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ie waren ein wundersames Widerspiel jenes ionischen Honigmondes, diese peloponnesischen Fahrten des Perikles und seiner Aspasia! Dort an Milets heiteren Gestaden zog die siegreiche Weiblichkeit mit weichen Armen den Athenerhelden in ihren Zauberkreis; hier zwischen starrenden Bergeshäuptern trat der männliche Dorergeist im Geleite vieler Dinge, welche das Gemüt ernst zu stimmen geeignet waren, an Perikles heran. Hier goß die Natur selbst eine Art von ernstem Schauer in seine Seele; hier sprachen zu ihm alte Ueberreste einer heldenhaften Vergangenheit, welcher gegenüber die Nachgebornen sich doch nur als ein schwächliches Geschlecht empfinden konnten; hier wurde auf Stätten, deren Sagen an die alte Heldenwelt unmittelbar anknüpften, ein Kult und ein Wettstreit der Männlichkeit gepflogen, geeignet, wie Aspasia richtig fühlte, in der Seele des Griechen Gesinnungen zu wecken, zu erhalten, und groß zu ziehen, welche den Sieg der Schönheit und der Weiblichkeit auf allen Gebieten des Lebens weit eher beeinträchtigen als fördern konnten. Auf bergeinsamen Fluren der Hirten hatte Perikles hier ein einfaches, wenn man will, idyllisches Dasein geschaut, welches unberührt war vom Hauche der neuen Gesittung, und welches Anschauungen, Empfindungen, Ahnungen nährte, die vielleicht nur den Niedergang des echten Hellenengeistes erwarteten, um mit einem grauen, einförmigen Nebel die heitere, hellenische Welt zu umspinnen. Hier hatte selbst die Kunst des Atheners, im Tempel des olympischen Götterkönigs ihr höchstes und letztes hinstellend, den Triumph des ernst Erhabenen über das anmutend Schöne vor dem Auge des Griechen, wie es schien, für immer besiegelt.
Anders stand diesen Anregungen und Einflüssen Perikles, anders Aspasia gegenüber. Denn nicht völlig gleich war die Natur ihrer Gemüter, und verschieden die Art ihres Verhältnisses zur Außenwelt. Aspasia war die nach allen Seiten hin Wirkende, Gebende, Tätige, Perikles war, seiner männlichen Tatkraft unbeschadet, der von allen Seiten her mit offener, edler Griechenseele auf sich wirken Lassende, Empfangende. Er war, wie das Hellenenvolk selbst, mit seiner Empfänglichkeit zwischen die Gegensätze gestellt; und wie das Hellenenvolk und der Hellenengeist, durchlebte er im Wandel dieser Einflüsse und Gegensätze eine Entwicklung, eine innere Geschichte, deren Ziel und Ausgang noch nicht abzusehen war, während Aspasia unverrückbar und unwandelbar fest stand im innersten Kern ihres Wesens; als die zaubermächtige Vorkämpferin hellenischer Lebensheitre und Lebensschöne.
War nicht zu fürchten, daß durch diesen gelinden Gegensatz, bisher verdeckt von den Rosengewinden der Liebe und des Glückes, die schöne Harmonie des Liebelebens, welches das edle, herrliche Paar vereinigte auf dem Gipfel des Daseins, einmal getrübt werden könnte?
Wohl lag sie nahe, die Gefahr, aber jene Rosen der Liebe und des Glückes schienen nun einmal unverwelklich zu sein für dieses Paar, begabt mit einem Zauberduft von ewiger Dauer.
Noch immer blieb ja Perikles der Empfängliche, Empfangende, Aspasia die siegreich Wirkende, Gebende.
In ihren Gesprächen zwar befehdeten die beiden sich oft, und nicht selten glaubte Perikles, das geliebte Weib zu seiner Meinung, in seine Strömung mit herüber gezogen zu haben. Zuletzt aber merkte er doch meist, daß sie es war, die ihn umgestimmt hatte, daß es unmöglich blieb, des wirkenden Zaubers, der in die Hand dieses unvergleichlichen Weibes gelegt war, sich ganz zu erwehren. Immer wieder ließ er von der Schönen sich zurückführen auf den Gipfel freier, heiterer Lebensanschauung. Immer aufs neue wurde der schöne Einklang der beiden Seelen wieder hergestellt, immer aufs neue verwirklichten sie das Ideal des hellenischen Lebens auf seinem Höhepunkte und boten ein Schauspiel, auf welches die Olympier mit Befriedigung herunterblickten.
Aspasia verstand es trefflich, die Stimmungen des Gatten zu bekämpfen. Ob sie für immer im stande sein werde, seines innersten Lebens neu-sprossende Keime zu ersticken, den Fortschritt seiner inneren Entwicklung aufzuhalten, das blieb freilich unmöglich für jetzt zu ermessen.
Gewiß ist nur, daß Aspasia es stets verstand, den Scherz der Lieder des Anakreon mildernd in den Ernst zu mischen, zu welchem Perikles an Hymnen des Pindaros sich begeisterte, und daß zwischen diesen beiden echter Griechensinn noch immer Recht behielt. –
In dem kleinen Zwischenfalle mit Alkamenes hatte die Vergangenheit einen flüchtigen Schatten auf das Eheglück des Perikles geworfen. Aspasia atmete freier auf, als sie mit ihrem Gatten auf der Heimkehr von Olympia nach Athen den Boden des Peloponnesos hinter sich hatte. Sie ahnte nicht, daß unerfreulicheres ihr auf dem Boden Attikas selber, unmittelbar vor dem erreichten Ziele, bevorstand.
Während Pheidias zu Olympia seinen Zeus für ganz Hellas schuf, wie er früher zu Athen die Pallas Athene für die Athener geschaffen, war sein früherer Genosse und Freund Iktinos in der attischen Mysterienstadt Eleusis tätig gewesen, wohin er berufen war, um ein neues Haus der Demeter für die Feier der großen Mysterien zu erbauen.
Da die Tage der Mysterienfeier bevorstanden, so hielt sich Hipponikos, welcher bei dieser Feier die an sein Geschlecht geknüpfte Würde eines Daduchen bekleidete, eben in Eleusis auf, ein Landgut bewohnend, wie es auch andere reiche Athener in der Gegend des schön gelegenen Eleusis besaßen. Denn diese Stadt lag unfern dem Meeresstrande, der Furt von Salamis und dieser Insel selbst gerade gegenüber. Die Hügel hinauf zogen sich die Behausungen der Einheimischen und die großen Tempelbauten mit ihren weitläufigen, heiligen Bezirken, innerhalb welcher sie standen.
Perikles nahm bei Hipponikos seinen Aufenthalt während der Zeit seiner Anwesenheit zu Eleusis.
Der erste Tag war der Besichtigung des neuen großen, durch Iktinos vollendeten Weihetempels gewidmet, der, auf die Mysterienfeier berechnet, viele unterirdische Gelasse und labyrinthische Gänge von großer Ausdehnung zählte, die Stätte jener Geheimnisse, welche zu schauen nur den Eingeweihten erlaubt war.
