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3.

Westlich von Wittichen liegt ein kleines Wildtal, tief, eng, felsig und von hohen, waldigen Bergwänden eingeengt. Heubach heißt es, im Volksmund Heuwich, und wird von einem kleinen Bergwasser eilig durchzogen. Bis vor wenig Jahren führte nur ein Saumpfad neben dem Wasser her in dies Tälchen hinein, in welchem zerstreut in düsteren Gründen einzelne Taglöhnerhütten stehen, während die Bauernhöfe, unsichtbar, ganz oben auf dem Hochplateau liegen.

Etwa in der Mitte des Tälchens finden wir einsam das Wirtshaus zum »Auerhahn«, das seine Entstehung Jägern und den Bergknappen verdankt, die hier in der Grube »St. Anton« einst mächtige Stollen in den Berg trieben, um Silber zu Tag zu fördern.

Nördlich vom »Auerhahn«, auf der andern Seite des Wildbachs, ist der »Abrahamsbühl«, der aber frischweg den Namen Berg verdient. Auf seinem höchsten Punkte lag, als der Forstadjunkt Fürst in Wittichen amtete, ein rauher Waldhof, der Heuwich-Andresenhof.

Sein Besitzer, einer vom reichen Stamme der Harter vom Roßberg, der Heuwich-Andres genannt und der gleiche Andres, welcher als Bursche einst den jungen Seppe-Toni nach Waldhausen geführt hatte, bekam von der fürstlich fürstenbergischen Standesherrschaft für seinen Hof auf dem Abrahamsbühl 89000 Gulden. Viel Geld für einen Bur vor sechzig Jahren.

Der Andres kaufte zunächst einen andern Hof im Kaltbrunn, den Bernethof, wo sein Weib daheim war. Es blieb ihm aber noch so viel Geld, daß er üppig wurde.

Drunten im Auerhahn im Heuwich, im Ochsen im Schapbacher Tal und z'Wolfe im Salmen warf der Andres manchmal das Geld handvollweise zum Fenster hinaus und schaute vergnüglich zu, wenn die Leute sich darum stritten.

Weil er stets viel Geld mit sich führte, wurde ihm auch oft aufgepaßt. Und der Schieden-Landolin aus der Gemeinde Kinzigtal erschlug in einer Nacht im Langenbacher Tal den »Schosmarti«, einen Schafhändler, weil er ihn für den reichen Heuwich-Andres hielt.

Als dieser kein Geld mehr zum Hinauswerfen hatte, verkaufte er den Bernethof, um wieder zu Geld zu kommen. Und da alles draußen und er blutarm war, schlug er sich mit Besen- und Strohschuhmachen ehrlich durch bis zu seinem Tod.

Ich möcht' dem Heuwich-Andres kein zu strenges Urteil fällen, denn der Mann war fröhlich mit den Fröhlichen und später zufrieden und arm bei den Armen.

Auf den Hof des Andres auf dem Abrahamsbühl setzte die fürstenbergische Domänenkanzlei anno 1841 den Beiförster von Wittichen, ihn selbst aber unter den fürstlichen Forstverwalter in Wolfe.

Rings ums Haus bekam er für wenig Geld ein großes Stück Land, um Korn, Hafer, Kartoffeln und Gras pflanzen und Kühe, Schweine und, was längst sein Ideal war, ein Pferd ernähren und halten zu können.

Vergnügt zog er drum mit seiner Heli und zwei kleinen Kindern auf die einsame Höhe. Das erste, was er hier bei einem Gang in die Nachbarschaft entdeckte, war sein zukünftiger Ehrentitel.

Unweit vom Abrahamsbühl, durch Wald verdeckt, liegt das Bergkirchlein von St. Roman, die Pfarrkirche für die Heubacher, wunderbar in grüner Waldeinsamkeit.

Von dem neuen Forsthaus weg führt der Weg dahin am »Teufelstein« vorüber. Diesen roten Steinblock trug, so erzählt sich das Volk, der Teufel über die Wälder daher, als ein frommer Einsiedelmann für sich und die Buren der waldigen Einöden ringsum dem heiligen Romanus ein Kirchlein gebaut hatte. Mit dem Steine wollte der Böse das Gotteshäuschen zerschmettern. So gibt er einem Bäuerlein an, das den Gottseibeiuns mit der Steinlast im Walde antrifft, da er sie eben abgelegt hat, um auszuruhen.

Das Bäuerlein ruft Gott und alle Heiligen an, und siehe da, als der Feind Gottes die Last wieder heben will, um sie auf das unserne Kirchlein fallen zu lassen, ist sie zu Brei verwandelt. Empört stampft der schwarze Geselle seinen Pferdefuß in die weiche Masse und geht – zum Teufel.

Das Kirchlein ist gerettet. Der Stein wird wieder hart und die Buren fürchten mit der Zeit das Höllengestein nimmer; sie spalten ihm Stücke ab zu Bausteinen, und er wäre längst verschwunden, wenn die fürstliche Standesherrschaft ihn nicht gerettet und das Steinholen verboten hätte.

Fromme Wallfahrer, die Völker aus dem mittleren und oberen Kinzigtal, so am ersten Sonntag im August dem St. Roman zu Ehren mühsam nach dem Kirchlein wallen, besuchen in der Regel auch den Teufelstein.

