Robert Hamerling
Aspasia
Robert Hamerling

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XXII. Kämpfe und Siege.

Perikles betrat mit seinem Freunde Sophokles in morgendlicher Stunde die Agora, als der finsterblickende Euripides, begleitet von dem Wahrheitsucher, des Weges kam. Ein wenig überrascht durch den Anblick des Gepäcks, welches einige Sklaven hinter ihm hertrugen, standen jene beiden stille und fragten den Reisefertigen, was dieser Aufbruch bedeute und wohin er die Fahrt zu richten gedenke.

»Ich schiffe nach Salamis hinüber«, versetzte Euripides. »Auf dem stillen Eilande hoffe ich endlich die Abgeschiedenheit und den Frieden zu finden, dessen ich bedürftig bin. In der Ufergrotte, in welcher ich das Licht der Welt zuerst erblickte, will ich fortan meinen Lieblings-Ruhesitz aufschlagen und ohne Störung meinen Gedanken mich überlassen.«

»Bietet denn nicht dein Landhaus dir der Stille genug und der Abgeschiedenheit?« fragte Perikles.

»Sprecht mir nicht von dem Landhause!« erwiderte unwirsch der Dichter, »Gründlich ist dies mir verleidet worden durch das Ueberhandnehmen der Froschbrut, welche des Abends in dem nahen Weiher quakt, noch mehr aber der Grillenschar, welche durch ihr unabläßliches Gezirpe bei Tag und Nacht mich stört im Denken und Dichten. Der alte Schwätzer Anakreon hat sie besungen, diese »hellstimmigen Zikaden«, ich aber verwünsche sie! Wund ist mir das Haupt, und schier verrückt bin ich geworden vom schrillen Gelärm dieser Quälgeister, dieser zirpenden bösen Dämonen! Vergebens half Freund Sokrates mir ein paar Tage lang, sie in ihren Löchern zu haschen und auszutilgen ... Du lächelst, lammherziger Sophokles? Du bist freilich im stande, uns stehenden Fußes eine begeisterte Lobrede auf die Grillen und die Frösche zu halten!«

»Warum nicht?« sagte Sophokles lächelnd. »Die ganze Natur ist ja klangfroh und singt. Es singen die Wellen, es singen die Winde, die Fichte singt, es singt der Stein, wenn ihn der Fuß des Wanderers anstößt. Und so gerne hört der Klang sich selbst, daß er, ein Narziß, sein eigenes Bild beliebaugelt im Spiegel der Eccho. Darum, trefflicher Euripides, laß uns auch den Grillen und den Fröschen ...«

»Da haben wir's!« fiel Euripides dem Sprecher mit Heftigkeit ins Wort. »O, diese Schöngeister, diese »Schönheitseligen«, diese »Schönlebenden«, und wie sie sich sonst genannt wissen mögen! Alles, auch das verwünschteste, verstehen sie mit dem Firnis schöner Redensarten zu übertünchen, nirgends gewillt, dem Ernste des Lebens ernst ins Auge zu blicken! Ich sage euch, die Zikaden bleiben ein unleidliches Geschmeiß, was auch der alte Anakreon und nach ihm der fromme Sophokles hier darüber poetisch flunkern mögen. Im übrigen sind es, wie ihr wißt, nicht bloß die Grillen und die Frösche, welche mir den Aufenthalt auf attischer Festlandserde verleiden. Es gefällt mir nicht mehr zu Athen. Man hat nicht Lust, um eines entlaufenen Weibes willen den Spott der Gassenjungen zu ertragen, so attisch gewürzt er auch sein mag. Nicht nach meinem Geschmack ist diese Verlotterung des Lebens, und allerlei Bedrohliches liegt auch sonst noch in der Luft. Wozu sind wir denn aufgeklärter geworden, wenn sich die Sitten verschlechtern? – Lebet wohl! Ich gehe vorläufig nach Salamis hinüber« ...

»Soll denn unser Glück vom Orte abhängen?« wandte Sophokles ein. »Man muß ausharren an seiner Stelle. Des griechischen Mannes Stolz soll es sein, denke ich, bei allem Herben und Düsteren, das etwa hereinbricht, in sich selbst unverändert zu bleiben, fortzuleben in ungetrübter Heitre und Schöne, als einer, der das Höchste und Beste des Menschheitslebens in der schönen Harmonie des eigenen Wesens verwirklicht und durch nichts gestört wird im edelsten Genüsse des Daseins.«

»Und wenn das Alter dir naht mit den schlotternden Knien«, warf Euripides ein, »und die Quellen des Genusses versiegen?«

»Dann werde ich auf den Genuß, dessen Quellen versiegen, Verzicht leisten«, entgegnete Sophokles; »aber nur, um des Mannes froher Lebenslust, die noch immer mit einer gewissen Unruhe verknüpft ist, die noch unvergleichlich schönere, wahrhaft göttliche Ruhe und Heiterkeit, den halkyonischen, durch die Schönheit erst recht verklärten Frieden des Greises folgen zu lassen.«

»Du sprichst als ein Sohn der guten, alten Zeit«, sagte Euripides, »und bedenkst nicht, daß wir allgemach zu nachdenklich geworden, um in idyllisch-schöner Heiterkeit so hinzuleben.«

»Was mich betrifft«, hub jetzt Sokrates bedächtig an, »so finde ich es von Sophokles wunderbar gesagt, daß wir eine schöne Harmonie des eigenen Wesens bewahren müssen. Ich möchte nur erfahren, und es drängt mich, unsern Sophokles ausdrücklich zu fragen, ob er, von »schöner Harmonie« sprechend, das Sittliche im Auge hat, oder ob er die Harmonie in jenem Sinne schön sich denkt, wie man etwa Frauen oder Werke der Bildkunst schön und angenehm und für das Auge wohlgefällig nennt? Ob er, um es anders zu sagen, das Hauptgewicht auf das Gute legt oder auf das in gewöhnlichem Sinne schön Genannte? Womit wir denn wieder bei jener alten, so oft zwischen uns aufgeworfenen und niemals von uns erledigten Frage angelangt wären, ob das Schöne vor dem Guten oder dieses vor jenem den Vorrang verdiene?«

Mit Spannung blickte nach diesen Worten der Wahrheitsucher dem Dichter ins Angesicht, die Antwort desselben erwartend.

In demselben Augenblicke aber entstand ein Lärm und eine Bewegung unter dem Volke, welches inzwischen auf der Agora sich angesammelt hatte. Das Zeichen zum Beginne der Volksversammlung auf der Pnyx war gegeben worden, und alles setzte sich dahin in Bewegung.

Lächelnd sagte, ebenfalls diese Richtung einzuschlagen sich anschickend, Perikles: »Auch heute, vielwerter Sohn des Sophroniskos, werden wir deine Lieblingsfrage nicht erledigen. Denn auf die Pnyx wird das Volk der Athener soeben berufen, und Dringenderes gibt es für uns dort zu entscheiden« ...

Sokrates stand da, schweigend und betroffen wie einer, dem neuerdings so recht zur Unzeit das Wort sozusagen vor dem Munde abgeschnitten worden.

»Myrmekides«, sagte ein athenischer Bürger zu seinem Nachbar, im Begriff die Agora zu verlassen und mit den übrigen erregten Massen des Volkes gegen die Hochfläche der Pnyx emporzusteigen, »was wir auch immer heute da oben beschließen mögen, mir ahnt Schlimmes, Schlimmes für Hellas. Es verlauten Orakel – Unheils-Orakel; auch Orakel des Bakis gehen um, die jetzt auf einmal verständlich werden. Aber was das Bedenklichste, du weißt, daß Delos, das heilige Delos, die Insel des ionischen Stammgottes Apollon, niemals heimgesucht wurde von einem Erdbeben.«

»Niemals!« versetzte Myrmekides; »jeder Knabe weiß von Kindesbeinen an, daß das heilige Delos wie mit ehernen Ketten befestigt ist am Meeresgrund und nicht wie die andern Eilande des Archipelagos erschüttert werden kann durch das unterirdische Gewitter.«

»So glaubte man bis gestern«, fuhr Rynogenes fort; »aber gestern ist die Nachricht eingelaufen, daß ein minutenlanges Beben verspürt worden ist auf der Insel, und daß dumpf und drohend das untere Gewitter unter derselben dahinfuhr.«

»Delos erschüttert?« rief Myrmekides; »dann gibt es nichts Feststehendes mehr in Hellas!«

Andere Männer gesellten sich zu Myrmekides und Kynogenes, in ihr Gespräch sich mischend. Aber sie wurden bald unterbrochen und veranlaßt, sich umzuwenden, durch einen lauten Tumult, der hinter ihnen noch im Bereiche der Agora sich erhob.

