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Franz Joseph.

Kaiser Ferdinand von Oesterreich hat Metternichs Sturz nur um ein Halbjahr überlebt. Nach der wiener Mairevolte war er nach Innsbruck, nach dem Oktoberaufstand, dessen Opfer der Kriegsminister Latour wurde, aus der unterwühlten Hauptstadt ins stille Olmütz geflohen. Radetzkys Sieg bei Custozza, der dem Kaiserreich die Lombardei zurückgewann, hatte den gutmüthigen Schwächling ermuthigt, aus Tirol, nach dreimonatiger Abwesenheit, in die Hofburg heimzukehren. Bald aber häuften sich wieder die Hiobsposten. Windisch-Graetz hatte in Prag mit Schwert und Feuer die Fügung in alte Ordnung erzwungen; doch in der Asche, den rauchenden Trümmern glomm der Funke fort und über Slavenrümpfe reckten gekrampfie Finger sich zum Racheschwur himmelan. In Ungarn hatten Zrinyis Enkel sich, die gedrückten Kroaten, unter ihrem Banus Jellacic gegen den Uebermuth der Magyaren erhoben; der Erzherzog Palatinus Stephan war aus dem Land gescheucht, der vom wiener Hof aufgelöste Reichstag versammelt geblieben und Ludwig Kossuth herrschte, als Präsident des Landesvertheidigungausschusses, wie ein König hinter der Leitha. Kaum hatten die Truppen, die Jellacic, zur Stärkung seiner Macht, nach Ungarn rief, Wien verlassen: da prasselte das Feuer wieder auf; und war nun nicht so rasch wie im März noch zu löschen. Der Reichsrath, der als Constituante gedacht war, wurde vertagt und für die Novembermitte nach Kremsier berufen. Windisch-Graetz sollte wieder helfen; zuerst Wien, dann Budapest mit dem Schwert beruhigen. Fürst Felix Schwarzenberg bildete, mit Stadion und Bach, ein neues Ministerium (in das später auch Schmerling eintrat). Trotz allem Mühen wollte aber nicht Ruhe werden. Schon weissagte Mancher leis den Zerfall des Habsburgerreiches. Da hatte ein Weib den Muth zu schwerem Entschluß. Friderike Dorothea Sophie, die dem Erzherzog Franz Karl von Oesterreich vermählte Tochter des ersten Bayernkönigs Maximilian Joseph, hatte erkannt, daß weder der schwachsinnige Kaiser Ferdinand noch, als der nächste Agnat, ihr braver Mann fähig sei, Oesterreich aus der Wirrniß zu retten. Die kluge, starke und ehrgeizige Frau hat mit der Stachelpeitsche ihres Wortes beide Männer zur Abdankung getrieben und ihrem ältesten Sohn, dem achtzehnjährigen Franz Joseph, am zweiten Dezember 1848 die Krone gesichert. Aus Olmütz schrieb Graf Prokesch von Osten, der in Athen Oesterreichs Gesandter gewesen war, am dritten März 1849 an seine Frau: »Die Erinnerung an die Haltung der Kaiserin (Anna) in den Tagen des gewaltigen Entschlusses umgiebt sie mit der Glorie einer Heiligen. Sie trat fest für die Abdankung auf, ›Der Kaiser hat Schmach erlitten, er kann nicht mehr Kaiser bleiben‹: dieses Thema focht sie aus und hatte dabei die vornehmste Haltung, eine kaiserliche Würde, eine strahlende Schönheit. Die viel verkannte Erzherzogin Sophie mit ihrem gehobenen Herzen und sicheren Verstand führte den Thronwechsel durch. Die Monarchie ist ihr großen Dank schuldig. Sie weicht von ihrer heutigen Stellung neben ihrem Sohn nicht; und sie hat vollkommen Recht darin. Unter den ordentlichen Leuten ist nur eine Stimme über sie. Alles achtet ihren Verstand, ihren Charakter und Muth. Der Banus {Jellacic) hat wirklich großartige Momente gehabt. Sein größter war vielleicht der, als er, mit Ehren und Lob überhäuft, Innsbruck verließ und zwei Tage darauf in den Zeitungen seine Erklärung zum Hochverräther las, die dem Kaiser (Ferdinand) abgerungen worden war.« Das war einmal. Ueber den neuen Hof schreibt Prokesch: »Ich wartete dem Kaiser auf und wurde zur Tafel geladen. Bei Tisch machte die Erzherzogin Sophie die Honneurs. Der Kaiser sitzt zwischen Vater und Mutter (Franz Karl und Sophie), neben Dieser Fürst Felix (Schwarzenberg); die jüngeren Erzherzoge sitzen nach. Die ganze Haltung ist militärisch, aber ohne Zwang. Das Fünftel- und Tinterlwesen der Höfe ist weggeblasen und die Würde und die Kraft ist in den Ernst der ganzen Haltung gelegt. Ich bin überzeugt, daß dieser Hof auf Jedermann einen Zauber ausübt. Alles jung, Alles ernst; die Bedeutung der Zeit in jedem Angesicht. Keine kalten Formphrasen; lebendiges, vertrauendes Wort und alle Dinge ohne Furcht beim Namen genannt. So schwer auch unsere Lage ist: ich hoffe das Beste. Der Glaube an das neue Oesterreich muß außen erst festgestellt werden. Oben ist es hell; aber der Zopf ist noch in allen Bureaux. Ein neues Geschlecht muß heranwachsen.