Robert Hamerling
Aspasia
Robert Hamerling

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

XXIII. Dionysosfest.

Mit doppeltem Glanze, mit doppelter Lebhaftigkeit wurden nach dem Aufatmen aus der dumpfen Kriegesbedrängnis zu Athen die winterlichen Feste gefeiert.

Völlig aber ist nun die fröhliche Lust entfesselt, seit milder die Lüfte über das Meer wehen und seit die Zeit des größten der Bacchosfeste, die Zeit der großen oder städtischen Dionysien, angebrochen. In den Wäldern zeigt sich der Weih, fröhlich zwitschern am Meergestade die Halkyonen und an den Dachgesimsen die Schwalben. Auf den Höhen des Hymettos, des Pentelikos, des Lykabettos knospet in jedem Strauche der Frühling. Veilchen und Anemonen, Primeln und Krokus sprossen, und der auf der Flur vergessene Stab des Hirten ist am Morgen von Blumen und Gräsern übergrünt.

Die Schiffer im Hafen winden die Anker auf, entstricken das Tauwerk, richten die Masten empor und übergeben die Segel den Winden. Neues Leben erwacht auf den Wellen des saronischen Golfes. Die Abgesandten der verbündeten Städte und Inseln kommen und bringen die Tribute eben zur Festzeit nach Athen. In allen Herbergen, in allen Häusern der athenischen Bürger wimmelt es von fernherkommenden Gästen. Mit Kränzen geschmückt, in Festgewändern treiben jetzt von frühem Morgen an in den Straßen die Schwärme der Einheimischen und der Fremden sich umher. Nicht bloß mit Kränzen behangen sind alle im Freien stehenden Altäre und Hermesbüsten, sondern auch gewaltige Mischkrüge sind daneben aufgestellt, gefüllt mit der Gabe des Bacchos, von den Reichen gespendet und zu freiem Genusse dem Volke dargeboten. Wieder gibt Hipponikos Heimischen und Fremden zu trinken im Keramaikos, alles Volk, das kommen will, zu sich ladend und es im Freien auf efeugefüllten Polstern bewirtend.

Vergessen ist die Kriegsnot, der Hader der Parteien hält Waffenruhe, die Anschläge des Diopeithes stehen für den Augenblick still in ihrem sonst rastlosen Fortgange. Nur Lust und Friede herrscht. Zwar klingt allenthalben lauter Scherz und fröhliches Gelächter, und doppelt scharf ist jetzt der Witz, doppelt beweglich die Zunge des Atheners. Aber wehe dem, der in dieser Zeit eine Gewaltsamkeit ausübt gegen einen athenischen Bürger! Nicht einmal der Vorwand der Trunkenheit schützt ihn: sein Haupt und Leben ist verwirkt.

Wie kommt es, dass man nun auf einmal so viele reizende Frauen in den Straßen Athens erblickt? Wer sind die heiterblickenden, reichgeschmückten, verführerischen Schönen? Es sind Hierodulen aus dem Tempel der Aphrodite zu Korinth und andere Freudenpriesterinnen dieser Art, welche, die Zahl der einheimischen Genossinnen vermehrend, herbeigekommen aus verschiedenen Städten Griechenlands zu dem fröhlichsten und ausgelassensten Feste der Athener.

Hei, welches Gemisch fremden, umherwandernden Volkes hat sie herbeigelockt, die lustige, menschenwimmelnde, dionysische Festzeit! Sehet die vielgewanderten Gaukler und Wundermänner mit ihren von der Sonnenglut schwarzgebrannten Gesichtern! Sehet, wie sie vor aller Augen Schwerter verschlucken oder einen Feuerregen aus dem Munde speien! Sehet dort die Thessalermädchen, welche ihren Schwertertanz aufführen inmitten eines gaffenden Schwarmes! Fehlt doch keinerlei Schauspiel bis hinab zu des wandernden Puppenspiels uralter Kinderlust und den buntgeputzten, auf Kamelen tanzenden Äffchen.

Auch handeltreibendes Volk ist von nah' und fern gekommen und schlägt seine Buden auf da mitten im Gedränge der Agora, im Piräus und am Ilissos.

Ländliche Scharen mischen sich unter die Städter und teilen mit ihnen die Festlust, versammeln sich um ihre Lieblinge, die thebanischen Pfeifer, welche sonst musizierend die ländlichen Gaue zu durchwandern pflegen, oder verpflanzen das Lieblingsspiel ihres ländlichen Dionysosfestes in die Stadt: das Springen auf eingeölte Schläuche, wo jeder, der im Sprung auf dem schlüpfrigen Balle mit nackten Füßen festen Boden zu fassen sucht, unter unendlichem Gelächter der Zuschauer mit drolligem Gezappel immer wieder heruntergleitet.

Ungebundener waltet die Lust in den Straßen sobald die Dunkelheit eingebrochen. Da wandern die Nachtschwärmer umher: sie haben Schellen und tragen Fackeln und sind bekränzt, Weiblein sind darunter, welche Männerkleider an sich haben und Männer in Frauengewändern – mit den Händen wird geklatscht neben dem Lärm der Schellen, um wie mit Zimbeln den Takt zu schlagen zu dem Schellenklang und Gesänge.

Viele wandeln in Masken. Einige haben bloß mit Weinhefe die Gesichter bestrichen oder mit Mennig, oder verlarvt mit Baumblättern oder Baumrinden. Andere aber tragen schön bemalte Larven von teils würdevollem, teils lächerlichem Ansehen: Hier treibt der gehörnte Aktäon, dort der hundertäugige Argos sich umher, dort die teilweise in ein Pferd verwandelte Equippe; Giganten, Titanen, Kentauren stampfen den Boden, Methe taumelt, Peitho schmeichelt, Apate lockt, Hybris tollt, und selbst Schreckgestalten mischen zuweilen sich unter den Reigen.

Am allerhäufigsten aber, ja vorwaltend, tummeln in den Straßen sich die bocksfüßigen Satyrn und die kahlköpfigen Silene, diese altgewordenen, aber noch immer fröhlichen Satyrn. Sie haben die Häupter bekränzt mit des Efeus Immergrün. Auch Bacchanten schwärmen, sie tragen als Thyrsos häufig nur einen Rebschoß, mit Efeuzweigen umwunden.

Ausschweifende Lustigkeit, ja Trunkenheit, wird als eine Pflicht gegen den Gott betrachtet in diesen Tagen und Nächten.

Und der Gott, er rechtfertigt in dieser Zeit seinen Beinamen eines »Befreiers«. Selbst die Gefangenen werden aus den Kerkern entlassen für die Tage der Festlichkeit. Und sogar den Toten wird Wein auf die Gräber gegossen. Man will die Schatten beschwichtigen, welche ja gewiß nicht ohne Neid die Lust der lebendigen entbehren, Wollen doch die Aengstlichen sogar wissen, die Seelen der Toten mischten um diese Zeit zuweilen sich heimlich in den Reigen der Schwärmenden, und unter mancher Satyrmaske im Festschwarm berge sich ein fleischloses Totenhaupt ...

Frau Telesippe kaut in diesen Tagen fleißig die Blätter des Wegdorns und läßt ihre Pforte mit Teer bestreichen, denn nur so ist das Unheil abzuwenden, das zur Zeit des großen Dionysosfestes die Lebendigen bedroht von seiten der neidischen Schatten.

Fast unheimlich ist es in der Tat anzusehen, wie des Nachts bald hier, bald dort in den dunklen Gassen Fackelschein aufglänzt und ein phantastischer Zug auftaucht, welcher lärmend dahinrast.

Jetzt bewegt sich ein ungeheurer Schwarm durch die Straßen, welche vom Lenaion zum Theater führen. Man trägt das Bild des Dionysos aus seinem Tempel im Lenaion in das Theater und stellt es dort inmitten der Festversammlung auf. Das Bild des Gottes, welches da getragen wird, ist ein neu vollendetes Werk, ein Werk aus der Hand des feurigen Alkamenes. Wie auf der Burg neben das alte Holzbild der Athene Pheidias sein neues, glänzendes Werk gestellt, so gesellt sich jetzt auch im Lenaion dem altehrwürdigen, schlichten Dionysosbild das neue, herrliche Werk des Alkamenes. Und dieses eben trägt man jetzt in die Festversammlung des großen Dionysostheaters. Bacchantenscharen umgeben es. Wer ist der tolle Schwarm, der einen Phallos dem Bilde voranträgt und Lieder singt zu Ehren des Priapos? Es ist Alkibiades mit seiner Ithyphaller-Gesellschaft.

An den Scheidewegen und auf den offenen Plätzen hält der Zug, um Trankopfer zu spenden oder Opfertiere zu schlachten.

Die wie Altane gebauten Dächer der Häuser sind voll von Zuschauern, von welchen viele Fackeln und Lampen in Händen halten. Auch die Frauen fehlen dabei nicht. Bald mischt Mutwille und Scherz von den Dachterrassen herab sich in die Ungebundenheit des Straßengetümmels.

Der junge Alkibiades scheint auf dem Gipfel seiner tollen Laune angelangt, er übertrifft sich selbst in übermütigen Streichen an der Spitze seiner Gesellschaft.

»Bedenkt«, ruft er den Ithyphallern zu, »daß wir, die wir auch sonst schon schwärmen und rasen, am Dionysosfeste verpflichtet sind, doppelt zu schwärmen und zu rasen, wenn wir nicht in der Schwärmerei eingeholt und übertroffen werden wollen von den nüchternsten Pfahlbürgern der Athenerstadt!«

Unter solchen Aneiferungen stürmte Alkibiades mit seinen Gefährten, alle Athener kennend und von allen gekannt, durch die Schwärme des Volkes hin. Als die Nacht eingebrochen war, ließ er sich Fackeln vorantragen, und führte die Seinen in lärmendem Aufzuge, unter voraufziehender Musik, zu den Häusern schöner Mädchen und Knaben, um ihnen Ständchen zu bringen. Die Musizierenden selbst waren meist Flöten- und Lautenspielerinnen, als Mänaden gekleidet, und da auch die mit Musik begrüßten dem Zuge sich anschlossen, so gestaltete derselbe sich immer ähnlicher einem Schwärme von Bacchanten, die um den Gott Dionysos geschart sind.

Zuletzt bemächtigt sich der mutwillige, trunkene Alkibiades einer jugendlichen Hetäre, Bacchis geheißen, welcher er, umherschweifend, begegnet, und zwingt sie, seinem Zuge sich anzuschließen. Er nennt sie seine Ariadne und sich selber ihren Bacchos.