Dieser war der allernächste Nachbar des Beiförsters auf dem Abrahamsbühl; darum nannte und schrieb er sich fortan »Josef Anton Fürst vom oder am Teufelstein«. Und so hieß ihn bald auch der Volksmund.

Der Teufel, so meinte der Fürst, passe für einen Jäger und müsse ein Freund dieser Leute sein, weil er sich mit Vorliebe als Jäger verkleide.

Sein Vater, der alte Revierjäger, hatte mehr als einmal den grünen Weidmann in dem Waldrevier um Wittichen getroffen, namentlich wenn er an Sonntagen jagte.

Drum hat er schließlich das Jagen an diesen Tagen ganz aufgegeben, der Witticher Nimrod, weil er oft den grünen Mann sah an solchen Jagdtagen, und weil einmal ein Hase, auf den er am Sonntagmorgen geschossen, da es eben Wandlung läutete in der Kirche drunten, sitzen blieb und ihm mit dem rechten Lauf einen »Finger machte«.

Der Fürst vom Teufelstein fürchtete seinen Adelspatron nicht, denn seine Heli war gar fromm und betete ihm alle Teufel von Haus und Wald weg, und er selbst, der Seppe-Toni, ging jeden Sonntag in grüner Jägeruniform hinaus in das kleine, dunkle Kirchlein von St. Roman. –

Hatten die Donaueschinger Waldregenten den Beiförster von Wittichen schon als offenen Mann kennen gelernt, der auf studierte Leute nichts hielt und es ihnen auch schrieb, so sollten sie ihn, da er auf dem Abrahamsbühl und in der Nähe des Teufelsteins residierte, auch als einen praktischen Bittsteller kennen lernen.

Das Bauernhaus, welches er bezog, war ein Holzhaus, auch innen völlig getäfelt. Hinter dem Getäfel aber hatten im Lauf der Zeit Wanzen ihre Herberge aufgeschlagen und ganze Gemeinden gegründet.

Der Fürst vom Teufelstein beschloß daher, in Donaueschingen den Antrag zu stellen, die Bretterwände wegnehmen und die Zimmer und Kammern weißeln zu lassen.

Getan! Die Antwort blieb aber aus. Da moniert er und legt als Beweisstücke 12 lebendige Wanzen bei. Abermals Schweigen droben in der Bar. Vier Wochen später schickt er 24 Stück jener unbeliebten Tierchen und bemerkt dazu, weil die Wanzen sich so sehr vermehrten, müsse er eine Kolonie davon in Donaueschingen anlegen.

Jetzt fürchten die Herren, alle Wanzen vom Abrahamsbühl zu bekommen, und sie willfahren dem Teufelsteiner – ohne Rüffel.

Da räsoniert man über die Bureaukraten der alten Zeit, und doch haben sie hier gezeigt, daß sie Humor verstanden und keine Tyrannen waren.

Ich möchte es in unserer blasierten und pomadisierten Zeit keinem Beiförster raten, Wanzen nach Karlsruhe oder nach Donaueschingen zu senden. Das wäre ein Majestätsverbrechen gegen die hohen Vorgesetzten, und der Warenlieferant käme mit einem Federstrich um sein Brot.

Drum lob' ich mir eben stets die alte Zeit, die in alleweg besser war, bei den Bauern wie bei den Herren. –

Nachdem der Mann am Teufelstein sich im Hause Ruhe verschafft, begann er den ehemaligen Hof mit Wald anzupflanzen und ließ nur das Land ums Forsthaus herum kultiviert. Nach wenig Jahren war er rings von Wald umgeben, und heute liegt die Residenz des Teufelsteiners mitten im Hochwald, den er gepflanzt und gepflegt hat, der unter ihm groß geworden und zwischen dem er selbst alt geworden und gestorben ist.

Und er hat diesen Wald und die Wälder ringsum geliebt wie seine Kinder.

Aber er hat sich auch eine Waldresidenz geschaffen, einsam, heimelig, immergrün, weltfern und von wunderbarer Poesie umwoben.

Und daß die große Naturseele des Beiförsters am Teufelstein diese Poesie empfunden hat, werden wir gleich und noch oft sehen.

Bald hatte er entdeckt, daß sein Waldhorn drüben am Wald von St. Anton ein herrliches Echo hervorrief, und morgens in der Frühe, ehe er auszog in des Waldes düstere Gründe, und am Abend spät, wenn er heimgekehrt war, stund er vor seiner Hütte und rief mit seinem Horn im Walde jenseits des Tales Nachklänge wach, die wie Harfenton durch seine Seele zogen.

Sah er einen einsamen Wanderer an der gegenüberliegenden Bergwand, den Weg suchend oder seines Weges gehend, so nahm er sein Waldhorn, gab ihm ein Signal oder sandte ihm einen Gruß vom Fürsten vom Teufelstein.

Aber es gab am Abend noch manche einsame Stunde auf dem Abrahamsbühl. Auch die wußte sich der Mann vom Teufelstein zu ergötzen. Neben seinem Waldhorn schaffte er sich zeitig eine Drehorgel an, die er in trüben und heiteren Stunden fortan ein halbes Jahrhundert lang spielte und an deren einfachen Weisen er sich immer wieder erfreute.

Daß er fünf Jahrzehnte hindurch nicht genug bekam, seine Drehorgel zu hören, spricht auch für die Naturseele des Mannes auf dem Abrahamsbühl und ist keiner der geringsten Momente, derentwegen ich meine Freude an ihm habe.