« Drei Jahre danach (Preußens Schwachheit hatte dem jungen Franz Joseph in Olmütz seitdem fröhlichere Tage bereitet; die in Kremsier bewilligte Verfassung war aufgehoben, Ungarn durch russische Hilfe gebändigt, Felix Schwarzenberg gestorben und durch Buol ersetzt) sah den Kaiser der Mann, der im frankfurter Bundestag Prokeschs stärkster und rücksichtlosester Gegner werden sollte. Im Mai 1852 ließ Friedrich Wilhelm Herrn von Bismarck aus Frankfurt nach Potsdam kommen und sagte ihm huldvoll, er sei bestimmt, in Wien, auf der Hohen Schule der Diplomatie, wo er zu nützlicher Fortsetzung seiner Studien die beste Gelegenheit finde, fortan Preußen zu vertreten. In dem (vom König selbst geschriebenen) Einführungbrief stehen die Sätze: »Herr von Bismarck-Schönhausen gehört einem Rittergeschlecht an, welches, länger als mein Haus in unseren Marken seßhaft, von je her und besonders in ihm seine alten Tugenden bewährt hat. Die Erhaltung und Stärkung der erfreulichen Zustände unseres platten Landes verdanken wir seinem furchtlosen und energischen Mühen in den bösen Tagen der jüngst verflossenen Jahre. Es ist mir ein befriedigender Gedanke, daß Eure Majestät einen Mann kennen lernen, der bei uns im Lande wegen seines ritterlich-freien Gehorsams und seiner Unversöhnlichkeit gegen die Revolution bis in ihre Wurzeln hinein von Vielen verehrt, von Manchen gehaßt wird. Er ist mein Freund und treuer Diener und kommt mit dem frischen, lebendigen, sympathischen Eindruck meiner Grundsätze, meiner Handlungweise, meines Willens und (ich setze hinzu) meiner Liebe zu Oesterreich und zu Eurer Majestät nach Wien. Herr von Bismarck kommt aus Frankfurt, wo Das, was die rheinbundschwangeren Mittelstaaten mit Entzücken die Differenzen Oesterreichs und Preußens nennen, jeder Zeit seinen stärksten Widerhall und oft seine Quelle gehabt hat, und er hat diese Dinge und das Treiben daselbst mit scharfem und richtigem Blick betrachtet. Ich habe ihm befohlen, jede darauf gerichtete Frage Eurer Majestät und Ihrer Minister so zu beantworten, als hätte ich sie selbst an ihn gerichtet.« Bismarck fand in Wien das »einsilbige« Ministerium Buol-Bach-Bruck; erst in Budapest den Kaiser. Am dreiundzwanzigsten Juniabend schrieb er an die Frau: »Ich habe heute viel Uniform getragen, in feierlicher Audienz dem jungen Herrscher dieses Landes meine Kreditive überreicht und einen sehr wohlthuenden Eindruck von ihm erhalten. Zwanzigjähriges Feuer, mit besonnener Ruhe gepaart. Er kann sehr gewinnend sein: Das habe ich gesehen. Ob er es immer will, weiß ich nicht; er hat es auch nicht nöthig. Jedenfalls ist er für dieses Land gerade, was es braucht; und mehr als Das für die Ruhe der Nachbarn, wenn ihm Gott nicht ein friedliebend Herz giebt.« Zwei Tage danach an Leopold von Gerlach: »Der junge Herrscher dieses Landes hat mir einen sehr angenehmen Eindruck gemacht: zwanzigjähriges Feuer, mit der Würde und Besonnenheit reifen Alters gepaart; ein schönes Auge, besonders, wenn er lebhaft wird, und ein gewinnender Ausdruck von Offenheit, namentlich beim Lächeln. Wenn er nicht Kaiser wäre, würde ich ihn für seine Jahre etwas zu ernst finden. Die Ungarn sind begeistert von dem nationalen Accent, mit dem er ihre Sprache redet, und von der Eleganz, mit der er reitet.« In Stuttgart versucht später König Wilhelm der Erste von Württemberg, den Preußen gegen Franz Joseph einzunehmen. »Der König ließ mich gleich nach meiner Ankunft rufen. Er war sehr bitter gegen Oesterreich. Er hält nicht nur Buol, sondern auch den jungen Kaiser für einen Mann von sehr engem Gesichtskreis, dessen Erziehung durch Bombelles eine jesuitisch oberflächliche gewesen sei; er habe unglaublich wenig gelernt und der Mangel an positivem Wissen mache ihn von fremdem Urtheil abhängig. Er habe sich früher niemals rechtschaffen ausgetobt und seit seiner Verheirathung (mit der Prinzessin Elisabeth von Bayern) lebe er nur dem Vergnügen und scheue die Geschäfte. Aber wenn er bei Alledem nur ein Mann von einigen Geistesgaben wäre, so könnte Buol immerhin nicht so verkehrt mit Oesterreich wirthschaften, wie er es jetzt thue. Dabei sei der Dienstherr von Bach und Bruck so wenig wahrheitliebend, daß sein Nachbar in Bayern, der lange von ihm dupirt worden sei, jetzt erklärt habe, er werde ihm nie wieder ein Wort glauben. Der König sagte, mit Oesterreich sei nur zu verkehren, wenn es im Unglück stecke; im Glück sei es treulos. Das Unglück werde nicht ausbleiben: und dann werde Deutschland einig sein; eher nicht.« Dieses boshafte Urtheil des gekrönten Herrn Bruders und Vetters hat in Bismarcks majestätischem Menschenverstand nicht lange nachgewirkt. Der Greis gedachte des Kaisers, gegen den er Krieg geführt hatte, in freundlichster Ehrerbietung und sagte, wenn er der Genesis seines Reiches nachgesonnen hatte, manchmal, Sophie habe, als sie ihrem Aeltesten so früh auf den Thron half, Oesterreichs Großmachtleben gerettet.