»Ein Megarerhund!« erscholl es, »ein Megarerhund!« – »Tötet ihn, steiniget ihn!«

Eine große, schreiende Menge hatte rasch um einen Mann sich versammelt, welcher von einigen Athenern ergriffen worden und unter Ausbrüchen des Zornes festgehalten ward.

Es war nicht das erste Mal, daß ein Megarer in böse Händel verwickelt wurde zu Athen. Schon bevor der athenische Markt und die Hafen Athens der dorischen Nachbarstadt untersagt worden, war mancher Bürger derselben, der etwa fett gemästete Ferkel oder anderes auf den Markt zu Athen brachte, dort schmählich geneckt, gescholten oder gezaust worden.

Zur Wut aber hatte sich der Groll gegen die Megarer bei den Athenern gesteigert, seit jene in barbarischer Roheit es gewagt, den von Athen nach Megara gesendeten Herold zu erschlagen. Seit jenem Tage hatte das athenische Volk geschworen, jeden Megarer, der sich zu Athen betreffen lassen würde, augenblicklich zu steinigen. Der Ergriffene flehte um sein Leben und schwur bei allen Himmlischen, daß er kein Megarer, daß er aus Eleusis komme.

»Glaubt es nicht!« rief derjenige, der ihn zuerst gefaßt hatte und ihn noch immer wie mit eherner Hand festhielt. »Glaubt es nicht! Ich kenn' ihn! Ein Megarerhund ist's – ein Megarerhund!«

In diesem Augenblick kamen einige Archonten vorüber, und diese, nachdem sie die Sache erkundet, verhinderten des Mannes Ermordung, riefen einige skythische Bogenschützen herbei und ließen denselben gefangen hinwegführen.

Eben auf der Pnyx, ein wenig abseits vom Orte der Volksversammlung, flüsterten drei Männer leise, doch eifrig zusammen. Es war der Gerber Kleon, der Schafhändler Lysikles und der Wurstmacher Pamphilos. Sie schienen unter sich nicht einig zu sein ...

Jetzt schritten die Gesandten der Lakedaimonier den Weg der Pnyx herauf, um sich in die Volksversammlung der Athener zu begeben. Genugtuung zu fordern waren sie gekommen für das ihnen stammverwandte, verbündete Megara. Mit feindseligen Blicken maßen sich diese spartanischen Männer und die Mehrzahl der sie umgebenden Athener.

Aber ein Oligarch flüsterte dem anderen leise ins Ohr: »Sollen wir Krieg oder Frieden wünschen?«

»Es wäre vielleicht ersprießlich«, versetzte der andere, »wenn die Peloponnesier kämen und ein wenig aufräumten im Lande« ... Erregter als es die Pnyx bestiegen, kam das athenische Volk nach Verlauf einiger Stunden wieder von dort herab. Auf der Agora bildeten sich zahlreiche Gruppen.

»Ich finde, daß Perikles niemals so trefflich gesprochen!« rief Myrmekides. »O dieser Fuchs mit dem Löwenantlitz! Wie maßvoll er sich benahm, wie ruhig, wie voll scheinbarer Nachgiebigkeit! Wie schien er bereit zu jedem möglichen Zugeständnis! Nur stellte er Gegenforderungen, von welchen er wohl wußte, daß man sie niemals gewähren würde! Welch ein Meisterzug, als er sagte, Athen sei bereit, seinen Bundesgenossen die volle Freiheit zurückzugeben, nur müßten die Sparter vorher mit den ihrigen das gleiche tun!«

»Ich wittere Teergeruch, Rudergeknarr, Trierarchengeschrei, Pallasbildervergolderei im Piräus« – sagte der Bartscherer Sporgilos bedenklich. »Warum nicht, du Hasenfuß?« riefen die andern. »Hast du keine Lust zu einem fröhlichen Seezug?«

»Ei, das Meer ist doch immer so eine salzig bittere Sache!« gab Sporgilos zurück.

»Laß dich mit Knoblauch füttern!« scholl es um ihn, »mit Knoblauch, du Memme, wie die Kampfhähne, damit du hitziger wirst und Mut bekommst!« –

Jetzt wurde die Stimme Kleons, die Stimme des berufenen Gerbers Kleon, in einer anderen dichten Gruppe vernehmlich. »Ich will Krieg, aber ohne den Perikles!« rief er, »Der Krieg darf den Perikles nicht noch größer machen, wie wollen wir Rechenschaft von ihm verlangen, wie wollen wir ihm beikommen, wenn er an der Spitze eines Heeres oder einer Flotte steht? Also fort mit Perikles! Die Forderung der Sparter, daß er als Alkmäonide aus Athen verbannt werde, diese einzige Forderung hätte man bewilligen sollen! Man verbanne den Perikles! Man verbanne den Perikles!«

So rief Kleon unter heftigen, plumpen Gebärden, indem er immer sich mit dem ganzen Leibe herumwarf und keinen Augenblick auf derselben Stelle verharrte.

»Krieg, aber ohne den Perikles!« wiederholte er unablässig.

Derselben Meinung war Pamphilos, welcher jedoch mit wetteiferndem Geschrei hinzufügte, daß man den Perikles nicht verbannen, sondern um seiner Staatsverwaltung willen zur Rechenschaft ziehen und in den Kerker werfen müsse.

Nun kam der alte Kratinos herbei, mit Hermippos und einem dritten Begleiter, einem Jüngling, welcher in noch weit höherem Grade den »attischen Blick« hatte als die beiden, und von welchem es hieß, daß er nächstens ebenfalls mit einer Komödie hervortreten werde.

»Bist du für den Krieg oder für den Frieden, alter Satyr?« rief dem weinseligen Alten einer aus der Menge entgegen.

»Ich«, versetzte dieser, »ich bin für gebratene Hasen, Wein im Kruge, Silber im Kasten, Feigen im Speicher, bekränzte Böcke, Lämmergeblök, Dionysosfeste, frischen Most, umgestürzte Kannen, dralle, hochaufgeschürzte, tanzende Dirnen« ...

»Dann bist du also für den Frieden?« ...

»Jawohl, und dagegen, daß man den Megarern den athenischen Markt versperrt. Nehmt Vernunft an, ihr veilchenbekränzten Athener! Laßt ab davon, jede Vettel, die auf dem Markt sich blicken läßt, zu beargwöhnen, daß sie ein Mann und verkleideter Megarer sei! Seit ihr die Megarer vom Markte ausschließt, ist kein gutes gebratenes Ferkel mehr zu haben, wie es alte Marathonssieger verdienen. Bald wird es dahin kommen, daß wir gebratene Grillen verzehren. Im übrigen, was zankt ihr euch denn da noch über Krieg und Frieden? Sind die Sparter aus der Volksversammlung mit einem andern Bescheide hinweggegangen, als Perikles beantragt hat? Laßt doch den Perikles walten und die anderen dergleichen, die Volksmänner, die Gerber und Wollviehhändler und Wurstmacher, die euch den Bart krauen und die Fliegen vom Kopf wedeln und den Staub von den Schuhen putzen und die Flocken vom Gewand herunterlesen« ...

Diese Stichelreden versetzten das Blut des Kleon in Wallung. »In einem Punkte«, rief er, »hat Perikles recht getan: indem er dem bissigen, zuchtlosen Völkchen der Komödienschreiber einen Maulkorb anzulegen versuchte – diesen Kötern, die nach jedermanns Wade schnappen« ...