Die eleusinischen Geheimnisse waren nun ein Gegenstand, gegen welchen Aspasia sogleich wieder auf das entschiedenste die Spitze ihres Geistes und Witzes kehrte. Ihr schien alles, was dem Lichte sich entzog, was das Dunkel suchte, was mit dem Schleier des Geheimnisses sich umgab, zusammenzuhängen mit Aberglauben und Schwärmerei, und so erblickte sie auch in diesen Mysterien eine Gefahr für den freien, zum Lichte sich emporringenden Geist der Hellenen.
Als sie die Ehrfurcht tadelte und die heilige Scheu der Athener vor diesen Mysterien, sagte Perikles:
»Vielleicht ist diese Scheu der Hellenen die geheim sich ankündende Scheu des Menschengeistes überhaupt vor den Geheimnissen, die noch in seiner eigenen Tiefe unentwickelt schlummern. Wer weiß, wie viele Offenbarungen der Menschengeist noch hervorholt aus dieser heiligen Tiefe!«
»Ich will nichts hören von Offenbarungen der Zukunft!« entgegnete Aspasia. »Die Offenbarung der Gegenwart ist die Offenbarung der schönen Menschlichkeit, und alles was folgen könnte, wäre nur eine Verschlimmerung. Klammern wir uns mit Geist und Seele und allen Fasern unseres Wesens an die schöne, heitere Gegenwart!«
Perikles verwies Aspasia auf den Daduchen Hipponikos und fragte sie, ob denn dieser Mann, dessen Leibesgestalt immer mehr sich rundete, und dessen Wangenrot immer glänzender wurde, irgend eine Spur von Schwärmerei an sich trage? Und doch sei er nicht bloß Eingeweihter, sondern auch Träger einer Priesterwürde zu Eleusis, einer von denjenigen, welche die Einweihung der Mysterien vollziehen.
Aspasia entgegnete, diejenigen, welche andere in das Reich des Aberglaubens und der Schwärmerei einführen, seien nicht selten frei von den Gesinnungen, welche sie anderen einflößen; zuweilen aber, sagte sie, geschehe es auch, daß die Träger und Vermittler heiliger Geheimnisse den Maultieren ähnlich seien, welche hie und da nach altem Brauch zum Träger heiliger Tempelgeräte oder Götterbilder verwendet werden, und auf welche nichts von dem Göttersegen übergeht, welchen sie anderen auf ihrem Rücken zutragen und vermitteln. Der harmlose Hipponikos, fügte Aspasia hinzu, scheint mir zu dieser letzteren Art zu gehören.
Hipponikos war stolz auf seine Daduchenwürde, weil in der Tat eine Ehre vor dem Hellenenvolke damit verbunden war. Aber was mit dieser Würde sonst zusammenhing und was sie von ihm erheischte, dazu fühlte er wahrlich durch keinen inneren Antrieb, durch keine persönliche Neigung, sondern einzig durch den Umstand sich berufen, daß er dem Geschlechte angehörte, aus welchem die Daduchen von Eleusis gewählt zu werden pflegten, und daß ihn diese Wahl getroffen hatte.
Er verteidigte der Gattin des Perikles gegenüber die Mysterien als eine Sache, die er zwar vertrat, aber ohne sich dafür zu ereifern.
Philosophischer Erörterung abhold, begnügte er sich, Aspasia auf ein Gemälde zu verweisen, welches seinen Speisesaal schmückte. Dies Gemälde war von der Hand des Polygnotos und stellte den Besuch dar, welchen der Irrfahrer Odysseus im Reiche der Schatten machte. Der Hades war gemalt mit allen seinen Schrecken, und unter den bleichen Schatten bewegte sich unerschrocken der noch lebende Fürst von Ithaka.
Als Perikles mit Aspasia das Gemälde betrachtete, merkte er als ein Eingeweihter sogleich, daß die Einzelheiten desselben viele Beziehungen zu den Geheimnissen von Eleusis hatten. Hipponikos bestätigte dies und sagte zu Aspasia:
»So viel ist wohl zu verraten erlaubt, daß der Weg zu dem heiligen Lichte von Eleusis durch den Hades führt, durch die Schrecken des Erebos. Was aber die Nichteingeweihten betrifft, und diejenigen, welche es hartnäckig verschmähen, sich einweihen zu lassen, so ist ihr Schicksal in der Unterwelt für die Kundigen sehr anschaulich auf diesem Bilde bezeichnet.«
So sprach Hipponikos und riet Aspasia ernstlich, sich einweihen zu lassen, indem er ihr in Erinnerung brachte, daß nach allgemeiner Ueberzeugung der Hellenen diejenigen, welche in die Mysterien der Demeter zu Eleusis eingeweiht sind, nach ihrem Tode in seligen Auen wandeln, den Nichteingeweihten aber bestimmt ist, eine ewige Zeit hindurch in schauerlicher Finsternis und Oede zu schmachten.
»Ich habe es oft behaupten hören«, sagte Aspasia, »und es hat dies meinem Ohre immer so geklungen, wie wenn jemand auf einer verstimmten Zither unharmonische Töne zuversichtlich greift, oder über eine Glasfläche mit einem spitzen Eisen ritzend dahinfährt. Es ist erstaunlich, an welche Dinge sich sogar hellenische Ohren gewöhnen mögen. Ich weiß, daß es Personen gibt, welche sich, wenn sie ihr Lebensende herannahen fühlen, noch schnell einweihen lassen, und manche beeilen sich ja, ihre Kinder schon im zarten Alter dieses Heiles teilhaftig werden zu lassen.«
»Bin ich doch selbst«, sagte Perikles, »wie fast alle Athener, eingeweiht, und gerne wär' ich bereit, auch diese Geheimnisse wie alles andere mit dir zu teilen.«
»Ich begreife«, versetzte Aspasia, »daß den Unverständigen der Aberglaube, den Verständigen die Neugier Grund genug ist, sich einweihen zu lassen. Auf das Recht der Neugier aber habe ich ja als Frau doppelten Anspruch. Was muß ich tun, Hipponikos, um jener Weihen teilhaftig zu werden?«
»Die Sache ist leicht«, sagte Hipponikos. »Du meldest dich im nächsten Jahre bei der Feier der kleinen Eleusinien zu Athen, erhältst auf die Fürsprache eines schon Eingeweihten die geringeren Weihen und begibst ein halbes Jahr später dich mit dem eleusinischen Festzuge von Athen hierher nach Eleusis, um hier in die großen Weihen eingeführt zu werden, und die eigentlichen Geheimnisse zu schauen.«
»Wie?« rief Aspasia, »so lange soll ich meine Neugier bezähmen? Die kleinen Eleusinien soll ich erwarten und dann noch ein halbes Jahr verstreichen sehen, bevor sich die Geheimnisse mir enthüllen? Bist du nicht Daduch, Hipponikos, und kannst als solcher mir die Vergünstigung erwirken, daß ich die kleineren Weihen nun hier zugleich mit den großen empfange?«
»Unmöglich!« erwiderte Hipponikos.