Vor der Behausung Theodotas angelangt, bringt er auch dieser ein rauschendes Ständchen und tritt mit seinem Gefolge bei ihr ein.

Theodota hatte schon lange Zeit den jungen Alkibiades nicht mehr bei sich gesehen. Immer heftiger geworden war ihre Liebespein. Nun sah sie den geliebten Jüngling wieder; aber wie unerfreulich, wie peinlich war doch ihrem Herzen sein Eintritt! Trunken kam er an der Spitze eines tollen Schwarmes. Das hätte sie verziehen; aber er führte ein jugendlich blühendes Hetärchen mit sich, das er der Freundin sogleich als seine Ariadne vorstellte, und deren Reiz er begann in überschwenglichen Worten zu preisen.

Nun wurde ein Gelage veranstaltet in den Gemächern der widerwilligen Theodota, welche nicht offen sich sträuben durfte, und welcher doch vor geheimer Qual beinahe das Herz zersprang. Alkibiades forderte sie auf zur Fröhlichkeit, zur Ausgelassenheit. Er begann in seiner Trunkenheit zu erzählen von Streichen, welche er an diesem Abend schon verübt hatte, er rühmte sich, ein sittiges junges Mädchen mitten im Festgedräng des Lenaion geküßt zu haben, und pries die Sitte, die doch wenigstens am Dionysosfeste die Fesseln löse von den Händen der athenischen Frauen. Er sprach von Hipparete, der reizenden Tochter des Hipponikos, von ihrer geheimen Liebesglut für ihn, von ihrem Erröten bei seinem Anblick. Dabei machte er sich lustig über ihr zimperliches, verschämtes, jungfräuliches Wesen. Er sprach auch von Kora, dem aus Arkadien nach Athen verpflanzten Hirtenkinde, dem lächerlichsten und sprödesten Geschöpfe, das man finden könne, das aber doch sein werden müsse um jeden preis. Lieber wolle er auf die strahlende Simaitha, auf dieses neue Wundergestirn der Schönheit, verzichten, als auf den arkadischen Trotzkopf.

Nach diesen Reden schalt der weinberauschte Jüngling Theodota ob ihrer Schweigsamkeit und ihres trübseligen Wesens.

»Theodota«, rief er, »du bist häßlich geworden! Diese weinerlichen Mienen entstellen dein Angesicht. Empfängt man so einen alten Freund wie mich? Worüber beklagst du dich? Ueber meinen Mutwillen? Bist du es nicht selbst gewesen, die mich diesen Mutwillen gelehrt hat? Gedenkst du nicht mehr jener fröhlichen Tage und Nächte, wo ich deinen Unterricht empfing in allen Arten des schönen Uebermutes? Und heute? Was soll dies grämliche Wesen? Warum soll ich jetzt ein anderer sein als damals, zur Zeit, da wir einander am besten gefielen und die fröhlichsten Stunden mit einander verlebten? Sei verständig, Theodota! Sei eingedenk der verliebten Toren, deren traurige Schwärmerei dir einst so lästig fiel, und welche du ohne Mitleid lachend von deiner Türe hinwegstießest! Und nun wolltest du selber zur Schwärmerin werden? Kann man so schmählich seine besten Grundsätze, seine liebenswürdigsten Eigenschaften verleugnen? Sei wieder fröhlich und ausgelassen, Theodota Gib uns einen deiner prächtigen Tänze zum besten! Tanze, ich will es, und wir alle wollen es! Laß dich wieder einmal in deinem vollen Glanze bewundern!«

So sprach Alkibiades. Aber Theodota konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie antwortete mit leidenschaftlichen Vorwürfen, sie schalt ihn übermütig, treulos, ruchlos, mitleidslos.

»Was klagst du mich an«, erwiderte Alkibiades, »wenn du selbst dich verändert hast, wenn du älter geworden, und wenn die Fröhlichkeit der Jugend dir verloren gegangen? Klage lieber die Zeit an, die uns alle verwandelt. Auch ich muß es mir gefallen lassen, wenn ich dereinst aus einem jungen Satyr ein alter, kahlköpfiger Silen geworden bin. Ich werde auch als kahlköpfiger Silen noch immer fröhlich sein. Du aber zürnst und wütest gegen mich und gegen das Schicksal, weil du nicht mehr ein reizvoll blühendes, heiteres Mägdlein bist wie Hipparete oder Simaitha oder wie diese Bacchis hier. Ei, willst du durchaus wieder ein Jungfräulein werden, so reise nach Argos. Dort gibt es, wie es heißt, ein Heiligtum mit einem Quell, in welchem du nur zu baden brauchst, um wieder als Jungfrau daraus hervorzugehen. Auch die Hera pflegt, wie die Dichter erzählen, von Zeit zu Zeit dieses Bad zu besuchen, um sich dem Göttervater wieder angenehm zu machen, wenn sogar der alte Göttervater dergleichen noch zu schätzen weiß, warum nicht ich, der blühende Jüngling, der Ithyphaller-Genosse?«

In dieser Art scherzte der trunkene Alkibiades weiter, während Theodota jetzt nur noch heftiger mit Worten und Tränen antwortete und in Ausbrüchen der Wut sogar gegen die junge Bacchis sich erging, so daß sie einer Rasenden ähnlich schien.

»Siehe da meinen wackeren Gefährten Kallias«, sagte Alkibiades; »der hat den Grundsatz, kein Weib öfter als ein einzigmal zu berühren. Und ich – bin ich nicht lange genug immer wieder an deine Schwelle zurückgekehrt? Ha, beim wonnigen Eros, bin ich nicht oft genug gekommen des Abends, selbdritt oder mit noch mehreren Freunden, Goldäpfel des Dionysos im Busen, über dem Haar den Weißpappelkranz des Herakles, durchflochten von purpurfarbigen Binden? Aber das soll nun nicht wieder geschehen. Ich gedenke niemals wieder hierher zurückzukehren, weder allein noch mit anderen! Gehen wir. Freunde! Ich langweile mich hier! Lebewohl, Theodota!« –

Erschreckt durch diese Drohung, hielt Theodota den Zürnenden zurück und gelobte, ihre Tränen trocknend, sich nach seinem Wunsche zu betragen.

»Wohlan!« rief Alkibiades, »so tue, wie ich schon früher verlangte! Mache deiner gepriesenen Kunst wieder einmal Ehre!«

»Was soll ich tanzen?« fragte Theodota.

»Du warst soeben«, entgegnete Alkibiades, »vom Stachel deiner Leidenschaft gehetzt, der Io nicht unähnlich, welche durch eine von Hera gesandte Bremse verfolgt und verzweiflungsvoll in allen Ländern der Welt umhergetrieben wird. Zeige uns, wenn es dir beliebt, durch die Kunst verschönert, was du uns erst schauen ließest in roher, mißfälliger Wirklichkeit!«

Schweigend schickte Theodota sich an, die Io zu tanzen.

Sie tanzte zu Flötenklängen die Geschichte der Inachostochter, wie sie von Zeus geliebt, dann von Hera verfolgt wird, wie sie gebunden und bewacht wird auf Heras Befehl durch den Hundertäugigen Argos, wie nach der Tötung ihres Wächters sie von der unversöhnlichen Hera durch die scharfgestachelte Bremse verfolgt und durch alle Länder gehetzt wird.

Anfangs hatte Theodota nur mit Ueberwindung ihrer selbst der Aufforderung sich gefügt. Allmählich aber schien sie, mehr und mehr befeuert, ihre Seele in das, was sie darstellte, ganz zu ergießen. Ihr nachahmender Tanz gewann eine Kunstvollendung und einen feurigen Ausdruck, von welchem alle Zuschauer hingerissen wurden.

Als sie nun aber zur leidvollen Irrfahrt der Io überging und dem Entsetzen vor Heras Zorn und vor dem, von der Göttin gesandten, gestachelten Tiere Ausdruck gab, und ihre Gebärden den Charakter einer wilden, leidenschaftlichen Hast annahmen, und in der Angst der Flüchtenden das Leid um das verlorene Liebesglück sich zu mischen schien, da erhielten die Züge und das ganze Wesen Theodotas allmählich ein fast erschreckendes Ansehen. Sie spielte mit entsetzlicher Naturwahrheit die Rasende, Gehetzte, Verzweifelnde.

Aber sie spielte sie bald nicht mehr. Ihre Augen traten hervor und rollten schauerlich in den Höhlen, ihr Busen wogte, ihre geöffneten Lippen bedeckten sich mit leichtem Schaum.

So wild und ungestüm wurden ihre Bewegungen, daß Alkibiades und seine Freunde erschrocken auf sie zustürzten, um sie festzuhalten um der entzügelten Tollheit eine Schranke zu setzen.

Jetzt begann Io-Theodota sich zu beruhigen. Sie blickte im Kreise umher mit blöden Augen, lächelte irr und sprach die Umstehenden mit wunderlichen Namen an. Den Alkibiades selbst nahm sie für Zeus, den als Silen verkleideten Kallias für ihren Vater Inachos; aber in dem jungen Demos vermeinte sie den hundertäugigen Wächter Argos zu erblicken, und plötzlich, das Auge starr auf Bacchis gerichtet, wallte sie neuerdings auf in toller Leidenschaft: Verwünschungen ausstoßend gegen die tückische Hera, wollte sie auf das Mädchen sich stürzen ...

Theodota war wahnsinnig geworden ...

Sie brach jetzt erschöpft zusammen und stieß wimmernde Klagen hervor in verwirrten, unsinnigen Worten.

Alkibiades und seine Genossen wurden von einem leichten Schauer ergriffen. Aber sie waren trunken vom Weine. Sie überließen das Weib den Sklavinnen und taumelten aus Theodotas Behausung auf die Straße hinaus, wo die lärmende bacchantische Lust in ihren Wirbel sie fortriß.

Den nächsten Tag fand ein neuer Umzug mit dem Bilde des Dionysos statt. Und zwar war es diesmal das uralte, aus Eleutherä nach Athen gekommene Bild des Gottes, das aus dem Lenaion nach einem kleinen Tempel außerhalb der Stadt, in der Nähe der Akademie, getragen wurde, wo dasselbe in alten Zeiten aufgestellt gewesen, Jährlich einmal, bei den großen Dionysien, wurde das Bild auf kurze Zeit in festlichem Zuge an den alten Ort gebracht.

