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Nachdem der Mann am Teufelstein dreißig Jahre treu und redlich gedient hatte in strengem Waldesdienst, war sein Gehalt auf 1600 Mark gestiegen. Zu gleicher Zeit waren seine Kinder groß geworden und konnten ihr Brot selber verdienen, wenn auch meist ein hartes Brot.
Er hatte einen, den Otto, in das Seminar zu Ettlingen gebracht und zum Lehrer ausbilden lassen. Kaum Lehrer geworden, wird er Soldat, kommt eines Tages in Urlaub und stirbt bei den Eltern.
Die andern Buben alle mußten zum Handwerk herabsteigen, und die Jäger-Ahnen-Reihe schloß mit dem Vater. Der Oswald wurde Buchbinder und zog frühzeitig nach Amerika. Der Pius ward ein Schlosser und ging auch übers Wasser. Der Karl wurde nacheinander Wagner, Bierbrauer, Zimmermann, Metzger und schließlich Kaufmann; als solcher betrieb er einen Kramladen in Schapbach und starb in jungen Jahren. Der August ging zur Schusterei über, wanderte jahrelang als solcher in der Schweiz, heiratete nach Oberwolfe und schusterte, bis ein Bruder seines Weibes ihm schrieb, er solle nach Brasilien kommen. Dort lebt er heute als Plantagenbesitzer und baut Kaffee.
Der Wilhelm nahm seine Zuflucht ebenfalls zum Schusterstuhl, schusterte als Meister bei den Eltern, bis er das Tannengrund-Kätterle heiratete und in Scheukenzell sich niederließ, wo er jung starb.
Der Leonhard griff zum Kochlöffel und wurde Koch im Bad Rippoldsau, dann Hofkoch in Donaueschingen, Soldat und Restaurateur. Als solcher verkracht, diente er seinem Vater als Hausknecht, bis sein Bruder August ihn nach Brasilien rief, wo er heute Plantagen- und Herdenbesitzer sein soll und nebenher Jäger und Fischer.
Fast alle Buben des Teufelsteiners waren Soldaten, ehe sie die Heimat oder das Leben verließen.
Und die Meidle? Sie waren, wie die Buben, heiter, lustig und lebensfroh und sind es geblieben. Die Stefanie, die älteste, blieb als Stütze der Mutter daheim, bis sie in den Heuwich hinabkam als Wirtin zum Auerhahn, wo wir sie aufsuchen werden.
Die Priska ward Köchin und diente als solche bald oben, bald unten im Lande, bis sie den wackeren Flößer, den Wirtsbasche, heiratete und jetzt in Schilte bei ihm gute Tage verlebt.
Die Priska ist, wie mir scheint, die lustigste. Von ihrer heiteren Laune nur ein Beispiel: Als einmal die Brüder zur Weihnachtszeit alle aus der Fremde daheim waren, um die Eltern zu besuchen, und auch die Schwestern beisammen, da gingen sie am Abend hinab in den Auerhahn zur Stefanie und ergötzten sich mit Singen und Tanzen. Die Priska fehlte. Sie komme, so hieß es, wenn Vater und Mutter zu Bett gegangen wären.
Während die Fürstenkinder sich so vergnügten, kam ein Handwerksbursche ins einsame Wirtshaus und bat um ein Nachtquartier. Die Wirtin verlangt ihm, wie üblich, damit er nicht durchbrenne am Morgen, das Wanderbuch ab, ohne hineinzusehen.
Sie und ihr Stiefsohn begleiten den Fremdling mit einer Laterne in seine Kammer, wo er wegen der großen Kälte noch ein doppeltes Deckbett bekommt und ihm die Laterne als Nachtlicht zurückgelassen wird.
Am andern Morgen ist der Handwerksbursche fort und sein Bett unberührt. Es war die Priska gewesen, die mit dem Wanderbuch eines ihrer Brüder so trefflich den Handwerksburschen gespielt hatte. –
Die Kreszenz und die Helena waren Zwillinge und wurden beide Köchinnen. Die erstere wurde eine Märthrin. Treu und redlich diente sie viele Jahre beim Chef des Hauses Benziger, Adelrich, in Einsiedeln. Schwer krank geworden, unterzog sie sich einer Operation in Zürich und kam siech und elend heim. Kaum hat sie sich erholt, so zieht sie zu ihren Brüdern nach Brasilien, wo sie halbtot ankommt, aber das Klima nicht ertragen kann. Sie muß zurück nach Europa und liegt krank und bewußtlos auf dem Schiff bis Hamburg, hier wird sie dem Leben zurückgegeben, und eines Tages kehrt sie, an einem Stocke schwankend, heim ins Forsthaus auf dem Abrahamsbühl, wo die Mutter indes gestorben war. In rührender Art hat sie mir selbst ihre Reise beschrieben.