Die drei Koburger, die in Europa laut damals de omni re scibili et quibusdam aliis mitredeten, waren im Urtheil über den jungen Kaiser nicht einig. Ernst von Sachsen-Koburg und Gotha, der nach Volksgunst lüsterne Schützenherzog, rühmte Franz Josephs edlen Körperbau und graziöse Bewegungen, seinen Takt und sein Talent für Militärwissenschaft und Sprachen und nannte ihn einen vielversprechenden Mann. »Entschieden liegt in ihm ein organisatorisches Talent, das durch eine rasche Auffassungsgabe und ein ungewöhnliches Gedächtniß sehr gefördert wird. Hätte der junge Herr einen reichhaltigeren Verkehr gehabt und wäre ihm gestattet worden, im übrigen Ausland und besonders in Deutschland mit eigenen Augen zu sehen und sich zu unterrichten, er würde schon jetzt, bei seinen Anlagen, bedeutender hervortreten. Ich war erstaunt über die Präzision und Sachkenntniß, mit der er jeden Gegenstand bewältigt. Er spricht wenig, aber gut. In allen ritterlichen Uebungen ist er Meister und sticht auffallend von allen übrigen Erzherzogen ab. Eine leidenschaftlose und ruhige Betrachtung der Dinge scheint sich in ihm mit Entschiedenheit und Festigkeit in der Ausführung zu verbinden. So frisch und frei er aber in die Diskussion einzutreten pflegte, so bestimmt schien er sich gewisse Grenzen gesetzt zu haben, über die hinaus er persönlich nicht leicht gehen mochte. In Bezug auf alle Details pflegt er auf die Minister zu verweisen. Ich bestärkte mich im Verkehr mit ihm immer mehr in der Ueberzeugung, daß er ein hervorragendes Regententalent besitze und eine große Bedeutung für den alten Habsburgerstaat erlangen werde.« Leopold, der erste Belgierkönig, schrieb an seine Nichte Victoria: »Den jungen Kaiser habe ich gern. Wenn es die Umstände gestatten, zeigt er eine liebenswürdige Heiterkeit und der warme Blick seiner blauen Augen zeugt von Gemüth und von Muth. Er ist schlank, graziös und hat sehr gute Manieren; gleich weit von linkischer Schüchternheit wie von großspurigem Wesen. Er ist einfach und braucht nicht auf seine Autorität zu pochen, um Alle im Zaum zu halten. Man merkt sofort, daß er der Herr ist und die Herrschergabe hat, die sich nicht erlernen oder erkünsteln läßt. Er kann sicher, wo es nöthig ist, streng sein und aus seiner ganzen Art, sich zu geben, spricht furchtlose Tapferkeit.« Unfreundlicher urtheilt Ernsts Bruder Albert, der Prinz-Gemahl. »Viel kann man ja nicht von einem Herrn erwarten, den die Jesuiten erzogen haben. Die halten die Menschennatur edler Gefühle und Gedanken nicht für fähig, setzen immer die unlautersten Motive voraus und sehen in ihren Mitmenschen nur das Schlechte.« Der gassenläufige Jesuitenhaß, der von Wesen und Zweck des Weltordens nichts ahnt und nichts ahnen will, hat dieses Urtheil diktirt. »Ueber den Kaiser von Oesterreich und dessen Politik sprach er überaus ungünstig«: schreibt, nach einem Tischgespräch mit dem Prinzen Albert, Chlodwig Hohenlohe in sein Tagebuch. Und lernt selbst, der ewig Blinde, ewig Unwahrhaftige, Franz Joseph nie richtig sehen. Nach dem Galadiner zu Ehren des preußischen Generals von Werder, der die Thronbesteigung Wilhelms des Ersten in der Hofburg notifizirt hat, spricht der Kaiser ein paar Minuten mit dem Schillingsfürsten. Der geht heim und notirt: »Bei der freundlichen und natürlichen Art des Kaisers, zu sprechen, bedauerte ich innerlich, daß er diese Gabe seinen Unterthanen gegenüber so wenig zu brauchen versteht. Es ist ihm nicht möglich, sich durch herablassendes Wesen populär zu machen, was bei einem kindlichen Volk, wie die Oesterreicher sind, von großer Bedeutung wäre. Beim Bürgerball erschien der Hof gerade, als wir ankamen. Der Empfang war lautlos. Man merkte im Publikum die absichtliche Gleichgiltigkeit und eine Art Unzufriedenheit. Der Kaiser blieb lange da, stand aber immer oben auf der Galerie und sprach mit dem Bürgermeister, statt im Saal herumzugehen und mit den Bürgern zu reden, wie König Ludwig und König Max (von Bayern) es, zu ihrem großen Vortheil, thun.« Ein Jahr später in Frankfurt, wo Franz Joseph dem Fürstentag präsidiren soll: »Um Sechs kam der Kaiser in einer offenen zweisitzigen Kalesche. Da man geglaubt hatte, er werde mit großem Gefolge, mit acht Pferden kommen, so erkannte ihn Niemand und er fuhr ohne Hurra vorbei. Nur Frau von Bethmann auf unserem Balkon warf einige Bouquets hinunter, die aber, glücklicher Weise für den Kaiser, nicht in den Wagen fielen.« Immer der leise Wunsch, beweisen zu können, daß Franz Joseph sein Regentengeschäft nicht verstehe und dem Volk ein gleichgiltiger, unfreundlich betrachteter Fremdling sei. Bis zu der Stunde, da er, in Ischl, aus des Kaisers Mund über Bismarck das Urtheil hört: »Es ist traurig, wie ein solcher Mann so tief sinken kann«; und über Caprivi: »Gott gebe, daß dieser Mann noch lange auf seinem Posten bleibe!« Urtheile, die als Ausdruck habsburgischer Hoffnung leicht begreiflich sind.