Dies geschah nun eben wieder.

Zahlreich und überaus prächtig, wie nie zuvor, weit abweichend von der bisherigen schlichteren Weise der Väter, war diesmal das Festgeleite des Götterbildes. In allen Straßen, welche dasselbe durchwandelte, und von allen Dachterrassen, von welchen man auf dasselbe herabsehen konnte, wimmelte es von Zuschauern, welche selbst auch im Schmucke ihrer Veilchenkränze einen festlichen Anblick boten.

Voran im Zuge gingen Schwärme von Satyrn und Silenen in roten Gewändern, mit Efeuranken die Leiber umschlungen.

Dann wurde ein bekränzter Altar einhergetragen, umgeben von Knaben in Purpurgewändern, welche Weihrauch, Myrrhen und Safran trugen auf goldenen Schüsseln.

Dann folgte allerlei Mummenschanz. Zuerst ein Greis mit der Maske eines Doppelgesichtes, welcher die Zeit vorstellte, dann die jugendlich blühenden Horen, welche die Früchte trugen, die ihrer Zeit entsprachen, dann ein prächtig geschmücktes Weib, welches die Symbole der dionysischen Festzeit an sich hatte, endlich ein schöner Jüngling, in dessen Maske der fröhliche Dithyrambos sich verkörperte.

Dann kam eine Schar von dreißig Saitenspielern, welche goldene Kränze auf den Häuptern trugen und auf goldenen Lyren spielten.

Jetzt aber kam ein auf vier Rädern rollender Prachtwagen, auf welchem das Bild des Dionysos geführt wurde. Der Gott war bekleidet mit einem safranfarbigen Gewande und einem goldgestickten Purpurmantel darüber. Er erhob in der Rechten einen goldenen Becher, gefüllt mit funkelndem Weine. Neben ihm stand ein riesiger goldener Mischkrug. Ueber ihn war ein Sonnenschirmdach ausgespannt, von welchem das Laub des Efeus und der Rebe in reichlichen grünen Ranken herabhing. Der Wagen selbst war ganz umwunden mit Kränzen, und sein umlaufender Rand war geschmückt mit tragischen und komischen Masken, jene mit Ernst und Würde, diese mit drolligem Grinsen auf das Volk herunterblickend. Das unmittelbare Gefolge des Gottes bildeten Bacchanten und Bacchantinnen mit gelösten Haaren, die Häupter bekränzt mit Ranken des Weines oder des Efeus oder der Stechwinde.

Diesem Gefährt folgte ein anderes, auf welchem eine vergoldete Kelter sich befand. Die Kelter war ganz mit künstlich gebildeten Trauben gefüllt, und dreißig Satyrn standen in dem Wagen und kelterten zum Scheine die Trauben unter einem fröhlichen Winzerlied, das sie zu den Tönen der Flöten sangen, und auf dem ganzen Wege troff duftiges Naß in einen Schlauch, genäht aus Pardelfellen. Den Schlauch aber umschwärmten Satyrn und Silene, welche zechend und lärmend die Weinflut auffingen in die untergehaltenen Becher.

Dann kam noch ein drittes Gefährt. Auf diesem war eine von hellem Gestein schimmernde, efeuumrankte Grotte gebildet, in welcher Quellen aller hellenischen Weine sprangen. Bekränzte Nymphen saßen lächelnd an diesen Quellen, Tauben umflatterten die Grotte und flogen aus und ein und schnäbelten sich in den grünen Zweigen des Efeus. Satyrn und Silene suchten die Tauben zu haschen, die an den Busen der Nymphen sich flüchteten.

Dann folgten singende Knabenchöre, dann der Aufzug der vornehmen Athener auf ihren prächtigen Rossen, dann Jünglinge, welche goldene und silberne, dem Dienste des Dionysos geweihte Frachtgefäße trugen.

Schwärmende Scharen schlossen sich an, Bacchanten und andere Mummerei, welche in ausgelassener Laune das Gepränge des Festzuges possenhaft nachahmte.

Auf der Agora wurde Halt gemacht bei dem Altar der zwölf olympischen Götter, und hier sangen Männer und Knabenchöre den Dithyrambos, wobei der Chor zugleich im rhythmischen Tanzschritt um den Altar sich bewegte.

Diese Töne waren kaum verhallt und der dionysische Reigen weitergezogen, als eine Scene der fremdesten und wunderlichsten Art die Aufmerksamkeit der Athener auf sich zog.

In jener Zeit nämlich hatten wandernde Bettelpriester der Kybele, welche man Metragyrten zu nennen pflegte, ferner Sabaziosdiener, Apostel des mit Dionysos ursprünglich wesensgleichen, aber ins Mystische hinübergezogenen Gottes Sabazios, auch Schwärmer, welche die mystische Weisheit des Orpheus zu erneuern sich brüsteten, in Athen hervorzutreten und ihr Wesen zu treiben begonnen.

Die Sabaziosdiener verkündeten und feierten einen mächtigen Heiland der Welt, durch welchen die Menschheit von allen Uebeln erlöst und der Sterbliche jedes gewünschten Heiles teilhaft zu werden vermöchte: eben jenen Sabazios. Sie und die Metragyrten zogen umher in den Straßen mit dem Bilde des Gottes oder auch der Göttermutter; unter den Klängen der Zimbeln und der asiatischen Handpauke führten sie Tänze auf, bei welchem sie wie Korybanten sich rasend gebärdeten. Geißelung und sogar Selbstverstümmlung übten und empfahlen sie, wie die Priester der Kybele auf dem Tmolos. Im ganzen Lande wanderten sie bettelnd umher, ein Esel trug ihre Heiligtümer, allerlei Geheimmittel verkauften sie und erboten sich, für Geld auch Götterzorn zu beschwichtigen, ja selbst verstorbene von den begangenen Verbrechen zu entsühnen und aus den Qualen des Tartaros zu befreien. Sie machten sich zu Verkäufern und Unterhändlern der Götterhilfe für die Sterblichen.

Nicht mehr allzu spröde verhielt sich der Geist der Hellenen solcher Schwärmerei gegenüber, und hie und da begann sie in den Gemütern einzelner Wurzel zu fassen.

Niemand blickte auf solche Versuche, einen düsteren und mystischen Götterkult aus dem Morgenlande herüber nach dem heiteren Hellas zu verpflanzen, mit größerer Erbitterung als Aspasia, und mit allen Mitteln, die ihr zu Gebot standen, kämpfte sie dagegen. Der lebensfrohe, junge Alkibiades, welchem düstere Schwärmerei nicht minder unverständlich und ein Greuel war, stand ihr als mutiger Kämpe gegen jene Dunkelmänner und Gaukler zur Seite.

Während des Dionysosfestes nun glaubten auch die wandernden Metragyrten und Sabaziosdiener die günstige Gelegenheit gekommen, Anhänger zu werben für ihren Gott und Heiland Sabazios und für seinen fanatischen und grausenhaften Dienst. Sie zogen umher, mit Pappellaub und Fenchel bekränzt, wie sie pflegten, trugen Schlangen in der Hand, die sie über dem Haupte schwangen, und tanzten, von Schwärmen des Volkes umgeben, unter dem korybantischen Getöse der Zimbeln und des Tympanons ihren Rasetanz, die sogenannte Sikinnis. Dabei geißelten sie sich und verwundeten sich aufs Blut.

Ein Metragyrte hatte eine große Menge Volks um sich versammelt und predigte mit heftigen Gebärden und lautem Geschrei den erlösenden Gott Sabazios. Er sprach von geheimen Weihen, er sprach auch von der höchsten und dem Gotte wohlgefälligsten Tat des Sabaziosdienstes, der Selbstverstümmlung.

Während die Menge lauschend und zum Teil mit nicht unbewegtem Gemüte um den Metragyrten stand, kam plötzlich die Schar der schwärmenden, trunkenen Ithyphaller des Weges. Sie hörten den fremden Schwärmer von Sabaziosdienst und Selbstverstümmlung reden.

»Wie?« rief der ausgelassene Fürst der Ithyphaller, »von Selbstverstümmlung wagt es einer vor uns zu sprechen, inmitten des Ueberschwanges bacchischer Festlust? Nein! Solche Worte sollen nicht gehört werden auf hellenischem Boden, so lange es Ithyphaller gibt!«

Damit stürzte sich die Schar der trunkenen und übermütigen Jünglinge auf den Metragyrten, schleppte ihn hinweg und warf ihn, der seinesgleichen längst geschwornen Rache eingedenk, in den unfern gelegenen Erdabgrund des Barathron. – – –

Unter den Bacchantinnen, welche den Festzug umschwärmten, hatten sich auch die Mädchen Aspasias befunden.

Wie hätten sie, die zur Freiheit erzogen wurden, der Freiheit nicht froh werden sollen in den Tagen, an welchen selbst für jene, welche sonst unfrei waren, alle Fesseln sprangen und alle Schranken fielen?

Auch das arkadische Hirtenkind hatte man, obgleich es nur widerwillig sich fügte, in die Maske einer Bacchantin gesteckt, und mit fortgezogen wurde es von dem entzügelten Reigen.

Einen großen Anteil schien der junge Alkibiades daran zu haben, daß unter den Bacchantinnen, welche aus dem Hause Aspasias kamen, auch Kora nicht fehlte.

Kora stand allerdings an Schönheit weit zurück hinter ihren Gespielinnen. Aber sie war spröde, und ihr wunderlicher Ernst reizte den Mutwillen des Jünglings, entflammte ihn zuletzt bis zur Vermessenheit.

Um Koras willen folgte er den Mädchen Aspasias mit seinen Gefährten, unkenntlich gemacht durch Satyrmasken. Das Wagnis, mit dessen Absicht er sich trug, war kein geringeres, als die spröde Arkadierin von ihren Gefährtinnen wegzulocken, oder, wenn dies nicht gelang, mit Gewalt sie aus der Mitte derselben fortzuziehen und in sein Haus zu entführen.

Scherzend mischten die Satyrn sich unter die Bacchantinnen, Alkibiades hielt sich zu Kora, fand sie aber widerspenstig wie immer.

Plötzlich stürzten an einer einsamen Stelle, welche dem Unternehmen günstig war, auf einen Wink des Alkibiades die Gefährten desselben und er selbst sich auf das Mädchen, um es unter dem Schutze der bereits eingebrochenen Dämmerung mit Gewalt beiseite zu führen.

