Friedrich Halm
Das Haus an der Veronabrücke
Friedrich Halm

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Ruggiero hatte im Feuer der Rede nicht bemerkt, wie Ambrosia, während er sprach, allmählich das tief herabgesenkte Haupt erhob, sich aus ihrer demütigen Stellung immer höher emporrichtete, wie ihre Augen funkelten und ihre erst erschrocken staunende Miene nach und nach zur Ruhe des Steines erstarrte. Bei den letzten Worten Ruggieros sich rasch umkehrend, wandte sie sich ruhig gemessenen Schrittes lautlos, schweigend der Türe des Gemaches zu. – »Bleibt, Ambrosia, wohin geht Ihr? Was wollt Ihr?« rief Ruggiero befremdend und betroffen ihr nach. – »Nach Eurem Arzte senden will ich,« erwiderte Ambrosia, auf der Schwelle des Gemaches sich umwendend und ernsten Blickes nach ihm zurückschauend: »nach dem Arzte senden, denn Ihr redet im Fieber, würdet Ihr doch sonst nie, auch nur im Scherz, Euch erlaubt haben, gegen eine ehrbare Frau Gesinnungen zu äußern, wie Ihr sie eben jetzt mir, Eurer rechtmäßigen, pflichtgetreuen Gatten ins Antlitz zu schleudern wagtet! Was Ihr aber auch damit gemeint haben mögt, vernehmt: nie werde ich zugeben, daß Heinrich Ilsung die Schwelle des Hauses überschreite, in welchem ich als Hausfrau walte; im Gegenteil, wenn Ihr mir Eure Hilfe versagt, so werde ich selbst mich an den Rat der Zehn wenden und seinen Schutz gegen fernere Verfolgungen des tolldreisten Jünglings in Anspruch nehmen!« – Ruggiero, sich in seinen Erwartungen getäuscht und die Vernichtung aller seiner Hoffnungen vor Augen sehend, überdies schon lange von der Sorge gequält, das allwissende Tribunal der Zehn könne seinen Umtrieben auf die Spur kommen und ihn dafür zur Rechenschaft ziehen, nahm in seiner Verzweiflung zur Unverschämtheit seine Zuflucht: »Törin!« rief er, aus seinem Lehnstuhle emporfahrend, Ambrosien zu, die mit funkelnden Augen, drohend wie eine Rachegöttin, auf der Schwelle des Gemaches stand. »Törin! Wem als mir allein steht es zu, den Eintritt in dies mein Haus einem Gaste zu gestatten oder zu versagen? Bin ich nicht Euer Herr und Gatte? Habt Ihr nicht am Altare geschworen, mir zu gehorchen? Seid Ihr nicht mein, und darf ich nicht über Euch verfügen nach meinem Willen, habt Ihr nicht meinen Worten, meinen Winken blindlings Folge zu leisten?« – Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als Ambrosia, ernst und würdevoll auf ihn zuschreitend, nach einem Augenblicke der Überlegung bedauernd milden Tones, aber fest und entschieden ihn also anredete: »Noch mehr als eines Arztes«, sagte sie, »bedürft Ihr, scheint es, eines Beichtvaters! Dieser würde Euch sagen, daß Ihr den Gehorsam, den ich Euch vor dem Altare zugeschworen, nur in gerechten und billigen Dingen von mir zu fordern habt; er würde Euch sagen, daß mir trotz meines Schwures die Gebote Gottes mehr gelten müssen, als Euer verblendeter, übelgeleiteter Wille, und daß kein Schwur und keine irdische Rücksicht mich, Eure christliche Lebensgefährtin, verpflichten könne, mich zur Befriedigung Eures tollen Rachegelüstes der Sünde, der Schande, zeitlichem und ewigem Verderben in die Arme zu werfen. Besteht Ihr auf Eurem Vorhaben, so wißt, daß ich noch diese Stunde dies Haus verlassen und in einem Kloster Zuflucht vor Versuchung und frevler Willkür suchen und finden werde!