»Ei, siehe da, Kleon!« rief Kratinos; »Kleon, der Fürchterliche! Hätt's gar nicht gewagt, hierher zu kommen, wenn ich gewußt, daß der Gieriggezahnte, Grausige mit den rollenden Augen da ist. Schon der fernhin verbreitete Ledergeruch hätte mich eines Besseren belehren sollen.«

Kleon ergrimmte. Myrmekides hielt ihn zurück, während Kratinos fortfuhr:

»Zuchtlos nennst du uns, dieweil wir die Fuchtel über den Köpfen schwingen, unbekümmert, wen es trifft? Trifft es nicht immer den rechten Mann, so trifft es doch die rechte Sache vielleicht! Fragt Zeus im Himmel, wenn es blitzt, wohin es trifft? Ihm ist's genug, wenn er die Lüfte gereinigt.«

»Alter Geiferer!« rief Kleon; »bist du nicht der Mann, von dem es heißt, daß er seine Begeisterung vom Fasse zapft?«

»Und du«, entgegnete Kratinos, »bist du nicht der Giftgeschwollne, von dem es heißt: eine Schlange biß ihn neulich und – krepierte? Aber das tut nichts, wir fürchten uns nicht, wir nehmen den Kampf auf mit dem Seehundsledergestank, mit den Wutblicken der rollenden Triefaugen, mit hundert rotbehaarten Cerberusköpfen. Und wenn wir nur erst mit dem Weiberhelden Perikles fertig geworden: mit den Schalksnarren, den Wurstmachern, den Wollviehhändlern, den Gerbern denken wir und die sämtlichen »veilchenbekränzten Athener« in halbem Schlafe fertig zu werden.

Bei diesen Worten des Kratinos erscholl plötzlich hinter einer Säule hervor ein gelles Hohngelächter. Man blickte hin und sah hinter der Säule den tollen Menon kauern.

»Sieh da, Menon!« rief jener jüngste von den drei Komödiendichtern. »Der Kerl sieht so zerrissen und so schmutzig aus, daß ihn ohne Zweifel Euripides nächstens zum Helden eines Rührstücks machen wird!«

Die Athener lachten. Menon fletschte die Zähne und rief: »Lumpenhunde! veilchenbekränzte Lumpenhunde!«

Man wollte ihn prügeln; er hetzte seinen Hund gegen die Angreifer.

Jetzt hob man Steine auf, um sie nach seinem Kopfe zu werfen. In diesem Augenblicke kam aber Sokrates herbei, erbarmte sich des Mannes und führte ihn aus dem Gedränge fort.

Die Menge zerstreute sich dann. Pamphilos erblickte, zornig hinweggehend, den Perikles, schloß sich ihm an und verfolgte ihn den ganzen Tag, so oft er ihn sah, mit Schmähreden.

Wieder ging er hinter ihm her. »Du bist ein Tyrann, wie Peisistratos!« sagte er. »Zum Scheine nur hältst du die Volksherrschaft aufrecht. In der Tat bist du es allein, der die Zügel Athens in Händen hat!«

Perikles schwieg.

»Du willst die Athener in einen Krieg stürzen«, fuhr Pamphilos fort, »um das Heft in der Hand zu behalten und nicht Rechenschaft legen zu müssen!«

Perikles erwiderte nichts.

»Du lässest das Verdienst anderer Männer, die nicht weniger als du zu Rednern und Volksführern geboren sind, nicht aufkommen!« eiferte Pamphilos.

Perikles war stumm.

»Du hast deine Herrscherkunst gelernt im Umgang mit Sophisten und Buhlerinnen! – Du hast die Kraft des Athenervolkes in wachsender Üppigkeit und Weichlichkeit ersticken lassen!«

Bei diesen Worten des Pamphilos war Perikles vor seinem Hause angelangt. Es herrschte schon völlige Dunkelheit in den Straßen, Perikles hatte einen Sklaven mit einer angezündeten Fackel nach athenischem Brauche hinter sich. Der Sklave klopfte an die Tür. Der Pförtner öffnete, Pamphilos stand noch immer da.

»Geleite diesen Mann zurück mit der Fackel durch die Gassen, denn es ist sehr dunkel geworden!« sagte Perikles zu dem Sklaven und trat ruhig in sein Haus.

Noch immer ging Sokrates, bald mit, bald ohne die Gesellschaft seines Busenfreundes Euripides, in des Perikles Behausung ein und aus. Noch immer besuchte er Aspasia, noch immer liebte er es, sich mit ihr zu unterreden, nur daß die Reden von seiner Seite immer verworrener, immer rätselhafter, immer orakelhafter klangen.

Wenige Tage nach jener entscheidenden Versammlung auf der Pnyx betrat Sokrates wieder das Haus Aspasias. Bald war er in ein lebhaftes Gespräch mit ihr verwickelt. Aspasia sprach mit freudigem Mute von dem bevorstehenden Kampfe gegen die Dorer, aber mit Unmut von den Parteiungen der Agora, von den feindlichen Plänen des Erechtheuspriesters, von den Umtrieben der Lakonerfreunde, von der Roheit der Demagogen. »Um dieser barbarisch gesinnten Männer willen«, sagte sie, »stehen wir vielleicht bald vor der welkenden Blüte von Hellas!«

»Vor der welkenden Blüte von Hellas?« rief Sokrates. »Wie wäre dies möglich? Du irrst gewiß! Wie lange ist es denn her, daß gesagt wurde, Hellas nähere sich seiner vollendetsten Blüte? Seit jenem Tage, als wir festfreudig auf der Akropolis vor dem vollendeten Parthenon standen und ich schon den Augenblick jener herrlichsten Blüte gekommen glaubte, du aber sagtest, daß zwar unsere Kunst nun beinahe göttlich geworden, aber noch manches fehle, um auch unser Leben durchaus und in jedem Betracht schön zu gestalten – seit jenem Tage war ich immer sehr gespannt auf den versprochenen Augenblick der vollendeten Blüte und wartete mit Ungeduld darauf. Und da ich von Blumen des Morgenlandes gehört, welche nur in einer einzigen Mitternacht, von den Augen des Zeus heimlich angestrahlt, ihren Wunderkelch völlig entfalten, und ich dachte, die Blütenalter der Sterblichen seien vielleicht auch von dieser Art, so ließ es mir sozusagen auch des Nachts keine Ruhe, und ich fürchtete immer, ich könnte das Schönste schlafend versäumen. Insbesondere aber habe ich jenen ganz neuen, merkwürdigen Liebes- und Ehebund, welchen Perikles und du vor meinem Bilde der Charitinnen auf der Burg geschlossen, immer im Auge behalten; denn in seinem Gelingen schien mir eben die schönste Blüte des hellenischen Gebens besiegelt. Und da ihr uns Nebenstehende damals ausdrücklich zu Zeugen aufriefet, so habe ich meines Zeugenamtes fortwährend bei euch in Treue gewaltet, denn ich habe es ernst genommen und glaubte mich berufen, nicht bloß einen Augenblick, sondern für immer ein aufmerksamer Zeuge jenes wunderbaren Bündnisses zu sein, wie man aber im Garten ein besonders seltenes und fruchtverheißendes Bäumchen Tag für Tag besucht, immer fürchtend, es einmal von einer rauhen Hand gebrochen oder vom Reife versengt oder verdorrt zu finden, und immer aufs neue seiner unversehrten Frische sich freuend, so komme ich zu dir, nicht mehr um zu hören wie einst, sondern um zu sehen, was die Liebe ist und wie sie sich entwickelt, und von welchen Punkten sie ausgeht, und zu welchen Zielen sie hinführt. Es ist gewiß eine wichtige Sache, wenn Ionier und Dorier zum endlichen Entscheidungskampfe sich rüsten; aber fast wichtiger noch ist mir die Geschichte eures Liebesbundes und die endliche Entscheidung des Kampfes, den ihr außer euch und in euch kämpft. Denn die Völker sind unsterblich oder wenigstens langlebig, und ihre Geschicke können sich immer wieder von neuem umgestalten und ausgleichen; ein Menschenlos aber ist im engsten Kreise beschlossen; wie es fällt, so bleibt es meist besiegelt, denn zur Erneuerung und Ausgleichung gönnt die Parze keine Frist. Ich verfolge die innere und äußere, fortschreitende Geschichte eurer so wundersamen, auf die Freiheit gegründeten Liebe. Und so leise der Schritt sein mag, mit welchem sie fortschreitet, meine Sinne sind nicht allzu stumpf, ihn wahrzunehmen.«