»Was hindert dich?« fragte Aspasia.
»Die Zwischenzeit der beiden Weihen ist festgestellt durch den heiligen Gebrauch«, entgegnete der Daduch.
»Du vermagst mir hinweg zu helfen über den heiligen Gebrauch, wenn du nur willst!« warf Aspasia ein.
»Der Hierophant ist einer von den Strengen und Ernsten in der Art des Diopeithes zu Athen«, sagte Hipponikos. »Soll ich den Zorn dieses obersten Priesters auf mich laden?«
Aspasia bestand auf ihrem Verlangen, aber der Daduch wiederholte sein »Unmöglich«. Er war ein Feind von bedrohlichen Verwicklungen. Er verspürte keine Lust, die ganze eleusinische Priesterkaste gegen sich aufzubringen. Er liebte den Frieden und die Behaglichkeit.
Den nächsten Tag kam der eleusinische Aufzug von Athen nach Eleusis herüber. Perikles und Aspasia befanden sich mit Hipponikos unter denjenigen, welche als Zuschauer dem Schwarme begegneten, als derselbe zu vielen Tausenden einhergezogen kam auf dem heiligen Wege. Während die Blicke Aspasias hinschweiften über die im Zuge getragenen Heiligtümer und über die Schar der Mysten selbst, alle bekränzt mit Myrte und Eppich, Aehren und Ackergerät in Händen tragend zu Ehren der Erdfruchtspenderin Demeter, da traten ihr plötzlich beim Scheine der brennenden Fackeln – denn die Ankunft des eleusinischen Zuges fiel in die dunkelnde Abendstunde – aus der bunten Menge der Gesichter die matten Augen und die schlaffhängenden Wangen Telesippes entgegen.
Telesippes Gatte, der durch des Perikles Einfluß immer wieder neu gewählte Archon Basileus, dem auch die Aufsicht der eleusinischen Mysterien oblag, ging im Geleite der athenischen Priester und obrigkeitlichen Personen; Telesippe wandelte als Basilissa, als Teilnehmerin seiner religiösen Würden und Verrichtungen erhobenen Hauptes an seiner Seite.
Würdevoll erschien das Weib des Königs-Archonten in der stattlichen Fülle des Leibes; und als ihr Blick, stolz zur Rechten und zur Linken schweifend, auf den früheren Gemahl und auf die Milesierin an seiner Seite fiel, da richtete sich ihr Haupt noch höher auf, und ein Zug der Verachtung erschien auf ihrer wulstigen Unterlippe gelagert. So feierlich war ihre Miene, als stände sie eben wieder am Lenäenfeste als »des Gottes mystische Gattin« im Tempel des Dionysos, an der Spitze untergebener priesterlicher Frauen, geheimnisvolle Bräuche vollziehend, Bräuche, die kein männliches Auge schauen durfte, und über welche sie den Teilnehmerinnen feierlichst das Gelübde des Stillschweigens abnahm.
Als Aspasia das Weib erblickte, so hoch emporgetragen vom Bewußtsein seiner priesterlichen Würde und den Pfeil der Verachtung aus mißgünstigen Augen schleudernd, da regte sich der alte Haß und die scharfzüngige Spottlust im Busen der Ionierin.
»Siehe da«, sagte sie lächelnd zu Perikles, »siehe, wie sie einherstolziert, reichlich blühendes Fett um die Glieder, die würdige Frau Telesippe! Nachdem sie zweier sterblicher Männer Ehefrau gewesen, ist sie nun gar des Gottes Dionysos mystische Gattin geworden! Es sollte mich aber wundern, wenn der jugendliche Gott sie nicht bald auch einem andern abträte, und zwar dem Silen, seinem dickbäuchigen Begleiter; denn für diesen erscheint sie ganz wie geschaffen!« –
Einiges von dieser scharfgewürzten Spottrede drang zu Telesippes Ohr. Noch besser aber ward sie vernommen von Elpinike und von dem Seher Lampon, welche hinter Telesippe im Zuge gingen, und welche, gleich dieser, den Perikles nebst der Milesierin im Vorübergehen scharf und lauernd ins Auge gefaßt hatten. Blicke mühsam unterdrückter Erbitterung wurden auf die Verwegene geschleudert, und ein stillschweigendes Gelöbnis, längst geschworene Rache zu beschleunigen, flammte gleichzeitig in drei empörten Seelen auf.
In der Nacht schwärmte zur Küstenstrecke des eleusinischen Meerbusens der Festreigen, geführt vom Gotte Iakchos mit leuchtender Fackel. Hier flammte der nächtliche Lichtschein auf über der blumigen Au, und um den Gott her schlang sich der begeisterte Chor, den Boden stampfend im Tanze, das Lockenhaar schüttelnd samt dem Myrtenkranze darin und den schwellend gereiften Beeren im Kranze. In mannigfachen Windungen kreuzte sich mit den hochgeschwungenen Fackeln der Reigen. Ein Myste übergab häufig die Fackel wechselnd dem andern. Als heilig wurde dieser mystische Fackelglanz betrachtet, und die davon abspringenden Funken galten als Reinigungsmittel der Seelen jener, die sie niederfallend berührten.
Mit Einbruch jenes Abends aber, welcher der Vorfeier ein Ende machte und den Geheimnissen im Weihetempel vorausging, bereiteten die Mysten auf die Weihen sich vor durch mancherlei Reinigungen, Spenden, Opfer und andere heilige Bräuche.
Wiederholt hatte Aspasia inzwischen an Hipponikos das Verlangen erneuert, durch seine Vermittlung in die Mysterien miteingeführt zu werden.
Hipponikos erinnerte sie daran, daß die Feier der Mysterien unter der Aufsicht des Archon Basileus, des Gemahls Telesippens, vor sich ging, und daß, wie der Archon Basileus die Oberaufsicht über die eleusinischen Priester hatte, so seine Gemahlin den Priesterinnen von Eleusis als Basilissa für die Zeit der Mysterien vorstand.
Das alles schien den Eigenwillen Aspasias nur noch zu stacheln: aber sie hätte wohl kaum den Widerstand des Hipponikos gebrochen, wäre es diesem zuletzt der Gattin des Perikles gegenüber nicht so ergangen, wie dem Alkamenes zu Olympia. Er hegte nicht umsonst tagelang den Feuerbrand, der ihm das Herz schon einmal versengt hatte, in seinem Hause. Jenes Zwischenfalls mit Alkamenes eingedenk, würde Aspasia sich sonst wohl gehütet haben, diese Flamme neuerdings zu schüren und eine Gefahr heraufzubeschwören, welche ihr um des Perikles willen verhängnisvoll erschien. Aber sie hatte sich nun einmal vorgesetzt, das, was sie bekämpfen wollte, genau zu ergründen, um es mit noch größerem Erfolge zu bekämpfen. Sie sah mit Genugtuung die Gluten des Hipponikos, den sie sonst verachtete, neuerdings auflodern; waren sie ihr doch eine Bürgschaft, daß er ihrem Verlangen zuletzt willfahren werde.