« – Mit diesen Worten schritt sie der Türe zu und hatte schon deren Schwelle erreicht, als sich plötzlich hinter ihr krampfhaftes Schluchzen und Stöhnen erhob und sie zur Umkehr bewog. Ruggiero, der sich durchschaut, seine Bemühungen vereitelt und die Hoffnungen, an denen er mit aller Glut der Leidenschaft festgehalten hatte, auf immer entfliehen sah, war unter der Wucht dieses Schlages in den Lehnstuhl, aus dem er sich kaum in so gebieterischer Haltung erhoben hatte, erschöpft zurückgesunken. Totenbleich, die greisen Haare wirr zerstreut, das Gesicht in den Händen verborgen, unter denen heiße Tränen hervorquollen, die Brust von schweren Seufzern gehoben, der gebrechliche und hinfällige Leib in allen seinen Fibern erschüttert, lag er da, und als Ambrosia hilfreich hinzueilte, den Schweiß von seiner Stirne, die Tränen von seinen Wangen trocknete und ihm wie einem Kinde Trost zusprach, da brach alles, was er so lange einsam und verschwiegen auf der Seele getragen, wie ein Bergstrom von seinen Lippen: wie Anselmo sein hilfloses Alter mißhandelt und geschändet, wie die erlittene Schmach den glühenden Wunsch in ihm erweckt, der Himmel möge ihm einen Sohn schenken, der den verhaßten Neffen des gehofften Erbes beraube, wie er endlich schon an der Erfüllung des gehofften Wunsches verzweifelnd aus der Erzählung des Fischers die Hoffnung geschöpft habe, wenn nicht in einem eigenen, doch in einem Kinde Ambrosias einen Rächer seiner Schmach sich heranwachsen zu sehen. Dies alles mit Flüchen und Verwünschungen, mit Klagen über die Schlechtigkeit der Menschen, mit Zornesausbrüchen gegen die Vorsehung, die Böse gedeihen lassend, die Hoffnungen der Guten täusche, wirr durcheinandergemengt, entsprudelte wie gährendes Blut einer eiternden Wunde in rückhaltloser Leidenschaft der Seele des fiebernden Greises und erfüllte Ambrosia mit solchem Entsetzen, daß sie erst wieder Besinnung und Herrschaft über sich selbst gewann, als er sie auch jetzt noch, an seinem wahnsinnigen Plane festhaltend, mit glühenden Bitten bestürmte, daß sie mit Heinrich Ilsung, für den sie doch Neigung empfinde, bewußt dem Werke seiner Rache sich beigesellen und ihm helfen möge, Anselmos Frevel zu bestrafen, wie er es verdiene! – »Unglückseliger!« sprach sie, als dem Halbwahnsinnigen endlich Worte und Kräfte gebrachen, »mit welchen Plänen tragt Ihr Euch? Nach welchen Unmöglichkeiten strebt Ihr? Betört die verderbliche Leidenschaft, die sich Eurer Seele bemeistert hat, auch Eure Sinne so sehr, daß Ihr nicht nur über Pflicht und Recht, Ehre und Gewissen hinwegspringt, sondern selbst die Schranken nicht mehr wahrnehmt, die Eurem Anschlage durch die Macht der Dinge, durch die Rücksichten gezogen sind, die gemeine Klugheit und die Sorge für Euer eigenes Wohl zu beachten Euch gebietet? Ihr wißt, daß der Besitz der Malgrati im Mannesstamme forterbt; begreift Ihr nicht, daß selbst, wenn ich ehr- und pflichtvergessen mich dem Manne hingäbe, dem Euer Rachedurst mich verkuppeln will, daß selbst, wenn diese verbrecherische Verbindung eine Frucht trüge, daß selbst dann noch die Geburt eines Mädchens alle Eure Wünsche und Hoffnungen vereiteln würde? Ihr wollt eine insgeheim erlittene, selbst mir, Eurer Gattin, bis zum heutigen Tage sorgfältig verschwiegene Schmach rächen, und um dies zu bewerkstelligen, gedenkt Ihr meinen guten Namen, wie Eure eigene Ehre der Willkür eines Fremden preiszugeben, der morgen Euer Vertrauen mißbrauchend, mich der Verachtung, Euch dem Gespötte der Welt bloßstellen kann!? Ruggiero, kommt zur Besinnung! Ihr wart ein ehrenhafter, gerechter, biederer Mann; nun aber hat der finstere Geist der Rache, der sich Eurer Seele bemächtigte, ihre angeborne Schönheit zu solcher Häßlichkeit der Züge entstellt, wie die Mulattenlarve hier auf dem Tische