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Ludwig der Zweite.

Am siebenzehnten Juni 1886 wurde der Abgeordnetenkammer des Königreiches Bayern, die am drittletzten Maitag geschlossen worden war, das Patent vorgelegt, worin Prinz Luitpold erklärte, daß er die Regentschaft übernommen habe. Die Einsetzung eines Reichsverwesers war nöthig geworden, seit die zum Gutachten berufenen Psychiater festgestellt hatten, daß König Ludwig der Zweite an unheilbarer Geisteskrankheit leide und auch sein jüngerer Bruder Otto, der nächste Agnat, nie von der Psychose genesen könne, die seine Isolirung im Schloß Fürstenried erzwang. Seit zwei Jahren war, durch die Darstellung in dem Züricher Organ der deutschen Sozialdemokratie, die Kunde von Ludwigs Geisteskrankheit über den Bereich der Hofgerüchte hinausgedrungen. Lutz, der Ministerpräsident, den die Gnade des Königs acht Wochen vorher in den erblichen Freiherrnstand erhoben hat, zögert noch; kann nicht den Muth zu einem Entschluß finden, der dem trotz seiner Einsamkeit populären König die Macht nähme. Doch schon das erste Quartal des Jahres 1886 schafft eine Lage, aus der eine Zaudertaktik nicht mehr zu erlösen vermag. Die Kabinetskasse ist mit einer Schuldenlast von beinahe vierzehn Millionen Mark bebürdet und von ungeduldigen Gläubigern mit Klagen bedroht. Die Agnaten und andere verwandte Fürsten wollen nicht weiter helfen, weil sie wissen, daß jede nach München verliehene Summe in einen Abgrund rollt. Dem Landtag, an den Ludwigs Befehl die Minister weist, darf nicht ermöglicht werden, in dieses wüste Dunkel hineinzuleuchten. Auch wird, da von dem König kaum noch eine Unterschrift zu bekommen ist, die Fiktion geordneter Verwaltung und Regirung von Tag zu Tag unhaltbarer. Längeres Zögern, Lutz fühlt es, wäre ein Verbrechen im Amt. Im Juni werden vier Irrenärzte zum Gutachten berufen; ihr Spruch lautet: Unheilbare Paranoia. Am siebenten Juni fährt eine Kommission nach Hohenschwangau, um den König zu entmündigen und allen Hoheitrechten zu entkleiden. Die Wache des Schlosses Schwanstein ist (ein noch heute dem Rückblick unfaßbares Versehen) ohne Weisung aus München geblieben und versagt der Kommission den Gehorsam. Ludwig befiehlt, die Kömmlinge ins Burgverließ zu sperren, ihnen die Augen auszustechen, die Haut abzuziehen und sie in diesem Zustand verhungern zu lassen. Der Befehl klingt allzu schrill nach Wahnsinn und wird deshalb nicht ausgeführt. Nur deshalb; Offiziere der Wache haben der Kommission gesagt, daß sie dem Befehl, die münchener Männer zu erschießen, ohne Säumen gehorcht hätten. Nach einem unter Todesschauern verstöhnten Fasttag wird die Kommission durch eine Regirungdepesche befreit und reist ab. Am elften Juni wird Ludwig überrumpelt; am zwölften als Gefangener ins Schloß Berg gebracht; am dreizehnten will er sich im Starnberger See ertränken, erwürgt im Wasser den Obermedizinalrath Bernhard von Gudden, der den Selbstmord zu hindern trachtet, und verröchelt unter dem Seespiegel. Beide Häuser des Landtages billigen einstimmig die Reichsverweserschaft; und am achtundzwanzigsten Juni leistet Prinz-Regent Luitpold den Eid auf die Verfassung.