Und so geschah es auch. Der Daduch willigte endlich ein, jene kleineren Weihen, welche Aspasia schon vor einem halben Jahre zu Athen hätte empfangen sollen, ihr jetzt zu erteilen. Er wußte den sogenannten Mystagogen für sich zu gewinnen, welchem es vornehmlich oblag, bei den kleineren Eleusinien zu Athen die Neulinge einzuführen und vorzubereiten.
Der Daduch ließ Aspasia nach vorausgegangenen Zeremonien der Reinigung auf das Vlies eines dem Zeus geopferten Lammes treten, dann unterrichtete sie der Mystagog in gewissen Bräuchen und Formeln, deren sie im Tempel bedurfte, um zu beweisen, daß sie eingeweiht war, daß ihr der Eintritt mit den Mysten ins Innerste des Heiligtums nicht versagt werden dürfe. Schwören ließ er sie zuletzt, daß sie über alles, was sie im Hause der großen Weihe hören und sehen würde, unverbrüchliches Schweigen beobachten wolle für immer.
Nicht auf einmal wurden, als die Tage der Weihen gekommen, alle Mysten eingeführt, sondern eine Abteilung folgte der andern.
Unter der zuerst eingeführten Mystenschar befanden sich Perikles und Aspasia.
Ein Lächeln schwebte auf den Lippen Aspasias, als sie mit dieser Schar, geführt vom Mystagogen, den inneren Raum des Heiligtums betretend, den Hierophanten samt den übrigen Oberpriestern und Helfern in glänzende und bedeutungsvolle Gewänder gehüllt erblickte, Diademe auf dem frei auf die Schultern herabwallenden Gelock des Hauptes, hohe Greisengestalten, ehrfurchtgebietend von Ansehen, überdies geheimnisvolle Sinnbilder zur Schau tragend: unter ihnen der Daduch mit einer Fackel in der Hand.
Und noch reizender lächelte die schöne Milesierin, als nunmehr der »heilige Herold« seine Stimme erhob vor den versammelten Mysten mit der Aufforderung, daß jeder, der nicht die Weihen empfangen, sich entferne, desgleichen jeder, dessen Hand nicht rein von Schuld und der nicht würdig vorbereitet, zu schauen das heilige Licht von Eleusis, und zuletzt allen den feierlichen Schwur noch einmal abnahm, ewiges Schweigen zu beobachten über das, was sie schauen und hören würden, hierauf aber jedem einzelnen eine Frage ins Ohr geflüstert wurde, die nur der Myste beantworten konnte, und welche er eben so leise ins Ohr des Fragenden erwiderte, wahrend von einem unsichtbaren Chore der feierliche Hymnus auf die Göttinnen von Eleusis gesungen wurde.
Und noch immer umschwebte das feine Lächeln die geistbeseelten Lippen Aspasias, als die Mysten in das Innerste des Tempels eingeführt und gewisse heilige Gegenstände ihnen dort zuerst gezeigt wurden, Ueberbleibsel aus Urzeiten, Sinnbilder der Segnungen und Geheimnisse des eleusinischen Götterdienstes, auch zur Berührung und zum Kusse dargereicht und mit weihevollem Wort aus dem Munde des Hierophanten gedeutet.
Und mit dem gleichen Lächeln verfolgte Aspasia die nachahmenden Darstellungen der heiligen Sagen, lebendig und ergreifend anzusehen im geheimnisvollen Halbdunkel des Tempels, von Saiten- und Flötenklang und Gesängen begleitet.
Jetzt aber wurde die Mystenschar abwärts geführt über Stufen in unterirdische Gewölbe und Gänge. Bald sahen sie von völliger Finsternis sich umgeben. Irrfahrten begannen, und ein langes, mühevolles, zielloses Umherschweifen in nächtlichem Dunkel. Nur des Hierophanten Stimme diente mit ernstem, würdevollem Laut in bedeutsamen Sprüchen und Zurufen als Führer der dunklen labyrinthischen Irrfahrt.
Plötzlich wurde ein dumpfes Getöse, als ob die Grundfesten der Erde erbebten, vernehmlich: darein schienen sich Geheul, Gestöhn, brausende Wasser, rollende Donner zu mischen. – Der vorher ruhigen Schau folgte nunmehr im Schwarme der Mysten ängstliches Staunen, Schauder, Zittern; Schweiß bedeckte die Stirnen.
Immer größer aber wurden die Schrecknisse; denn beim Schein blitzartig leuchtender Flammen, welche aus dem Boden wechselnd emporschlugen, und deren Farbe rot, blau, weiß oder fahl und grausig anzusehen war, sah man entsetzliche Schreckgestalten, Scheusale der Unterwelt, flüchtig beleuchtet: Gorgonen mit entsetzlichen Häuptern, auf Schlangenfüßen heranschleichende Echidnen, abenteuerliche Chimären, welche des Löwen, der Ziege und der Schlange Gestalt in sich vereinigten, zähnefletschende Harpyen mit ungeheuren Rachen, bleiche, blutlüsterne Empusen, mit Hundeköpfen bellende Skyllen, und das grausenhafte Bild der Hekate...
Aber noch immer entsetzlicher wurden die Schreckenserscheinungen. Zuletzt erschien im fahlen Lichte Thanatos, der Todesgott, thronend auf Totengebein, in nachtschwarzem Gewande, die Stirn umkränzt von Asphodill, eine umgestürzte Fackel in der Hand, neben ihm ein falbes Roß, auf welchem er reitend unendliche Fernen im Fluge zurücklegt.
Rings um ihn aber waren seine Getreuen gelagert: Eurynomos, der Dämon der Verwesung, einer der Hadesgeister, dessen Amt es war, das Fleisch der Leichen bis auf die Knochen abzunagen. Er saß auf Aas, wie ein Rabe oder Geier, und hackte seine Zähne gierig in das mürbe Fleisch.
Weiter war zu sehen um den fahlen Thanatos die Pest, und der blasse, abgezehrte Hunger, und des Krieges Furie Enyo, und die kranke, herznagende Liebesraserei, und Ate, die Torheit, der Verblendung und der Schuld blindwütiger Dämon.
Aspasia lächelte noch immer, aber ihr Lächeln war nicht mehr reizend, und ihr Antlitz marmorbleich ...
Während aber jetzt auf des Hierophanten Wink der Daduch seine Fackel an einer der aus dem Boden aufzuckenden fahlen Flammen entzündete, und immer schauerlicher die Weisen der Flöten und des unsichtbaren Chores erklangen, nahm eine düstere, von mephitischen Dünsten erfüllte Höhle den Schwarm der Eingeweihten auf. Aus der Ferne erscholl ein dumpfes Brausen, wie von Stromgewässern, und dazwischen das helle, wie aus dreifachem Haupte kommende Gebell eines Hundes.
Als nun die Mysten den langen, schauerlichen Höhlenweg zurückgelegt, erblickten sie wie im Traum ein weites, einförmiges, düsteres, gleichsam von Schlummersäften triefendes Reich vor sich, umgürtet von traurig hinwallenden Strömen.