Aber im Herzen der Arkadierin erwachte derselbe Mut, mit welchem sie vorzeiten schon einmal einen angreifenden Satyr in die Flucht getrieben. Und wie sie damals einen Brand aus dem Feuer im Walde riß, um den Verwegenen damit zu verscheuchen, so riß sie jetzt einer ihrer Gefährtinnen die brennende Fackel aus der Hand und stieß sie dem vermummten Angreifer Alkibiades ins Angesicht, so daß seine Satyrmaske, von der Flamme in Brand gesteckt, augenblicklich hell aufloderte und er in Verwirrung zurückwich. Diesen Augenblick benutzte Kora, um mit der Behendigkeit des flüchtigen Rehes von dannen zu eilen, und spurlos entschwand sie in kurzer Zeit den Augen ihrer Verfolger.

Rastlos durcheilte sie mit klopfender Brust die Gassen, bis das Haus Aspasias erreicht war.

Was Kora an diesem Tage unter den Bacchantinnen gewesen, das war der junge Manes, der Pflegesohn des Perikles, unter den Satyrn.

Auch ihm hatte man die Maske aufgenötigt, auch er war dem Xanthippos und dem Paralos widerwillig in das tolle Mummenspiel gefolgt. Unerfreulich, ja beängstigend erschien ihm das Getümmel, das ihn umgab. Die Festlust um ihn herum nahm eine zügellose Gestalt an. Der tolle Menon benahm sich auf der Agora schamlos wie sein Hund. Zuletzt sah Manes gar sich zur wehrlosen Zielscheibe der Spötter geworden. Unbehilflichen Wesens, wie er war, verstand er den Neckereien, den Scherzworten, mit welchen man auf ihn eindrang, nicht zu begegnen.

»Gebt acht!« sagten einige im Kreise, »dieser trübselige Satyr da ist verdächtig! Schon manches Mal haben beim Dionysosfeste in solcher Maske neidische Schatten der Unterwelt unter die Lebenden sich eingeschlichen, oder gar Thanatos selber, oder die Pest! – Reißt ihm die Larve herab! Wer weiß, welchem Gramgesicht wir begegnen!« Die Gedanken des Jünglings verwirrten sich, sein Haupt begann ihn zu schmerzen, er machte sich Bahn durchs Getümmel mit seinen kräftigen Armen und schlug den Heimweg ein.

Im Hause angelangt, schlich er sich unbemerkt auf die Dachterrasse hinauf, welche in diesem Augenblick völlig einsam war. Dort ließ er sich auf eine kleine Steinbank nieder, nahm die Satyrmaske vom Gesicht, legte sie neben sich und versank in Gedanken.

Seine Züge hatten den Ausdruck einer tiefen Schwermut angenommen. Er schien ein geheimes Leid in der Brust zu tragen, wenn er dem lauten Freudentaumel des Dionysosfestes sich entzog, so lag der Grund vielleicht nicht bloß in seiner Abneigung gegen solches Treiben überhaupt, sondern in einer Befangenheit, welche infolge eines tiefen und mächtigen Eindrucks sich gegenwärtig seiner Seele bemächtigte.

Lange war Manes in dieser Weise, nachdenklich und traurig zu Boden blickend, da gesessen, die Satyrmaske neben sich. Da stand plötzlich Aspasia vor ihm.

Erschrocken blickte er empor. Schweigend sah die Herrin des Hauses ihm einige Augenblicke lang ins schwermutverdüsterte Antlitz. Dann begann sie mit freundlichen Worten:

»Wie kommt es, Manes, daß du die Vergnügungen deiner Altersgenossen so lange verschmähst? Fühlst du nichts in deinem Blute von dem, was andere treibt, sich der schönen, flüchtigen, nie wiederkehrenden Jugendzeit zu erfreuen?«

Manes blickte betroffen zu Boden und erwiderte nichts.

»Bedrückt dich irgend ein Leid?« fuhr Aspasia fort. »Bist du unzufrieden in diesem Hause, und würdest du es vorziehen, unter anderen Menschen zu leben? Zürnst du vielleicht dem Perikles geheim, daß er dich von Samos mit sich hiehergenommen und dich wie einen eigenen Sohn im Hause erzogen?«

Bei diesen Worten Aspasias erhob sich der Jüngling unwillkürlich von seinem Sitze, und mit lebhaft abwehrender Gebärde legte er gleichsam Verwahrung ein gegen eine solche Voraussetzung, während eine Träne zugleich aus seinem Auge quoll.

Aspasia fuhr fort, nach den Gründen seiner Betrübnis zu forschen.

Manes antwortete bald mit einem leisen Seufzer, der aus seiner Brust sich stahl, bald mit einem Erröten. Seine Hand zitterte leise. Er wagte selten aufzublicken; wenn er es aber tat, so hatten seine braunen Augen einen seelenvollen, fast rührenden Ausdruck.

Der Jüngling war so ungefüge, so ungeschlacht in seinem Wesen, und doch hatte er jetzt an sich etwas Weiches, fast könnte man sagen etwas Mädchenhaftes.

Aspasia blickte auf ihn mit dem Anteil, welcher die notwendige Wirkung des Ungewöhnlichen, des Wundersamen, des Rätselhaften ist.

Mit jedem Augenblick fand sich Aspasia mehr bestärkt in der Mutmaßung, daß ein geheimes Leid an dem Herzen des Jünglings zehre.

Liebe konnte es nicht sein; denn wem hätte sie gelten können, diese geheime Glut? Doch wohl nur einer der jugendlichen Hausgenossinnen? Diesen aber hatte ja Manes immer verschämt und blöde sich fern gehalten. Hatte man nicht mit Eifer sich bestrebt, den Jüngling in den fröhlichen Kreis zu ziehen, und war dies Bestreben nicht immer vergeblich gewesen?

Ein Gedanke durchzuckte Aspasia. Ein Gedanke, der im ersten Augenblick beinahe etwas Drolliges für sie hatte, sie beinahe belustigte ...

Aber wenn der Jüngling sein seelenvolles Auge zu ihr erhob, so milderte sich das Drollige jenes Gedankens, sie fand sich in einer Weise, welche sonst gar nicht in ihrer Natur lag, ergriffen von einer Regung herzlichen Mitleids.

Nicht müde wurde sie, die unmännliche Schwermut des Schweigsamen mit sanften Worten zu tadeln und ihn zu der Heiterkeit, die seiner Jugend gezieme, aufzumuntern.

Während so Aspasia mit dem Jüngling sich beschäftigte, saß Kora einsam in dem verlassenen Peristyl des Hauses. Sie hatte, zurückgekehrt aus dem wilden Wirbel der Festlust, dort still sich hingesetzt, die Maske der Bacchantin abgenommen und neben sich gelegt. So saß sie da, in tiefes Sinnen verloren, als Perikles, zufällig eben in das Haus zurückkehrend, das Peristyl durchschritt.

Er war betroffen durch den Anblick des Mädchens, welches so einsam und nachdenklich da saß, die abgelegte Maske der Bacchantin neben sich.

Er ging auf Kora zu und fragte sie nach dem Grunde ihrer so eiligen Rückkehr, ihrer Trennung von den Gespielinnen, mit welchen sie das Haus verlassen hatte.

Kora schwieg. Sie hatte einen Kranz im Schoße, den sie als Bacchantin getragen. Mit den Blumen dieses Kranzes spielte wie unbewußt ihre Hand, und sie zerpflückte dieselben. Der Boden um sie her war bedeckt mit den zerpflückten Blättern der Blumen.

Einen Anblick von besonderer Art bot das Mädchen in diesem Augenblicke. Die Haltung, in welcher sie da saß, das Spiel mit dem Kranze, der Ernst des bleichen Gesichtes bildeten zu dem Gewande und den Kennzeichen der Bacchantin, die sie an und neben sich hatte, einen Gegensatz, welcher fast ein Lächeln herausforderte.

Perikles fuhr fort, ihr ins Antlitz blickend:

»Eine Bacchantin mit so traurigen Mienen erinnere ich mich nicht jemals gesehen zu haben. Mich dünkt, Kora, du möchtest den Thyrsosstab weit lieber wieder mit dem Hirtenstabe vertauschen? – Ist es nicht so? – Du fühlst dich nicht glücklich in diesem Hause? Du sehnst dich nach deinen heimischen Bergwäldern, nach deinen Lämmern und Schildkröten?«

Kora schlug ihre Augen einen Augenblick zu Perikles auf, die Augen, welche denen des Rehes zu vergleichen waren, und sah ihn an mit einer Miene, noch trauriger als zuvor, aber zugleich mit einem treuherzigen, fast kindlichen Blicke, in welchem eine aus tiefer Seele kommende Zustimmung Zu liegen schien.

»Willst du, daß wir dich heim entsenden?« fragte Perikles in herzlichem, vertrauen erweckendem Tone. »Sprich offen, Kind, und ich werde alles tun, um dich sobald als möglich in die geliebte Heimat und zu deinem wahren Glücke zurückzuführen, willst du dieses Haus verlassen, Kora? Sprich!«

Eine sonderbare Wirkung übten diese Worte auf das arkadische Mädchen. Im ersten Augenblicke zuckte etwas wie ein Freudenstrahl über ihr Antlitz, plötzlich aber blickte sie, wie von einem neuen Gedanken erfaßt, wieder ernst zu Boden, sie wurde bleich, ihr Busen begann zu wogen, eine Träne stahl sich zitternd über ihre Wimpern.

»Sprich es aus«, sagte Perikles, »was du wünschest und was dir zur Fröhlichkeit gebricht in diesem Hause. Es gibt gewiß etwas, was du vermissest?« – Perikles sprach diese Worte in eindringlichem Tone und blickte dem Mädchen, auf Antwort harrend, ins Gesicht.

»Verlangst du hinweg aus diesem Hause?« wiederholte er.

Kora schüttelte stumm und traurig das Haupt.