Zwei Zeugen. Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst: »Als ich anfangs Juni auf einige Tage in München war, erhielt ich Kenntniß von den Schritten, die man thun wollte, um den König der Regirung zu entsetzen und eine Regentschaft an Dessen Stelle treten zu lassen. Mit Gustav Castell (dem Grafen und alten Freund) sprach ich über den Plan, eine Kommission nach Hohenschwangau zu schicken, um dem König den Beschluß mitzutheilen. In Schillingsfürst erfuhr ich das negative Resultat. Montag früh, als ich im Begriff war, von Straßburg zum Rennen nach Weißenburg zu fahren, kam die Nachricht von dem entsetzlichen Ende des Königs und von dem Tode des Dr. Gudden. Ich konnte die Fahrt nicht aufschieben, fuhr also zu dem Fest und erhielt in Weißenburg die offizielle Bestätigung der Katastrophe. Abends um Neun bestieg ich den Zug nach München. Dort ging ich in die auf zwölf Uhr anberaumte Sitzung der Reichsräthe (Ersten Kammer) und wurde nun in die Kommission gewählt, die beauftragt war, die Thatsachen zu prüfen und sich über die Regentschaft auszusprechen. In der ersten Sitzung berichtete Minister Lutz über den Hergang, sagte, daß das Ministerium erst in diesem Frühjahr die Ueberzeugung von der Geisteskrankheit des Königs gewonnen habe, erklärte, warum man in der bekannten Weise vorgegangen sei, und las dann die Aktenstücke vor, die über den Zustand des Königs Auskunft gaben. Der Kabinetsrath Müller brachte einiges Neue: so den Wunsch des Königs, ein anderes Land zu finden, wo er ohne Kammer regiren könne, die düstere Gemüthsstimmung, den Lebensüberdruß des Königs und eine Reihe von Briefen, darunter solche, in denen er dem Kabinetsrath schwärmerische Freundschaftversicherungen macht. Der Bericht von Hornig gab Auskunft über die Manie des Königs, Leute zur Bastille zu verurtheilen, dann über die Aufträge, die er gab, durch Einbruch aus den Banken Geld zu nehmen, über Wuthausbrüche, Mißhandlungen der Diener, über die Aufträge, den Kronprinzen in Italien« (ein Schreib- oder Druckfehler ließ hier den Glauben entstehen, es handle sich um den Kronprinzen von Italien) »zu fangen, einzusperren, zu peinigen, dann über die Schlaflosigkeit und steten Kopfschmerzen des Königs. In ähnlicher Weise deponirte auch der Kammerdiener Wilker, der das Ceremoniell beschrieb, das die Diener beobachten mußten, die Einrichtung eines Burgverließes, die Abneigung des Königs gegen München, den Kultus Ludwigs des Vierzehnten und des Fünfzehnten. Er und der Kammerdiener Mayer sprachen von der Unreinlichkeit des Königs und Aehnlichem. Mayer erzählte, daß er ein Jahr lang nur in einer schwarzen Maske serviren durfte, weil der König, wie er sagte, sein Verbrecherantlitz nicht sehen wollte. Dann kamen die Gutachten der Irrenärzte, die Alle die Geisteskrankheit als unzweifelhaft feststehend bezeichneten. Die Aufregung in München war groß und allerlei abenteuerliche Gerüchte durchschwirrten die Stadt. Man sprach davon, daß der König umgebracht worden sei. Das wird sich legen, wenn die Dinge, die uns mitgetheilt worden sind, bekannt werden. Im Allgemeinen machte sich das Gefühl geltend, es sei gut, daß diese Regirung ihr Ende erreicht habe.« Graf Philipp zu Eulenburg-Hertefeld, damals Sekretär an der Preußischen Gesandtschaft in München, schrieb an seinen Freund Fritz von Farenheid-Beynuhnen: »Ich habe die unerhörten Aufregungen, die das Königsdrama mit sich brachte, gut ertragen. Es war von wunderbarem Interesse, diese unglaublichste aller Katastrophen der Neuzeit, gleichsam mithandelnd, zu erleben. Eingeweiht in die sich vorbereitende Staatsaktion, die den unglücklichen König entmündigen sollte, habe ich auch nachher die Ereignisse in Hohenschwangau miterlebt, wo der wahnsinnige König die Kommission, die ihm seine Absetzung verkünden sollte, zum Tode verurtheilte. Ich bin auch in der Nacht in Starnberg geweckt worden, als der König mit Dr. Gudden drüben in Berg tot im Wasser gefunden worden war. Niemals werde ich den Eindruck vergessen, als ich im Nebel des Morgengrauens mit meinem Fischer Jacob Ernst einsam über den See ruderte. Die Stille des Todes lag über Schloß und Berg und leichenblaß, wie erstarrt, keines Wortes mächtig, standen die Diener im Hof, auf den Gängen, als ich mit klopfendem Herzen zu dem Zimmer eilte, wo der ›mythusumsponnene‹ König, ein wahnsinniges Lächeln auf den verblaßten Lippen, die schwarzen Locken kühn um die weiße Stirn wallend, soeben tot auf sein Bett niedergelegt worden war. Auf meine entsetzten Fragen erhielt ich kaum eine Antwort. Ich mußte mir selbst zusammenreimen, was geschehen war. Da lag im Nebenzimmer Dr. Gudden tot; den Ausdruck düsterer Energie auf seinem Antlitz. Ich sah die Narbe auf seiner Stirn, die fürchterlichen Strangulationmarken an seinem breiten Hals. Er war von seinem König erwürgt worden, weil er ihn hindern wollte, sich selbst den Tod zu geben. Ich war der Erste, der im Tageslicht die Spuren des Kampfes am Seeufer untersuchte. Da sah ich jenen Abdruck der Schritte des Königs, so tief unter der Wasserfläche, daß nur ein Mensch, der sich gewaltsam hinunterdrückt, solche Spuren hinterlassen konnte. Niemals vermochte ein Fliehender, hier, an dieser der Mitte des Sees zugewandten Stelle, Spuren zu hinterlassen. Der Fliehende hätte rechts oder links das Ufer erreicht und ein sicherer Schwimmer, wie der König, keinen Eindruck tief unter der Oberfläche hinterlassen, wenn nicht die Absicht des Todes ihn beherrschte. Von der Stelle, wo deutlich die Spuren des Kampfes mit Dr. Gudden sichtbar waren, gingen die weiten, eilenden Schritte des Königs, senkrecht zur Uferlinie, in den Tod! Es trug diese Zeit in ihren gewaltsamen Eindrücken das Gepräge längst vergangener Epochen; man wähnte, der Neuzeit nicht mehr anzugehören, angesichts der Gewaltsamkeit der phantastischen Ereignisse.«

Der Arzt war zu beklagen; nicht der König. Dem ersparte der Tod den Schmerz und die Schmach der Entkrönung. Daß man ihn so lange regiren ließ, beweist, was an Höfen heute noch möglich ist. Maximilian hatte die Söhne streng erzogen; allzu streng. Er mag sich der maecenatischen Verschwendung seines Vaters, den die Brandung des Lola-Skandals und der Gischt der pariser Februarrevolution vom Thron geschwemmt hatten, erinnert, in den Knaben den Keim neuen Unheils geahnt und gehofft haben, ihn mit harter Hand aus dem Kindersinn jäten zu können. Die Prinzen durften sich nicht regen; sollten lernen, immer nur lernen und aus der Nüchternheit des Alltages nie den Blick in beglänztes Gewölk schweifen lassen. Das Taschengeld, das sie für den Wochengebrauch erhielten, betrug nach unserer Münzrechnung eine Mark. (Otto wollte sich einen gesunden Vorderzahn ausziehen lassen, weil ihm gesagt worden war, er werde dafür zehn Gulden bekommen.) Die Knauserpädagogik mußte unwirksam bleiben. Den Erwachsenden bot sich von allen Seiten Hilfe an und die durch Strenge früh Verbitterten schlürften jedes Schmeichelwort wie wonnig berauschenden Würztrank. Arbeiten, spricht der Vater, müßt Ihr, von früh bis spät in der Pflichtschule schwitzen; und dürft nie wähnen, der Befehlende könne sich frohem Genuß hingeben. Magisterweisheit, wisperts ringsum; Ihr seid Königssöhne, Königliche Hoheiten, von einem treuen Volk vergöttert und Alles wird, wie durch Zauberschlag, plötzlich anders, wenn Ludwig die Krone trägt und Otto als nächster Agnat neben dem Thron steht. Der Schüler Wilhelms von Dönniges war ein gewissenhafter, tüchtiger Regent (dem Pfordtens Sturz und das Wort »Ich will mit meinem Volk Frieden haben« freilich erst spät Liebe warb), doch ein kurzsichtiger Vater; und auch seiner preußischen Frau Marie scheint die Erziehergabe versagt gewesen zu sein. Ludwig war siebenzehn Jahre alt, als ihn Bismarck zum ersten (und letzten) Mal sah; er war bei den Mahlzeiten in Nymphenburg sein Nachbar und hat dreißig Jahre später darüber geschrieben: »Ich hatte den Eindruck, daß er mit seinen Gedanken nicht bei der Tafel war und sich nur ab und zu seiner Absicht erinnerte, mit mir eine Unterhaltung zu führen, die aus dem Gebiete der üblichen Hofgespräche nicht herausging. Gleichwohl glaubte ich, in Dem, was er sagte, eine begabte Lebhaftigkeit und einen von seiner Zukunft erfüllten Sinn zu erkennen. In den Pausen des Gespräches blickte er über seine Frau Mutter hinweg an die Decke und leerte ab und zu hastig sein Champagnerglas, dessen Füllung, wie ich annahm, auf mütterlichen Befehl, verlangsamt wurde, so daß der Prinz mehrmals sein leeres Glas rückwärts über seine Schulter hielt, wo es zögernd wieder gefüllt wurde. Er hat weder damals noch später die Mäßigkeit im Trinken überschritten; ich hatte jedoch das Gefühl, daß die Umgebung ihn langweile und er den von ihr unabhängigen Richtungen seiner Phantasie durch den Champagner zu Hilfe kam. Der Eindruck, den er mir machte, war ein sympathischer, obschon ich mir, mit einiger Verdrießlichkeit, sagen mußte, daß mein Bestreben, ihn als Tischnachbar angenehm zu unterhalten, unfruchtbar blieb.« Ein von niemals ebbender Phantasiefluth in Geisteswirbel gerissener Jüngling, der die seltene Gelegenheit, in edlem Wein die Rauschsucht zu stillen, gierig nützt und vom Alkohol den Dingen der Wirklichkeitwelt noch weiter entrückt wird als im Zustand erzwungener Nüchternheit. Ein Prinz, dem das Königsblut, das Blut Ludwigs des Ersten und des wittelsbachischen Phantasus, heiß in den Adern pocht: und der doch nichts zu erwirken vermag und in kargeres Leben gepfercht ist als irgendein Hochadelssproß. Ein ins gefährliche Alter der Pubertät Erwachsener, dem fromme Geschichtenträger die uralte Kirchenväterscheu vor dem Weib eingeträufelt und dessen Geschlechtswillen sie mit Zweifeln an seiner Mannbarkeit verängstet haben. Auch diesem Schwärmer wäre das Entgleiten in die Arme einer Lola Montez zuzutrauen. Drum muß er den natürlichen Geschlechtsdrang als ein unreines, befleckendes Gefühl hassen und seiner Mannheit mißtrauen lernen.

