Josef Haltrich
Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen
Josef Haltrich

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98. Der Fuchs überredet den Wolf, ins verlassene Räuberhaus zu gehen

Nach einigen Tagen war der Wolf wieder geheilt, und sein unendlicher Hunger erwachte; da er sich nun nicht zu raten wußte, hielt er seine Rachegedanken gegen den Fuchs in sich verschlossen und ging wieder vor dessen Burg und rief: »Gevatter, wißt Ihr nirgends was zum Beißen, ich habe so große Not, daß ich schier verderbe.« – »Ei, jawohl weiß ich Speise genug beisammen, aber wie kann ich Euch noch trauen, da Ihr mich in des Buschwirten Haus und in der Schafmeierei so schändlich betrogen?« – »Gevatter«, sprach der Wolf, »gedenkt doch, wie ich dafür gebüßt habe und traget mir's nicht weiter nach, Ihr könnt Euch jetzt großen Dank verdienen.« Der Fuchs aber dachte; »Warte, Schalk, ich will dir einen guten Braten verschaffen.« Als er von seinem Tagesausflug heimgekehrt war, hatte er eben vier Wandersburschen den Ochsen, den Esel, die Katze, den Hahn, gesprochen, die auf dem Wege nach Blasendorf in der verlassenen Räuberhütte übernachten wollten. »Gevatter«, sprach er, »es ist eine Hütte im Wald, da haben die Räuber große Schätze von Wein und Fleisch zusammengehäuft. Sie sind vor einiger Zeit allesamt fort und haben niemanden zurückgelassen als Wache, sondern durch einen Fluch nur böse Geister hingebannt. Nun weiß ich freilich nicht, wie es mit Eurem Mute steht, ob Ihr vor Geistern Euch fürchtet, ich zum Beispiel würde es nicht wagen hinzugehen!« – »Was, elender Feigling«, rief der Wolf trotzig, »bin ich denn Euresgleichen? Ich kenne keine Furcht, und auch mein Vater, mein Großvater und Urgroßvater hat sie nicht gekannt, zeigt mir nur den Weg!« Es war eben Abend und so halb dunkel geworden. Der Fuchs führte den Wolf und zeigte ihm von ferne die Hütte; hier aber hatten sich jene Reisenden also gelagert: Die Katze saß auf dem Herd und schnurrte, der Esel stand vor der Haustür, der Ochs vor der Gassentür, der Hahn über der Gassentüre. Der Wolf kam still heran, allein es war ihm nicht ganz recht; seine Angst stieg, je mehr er sich näherte, aber umkehren durfte er nicht; er fürchtete den Spott des Fuchses, der von ferne zusah. Die Türen waren offen, und der Ochs und der Esel und der Hahn schliefen; sie schienen ihm scheußliche Ungeheuer; er schlich allmählich ins Zimmer, hier war aber die Katze noch wach, schnurrte und machte feurige Augen; der Wolf entsetzte sich bei ihrem Anblick, kaum aber hatte ihn die Katze bemerkt, so war sie mit einem Satze ihm auf dem Haupt und kratzte ihm nach den Augen, da erhob er ein fürchterliches Geheul und wollte hinaus, darüber erwachten die anderen; der Esel gab ihm einen gewaltigen Stoß mit seinein Hinterruße, der Ochs nahm ihn auf seine Hörner und schleuderte ihn hoch in die Luft, und der Hahn schrie: »Kikeriku! Kikeriku!« So lange Beine hat kein Wolf je gemacht, er stürmte an dem Fuchs vorbei, ohne ihn zu sehen. »Gevatter, was ist Euch, habt Ihr Feuer unterm Zagel?« rief dieser ihm nach. »Wenn Euch Euer Leben lieb ist, so fliehet mit mir und fraget nicht.« Der Fuchs ging nun hinterher ganz gemächlich bis zur Burg des Wolfes, der in einem Atem bis dahin gelaufen war. »So erzählet denn, Gevatter was ist Euch begegnet?« – »Ja, jetzt glaube ich auch an Geister!« sprach der Wolf noch zitternd vor Angst, »denkt Euch nur, da saß drinnen auf dem Herd eine alte Hexe mit feurigen Augen und brummte: ›Dich fresse ich! Dich fresse ich;‹ und sprang mir auch sogleich auf das Haupt und fing an zu beißen, da zog ich heulend fort; vor der Haustüre stand einer mit einer mächtigen Keule, der versetzte mir eins in die Magengegend, daß ich glaubte, ich brauche nichts mehr, das sei mein jüngster Tag; vor der Hoftüre stand einer mit einer gewaltigen Gabel, der nahm mich auf und schleuderte mich in die Höhe; da stand über der Hoftüre einer mit brennender Strahlenkrone, der schrie; ›Herauf mit ihm, ich mach ihm den Garaus.‹« Der Fuchs lachte sich in seinen Bauch und sprach: »Gevatter, nehmt Euch daraus eine Lehre und spottet nicht über die Furcht anderer, denn Ihr könnt den Hasenfuß auch vortrefflich spielen.«


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