Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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17. Kapitel

Krieg! Blutiger Krieg!

Hastig kleidete ich mich an und ging mit Umslopogaas zu Sir Henry, dem der Sulu seine Geschichte Wort für Wort wiederholte. Man hätte Curtis' Gesicht dabei sehen sollen.

»Großer Himmel!« sagte er, »hier habe ich ruhig geschlafen, während Nyleptha beinahe ermordet worden wäre – und das durch meine Schuld. Welch Teufelin diese Sorais sein muß! Es wäre ihr recht geschehen, wenn Umslopogaas sie bei der Tat niedergeschlagen hätte.«

»Ja,« sagte der Sulu, »du kannst unbesorgt sein, ich hätte sie niedergeschlagen, ehe sie zustieß. Ich wartete nur auf den Augenblick.«

Ich sagte nichts, dachte aber bei mir, daß viele tausend Menschenleben geschont werden würden, wenn er Sorais den Tod, den sie ihrer Schwester zugedacht hatte, hätte sterben lassen. Und ich hatte recht, wie die Folge lehrte.

Mit seiner Erzählung fertig, verließ uns Umslopogaas ohne alle Umstände, um sich nach seinem Frühstück umzusehen, während Sir Henry und ich den Vorfall der Nacht besprachen.

Zuerst war Sir Henry sehr aufgebracht gegen Good, der 279 unser Vertrauen nicht länger verdiene, da er Sorais geflissentlich auf einer geheimen Treppe habe entfliehen lassen, während es doch seine Pflicht gewesen wäre, sie zu verhaften. Er ließ sich in ganz empörten Ausdrücken über die Sache aus. Ich hörte ihm eine Weile zu, indem ich bei mir dachte, wie leicht es doch ist, die Schwächen der andern zu verurteilen und wie nachsichtig wir gegen unsere eigenen sind. »Wirklich, mein lieber Freund,« sagte ich endlich, »wer Sie reden hört, könnte sich wohl kaum denken, daß Sie derselbe Mann sind, der gestern nachmittag eine Unterredung mit dieser Dame hatte, und der es ungeachtet der Bande, die ihn an eines der schönsten und liebenswürdigsten Weiber der ganzen Welt fesseln, ziemlich schwer fand, ihrem Zauber zu widerstehen. Nehmen Sie nun einmal an, daß Nyleptha einen Mordanfall gegen Sorais versucht und, von Ihnen überrascht, um Ihre Nachsicht gebeten hätte. Würden Sie sich in diesem Falle wohl so sehr beeilt haben, sie offen der Schmach und Schande und dem Feuertode preiszugeben? Sie sollten die Angelegenheit ein wenig auch von Goods Standpunkt aus betrachten, ehe Sie einen alten Freund einen Halunken nennen.«

Er nahm die Abkanzelung unterwürfig hin und gab dann aus freiem Antrieb zu, daß er in der Übereilung gesprochen habe. Es ist eine der besten Charaktereigenschaften von Sir Henry, daß er es stets zugibt, wenn er sich im Unrecht befindet.

Wenngleich ich Good in Schutz nahm, war ich doch nicht blind gegen die Tatsache, daß er sich durch sein Benehmen, so natürlich dieses auch sein mochte, in eine sehr häßliche und schimpfliche 280 Lage gebracht hatte. Ein heimtückischer Mord war versucht worden, und er hatte die Mörderin entweichen lassen. Er war in der Tat auf dem besten Wege, ihr gefügiges Werkzeug zu werden, und ein schlimmeres Schicksal kann keinem Menschen widerfahren. Ein solches Schicksal nimmt immer nur ein Ende. Wenn der Mann, der sich dergestalt zu dem willenlosen Werkzeug eines gewissenlosen Weibes hergibt, ruiniert ist, oder seinen Zweck erfüllt hat, wirft es ihn ohne Zaudern fort und läßt ihn in der Welt nach seiner verlorenen Selbstachtung suchen. Während ich über die Angelegenheit noch nachdachte und mich fragte, was zu tun sei – denn es war ein heikles Thema – vernahm ich plötzlich auf dem Vorhofe lauten Lärm und unterschied die Stimmen von Umslopogaas und Alfons, von denen der erstere wütend schimpfte und der letztere in schrecklicher Angst laut um Hilfe rief.