»Deine Betrübnis scheint also ohne Grund zu sein«, fuhr Perikles fort, »eine Melancholie, die als eine Art von Krankheit dein Gemüt befällt. Bekämpfe sie, mein Kind! Gib ihrer Macht nicht widerstandslos dich hin! Sieh, auch mich möchte der Dämon der üblen Laune zuweilen erfassen, aber ich ringe mit ihm. Das Lieben muß heiter sein und eine Lust für uns: denn wäre es dies nicht, so müßten wir ja die Toten beneiden, wollen denn die Menschen nicht alle froh werden und glücklich sein und sich heiter miteinander des Daseins freuen? warum suchst du die Einsamkeit? willst du denn nicht auch heiter und glücklich sein?«

Wieder schlug Kora treuherzig zu Perikles die Augen auf und sagte zögernd:

»Ich bin glücklich, wenn ich einsam bin!«

»Wunderliches Kind!« rief Perikles.

Er blickte Kora schweigend und sinnend an. Sie war nicht schön. Der Reiz ihrer Jungfräulichkeit war ohne allen Sinnenzauber.

Und doch lag in dieser Jungfräulichkeit, in dieser Kindlichkeit, in dieser wunderlichen Art zu empfinden etwas, was eine besondere Art von Sympathie in edlen Naturen erwecken konnte.

Perikles hatte den Inbegriff aller weiblichen Reize und Vorzüge in Aspasia verkörpert gefunden. Jetzt trat ihm plötzlich die Weiblichkeit in einer neuen, ungeahnten Gestalt entgegen, was er da in Kora vor seinen Augen verkörpert sah, das war verschieden von allem, was er bisher gesehen, was er bewundert, was er geliebt hatte.

Nicht liebenswürdig, nicht reizend erschien ihm diese neue Art von Weiblichkeit, aber eine Rührung überkam ihn, ebenso neu und fremd als dasjenige, wodurch sie hervorgerufen war, Er legte seine Hand auf das Haupt der Arkadierin und empfahl ihr krankes Gemüt dem waltenden Schutze der Himmlischen.

Dann sagte er: »Wollen wir nicht mitsammen Aspasia aufsuchen?« Und als er von einem Sklaven vernahm, daß Aspasia sich auf die Dachterrasse begeben, so faßte er das Mädchen freundlich an der Hand, um es der Herrin zuzuführen.

Wunderbares Zusammentreffen! In demselben Augenblicke, in welchem Perikles im Peristyl des Hauses seine Hand mit einer Art von ernster Rührung auf das Haupt des betrübten Hirtenkindes legte, in demselben Augenblicke lag die Hand Aspasias, welche mit Manes ihr Gespräch auf der Terrasse des Daches beendete, auf dem Haupte des trübseligen nordischen Jünglings!

War es doch, als ob diese ihre Hand mit einer fast mütterlichen Zärtlichkeit sein braunes Gelock berührte, ihr Auge fast mit Wärme ruhte auf den Zügen des jugendlichen Sonderlings! Dennoch thronte heitere Unbefangenheit auf ihrer freien, stolzen Stirne, und mit ruhigem Lächeln begrüßte sie Perikles, als dieser, das Mädchen an der Hand, zu ihr herantrat.

»Ich führe dir die schwermütige Kora zu«, sagte Perikles zu Aspasia; »sie scheint mir nicht weniger als Manes freundlichen Zuspruches bedürftig!«

Perikles hatte bei seiner Annäherung den warmen Blick bemerkt, mit welchem das Auge Aspasias auf denn Jüngling ruhte.

Sie folgte seinem leisen Wink, und er führte sie an eine entfernte Stelle der Dachterrasse, wo ein Ruheplatz angebracht war unter blühenden Ranken.

Hier erzählte Aspasia ihr Gespräch mit Manes dem Perikles, dieser ihr das seinige mit dem arkadischen Mädchen.

Zuletzt sagte Perikles mit ruhigem Ernste:

»Du hast warmbeseelte Blicke, ja, selbst schmeichelnde Gebärden aufgeboten, um das umdüsterte Gemüt des Jünglings aufzuhellen!«

»Und dies bringt dich auf den Gedanken, daß er mir wert sein könnte?« sagte Aspasia. »Nein«, fuhr sie fort, als Perikles schwieg, »ich liebe ihn nicht, denn er ist fast häßlich. Seine plumpen Backenknochen beleidigen mein Auge. Aber eine flüchtige Rührung, ich weiß selbst nicht von welcher Art, überkam mich. Es war vielleicht Mitleid.«

»Weißt du so genau, was Liebe nicht ist, und was sie ist?« fragte Perikles.

»Was Liebe ist?« rief lachend Aspasia. »Beginnst auch du mich nun mit der törichten Frage zu quälen? – Liebe ist ein Ding, nicht abzuweisen, wenn es kommt, und nicht aufzuhalten, wenn es geht« ...

»Und anderes weißt du nicht von ihr zu sagen?« fragte Perikles.

»Nichts, als was ich schon öfter gesagt«, versetzte Aspasia, »ein Gefühl ist sie, das entarten kann zur Tyrannei, indem sie das Geliebte zum willenlosen Werkzeug machen will. Diesen Drang zur Entartung muß sie zu unterdrücken wissen. Sie muß ein mit Freiheit geschlossener, mit Freiheit aufrecht erhaltener Freudenbund der Herzen sein!«

»So oft du mir dies wiederholtest«, sagte Perikles, »hat es mir immer unwiderleglich geschienen. Mein ruhig erwägender Sinn ist davon heute noch so gut überzeugt, als an dem Tage, wo wir selbst einen solchen Freudenbund der Herzen mit Freiheit schlossen. Liebe muß dem tyrannischen Drang entsagen, die Freiheit dessen, was sie liebt, zu vernichten; aber ungelöst steht vor meinem Geiste die Frage: Kann dies die Liebe? Ist sie jemals im stande, siegreich diesen Drang zu bekämpfen?«

»Sie kann es!« versetzte Aspasia, »denn sie muß es können!«

»Nicht aufzuhalten sei die Liebe, wenn sie geht, so sagtest du!« fuhr Perikles nach einer Weile sinnend fort, »was wird aus uns werden, Aspasia, wenn ihr schönes Feuer auch in unserer Brust erlischt?«

»Dann werden wir sagen«, erwiderte Aspasia, »wir haben miteinander das Höchste des irdischen Glückes genossen! Wir haben nicht umsonst gelebt! Wir haben auf dem Gipfel des Daseins in hoher Lebens- und Liebeskraft den Freudenkelch geleert!«

»Geleert – geleert!« – wiederholte Perikles, die Worte dumpf vor sich hin sprechend. »Du lässest mich da ein Wort vernehmen, das mich schaudern macht« – – –

»Es ist das Los der Becher, sich zu leeren«, sagte Aspasia, »und das Los der Blumen, zu welken, und das Los alles Lebenden, scheinbar hinzuschwinden, in der Tat aber in ewigem Wechsel sich zu erneuern. Des Sterblichen Sache aber ist es, auf diesen Wandel und Wechsel um ihn und in ihm selbst mit der heiteren Ruhe der echten Weisheit zu blicken. Töricht wäre es, sich an die Ferse des Entfliehenden zu heften. Es kommt die Zeit, den Becher getrost in den Abgrund zu schleudern, aus welchem die beglückende Welle geschäumt hat. Zu einem Gipfel strebt alles empor, um dann wieder abwärts zu sinken auf der Stufenleiter des Daseins bis zur Vernichtung. Naturlauf ist alles« – – –

Als Perikles und Aspasia diese Worte gewechselt hatten, schickten sie sich an, hinab ins Haus zu gehen. Und als sie wieder der Stelle sich näherten, wo sie Manes und Kora verlassen hatten, sahen sie diese beiden in einem Gespräche miteinander begriffen.

Das flache Dach war durch Aspasia in eine Art Gartenterrasse umgewandelt worden. Es befanden sich da Lauben zum Schutze gegen die Sonne, und hohes blühendes Gesträuch, das in Gefäßen, gefüllt mit Erdreich, wurzelte.

Ein solches Gesträuch verbarg Perikles und Aspasia, als sie sich näherten, vor den Blicken des Jünglings und des Mädchens, welche überdies zu sehr in ihr Gespräch vertieft waren, als daß sie die Annäherung der beiden hätten bemerken sollen.

Perikles und Aspasia standen unwillkürlich einen Augenblick still, betroffen durch den Anblick. Sie hatten niemals vorher bemerkt, daß Manes und Kora sich miteinander unterredet, daß eines des andern Gesellschaft gesucht hätte.

Schweigsam und zurückhaltend wie gegen alle Welt, waren sie auch gegen einander gewesen.

Es war an sich selbst eine wunderliche Scene, welche das Auge wohl auf sich zu ziehen vermochte, einen traurigen Satyr und eine schwermütige Bacchantin mit einander sich unterreden zu sehen.

Kora erzählte dem Jüngling von ihrer arkadischen Heimat, von den schonen Bergwäldern, von den Schildkröten, vom Gotte Pan, von den stymphalischen Vögeln, von den Jagden der wilden Tiere.

Manes hörte mit großer Spannung zu. »Du bist sehr glücklich, Kora«, sagte er dann, »daß du alles dieses so klar in deiner Seele hast und dich daran beständig erinnern kannst. Mir ist, wenn ich wache, gar nichts erinnerlich von meiner Heimat und von meiner Kinderzeit. Nur in Träumen finde ich mich zuweilen versetzt in tiefe, rauschende Wälder, oder ich sehe rauhe Männer, in zottige Vliese gekleidet, auf schnellen Rossen sitzend und dahin sprengend über die Ebene. Ich bin dann immer den Tag über sehr traurig, wenn ich solche Träume gehabt habe, und an einer Art von Heimweh krank' ich, obwohl ich keine Heimat habe und nicht wüßte, wohin ich zuerst meine Schritte lenken müßte, wenn ich sie aufsuchen wollte. Nur daß ich nordwärts gehen müßte, immer nordwärts, dies weiß ich, und es träumt mir auch oft, daß ich nordwärts wandere, immer nordwärts in eine unendliche Ferne. Du bist gewiß doppelt betrübt, Kora, daß du nicht in deine Heimat zurückkehren kannst, weil du sie ja kennst und auch deine Erzeuger, und sie immer leicht wieder zu finden wüßtest. Sag mir's, Kora, wenn du zurückkehren willst in deine Heimat, ich führe dich heimlich dahin, und ich bleibe dann auch dort, denn ich bin doch jung und stark. Warum sollt' ich nicht mit den arkadischen Männern zusammenleben und die wilden Tiere mit ihnen jagen?«

»Nein, Manes«, sagte das Mädchen, »nach Arkadien sollst du nicht gehen, weil dich ja deine Sehnsucht gegen den Norden zieht. Nein, ich möchte durchaus nicht, daß du nach Arkadien zögest, weil du dich gewiß immer nach deiner Heimat sehnen würdest. Du mußt gegen den Hellespont hinwandern und dann immer weiter gegen Norden, dann findest du gewiß deine Heimat und vielleicht gar ein Königreich« ...