Der Achtzehnjährige soll auf eine Hochschule geschickt werden und Staatswissenschaften studiren. Da stirbt, am zehnten März 1864, sein Vater. Ludwig wird nicht Student: wird König. Das Staatsgeschäft langweilt ihn und wird lässig erledigt. Weiblicher Verführung trotzt der junge, schön blühende Monarch standhafter als der heiligste Asket. Die Vereinung zweier im Wesen verschiedenen Leiber dünkt ihn ein schmutziges, hehrer Menschheit unwürdiges Unterfangen, zu dem ein gnädiges, von Himmelshuld dem Genius gewährtes Schicksal ihm die Virilkraft versagt habe. Nur Mannesreiz lockt ihn; nur Männern fühlt sein ewig trunkener Sinn sich, in fast bräutlicher Willenlosigkeit, die seltsam von dem unbändigen Gottesgnadendünkel absticht, fürs Leben verbunden. Zunächst von Hirn zu Hirn nur. Was dem Ahnen die spanische Tänzerin gewesen war, wird dem Enkel der deutsche Musiker: der Brennpunkt des Willens zum Leben. Nie hat Ludwig den Münchenern verziehen, daß sie seinen Richard Wagner nicht nach Gebühr anerkannten und ihn, als den gehaßten Günstling, zwangen, die Hauptstadt zu verlassen. Zweimal wollte, nur deshalb, der König der Krone entsagen. Nur Wagners Beschwörung hielt ihn auf den Thron. Nur Wagners drängender Wunsch vermochte den Menschenscheuen zu bestimmen, aus der Bergeinsamkeit zu scheiden und sich den Franken zu zeigen (die seitdem seine treusten Anhänger blieben). Nur Wagner konnte die Berufung Hohenlohes ins Ministerium des Auswärtigen durchsetzen. Am dritten November 1866 schreibt Chlodwig in sein Tagebuch: »Ich kann mir nicht verhehlen, daß, nach allen Mittheilungen Holnsteins (des Grafen und Oberststallmeisters), der Wunsch des Königs, mich zum Minister zu haben, aus seiner Passion für Wagner hervorgeht. Er erinnert sich, daß ich einmal die Entfernung Wagners als etwas Unnöthiges bezeichnet habe, und hofft, daß ich ihm die Rückkehr Wagners ermöglichen werde. Ein Wagner-Ministerium zu bilden, dazu habe ich aber keine Lust, wenn ich auch die Rückkehr Wagners später für kein besonderes Unglück halten würde.« Ungefähr also die selbe Stimmung wie im November 1847, als das Lola-Ministerium (Beisler, Berks, Heres, Wallerstein) auf Ludwigs Befehl die Geschäfte übernahm. Nach dem Friedensschluß, der den Leib des alten Deutschlands zerrissen, Oesterreich aus dem Bund gedrängt, dem Preußenkönig zehn Quadratmeilen bayerischen Landes und dreißig Millionen Gulden bayerischen Geldes gebracht hatte, denkt Ludwig nur an Wagner; an den Mann und dessen Werk. Prinz Napoleon kommt nach München: der König will ihn nicht sehen; bleibt auf Schloß Berg. Der Ministerpräsident Hohenlohe kehrt aus Berlin zurück, will über das Erlebte, auch über ein wichtiges Gespräch mit dem Prinzen Napoleon Vortrag halten und erreicht endlich, daß ihm der König, »als Zeichen des allerhöchsten Vertrauens«, eine Audienz bewilligt. Ludwigs erste Frage ist, ob die Bouquets, die er aus Hohenschwangau dem Fürsten geschickt habe, gut angelangt seien; spricht dann, nachdem das Politische so schnell wie irgend möglich abgetan ist, von den Meistersingern und fragt, ob Wagner wirklich Frau Cosima von Bülow liebe. So gehts weiter. Die Verlobung mit Sophie von Bayern wird, nach einem kurzen Lenz künstlich genährten Glückswahnes, aufgehoben. Auch Wagner (der doch von Minna und Mathilde kam und zu Cosima ging) hat ja gesagt, daß, im tiefsten Seelengrund, alle Weiber langweilig seien; alle, wie Elsa von Brabant, verbotene oder unzeitgemäße Fragen stellen und, wie Sophie von Bayern, schläfrig blinzeln, wenn der Mann sich an ihrem wachen Geist zu laben wünscht. Was soll diesem Mondkönig, der die Tage durchschläft und in den Nächten sich seines Lebens Tag schafft, eine Frau sein, die immer eine hübsche Prinzessin bleibt, im verdunkelten, nur dem Brautpaar geöffneten Schauspielhaus nach dem vierten Akt der ungekürzten Dramen leise zu gähnen anfängt und den Schlaf noch nicht aus den Gliedern geschüttelt hat, wenn des Bräutigams Boten ihr duftende Blumen und Briefe als des neuen Glückstages ersten Gruß bringen? Verachte das Weib: wird die Losung. Die Günstlinge wechseln; und der Geschmack verwildert nun schnell.