Die Helene war die Amazone unter den Mädchen des Teufelsteiners. Schon als Kind ging sie oft verbotener Weise als Bub verkleidet in die Schule. Kaum erwachsen, machte sie den Fuhr- und Pferdeknecht des Hauses und zeichnete sich aus im Führen der größten Holz- und Steinlasten. Sie war eine kühne Reiterin, und wenn der Fürst von Fürstenberg, wovon wir gleich erzählen, auf die Jagd ins Forsthaus kam, war ihr größtes Vergnügen, eines seiner Reitpferde zu besteigen und einen Ritt über Stock und Stein zu tun.
So ward sie des alten Jägers Liebling, der ihr auch die Leidenschaft zum Rauchen, als von ihm ererbt, nachsah.
Köchin geworden, um ihr Brot zu gewinnen, rauchte sie jeden Abend, wenn sie dienstfrei war, auf ihrer Stube, oft die ganze Nacht hindurch. Im »Freiburger Hof« zu Freiburg und im Renchtalbad Freiersbach kochte und rauchte sie, bis sie krank heimkehrte und ihr junges Leben bei ihren Eltern aushauchte. –
Als die Kinder sich so selbst ernähren konnten und sein Gehalt gewachsen war, durfte der Mann am Teufelstein sich eher ein Vergnügen gestatten als früher.
Wie für Drehorgel und Waldhorn, hatte er eine große Vorliebe für Uhren aller Art, die er nach und nach im ganzen Hause anbrachte, vorab aber in seiner Schreibstube. Je mehr die Uhren beim Gehen und Schlagen mit Rufen, Spielen, Trommeln und Trompeten Spektakel machten, um so lieber war es dem alten Jägersmann.
Auch seinen Viehstand vergrößerte er und hatte schließlich neben seinem Pferd 12 Stück Rindvieh. Jetzt konnte er handeln und verhandeln nach Herzenslust.
Seine Gastfreundschaft wurde nun außerordentlich. Man konnte ihm, wer es auch sein mochte, keine größere Freude bereiten, als wenn man bei ihm ankehrte und ihn besuchte. »Trag uns, Wible, was der Tisch tragt!« rief er dann seiner Heli zu. Schinken, Speck, Bier, Wein, Küchle und Kaffee mußten möglichst rasch beigebracht werden. Dann spielte er die Drehorgel und forderte zum Tanz auf. Seine Frau und die Töchter, die da waren, mußten mittanzen.
Je lustiger es herging, desto freudiger strahlte sein heiteres Angesicht.
Kein Handwerksbursche und kein Stromer ging leer aus, und zu jeder Zeit des Tages mußte sein Wible Feuer unter dem Herd haben, um den Wandersleuten »ein warmes Süpple« kochen zu können.
Die Glorie seiner Freude erlebte er, wenn sein oberster Dienstherr, der Fürst Egon von Fürstenberg, zu ihm kam und er diesem und seinen Kavalieren auf der Drehorgel vorspielen konnte.
Alljährlich von 1873 an ritt der Fürst von Fürstenberg auf das Forsthaus am Teufelstein, um auf Auerhähne zu jagen, die in der April- und Maienzeit in den Wäldern über dem Forsthaus, in denen auch Haselhühner vorkommen, balzen.
Wenn der Jäger am Teufelstein sie »verhört« hatte, schrieb er an den Fürsten: »Gehorsamster Balzbericht des fürstlich fürstenbergischen Beiförsters Fürst am Teufelstein. Die Auerhahnen balzen gut und warten schon lange mit Schmerzen auf den Tod durch Ihre durchlauchtigste Flinte.«
Daraufhin kam der Fürst ins Wolftal herab und schlug im Bad Rippoldsau sein Standquartier auf, da auch auf dem Kniebis gejagt wurde. An einem schönen Abend nun ritt er mit seinem Leibjäger und einigen Kavalieren in die Berge und hinüber zum Teufelsteiner.