Beschwichtigt wurde durch des heiligen Herolds bannenden Stab das Gebell des dreiköpfigen Höllenhunds, und die Mystenschar sah sich umgraut von Persephonens Totenhain, wo in fahlem Lichte Weiden und Silberpappeln standen, blaßfarbig und regungslos und mit traurig niederhängenden Zweigen.
Dann kam die Asphodeloswiese, ganz überwuchert von der traurigen Todesblume, deren bleiche Blüte auf hohen Stengeln wie träumend schwankten.
Ueber dieser Wiese aber schwebten die Schatten, die Seelen der Toten hin und her: wie Traumbilder, oder wie Rauch, unfaßbar, ohne menschlichen Laut, nur mit einen: leisen einförmigen Gesumme den weiten Raum des Erebos erfüllend. Auch halb nur bewußt waren sie, wie versunken in brütenden Halbschlummer, einzig erweckbar zu vollem Bewußtsein durch einen dargereichten Trunk von dampfend frischem Opferblut.
Nachtgevögel schwirrte in der Luft, auch dieses schattenhaft und gespenstig. Und schattenhaft, mit durchscheinenden Leibern, glitten auch die Fische träg und lautlos hin im Gewässer der Unterweltsströme. Diese Ströme aber, welche den Erebos umgürteten, waren Acheron, der Strom des ewigen Weh's, der Tränenstrom Kokytos, der Feuerstrom Pyriphlegeton, und der Styx mit nachtschwarzem Gewässer.
Durch das Zwielicht der schwebenden, schwankenden Schattenwelt gingen wie traumwandelnd die Mysten, geführt von dem heiligen Herold, bis plötzlich mit Donnergedröhn ein ehernes Riesentor vor ihnen aufkrachte.
Ueber eherne Schwellen betraten sie den Tartaros, jener Seelen Aufenthalt, welchen es nicht vergönnt war, leid- und freudlos im Halbschlummer über der Asphodeloswiese zu schweben, sondern welche von rächenden Erinnyen hinabgerissen waren in des Hades tieferen, jammererfüllten Abgrund.
Unsterblich aufs rollende Rad geflochten – von ewig drohenden wankenden Felsblöcken überhangen sein – nach ewig entweichenden Fruchtzweigen in ewig ungestillter Begier die Hände ausstrecken – in ewig vergeblichem Schweißbemühen den immer wieder zurückrollenden Stein bergaufwärts wälzen – die immer wieder entrinnende Flut mit verzweifelter Anstrengung in den durchlöcherten Eimer schöpfen – die immer sich erneuernden Eingeweide dem Bisse eines Geiers, und die Glieder den Schlangengeißeln der Erinnyen preisgeben – ein Spielball sein für immer in den Händen jener stygischen Schreckgestalten: dies war das Los derjenigen, welche die Schar der Geweihten auf dem schmerzenreichen Grunde schaudernd erblickte. Zahlreich waren sie, die Bilder dieser Qualen der Unterwelt, am zahlreichsten aber die Bilder eines ewig vergeblichen, schmerzlichen Ringens und Trachtens. – –
So wurden durch die Schrecken der Tiefe, durch das Leid des Lebens, und die Grausen des Todes hindurchgeführt mit angsterfüllter Seele die durch die Weihe Berufenen.
Feierlich erklang die Stimme des Hierophanten durch alle die Erscheinungen und Schrecknisse hindurch, deutend und mahnend.
Immer entsetzlicher wurde das unterirdische Dunkel, immer lauter das Gewinsel und Gestöhne der Büßenden. – Die Ströme der Unterwelt begannen zu brausen, das ganze Nachtreich schien aufzustöhnen in einem herzzerreißenden Todesseufzer; aber auch die oberweltliche Natur schien einzustimmen und die Stimmen aller Kreaturen sich zu vereinigen in ein unendliches, qualerpreßtes Ach! ...
Da brach mit einem Male ein wunderbares Licht aus dem Schoße der tiefsten Finsternis hervor.
Freundliche Gegenden erschienen, Auen, bedeckt mit goldenen Blumen; liebliche Stimmen erklangen, selige Reigen schwebten dahin über das wonnige Gefilde.
Hier winkte Persephones Palast in hellem Lichte. An des Palastes Schwelle stand, im Arme die Lyra, Orpheus, der uralt-heilige Mysteriensänger, und sein tönender Mund verkündete geheimnisvolle Dinge.
Hinter ihm winkte das Knäblein Demophoon aus der läuternden Flammenlohe, mit welcher seine göttliche Pflegerin Demeter zum Schrecken der sterblichen Mutter es umgeben hatte, unversehrt lächelnd den Mysten.
Ueber des Tempels goldenen Pforten aber schwebte leuchtend, beglänzt vom hellsten Strahl, das Symbol der geflügelten Psyche, nicht mehr schattenhaft im Hades brütend, sondern über Asphodeloswiesen und Tartaros und Elysion hinaus empor sich schwingend in den verwandten göttlichen Aether ...
Durch die Pforte wurden die unterweltlichen Pilger nun geführt, um wahrhaft Schauende zu werden. Hier enthüllte sich ihnen der unausgesprochene Teil der Geheimnisse. Hier erglänzte ihnen, aber freilich jedem einzelnen nur nach seines Augsterns Kraft erfaßbar, das volle, heilige Licht von Eleusis. – –
Am Tage, welcher der Einführung Aspasias an der Seite ihres Gatten Perikles mit einem großen Teil der Mysten in die eleusinischen Weihen folgte, befand die Milesierin sich in einem wirren, eigentümlich veränderten Zustande. Ihr Wesen war von einer Aufregung ergriffen, welche sich fast zur Höhe des Fiebers steigerte. In einem lebhaften Gespräche mit Perikles über das, was sie an seiner Seite mitangesehen und mitangehört, suchte sie ihres Gemütes gestörte Harmonie wieder herzustellen. Denn gleichwie es Nachtvögel und andere Nachtgeschöpfe gibt, deren Auge das Dunkel liebt und den hellen Strahl des Lichtes nicht verträgt, so gibt es auch wieder Kinder des Lichtes, welche sich nur im goldnen Strahle des verwandten und vertrauten Elementes wohlbefinden, und deren Augstern es nicht verträgt, in die schwarzen Abgründe der Nacht hinabzustarren. Aspasia gehörte zu diesen. Ein Blick ins Dunkel aber, ein Blick in die schwarze Nacht hinab, schien ihr jene Wanderung, und was sich das heilige Licht von Eleusis nannte, nicht als ein Licht erschien es ihr, sondern als eine andere Art von Finsternis, denn es war düster und führte ins Düstere. Sie aber konnte sich das Licht nur heiter denken. Ihr galt als Licht nur das, was erhellte und erheiterte zugleich. Das fahle, kalte, gespenstig-dämmerige, dann wieder augenblendend grelle Licht, das der Hierophant von Eleusis in des Lebens Tiefen fallen ließ, erschien ihr als des wahren, des rosigen Lichtes schnödes Widerspiel. Gaukeleien und wüsten Bildertand nannte sie die ans Zauberhafte grenzenden phantastischen Künste der eleusinischen Priester.