 

Am sechzehnten Juli 1870 (seit vier Monaten sitzt Graf Bray dem Ministerium vor) befiehlt Ludwig die Mobilmachung des Bayernheeres gegen Frankreich; er hat dem Antrag Jörg, der das Königreich auf bewaffnete Neutralität beschränken will, die Zustimmung versagt und der pariser Regirung mitgetheilt, daß er sich nicht von den gemeinsam für deutsches Recht in den Kampf ziehenden deutschen Stämmen trennen werde. Am siebenundzwanzigsten Juli ist Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen in München. Ihm ist, als dem Führer der Dritten Armee, die Befehlsgewalt über die bayerischen Truppen anvertraut. Zwei Jahre zuvor, als er zu Umbertos Hochzeit über München nach Turin reiste, konnte ihm der König ausbiegen; der Residenz, trotz Hohenlohes »treugehorsamstem Rath«, trotzig fern bleiben. Jetzt, vor dem Krieg, der Deutschlands Völker gegen Fremdlingsanmaßung eint, kann ers nicht; darf er dem Preußen nicht die Ehre des Tages lassen. Hinter der Kürassierescorte fährt er mit Friedrich Wilhelm vom Bahnhof ins Schloß; und freut sich, daß die Hurrarufer vereinzelt bleiben. Im Hoftheater, wo die Beamtenschaft und die reiche Bourgeoisie zur Aufführung von »Wallensteins Lager« versammelt sind, regt das Nationalgefühl sich lauter; und als Kindermanns mächtige Stimme eine für diesen Festabend dem Reiterlied zugedichtete Strophe gesungen hat, durchbraust stürmende Begeisterung das Haus. Der Kronprinz (der im Taktgefühl nie ganz sicher war) steht auf, tritt dicht an die Logenbrüstung und neigt dreimal vor der klatschenden, jubelnden Menge das blonde Haupt. Der Enkel nürnberger Burggrafen, die stolzen Wittelsbachern stets Emporkömmlinge schienen, der Gast eines Königs, dessen Heer er ins Feld führen soll. Ludwig, der unbeachtet auf seinem Polsterstuhl blieb, hats ihm nie vergessen. Im ersten Lustrum seiner Regirung war die Wehrverfassung geändert und das Heer geschaffen worden, das sich neben dem Preußens auf die Walstatt wagen durfte. An seiner Spitze ins Reich Bonapartes zu reiten, hindern den König hundert hemmende Vorstellungen. Er müßte von früh bis spät unter Menschen sein, wäre im Hauptquartier nicht der Erste, könnte den Märchenprunk seiner Lebensgewohnheit nicht mit sich schleppen, wäre gezwungen, sich in fremdes Wesen zu schicken und die Gräuelbilder der Schlachtgefilde zu schauen; der Feldzug würde ihm, der die Kaiserin Eugenie (die einzige Frau, die niemals langweilig sein kann) fast so bewundert wie den Roi-Soleil und den Freund der Pompadour, zur Folterqual. Aus seiner Hand nimmt der blonde Hüne das Kriegswerkzeug; und läßt sich huldigen, als habe er selbst sich die Waffe geschmiedet. Eines schönes Helden Fassade; gesund, nüchtern, fröhlich, beliebt: ein Mann, der in seine Welt paßt. Während Ludwig im Kriegerkleid und Kopfschmuck eines Indianerhäuptlings den rauschsüchtigen Schwelgergeist an Coopers Mohikanerbuch ergötzte, hat Friedrich bei Königgraetz den Preußensieg beschleunigt; während Ludwig in Lohengrins Silberrüstung sich in den Gralsbereich träumt, wird Friedrich wie der erlösende Schwanenritter umjauchzt. Muß der Dunkle den Hellen nicht hassen, der zu sein scheint, was der König zu scheinen strebt? Friedrich schreibt in sein Tagebuch: »König Ludwig ist merkwürdig verändert, nervös in seinen Reden, wartet keine Antwort ab, fragt nach den entlegensten Dingen.« Ahnt aber nicht, welcher wahnwitzige Haß ihm in dieses Königs Herzen erwächst. Den hätte ein Taumelrausch der Freude gepackt, wenn ihm durch Orakels Macht enthüllt worden wäre, daß dieser Kronprinz als ein Sterbender nur, grau, fahl, stumm, mit kraftlosem Fuß auf den Thron steigen werde. Tausendmal hat er ihn in den Schwefelpfuhl der Hölle verwünscht und das Hirn an der Vorstellung all der Martern geweidet, die sein Befehl über Wilhelms Sohn verhängt habe. Er ist in Italien? (Ist, als Truppeninspecteur, im Bayernland; doch Ludwig liest keine Zeitung, läßt sein Traumleben durch keinen Widerhall der Wirklichkeit stören.) Die Gelegenheit ist günstig; kehrt uns so gut vielleicht niemals wieder. Dingt Banditen. Laßt ihn in eine Höhle sperren; ihm die Zähne, einen nach dem anderen, ausbrechen; ihn peitschen, enthäuten, entmannen, verhungern. Das Alles wird ernsthaft befohlen; und, Nacht vor Nacht, von allzu willigen Dienern berichtet, wie die Befehle ausgeführt und welche Verfallszeichen am Leib des Kronprinzen von den Höhlenwächtern bemerkt worden seien. Und der Mann, der diese Grausensposse erzwingt, ist von Gottes Gnaden König und höchster Gebieter in Bayern.