Mir selbst ist – so ungebildet und bürisch das auch klingen mag in den Ohren unserer Hyperkulturmenschen – Drehorgelmusik lieber als eine Symphonie von Beethoven. Und ein armer Drehorgelmann, der etwas entfernt von mir seine Volksweisen spielt, kann mich zu Tränen rühren. –

Des Monats einmal sattelte der Fürst vom Teufelstein sein Rößlein und ritt als stolzer Jägersmann mit Hirschfänger und im grünen Rock das enge Sulzbachtälchen hinab und gen Wolfe, wo er seine 33 Gulden Gehalt holte und seinem Revierförster Meldung machte.

Dieser war anfangs sein einstiger Chef in Rippoldsau, von Hetzendorf, mit dem er die gleiche Vorliebe, die er übrigens von seinem Vater ererbt hatte, teilte, Singvögel aller Art zu halten.

Ich erinnere mich noch aus meiner Knabenzeit, daß selbst in Hasle in unserem Bubenkreise viel gesprochen wurde von den zahllosen Vögeln des Herrn von Hetzendorf. Er war frühzeitig pensioniert worden und hatte ein Gütchen gekauft oben an der Kinzig im Hagenbuch. Er starb, ziemlich arm, in den siebziger Jahren und verlangte ausdrücklich, wie ein armer Mann begraben zu werden. –

Der Dienst auf dem Abrahamsbühl war nicht beschwerlich und noch weniger gefährlich. Die Leute im Heubach und in und um Wittichen waren nicht so harz- und holzgelüstig, wie die armen Menschen auf dem Kniebutz. Die Bauern im Gebiet von Wittichen und St. Roman haben selbst große Wälder, und wenn ein armer Teufel einmal einen »Dürrständer« holte, so war der Fürst vom Teufelstein gnädig, wie's recht und billig ist.

Er pflegte auf seinen Waldgängen als fröhlicher Mann stets zu pfeifen oder zu singen. Und wenn er trotzdem auf einen Frevler stieß, so fuhr er ihn an: »Hast mich denn nicht pfeifen hören, warum hast dich erwischen lassen?« Und dann schrieb er den dummen Dieb in sein Anzeigebuch.

Ich weiß nicht, wer das unschöne Wort erfunden hat: Forstfrevel und Forstfrevler. Es war ein harter Mann, der's erfand, daß er das Holen von Reisig und Brennholz, was nur arme Menschen tun, um sich zu wärmen und ihr kärgliches Mahl zu kochen – einen Frevel taufte, ein Wort, das heute noch blüht in der Justiz.

Ich meine, es wird am Volke, an seinem Glauben, an seinen Sitten und Gebräuchen, an seinem Wohlstand in unserer Zeit viel gefrevelt, was ein wahrhaftiger Frevel ist, gegen den das unberechtigte Holen von Holz im Wald mir als ein reines Kinderspiel erscheint. –

Unser Teufelsteiner war, nicht bloß ob seines biedern, heiteren Wesens und nicht nur ob seiner Waldhornsignale und -grüße und weil er den Leuten, die in sein Haus kamen, Drehorgel spielte, beliebt auf allen Bergen, in allen Tälern und in allen Gründen vom Hirschgrund bis zum Ochsengrund – sondern auch wegen seines Pfeifens und Singens, womit er den harmlosen Frevlern seine Ankunft signalisierte.

Als deshalb einige Jahre nach seiner Niederlassung am Teufelstein die Revolution losbrach und bis in die Wälder und Einöden von Kaltbrunn und Wittichen drang, als seine vier Brüder in den Kampf gezogen waren für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, da sprachen die Buren zum Teufelsteiner: »Wenn wir jetzt die fürstlichen Wälder bekommen, so müßt Ihr unser Oberförster werden.« Und als die Nachricht in die Berge kam, drunten in Husen hätten sie dem Fürsten von Fürstenberg schon das Versprechen »abgejagt«, auf seine Besitzungen im Tale zu verzichten – da kamen die Buren abermals und trugen dem Fürsten vom Teufelstein die Oberförsterei an.

Der schmunzelte und zwinkerte mit den Augen, stopfte nebenbei seine Pfeife und sprach: »Ihr Männer, darüber reden wir, wenn einmal alles fertig ist und die Revolution gewonnen hat. Bis dahin will ich Euch den Wald hüten, und Ihr geht hinunter ins Land und bringt mir's schriftlich vom Fürsten, daß der Wald Euch gehört.«

Sprach's und blieb – die Freiheit im Herzen, wie jeder brave Mann – mäuschenstill auf seinem Abrahamsbühl, während sie drunten im Kinzigtal in kühnen Reden die Fürsten aufhängten und ihre Güter teilten.

Es ist ein natürlicher Zug des Volkes, d. i. des Kleinbürgers, Halbbauern und des Bauern, bei Revolutionen in erster und letzter Linie nur an eine Vermehrung des Besitzstandes und an Verminderung der Lasten zu denken. Um Freiheiten in höherem Sinn bekümmern sich diese Leute nicht: sie fühlen, daß sie ihnen doch nichts nützen würden.

Aber das fühlt er auch, der Bauer, daß eigentlich Feld und Wald denjenigen zu eigen sein sollten, die sie kultivieren, anpflanzen und bebauen. Und dieses Gefühl teile ich mit ihm.