So fühlte sie sich denn erregt, von drangvoller Unruhe ergriffen, und zum Widerstreit herausgefordert wie noch nie.
Es war inzwischen in dem von Fremden, namentlich von Athenern wimmelnden Eleusis kein Geheimnis geblieben, daß Aspasia an der Seite ihres Gatten sich in die Mysterien hatte einweihen lassen. Aber auch von den Nebenumständen dieser Einweihung waren diejenigen bald unterrichtet, welche mit dem scharfen Auge der Mißgunst das Tun und Lassen der Milesierin begleiteten. Die schlimmsten ihrer Feindinnen, eben wieder aufs neue beleidigt und zur Rache gereizt, weilten zu Eleusis, und Lampon fehlte nicht, der geschäftige Lampon, welcher es verstanden hatte, das Vertrauen und die Freundschaft Telesippes in noch höherem Maße zu gewinnen, seitdem sie die Gattin eines oberpriesterlichen Mannes geworden, und welcher zum Werkzeuge des rachedurstigen Weibes und ihrer ränkespinnenden Freundin trefflich sich eignete. Dem arglosen Mystagogen hatte Lampon bald das Geheimnis des kühnen, der heiligen Regel trotzenden Wagnisses entrissen, welchem Aspasia ihre Einweihung verdankte. Durch ihn gelangte die Kunde davon an jene Feindlichgesinnten.
Bald wurde der Archon Basileus, als Hüter der heiligen Gesetze, von dem Frevel verständigt, und ein Gewitter zog sich zusammen über das Haupt Aspasias und ihres Helfers Hipponikos, welcher ihr gegen die Regel zur Einführung verholfen hatte.
Noch wußte Aspasia nichts von dem, was sie bedrohte und ehe sie davon Runde erlangte, stand im Hause des Daduchen ihr ein unerfreuliches Ereignis anderer Art bevor.
Aspasia saß mit Perikles und dem gastfreundlichen Hipponikos bei einem Frühmahle. Der heilige Gebrauch gebot für die Zeit der Mysterienfeier eine gewisse Enthaltsamkeit; desto mehr gefiel sich Aspasia darin, den alten Schlemmer Hipponikos durch heitere Trinksprüche und Skolien anzuregen, daß er mehr des begeisternden Gottes Iakchos eingedenk war, als der strengen Persephone. Er sprach dem Becher fleißig zu, und immer entflammter funkelten seine Augen, während das reizende Weib gegen den düsteren Ernst der Mysterien zu Felde zog und gegen alles Düstere überhaupt, auch gegen den düsteren Begriff der Pflicht, welchem sie das heitere Recht des Lebens und der Freude gegenüberstellte.
Perikles entfernte sich, um einen in Eleusis anwesenden Amtsgenossen aufzusuchen, und Aspasia begab sich in ihr Gemach.
Plötzlich stand der trunkene Hipponikos vor ihr und begann ihr Vorwürfe zu machen.
»Weib«, rief er lallend aus, »dein Name ist Undank! Habe ich dich nicht zu Megara aus bösen Verwicklungen befreit? Und was war mein Lohn dafür? Und habe ich nicht jetzt wieder mich kopfüber für dich in die Gefahr gestürzt, indem ich dich, allem heiligen Gebrauche zuwider, in die großen Mysterien einschmuggelte? Und auch dafür soll ich keinen Dank haben, nicht den geringsten? Ei, wenn du so freien Sinnes bist, warum denn nur so spröde gegen mich? Fürchtest du deinen Gatten? Der ist abwesend. Oder den düsteren Begriff der Pflicht? Diesen hast du soeben lächerlich gemacht. Bin ich dir nicht jung und schön genug? So nimm diesen Ring mit den kostbaren Steinen darin! Er hat bare zwei Talente gekostet! – Weißt du denn, ob Perikles dich immer lieben wird? Ob er dich nicht auch einmal verstößt wie Telesippe? Alles dreht sich im bunten Wechsel und Wirbel in der Welt! Verlaß dich auf gar nichts! Greif zu! Nimm den Ring, schönes Weibchen! Nimm den Ring mit dem Steine, der zwei Talente gekostet hat! Weißt du denn, Weib, wie lange du noch reizend sein wirst? Noch bist du es freilich, aber es kommt die Zeit, wo du alt und häßlich bist! – Nimm den Ring, schönes Weib, und gib mir einen Kuß dafür!«
Einen Augenblick wich der Trunkene vor den zornglühenden Augen Aspasias zurück. Dann aber ergrimmte er und lallte:
»Wer bist du denn?, He, wer bist du denn? Ein Hetärchen aus Milet, bei der Demeter! Ein Hetärchen aus Milet! Seit wann willst du denn ein Spartanerweib sein, eine sittenstrenge Matrone? – O Spröde du, die doch einst dem jungen Alkamenes ohne Sprödigkeit als Modell zu Diensten gestanden!« –
Aspasia erbebte und erbleichte vor Unmut gegen den trunkenen, frechen Beleidiger. Noch einmal stieß sie den Taumelnden zurück, warf rasch ihr Obergewand um sich und stürzte fort aus dem Gemach, aus dem Hause, ihrem Gatten Perikles entgegen.
Sie hatte kaum das Haus verlassen, als der geschmeidige Freund des Diopeithes, der Seher Lampon, dasselbe betrat.
Er war von Diopeithes gesendet, welcher den Tag zuvor in Eleusis eingetroffen war.
Als jene von tödlicher Leidenschaft gegen Perikles und Aspasia Beseelten zuerst die Kunde der unrechtmäßigen Einweihung Aspasias vernahmen, waren sie sogleich entschlossen, sowohl Aspasia selbst, als den Daduchen bei dem heiligen Gerichte anzuklagen, und die meisten freuten sich, außer dem von ihnen gehaßten Weibe auch den vielbeneideten Hipponikos ins Verderben stürzen zu können.
Aber Diopeithes selbst, das eigentliche Haupt dieser feindseligen Partei, war anderer Meinung. Er ersann einen Rat, der seiner Schlauheit Ehre machte. Gern hätte er dem Hipponikos die Anklage und den verdammenden Richterspruch gegönnt, aber er berechnete, daß der nicht angeklagte, nicht verurteilte Hipponikos der Partei nützlicher sein könne, als der angeklagte und verurteilte.