In seinem Namen, wird, im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, das Recht gesprochen; auf seinen Befehl müßte jeder Soldat gegen jeden Landsmann die Gewalt der Waffe anwenden. Ludwig kommt fast nur noch in die Residenz, um ins Theater zu gehen, sich an Schauspielen aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten oder an blutrünstigen Melodramen zu freuen. Der Zuschauerraum muß leer, die Königsloge verhängt bleiben; die Spieler selbst dürfen nicht sicher sein, daß hinter den Sammetvorhängen der König sitzt und durch den schmalen Spalt ihre Geberde erblickt, den Schall ihrer Rede ins Ohr läßt. Stunden lang müssen sie, ohne je das leiseste Echo zu wecken, mit dem letzten Aufgebot ihrer Kraft spielen; was just befohlen wird. Ein Räuspern würde, eines Athemzuges Geräusch dem König die Freude verleiden; gar der Schweißdunst eines speckigen Menschengesichtes risse ihn aus dem herrlichsten Romantikertraum. Schwarze Stille ringsum, die Wohlgeruch süß durchduftet; Hall und Bild schlüpfen, wie aus unermessenen Weltweiten, durch den Sammetschlitz. Ist die Majestät für diesmal gesättigt, dann bringt, im Morgengrau, ein Galawagen oder weißer, prächtig geschirrter Schlitten den Erschöpften in die Einsamkeit des Bergfriedens zurück, nach Berg oder auf die benachbarte Roseninsel, in den Linderhof oder nach Neuschwanstein. Da diese pomphaften Heimstätten sardanapalischer Laune nicht mehr genügen, läßt er auf Herrenchiemsee, mit ungeheurem Kostenaufwand, ein bayerisches Versailles nachpfuschen. Dort haust er; und gönnt nur den von Zufallsgunst oder sympathie de peau Empfohlenen das Glück seines Anblickes. Sängern und Schauspielern, Friseuren und Lakaien; schließlich beinahe nur noch den Bauernburschen aus den Regimentern der (unseren Dragonern ähnlichen) Chevauxlegers. Die sind seine Freunde, seiner Träume heldische Gefährten; werden mit feinster Essenz besprengt, mit Geschmeide behängt und, wie vom zärtlichsten Manne die holde Braut, im Herzen des Herzens gehegt. Aus seinem Handeln und Trachten grinst Wahnsinn das ruhige Auge an. (Daß Wagner ihn in dem hymnisch rasenden oder läppisch verfratzten Stil der Königsbriefe nicht gewittert habe, klingt uns unglaublich.) Weil der Starnbergersee nicht ganz abzusperren ist, läßt Ludwig auf einem Schloßdach, zwischen Glaswänden, einen See schaffen. In Lohengrins Rüstung steigt er, mit Schwert und Hifthorn, in einen Silbernachen, den ein Schwan durch die Kunstpfütze ziehen muß. Das Wasser ist ihm zu still: ein Mühlrad bringts in Bewegung; zu häßlich in seinem Aschgrau: Kupfervitriol ersetzt schnell die Himmelsbläue, deren Abglanz in der Nacht nicht zu erzaubern ist. Daß sich das Rädchen einmal zu rasch dreht, unter dem Wellenschlag der Kahn kentert, der König triefend ans Ufer klettert, daß der Zinkboden des Sees von dem Vitriol durchfressen wird und das Wasser in den Prachtsaal des Schlosses sickert, beweist nur, welche Mängel noch unserer Technik anhaften. Oder, wie schlecht selbst ein König bedient wird. Ludwigs Diener habens nicht gut. Sie müssen, um sich bemerkbar zu machen, nach hündischem Muster an der Thür kratzen und, wenn sie ihnen geöffnet ward, auf den Knien bis in den Handbereich des Gebieters rutschen. Der schlägt oder tritt sie, speit sie an oder schleudert schweres Geräth in ihr verlarvtes Menschenantlitz. (Am Tag der Gefangennahme wurden auf Schwanstein zweiunddreißig Diener gefunden, die vom König durch Mißhandlung verletzt worden waren.) Auch Kabinetssekretäre und noch höhere Beamte müssen am Thürpfosten scharren und dürfen dem Herrn niemals aufrecht nahen. Weh Jedem, der ihn auch nur unbewußt ärgert! Schnell ist ein Todesurtheil geschrieben, unterzeichnet, gesiegelt; und nie wird der König müde, bis ins Kleinste die besondere Art der Marterung zu bestimmen, die dem Vollzug der Todesstrafe vorangehen soll. Gil de Rais und der Marquis de Sade vermochten nicht gräßlichere Qual zu ersinnen. Deshalb wars fast ein Glück, daß Ludwigs Menschenscheu mit der Zahl seiner Jahre wuchs und er schließlich nur noch die Lieblinge in seinem Gesichtskreis duldete. Versenkbare Tische hoben dem Hungrigen aus der Tiefe des Anrichteraumes die Speisen herauf und kein Diener durfte der Mahlzeit zuschauen. Zu unentbehrlichem Dienst trugen die Leute Masken. Unvermeidliche Meldungen und Vorträge nahm der König hinter einem Vorhang entgegen; ließ sich nur sehen, wenn kein Ausweg sich aufthat. Schon 1874 mußte Hohenlohe die Herren der Deutschen Botschaft einzeln, Mann vor Mann, in das enge Türkische Kabinet führen, wo, neben dem Badezimmer, der König gefrühstückt und das er als Empfangsgemach bestimmt hatte; und da ihm im Trianon vom Grafen Holnstein zugegemuthet wurde, am nächsten Tag mit dem Botschaftpersonal zu speisen, erklärte er: »Dann bleibe ich lieber hier in Versailles und kehre nicht nach Paris zurück.«

Später, als die Bauwuth und der Hofpomp des Einsamen die Krondotation aufgezehrt und die Kabinetskasse mit einer Millionenschuld belastet haben, gesellt sich Tobsucht der Menschenscheu. Kein Geld, um eines Königs königlichen Traum zu möbliren? Nur ungetreue Diener, Wichte nur können so sprechen. Stadt und Land strozt ja von Schätzen; vermag des Königs Wille nicht, sie in seine Kammern zu winken? Große Banken sind entstanden, in deren Kellergewölben das Gold und Werthpapier sich zum Gebirg thürmt. Sie geben nichts heraus? Wagen die freche Ausrede, sie seien Verwalter nur, nicht Besitzer des reichen Hortes? So frevlen Spaß sollen sie büßen. Miethet Diebe, Einbrecher, Räuber, klaubt sie aus der Hefe der Großstädte, reiht sie zu Banden und zeigt ihnen den Weg zu den Geldschränken der widerspenstigen Kapitalsverwalter. Die Polizei wird sie aufhalten und, im Nothfall, die Garnison aus den Kasernen pochen? Unsinn! Heer und Schutzmannschaft gehorchen mir; und ich befehle, daß sie das nützliche Thun der im Allerhöchsten Dienst wirkenden Bande nicht hemmen. Die Minister werden Bedenken äußern? Ein Fußtritt scheucht sie weg; eine Regung der Königswimper ruft gehorsamere Männer ins Amt. Unterthänigste Vorstellungen werden, wie eines Hündchens lästiges Gebell, überhört oder mit rauhem Schimpfwort abgewehrt, submisseste Eingaben zerfetzt oder zu Knäueln geballt und in den Trichter des Abortes geworfen. Die Kammern wollen Dies und wollen Das nicht? Mein Wille ist ihres Lebens Gesetz; sie sterben, wenn sie sich ihm nicht beugen. Was unter des Königs weiser Regirung erworben ward, nur unter ihrem Schirm erworben werden konnte, gehört von Rechtes wegen dem König. Schafft es, betreßtes Gesinde, herbei! Zwingt die Reichsräthe und Abgeordneten, die Schuld des Monarchen zu tilgen, die Krondotation zu verdoppeln, die Schatulle des edelsten Wohlthäters im Bayernland zu füllen! Was? Ihr könnt nicht? Wollt nur nicht, Ihr räudigen Hunde! Gut. Dieses Land kann diesen König nicht nach seinem wahren Werth schätzen; war nie seiner würdig. Mag ein minder Sanftmüthiger einst es mit Skorpionen züchtigen, das dem mildesten Regenten des Lebens Nothdurft geweigert hat. In der Geldklemme erlischt das letzte Flämmchen reiner Vernunft. Ludwig will das ererbte Land verkaufen; an den Meistbietenden losschlagen. Was ist ihm Bayern, was Wittelsbachs Fürstenehre? Genießen will er, ohne Schranke herrschen und jedes Wunsches Fieber austoben, wie ihm beliebt. Ein Käufer? Ueber Nacht melden sich hundert, ist erst die Absicht, die Möglichkeit nur bekannt. So sicher ists, daß der König schon jetzt über den Kaufpreis verfügen mag. Nach der Schuldentilgung bleiben ihm noch Abermillionen. Professor Franz von Löher, Mitglied der Akademie und Direktor des Reichsarchivs, wird auf die Suche nach einem neuen Königreich geschickt, das Ludwig kaufen könne. Nach Kreta und Kypros, auf die Ionischen und die Kanarischen Inseln. Da giebt es kein unbotmäßiges Parlament, keinen Minister, der seinem Herrn Gewissensbedenken vorwinselt; da gleißt in ewigem Sonnengefunkel die Krone und der im Purpur oder Goldpanzer auf Gipfeln Träumende braucht seine Nacht nicht durch erkünsteltes Mondlicht zum bleichen Tag zu hellen. In geschäftiger Hast wird da, ohne zages Säumen, jeder Befehl ausgeführt, jedes Todesurtheil noch in der Stunde der Unterschrift vollzogen; trügt nicht schnödes Gaukelspiel den Träger göttlicher Gnade. Die Schatzkammern blinken von Gold, jede Königslaune lebt sich nach Willkür aus und statt des Würzweines dringt das Jammergeheul zerquälter Menschheit ins lechzende Blut.