»Du bist also«, sagte Aspasia, »aus einem liebenden ein Zuschauer und Zeuge fremder Liebe geworden?«

»Seit dem Tage im Lykeion, wo du, rasch von mir hinwegeilend, mir zuriefst, den Charitinnen zu opfern«, erwiderte Sokrates, »seit jenem Tage habe ich den Charitinnen geopfert; aber vergebens, wie es scheint. Nicht feiner sind meine Lippen, nicht anmutiger meine Züge geworden. Und ich habe seither begriffen, daß die Schönheit mit dem Geiste zu erfassen und zugleich mit den Sinnen zu genießen, selten oder niemals einem und demselben Sterblichen beschieden ist.«

Aspasia bezweifelte, daß die Glut, welche damals im Gemüte des jungen Grüblers einen Augenblick schrankenlos aufgelodert war, nun völlig erloschen sei.

Die Zeit, den kleinen Racheplan, mit welchem sie seit langem zu erneuter Demütigung und Beschämung des Philosophen sich trug, schien ihr gekommen.

Arglistig begann sie:

»Jener Augenblick im Lykeion, dessen du nach langer Zeit nun wieder gedenkst, ist auch meinem Gedächtnis nicht entschwunden, und, daß ich es dir offen gestehe, ich bedauerte manches Mal im stillen, daß ich ohne Not und in einer falschen Voraussetzung damals dich gekränkt, indem ich, von dir hinwegfliehend, dir zurief, den Charitinnen zu opfern, welchen Zuruf du so gedeutet, als hätte ich dir sagen wollen, du müßtest, um geliebt zu werden, erst jene Eigenschaften zu erwerben suchen, welche liebenswürdig machen. Ich hätte bedenken sollen, daß du ein Weiser bist, dem es nicht einfallen konnte, ernstlich nach meiner Liebesgunst zu trachten. Es war mir seit jener Zeit beständig zu Mute, Sokrates, als ob ich dir eine Genugtuung schuldete.«

»Du mir?« sagte Sokrates mit schmerzlichem Lächeln. »Nein, von dir hatte ich keine Genugtuung zu fordern; aber ich selbst glaubte mir eine solche schuldig zu sein seit jenem Augenblicke« ...

»Ich war damals töricht!« sagte Aspasia. »Arglos würde ich heute mein Haupt an deine Brust lehnen, denn ich kenne dich nun« ...

Aspasia saß mit Sokrates in einem Gemache, welches sehr traulich war und üppig ausgestattet und durchhaucht von seinen, berauschenden Düften, welche von Aspasia selbst auszuströmen schienen; denn sie war, wie die Götter und Göttinnen des Olymps immer von einem gewissen himmlischen Wohlgeruch umflossen. Sie strahlte von unverwelklich blühendem Reize, und eine bezaubernde Heiterkeit umspielte ihre Züge. Sie schien in der trefflichsten Laune zu sein – wenn etwas so Kleinliches, wie die Laune ist, für Aspasia überhaupt vorhanden war.

Eine Taube flatterte im Gemache hin und her. Es war der geflügelte Liebling Aspasias, ein anmutiges Tier von glänzend weißem Gefieder, mit einem reizenden, blauschillernden Ringe um den Hals.

Nicht selten flog die Taube auf die Schulter Aspasias und suchte den gewohnten Leckerbissen zwischen den Lippen der Schönen. Häufig aber flog sie auch auf das Haupt des Sokrates und ließ da mit solcher Hartnäckigkeit sich nieder, daß Aspasia zu wiederholten Malen sich genötigt glaubte, in eigener Person den Gast von dem zudringlichen Vogel zu befreien, wobei sie nicht vermeiden konnte, jenem sich unmittelbar zu nähern.

Wenn sie nun das Tier mit Mühe vom Scheitel des Sokrates weggescheucht hatte, so flatterte dieses fort und ließ sich anderswo nieder, nicht ohne vor dem Niedersitzen sein dumpfes »Gru, Gru« ertönen zu lassen.

»Wenn es nicht durch das allgemeine Urteil der Menschen festgestellt wäre, daß das Gegirre der Tauben zärtlich und lieblich klingt«, sagte Sokrates, »so würde ich es in meinem Ungeschmack für häßlich halten. Ich möchte es ein sehr abgedämpftes Gewieher nennen.«

»Wie?« rief Aspasia, »du schiltst den Vogel der Aphrodite? Gib acht, daß nicht der Vogel oder die Göttin selbst sich an dir räche!«

»Sie haben es zum voraus getan!« versetzte Sokrates.

»Unberechenbar sind die Götter«, sagte Aspasia; »einmal sind sie mißgünstig und halten ihre Gaben zurück, ein andermal sind sie günstig gestimmt und gewähren zehnfach, was sie früher versagten. Die launenhafteste aller Göttinnen aber ist Aphrodite. Sie verlangt durchaus, daß jemand, der eine Gnade von ihr wünscht, den rechten Augenblick und die rechte Laune erwarte und öfter wiederkehre. Töricht ist, wer nur einmal sein Glück bei ihr versucht. Ist dir dies unbekannt, Sokrates? Und machen es die Schönen nicht vielleicht ebenso wie die Göttinnen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Sokrates, »denn ich habe es nicht erprobt.«

»Daran tatest du unrecht!« sagte Aspasia. »Es ist nun deine Schuld, wenn du nicht weißt, ob Aphrodite und die Frauen dir günstig oder nicht.«

Solche und ähnliche verwunderliche und neckende Reden führte Aspasia. Dabei liebkoste sie die Taube und wechselte mit ihr Küsse. Sokrates erinnerte sich nicht, sie jemals so bis zur Ausgelassenheit heiter gesehen zu haben. Je mutwilliger sie wurde, desto schweigsamer, desto gedankenvoller und ernster zeigte er sich selbst.

Wieder flog die Taube mit einem Girren, das jetzt fast einem Gekicher ähnlich war, auf den Scheitel des Sokrates. Diesmal aber verwickelte sie sich mit der kleinen Kralle ihres Fußes so fest in sein Haupthaar, daß sie nicht wieder loskommen konnte. Aspasia beeilte sich, ihm zu Hilfe zu kommen und die Kralle der Taube aus seinen Haaren zu lösen. Er spürte ihren Finger in seinen Haaren. Die unmittelbare Nähe eines duftigen, lebenswarmen, reizvollen Frauenleibes durchrieselte ihn – der Busen des schönen Weibes wogte nahe vor seinem Antlitz, nahe vor seinen Lippen – nur die kleinste Bewegung und seine Lippen mußten die lieblich wogende Welle berühren. Keine Meerflut wogt so tückisch, mit solcher Gefahr des rettungslosen Versinkens, als die Brust eines Weibes.

So nahe war des Sokrates Lippe dieser lieblichen Welle, wie sie dem Rosenmunde der Schönen gewesen, als der Grübler mit Aspasia vertraulich plaudernd in der einsamsten Halle des Lykeion saß.

Nur die kleinste Bewegung – und der neuerdings entflammte Sokrates holte sich eine neue Beschämung, kränkender als die einstige im Lykeion, vollendete durch eine neue Uebereilung des Herzens und der Sinne den Triumph der arglistigen Schönen, der heimlichen Gegnerin.

Was ging vor in der Seele des Sokrates in jenem Augenblicke? ...