»Ich möchte wohl gerne gegen den Norden hin wandern«, sagte Manes, »aber ich würde traurig sein, wenn ich daran dächte, daß du hier bist und dich vergebens heim nach Arkadien sehnst.«

Kora blickte nachdenklich zu Boden und nach einer kleinen Pause sagte sie:

»Ich weiß nicht, wie es kommt, Manes, daß ich ebenso gerne gegen Norden ziehen würde, wie nach Arkadien, wenn wir mitsammen wanderten. Und mir ist, als wäre überall, wohin wir mitsammen gingen, Arkadien« ...

Bei diesen Worten des Mädchens errötete Manes, und seine Hand zitterte wieder, wie immer, wenn er von einer großen und dabei schüchternen inneren Bewegung sich ergriffen fühlte, und er vermochte anfangs gar nichts zu sagen; erst nach einer Pause begann er wieder:

»Aber du willst gewiß viel lieber nach Arkadien gehen, Kora, zu den Deinigen! Ich will ja gerne dich begleiten und ein Hirt werden, und mir ist, als fände ich überall, wohin ich dich begleite, meine Heimat wieder und sogar ein Königreich« ...

Hier stockte er und errötete wieder. Von der Straße herauf scholl der tobende Lärm eines vorüberziehenden Bacchantenschwarmes. Fackeln erglänzten, heller Freudengesang ertönte, die Lust jauchzte in entfesselter Freiheit – hier oben aber standen der Jüngling und das Mädchen sich mit kranken Herzen blaß und stumm und verschämt gegenüber, und keines wagte die Hand des andern zu fassen, und selbst das Auge schlugen sie vor einander schüchtern zu Boden – der Satyr und die Bacchantin! –

»Sie lieben sich!« sagte Perikles zu Aspasia. »Sie lieben sich, diese beiden: aber mit einer wunderlichen Art von Liebe, wie es scheint. Es ist, als ob sie sich ganz und gar nur mit den Seelen liebten. – Sie sprechen nur immer von Opfern, die sie einander bringen möchten« ...

»In der Tat«, versetzte Aspasia, »mit einer Art von Liebe lieben sich diese beiden, wie nur Manes und Kora sie erfinden konnten. Sie haben durch die Liebe alle Munterkeit verloren, sie sind bleich und krank, sie sind traurig, und obgleich sie wissen, daß sie einander lieben, haben sie doch keinen Genuß von ihrer wechselseitigen Liebe, denn sie wagen es gar nicht einmal, sich die Hände zu reichen, geschweige sich zu küssen.«

»Es ist eine verschämte Liebe«, sagte Perikles, »eine keusche, eine schmerzliche, eine selbstlose, eine entsagende, eine opferwillige Liebe. Vielleicht ersetzt diese Art von Liebe durch Bestand und schönes Gleichmaß, was ihr fehlt an wonneschauerndem Göttergenusse. Vielleicht trifft von ihr weniger zu, was du früher von der Liebe behauptet hast, daß sie dem blinden Naturlauf unterworfen sei« ...

»Eine Krankheit ist diese traurige Liebe!« rief Aspasia erregt. »Wehe dem Tage, an welchem sie erfunden worden! Nicht aus dem morgenroten Meere, sondern aus den arkadischen Styxgewässern stieg diese neue, mit weißen Rosen bekränzte, bleichwangige Aphrodite! Diese Art von schmerzlicher, leidenschaftlicher Liebe ist so schlimm, wie Krieg und Pest und Hunger für die Menschen. Zu Eleusis habe ich diese Art von Liebe unter dem Gefolge des Thanatos gesehen, und dieser Gedanke war der einzige, der mir gefiel, dort in den eleusinischen Weihegrüften!« ...

Nun traten Perikles und Aspasia hervor, und Aspasia führte das arkadische Mädchen mit sich hinab ins Haus.

Am Abende desselben Tages fand im Hause des Perikles ein kleines Gelage statt, wie es die dionysische Festzeit mit sich brachte in den Häusern aller athenischen Bürger. Einige Gäste waren da, unter ihnen Kallimachos mit Philandra und Pasikompsa.

Man hatte diesmal nicht im gewöhnlichen Speisesaale des Hauses, sondern im kühleren und geräumigeren Peristyl sich versammelt, wo die Lüfte der lauen Frühlingsnacht von oben erquickend hereinwehten.

Perikles hatte, wie es seine Art war, sich früh zurückgezogen.

Plötzlich kam der junge Alkibiades mit einigen seiner Freunde. Er stürmte in ausgelassener Festlaune beinahe die Pforte des Hauses und nahm, mit seinen Gefährten eindringend, sofort Platz unter den schon Versammelten.

Bei seinem Eintritte flüchtete Kora sich sogleich ängstlich ins Innere des Hauses.

Als Alkibiades dies merkte, gedachte er bei der reizenden Simaitha sich schadlos zu halten. Diese aber wies ihn stolz von sich. Sie verachtete ihn, seit er soweit sich erniedrigt hatte, das arkadische Hirtenmädchen mit Gewaltsamkeiten zu verfolgen in toller Liebeslaune. Auch die übrigen Mädchen erwiesen aus gleichem Grunde sich trotzig gegen ihn. Lange bemühte er sich, die Grollenden umzustimmen, aber vergeblich.

»Wie?« rief er zuletzt, »Kora entläuft vor mir, spröde wie eine Fackeldistel, wenn der heiße Sommer sie dürr macht – Simaitha kehrt mir den Rücken – die gesamte Schule Aspasias blickt ernst und runzelt die Stirnfalten, wie der alte Anaxagoras – wohlan! wenn ihr alle mich zurückweist, so werde ich an die holde Hipparete mich halten, des Hipponikos züchtiges, verschämtes, reizvoll blühendes Töchterlein!«

»Tue das immerhin!« sagte Simaitha.

»Ich werde es!« rief Alkibiades; »du sollst mich nicht vergebens aufgefordert haben, Simaitha! Alkibiades läßt nicht mit sich scherzen! Ich gehe morgen mit dem Frühesten zu Hipponikos und begehre von ihm sein Töchterlein. Ich verheirate mich, werde tugendhaft, entsage allen tollen Vergnügungen und vertreibe mir die Zeit damit, Sicilien zu erobern und die Athener nach meiner Pfeife tanzen zu lassen!«

»Hipponikos wird dir seine Tochter nicht geben!« rief der junge Kallias; »er hält dich für einen zu großen Taugenichts!«

Lachend stimmten die übrigen Genossen ein: »Hipponikos wird dir seine Tochter nicht geben, du bist ein allzu großer Taugenichts!«

»Hipponikos wird mir seine Tochter geben«, rief Alkibiades mit Nachdruck, »auch wenn ich unmittelbar zuvor ihn geohrfeigt haben sollte. Wollt ihr euch in eine Wette mit mir einlassen? Ich mache mich anheischig, den Hipponikos zu ohrfeigen und dann um seine Tochter bei ihm anzuhalten. Und er wird sie mir geben.«

»Du bist ein Prahler!« riefen die Freunde.

»Es gilt die Wette!« entgegnete Alkibiades. »Tausend Drachmen, wenn es euch gefällig ist!«

»Es gilt!« riefen Kallias und Demos.

Alkibiades reichte den Freunden die Hand hin, und diese schlugen ein. Es galt die Wette von tausend Drachmen.

»Warum sollte ich nicht in mich gehen und tugendhaft werden«, rief Alkibiades, »da rings um mich her so viele traurige Zeichen und Wunder sich begeben? Nicht genug, daß Kora vor mir flüchtet, Simaitha sich von mir lossagt, Theodota wahnsinnig geworden, mußte ich nicht auch erleben, meinen ältesten und besten Freund zu verlieren? Er hat mir die Treue gebrochen und eine Frau genommen.«

»Von wem sprichst du?« fragten einige.

»Von wem anders, als von Sokrates?« entgegnete Alkibiades.

»Wie? Sokrates hat sich verheiratet?« fragte Aspasia.

»So ist es!« erwiderte Alkibiades; »in aller Stille hat er dieser Tage eine Frau genommen. Gebt ihn auf – ihr seht ihn niemals wieder!«

»Wie kam das nur?« fragte Aspasia weiter, »mir ist noch nichts davon zu Ohren gekommen.«

»Es mögen etwa zwei Wochen verstrichen sein«, sagte Alkibiades, »da stand ich in einer der stillsten Gassen drüben am Ilissos im Gespräch mit einem Freunde, dem ich da zufällig begegnete. Plötzlich öffnet sich die blumengeschmückte Tür eines Hauses, und ein Zug von Flötenspielern und Sängern, mit Fackeln in den Händen und bekränzt, tritt heraus. Diesen folgt eine verschleierte Braut, einherschreitend zwischen dem Bräutigam und dem Brautführer. Die drei besteigen einen vor dem Hause stehenden, mit Maultieren bespannten Wagen und nehmen Platz auf demselben. Mittlerweile kommt die Brautmutter mit der Fackel nach, die sie am Herdfeuer des Brauthauses angezündet; ihr schließt das übrige, weißgekleidete, fackelntragende und bekränzte Geleite sich an, der Wagen setzt sich in Bewegung, und fort geht es, die Straße hinab bis zum Hause des Bräutigams mit Flötenspiel und Gesang und fröhlichem Jauchzen und Springen. Der Bräutigam aber war kein anderer als Sokrates, der Freund Aspasias, sein Brautführer der Weiberfeind Euripides.«

»Und die Braut?« fragten viele.