Löher hat die Reise gemacht; und hat sie beschrieben. Den Krankentraum eines im Kern edlen deutschen Königs, den fromme Einfalt zu den Bereitern des Reiches zählt. Einen Traum, der, nach dieses Königs herrischem Willen, dicht vor der Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts in der Welt nüchterner Vernunft Wirklichkeit werden sollte.

Nie aber werden konnte; dem Bayernvolk und seinen Wittelsbachern zum Heil. Einundvierzig Lenze hatte Ludwig gesehen, als er die Macht verlor und das ihm dadurch entwerthete Leben, wie ein abgetragenes Gewand, von sich warf. Der selten gesäuberte, dem Licht und der Luft des Tages entzogene, zu reichlich gespeiste und getränkte Leib war gedunsen, die Umgangsform im steten Verkehr mit Rüpeln verplumpt, die einst so empfindliche Nase an Unraths Brodem gewöhnt; nur das Antlitz hatte, unter der gelblichen Fettschicht, die Spur alter, junger Schönheit bewahrt und das dunkel glänzende Auge blitzte und wetterte drüber hin wie von Blutnebel eingeschleierte Sonnengarben über eine verwüstete Landschaft. Das war der Mann nicht mehr, den, schlank und hoch, auf vollblütigem Roß, im Prunkwagen zwischen dem Troß glitzernder Hofdiener, zwischen Fackelträgern im üppig geschmückten Schlitten, die Bayern für eines Augenblickes Dauer erschaut hatten. Nur das Zerrbild noch ihres Märchenhelden. Doch der geliebte König; noch immer. Weil er sich nicht unter die Fuchtel der Priester duckte, für Kunst und Wissenschaft ein Herz zu haben, die Firnen und Thäler der Heimath zu lieben schien, Döllinger und Pfretzschner gegen die Wuth der Klerikalen geschützt und sein Ohr nicht dem Ruf Deutschlands getäubt hatte. Nur deshalb? Nein: weil er beinahe unsichtbar gewesen war und die Menge sein Sinnen und Wollen nicht ahnen konnte. Wäre er dem Rath Bismarcks, den noch aus Neuschwanstein das Flehen des schon vom Schwersten Bedrohten suchte, gefolgt, nach dem Rückzug der Kommission in die münchener Reichsrathskammer geeilt, hätte er vor dem Volk seine Verschwendersünde gebeichtet: er wäre unüberwindlich gewesen, unantastbar; hätte mit seines Ansehens Leuchtkraft den Oheim Luitpold besiegt. Zu solcher Leistung aber waren die zerrütteten Nerven nicht mehr zu straffen. Wenn sichs nur um die Schulden gehandelt hätte, um das vergeudete Geld! Doch auch alles Andere wäre ans Licht gekommen: Mißhandlungen, Raub- und Mordpläne, widrige Sexualien und der Wille zum Landesverrath. Alles, was die krankhaft ausschweifende Phantasie dem Tagebuch anvertraut hat. Ein noch glimmendes Fünklein mag den Irren vor diesem Wege gewarnt, ihm die Gewißheit ins Hirn gesandt haben, daß die mächtige Schaar seiner Feinde, wenns um ihr Leben ging, kein Wehrmittel scheuen würde. Lieber den Tod. Mit der Urkraft des Starken, ums letzte Heil Ringenden würgt er den Arzt, drosselt ihn, bis des Lebens Athem entwichen ist; und verröchelt unter dem Wasser. Das vermag er noch; weil er nicht ohne den Königsnimbus wandeln, nicht im Käfig verthieren will und weil unversiechte Leibesstärke in dieser Schicksalsstunde den Wunsch bedient. Die Sektion hat ergeben, daß Ludwigs Gehirn degeneriert, doch sein Körper in allen Hauptorganen gesund war. Stämmig lag der Tote unter der blauseidenen Decke und der Jasminstrauß, den Elisabeth von Oesterreich aus Possenhofen geschickt hatte, schien von der Brust eines siechen Riesen zu duften.

 