Wenn sie den Wald heraufkamen, begrüßte sie schon von weitem der Alte mit seinem Waldhorn in freudeschmetternden Tönen und geleitete sie zu seinem Jägerhaus. Den Imbiß brachte der Fürst selbst mit, aber die Tafelmusik mit der Drehorgel lieferte der Fürst vom Teufelstein. Und daß der echte Fürst bisweilen jauchzend seinen Hut schwenkte, wenn sein alter Jäger orgelte oder das Echo am Wald von St. Anton mit dem Horn wachrief, das war diesem eine überschwengliche Freude.
Nach kurzer Nachtruhe wurden die Herren vom Förster geweckt und lautlos den Wald hinaufgeführt unter die Tannen des Eichbergs, auf denen die Auerhähne ihr Liebesspiel trieben. Sie waren so gut verhört vom Teufelsteiner, daß »die durchlauchtigste Flinte« stets zu Schuß kam.
Nach dem Frühstück, das unter Orgelton eingenommen wurde, verließen die Reiter den einsamen Jäger wieder, und sein Waldhorn klang ihnen noch lange nach unter den Tannen hin.
Beim Fürsten Egon, der so jedes Frühjahr zweimal kam, galt der originelle, brave Mann sehr viel, und nie verließ er dessen lustiges Waldhaus, ohne eine klingende Belohnung und eine Partie guter Zigarren zurückzulassen; denn der Teufelsteiner rauchte ums Leben gern vom frühen Morgen bis zum späten Abend, wo er in der Regel die letzten Züge aus seiner Pfeife im Bette tat.
Pfeifen hatte er so viele als Uhren, und den Tabak und die Zigarren bezog er stets in größeren Quantitäten. Aber seine Pfeifen zündete er nur nach guter, alter Art mit Zunder und Feuerstein an.
Weil er sehr viel rauchte und ein sparsamer Mann war, kam er auf den Gedanken, seinen Bedarf an Tabak selbst zu bauen auf seiner Waldoase. Er ließ sich deshalb Samen kommen und eine Anleitung zum Tabakbau. Es gelang. Die Pflanze gedieh, wuchs, wurde reif, geerntet und auf der Bühne getrocknet und dann ohne jede Fermentation geraucht.
Der Teufelsteiner hatte eine Riesengesundheit und vertrug auch diesen Tabak. Als aber eines Tages Reinhard, der Murer von Wittichen, das Dach am Forsthaus umdeckte, warnte ihn der alte Raucher, ihm nicht an seinen Tabak zu gehen, der unter dem Dache hänge. Der Murer konnte dem Gelüste nicht widerstehen, versuchte ihn und fiel in Ohnmacht. Den Bewußtlosen fand der Förster auf der Bühne liegen. Als er ihn wieder zu sich gebracht hatte, fragte er ihn: »Du hast gewiß von meinem selbstgepflanzten Tabak geraucht, der da hängt?« Der Murer bekannte wehmütigen Herzens sein Attentat. »Ja,« meinte der alte Jäger, »den kann nur der Fürst vom Teufelstein rauchen!«
Der Reinhard aber war einen Tag arbeitsunfähig, weil er »Teufelsteiner« geraucht hatte.
Auch Kaffee versuchte der Waldmann, welcher ein ebenso großer Freund von Kaffee war, wie von Tabak, zwischen seinen Tannenwäldern zu pflanzen. Er brachte die Pflanze richtig bis zum Produzieren von Bohnen. Diese schrumpften aber beim Rösten sehr zusammen, und nach dem Genusse dieses einheimischen Kaffees wurde es den sämtlichen Familiengliedern so elend zu Mute, daß der Hausherr darauf verzichtete, auf dem Abrahamsbühl im Schwarzwald eine Kaffeeplantage anzulegen.