»Eines schlichten Mannes schlichtes Kind«, versetzte Alkibiades, »das aber des Hauswesens Zügel sofort ergriff wie mit ehernen Händen und sich auf die Kunst versteht, mit dem wenigen hauszuhalten, was Sokrates von seinem väterlichen Erbe noch besitzt. Sokrates verheiratet! Der arme Wahrheitsucher! Wahrheit hat er gesucht und hat – ein Weib gefunden! Ich wiederhole euch, es geschehen Zeichen und Wunder! Die alte Welt will, scheint es, aus den Fugen gehen. Sokrates verheiratet – die lustige Theodota wahnsinnig – nehmt nun noch dazu, daß auf Aegina und in Eleusis, wie man sagt, einige Fälle der Pest vorgekommen, die schon längere Zeit am ägyptischen Gestade spukt, und daß man heute auf der Agora eine verdächtige Satyrmaske bemerkt haben will, unter welcher, meint man, sich Thanatos, oder die Pest, oder sonst etwas Grausenhaftes eingeschlichen – nehmt das alles zusammen, und ihr werdet zugestehen müssen, daß es langweilig zu werden droht in der Stadt der Athener. Wenn nun gar noch ich die Tochter des Hipponikos heirate, so färbt der hellenische Himmel sich grau wie ein Aschenhaufe. Aber heute wollen wir noch fröhlich sein – beim Eros mit dem Donnerkeil! Nicht länger geschmollt, Mädchen! Laßt uns einen lustigtollen Krieg beginnen wider die trübseligen Mächte, die uns bedrohen! Laßt uns ein spöttisches Schnippchen schlagen allen Zeichen und Wundern! Und wenn frohe Lust aus ganz Hellas verschwunden wäre, in diesem Kreise müßte sie noch zu finden sein. Habe ich nicht recht, Aspasia?«

»Du hast recht!« versetzte Aspasia; »im Kampfe wider alles Trübselige sind wir Bundesgenossen.«

So sprach sie und ließ neue Becher bringen, und im Mischkrug schäumten die köstlichen Fluten wieder auf, geleert und wieder geleert wurden die funkelnden Pokale. Heller Scherz, Gelächter und Freudengesang durchschallte das Peristyl, und Alkibiades sprühte von Funken dionysischen Geistes.

So war es Mitternacht geworden. Plötzlich öffnet sich im Hintergrunde eine Tür, die ins Peristyl mündet. Aus der Tür kommt langsam wie ein Gespenst, mit geschlossenen Augen, Manes geschritten – Manes, der Traumwandler! – Er war dem Gelage fern geblieben und hatte sein stilles Lager aufgesucht. Nun aber hatte die unheimliche Sucht den Schlummernden wieder vom Pfühl seiner Ruhe gezogen.

Bei dem Anblicke des mit geschlossenen Augen das Peristyl Durchwandelnden verstummte die helle Fröhlichkeit, und alles blickte, von leisem Schauer ergriffen, stumm nach dem gespenstischen Waller. –

Nachdem er das Peristyl durchschritten, wendete er sich der Treppe zu, welche emporführte zum flachen Dache des Hauses. Ueber diese Treppe stieg er sicheren Schrittes hinan und verschwand alsbald den Augen der bei dem Gelage Versammelten. Ihm zu folgen beschloß die Mehrzahl der Zechgenossen, nachdem der erste Schauder überwunden war. »So straft Dionysos diejenigen«, rief Alkibiades, »welche seinem heiteren Freudendienst widerstreben. Wir wollen den Verächter des Gottes bekehren! Kommt! Wir wollen ihn wecken und dann ihn mit Gewalt zu unserem Gelage ziehen!« –

Damit setzte der größere Teil der Zechgenossen sich in Bewegung und nahm den weg nach den Dachterrasse des Hauses.

Als sie dort angelangt, bot sich ihnen ein Anblick, der neuerdings das Grausen in ihrer Brust entfesselte.

Manes wandelte auf einem erhöhten, etwas abschüssigen Vorsprunge des Daches, hart am äußersten, abfallenden Rande des Vorsprunges selbst, an einer Stelle, wo nur die Mondsucht mit geschlossenen Augen wandeln konnte, jeder Wache aber schwindelnd in die Tiefe stürzen mußte.

Inzwischen waren auch die übrigen Hausgenossen auf die Kunde, daß Manes traumwandle, herbeigeeilt.

Auch Perikles erschien.

Auch er schauderte, als er den Jüngling erblickte, und sagte:

»Wenn er in diesem Augenblick erwacht, so stürzt er rettungslos in die Tiefe. Sich ihm rettend zu nähern aber ist an jener Stelle unmöglich!«

Eben als Perikles diese Worte sprach, kam auch Kora herbei.

Entsetzt, totenbleich, die großen, rundlichen Augen weit geöffnet, das Gesicht umflogen von dem aufgelösten Gelock ihres Hauptes, starrte Kora nach dem Traumwandler. Die Worte des Perikles vernehmend, zuckte sie einen Augenblick schaudernd zusammen, dann aber stürzte sie wie beflügelt nach der Stelle hin, wo Manes wandelte, schwang über den erhöhten Vorsprung sich empor, tat sicheren Fußes, ohne zu schwindeln, einige Schritte abwärts auf der abschüssigen, gefährlichen Bahn, faßte die Hand des Jünglings und riß ihn zurück von der äußersten Zinne, zurück bis dorthin, wo sie den sicheren Boden unter sich fühlte.

Erst als Manes gerettet war, überwältigte sie der Schwindel, und ohnmächtig sank sie zusammen.

Jetzt war es Manes, der, erwachend und die Augen aufschlagend, angstvoll das Mädchen umfaßte und es weiter hinabtrug in seinen Armen, bis es sein Bewußtsein wieder gewann und halb erschrocken, halb beschämt, errötend von dannen eilte.

Die Genossen des Gelages hatten diese Scene verfolgt mit staunenden Augen. Jetzt umringten sie den Manes und führten ihn unter fröhlichem, ermunterndem Zuspruch hinab ins Peristyl.

Nur Perikles blieb einen Augenblick mit Aspasia zurück.

»Wie bedaure ich«, sagte Perikles zu Aspasia, »daß Sokrates nicht Zeuge dieser Scene gewesen!«

»Warum bedauerst du dies?« fragte Aspasia.

»Er würde nun wohl endlich«, erwiderte Perikles, »erfahren zu haben glauben, was die Liebe ist« ...

Aspasia schwieg einen Augenblick, in den Mienen des Perikles forschend. Dann sagte sie: »Und du?«

Perikles erwiderte:

»Mich beschämt und verwirrt dies Paar ein wenig. Es ist, als ob es sagen wollte: Tretet ab, ihr beide, von der Bühne, und räumet uns den Platz!« – – –

Noch einmal blickte Aspasia dem Perikles eine Zeitlang ins nachdenklich-ernste Gesicht. Dann sagte sie:

»Du bist kein Grieche mehr!« –

Gering an Zahl waren die Worte, die da gewechselt worden, aber sie waren bedeutsam. Sie fielen schwerwiegend in die Wage des Schicksals.

Mit ihnen ereignete sich etwas wie ein geheimer Riß zwischen zwei hohen, einst so schön und innig verbündeten Seelen.

Ein lange vorbereiteter Einzug neuer, dunkler, trüber Gewalten: des Zweifels, des innern Zwiespalts in der Seele des Perikles war vollzogen.

Ab schloß mit diesem kurzen Wortwechsel der langsame, geräuschlose Zusammenbruch von etwas Großem, Schönem und Herrlichem ...

Mit den Worten: »Du bist kein Grieche mehr!« hatte Aspasia von Perikles nach einem letzten, halb zürnenden, halb mitleidigen Blicke ihr Antlitz abgewendet.

Beide gingen schweigend hinab: Perikles in sein Gemach, Aspasia zurück zu den Gästen.

Inzwischen hatten die Zechgenossen vergebens sich bemüht, den jungen Manes bei ihrem Gelage festzuhalten und ihn zu des Freudengottes geziemendem Kult zu bekehren. Er hatte sich losgerissen und war zurückgekehrt in die innern Gemächer des Hauses.

Nun erging man sich eine Zeitlang in Gesprächen über Kora, bewunderte ihren Mut, oder vielmehr die merkwürdige Gewalt einer Empfindung, einer Stimmung, einer Leidenschaft, unter deren Einfluß sie gehandelt hatte, durch welche sie gleichsam blind und bewußtlos hingerissen war, und welche für alle beinahe das Gepräge eines unlösbaren Rätsels hatte.

Und jetzt begann auch Alkibiades sein Bedauern auszusprechen, daß Sokrates dieser Scene nicht beigewohnt.

»Welch ein Festschmaus«, sagte er, »wäre dies für das Auge des Grüblers und Wahrheitsuchers gewesen, der schon über die alltäglichsten Dinge in tiefe Betrachtungen sich versenkt, und der nun wohl auch nicht ruhen würde, der Bedeutung dieses merkwürdigen Vorganges bis ins Innerste nachzuspüren. Ist er doch selbst eine Art von Traumwandler, ein von der Mondsucht der Philosophie Befallener, der die Augen schließt, um besser denken zu können, und dabei sich hinaus verirrt auf schwindelnde Höhen. Nur daß keine Kora für ihn erscheint, die ihn mit weicher Hand von den Abgründen des Gedankens zurückzieht. Nun, ich will zu ihm gehen und ihm diese ganze Sache berichten, obgleich es fast eine Gefahr ist, den Sokrates in seiner Behausung aufzusuchen. Denn die junge Frau Xanthippe fürchtet immer, daß ich ihren Gatten verführe, und hat überhaupt ein mißgünstiges Auge auf mich geworfen. Als ich die Neuvermählten mit einigen Freunden besuchte, setzten wir sie schon in arge Verlegenheit, und das Weiblein stellte ein Geschrei und Wehklagen darüber an, daß sie so vornehme Leute, wie wir seien, nicht gebührend bewirten könne. »Laß es nur gut sein«, sagte Sokrates; »wenn es gute Leute sind, die uns besuchen, so werden sie zufrieden sein; wenn es böse sind, so kümmern wir uns nicht um sie!« – Das sind aber Reden, mit welchen er Xanthippe nur noch mehr in Harnisch bringt. Ich merkte gleich, daß sie im Hause die Herrschaft hatte. Nun machte ich mir erst recht den Scherz, aufs freieste mit ihrem Gatten zu reden und ihn zu überhäufen mit freundschaftlichen Liebkosungen. Seit dieser Zeit brennt sie vor Wut gegen mich, und als ich kürzlich ihrem Manne einen leckeren Kuchen ins Haus sandte, ging sie in ihrem Zorn soweit, denselben aus dem Korbe auf den Boden zu werfen und ihn mit den Füßen zu zertreten. Und Sokrates? Der wagte bloß zu sagen: »Was hast du jetzt davon? Hättest du den leckeren Kuchen nicht zertreten, so hättest du ihn essen können!« – O Jammer! es scheint, daß zu Athen die weisesten Männer die Weiber nicht mehr zu behandeln verstehen!« – »Bei meinem Dämon«, fuhr Alkibiades fort, nachdem er seinen Becher geleert, »ich wiederhole es, die Welt geht aus den Fugen! Delos erschüttert, Theodota wahnsinnig, die weisen gezaust von ihren Weibern, ich selbst auf dem Punkte, um die Tochter des Hipponikos anzuhalten, Sabaziosdiener in den Straßen, Mondsüchtige auf den Dächern, der Peloponnesos in Waffen, zu Lemnos und auf dem nahen Aegina die Pest« ...