Wann ist der Geist des Bayernkönigs erkrankt? Ward ihm die Paranoia vererbt? Pelman schreibt: »Schon früh zeigte er sich excentrisch und leicht verletzlich; und die Erziehung war nicht dazu angethan, die krankhafte Veranlagung des Prinzen in gesunde Bahnen zu leiten. Wann seine eigentliche Geisteskrankheit angefangen hat, ist schwer zu bestimmen.« Kowalewskij: »Ludwig hatte Vorfahren mit zweifelloser Belastung des centralen Nervensystems. Er wurde durch die Erziehung nicht von seiner krankhaften Anlage abgelenkt. Auf die Gehirnnerven des Königs hat auch das Narkotikum der wagnerischen Musik gewirkt. Er hatte schon von der Natur das krankhaft träumerische und phantastische Wesen erhalten: Gaben, die seine glänzenden geistigen Fähigkeiten durch Phantasiegebilde erstickten. Der Verstand unterlag und die Geisteskrankheit entwickelte sich.« Wann? Das Gutachten der Psychiatiker Gudden, Grashey, Hagen, Hubrich spricht nur von einer schon lange währenden, seit vielen Jahren vernachlässigten Krankheit, die unheilbar geworden sei und in Blödsinn enden müsse. Ein von dem Zwanzigjährigen an Richard Wagner geschriebener Brief läßt ahnen, wie früh diesem Hirn die Hemmung geschwunden ist. »Erhabener, göttlicher Freund! Kaum kann ich den morgenden Tag erwarten; so sehne ich mich nach der zweiten Vorstellung (des ›Tristan‹) schon jetzt. Sie schrieben an Pfistermeister, Sie hofften, daß meine Liebe zu Ihrem Werk durch die in der Tat etwas mangelhafte Auffassung der Rolle des Kurwenal durch Mitterwurzer nicht nachlassen möge. Geliebter! Wie konnten Sie nur diesen Gedanken in sich aufkommen lassen? Ich bin ergriffen, begeistert, entbrenne in Sehnsucht nach wiederholter Aufführung. Dies wunderbare Werk, das uns Dein Geist erschuf! Wer dürft' es sehen, wer erkennen, ohne sich selig zu preisen? Das so herrlich, hold, erhaben mir die Seele mußte laben! Heil seinem Schöpfer! Anbetung ihm! Nicht wahr, mein theurer Freund, der Muth zu neuem Schaffen wird Sie nie verlassen? Im Namen Jener bitte ich Sie, nicht zu versagen, Jener, die Sie mit Wonne erfüllen, die sonst nur Gott verleiht. Sie und Gott! Bis in den Tod, bis hinüber nach jenem Reich der Weltennacht verbleibe ich Ihr treuer Ludwig.« Ein Hirnarzt, dem dieser Brief, als eines regirenden Königs, vorgelegt worden wäre, würde nicht zweifeln: Psychose. Von Wagner ist Ludwig nie ganz losgekommen (wie Nietzsche, der noch in der Zeit völliger Umnachtung manchmal den Namen des einst Vergotteten, dann zu den Komoedianten Gewiesenen flüsterte). Seltsam und für den Psychiater wichtig war auch Ludwigs, des Sadisten, Verhältnis zu Sacher-Masoch, dem er anonyme Briefe schrieb und den er nach Tirol lud. Ernste Hofleute behaupteten, Wagner habe Ludwigs Weiberhaß genährt, weil er fürchtete, eine Königin oder Geliebte werde ihm die Herrschaft über den König streitig machen. Hohenlohe schreibt am fünfzehnten April 1865 an die Königin Victoria von England: »Wir haben den liebenswürdigsten Monarchen, der mir noch je vor Augen gekommen ist. Er ist eine durchaus edle, poetische Natur. Dabei fehlt es ihm nicht an Verstand und Charakter. Ich hoffe, daß die Aufgaben, die ihm während seiner Regirung bevorstehen, nicht seine Kräfte übersteigen möchten.« Drei Jahre danach sagt er zu Stosch: »Der junge König zeigt die merkwürdigste Mischung von voller Unkenntniß des wirklichen Lebens mit einer sehr großen geistigen Befähigung.« Im Februar 1875 schreibt er an Bismarck: »Ich kann nach meiner Kenntniß der Individualität des Königs Ludwig nicht unbedingt bejahen, daß der König bewußter Weise das selbe Ziel mit uns verfolgt. Ich kann nur sagen, daß Seine Majestät klug genug ist, um die Gefahr zu ermessen, die ihm die klerikale Politik in Bayern bereiten könnte.« Dann, schon im Jahre 1875: »Die Führer der ultramontanen Partei sind übrigens, wie ich zu wissen glaube, mehrfach der Frage nähergetreten, ob nicht im gegebenen Augenblick der König durch den Prinzen Luitpold oder Ludwig am Steuer des Staates zu ersetzen sein würde. Vielleicht hat man dabei an das Recht des Papstes gedacht, das ihm die Befugniß einräumt, Fürsten zu entsetzen. Die Zurückhaltung, die der König, trotzdem manche Theile des ultramontanen Programmes ihm zusagen mögen, bisher dieser Partei gegenüber beobachtet hat, könnte den Gedanken nahlegen, daß jene Pläne dem König bekannt geworden sind. Immerhin lassen sich die Entschließungen des Königs nicht voraussehen.« Chlodwig, der sich, als mediatisirter Reichsfürst, nie dem König unterthan fühlte, hat ihn noch damals also für regirungfähig gehalten. Von Ludwigs deutschem Nationalgefühl aber niemals Rechtes gehofft. Im Reichstag warnt er die Parteigenossen, »die nationalen Sympathien des Königs für so kräftig zu halten, daß man sich darauf verlassen dürfe.« Und notirt vergnügt Roggenbachs Wort, einen König von Bayern, »der wegen Zahnschmerzen die Kaiserkrone anbiete«, werde man nie wieder finden. Was ist Wahrheit? Wittelsbach, Wettin und Hohenzollern: aus diesen Häusern kamen Ludwigs nächste Ahnen. Der Großvater ein schlauer, im Innersten von allen Pflichtfesseln gelöster Phantast, der Vater ein nüchtern gewissenhafter Regent; die Großmutter eine ernestinische Wettinerin, die Mutter eine hübsche Base Friedrich Wilhelms des Vierten, deren Phantasie gern über die enge Schranke des Geistes hinwegschweifte. Das Produkt dieser Blutmischung? Wer den Hünen in der Uniform des Vierten Regimentes der Chevauxlegers sah (und nicht auf den schwankenden Gang, den Hahnenschritt achtete), konnte ihn für den männlichsten Helden halten. Doch dieser an Körperkraft stärkste Mann Bayerns war im Königswillen lahm, unfähig zu ernstem Entschluß und im Nervenleben und Geschlechtsempfmden ganz weiblich. Eine hohe Seele und ein edles Genie? Vielleicht; sicher, wenn ers sein wollte, ein Charmeur. Daß sein Geist schon, als er den Thron bestieg, zerrüttet war, kann heute kaum noch bezweifelt werden. Danach wäre auch seine Verachtung der Volksgunst, seine Parteinahme für Döllinger und die kalte Gleichgiltigkeit zu beurtheilen, die er zeigte, als ihn, im Februar 1875, der Erzbischof von München in einem Hirtenbrief angegriffen hatte. Seine Mutter war, dem alten Kaiser zu Leid, katholisch geworden. Mag sie; der König, der Wagners Protestantismus als den liberaleren Glauben gefeiert hatte, dünkte sich hoch über so dumpfigen Thalstreit erhaben. Zu politischer Lebensart hatte er keinen Blutstropfen in den Adern. Als der nächste Morgen den Ausbruch des deutschen Krieges bringen konnte, fuhr Ludwig zu Wagner in die Schweiz; während der Deutsche Bund zerriß, bebrütete der König Sempers Baupläne. Und in seinen Briefen steht kein staatsmännisches Wort.