In den 52 Jahren, da der Fürst auf dem Abrahamsbühl wohnte, war er vor seinem Tod nur dreimal krank und berichtete darüber dienstlich sehr originell an seinen Forstverwalter nach Wolfe. So anno 1843 im Februar: »Ich liege an der sogenannten Kopf- oder Hirnwut krank darnieder und doktere bei Dr. Trautwein in Schiltach.«
Im Juni 1850: »Ich habe vielen Durst und keinen Appetit. Die vielerlei und vielen Medikamente haben mich schier umgebracht und namentlich eine Portion Blutegel mir mein Blut stark abgezapft, hier und in der Umgegend sind viele Leute mit dieser Krankheit behaftet und können die Dokter, wie es scheint, hiervon nicht kurieren, sonst wären ich und jene schon lange hergestellt.«
Im Februar 1887: »Ich bin krank, aber einen Arzt habe ich nicht zu Hilfe gezogen, denn die 25 Mark Ganggebühren und mein Leben sind mir lieber als ein Plätzchen neben meiner jüngst verstorbenen Tochter Helene auf dem Kirchhof zu St. Roman. Ich habe den Arzt aus meinem großen Kräuterbuch selbst gemacht und auch die Medikamente zubereitet.«
Als Hausmittel hielt der alte Jäger viel auf Glaubersalz, das er stets in großen Quantitäten vorrätig hatte; ebenso auf Kräuter, die sein Wible, ein Buch mit Beschreibung und Abbildungen in der Hand, im Walde zusammensuchen mußte. –
Ein großer Freund der Jagd, kannte er alle Eigenheiten der Tiere, und zur Winterszeit schoß er Rehe, Hasen und Füchse von seinem Hause aus. Seine erwachsenen Mädchen mußten nachts abwechselnd wachen und ihn dann wecken, wenn ein Stück Wild in der Nähe war. Fürs Wachen bekamen die Mädle je eine Bratwurst. –
Einen schweren Ritt tat er im Sommer 1878, als sein Freund, Jagd- und Waldgenosse, der Forstverwalter Bogenschütz, drunten in Wolfe zu Grabe getragen werden sollte.
Traurig bestieg er am Morgen sein Rößlein; das Pfeifchen wollte nicht schmecken, da er an einem Junitag talab ritt, um seinem lieben Gönner, an dem er mit der ganzen Treuherzigkeit seines Wesens gehangen war, die letzte Ehre zu erweisen.
Des Toten Nachfolger war ein Bayer, der Oberförster Gayer, Sprosse einer uralten Jägerfamilie, deren Gründer, der »obriste Forstknecht« Bartolme Gayer in der Markgrafschaft Burgau, schon in einer Urkunde Kaiser Rudolfs II. erscheint.
Auch Gayer hatte gar bald seine helle Freude an dem biederen Beiförster am Teufelstein, konnte diesem aber den an Alter und durch Freundschaft ihm viel näher gestandenen Bogenschütz nicht ersetzen, mit dem er so manches Jahr in des Waldes düsteren Gründen gesungen und gejagt hatte.
Oft rief er in jenen Tagen, da sein Freund von dieser Welt geschieden war, mit dem Waldhorn das Echo von St. Anton wach in schmelzerfüllten Tönen.
Hatte er schon dem einen und dem andern seiner Kinder und vielen Freunden ins Grab geschaut, am wehesten tat ihm doch der Tod seiner Lieblingstochter Helene, die am meisten vom Vater hatte und ein so schönes, kräftiges Mädchen gewesen war. Und als ihr Leichenzug durch den Wald zog am Teufelstein vorbei zum Kirchlein von St. Roman, und sie dort seinen Liebling, noch nicht dreißig Jahre alt, begruben, da wünschte er, der lebensfrohe Mann, bald auch ein Ruheplätzchen neben ihr.
Immer einsamer ward's um den braven Vater, seine Kinder in alle Welt zerstreut und nur eines der Mädchen in der Regel im Forsthaus. Die Mutter war die letzten 25 Jahre kränklich und lag viel zu Bett. In dieser Lage waren sein Wald, seine Pfeifen, seine Uhren, seine Drehorgel, sein Waldhorn und sein Pferd seine ganze Unterhaltung.
Selbst nach Wolfe ritt er selten mehr im grünen Jägerkleid und mit dem Hirschfänger angetan.
Wie sehr er mit der Natur in steter Verbindung war, geht auch daraus hervor, daß er alle seine Uhren stets nur nach der Sonnenuhr richtete, die er an seinem Hause angebracht hatte, und daß er viele, viele Jahre lang täglich die Witterung kontrollierte. Dies geschah dreimal: morgens, mittags und abends. In zierlicher, gewandter Schrift und äußerst sorgfältig schrieb er seine Bemerkungen nieder und daneben die Angaben des Barometers und des Hygrometers am gleichen Tag und zur gleichen Zeit. –
Aber viel interessanter und seinen Geist von einer neuen Seite illustrierend sind seine genau geführten Haushaltungsbücher über Einnahmen und Ausgaben. Die von 1869 bis 1888 habe ich durchgesehen.