Es wird aber trotz aller Revolutionen nie dazu kommen. Vielleicht wär's nicht einmal gut. Es könnte den Bauern zu wohl werden, und das wäre weit gefährlicher, als wenn's dem Herrenvolk zu wohl wird – weil es viel mehr Bauern gibt als Herren. –

Hatte die Klugheit den Teufelsteiner glücklich durch die Klippen der Revolution gesteuert, so büßte er doch unter den Nachwehen derselben. Die Reaktion im Lande, der Mangel an Kredit infolge der Revolution und schlechte Ernten machten die ersten Jahre des fünften Jahrzehnts im 19. Jahrhundert zu einer betrübten und armseligen Zeit.

Das Hungerjahr 1847 und die Notjahre 1852 und 1853 kehrten auch im Forsthaus auf dem Abrahamsbühl ein, weil der Mann mit 33 Gulden Monatssold zehn lebendige Kinder hatte und trotzdem noch jedem Armen, der an seine Türe pochte, etwas gab.

Sein Weib, die Heli, die sonst sehr wohltätig war, mußte ihn bisweilen mahnen, da sie bald selbst nichts mehr zu essen hätten für sich und die eigenen Kinder. Doch der wackere Mann gab ihr jeweils zur Antwort: »Wir geben, so lang wir etwas haben, und wenn wir nichts mehr haben, so gehen wir auch betteln, dann haben wir wieder so viel, als die andern.« Und so tat er, und wenn die Not groß war, schrieb er seinem Fürsten nach Donaueschingen.

»Ich ringe in großer Not und Sorge, um mich und meine Familie zu erhalten, und weiß mich kaum mehr zu erwehren,« also schrieb er, wenn der Hunger im Forsthause stund und die vielen Kinder, sieben Buben und drei Meidle, nach Brot riefen.

Und jedesmal kamen 50 oder 100 Gulden, und davon gab der Mann am Teufelstein jeweils auch den Bettlern wieder, und wenn das Geld alle war, ging er selbst wieder betteln.

In sein Waldhorn aber blies er die trüben Stimmungen und seiner Drehorgel entlockte er heitere Weisen, wenn des Lebens Kummer und Sorgen ihm den Humor rauben wollten.

Doch in jenen schlimmen Zeiten erschien auf dem Lebensgang des Fürsten vom Teufelstein auch ein Mann, der ihm zum treuen Freund wurde, obwohl er sein Vorgesetzter war.

Im Jahr 1851 kam der Revierförster Bogenschütz nach Wolfe, ebenfalls eines Jägers Sohn aus dem Forsthaus Kriegertal im Hegau, der bald seine helle Freude hatte an dem biedern, geraden Mann. Tagelang durchstreiften beide fortan mehr denn ein Vierteljahrhundert die Wälder im Heuwich und in Wittichen und sangen dabei in ihren jungen Jahren, wie der Teufelsteiner in seinen alten Tagen noch erzählte, daß es über Berg und Tal schallte:

Es jagt ein Jäger wohlgemut,
Er jagt mit frischem, freiem Mut
Wohl unter grünen Linden.
Er jagt derselben Tierlein viel
Mit seinen schnellen Winden.

Er jagt über Berg' und tiefes Tal:
Und unter Stauden überall
Sein Hörnlein tät er blasen.
Sein Lieb wohl auf den Jäger harrt,
Wohl auf der grünen Straßen.

Er spreit' den Mantel in das Gras,
Bat, daß sie zu ihm niedersaß,
Mit weißem Arm umfangen:
»Gehab' dich wohl, mein' Trösterin,
Nach dir steht mein Verlangen.«

»Uns netzt kein Reif, uns kühlt kein Schnee,
Es brennen noch im grünen Klee
Zwei Röslein auf der Heiden
In Liebesschein, in Sonnenschein,
Nie Zwei soll man nicht scheiden.«

So und anders sangen die zwei Jägersleute und waren ein Herz und eine Seele.

An einem Sommertag waren einmal beide bei der Jagd von einem heftigen Gewitter überrascht worden. Sie nahmen Zuflucht vor den Regenmassen, welche durch die Zweige drangen, unter einer riesigen Tanne. Bald aber begannen ihre Hunde derart vor ihnen zu winseln, zu heulen und zu bellen, daß der Revierjäger meinte: »Da wollen wir fort, die Hunde ahnen was.«

Kaum hatten sie sich wenige Schritte von der Riesentanne entfernt, als ein Blitzstrahl an ihr herabfuhr, sie spaltete und die eine Hälfte zu Boden schleuderte.

»Diesmal,« meinte ruhig der eine Jäger zum andern, »haben uns die Hunde das Leben gerettet.«

Wie sehr übertrifft die Tierseele, weil sie der Natur näher steht, die menschliche Seele an Ahnungsvermögen!

Hab' ihn auch noch gar wohl gekannt, den ruhigen, stillen Förster Bogenschütz, und als Knabe in meines Vaters Auftrag manch' Klafter Holz ersteigert, das er feilbot in den fürstlichen Waldungen um Hasle. –

Viel Sorge, aber auch viel Freude machte dem Teufelsteiner die Flößerei im Heubächle. All die gewaltigen Tannenbäume, welche jährlich geschlagen wurden, mußten auf dem kleinen Wildwasser hinausgeflözt werden in die Kinzig.