 

»Generös ist er«: dieses Wort Juliens von Benedek sagt über den Kaiser nicht so viel wie die Lobreden der Vettern und Diener; sagt vielleicht aber mehr. Das Verhältniß zu Ludwig von Benedek füllt im Leben Franz Josephs ein düsteres Kapitel. Wer sollte Oesterreichs Heer gegen Preußen führen? Feldzeugmeister Benedek hatte diesen Krieg längst gefürchtet; hatte schon 1856 zum ingelfinger Kraft zu Hohenlohe gesagt, er würde darin das größte Unglück für Oesterreich sehen. Dessen Armee schien ihm für solchen Kampf nicht gerüstet. »Alte, schwache oder bequeme Kommandirende Generale oder höhere Kommandanten überhaupt sind absolut vom Uebel und ich kann am Ende meiner Soldatenlaufbahn nur lebhaft wünschen und sogar bis zur Sekkatur wiederholen, unser Allergnädigster Kaiser und König möge ehebaldigst Mitleid und Nachsicht seines edlen Herzens überwinden und in den höheren Chargen seiner Armee gründlich aufräumen. Die besten Armeen brauchen, besonders in Zeiten wie jetzt, eiserne, aber gelenke Hände in allen höheren Kommanden.« Die Reform kam nicht; und das Heer, dessen Führern er so mißtraute, sollte Benedek nun gegen den starken Feind führen. Nicht im italischen Krieg, für den er vorbereitet war, sondern im deutschen Feldherr, Hort und Hoffnung sein; in ihm fast völlig unbekanntem Gelände. Ihm ging es, sagt der preußische General von Schlichting, »wie einem Lotsen, der sein Leben lang kleineren Fahrzeugen mit unübertrefflicher Geschicklichkeit und Lokalkenntniß in seiner Heimathbucht sicher über alle Untiefen hinweg und an allen Klippen vorbeigeholfen hat und nun plötzlich ein Schlachtschiff erster Größe in weiten fremden Meeren durch Cyklone steuern soll, die er bis dahin nie gekannt.« Warum ward er erkürt? Weil Erzherzog Albrecht, der andere Kandidat, seit seinem Kommando im wiener Straßenkampf unpopulär, auch in Ungarn von seiner Statthalterthätigkeit her unbeliebt war; weil seine Ernennung zum Oberfeldherrn des böhmischen Krieges in der Menge den Glauben genährt hätte, der bürgerliche Feldzeugmeister werde dem Prinzen, der Sohn des oedenburger Arztes dem habsburgischen Erzherzog geopfert; und weil, wie im Ministerium Belcredi Graf Moritz Esterhazy nicht ohne Grund immer wieder betonte, der Dynastie die Möglichkeit erspart werden sollte, daß es später heiße, ein Sohn des Hauses Habsburg-Lothringen habe Oesterreichs Mannschaft ins Unglück geführt. Benedek hat sich gegen die Uebernahme des Amtes, dem er sich nicht gewachsen fand, mit zäher Beharrlichkeit gesträubt; und erst nachgegeben, als Franz Joseph (Herr Dr. Heinrich Friedjung erzählts in seinem guten Buch »Benedeks nachgelassene Papiere«) ihm durch den Generaladjutanten Grafen Crenneville sagen ließ: da die Oeffentliche Meinung die Bestallung eines anderen Feldherrn mißbilligen und für einen Personalfehler des Kaisers erklären würde, müsse er, wenn Benedek bei seiner Weigerung bleibe und der Krieg schlecht ende, vom Thron steigen. Drei Abdankungen in achtzehn Jahren: Das hätte die Dynastie kaum überlebt. Der Feldzeugmeister antwortete, er sei bereit, seine bürgerliche und soldatische Ehre dem Wunsch des Kaisers zu opfern. »Nach solcher Eröffnung hätte ich ein schlechter Kerl sein müssen, wenn ich das Kommando nicht angenommen hätte.« Doch den angebotenen Marschallsstab lehnte er ab; den, sprach er, muß ich erst auf dem Schlachtfeld erwerben. Als er dann besiegt worden war, ließ Franz Joseph ihn fallen. »Zerschmettert, wie ein verbrauchtes Schwert«, machtlos lag nun der Mann, den Moltke einen tapferen und umsichtigen Führer von großem Verdienst nannte. Er hatte gewußt, was ihm bevorstehe. »Wie hätten wir gegen die Preußen aufkommen können! Das sind studirte Leute und wir haben wenig gelernt.