Der brave, arme Mann schließt sein Budget am 31. Dezember 1869 ab mit einem Kassenvorrat von 2 Gulden und 30 Kreuzern.
Am 2. Januar des folgenden Jahres erscheinen durch den Wald her die Kirchensänger von St. Roman, singen dem Fürsten vom Teufelstein »das neue Jahr an« und erhalten von dem wenigen Geld fast die Hälfte, einen Gulden.
Die schöne Sitte, andern Leuten mit Weihnachtsliedern das neue Jahr anzusingen, ist mehr und mehr abgekommen.
In Hasle war es zu meiner Knabenzeit auch das Vorrecht der Chorknaben, mit dem Sternen den Leuten Dreikönigslieder zu singen. Andere arme Buben im Städtle gingen hinaus aufs Land und sangen auf einsamen Höfen »das Neujahr an« und kamen mit ganzen Ladungen von Lebensmitteln aller Art heim zu ihren Eltern.
Und als ich noch Pfarrer am Bodensee war, erschienen zwischen Weihnachten und Dreikönig arme Knaben vom Binnenland, weiße Hemden über die Kleider und eine Laterne in der Hand, und sangen am hellen Tag das Neujahr an, mir immer zur Freude.
Die Kultur und die Polizei haben – Hasle ausgenommen – jetzt fast überall mit diesen »Betteleien« aufgeräumt und auch mit der stillen Poesie, die darin lag. –
Die Sänger von St. Roman erhielten vom alten Jäger ihren Tribut in glänzender Art. Aber auch der Dorfschullehrer, der neben dem Kirchlein auf der luftigen Höhe sitzt und des Teufelsteiners Kindern die Elemente des Wissens beibringt, bekam das übliche Neujahrsgeschenk in Form einer großen Brezel, die 36 Kreuzer gekostet und die eines der Kinder drunten in Schilte, im Städtle, geholt hatte.
Im ganzen Kinzigtal ist es üblich, am Neujahr dem Götti und der Göttle, d. i. den Taufpaten, je eine große Brezel zu bringen; der Mann am Teufelstein zählte wie billig den Lehrer auch zu den Paten seiner vielen Kinder und versüßte ihm sein mühevolles Amt alljährlich durch eine Brezel, so lange eines derselben in die Schule ging.
Seine Noblesse zeigte der Fürst ganz besonders auch den Rekruten in Berg und Tal, die nach altem Herkommen vor dem Einrücken fechten gehen.
In all seinen Büchern erscheinen jedes Jahr eine Anzahl Gaben an diese angehenden Krieger, die je nach ihrer Bedürftigkeit mit einer Gabe von einem Gulden oder zwei Mark bis zu zwanzig Pfennig herab beschenkt wurden.
Auch eine andere Sorte von Leuten, bereit, in den Krieg zu ziehen, d. i. zu heiraten, suchten den freigebigen Mann am Teufelstein auf; meist sind es arme Meidle, die ihn zu ihrer Hochzeit laden und dafür eine Gabe erwarten.
Von überall her, vorab aber vom Holzwald und Kniebis drüben, kamen diese Hochzeiterinnen nach dem Forsthaus auf dem Abrahamsbühl und holten ihren Beitrag zum Heiraten. Immer und immer kehrt dieser Posten wieder in den Aufzeichnungen des Jägers.
Auch was der »Metziger« erhielt, der ihm seine fetten »Chinesersäu« schlachtete, erfahren wir, nämlich 18 Kreuzer alten, 60 Pfennig neuen Geldes. Sein Gottekind, das Meidle, welches er in Wittichen gelegentlich aus der Taufe gehoben, erscheint alljährlich mit einer Geldgabe im Konto.
Postboten, Gelegenheitsboten, Stromer und Fechtbrüder figurieren mit ihren Trinkgeldern fast täglich in dem Budget des braven Mannes, der nichts ungelohnt ließ und jeden Pfennig aufschrieb.
Seine Buben, die am Palmsonntag den fürs Haus bestimmten Palmen in die Kirche trugen, erhielten sechs Kreuzer Gang- und Traggebühr.
Für jede Maus, die in seinen Feldern vor dem Haus oder in diesem selbst gefangen wurde, vergütete er dem Fänger, meist einer seiner Buben, fünf Pfennig, während die Mädchen für das Füttern seiner Jagdhunde belohnt wurden.