Die Waldeigentümer im Talgebiet des Heubachs, die Buren und der Fürst von Fürstenberg, bildeten zu dem Zweck eine »Bachgemeinde«. An ihrer Spitze stund als Unparteiischer der »Bachvogt«, welcher die Floßordnung überwachte, die Floßgebühren einzog und Streitigkeiten zwischen den Floßherren und den Flößern schlichtete.

Bachvogt war jahrzehntelang bis zum Aufhören der Flößerei der Adlerwirt von St. Roman, Matthias Maier, ein behäbiger, klugäugiger Mann, Freund unseres Helden, Vater von 24 lebendigen Kindern und trotzdem allezeit guten Mutes.

Oft saß er draußen im Forsthaus beim Jäger, der nicht gern ins Wirtshaus ging und drum den Wirt zu sich holen ließ, und spielte mit ihm Domino.

Unzählige Flöße haben die zwei auf dem durch gestaute Wasser reißend gemachten, von steil herabfallenden Felsen eingeschlossenen Heubachle hinausbefördert bis zum Hohenstein an der Kinzig.

Die Fahrt ging durch eine Felsenschlucht, die sogenannte »Hölle«, und war stets lebensgefährlich.

Ehe aber ein Floß, sei es ein Burenfloß oder ein fürstliches, abgelassen werden konnte, gab es viele, viele Arbeit.

Im Spätherbst zogen die Burschen, Flößer und Holzmacher, an dem Heubächle hin und suchten dicke Haselstauden am Wasser- und Waldrand. Dann, wenn der Winter eingebrochen war, erschien beim Floßherrn »der Wieder«, d. i. der Mann, welcher die Haselstauden zu Weiden drehte, mit denen die Floßstämme zusammengekoppelt wurden.

Was im mittleren und unteren Kinzigtal zur Winterszeit der Hechler ist, der den Hanf spinngerecht macht, war im oberen, wo kein Hanf wächst, der Wieder. Der heizte den Backofen vor dem Hof, bähte und dämpfte darin die Haselstauden und drehte sie dann an einem Holzpflock zu Wieden, welche, stark wie Draht, die gewaltigen Stämme zusammenhielten in Wogenprall und Felsendruck.

Während der Wieder unten im Tal seine hölzernen Seile flocht, stunden die Holzmacher im Schnee droben in den Wäldern am Teufelstein, bei St. Anton, am Eichberg, im blauen Loch und fällten die stolzen Waldköniginnen, indes der Rauch ihres Feuers, an denen die Holzmacher ihr Essen wärmten, langsam über die Forste hinzog.

Kam dann der Frühling in das Land, war das Eis über dem Heubächle gebrochen und der Schnee im Kirschgrund und im Ochsengrund geschmolzen, dann wurden die geputzten und entasteten Tannenbäume zu Tal »gerieft«, eine ebenso schwierige, als gefährliche Arbeit.

Tannenbäume werden von der Höhe bis hinab ins Tal so gelegt, daß sie einen Kanal bilden. In diesen Kanal werden ihre Kameraden hineingeschoben und sausen dann mit ebenso großer Gewalt als Schnelligkeit zu Tal.

Gar oft springt aber einer von ihnen über die Kollegen, die ihm den Weg weisen sollen, und trifft die Holzhauer, welche in Abständen an der »Riese« hin postiert sind, um die Ausreißer wieder ins richtige Geleise zu bringen.

Sind die Stämme alle drunten auf der Talsohle, so werden sie im Bach zu Flößen gebunden, Gestör an Gestör, bis zu einer Länge von 1500 Fuß.

Jetzt wird das Wasser oberhalb des Floßes gestaut und in einem Weiher gesammelt. Der Bachvogt erscheint und waltet seines Amtes, berechnet die Floßgebühren und hilft den Floß »vermessen«. Der Floßherr, bei fürstlichen Flößen der Mann vom Teufelstein, ist auch zur Stelle.

Jetzt treten die Holzhauer als Flözer Der Kinzigtäler sagt der Flözer und der Floz, nicht das Floß, weil ihm alles Gewaltige männlichen Geschlechts ist. in ihr Amt, aber nur die kräftigsten und gewandtesten unter ihnen. Es waren dies im Heuwich in den letzten Jahrzehnten vor dem Aufhören der Flößerei vorab der Pfaffengregori, der Trillensepp, der Schultoni, der Pfaffenbernhard, der Wirtsbasche und mit ihnen als ständiger Passagier – der alte Aeckerbur, Hans Armbruster, der zum Vergnügen die Höllenfahrt mitmachte. Einzelne von ihnen waren Originalmenschen, alle aber Waldleute echtesten Schlags. Beschauen wir sie darum näher.

Der Pfaffengregori, ein mittelgroßer, breitschultriger, starker Mann mit dunklem Haar und breitem Gesicht, von einem Backenbart umrahmt, trägt seinen geistlichen Namen von seiner Geburts-Hütte, die einsam am Heubächle liegt. Vor vielen, vielen Jahren soll; so sagt das Volk, in dem alten Holzhäuschen ein Geisteskranker gewohnt haben, der sich für einen Pfarrer ausgab und predigte, weshalb seine Hütte den Namen bekam und behielt – »das Pfaffenhäusle«.

Der Gregori, bald Knecht, bald Holzhauer, bald Flößer, zeichnete sich von jeher aus durch ungemeine Gefälligkeit gegen jedermann. Er konnte niemanden was abschlagen. Bat ihn einer, einem Dritten eine Tracht Prügel zu geben, so tat er dem einen den Gefallen auf Kosten des andern.