« So sprach er; und wußte, warum er der Untersuchungskommission in Wiener-Neustadt ausführliche Rechtfertigung weigere. Sollte er etwa Crennevilles Worte wiederholen und vor Kameraden und Auditoren aussprechen, daß ihm das Feldherrnamt »unter Anrufung seiner Unterthanen- und Soldatentreue aufgedrungen« worden war? »Mich kann Niemand demüthigen; und der Kaiser weiß bereits recht gut, warum ich vor der Kommission nicht Red' und Antwort gegeben habe … Nach allem bisher Geschehenen bleibt mir, im Einklang mit meiner Gesinnung, Herz und Charakter und unbedingten Ergebenheit für den Kaiser, nichts Anderes übrig, als mit Bescheidenheit und Seelenruhe das Verdammungurtheil der schriftstellerischen und redenden Welt schweigend hinzunehmen. Will Niemand anklagen, will mich gar nicht verteidigen, will nichts schreiben, nichts reden zu meiner Entschuldigung und Rechtfertigung.« In diesem Entschluß hat er fest beharrt. Auch als das gegen ihn eingeleitete Verfahren zwar auf kaiserlichen Befehl eingestellt, in der amtlichen Wiener Zeitung zugleich aber verkündet worden war, Benedeks militärischer Ruf sei vor Mit- und Nachwelt vernichtet und der höchste Kriegsherr habe dem Feldzeugmeister sein Vertrauen entzogen. Erst aus seinem Testament sprach der Groll: »Daß die österreichische Regirung, mein (am neunzehnten November 1866 dem Erzherzog Albrecht gegebenes) Versprechen, zu schweigen, in Händen habend und an die Ehrlichkeit meines Versprechens glaubend, ihren sonderbaren Artikel über mich, wo man mir sogar meine ganze Vergangenheit absprach, publiziren ließ, daß dieser nicht zu qualifizirende Regirungartikel in der Präsidialkanzlei des Generalstabes konzipirt, vom Feldmarschallieutenant Baron John, vom Feldmarschall Erzherzog Albrecht und Anderen korrigirt und ausgefeilt und endlich in der ganz absonderlichen Fassung auf Befehl der Regirung publizirt wurde: Das übersteigt meine Begriffe von Recht, Billigkeit und Wohlanständigkeit. Ich habe es schweigend hingenommen; und nun trage ich seit nahezu sieben Jahren mein hartes Soldatenschicksal mit Philosophie und Selbstverleugnung. Ich wünsche mir selber Glück, daß ich trotz Alledem gegen Niemanden einen Groll habe und auch nicht vertrottelt bin. Ich bin mit mir selber und mit aller Welt fertig geworden, bin mit mir vollkommen im Reinen; nur habe ich dabei all meine Soldatenpoesie eingebüßt. Ich will möglichst einfach und ohne alle militärischen Abzeichen zu Grabe geführt werden. Auf mein Grab soll ein einfacher Leichenstein oder ein eisernes Kreuz gesetzt werden, ohne jegliche Phrase.« Der treue Diener war, wie Wilhelm von Württemberg gesagt hätte, dupirt worden. Erzherzog Albrecht hatte mit Lobsprüchen um das Vertrauen des überwundenen Mannes (»dem in Italien gewiß auch der Lorber von Custozza geblüht hätte«) geworben, ihn in Graz besucht und, drei Monate nach dem Tag der prager Friedensstiftung, Benedeks Versprechen nach Wien heimgebracht, »auch fernerhin schweigend zu tragen und meine stillen Reflexonen mit mir ins Grab zu nehmen«. Der »Feldzeugmeister in Pension« hat sein Wort gehalten: an keinem Versuch zur Rettung seines Soldatenrufes auch nur mittelbar je mitgewirkt und keine Memoiren hinterlassen, obwohl er, der nach dem jähen Sturz noch fast fünfzehn Jahre lebte, Muße genug dazu gehabt hätte.