sie an sich trägt! – Euer Neffe hat Euch beschimpft, Ihr wollt ihn dafür betrügen; noch mehr, Ihr wollt, um ihn zu betrügen, Euch selbst noch viel tödlicher beschimpfen, als er getan, und überdies auch noch mich Unschuldige mit in den Abgrund hinabreißen, auf den Ihr zutaumelt! Verblendeter, ermannt Euch! Reiße Euch los aus den Schlingen, womit die Hölle Euch umgarnt! Für meine Zukunft habt Ihr reichlich gesorgt; laßt Euch nicht kümmern, ob nach Eurem Tode dieser oder jener den Rest Eurer Habe besitzt; überlaßt es Gott, Euch an dem Nichtswürdigen zu rächen, der Euch beschimpfte und Euer Alter vergiftete, und Euer Gebet, wie das meine, sei fortan zu allen Zeiten: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erläse uns von dem Übel! Amen!« – Diese wohlgemeinten Worte gingen jedoch an Ruggiero spurlos vorüber; kaum daß er sich wieder etwas erholt hatte, begann er neuerdings in Lästerungen gegen Gott, in Flüchen über Welt und Menschen, in bittere Klagen über Ambrosias lieblose Härte und über ihre heuchlerische Frömmigkeit sich zu ergehen, bis endlich unter Hohngelächter und Wutgeheul der ermattete Körper in wilden Zuckungen ohnmächtig zusammenbrach und Ambrosia sich genötigt sah, nach dem Arzte zu senden und die Diener herbeizurufen, um den Bewußtlosen zu Bette zu bringen.

Es waren traurige Tage, die Ruggiero nach diesem verhängnisvollen Abend verlebte. Überraschend schnell vom Krankenbette erstanden, auf das ihn die jenem Sturme leidenschaftlicher Aufregung nachfolgende Erschöpfung hingestreckt hatte, mochte allerdings sein Körper sich binnen kurzem wieder vollkommen kräftigen und erholen, allein über seinem Geiste hing seit jener Stunde eine düstere, nie mehr aufzuhellende Wolke. Nicht als ob Ambrosia ihn etwa mit Vorwürfen gequält oder in ihn gedrungen hätte, sich ausdrücklich und für alle Zeiten von seinen verderblichen Plänen loszusagen; sie hatte vielmehr, im Gegenteil, nicht aus Schonung oder Sorge für den Kranken, dessen liebevollste Pflegerin sie war, sondern in der Überzeugung, die Sache sei für jetzt und immer abgetan, jenes entscheidenden Gespräches nie mehr auch nur mit einer Silbe erwähnt oder in irgendeiner Weise darauf angespielt; er selbst war es, der aus dem Gedankennetze, in das er sich Wochen und Monate her eingesponnen, sich nicht mehr entworren, nicht mehr aus dem, was hätte sein können, zu dem was nun war, sich zurückfinden konnte. Wie klug war nicht alles berechnet, wie fein angelegt gewesen? Heinrich Ilsung, jung, schöne, liebenswürdig; Ambrosia, wie sie ja selbst zugestanden, ihm zugeneigt, für das tiefste Geheimnis gesorgt! Es mußte gelingen, und nun sollte der Starrsinn eines Weibes, das vor allen anderen auf seiner Seite stehen, seine Schmach mitempfinden, das Werk seiner Rache mitfördern sollte, alles das zerstören, niederreißen, in Schutt und Trümmer werfen? Er konnte es nicht glauben, und je mehr er darüber grübelte und grübelte, desto unglaublicher erschien es ihm. Was Ambrosia seinen Plänen an sittlichen Gründen entgegengestellt hatte, war ihm wie Worte in einer fremden Sprache gesprochen; denn er hatte den Maßstab für Recht und Unrecht, Schmach und Ehre, Schönheit und Häßlichkeit völlig verloren und fand in seiner Seele nur noch den für das seinem Zwecke Taugliche oder Untaugliche. Von den übrigen Einwürfen Ambrosias hatten ihn nur zwei ins Leben getroffen, nämlich die Hindeutung auf die Ungewißheit, welchem Geschlechte das ersehnte Kind seiner Rache angehören möchte, und dann die Darlegung der Gefahren, denen im Falle der