In seinen jungen Jahren war er einmal Knecht beim Teufelsteiner. Dieser beklagte sich eines Tages, daß ihm ein Bauernhund aus der Nachbarschaft einen Hasen verscheucht habe, und räsonierte über die Bestie.

Andern Tags sagt der Gregori zum Jäger: »Der Hund des Nachbars verjagt Euch keinen Hasen mehr.« Auf die Frage, warum? – meint der Gregori trocken: »Ich hab' ihn diesen Morgen an einem Baum aufgehängt.«

Ein andermal möchte ein Bürger von Schilte schönes Spaltholz kaufen, findet aber keines im fürstlichen Wald. Flugs geht der Gregori hin, fällt eine der schönsten Tannen und macht dem Bürger Holz nach Wunsch. Er wird zwar für diese Gefälligkeit, die ihm nichts eintrug, eingesperrt, aber er hat seinem Nebenmenschen einen Gefallen getan, und das tröstet ihn.

Anfangs der siebziger Jahre wurden im oberen Kinzigtal Flößer für Ungarn und Siebenbürgen gesucht. Gegen 200 Mann verließen die Heimat und unter ihnen der Pfaffengregori. Viele kamen fern der Heimat in den Wald- und Bergflüssen der Karpathen ums Leben. Die Heimkehrenden bringen ein gut Stück Geld mit. Der Gregori zählt zu ihnen. Er wird aber wieder Flößer im Heubächle, und heute bezieht er als ein Siebziger Alters- und Invalidenrente und wartet bei einem Schwiegersohn im Kaltbrunn auf den Tod.

Des Pfaffengregoris Schwester, die Eichberger Agnes, war auch bekannt in und um den Heubach. Sie wohnte mit ihren alten Eltern nicht mehr im Pfaffenhäusle, sondern auf einer Waldoase nördlich vom Forsthause und galt als erfahren in Hexenkünsten, was sie nicht ungern hörte. Die Leute fürchteten ihre Hexerei und gaben ihr, was sie wollte.

Eines Tages kam ihr Vater zum Teufelsteiner herab und klagte ihm, er habe seinen letzten Gulden verloren, weil die Mäuse ihm nachts den Hosensack durchfressen hätten. Da schenkte ihm der noble Nachbar einen Gulden und eine Mausfalle, damit er die Mäuse fange. »Aber Eichberger,« fügte er schelmisch hinzu, »gebt acht, daß keine Hexe in die Falle kommt.« –

Der Trillensepp, ein kleiner, schlanker Mann mit blondem Haar, schmalem, glattem Gesicht und spitzer Nase, stammt aus dem Trillenbächle, einem Miniaturtälchen unterhalb des Teufelsteins. Der Sepp war vor fünfzig Jahren Bergmann und mutete im Wolftal auf Kupfer. Später ward er Holzhauer und Heubachflößer erster Güte. Auch er war in Siebenbürgen, von wo er einen ordentlichen Durst mitgebracht hat.

Er wartet auf die Altersrente und arbeitet heute noch als Holzhauer bei den Buren. –

Einsam steht zwischen dem Heubach und St. Roman auf waldiger Höhe das ehemalige Schulhaus des Kirchspiels. In ihm ist der Schultoni geboren, die Blüte der Heubachflößer und wohl aller Kinzigflößer dieses Jahrhunderts. Das Buch erschien erstmals 1897 und auf diese Zeit beziehen sich auch alle übrigen Angaben.

Der Schultoni, ein starker Mensch mit dunklem Vollbart und blauen Augen, ist Sänger, eine Eigenschaft, die selten ist bei den Flözern. Diesen ernsten, in Gefahren und schwerer Arbeit stehenden Menschen ist es nicht besonders singerig. Sie fluchen lieber, die Flözer, aber singen gehört nicht zu ihrer Liebhaberei.

Eine seltene Ausnahme machte der Schultoni. Er war stets heiter, lustig, sangesfroh und dabei einer der geschicktesten und furchtlosesten Flößer. Sein Wahlspruch lautete: »So ist der Schultoni, immer lustig ist er, immer singen tut er, und wenn der Bettelsack an der Wand verzweifelt, singt er.« Und diesem Wahlspruch ist er allzeit treu geblieben.

Bei der großen Flößerfahrt nach Siebenbürgen brachte er es zum »Paßführer«, d. i. zum Oberkommandanten, und sein Weib, das ihm in der Fremde starb, war die Köchin der Gesellschaft.

Heimgekommen, pachtete er ein Gütle im hintern Heubach und wurde wieder Holzhauer und Flözer. Heute, da die Eisenbahnen das Flößen totgemacht haben, verlädt der Toni noch als Greis die Tannenbäume am Bahnhof in Schilte, auf den die Burgruinen der Schenken von Zelle und der Herzoge von Urslingen und von Teck so malerisch herabschauen.

Die jüngsten der letzten Heubachflößer waren der Pfaffenbernhard und der Wirtsbasche. Sie übten ihren Beruf, nachdem die Flößerei in der Heimat aufgehört hatte, in Bayern aus, wo der Bernhard noch heute ist. Der Basche (Sebastian), ein kreuzbraver Mann und Schwiegersohn des Fürsten vom Teufelstein, dessen Tochter Priska er heimgeführt, amtet jetzt noch in Schilte als Holzhauer.