Ruhig und gefaßt erhob er sich und sagte:

»Laß die Taube, Aspasia! Ich glaube nicht zu teuren Kaufes loszukommen von dem rachsüchtigen Vogel, wenn ich eine Locke meines Haupthaares in der Kralle desselben zurücklasse« ...

»Ich begreife es«, erwiderte Aspasia mit einer veränderten, etwas spöttischen Art von Uebermut, »ich begreife es, daß du die Kahlheit nicht fürchtest. Hängt die Kahlheit doch mit der Weisheit zusammen, und du bist ein vollendeter Weiser geworden! So vollkommen und weise bist du geworden, daß du verdientest, kahl gezaust zu werden bis auf das letzte deiner Haare von der Kralle des aphrodisischen Vogels.«

»Kahlheit mag dem Weisen ziemen«, sagte Sokrates, »aber wisse, daß ich auf alles, selbst auf den Ruhm der Weisheit verzichtet habe, und daß ich im Augenblicke nur daran denke, meine Bürgerpflicht zu tun. Schon morgen gehe ich mit anderen Bürgern, welche das Los getroffen, ab ins Lager vor Potidaia. Alkibiades geht ebenfalls dahin.«

»Auf diesen also scheinst du nicht zu verzichten«, versetzte Aspasia, »nachdem du, wie du sagst, auf alles übrige verzichtet?« »Wir folgen vereint dem Rufe des Vaterlandes!« erwiderte Sokrates. »Billigst du es etwa nicht? Gilt es nicht die Dorer zu bekämpfen?«

»Du gedenkst die Dorer zu bekämpfen?« rief Aspasia. »Du selbst bist ein Dorer geworden!«

»Nein!« erwiderte Sokrates, »ich glaube ein echter Sohn der gedankenvollen Pallas Athene zu sein.«

»In der Tat«, sagte Aspasia lächelnd, »du hast dich von Eros und den Charitinnen ganz zur kühlen, mannweiblichen Athene gewendet, wohin ist die Glut geschwunden, welche deine Seele befeuerte, als du mich im Lykeion zum letztenmal nach dem Wesen der Liebe fragtest?«

»Meiner Liebesglut, o Aspasia«, versetzte Sokrates, »ist dasselbe widerfahren, wie deiner Schönheit, seit Pheidias dein Bild vergöttlicht hat zur lemnischen Aphrodite. So wie nämlich dein Reiz über das Irdische und Zeitliche hinausgehoben worden ist in jenem Gebilde, so ist auch mein Lieben gereift und vergöttlicht und, ich möchte fast sagen, versteinert worden. Aus der glutenden Kohle ist ein Stern geworden« ...

In diesem Augenblicke ließ die flatternde Taube sich nieder auf die Schulter Aspasias.

Welcher Dämon, welcher mutwillige Erote steckte in dem Vogel?

Er verfing sich mit der Kralle jetzt dort, wo eine Spange die beiden schmalen Streifen des Chitons zusammenhielt.

Ungebärdig bewegte der Vogel den Fuß, um ihn loszubekommen, bis die Spange sich löste und des Gewandes Streifen herunterfiel und die glänzende Schulter enthüllte.

»Opfere diesen Vogel den Charitinnen!« sagte Sokrates, deckte seinen Mantel über die entblößte Schulter des schönen Weibes und ging hinweg.

Die stolze Milesierin erbleichte – sie griff erregt mit leise zitternder Hand nach einem Silberspiegel und erschrak zum erstenmal vor einem Schatten der Entstellung, der über ihre Züge flog.

War die Schönheit nicht mehr das Allsiegende? Gab es etwas, das ihr zu trotzen wagte?

Ein leiser Schauer durchlief sie. – – –

Der junge Alkibiades war hoch erfreut, als ihm endlich jener Wunsch, welchen er gegen Perikles geäußert hatte, auf dem Felde der kriegerischen Ehre sich tummeln zu dürfen, erfüllt wurde. Ihn, sowie den Sokrates, hatte das Los denjenigen athenischen Bürgern angereiht, welche Zur Belagerung der von Athen abgefallenen Bundesstadt Potidaia entsendet werden sollten.

Alkibiades hatte bis dahin seine tolle Lebensweise fortgesetzt und niemals ließ er es an Stoff fehlen für die Geschwätzigkeit der Athener.

Er hatte die sogenannte Gesellschaft der Ithyphaller gegründet, in welcher die übermütigsten und ausgelassensten jungen Leute sich zusammenfanden, um sich gemeinsam den zügellosesten Launen zu überlassen, wie man es von einer Gesellschaft erwarten konnte, welche nach dem unsauberen Dämon Ithyphallos sich benannte. Schon das Schauspiel der Einweihung in dieselbe war mutwillig und possenhaft im verwegensten Sinne. Nur diejenigen wurden aufgenommen, welche auf die Gunst jenes Dämons in besonderem Grade pochen zu dürfen glaubten.

Um des Herkommens zu spotten, welches zu Athen ein vormittägiges Zechen verbot, veranstaltete Alkibiades mit seinen Genossen morgendliche Zechgelage. In seinem Uebermute ließ er von einem trefflichen Maler sich im Schoße einer jungen Hetäre sitzend malen, und ganz Athen lief herbei, das Bild zu sehen, Er besaß einen Hund, welchen er sehr liebte und welchem er den Namen »Dämon« gab, und es war sehr drollig zu hören, wenn er, gleich dem Sokrates, von »seinem Dämon« sprach.

Schien so der Mutwille, von welchem der Sohn des Kleinias sprudelte, selbst den Sokrates zu treffen, so hinderte dies ihn doch nicht, denselben Mann vor aller Welt als den besten und liebsten seiner Freunde auszuzeichnen. Er war dem Grübler und Wahrheitsucher in der Tat noch immer mit einer fast rätselhaften Art von Liebe zugetan, aber freilich, wie es schien, ohne ihm irgend welchen Einfluß auf sein Tun und Lassen zu gönnen.

Als Alkibiades nach Potidaia abging, geschah auch dies nicht ohne Nebenumstände, welche zu reden gaben. Er ließ sich Waffen von besonderer Art anfertigen. Er hatte einen Schild aus Gold und Elfenbein. In dem Schilde aber führte er, gleichsam als Wappen, einen Eros, bewaffnet mit dem Donnerkeil des Zeus.

Eros mit dem Donnerkeil! Ein glänzender Gedanke, würdig einer Hellenenstirne. War es doch in der Tat die Zeit, wo es schien, als wolle der Donnerkeil des Zeus übergehen in die Hände des geflügelten Knaben ...

Einige von den Genossen des Alkibiades zogen ebenfalls ins Feld. Sie suchten es ihrem Vorbilde nun auch gleich zu tun in kostbaren und absonderlichen Arten von Rüstungen. Der junge Kallias, der Sohn des Hipponikos, zog zu Felde, wie es heißt, in einem Panzer, genäht aus der Haut eines Löwen.

Es gab ein Weib zu Athen, welches tiefer Betrübnis voll war, als Alkibiades auf dem Punkte stand, die Stadt zu verlassen; ein Weib, welches lange weder den Schmerz gekannt, noch die Liebe, welches nicht bloß die Bande Hymens verachtet, sondern auch der Fesseln des Eros gespottet, ein Weib, welches von sich selbst gesagt hatte: ich bin nicht der Liebe, nur der Freude Priesterin.

Dies Weib war Theodota. Sie war es, wie schon erwähnt, gewesen, welche der junge Alkibiades als seine Lehrerin betrachtete, als er in den Wirbel des Genusses und jugendlicher Ausgelassenheit sich stürzte. Seine Eitelkeit brachte es mit sich, daß er vor allen die schönste und berufenste Hetäre von Athen sein eigen nennen wollte, jene Theodota, welche damals nicht mehr auf dem Höhepunkte ihrer Blüte, wohl aber auf dem Höhepunkte ihres Rufes stand. Auch Theodota war stolz auf den Besitz des Alkibiades, und nicht wenig vermehrte eben dieser Besitz auch wieder den Glanz ihres Rufes.