»Vergiß nicht die Sonnenfinsternis«, fiel hier Demos ein; »auch ist zu erwähnen, daß, wie man hört, ein Spukgeist umgeht im Hause des Hipponikos« ...

»Ist dies wahr?« fragten alle den anwesenden Kallias, des Hipponikos Sohn.

»So ist es in der Tat!« erwiderte dieser und erzählte, daß wirklich ein Spuk sich zeige in seines Vaters Hause, und daß Hipponikos tiefsinnig und bleich und mager geworden, daß ihm der köstlichste Bissen nicht mehr behage, und daß des Nachts der Alp sich auf ihn lege.

»Da habt ihr's«, rief Alkibiades – »also auch Sonnenfinsternisse und Spukgeister in den Häusern alter lustiger Lebemänner. Hole der Geier die Welt, wenn sie anfängt in solcher Weise sich zu verdüstern. Noch einmal, Freunde: wohlauf zum Kampfe gegen die Trübseligkeit der Zeiten, welche hereinzubrechen drohen!«

»Bedarf es einer Aufforderung?« rief der junge Kallias. »Beim Herakles! Haben wir nicht diese ganze Festzeit über das unsere getan, wie nie zuvor? Warfen wir nicht den Metragyrten ins Barathron? Betrugen wir uns nicht vollauf so, wie man es von den lustigen Ithyphallern erwarten konnte? Und hatten wir nicht die ganze Athenerjugend hinter uns? Gab es mutwilligere Dionysien jemals zu Athen, als die gegenwärtigen? Habt ihr das Volk jemals so munter und so toll gesehen? Ist der Wein jemals in reicheren Strömen geflossen? Ist jemals eine größere Anzahl junger Mädchen im Gedränge verführt worden? Wimmelte es jemals mehr zu Athen von bereitwilligen Freudenpriesterinnen? Und waren sie jemals mehr gesucht? Was redest du von trübseligen Zeiten, Alkibiades? Es ist eine lustige Zeit, sag' ich. Die Welt schreitet vorwärts in der Fröhlichkeit, nicht rückwärts, wie du meinst. Und was da immer drohen mag, sie wird nur immer fröhlicher werden! Und so geziemt sich's auch! Hoch lebe die Lust!«

»Hoch lebe die Lust!« schallte es zurück, und die Becher klangen zusammen.

»Kallias, trefflicher Junge, laß dich umarmen!« rief Alkibiades und küßte den Freund. So will ich dich und euch alle reden hören! Es lebe die Lust! Und damit sie ewig lebe und wachse und gedeihe im Volke der Athener, müssen die Ithyphaller einträchtig zusammen halten mit der Schule, welche Aspasia gestiftet. Auf die Ithyphaller und auf die Schule Aspasias gegründet ist die feste Burg der Heiterkeit und aller reizenden Ausgelassenheit und alles fröhlichen Mutwillens! Darum nicht geschmollt, Simaitha! Nicht getrotzt, Prasina! Nicht das Mäulchen verzogen, Drosis, gegen Alkibiades! Lächle wieder, Simaitha! Du bist niemals reizender gewesen als heute. Beim Zeus! Für das ganze, volle, reizende Lächeln deines Mundes will ich die tausend Drachmen, die ich gewettet habe, verlieren und das Töchterlein des Hipponikos noch eine Weile warten lassen!«

Nun wandte sich alles zu Simaitha und sprach ihr zu, sich mit Alkibiades zu versöhnen.

Aspasia selbst mischte sich in die Sache. »Grolle dem Alkibiades nicht länger!« sagte sie. »Wenn er behauptet, daß die Schule der Aspasia gute Freundschaft halten müsse mit der Ithyphaller-Genossenschaft, so mag er recht haben, doch nur insofern, als die Ausgelassenheit der Ithyphaller gezähmt und gezügelt werden muß durch anmutige Frauenhände. Wir müssen uns dieser Ithyphaller annehmen, um ihnen den Zaum des rechten und schönen Maßes aufzulegen, damit das heitere Reich der Freude nicht im Wüsten und Rohen untergehe.«

»Wir unterwerfen uns euch!« rief Alkibiades. »Wir wollen Simaitha zur Königin im Reiche der Freude mit unbeschränkter Gewalt erwählen« ...

»Das wollen wir!« hallte es in der Runde nach. »Warum sollten die Ithyphaller sich nicht zügeln lassen von so reizenden Händchen?«

In heller Fröhlichkeit wurde die lächelnde, reizstrahlende Simaitha ausgerufen zur Trinkkönigin und zur siegreich waltenden Beherrscherin des Reiches der Freude.

Man errichtete für sie einen herrlichen, mit Blumen reich bekränzten Thron, man hüllte sie in Purpurgewande, ein goldenes Diadem wurde in ihre Locken gedrückt, mit Rosen- und Veilchenkränzen wurde ihr Leib umschlungen.

Sie strahlte im vollen, unvergleichlichen Zauber ihrer Jugend und Schönheit – eine echte Königin, selbst Aspasias Auge hing an ihr mit Bewunderung.

»Aspasia beherrschte die Gegenwart«, rief Alkibiades, »dir, Simaitha, gehört die Zukunft!«

Die Becher wurden gefüllt mit berauschendem Trank und geleert zu Lehren der strahlenden Freudenkönigin.

»Von dieser Königin beherrscht«, riefen die Jünglinge, »wird das Reich der Freude sich verbreiten über den Erdkreis!«

»Kallias und Demos, nehmt eure tausend Drachmen in Empfang!« rief Alkibiades. »Ich gebe die Wette verloren. Ich gehe morgen noch nicht zu Hipponikos. Der Fürst der Ithyphaller schließt einen neuen Bund mit der Königin der Schönheit und der Freude! – Den Göttern sei Dank! Sie lächelt wieder, und ihre Zähne schimmern dabei, wie eine Marmorsäulenreihe des Parthenon!«

Dann näherte der bekränzte, von Wein und Liebesverlangen berauschte, verwegene Jüngling sich dem königlich geschmückten, reizvoll prangenden Mädchen, schlang unter dem Jubel seiner Gefährten den Arm um sie und wollte das geschlossene Bündnis mit einem Kusse besiegeln.

In diesem Augenblicke fiel allen, welche Simaitha anblickten, eine heftige Röte auf, die ihr Gesicht überströmte.

Sie wehrte mit ausgestreckter Hand die Annäherung des Alkibiades ab und klagte, daß eine plötzliche flammende Hitze ihr Haupt ergriffen habe.

Zugleich schienen ihre von der Glut getrockneten Lippen nach Labung zu lechzen.

Man reichte ihr einen mit Bein gefüllten Becher, sie stieß ihn zurück und verlangte nach der Erquickung kühlenden Wassers – sie stürzte Becher auf Becher der kühlen Flut hinab, aber es war, als ob nur schwache Tropfen auf eine Masse glühenden Erzes fielen.

Nun merkte man auch, daß ihre Augen, mit Blut unterlaufen, sich röteten.

Die Zunge des Mädchens wurde schwer – rauh, heiser klang ihre Stimme – über brennende Schwellung des Schlundes, der Mundhöhle, der Zunge begann sie zu klagen.

Aus brach zugleich ein drängendes Angstgefühl – krampfige Bewegungen erfaßten die Gelenke der Hände, der ganze Körper zitterte, dünner, kalter Schweiß bedeckte die Glieder.

Man wollte sie fortführen in ihr Gemach, auf ihr Lager; aber wie gehetzt von der wilden Beängstigung, verlangte sie, in einen Brunnen, in ein tiefes, kühles Gewässer sich zu stürzen – hinwegeilen wollte sie, einer Rasenden ähnlich – nur mit Gewalt wurde sie zurückgehalten.

Man hatte den Perikles herbeigerufen.

Er erschien. Er sah den Zustand des Mädchens und erbleichte.

»Entfernt euch!« sagte er zu den Genossen des Gelages.

Diesen waren die Häupter noch halb umnebelt von der bacchischen Berauschung.

»Warum entsetzt der Zustand des Mädchens dich so sehr?« riefen sie. »Hast du ihr Uebel erkannt, so sprich!«

»Entfernt euch!« wiederholte Perikles.

»Was ist's, was ist's?« rief Alkibiades.

»Die Pest!« sagte Perikles dumpf und leise.

So still das Wort gesprochen war, es fiel wie ein Wetterschlag in die Versammlung.

Alles verstummte, erbleichte, stob auseinander.

Die Mädchen begannen zu wehklagen – Aspasia selbst war todesbleich und bemühte sich zitternd um den verlorenen Liebling.

Das Mädchen wurde hinweggebracht. Die Zechgenossen begannen sich bestürzt und stumm zu entfernen.

Nur Alkibiades gewann seine Fassung wieder, er, der Trunkenste von allen.

»So sollen wir uns überwunden geben den finsteren Mächten?« rief er, einen Becher ergreifend. »Vergebens wäre unser Kampf gewesen? – Was stiebt ihr auseinander, Freunde? Feiglinge, die ihr seid! Wenn ihr alle verzagt und euch schmählich überwunden gebt, ich ergebe mich nicht! Ich trotze auch der Pest und allen Schrecken des Hades!«

In diesem Tone sprach er fort, bis er zuletzt merkte, daß er ganz allein stand im verödeten Peristyl, unter zerstreuten Kränzen und halbgeleerten oder umgestürzten Bechern.

Er blickte um sich mit glasigen Augen. »Heda, wo seid ihr«, rief er, »lustige Ithyphaller?«

»Allein!« fuhr er fort – »ganz allein! – Sie haben mich alle verlassen – alle! – Das Reich der Freude ist verödet – die düsteren Gewalten siegen« – –

»Es sei!« rief er zuletzt, den Becher von sich schleudernd. »Fahr' wohl, schöne Jugendlust! – Ich gehe zu Hipponikos!« –

.

 << zurück weiter >>