»Wenn wir ihn sofort anklagen«, sagte er, »so wird ihm der mächtige Perikles mit seinem ganzen Einflusse zur Seite stehen, und er wird, wenn nicht straflos ausgehen, doch viel milder gestraft werden als wir es wünschen. Er wird vielleicht mit einer für den reichsten Mann Athens sehr erträgliche Geldbuße davon kommen. Er wird bezahlen, und derselbe bleiben, der er ist. Anders wird es sein, wenn wir ihn nicht sofort wirklich zur Rechenschaft ziehen, sondern die Anklage vorläufig als eine beständige Drohung über seinem Haupte schweben lassen. Wir werden ihn wissen lassen, daß wir sein Geheimnis kennen, und daß es in unsere Hand gegeben ist, ihn zu verderben, sobald wir wollen. Dies wird ihn gefügig in allen Dingen machen. Er wird als ein Mann, welcher seine Behaglichkeit über alles liebt, und welchem kein Preis zu hoch ist, um einer Verlegenheit oder Verwicklung auszuweichen, durch die bloße Angst für uns zu einem willenlosen Werkzeug werden. Sein Einfluß zu Athen und die Macht seiner Reichtümer ist groß: besser wird dieses Gewässer auf unser Rad, als auf das der Gegner geleitet.« –
So sprach der tückisch-schlaue Erechtheuspriester zu den Genossen und sandte den Lampon in das Haus des Hipponikos.
Der Seher traf den Daduchen in einem sonderbaren Zustande. Er fand ihn trunken und zugleich in der heftigen Zornerregung, in welche er durch das, was soeben zwischen ihm und dem Weibe des Perikles vorgefallen, versetzt worden war.
Nichtsdestoweniger ließ Lampon in ein Gespräch mit Hipponikos sich ein und sagte ihm gerade heraus, es sei bekannt geworden, daß er die Gattin des Perikles auf eine der heiligen Regel zuwiderlaufende Art in die Mysterien eingeführt habe.
Bei diesen Worten erschrak der berauschte Hipponikos so sehr, daß er beinahe nüchtern wurde. Aber mit doppelter Heftigkeit brach sein Zorn gegen die Milesierin aus. Er begann sie jammernd zu verwünschen, als eine Verführerin und Verderberin.
»Haltet euch an sie!« rief er, »rädert sie, pfählt sie, spießt sie, tut was ihr wollt mit ihr, sie verdient es!« –
Mit Wohlgefallen vernahm Lampon die Ausdrücke des Zornes gegen Aspasia aus dem Munde des Hipponikos und nachdem er erst noch in schlauer Weise diesen Groll und die Angst des Mannes vor der verderblichen Anklage aufs äußerste gesteigert hatte, rückte er mit der Eröffnung heraus, daß diejenigen, welche damit umgingen, ihn in Anklagezustand zu versetzen, bereit seien, sich insgeheim mit ihm in Unterhandlungen einzulassen. Er fragte ihn, ob er der Einladung folgen wolle, welche jene Männer zum Behufe einer Unterredung an ihn richteten. Hipponikos atmete wieder auf und sagte zum voraus alles zu, was man von ihm verlangen würde. Und sofort ward zwischen ihm und Lampon Ort und Stunde der Unterredung festgesetzt.
Während dieses Gesprächs des Lampon mit Hipponikos durcheilte Aspasia die Gassen von Eleusis. Bald stockte ihr rascher Schritt im Gedränge. Es konnte nicht fehlen, daß sie bemerkt, daß sie erkannt wurde. Sie sah sich zum Gegenstande einer Aufmerksamkeit geworden, welche nicht verfehlen konnte, sie zu verwirren, sie in Verlegenheit und Unruhe zu stürzen.
Die in Eleusis versammelte Menge war von den Feinden und Feindinnen Aspasias in jeder möglichen Weise aufgeregt worden gegen die Gattin des Perikles. Die Gerüchte über ihre unrechtmäßige Einweihung machten im Volke die Runde. Es gab überdies Leute, welche sich laut zu sagen erkühnten, Aspasia sei vordem eine Hetäre zu Milet und Megara gewesen, sie sei von letzterem Orte mit Schimpf hinweggejagt worden, und schon um dieser Vergangenheit willen sei ihre Einweihung ein Frevel gewesen. Uebertreibungen und Fabeln der törichtsten Art gingen, wie es zu geschehen pflegt, über sie von Mund zu Mund, verbreiteten Mißachtung, ja Erbitterung.
Von Gesinnungen dieser Art erfüllt war die Menge, durch welche die Gattin des Perikles in ängstlicher Hast sich drängte.
Es fehlte nicht an Frechen, welche neugierig ihrem Schritte folgten, ja sogar, hinter ihr hergehend, kränkende Worte fallen ließen, die ihr Ohr treffen und verletzen mußten.
»Was gibt es neues in Athen?«
»Nichts, als daß ein Weib dort Speer und Schild trägt, und die Männer weibisch sind« ...
»Es ist nicht zu leugnen, daß Athen von einem Weibe beherrscht wird« ...
»Von der Pallas Athene willst du sagen?«
»Nein, von einer milesischen Hetäre. Perikles wird, so heißt es, nächstens ihr Bild auf der Akropolis aufstellen lassen.«
»Der arme Perikles! Den Weibern hat er nie widerstehen können. Ist er doch auch Elpinikes Liebhaber gewesen, und man weiß, daß diese ihn noch mit ihren alternden Reizen bestochen« ...
»Ist jene Milesierin dieselbe, mit welcher er sich vor Jahren einmal in Kleinasien umhergetrieben?«
»Ja wohl; es hieß, daß er mit ihr zu dem Unterrocke der Heldenbezwingerin Omphale gewallfahrtet, welcher bekanntlich im Dianentempel zu Ephesus aufgehangen ist« ...
»Aber wie kam ihm doch nur zu Sinn, daß er dasselbe Weib jetzt mit sich in den rauhen Peloponnesos geführt hat, wo sie sich doch unmöglich heimisch fühlen kann. Das Kätzlein, sagt ein Sprichwort, schläft gern weich« ...
»In der Tat, man sagt, daß ihr schon die Stechmücken von Elis sehr unbequem gewesen sind; und ich wette, die Bremsen von Eleusis werden ihr noch weniger gefallen.«
»Wahrhaftig, das Gesumm derselben scheint ihr sehr schlecht zu behagen!«
»Ach, diese zarten Hühnchen aus Paphias Neste, welche von ihrer Kindheit an auf Purpurflocken geschlafen, diese Ionierinnen mit den schmelzenden Augen und den geschmeidigen Armen, ohne Knochen im Leibe, ganz Weichheit und Liebeszauber – was sollen sie in dem kampfheißen Olympia zu suchen haben, oder in dem ernsten Eleusis?«
So klangen die Stichelreden, boshaft berechnet, hinter der im wachsenden Gedränge hinwandelnden Aspasia.
Als dies eine Weile so gedauert hatte, stand Aspasia mit raschem Entschlusse plötzlich still, schlug die Hülle ihres Hauptes zurück, so daß ihr Antlitz völlig frei erschien, und warf einen ruhigen Blick aus ihren leuchtenden Augen auf die Menge um sie her.