Mein Versprechen, schrieb er ins Testament, »war vielleicht voreilig, vielleicht sogar dumm, aber der bezeichnendste Ausdruck meines Soldatencharakters«. Daß man ihn, den Sieger von San Martino, nach diesem Versprechen ohne eine letzte Audienz vom Angesicht des Kriegsherrn verbannen und als Sündenbock in die Wüste jagen werde, hatte er nicht erwartet. Nie hat er diese Enttäuschung verwunden. Als dann gar die amtliche Kriegsdarstellung des Generalstabes ihn hart, ohne Zubilligung mildernder Umstände, verurtheilt hatte, bestimmte er, daß man ihn im Bürgerrocke bestatte, und verbat jeden militärischen Leichenkondukt. Der preußische Generalstab, sprach er mit finsterem Lächeln, wird mich rechtfertigen; ich brauche mich nicht selbst zu vertheidigen. Der Gedanke, daß in Graz ein Grollender sitze, der sich, nach allzu schlechter Behandlung, von dem Novemberpakt lösen könnte, war dem Kaiser unbehaglich. Ihm war, dem Einunddreißigjährigen schon, gelungen, den von Ferdinands undankbarem Stumpfsinn schmählich geopferten Fürsten Clemens Metternich ohne anderen Aufwand als den huldvoller Worte zu versöhnen. Konnte solcher Versuch nicht noch einmal gelingen? Zuerst mußte Albrecht, der Sohn des Helden von Aspern, wieder ins Feuer. Mußte dem Feldzeugmeister, dem ein spitzbübischer Diener die Orden gestohlen hatte, das bei Novara erworbene Kommandeurkreuz des Theresienordens und andere Dienstehrenzeichen schicken und ihn im Begleitbrief als tapferen Soldaten, treuen Waffenbruder und auf manchem ruhmvollen Schlachtfeld bewährten Freund anreden. Dann, als nur kühle Ehrerbietung gedankt hatte, aus Gdow, wo Benedek im Februar 1846 Sieger im Kampf gegen die galizischen Insurgenten geblieben war, als »alter Kriegsgefährte, dankbarer Waffenbruder und treuer Freund« ihm einen Brief schreiben, der in Lauten überschwingenden Gefühles die Erinnerung an diesen ersten Führererfolg des Oberstlieutenants Benedek auffrischte. Noch einmal blieb die Werbermühe unbelohnt. Beim Lesen des Briefes, der ihn als den Wiederhersteller österreichischer Waffenehre feierte, mochte der Pensionist denken, daß dieser Lobredner vier Jahre vorher an dem Aechtungartikel mitgewirkt hatte. Franz Joseph merkte, daß ers mit stärkeren Künsten probiren müsse. Im Juli 1873 befahl er dem fünfzehnjährigen Kronprinzen Rudolf, in Graz den Feldzeugmeister zu besuchen. Der war nicht zu Haus; wollte, trotz dem Drängen seiner Frau, Rudolfs Brief nicht beantworten, ließ sich aber von dem Generalmajor Latour, dem Militärgouverneur des Kronprinzen, umstimmen und dankte »für die mir erwiesene höchste Gnade, die ich in ihrer ganzen Ausdehnung zu würdigen weiß.« Bat auch Latour, dem Kaiser »für die edle Art und Weise, wie er sich meiner erinnert«, zu danken. Friede? Benedek hat sein Testament, das drei Wochen vor Rudolfs Brief geschrieben worden war, nicht geändert. »Bin ein abgeschlossener Mann, der keine äußere Ehre braucht, und meine eigene innerste Ehre halte ich für unbefleckt; erkenne diesfalls keinen irdischen Richter.« Versöhnt war er nicht; nur aufs Neue verpflichtet. Als der deutsche Kanzler der Witwe des vom Kehlkopfkrebs Getöteten in herzlichen Worten sein Beileid ausgedrückt hatte, schrieb sie an ihren Neffen: »Bismarcks Brief, ganz eigenhändig geschrieben, war der einzige von hoher Hand, der mir zu Gemüth ging; hingegen die Telegramme vom Kaiser und von den Erzherzogen mich sehr kühl ließen. Als 1873 der Kaiser als Versöhnungapostel den Kronprinzen ins Haus schickte, war Benedek bereits durch sieben Jahre so schwer getroffen, daß er Alles ablehnte und bat, man möge ihm die mühsam errungene Ruhe nicht stören. Unser oberster Herr, generös wie immer, hatte jetzt wenigstens die Güte, fragen zu lassen, ob ich nichts von ihm wolle. Generös ist er. Ich dankte ergebenst; brauche nichts.«

Généreux: Julie von Benedek wollte dem Kaiser wohl weder ein großes Herz noch eine offene Hand nachrühmen; nur ein auch in Stunden der Schwachheit und Wirrniß nobles Empfinden, das den Schein unwürdigen, unfürstlichen Handelns scheut. Kleinlich ist Franz Joseph nie gewesen; im Haus nicht noch je im Staatsrath. Er hat seiner wittelsbachisch ins Schrankenlose schwärmenden Frau jede noch mögliche Freiheit gelassen, den als Hochverräther verurtheilten und in effigie gehenkten Grafen Julius Andrassy zum Ministerpräsidenten gemacht, von Schwarzenberg bis auf Aehrenthal allen Inhabern des internationalen Geschäftes den Nimbus selbständigen Handelns gegönnt, den Sohn Ludwigs Kossuth, trotz schriller Rede gegen altes Habsburgerrecht, in die Hofburg geladen; und kein häßliches, dummes Winkelgeraun hat den Greis gehindert, einer Spielerin, an deren draller Natürlichkeit er sich gern labte, vor Aller Blicken die Freundestreue zu wahren. Auch das Verhältniß zu Benedek, das ihn, seine Stärke und seinen unbeugsamen Willen zur Staatsraison, so deutlich erkennen lehrt, wollte er aus dem Schein kleinlichen Haders heben. Um die Dynastie nicht mit dem niederziehenden Gewicht der Verantwortlichkeit für einen unglücklichen Krieg zu belasten, hat er dem Widerstrebenden das Kommando aufgedrungen. Darf er die Thatsache ans Licht sickern lassen? Die Unheilsgefahr, die er meiden wollte, würde gedoppelt. »Der Kaiser hat den General, der sich selbst für untauglich zu diesem Amt hielt, zum Feldherrn erkoren und so die Niederlage verschuldet, durch die unsere deutsche Hoffnung geknickt ward«: ob im Herbst 1866 Habsburg fest genug stand, um solchen Volksspruch überdauern zu können, wird heute Keiner ermessen. Franz Joseph war seiner Sache nicht sicher; und hatte von den Streitern Jesu, den Vätern der kalksburger Pädagogen, gelernt, daß ein löblicher Zweck jedes Mittel heilige und daß der an wichtigem Werk mitarbeitende Diener sich, nach dem Wort des großen Ignatius von Loyola, von dem Wink des Oberen leiten und behandeln lassen müsse, als ob er ein willenloser Leichnam sei. (Daß sie dem Gemeinwohl jedes Privatinteresse, Glück und Ehre des Einzelnen ohne Erbarmen opfern und, wie in Jerusalem einst der Hohepriester, lieber einen Unschuldigen schlachten als die Gemeinschaft schädigen wollen, hat den Constitutiones Societatis Jesu den Massenhaß zugezogen.) Das Ziel ward erreicht, die Dynastie von allzu hartem Vorwurf verschont; und Benedek mochte sich mit seinem Schicksal abfinden. Doch Bombelles und seine Gehilfen hatten dem Jüngling wohl auch von Aquaviva erzählt, der, als dritter Nachfolger Ignatii, alle Obrigkeit gemahnt hat, die Willenskraft von Milde bedienen zu lassen. Als die Hausgefahr überstanden ist, soll dem gestern Geächteten wieder der Gnadenborn fließen; soll er nicht länger knirschend im Winkel grollen. Macchiavelli hätte sich solcher Regententugend gefreut.