Als ich hinauseilte, um nach dem Rechten zu sehen, bot sich mir ein komischer Anblick dar. Der kleine Franzose lief in toller Eile über den Vorhof und hinter ihm jagte Umslopogaas wie ein großer Windhund her. Grade als ich nach draußen kam, ereilte er ihn, packte ihn um den Leib und trug ihn einige Schritte weit bis an ein schönes, dichtbepflanztes Blumenbeet, das mit einer der Gardenia ähnlichen aber sehr stacheligen Blume bepflanzt war. Dann warf er den armen Alfons, so sehr dieser sich auch sträubte und wehrte, mit einem mächtigen Wurf kopfüber in den Busch, so daß nichts als ein Paar krampfhaft zuckender Schuhe und Absätze von ihm sichtbar blieben. Zufrieden mit seiner Tat, faltete der Sulu seine Hände und lauschte mit 281 grimmiger Freude dem wirklich entsetzlichen Geschrei des wild ausschlagenden Franzosen.

»Was stellst du da an?« verwies ich ihm sein Tun, als ich zur Stelle gelangt war. »Willst du den Mann töten? Ziehe ihn aus dem Busch heraus!«

Knurrend gehorchte er, indem er den armen Alfons an den Stiefeln ergriff und mit einem Ruck, der den Fuß beinahe aus dem Gelenk gerenkt haben mußte, aus dem Busch hervorzog. Nie habe ich einen solchen Anblick gesehen, wie ihn jetzt der Franzose darbot. Die Kleider hingen ihm in Fetzen am Körper herab, und er blutete an tausend verschiedenen Stellen. So lag er da, schrie und wälzte sich umher, und es war kein vernünftiges Wort aus ihm herauszubringen.

Endlich stand er jedoch auf, verschanzte sich hinter mich und verwünschte dann den alten Umslopogaas bei allen Kalenderheiligen, indem er gleichzeitig bei dem Blute seines heroischen Großvaters schwor, daß er ihn vergiften und sich an ihm rächen wolle.

Zuletzt kam ich der Wahrheit auf den Grund. Alfons pflegte für Umslopogaas die Grütze zu kochen, die dieser jeden Morgen in einer Ecke des Vorhofes mit einem Holzlöffel aus einem ausgehöhlten Kürbis aß, wie er es bei sich zu Hause im Sululand gewöhnt war. Nun hatte Umslopogaas, als echter Sulu, einen heftigen Abscheu vor Fischen, die er für eine Art Wasserschlangen hielt. Um ihn zu ärgern, beschloß Alfons, der wie ein Affe voll toller Streiche steckte, seine Kochkunst zu benutzen, um den 282 Schwarzen doch zu dem widerwärtigen Fischgenuß zu veranlassen. Er hackte daher einen Fisch sehr fein zwischen die Grütze des Sulu und dieser schluckte sie nichts ahnend hinunter. Zum Unglück konnte Alfons seine Freude über den Anblick nicht unterdrücken, sondern tänzelte spöttelnd und höhnisch lachend herum, bis der in seiner Art sehr gescheite Umslopogaas zuletzt Lunte roch und nach einer sorgfältigen Prüfung der Reste seiner Mahlzeit den ihm von der »Büffelkuh« gespielten Streich entdeckte, worüber er dann auf die beschriebene Art und Weise quittierte. Der kleine Mann konnte in der Tat von Glück sprechen, daß er bei dem Abenteuer nicht das Genick gebrochen hatte, seine frühere Erfahrung aber hätte ihn schon lehren sollen, daß mit »Monsieur le noir« nicht zu spassen war.

Der Zwischenfall war an und für sich herzlich unbedeutend und ich erwähne ihn nur, weil er zu ernsten Folgen führte. Sobald er sich von dem Blut gereinigt und gewaschen hatte, ging Alfons, noch immer fluchend, davon, um seinen Zorn verrauchen zu lassen, ein Prozeß, der, wie ich aus Erfahrung wußte, immer sehr lang bei ihm dauerte. Als er fort war, kanzelte ich Umslopogaas tüchtig ab und sagte ihm, daß ich mich seiner schäme.