In dem Kriege von 1870 gab der Fürst wiederholt guldenweise Beitrage für die verwundeten deutschen Krieger.
Auch für die Heidenkinder, für die Franziskanerväter am heiligen Grabe, für den Papst finden sich alljährlich Opfergelder verzeichnet.
Jedem Leichenboten und jeder Leichensagerin, welche Todesfälle anzeigten und zur Beerdigung einluden, ward des alten Jägers Scherflein.
Am Romanusfest bekam jedes der Kinder sechs Kreuzer, um sich draußen bei der Kirche einen Wecken oder einen Lebkuchen kaufen zu können.
Jeden Schoppen, den er nach seinen Waldgängen in Wittichen getrunken, jeden Pfennig, den er dort verspielte, notierte er in seinem Ausgabebuch.
Auslagen der Frau für Kaffee, Zichorie, für Nadeln, und Faden und ihr karges Zehrgeld bei Hochzeiten oder Leichenbegängnissen verrechnete er immer mit der Bezeichnung: »Die Frau im Haus oder die Frau Fürstin«.
Eine große Freude muß er jeweils gehabt haben, wenn fahrende Musikanten kamen, vor seinem Waldhaus spielten und das Echo von St. Anton belebten. Sie stehen einmal mit dem Titel »bayerische Musikanten«, aber immer mit ein bis zwei Mark im Buche.
Jeder Hausierer und jede Hausiererin fand bei dem Mann auf der einsamen Waldhöhe einen Abnehmer. Selbst einer »bayerischen Bettlerin« kaufte er einmal einen Hasen ab um 15 Pfennig.
Gerne sah er auch hausierende Bilderhändler, besonders wenn sie Bilder führten, wie des Jägers Hochzeit, sein Leichenzug, sein Grab.
Tabakspfeifen mit solchen Bildern kaufte er mit Vorliebe und immer wieder neue.
Zigarren bezog er in enormen Quantitäten, manchmal bis zu 4 und 5000, aber nicht bloß für sich, sondern auch für andere Sterbliche, besonders für die Pfarrherrn von St. Roman und Wittichen. Jeder Taglöhner bekam nach jeder Mahlzeit seine Zigarre, ebenso jeder Stromer und Fechtbruder und nicht weniger die Holz- und Wegmacher und die Flößer im Heuwich.
Einer seiner Lieferanten war der meinen Lesern wohlbekannte Graf Magga in Zell.
Mannigfache Belastung des kleinen Einnahmebudgets verursachten auch die Uhren. Ihre Reparaturen stehen alljährlich öfters im Buch. Mit Hochgenuß hat er aber sicher die 33 Mark verzeichnet, welche er anno 1885 für eine »neue Drehorgel, 120 Stück spielend,« ausgab. Als er außer Dienst war, hatte er viel mehr Zeit zum Drehorgeln, und er kaufte 1889 noch eine zweite »mit 16 Notenblättern, sechs gelben und zehn weißen, um 45 Mark.« –
Interessant war mir, daß der helle Mann am Teufelstein, wohl unter dem Einfluß der Fürstin, einige Male Ausgaben verzeichnet für Volksärzte, Wunderdokter und »Sympathisten«, wie er sie nennt. Auch ein »Sympathiebuch« kaufte er einmal.
Der berühmteste Volksarzt im Kinzigtal, mein Freund, der Hättichsbur im Reichstal Harmersbach, figuriert auch in des Teufelsteiners Tagebuch. Mich hat's gefreut. Neben dem Hättichsbur wurde auch der Sympathist Finkenbeiner in Baiersbronn im unfernen Murgtal beraten, und zu dem kranken Vieh auf dem Abrahamsbühl kam der Wolber aus dem Kaltbrunn.
Der Wolber war ein Krummholz (Wagner) und wohnte am Gallenbächle. Ein großer, hagerer Mann mit vollständigem Glatzkopfe, auf seiner großen Nase eine schwere Hornbrille, imponierte er schon äußerlich, so lange er stand. Wenn er aber schlottrigen Ganges, die Zehen nach innen, die Fersen nach außen gerichtet, daher lief, fürchtete man ihn.
Er hatte nur ein Mittel, der Krummholz am Gallenbächle, für Menschen und Vieh; es waren dies mit Geißbutter bestrichene kleine Brötchen, welche der Patient verzehren mußte, während der Sympathist sein Sprüchlein tat.