Bismarck, der Menschenverkenner, hat den Kaiser von Oesterreich »eine ehrliche Natur« genannt und behauptet, nur Buols persönliche Rancune habe den jungen Herrn in das nach der russischen Hilfeleistung bei Vilagos (»einem Dienst, wie kaum je ein Monarch seinem Nachbarstaat gethan«) undankbare Handeln gegen Nikolai Pawlowitsch gehetzt. Das war einer der vielen Irrthümer, in die der große Sachdenker auf dem Personalgebiet fiel. Franz Joseph wollte die Russenmacht nicht in den Balkan vordringen lassen, lebte in dem festen Glauben an Metternichs Satz, die Türkei sei für Oesterreich die sicherste Grenze, »sicherer als das Meer«, und nahm nur deshalb, aus eigenem Willensrecht, Orlows Anerbieten, die Schutzherrschaft über die zu schaffenden Balkanstaaten zwischen Rußland und Oesterreich zu theilen, als ein von dem in Olmütz und Warschau mit Nikolai Vereinbarten abweichendes, zum Vorwand, die zugesagte Neutralität nun zu weigern. Der Zar hatte ihm fünf Jahre vorher Ungarn gerettet und nicht die winzigste Entschädigung verlangt. Doch persönliches Gefühl durfte nicht in das Spiel hineinreden, auf dem ein Reichsinteresse stand. Ehrlichkeit, Dankbarkeit: das Gepäck solcher Bürgertugenden kann der Staatsleiter nicht auf jeden Marsch mitschleppen. Richtiger als Bismarck hat Alexander von Hübner, Oesterreichs Vertreter in Paris, den Kaiser beurtheilt. »Uebertriebene Gewissensbisse«, schrieb er ins Tagebuch, »werden ihn nicht hindern, seinen Völkern gegenüber seine Pflicht zu thun.« Haben ihn niemals gehindert. (Das verdient Lob, nicht etwa Tadel; ein gemüthvolles Männchen, das ängstlich stets erwägt, obs auch jedem Anspruch philistrischer Familienmoral genüge, taugt nicht auf den höchsten Sitz, wo wider skrupellose Feindschaft die Zukunft einer Volkheit zu sichern ist.) Wer in diesem Kaiser eine redliche Seele ohne Arg und Monarchentalent sieht, irrt als ein alles Geschehenen Unkundiger. Aus dem reichen Erbschatz habsburgischer Verschlagenheit hat Franzens Enkel ein ansehnliches Legat empfangen. Zeugte nicht schon die Kunst, mit der er vor dem Krimkrieg zwischen Ost und West lavirte, von angeborener Schlauheit? Nicht die pfiffige Psychologie, die ihn im August 1863 den Preußenkönig für den Plan des Frankfurter Fürstentages einfangen ließ? Er hatte Wilhelm in Gastein besucht und, während Bismarck, der Gegner des zur Stärkung der österreichischen Macht über Deutschland ersonnenen Planes, unter den Tannen der Schwarzenbergischen Anlagen, mit der Uhr in der Hand, andächtig einer Meisenfütterung zusah, den König bei dem alten Parlamenthaß gepackt. Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, der als Flügeladjutant beim König Dienst that, sagt in seinen Memoiren darüber: »Die ganze Besprechung trug den Charakter der vorläufigen Behandlung einer unbestimmten Idee, deren Ausführung noch in weiter Ferne liege. Im Widerspruch mit diesem Stand der Dinge war aber, daß der Kaiser nach dem Abschied unserem König laut vor allem Publikum zurief: ›Also auf Wiedersehen in Frankfurt!‹ Das Manöver war berechnet: es sollte das Gerücht verbreiten, daß sich beide Monarchen bestimmtes Rendezvous in Frankfurt gegeben hatten.« Bismarck mußte noch in Baden-Baden Stunden lang die stärksten Argumente ins Feld führen und endlich gar den Entschluß zur Demission andeuten, um die Absage zu erreichen; und dachte, als er nach Mitternacht, »in Folge der nervösen Spannung der Situation krankhaft erschöpft«, heimging: »Wenn ich mich an der tiefen Schlucht der Ache weniger lange bei der Naturbetrachtung aufgehalten und den König früher gesehen hätte, so wäre der erste Eindruck, den die Eröffnungen des Kaisers auf den König gemacht haben, vielleicht ein anderer gewesen.«