Dann öffnete sie den Mund und sprach in folgender Weise zu dem sie umgebenden, sie anstarrenden Volke:
»Vor vier Jahren stand ich einmal als hilfloses Weib in den Straßen von Megara, umringt von der Menge, schuldlos geschmäht, schuldlos verfolgt mit Blicken und mit Worten. Mit Augen, glühend vor Haß, ward ich betrachtet: denn es war feindseliges Dorervolk, was mich umgab. Mit ungerechtem Wort ward ich verhöhnt, mit frechen Händen angefaßt, denn es war roher, wilder Dorerpöbel, der mich umdrängte. Heut umdrängt mich die Menge in den Straßen von Eleusis. Aber ich erhebe ruhig und gefaßt mein Haupt: denn Athener, dünkt mich, sind es zumeist, die mich umgeben. Nicht dorisches Volk ists, sondern ionisches, dessen schlimmster Pfeil, meine ich, der kecke Blick des Auges ist und das unbedachte Wort, das immer bereit von der scharfgespitzten Zunge springt. Aber warum drängt ihr mich? Warum starrt ihr mich an? Ich habe mich unberufen in die Geheimnisse von Eleusis eingedrängt, meint ihr? Denket nicht allzu kleinlich, hellsinnige Athener und folget nicht allzu bereitwillig den Winken und Worten derjenigen, welche das Licht hassen und die Finsternis lieben, und welche euch die Finsternis für Licht verkaufen! Männer von Athen! ehret nicht allzusehr das düstere Paar der Göttinnen von Eleusis und bleibet eingedenk der heimischen Pallas Athene, der lichten Göttin, der wahren und würdigen Beschützerin attischen Landes und Volkes, deren Bild in heiterem Glanze, alle Geburten der Nacht verscheuchend, ragt auf eurer Burg!« –
Als das Weib des Perikles diese Worte gesprochen hatte, das leuchtende Antlitz furchtlos erhoben vor der versammelten, sie umdrängenden Menge, so blickten die Männer einander an und sagten einer zum andern:
»Sie ist, bei den Göttern, ein schönes Weib, diese Aspasia von Milet, und man muß ihr vieles verzeihen!« So sagten sie und wichen ein wenig auseinander und ließen sie ruhig ihren Weg fortsetzen. –
Aber die Freunde des Diopeithes, welche unter der Menge waren, grollten der Milesierin jetzt nur noch mehr und gingen hin zu dem Erechtheuspriester und berichteten ihm, daß Aspasia mit kecker Stirne vor dem versammelten Volke geringschätzend gesprochen von den Heiligtümern und den ehrwürdigen Göttinnen von Eleusis.
Die Stunde der Unterredung bei Diopeithes, zu welcher man den Hipponikos geladen hatte, war gekommen.
Eine Anzahl von Männern düsteren Ansehens, erklärten Gegnern des Perikles, waren bei dem Priester versammelt.
Der zitternde Daduch ließ sich willfährig finden in allen Dingen. Gestützt auf seine Erklärungen und auf jene Ausbrüche des Zornes gegen Aspasia, von welchen Lampon Zeuge gewesen, rechnete Diopeithes ihn fortan unter die Zahl seiner Bundesgenossen und Helfer.
Um seinetwillen, hieß es, wolle man in einer nach den athenischen Gesetzen höchst gefährlichen Sache die Anklage Aspasias so lange verschieben, als er sich der Schonung würdig zeige. Um das Weib des Perikles zu verderben, meinten die Verschwörer, seien auch jene kühnen, unehrerbietigen Aeußerungen genügend, welche sie vor allem Volke über die eleusinischen Göttinnen sich erlaubte. In jedem Augenblicke könne man um dieser Sache willen die Anklage der Gottlosigkeit, der Religionsverachtung über sie verhängen.
Es waren Männer der Oligarchenpartei zugegen, welche sagten, man müsse weiter gehen, man müsse sich nicht damit begnügen, die Milesierin anzugreifen, welche doch immer nur ein Weib sei, man müsse sich endlich einmal an Perikles selber heranwagen. Auf die verderbliche Umgestaltung des Gemeinwesens deuteten sie hin, die von ihr ausgegangen, auf die unbeschränkte Volksherrschaft, die durch seine Nachgiebigkeit eingerissen, und die durch nichts im Zaume gehalten werde, als durch des volkstümlichen Strategen persönlichen Einfluß. Der Willkür und dem Belieben des einzelnen also seien die Angelegenheiten der Athener preisgegeben. Andere meinten, Männer wie Anaxagoras, Sokrates und die Sophisten seien des Übels eigentliche Wurzel im Staate. Diese hätten die Athener frei zu denken und vermessen zu reden gelehrt über Götter und göttliche Dinge, und diesen vor allen andern müsse man beizukommen suchen. Es gab überdies Gegner und Neider des Pheidias und seiner Schule unter den Anhängern des Diopeithes, welche auch auf diesen die Verfolgung ausgedehnt sehen wollten.
Des Diopeithes Augen funkelten bei der Nennung aller dieser Namen. Ihm waren sie alle in gleichem Maße verhaßt.
»Wir werden sie alle zu fassen wissen«, sagte er, »alle der Reihe nach oder auf einmal. Aber lasset uns schlau die rechte Gelegenheit erlauern, lasset uns die günstige Stimmung der Athener erwarten. Inzwischen aber lasset uns im stillen nach einem festen Plane alles tun, um das Verderben dieser Schuldigen vorzubereiten.«
So sprach der Erechtheuspriester. Vieles wurde dann noch erwogen, vieles verabredet unter den bei Diopeithes versammelten Männern.
Aspasia war an jenem Tage nicht ins Haus des Hipponikos zurückgekehrt; nur Perikles verfügte sich am Morgen des nächsten Tages, auf dem Punkte mit seiner Gattin Eleusis zu verlassen, noch einmal zu dem Daduchen.
Er stellte ihn zur Rede ob der frechen Beleidigung, welche er Aspasia zugefügt hatte. Hipponikos entschuldigte sich mit der Berauschung, deren Schuld ja zum Teil auf Aspasia selbst zurückfalle, welche durch anakreontische Skolien und Gespräche bei heiterem Mahle ihn zu dionysischer Freiheit aufgestachelt. Dann beklagte er sich bitter über die Verlegenheit und Gefahr, in welche er durch seine Mitschuld an der unrechtmäßigen Einführung Aspasias in die Mysterien geraten sei.
Perikles bedauerte diese Verlegenheiten und versprach ihm seinen Schutz. Aber Hipponikos war nicht zu beruhigen.
Als jedoch Perikles achselzuckend schied, folgte ihm der Daduch bis an die Tür, sah sich mehrmals ängstlich um, und flüsterte dem alten Freunde dann ins Ohr:
»Sei auf der Hut, Perikles! Bei Diopeithes wurden gestern im Abenddunkel böse Dinge geplant. Auch ich war dabei – gezwungen – denn es ging mir an den Hals. – Hüte dich vor Diopeithes, und mache ihn unschädlich, wenn du kannst. Man will Aspasia und den Anaxagoras und den Pheidias und dich selber verderben. Mich haben sie in der Hand, diese Wüteriche – mußte nur immer so mit dem Kopfe nicken zu allem, was da vorgebracht wurde – aber die Hunde und die Raben sollen ihn zerfleischen, den Erechtheuspfaffen, und seinen sämtlichen Anhang!« –