»Ach, Macumazahn,« entgegnete er, »du mußt nachsichtig mit mir sein, denn hier bin ich nicht am rechten Platz. Ich bin es todmüde, zu essen, zu trinken, zu schlafen und herumzutändeln. Dieses ruhige Leben in den Steinhäusern behagt mir nicht. Es nimmt den Männern den Mut, verwandelt ihre Stärke in Wasser und ihr Fleisch in Fett. Die weißen Kleider und die 283 zarten Frauen, das Schmettern der Trompeten und das Jagen mit den Falken gefallen mir nicht. Als wir in dem Kraal mit den Massai kämpften, ah, da lohnte es sich noch zu leben. Hier aber wird nie ein Streich im Ernst versetzt, und fast möchte ich glauben, daß ich den Weg meiner Väter gehen und Inkosi-Kaas nicht mehr schwingen werde,« und er hob die Axt in die Höhe und sah sie betrübt an.

»Ah,« sagte ich, »ist das dein Kummer? Die Blutkrankheit ist über dich gekommen und den ›Holzhacker‹ verlangt es nach einem Baum – und das in deinem Alter. Schäme dich, Umslopogaas!«

»Ja, Macumazahn, mein Handwerk ist rot, aber dennoch besser und ehrlicher als manches andere. Besser ist es, einen Mann in ehrlichem Kampf zu erschlagen, als ihm nach Art der Weißen durch Schachern und Handeln und Wucher das Herzblut auszusaugen. So viele Männer ich auch erschlug, so ist doch keiner darunter, dem ich mich fürchten würde, wieder ins Auge zu blicken. Ja, viele von ihnen waren einst meine Freunde, und ich würde gern wieder einmal mit ihnen schnupfen. Doch siehe, du gehst deine Wege und ich die meinen, jeder nach der Art seines Volkes und seines Landes. Der Ochse aus dem Veldt stirbt in dem fetten Buschland und so geht es auch mir, Macumazahn. Ich bin rauh, und im Jähzorn weiß ich nicht, was ich tue. Dennoch aber wirst du traurig sein, wenn die Nacht mich verschlingt und ich ganz in Finsternis verloren bin. Denn in deinem Herzen liebst du mich, mein Vater, Macumazahn der Fuchs, obwohl ich 284 nichts als ein alter gebeugter Sulu-Kriegshund bin – ein Häuptling, für den es in seinem eigenen Kraal keinen Platz gibt, ein Ausgestoßener und ein Wanderer in fremden Ländern. Ja, ich liebe dich, Macumazahn, denn wir sind zusammen grau geworden und ein unsichtbares Band verbindet uns, das sich nicht brechen läßt.« Und er zog seine Schnupftabaksdose, die aus einer alten Patronenhülse bestand, aus dem Schlitz in seinem Ohr, wo er sie immer trug, hervor und reichte sie mir.

Ich nahm die Prise nicht ohne Rührung. Es traf wirklich zu, ich war dem blutdürstigen alten Halunken sehr zugetan. Ich weiß nicht, worin der Reiz seines Charakters bestand, er hatte aber einen eigenen Reiz. Vielleicht war es seine wilde Ehrlichkeit und Offenheit, vielleicht auch seine fast übermenschliche Gewandtheit und Kraft, vielleicht auch seine einzigartige Ursprünglichkeit. Offen gestanden, bei all meiner Erfahrung mit Wilden habe ich nie einen kennen gelernt, der sich ihm vergleichen ließ. Er war so weise und dabei solch ein Kind und hatte, obwohl es lächerlich klingt, ein zartes Herz, wie die Yankees sagen. Auf jeden Fall war ich ihm sehr zugetan, obwohl es mir nie eingefallen wäre, es ihm zu gestehen.