So ganz persönliche Erfolge waren im Leben Franz Josephs nicht selten. Noch der Greis, flüsterts am Hof, erröthet, wenn ihn, den Monarchen oder den Chef des Hauses Habsburg-Lothringen, die Pflicht zwingt, Unwahres über die Lippe zu lassen. Nie aber hat er ihr gefehlt. Keiner Pflicht je mit Bewußtsein. Er repräsentirt, wo es nöthig ist, kommt, wenns nicht anders geht, täglich aus dem stillen Schönbrunn in die Hofburg, redet, in sämmtlichen Sprachen der im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder, in der ofener Burg auch Magyarisch und Kroatisch, mit Ministern und Abgeordneten, Offizieren und Schranzen, Industriellen und Händlern und erledigt trotzdem noch mit prompter Gewissenhaftigkeit alle Eingänge. Im Manöver wohnt und schläft er noch jetzt wie jeder General; hat er noch im Herbst 1909 die Bitte des Thronfolgers, mit ihm und dem Deutschen Kaiser in Ruhe zu dejeuniren, vom Sattel aus mit dem Satz abgewehrt: »Eine Semmel und ein Glas Wein: so bin ichs im Manöver gewöhnt; und dazu brauche ich nicht erst vom Pferd zu steigen.« In des Ungemachs harter Schule hat er Entsagung gelernt und weiß auf Privatwünsche ohne Gram und Groll zu verzichten. Nicht nur, wenn Czechen und Magyaren ihm das Leben sauer machen, auf einen Theil der ischler Ferien. Seit Jahrzehnten auch, weil er die Savoyer nicht kränken will, auf den persönlichen Verkehr mit den Päpsten. Gewiß hat ihn manchmal der Wunsch gestreift, statt der Kinder seines Bruders Karl Ludwig die Deszendenz seiner Lieblingtochter Marie Valerie zur Erbfolge zu berufen. Doch da er die Absicht auf solche Aenderung des Hausgesetzes einmal, als Franz Ferdinands Stiefmutter Maria Theresia ihn mit der Frage überraschte, bestritten hat, ist er auf den heimlichen Herzenswunsch nie wieder zurückgekommen. Erträgt die nicht immer bequeme Ingerenz des (oft noch hitzigen) Thronfolgers ins Staatsgeschäft mit geduldig lächelnder Güte. Und bleibt stets doch der Herr.

Lächeln kann er; auch schweigen; nach langwierigem Zaudern und Wägen sogar wollen. Möglich, daß in diesem schlanken, heute fast noch straffen Leib der konstruktive Geist nicht übers Mittelmaß wuchs. Dem läßt sich, wie das Talent zur Bühnenregie, vollwichtige Regentengabe vereinen. Solche Gabe muß dem Mann geworden sein, der in jedem Nothfall den Muth zu schroffer oder verschmitzter Rücksichtlosigkeit fand und Nahen (nicht: Nächsten) und Fernen doch als das Urbild liebenswürdiger Harmlosigkeit galt. Währender die Krone trug, wurde Oesterreich aus Deutschland und aus Italien gedrängt und fast schon von der ältesten Wurzel seiner Hausmacht gerissen; wurden ganze Ministerschaaren, oft ohne ihr Verschulden, unter Haß und Verachtung bestattet. Auf Staatliches häufte sich familiäres Unglück. Elisabeth und Rudolf, Johann Ort und der schöne Otto, Luise und Leopold von Toskana: bald schien jeder Mond schlimmer Erinnerung trächtig. Des Kaisers im tiefsten Grund kühle Seele stand allen Stürmen. Er ließ den Schmerz nicht Herr über sich werden, lächelte, schwieg; und bewies, auch im eigenen Haus, den Zweiflern, daß der Alternde das Wollen noch nicht verlernt habe. »Wenn man alt wird und hat so viel versucht und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muß man es endlich wohl genug haben.« Goethes Egmont sagts von Philipp. Franz Joseph hats nie genug gehabt: und da er nun rüstig ins neunte Lebensjahrzehnt schreitet, sieht es fast aus, als solle im Habsburgerreich noch Ordnung werden. Ungarn gebändigt und in die Ausgleichswünsche Deaks und Andrassys zurückgeworfen; die Monarchie eine umworbene Balkangroßmacht; der Krieg, der den Thronfolger ins Feld geführt hätte, mit allen Ehren vermieden; und die Hitze des böhmisch-mährischen Kampfes im Schwinden. Wars in Olmütz, Kremsier, Königgraetz zu ahnen? Der stille, bescheiden scheinende, im Wesenskleid vornehme alte Herr, der nie durch Talente, nie durch Taktmangel auffiel und sich durch Mäßigkeit und durch die pünktliche Kleinarbeit eines Diurnisten jung erhielt, kann noch immer lächeln; froher als im Jugendlenz. Greise Könige werden, wenn nicht die Wucht ihrer Persönlichkeit ringsum etwa Haß zeugt, von den Völkern stets zärtlich geliebt. Diesem kränzt einmüthige Liebe mit nie ermattendem Eifer das firne Haupt. Und er wird, wenn er auf sein Erleben zurückschaut, bereit sein, zu sprechen, wie, ohne Furcht vor Banalität und Wiederholung, so oft, der wiener Spöttelsucht zur Wonne, nach Festen und nützlicherer Parade: »Es war sehr schön. Es hat mich sehr gefreut.«


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