Die Tage der Poesie und Gefahr sind für die Heubacher Flößer vorüber. Die Alten haben alle einen Bresten geholt beim Flözen, meist gebrochene Beine, aber sie loben die Flözerzeit heute noch und würden sie dem langweiligen Holzverladen auf den Bahnhöfen vorziehen.

Flözer nicht aus Beruf, sondern aus Lust an der Gefahr, am Aechzen der Flozwieden, am Gischt des Wassers, der zwischen den Stämmen heraufspritzt – war der alte Aeckerbur, Hans Armbruster, ein kleiner, stämmiger Bur und ein Original, wie es sein soll.

Er stammte von einem reichen Burengeschlecht, das heute noch auf dem Marxenhof im Schappe sitzt, unfern vom Eingang in den Wildschapbach.

Als nachgeborener Sohn mußte er auswärts und machte sein Glück zweimal bei Witwen. Einmal heiratete er die Hinterlassene des Künstlesburen im Schappe, Genofev, und war in seiner Heimat ein tüchtiger und allgemein beliebter Bur.

Nach Jahr und Tag stirbt die Fev; er gibt den Hof seinem Stiefsohn, dem Engelbert, und heiratet die Witwe des Aeckerburen im Heuwich.

Der Aeckerhof, hoch oben gelegen auf waldigen Gehängen, die steil abfallen zum Heubächle, ist einer der größten Waldhöfe im oberen Kinzigtal. Der Johannes wurde ein Bauernfürst; er ließ alljährlich einen eigenen Floz den Bach hinab und begleitete, wie eben erwähnt, alle andern Flöße, die aus dem Heuwich der Kinzig zutrieben, aus Vergnügen an der Fahrt.

Dabei war er aber kein untätiger Passagier, sondern ein fleißiger, gewandter Floßknecht.

Hatte er einen eigenen Floz im Bach und war, wie er es liebte, rasch und tüchtig gearbeitet worden, und lag der Floz am rechten Ort in der Kinzig, so gab der Johannes die reichlichste Zeche. Er selbst war Liebhaber eines guten Schoppens und zahlte gerne andern, aber nie einen besondern Schoppen, sondern alle mußten aus seinem Glas trinken, das er selbst immer und immer wieder, nachdem er zuerst getrunken hatte, kredenzte mit den Worten: »Ung'fähr, i bring dir's.«

Seine besten Freunde waren nicht Buren, sondern tüchtige Holzhauer und Flößer, so der Gottfried, Obmann der fürstlichen Waldleute, und Johannes Dieterle, genannt der Ruxenmann, sein eigener Holzhauer und Schwager.

Der Ruxenmann, der im Ruxengrund unter dem Aeckerhof auf seinem Gütle saß, und der Aeckerbur arbeiteten wie Löwen im Wald und auf dem Floß, aber nach getaner Arbeit tranken sie auch wie Löwen.

Auf dem Aeckerhof lebte ein schwachsinniger Bruder der Bure, der Aeckerbartle geheißen; der tat einst einen schönen Ausspruch über den Ruxenmann und den Aeckerbur.

Zu den Buren jener Gegend kam oft ein St. Romaner Kuh- und Ochsenhändler, genannt der Bärlocher. Bei einem Ochsenpaar sehen Käufer und Verkäufer darauf, daß die Tiere in Größe und Farbe gut zusammenpassen. Daran anknüpfend, redete einst der Aeckerbartle laut vor sich hin: »Der Bärlocher, der Bärlocher isch a g'schickter Ochsehändler, a g'schickter Ochsehändler, aber g'schickter als unser Bur un der Ruxemann hat er's nit zemmebringe könne: 's isch von dene zwei einer so alt, als der ander, 's heißt einer, wie der ander, 's isch einer so schaffig, wie der ander, und 's kann einer suffe wie der ander.«

Also der Aeckerbur war auf allen Flößen, die aus dem Heubach kamen. Begleiten wir ihn einmal.

Vor der Felsenschlucht, die Hölle genannt, tief unter dem Forsthaus, liegt der Floz im Heubächle, noch festgehalten durch eine starke Floßweide. Der Stauweiher im Ochsengrund ist geöffnet, die Wasser rauschen von ferne wie Donnergeroll aus dem »hintern Heuwich« daher.

Die Flößer nehmen ihre Plätze ein, vorn am Steuer, in der Mitte und am letzten G'stör, teils mit Aexten, teils mit langen Stangen bewaffnet. Bekleidet sind sie nur mit Hemd, Kniehose und Strümpfen, die letzteren, um sicherer zu stehen.

Der Teufelsteiner steht hoch oben am Bachrand, gibt mit seinem Hut ein Zeichen und ruft: »Zum Gebet!« Die Flößer knieen nieder auf die toten Tannen und beten ein Vaterunser um glückliche Fahrt durch die Hölle.

In neuerer Zeit ist es Mode geworden bei solchen und ähnlichen Anlässen, statt zu beten, ein Hurra auf den Kaiser auszubringen! –

Das Gebet ist zu Ende. Der vom Teufelstein winkt abermals; es gilt dem Gottfried, dem Obmann, der mit der Axt an der Weide steht, die mit Kettengewalt den Floz noch festhält. Der Gottfried haut nun mit scharfem Hieb die Weide durch; das Wasser ist indes dahergerauscht, ergreift mit Macht den Floz, die Weiden ächzen, die Stämme, an die Felsen gedrückt, knirschen, das Wasser zischt zwischen ihnen herauf, und fort geht's mit elementarer Gewalt durch die Felsenschlucht der Hölle. Der Aeckerbur jauchzt. Floz und Flözer verschwinden den Augen des Bachvogts, des Teufelsteiners und des Gottfried. Es ist eine Todesfahrt.