»Ja, alter Wolf,« sagte ich, »deine Liebe äußert sich auf seltsame Weise. Du würdest mich morgen erschlagen, wenn ich dir im Wege stände.«

»Du sprichst die Wahrheit, Macumazahn. Das würde ich, wenn die Pflicht es mir geböte. Dennoch würde ich dich darum nicht weniger lieben. Ist denn gar keine Aussicht vorhanden, daß 285 es hier zum Kampf kommt, Macumazahn?« fragte er dann mit schmeichelnder Stimme. »Nach dem, was ich gestern abend sah, möchte ich meinen, daß die beiden großen Königinnen miteinander verfeindet seien. Die Königin der Nacht würde sonst nicht diesen Dolch bei sich getragen haben.«

Ich pflichtete ihm bei und erzählte ihm, wie die Sachlage stand, und daß die Königinnen sich um Incubu stritten.

»Ah, ist dem wirklich so?« rief er aus und sprang vor Entzücken in die Höhe. »Dann wird es auch Krieg geben, so sicher wie die Flüsse zur Regenzeit anschwellen – Krieg bis ans Ende. Frauen lieben den letzten Streich nicht minder als das letzte Wort, und wenn Liebe der Grund ihrer Feindschaft ist, sind sie unbarmherzig wie ein verwundeter Büffel. Siehe, Macumazahn, ein Weib wird in Blut schwimmen, um ihr Verlangen durchzusetzen und sich nichts dabei denken. Ich habe es mit diesen Augen einmal und auch zweimal gesehen! Ah, Macumazahn, wir werden diese schönen Häuser noch brennen sehen und den Schlachtruf durch die Straßen tönen hören. Ich bin also doch nicht vergeblich gewandert. Ob diese Leute wohl fechten können?«

In diesem Augenblick schloß Sir Henry sich uns an und auch Good, der sehr blaß und hohläugig aussah, stieß aus einer anderen Richtung zu uns. Sobald Umslopogaas den letzteren erblickte, unterbrach er seine blutdürstige Rede und begrüßte ihn.

»Ah, Bugwan,« rief er, »ich grüße dich, Inkoos! Du bist gewiß müde. Hast du gestern zu viel gejagt?« Dann fuhr er, ohne eine Antwort abzuwarten, fort: 286

»Lausche, Bugwan, und ich will dir eine Geschichte erzählen; da sie von einer Frau handelt, wirst du mir wohl Gehör schenken.

Es war einmal ein Mann und er hatte einen Bruder; und es war ein Weib, das den Bruder des Mannes liebte, während es selbst von dem Manne geliebt wurde. Des Mannes Bruder aber hatte eine Lieblingsfrau und liebte nicht das Weib, sondern verlachte es. Da ging das Weib, das sehr listig und rachsüchtig war, mit sich zu Rat und sagte zu dem Mann: ›Ich liebe dich und will dich heiraten, wenn du deinen Bruder bekriegen willst.‹ Und obwohl er wußte, daß es eine Lüge sprach, so lauschte er doch in seiner großen Liebe zu dem Weibe, das sehr schön war, den Worten und erklärte Krieg. Als viele Leute erschlagen waren, sandte sein Bruder zu ihm und fragte: ›Warum bekämpfest du mich? Welchen Schaden habe ich dir zugefügt? Habe ich dich nicht von Jugend an geliebt? Habe ich nicht für dich gesorgt, als du klein warst, haben wir nicht zusammen Krieg geführt und unter uns die Beute geteilt, Mädchen für Mädchen, Ochs für Ochs und Kuh für Kuh? Warum verfolgst du mich, mein Bruder, Sohn meiner eigenen Mutter?‹

Da wurde des Mannes Herz schwer, er sah ein, daß er auf üblen Pfaden wandelte, stieß die Verlockung des Weibes von sich, hörte auf, Krieg mit seinem Bruder zu führen und lebte in Frieden in demselben Kraal mit ihm. Nach einer Weile kam das Weib zu ihm und sagte: ›Ich habe die Vergangenheit vergessen und will dein Weib sein‹, und er wußte in seinem Herzen, daß es 287 eine Lüge war und daß sie Böses plante. Dennoch nahm er sie um seiner Liebe willen zum Weib.

Und in der Nacht, die ihrem Hochzeitstage folgte, stand das Weib, als der Mann in tiefem Schlaf ruhte, auf, nahm ihm die Axt aus der Hand, kroch in die Hütte seines Bruders und erschlug ihn in seinem Schlummer. Dann schlich es wie eine gesättigte Löwin zurück, legte ihm den Griff der blutigen Axt in die Hand und ging seiner Wege.