Eine geraume Zeit verkehrte der junge Alkibiades mit keinem Weibe lieber als mit der dunkeläugigen Korintherin, führte seine Freunde am öftesten zu fröhlichen und mutwilligen Gelagen in Theodotas Haus. Ihre Heiterkeit nicht minder als ihr Reiz, waren die Würze im Becher jener überschäumenden Jugendlust des Alkibiades und seiner Genossen.

Aber Theodota blieb nicht immer so fröhlich, als sie im Beginne des Verkehrs mit Alkibiades gewesen. Allzu schön war der Jüngling, als daß ein Weiberherz, hätte es auch nie geliebt und die Liebe verschworen fürs ganze Leben, nicht doch zuletzt die Lust seines Umgangs mit der Freiheit hätte bezahlen sollen.

Wenig hatte es anfangs sie gekümmert, wenn der junge Freund auch anderen Weibern und Hetären neben ihr zulächelte. Sie selbst hatte, wenn er mit Kallias und Demos Gelage bei ihr hielt, jugendliche und reizende Freundinnen in ihrem Hause versammelt. Alsbald aber glaubte der junge Ithyphallerfürst nicht ohne Mißbehagen zu bemerken, daß das Wesen der Korintherin mehr und mehr sich verändere. Sie erschien nachdenklich, ernst, sie seufzte manchmal, ihre fröhliche Zärtlichkeit erschien gleichsam angekränkelt von einer Art von Leidenschaft, von einem gewissen Ungestüm, krampfhaft umschloß sie bisweilen den Liebling, als wollte sie ihn festhalten für alle Zeit, manche Träne rollte in ihren Kuß, und wenn jetzt Alkibiades einem anderen Weibe vor ihren Augen zulächelte oder gar es liebkoste, so erblaßte sie, und ihre Lippen zuckten im Krampfe der Eifersucht.

Diese Veränderung im Wesen Theodotas war nicht nach dem Geschmacke des Uebermütigen, der überall den Freudenbecher sich voll einschenkte, austrank und wieder davon ging.

Vorbei war es jetzt mit Theodotas Reiz, vorbei mit ihrem Zauber. Trübselig erschien dem Jüngling nun ihr Wesen.

In Augenblicken, wo sie eifersüchtigen Aufwallungen sich überließ, forderte sie seinen Zorn heraus; aber er verzieh ihr dies noch lieber, als das Uebermaß von schwärmerischer, tränengewürzter Zärtlichkeit, mit welchem sie ihn belästigte.

Sie schwur, ihn zu lieben, ihm allein anzugehören. Das war ihm gleichgültig. Der Vollbesitz eines einzelnen Weibes, höchstes Bedürfnis dem Herzen des reiferen Mannes, ist dem knabenhaften Weiberjäger wertlos und lästig.

Alkibiades sagte zu Theodota:

»Seit du angefangen, mit deinen tränenreichen Liebesklagen mich zu quälen, beginnst du mir auch unausstehlich zu werden! Du weißt nicht, wie häßlich ein Weib ist, das, statt durch strahlende Heiterkeit und lächelnde Anmut immerdar zu bezaubern, ihr Gesicht entstellen läßt durch die Züge der Eifersucht, die eigenen Wangen oder gar noch die des Geliebten mit der heißen und gesalzenen Flut der Tränen überschwemmt und, zur Furie geworden, mit leidenschaftlichen Anklagen um sich wirft. Du unterhältst mich nicht mehr, Theodota! Du langweilst mich! Nicht mit trübseligen Klagen und leidenschaftlichem Ungestüm wirst du mich fesseln: damit nährst und verschlimmerst du nur, was mir mißfällt! Soll ich sein, der ich gewesen, so sei auch du mir wieder, die du gewesen!« –

Sie bemühte sich, heiter zu erscheinen. Aber es mißlang ihr meist. Wenn dann Alkibiades zürnend sie verließ, so demütigte sie sich, überhäufte ihn mit Boten und mit Briefen, eilte zu ihm, flehte ihn an, ließ von dem Uebermütigen sich mißhandeln ...

Eines Tages kam Sokrates in das Haus seines jungen Freundes und sah das Weib in Tränen aufgelöst vor der Schwelle des unerbittlichen Jünglings liegen.

Sie sah ihn an und erkannte den Mann, welcher ihrer heiteren »Selbstaufopferung« einst eine so wunderliche Lobrede gehalten. Sie war dieser Selbstaufopferung nicht mehr fähig. Sie wollte, was sie damals gern entbehrte: liebend geliebt sein. Jammernd klagte sie dem Sokrates ihr Leid. Er sprach ihr tröstlich zu und führte sie hinweg.

Dann wollte er zu Alkibiades zurückkehren, um Fürbitte für das Weib bei diesem einzulegen. Aber er war so in Gedanken versunken, daß er, an der Tür des Alkibiades angelangt, nicht eintrat, sondern sinnend stehen blieb, und als Alkibiades ausging, fand er den Freund an der Schwelle.

»Was sinnst du?« fragte er.

»Eben wieder«, versetzte Sokrates, »glaubte ich dem Wesen der Liebe auf der Spur zu sein. Ich glaubte, einen Augenblick gefunden zu haben, das Wesen der Liebe bestehe darin, daß man entweder Tränen vergießt oder erpreßt – mißhandelt oder sich mißhandeln läßt – tritt oder sich treten läßt – aber im Handumdrehen ist es mir doch wieder zweifelhaft geworden« ...

Als Alkibiades ins Lager von Potidaia abging, dankte er den Göttern, der Liebe des Weibes entronnen zu sein, das um seiner Entfernung willen, wehklagend ihr Haar zerraufte.

Nach einiger Zeit schrieb Alkibiades aus dem Feldlager vor Potidaia an Aspasia folgendes:

»Du wünschest von mir zu erfahren, wie unser Sokrates sich bewährt in seinem neuen Berufe. Nun, er ist im Lager von Potidaia genau derselbe, der er vor Jahren in der Werkstätte des Pheidias gewesen. Bald ist er mit größtem Eifer bei der Sache, bald wieder kopfhängerisch, in müßiges Grübeln verloren. In hellen Sternnächten, wenn alles rings in den Zelten schlummert, da geht Sokrates umher und wacht einsam und sinnt – und fragt – und sucht – freilich vergebens. Er will immer verzichten auf das Wissen, aber es treibt ihn doch immer wieder aufs neue, zu sinnen, zu suchen und zu fragen. Du hast mir vorzeiten einmal, als ich noch ein Knabe war und du für einen Tag ein Sparterjüngling, der in das Haus des Perikles kam, von den Freundschaften der jungen Sparter gesprochen, von Freundschaften, welche die Jüngeren mit den Aelteren verbinden und sie zu unzertrennlichen Kampfgenossen machen. Eine ähnliche, unzertrennliche Genossenschaft hat nun zwischen mir und Sokrates sich gebildet. Und wahrhaftig, der Treffliche hat immer vollauf zu tun, um sich als meinen Freund zu bewähren. Ich habe häufige Händel mit Leuten in den Nachbarzelten, die es nicht leiden wollen, daß ich in dem meinigen des Nachts mit guten Freunden zeche und singe, weil wir sie, wie sie sagen, im Schlafe stören. Ja, diese Pfahlbürger lehnen sich sogar bei Tage dagegen auf, daß wir fröhlich sind, und rümpfen die Nase, wenn wir nach dem Frühstück noch ein wenig in den Tag hinein trinken und lärmen. Sie führen bei den Strategen und Taxiarchen Klage wider uns, daß wir angeblich in der Trunkenheit gegen ihre Sklaven und gegen sie selbst allerlei Mutwillen verüben. So gibt es denn häufigen Zank und zuweilen auch ein kleines Handgemenge. In solchen Fällen ist selbst der Stratege und Taxiarch ohnmächtig, und nur die Fürbitte des Sokrates rettet den einen oder den andern aus der Gefahr, nach allen Regeln des Gymnasions in den Sand gestreckt oder auch durchgebläut zu werden.