Rotlauf, Fieber, Blutvergiftungen, sagen die Buren alle heute noch, konnte der Krummholz unfehlbar heilen, ebenso die Schmerzen und den Brand nehmen.
Aus dem fernen Renchtal stiegen die Leute über den Holzwald und Kniebis herauf und kamen hilfesuchend zum alten Wolber, der täglich, wie's einem frommen Sympathiemann geziemt, in das Kirchlein nach Wittichen wanderte, aber auch täglich seinen Schoppen trank in der Linde im Vortal.
Der Wolber verteilt schon mehr denn 20 Jahre keine Butterbrötchen mehr; er ist längst tot. –
Gerne bezog der Mann am Teufelstein Sachen auf Zeitungsannoncen hin, so auch einmal ein »Perspektiv aus Berlin für drei Mark«, ein andermal Hemden aus dem Elsaß, dem er beim Eintrag in sein Ausgabebuch einen famosen Namen gab, indem er es »Deutsch-Frankreich« nannte. –
Seine milde Hand tat sich auch gerne auf für vom Feuer Beschädigte. Oefters steht ein großer Betrag eingetragen »für abgebrannte Leute«. Auch arme Weibsleute, die gerne nach Einsiedeln gewallfahrtet wären, aber kein Geld hatten, erfreuten sich des braven Mannes Unterstützung.–
Das Einnahmebudget war so klein, daß man staunen muß, wie er das Ganze im Gleichgewicht zu erhalten mochte.
Jedes Vierteljahr 350–400 Mark Besoldung, bisweilen Verkauf von Wild und Fischen, von Kühen und Kälbern, das war die Einnahme.
Das Wild, namentlich Rehe und Haselhühner, lieferte er oft nach Wolfe an Theodor, den Seifensieder, und nahm dafür Seife und Lichter für seinen Hausbedarf.
Forellen aus dem Heubach, die ihm seine Buben oder arbeitslose Leute fangen mußten, bekamen die Bad-Wirte im Renchtal drüben.
Beim Verkauf von Vieh war er äußerst hochherzig. Kaufte es ein armer Mann und die Summe ging über 100 Mark, so hieß es im Tagebuch: »Zahlbar in zwei Jahren ohne Zins.«
Kühe, die er kaufte, bekamen alle den Namen entweder vom Ort, aus dem sie herstammten, oder von ihrem früheren Besitzer. Sie figurieren im Budget als Kniebiskuh, St. Romanerkuh, Schiltacherkuh, Schultoniskalb.
Ein eigenes Ausgabebüchlein führte der Teufelsteiner für den Bedarf von Rind- und Kalbfleisch, das er vom »Metziger« Philipp Wolber von Schiltach bezog. Diesem schrieb er nach jeder Sendung die Note derselben ins »Fleischbüchle«, so daß der Metzger bei der nächsten Fleischbestellung stets lesen konnte, wie das letzte Fleisch am Teufelstein aufgenommen worden war.
Wir lesen da: »Schlecht, sehr schlecht, viel Bein, sehr schön und gut, gut und fett, altes, zähes, schlechtes Zeug, nicht lind zu bringen, fett, lauter Bein, schwammig und nicht zu essen.«
Der Metzger Wolber aber muß ein kreuzbraver Mann gewesen sein, denn er las ruhig all die schlechten Noten, lieferte unverdrossen weiter und quittierte am Ende des Jahres, wo abgerechnet wurde, stets mit »herzlichstem Dank«.
Wie sparsam aber die Familie des Fürsten im Essen von »grünem Fleisch« war, geht daraus hervor, daß die Jahresrechnung nur zwischen 75 und 90 Mark betrug.
So geben uns seine Aufzeichnungen das Bild eines originellen Mannes, dessen wohlwollender, gerader und biederer Geist überall durchleuchtet, selbst da, wo andere Menschen nur trocken ihr Soll und Haben niederschreiben.
Begleiten wir ihn jetzt in seine Ruhetage, wo er volle Muße findet, seinen originellen Liebhabereien nachzukommen, bis der Tod einkehrt auf dem Abrahamsbühl, um den Fürsten, der diesseits des Teufelsteins so viele Jahre verlebt, jenseits desselben ausruhen zu lassen von den Mühen eines langen Lebens.