 

Prinz Luitpold hats schwer gehabt. Ihm wurde zugetraut, daß er die Entthronung des Neffen gewünscht und erlistet habe, der dem Volk der schöne, einsame, von Priestern und Schranzen bedrängte Idealist, der hehre Verächter des Hofgetriebes, der Förderer schaubarer Künste geblieben war. Der Regent wurde gehaßt (wie Georg von Sachsen, weil er der Kronprinzessin Luise, die auch als Pfaffenopfer galt, die Thür gesperrt hatte) und durfte sich nicht in alle Provinzen Bayerns wagen. Schon in der Kriegszeit war er als Erzklerikaler verschrien, undeutscher Gesinnung bezichtigt worden und wurde in Versailles, als Preußenfeind, scheel angesehen. Gebietszuwachs, eigene Armee und Post, völkerrechtliche Sondervertretung und Kontrole der berliner internationalen Politik: Bismarck war in heller Wuth. (Allen Fürsten so gram, daß er an seine Johanna schrieb: »Wenn man zu lange Minister ist und dabei, nach Gottes Fügung, Erfolge hat, so fühlt man deutlich, wie der kalte Sumpf von Mißgunst und Haß Einem allmählich höher und höher, bis ans Herz, steigt; man gewinnt keine neuen Freunde, die alten sterben oder treten in verstimmter Bescheidenheit zurück und die Kälte von oben wächst, wie Das die Naturgeschichte der Fürsten, auch der besten, so mit sich bringt; alle Zuneigungen aber bedürfen der Gegenseitigkeit, wenn sie dauern sollen.«) Er hielt Luitpold für den Vater der Forderung, das deutsche Kaiserthum zwischen den Häusern Wittelsbach und Hohenzollern erblich alterniren zu lassen. Die Mehrheit der Norddeutschen sah in dem Prinzen den schwärzesten Feind und selbst Hohenlohe rieth dem Grafen Berchem, »sich ganz auf dem blauweißen Standpunkt zu halten, schon wegen der Stellung zum Prinzen Luitpold.« Der Oheim Rheinbündler und Partikularist, der Neffe deutscher Patriot ohne Eigennutz: so war die Meinung. Und doch hatte Ludwig schon nach Königgraetz an Wagner geschrieben: »Wenn wir unter Preußens Hegemonie zu stehen kommen, dann fort! Ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein!« Gegen Preußen hatten ihn der Großohm Karl und die Bayerin Elisabeth, Franz Josephs Frau, gestimmt. Vom Franzosenkrieg, zu dem Pfordtens Wort ihn schon in Nikolsburg verpflichtet hatte, erhoffte er eine beträchtliche Gebietserweiterung und das Recht auf die Kaiserwürde, die, wenn das Alternat angenommen war, den Wittelsbachern, als der »vornehmsten Dynastie«, vor den Hohenzollern zufallen mußte. Luitpold hat alle Vorurtheile entkräftet. Lange zwar hatte er geglaubt, Oesterreich werde, nur Oesterreich könne die deutschen Stämme einen. Doch der alternde Herr hat sich schnell in den neuen Zustand geschickt. Der Sohn Ludwigs des Ersten, der Preußens Luise besang, ist kein Preußenfeind geworden; auch der Herrschaft des Klerus nicht hörig. Grandseigneur und doch einfach; im äußeren Habitus lange so ärmlich, daß münchener Witz ihn als den Wurzelsepp bespöttelte. Gebildet und klug (die Legende, die ihn beschränkt nannte, hat gelogen) und doch von schlichter, freundlicher Herzensart. Ein bescheidener Mann, der sich niemals in den Blickpunkt vordrängt, der Hofprunk und Ceremoniale als Last empfindet und zu schweigen versteht. Ein deutscher Fürst und treuer Regent. Daß er in der Schicksalsstunde des Jahres 1886 den Muth zum gefährlichsten Entschluß fand, muß Bayern ihm danken. Und hats, nach einem Vierteljahrhundert der Reichsverweserschaft, dem leisen Greis laut gedankt. Luitpold wird wie ein uralter Vater geliebt; und Ludwig ist nur noch eines irren Märchenkönigs durch Klüfte spukender Schatten.

Bismarck, der mit sich selbst und mit seiner wechselnden Vision zu leidenschaftlich beschäftigt war, um die Menschen nüchternen Auges wägen zu können, hat auch Diesen verkannt. Ludwig von Bayern schien ihm »ein geschäftlich klarer Regent von national deutscher Gesinnung, wenn auch mit vorwiegender Sorge für die Erhaltung des föderativen Prinzips der Reichsverfassung.« Schien ihm manchmal wohl gar zuverlässiger als Friedrich von Baden. Wir wissen heute, daß er geirrt hat. Im Kriegsjahr hatte sich ihm die Möglichkeit geboten, in Preußens, in Alldeutschlands Interesse dem Bayernkönig einen Dienst von kaum überschätzbarer Tragweite zu leisten. Seitdem nannte Ludwig, der die eigenen Minister oft wie Lakaien oder Hunde behandelte, sich in Briefen seinen »aufrichtigen Freund«, überhäufte ihn, wenn der Kanzler zur Kur nach Kissingen kam, mit Huldbeweisen und war jedem Wunsch des Großen willfährig. (Das, dachte er, ärgert den Kronprinzen, der Bismarcks Feind ist und der nach dem Einzug der Truppen im Gespräch mit bayerischen Offizieren die Absicht angedeutet hat, die Reichseinheit, allem Gezeter blinder Partikularisten zum Trotz, noch im ersten Jahrzehnt fester zu kitten.) Der Kanzler war von Fürstengunst nicht verwöhnt, nicht unempfänglich für immer erneute Zeichen königlicher Anerkennung; er sah in Ludwigs persönlicher Anhänglichkeit ein Gut von höchstem politischen Werth und hatte die Schwierigkeit, die Bayerns Schwanken und Irrlichteliren ihm in den Tagen der versailler Entscheidung schuf, schnell, wie alles ohne Gemüthsverbitterung Abgethane, vergessen. Ludwigs Forderung, das deutsche Kaiserthum solle zwischen den Häusern Wittelsbach und Hohenzollern erblich alterniren, fand er »außerhalb des Gebietes politischer Möglichkeit liegend «. Konnte aber nicht wissen, daß der König schon eine goldene Staatskarrosse bestellt hatte, die ihn zum Fest der Kaiserkrönung tragen sollte; nicht errathen, daß dieses Königs Hirn längst ins unheilbar Krankende entartet war.

Heute noch den armen Ludwig als Romantiker, Idealisten, Schirmherrn deutscher Freiheit und Reichseinheit zu rühmen, ist unklug; unklüger, der motorischen Kraft nachzuforschen, die ihn trieb, dem Zollern den Kaisertitel anzubieten. Politik? Fast noch langweiliger als die Weiber. Er wollte sich, sein Königsrecht auf jeden Bezirk der Genüsse; und durfte sich, in dem vom Dünkelgesträhn dem Blick verhüllten Bewußtsein reizbarer Schwachheit, keinen Starken verfeinden: den Kanzler nicht noch die in der Münzstätte des Liberalismus hergestellte Oeffentliche Meinung. Vertragsbruch und Kampf um den Kaiserrang? Ein Lächeln entrunzelt die Stirn. Und der Kranke kriecht ins warme Glasgehäus seines Traumes.


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