit ihm über das innere Leben des päpstlichen Hofes und dessen Politik, über das erst kürzlich dem Herzog Konstantin, dem Schwiegersohn Carolynes, verliehene goldene Vlies und über das herrliche Palais des Kardinals Gustav in Tivoli. Dann verbrachte Franzi ein paar lustige Stunden im Atelier Kaulbachs und hörte sich den aufregenden Klatsch der bayrischen Hauptstadt an, daß die Verlobung des Königs Ludwig wieder gelöst worden sei. Zu Hause spielte der Großvater mit seinen Enkeln. In den beiden jüngsten erkannte er erschrocken die stark hervortretenden Züge Wagners, und bei dem Gedanken, daß Hans täglich in diese beiden kleinen Gesichter sah und so blind war, daß er nichts merkte, überlief ihn ein Schauer. Dann fuhr er ab. In Rom wartete er auf die Nachricht von Cosimas Abreise nach Frankreich. Diese Nachricht kam aber nicht. Statt dessen trafen bald von Cosima, bald von Wagner Briefe ein, die diese Verspätung mit großem Eifer erklärten. Und endlich stellte sich heraus, daß Cosima ihren Geliebten doch in Triebschen besucht hatte. Das schluckte er noch. Wenn sie sich so sehr liebten und sich vor dieser langen Trennung noch einmal verabschieden wollten, so war das noch verständlich.

Aber Cosima fuhr überhaupt nicht nach Frankreich. Einmal schob sie die Reise aus diesem, das andere Mal aus jenem Grunde hinaus. Dann schrieb sie eine lange Zeit gar nicht. Franzi kochte vor schmerzlichem Zorn, als er endlich einen Brief erhielt. Die bittere Wahrheit wurde erst jetzt offenbar. Hans hatte einen Brief erwischt, den Cosima an Wagner geschrieben hatte. Daraus erfuhr er alles. Es folgten furchtbare Tage. Hans wollte sich vergiften. Cosima aber faßte ihren Entschluß inmitten der entsetzlichsten Familienszenen, packte ihre notwendigsten Sachen zusammen und fuhr nach Triebschen. Sie zog in die Wohnung ihres Geliebten, um mit ihm zusammen zu leben, mochte kommen was wollte. Wie es einst ihre Mutter und ihr Vater getan hatten. Daraus wurde ein Skandal für ganz Europa. Und während die ganze Welt über den Skandal von Liszts Tochter sprach, dirigierte Hans in München die Uraufführung der »Meistersinger«. Mit selbstquälerischem Trotz, sich selbst verhöhnender Schadenfreude, halb irrsinnig.

Franzi setzte sich hin und schrieb seinen schwersten Brief. Er schrieb Wagner und Cosima, daß er sie nicht mehr kenne. Zur selben Zeit bereitete er die Drucklegung der »Elisabeth« vor und widmete das Werk König Ludwig von Bayern, dem großen Mäzen der netten Kunst. Und zu gleicher Zeit erhielt er aus Paris die Nachricht von Berlioz' Tod.


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