Nach einigen Minuten jauchzt von unten her der Aeckerbur wieder. Die Hölle ist passiert, nur der Hut, der dem Johannes im Höllengrund vom Kopf geflogen, ist verschwunden.

Im hellen Sonnenschein, der nicht in die Hölle dringt, steuern sie jetzt ihre Tannen am Ruxenwald und an der Jehlehalde hin, bis sie nach dreiviertelstündiger Fahrt in die Kinzig einlaufen und »im Leubacher Waag« unter dem Hohenstein ihr Floß verankern.

Das Heubächle ist so steil, daß es unmöglich ist, die Flöße, einmal losgelassen, durch Sperren zu verlangsamen. So kam es, daß sie manchmal schneller gingen, als das Schwellwasser, welches sie treiben sollte.

Um nun nicht mit dem Floß vor das Wasser zu kommen, mußte dasselbe mehreremal während der kurzen Fahrt »gefangen« werden. Das war das Geschäft der Flößer in der Mitte, die deshalb Fänger hießen.

Auf dem vierten G'stör von vornen war ein starkes Floßseil befestigt. Kam nun der Floz vor das Wasser, was sehr gerne bei »trockenem Bach« geschah, so mußten die Fänger mit dem losen Ende des Seiles an das Land springen, dasselbe um einen Baum schlingen und den Floz festhalten, bis das Wasser wieder nachkam.

Jetzt galt es, das Seil rasch loszumachen und ebenso rasch auf das Floß zurück zu springen, was eine Kunst war.

Um während der Fahrt bessere Uebersicht über das ganze Floß zu haben und besonders um das rechtzeitige Ablassen des gefangenen Floßes anzuordnen, mußte ein kundiger Flözer während der ganzen Fahrt auf dem Lande nebenher springen, und dies war ein Dauerlauf erster Güte.

Nach der Festlegung des Floßes in der Kinzig ging's hinauf nach dem Städtchen Schille, wo »im Engel« die Flözerzeche gehalten wurde. Sie hatte zu bestehen aus: Nudelsuppe, Rindfleisch mit Meerrettig und Rahnen (Rotrüben), Schinken und Schweinebraten mit Sauerkraut, Saueressen und Küchle, eingemachtem Kalbfleisch mit Gugelhopf, Kalbsbraten und Salat.

Ernst, wie an einem Totenmahle, saßen sie da, die Mannen, die eben aus der Hölle kamen und dessen noch bewußt waren. Kein Lied ertönte, selbst der Schultoni sang bei diesen Zechen nicht. Es rauschten nur die Gabeln und Messer, und es ertönte nur immer und immer wieder der Ruf des Aeckerburs: »Ung'fähr, i bring dir's!«

Spät am Abend, die Aexte auf den Schultern, wanderten weinfröhliche Leute im Frühlingswehen den Heuwich hinauf. Der Schultoni sang:

Kein' bess're Lust in dieser Zeit,
Als durch den Wald zu dringen,
Wo Drossel singt und Habicht schreit.
Wo Hirsch und Rehe springen.

O saß mein Lieb im Wipfel grün.
Tat wie 'ne Drossel schlagen!
O sprang' es wie ein Reh dahin,
Daß ich es könnte jagen!

Droben »im Auerhahn« ward »das letzte G'stör gehalten, und bis nach Mitternacht erging der Schlachtruf des Aeckerburs: »Ung'fähr, i bring dir's!« Dann erhob sich das weinfeuchte, nasse Flößergespann. Die Flößer wankten ihren Hütten, der Johannes aber durch steile Waldwege bergan seinem Hof zu. Es wollte manchmal schon Tag werden, wenn er heimkam von einer Pläsierfahrt durch die Hölle.

Der Aeckerbur und sein Freund, der Ruxenmann, sind seit Jahrzehnten unter den Toten: tot ist auch die Höllenfahrt auf dem Heubächle. Seine Wasser fallen melancholisch zu Tal, und an den alten Erlen flüstert es leise. Die Wellen und die Erlenzweige erzählen sich von den vergangenen Zeiten, da die Wasser rauschten und da mächtige Tannenleichen daherfuhren, zu Grab getragen von todesmutigen Männern.

Und die Flößer von ehedem, der Schultoni, der Trillensepp und der Wirtsbasche, sitzen heute traurig auf den Holzladeplätzen im Tal draußen und verzehren, auf einen Tannenbaum gekauert, ihr kärgliches Mahl ohne Wein und gedenken mit Wehmut der stolzen Flözerzeiten und des ewigen Mahnrufes vom Aeckerbur: »Ung'fähr, i bring dir's!«

Warum dieses Trauern an den Erlen im Heubach, und woher die Wehmut der alten Flößer? Die Lokomotive pfiff ins waldige Kinzigtal hinein, sie rief eine Straße wach im Tälchen des Heubachs, und die Flößer sind verschwunden. Die Göttin Poesie verhüllte ihr Antlitz. Die Kultur hielt ihren Einzug, und alles ist kalt und öde geworden.


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