Mir gefällt dieser Sokrates, weil er nicht das anspruchsvolle Wesen hat, welches mir andere Sophisten, Philosophen und Sittenprediger unausstehlich macht. Er besitzt eine Art von Seelenadel und stiller Trefflichkeit, von welcher kein Mensch in ganz Hellas weiter entfernt ist als ich selbst. Aber man bewundert am meisten, was man selbst nicht hat, und gerade der Gegensatz zieht, wie es scheint, die Menschen zu einander. Es geht zuweilen von seinem sonst unscheinbaren Wesen etwas aus, wie der Blitz von etwas Göttlichem, und dies ist mit den Jahren immer wirksamer bei ihm geworden; und oft habe ich bemerkt, daß einer, der von diesem Blitze getroffen ward, gleichsam durchleuchtet und durchwärmt erschien: er errötete, sein Blut wallte, nicht anders, als ob er einem reizenden Weibe gegenüberstände.

Kürzlich hatte ich mich einmal mit dem jungen Kallias zu einem kleinen nächtlichen Streiche verabredet. Uns stak der prächtige homerische Gesang von dem nächtlichen Ausgange des Diomedes und des Odysseus und vom Raub der Rosse des Rhesos im Kopfe, und, obgleich es bei den Potidaiern schwerlich Rosse dieser Art zu rauben gab, wollten wir doch einmal ein kleines Abenteuer auf eigene Faust bestehen. Wir wußten, daß kleine Nachtwachen der Potidaier häufig vor den Mauern umherschweiften. Eine solche wollten wir überfallen, niedermachen und ihre Waffen als Beute zurückbringen, wir verließen also still das Lager gegen Mitternacht, und, angelangt in der Nähe der Mauern von Potidaia, stießen wir in der Tat auf ein Häuflein Bewaffneter, welches die Runde machte, wir gingen auf diese Bursche los und töteten ein paar von ihnen, die übrigen ergriffen die Flucht, machten aber Lärm, bis andere von den Ihrigen herbei kamen, und, so verstärkt, machten sie noch einmal Kehrt und wandten sich in großer Mehrzahl gegen uns. wir hielten tapfer stand, aber ich weiß nicht, was aus uns geworden wäre, einer solchen Zahl gegenüber, wenn nicht plötzlich ein Mann, wie aus der Erde emporgetaucht, sich ins Treffen gemischt hätte, der so wacker und mit solcher Wucht auf die Potidaier mit einhieb, daß diese nach Erlegung einiger ihrer Tüchtigsten es neuerdings geraten fanden, das Gefecht abzubrechen und gegen die Mauern zu flüchten. Jener Helfer aber war kein anderer als Sokrates, den zufällig eben wieder die schöne Nacht hinausgelockt hatte, zwar nicht auf Abenteuer, aber auf die Gedankenjagd zu gehen, und der, außerhalb des Lagers sich umhertreibend, durch unsern Waffenlärm angezogen herbeieilte und zu rechter Zeit eingriff. Bei dieser Gelegenheit habe ich wieder gesehen, was dieser Mann zu leisten vermöchte, wenn er ganz und gar ein Krieger und nicht nebenbei ein Weiser wäre. Er schlug auf die Potidaier nicht anders los, als vorzeiten mit dem Meißel auf die Steinblöcke in der Werkstätte des Pheidias. Und so wie es, als er noch Steinmetz war, die Steine entgelten mußten, wenn ihm das Gedankenproblem, das ihn eben beschäftigte, große Schwierigkeiten machte, so mußten in jener Sternnacht die Köpfe der Potidaier es büßen, daß Sokrates sich eben wieder vergeblich bemüht hatte, das Rätsel der Welt zu lösen. Er ist im stande, mitten in einem Gefechte auf den Gesang eines Vogels in den Lüften zu horchen, oder, wenn er als Wache ausgestellt wird, sein Augenmerk statt auf die Bewegungen der Potidaier, auf die der Gestirne am Himmel zu richten. Noch immer ist er nämlich gewohnt, das Alltäglichste nachdenklich zu betrachten, und wenn man ihn deshalb zur Rede stellt, so sagt er, die Dinge kämen ihm gespenstig vor, weil er sie nicht verstehe, und weil sie ihm ihr Wesen nicht offenbaren wollen.

Gegenwärtig brütet er über einem Plane, wie man den Krieg entbehrlich machen könnte, und wenn er nicht gerade selbst auf die Feinde losschlägt, so setzt er uns auseinander, wie abscheulich dieser Wechselmord der Menschen sei, und wie man von Leuten, welche sich im Kriege mordeten, dereinst nicht anders reden werde, als man jetzt von Menschenfressern rede, und daß eine Zeit kommen werde, wo man es gar nicht werde begreifen können, daß das Menschengeschlecht einmal so wild und roh gewesen. Er sagt, es müsse ein Bund der Völker gestiftet und ein oberstes Schiedsgericht eingesetzt werden, vor welchem die Streitigkeiten geschlichtet werden können. Und er meint, daß etwas Aehnliches schon zu erreichen wäre, wenn nur ein, oder ein paar Staaten öffentlich erklären wollten, daß sie sich von jetzt an in jedem Völkerkriege auf die Seite des Angegriffenen stellen würden oder dessen, dem ein Unrecht widerfährt. Träumereien, würdig eines Sonderlings! Man darf dem Tatendrange der Menschen nicht die Flügel unterbinden, und die Welt wäre ohne Haß und Streit und Krieg so langweilig wie ohne die Liebe!

Was mich betrifft, so scheint es, daß die kriegerische Beschäftigung mir wohlbekommt. Ich bin, glaube ich, auch schon um vieles tugendhafter geworden. Ich schränke mich jetzt so sehr in allen Dingen ein, daß ich eine geraume Zeit hindurch eine Geliebte mit meinem Freunde Axiochos gemeinsam hatte.

Doch das sind Dinge, die dich langweilen müssen. Lebewohl, Aspasia, und berichte nun auch du mir, wie sich der Rest der Stadt ohne den Alkibiades befindet.« – –

Ein Gemeinwesen von kleinem Umfange kann niemals ein großes Landheer, leichter aber eine große Flotte besitzen. In dieser Lage war Athen, nachdem König Archidamos von Sparta mit sechzigtausend Peloponnesiern in Attika eingefallen. Auch die meisten der Bundesgenossen konnten nur zur See sich hilfreich erweisen.

Während die Flotte sich bereit machte, flüchtete das Volk der von Archidamos überschwemmten ländlichen Gaue in die Stadt, was innerhalb der Stadt kein Unterkommen fand, das lagerte im Freien, namentlich zwischen den langen Mauern, und richtete dort sich ein, so gut es ging. Die ganze Strecke zwischen der Stadt und dem Piräus wimmelte von diesen Gästen, und es entstand allmählich dort eine Zeltstadt, denn unter Zelten, welche an die schützenden langen Mauern sich lehnten, wohnten die Leute. Aber man sah die Aermeren auch ihre Behausung aufschlagen in Fässern von der riesigen Art, wie sie zu Athen im Gebrauche waren, Von den Mauern der Stadt aus konnte man die Wachtfeuer der Peloponnesier sehen, welche in den Feldern und Weinbergen lagen. Aber Dank den Befestigungen, mit welchem der Eifer des Perikles längst die Stadt der Athener versehen hatte, sah diese sich hinlänglich gesichert gegen jeglichen Angriff. Getreu seinem ursprünglichen Plane, von welchem er in seiner festen Ruhe sich auch durch die lebhafteste Ungeduld der Athener nicht abwendig machen ließ, sandte Perikles nur die Reiterei aus den Toren der Stadt hinaus, um streifend die Umgebung der Stadt zu bewachen.

Als Archidamos von den Höhen Attikas eine stolze Flotte von hundert Fahrzeugen aus dem Piräus auslaufen und gegen den Peloponnesos steuern sah, geschah, was Perikles voraus gesehen und geplant. Der unangreifbar befestigten Stadt sich gegenüber sehend, und zu gleicher Zeit die unverteidigten, unbefestigten Städte ihrer Heimat der mächtigsten Feindesflotte und den darauf eingeschifften erlesenem Heere preisgegeben wissend, brachen die Peloponnesier auf, verließen Attika und zogen heimwärts über den Isthmos.