Ausführung seines Planes sowohl sie als er selbst bloßgestellt wären, wenn Heinrich Ilsung das Übermaß des in ihn gesetzten Vertrauens auf irgendeine Weise mißbrauchen sollte. Seine hartnäckige Vorliebe für den einmal gefaßten Anschlag wußte sich jedoch mit beiden Bedenken ganz leicht abzufinden; was das erste betraf, so rechnete er mit Zuversicht darauf, daß Gottes Gerechtigkeit ihm, dem Schwergekränkten, unmöglich einen Sohn versagen könnte; in Ansehung Ilsungs beruhigte ihn die Erwägung, daß dieser, ein Fremder, in Venedig weder Einfluß noch Verbindungen besitze und daher gegen einen Mann seiner Stellung nichts unternehmen und in jedem Falle auf irgendeine Weise leicht stumm gemacht werden könne. So schien er sich noch immer nicht nur völlig im Recht zu sein, sondern er hielt auch noch immer seinen Plan für durchaus lebensfähig und ausführbar, wenn es ihm nur gelänge, vorerst noch ein Rätsel zu lösen und die geheime Triebfeder zu entdecken, mit deren Aufschnellen Ambrosias Bedenklichkeit schwinden, ihr Starrsinn der Notwendigkeit sich beugen müßte. Diesen und ähnlichen Gedanken gab er tagelang um so ungestörter sich hin, als Ambrosia in dem Maße, als seine Genesung fortschritt, sich allmählich wieder in ihre Gemächer zurückzog, häufig stundenlange Besprechungen mit dem Pfarrer von Santa Maria Zobenigo, ihrem Beichtvater und Gewissensrate abhielt, und überhaupt auch ihrerseits still in sich versunken, in schweren inneren Kämpfen befangen schien. Auf diese Weise mehr und mehr sich selbst überlassen, verfiel Ruggiero unbewußt in seine alte Gewohnheit, lauf zu denken, in solchem Grade zurück, daß ihm Selbstgespräche zu halten zur zweiten Natur wurde, und wie die Diener in seinem Vorzimmer lächelten, wenn sie die Stimme ihres Herrn mehr oder minder laut in den verschiedensten Tonfällen aus dessen einsamem Gemache herausschallen hörten, so starrten auf der Straße die Vorübergehenden, wenn sie das Mienenspiel und die heftige Bewegung der Hände gewahrten, mit denen Ruggiero seine leise vor sich hingemurmelten Worte begleitete, ihm erstaunt nach, und es fehlte nicht an solchen, die ihm auch jetzt den Beinamen: mezzo matto, nur in einem anderen Sinne, als dies in seiner Jugend geschah, wieder beilegten. Dabei war auch seine frühere Menschenscheu in ihrem weitesten Umfange wieder zurückgekehrt und seine einzige Erholung nach langen, einsam in seiner Stube hingebrachten Tagen bestand darin, daß er sich gegen Abend zur Kirche San Giovanni e Paolo begab und dort in irgendeinem Verstecke, das ihm den Hinblick auf das Reiterstandbild des Colleoni gewährte, die Ankunft Heinrich Ilsungs erwartete, welcher noch immer zur verabredeten Stunde daselbst erschien, täglich der Erscheinung des schwarzen Domino mit der Mulattenlarve um so ungeduldiger harrend, als er bereits wochenlang aller Nachrichten von der Geliebten entbehrte und sich täglich, nachdem er stundenlang verzweifelt vor dem Standbilde auf und nieder geschritten, ebenso trostlos wieder entfernte, als er hoffnungsvoll gekommen war. Zuweilen verschaffte sich Ruggiero, der immer mit Heinrich Ilsung verlarvt und verhüllt verkehrt, und daher nicht zu besorgen hatte, von ihm erkannt zu werden, das absonderliche Vergnügen, ganz nahe an seinem Schützlinge hinzustreifen, die Seufzer seiner Ungeduld zu vernehmen und zu sehen, wie er unmutig den Boden mit den Füßen stampfte, worauf Ruggiero dann wie erquickt durch das Bewußtsein, nicht allein zu leiden, halbgetröstet nach Hause schlich.


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