Perikles hatte auf die persönliche Führung der auslaufenden Flotte verzichten müssen. Denn unentbehrlich schien er zu Athen, so lange noch die Peloponnesier auf attischem Boden standen.

Als jedoch diese abgezogen, war des Perikles erstes Unternehmen, daß er mit einem kleinen, aber trefflich gerüsteten Heere vor Megara rückte. Abrechnung mit der verhaßten Stadt verlangte gebieterisch das entbrannte Volk der Athener.

Die Abwesenheit des Perikles von Athen aber war manchem wieder hocherwünscht.

Die Eulen auf der Akropolis erwachten in ihren Schlupfwinkeln und regten die Schwingen.

Des Menon bediente sich Diopeithes gegen den Pheidias, begierig, den längst gehegten Plan zum Verderben auch dieses Mannes auszuführen.

Ein verrufener Sykophant, Stephaniskos mit Namen, trat auf des Diopeithes Anstiften als eigentlicher Ankläger des Pheidias hervor. Dieser Mensch hatte eine Hetäre geheiratet, welche, wie man sagte, in seinem Hause ihr Gewerbe fortsetzte, während er selbst als Sykophant Erwerb suchte, Er behauptete in seiner frechen Anklage, Pheidias habe von dem Golde, welches ihm zur Vollendung des Standbildes der Athene Parthenos übergeben war, einen Teil beiseite geschafft und sich angeeignet. Ferner machte er ihm zum Vorwurf, daß er eine mit der Ehrfurcht gegen die Götter und ihre Heiligtümer nicht verträgliche Eitelkeit bewiesen, indem er in der Amazonenschlacht auf dem Schilde der Göttin sein eigenes Bild und das des Perikles anbrachte. Als Zeugen aber für die Entwendung des Goldes führte er den Menon vor. Dieser habe vordem eine Zeitlang auch in den Werkstätten des Pheidias sich häufig eingefunden, und da gegen solche Gaben, wie sie dem Bettler zu teil werden, untergeordnete Dienste geleistet, während jener Zeit nun, behauptete derselbe, einmal aus dunklem Versteck hervor erlauert zu haben, wie der sich unbemerkt glaubende Pheidias von dem Golde, welches ihm zur Verfertigung der Parthenos auf der Burg übergeben worden, einen Teil beiseite geschafft und verborgen habe, offenbar um dasselbe sich anzueignen.

Die von den Anhängern des Diopeithes seit langer Zeit auch gegen Pheidias ausgestreute Saat der Verleumdung war üppig aufgegangen. Und so fand der Ankläger Stephaniskos im Athenervolke einen wohl vorbereiteten Boden.

Der eben wieder zu Athen anwesende ehrwürdige Bildner wurde auf jener Anklage des Stephaniskos hin in den Kerker geworfen.

Der Erbauer des schönsten Denkmals, welches, wie Perikles sagte, das Athenervolk für alle Folgezeit sich selbst gesetzt, wanderte unter schmählicher Beschuldigung ins Gefängnis.

Wie Diopeithes die Abwesenheit des Perikles sich zu nutze machte, so waren auch die gemeinen, ehrsüchtigen Volksaufwiegler bestrebt, während der Entfernung desjenigen, der allein sie bändigte, ihren Einfluß im Volke zu erweitern.

Durch das Hereinziehen der Landleute in die Stadt während des Einfalls der Peloponnesier war die Masse des gemeinen Volkes in Athen sehr vermehrt worden. Diese Menge hatte sich überdies an einen gewissen Müßiggang gewöhnt, und viele waren auch nach dem Abzug des Archidamos in der Stadt zurückgeblieben, weil ihr Landbesitz durch die Feinde verwüstet war. Es bildete sich allmählich das, was man Pöbel nennt, indem die Zahl der mittellosen Bürger sich mehrte. Aber gerade diese Hungerleider strömten am fleißigsten in die Volksversammlung, denn sie bekamen ja dort ihre zwei Obolen auf die Hand gezahlt. Zahlreicher besucht und geräuschvoller als je waren deshalb die Versammlungen auf der Pnyx. Kleon, Lysikles und Pamphilos wagten sich offener hervor, und das athenische Volk gewöhnte sich allmählich daran, Leute dieses Schlages die Rednerbühne besteigen zu sehen.

Von diesen drei Männern war Pamphilos am entschiedensten der Meinung, daß man es versuchen müsse, den Perikles zu stürzen. Eines Tages stand er auf der Agora, umgeben von einer großen Zahl athenischer Bürger und setzte diesen auseinander, auf welche Gründe hin man den Perikles anklagen könnte. Er schalt ihn einen Feigling, welcher das attische Land durch den Feind habe verwüsten lassen, und welcher den Bürgern tyrannisch die Art vorschrieb, in welchen sie sich verteidigen sollten, und während der ganzen Zeit, daß die Peloponnesier auf attischem Boden standen, keine Volksversammlung auf der Pnyx zu stande kommen ließ, um nur ganz nach persönlicher Willkür schalten zu können.

Es fanden sich viele unter der Menge, welche der Meinung des Pamphilos waren, insbesondere drängte sich ein gewisser Krespilos hervor, welcher den Wurstmacher an wüstem Geschrei gegen Perikles fast noch zu überbieten suchte, und welcher die Notwendigkeit dartat, den Strategen beim Volke sofort in Anklagezustand zu versetzen.

Da kam plötzlich der Barbier Sporgilos gelaufen. »Gute Neuigkeiten!« rief er von weitem. »Eine Schnur von Bretzeln her für den Bringer guter Neuigkeiten! – Perikles ist auf dem Heimwege von Megara! Er steht schon in Eleusis mit den Seinigen! Die Megarer hat er gezüchtigt nach Gebühr, und noch heute wird er eintreffen in Athen!«

Pamphilos färbte sich grünlich-fahl im Angesicht vor Aerger. »Eine Schnur von Bretzeln verlangst du?« erwiderte er dumpf; »die Zunge soll man dir ausschneiden für deine Neuigkeit, du Hundesohn!«

Auch auf die übrigen Verschwörer machte die Nachricht einen sehr niederschlagenden Eindruck, und obgleich auch jetzt noch Pamphilos sich bemühte, die Menge aufzureizen, schlich doch einer nach dem andern sich hinweg und meinte, gegen den siegreich heimkehrenden Perikles sei es schwer, etwas auszurichten, man müsse die Sache auf eine bessere Gelegenheit verschieben. Als nun auch Krespilos achselzuckend von dannen gehen wollte, faßte ihn der erzürnte Pamphilos am Gewande und schrie: »Feigling! Ausreißer! Schämst du dich nicht, bei dem bloßen Worte »Perikles ist da«, schmählich die Flucht zu ergreifen? – Sieh' mich an! ich scheue mich keinen Augenblick, dem Perikles persönlich entgegenzutreten! Ich habe Mut! Ich bin geboren am Schlachttage von Marathon!«

»Ich nicht!« erwiderte Krespilos. »Ich war eins jener Kinder, welche im Theater zu Athen von ihren vor Schreck kreißenden Müttern zu früh geboren wurden, als man die Eumeniden des Aischylos aufführte!«

Mit dieser Entschuldigung machte Krespilos sein Gewand los aus den Händen des Pamphilos und lief davon.

»Weg sind sie«, rief der Demagog mit Zähneknirschen, »weg sind sie, die verfluchten Kerle – auseinandergestoben, als hätte man einen Spülichteimer über ihren Köpfen ausgeleert!« –

Da kam der tolle Menon auf ihn zu und fragte ihn nach dem Grunde seiner Erbitterung.

Diesem klagte er seine Not.

»Narr!« sagte Menon grinsend, »willst eine Mauer umstürzen und stemmst dich vergebens mit der Achsel an? Lege dich darunter und schlafe: zur rechten Zeit fällt sie von selbst dir über dem Kopfe zusammen!«– –

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