Als der Morgen graute, erhob sich ein Geschrei: ›Lousta ist in der Nacht erschlagen worden‹, und die Leute kamen in die Hütte des Mannes, fanden ihn schlafend und neben ihm die blutige Axt. Da erinnerten sie sich des früheren Krieges und sagten: ›Siehe da, er hat wahrhaftig seinen Bruder erschlagen‹, und sie würden ihn ergriffen und getötet haben, wenn er nicht schneller als sie gewesen und ihnen entflohen wäre. Und auf der Flucht erschlug er im Vorübereilen das Weib.

Der Tod konnte jedoch das Böse nicht tilgen, das sein Weib angestiftet hatte, und auf ihm ruhte das Gewicht der ganzen Sünde. Darum ist er ein Flüchtling, und sein Name ein Schimpfwort unter seinem Volk, und darum irrt er in der Fremde umher, ohne einen Kraal oder einen Ochsen oder ein Weib sein eigen zu nennen. Und darum auch wird er in der Fremde sterben wie ein altes Wild, sein Name wird von Geschlecht zu Geschlecht verflucht werden, und man wird ihm nachreden, daß er seinen Bruder Lousta verräterisch in der Nacht erschlug.« 288

Der alte Sulu hielt inne, und ich sah, daß seine Geschichte ihn tief ergriffen hatte. Plötzlich richtete er sein Haupt, das auf die Brust gesunken war, wieder auf und fuhr fort:

»Ich bin jener Mann, Bugwan. Ah! Ich bin jener Mann und nun höre mir wohl zu. Das, was ich war, wirst auch du werden – ein Werkzeug, ein Spielding, ein Zugochse, der die Übeltaten eines anderen trägt. Lausche! Als du der Königin der Nacht nachschlichst, war ich dir dicht auf den Fersen. Als sie in dem Schlafgemach der Weißen Königin das Messer gegen dich zückte, war ich auch dort. Als du sie wie eine Schlange zwischen den Steinen entweichen ließest, sah ich dich und wußte, daß sie dich bezaubert und daß ein wahrer Mann den Pfad der Wahrheit verlassen hatte, um auf krummen Wegen zu wandeln. Vergib mir, mein Vater, wenn meine Worte scharf sind, sie kommen aber aus einem vollen Herzen. Meide sie, so wirst du mit Ehren in die Grube fahren, sonst aber wird es dir, der Schönheit eines Weibes wegen, ergehen wie mir und vielleicht mit mehr Ursache. Ich habe gesprochen.«

Während dieser langen, beredten Ansprache hatte Good kein Wort gesprochen. Als es sich jedoch herausstellte, wie ähnlich die Geschichte seinem eigenen Fall war, errötete er und seine Niedergeschlagenheit nahm noch mehr zu, als er erfuhr, daß der Auftritt zwischen ihm und Sorais einen Zuschauer gehabt hatte. Als er endlich sprach, geschah es in einem an ihm ganz ungewohnt demütigen Ton.

»Ich muß gestehen,« sagte er mit bitterem Lachen, »daß ich 289 kaum gedacht hätte, noch eines Tages von einem Sulu an meine Pflicht erinnert zu werden. Es beweist aber wiederum, wohin es mit uns kommen kann. Ich frage mich, ob ihr wohl erratet, wie gedemütigt ich mich fühle, und das Bitterste dabei ist, daß ich diesen Tadel verdiene. Natürlich hätte ich Sorais der Wache übergeben sollen, ich brachte es jedoch nicht fertig. Ich ließ sie gehen und versprach ihr, nichts zu verraten. Um so größer ist jetzt meine Schande. Sie sagte mir, daß, wenn ich ihre Partei ergriffe, sie mich heiraten und mich zum König des Landes machen wolle. Ich danke jedoch dem Schöpfer, daß ich den Mut zu der Antwort fand, daß ich selbst um diesen Preis meine Freunde nicht verlassen könnte. Und nun fanget mit mir an, was ihr wollet. Möget ihr aber nie in die Lage kommen, ein Weib mit allen Fasern eures Herzens zu lieben und dann so schwer von ihm versucht zu werden.« Und er wandte sich zum Gehen.

»Hier geblieben, alter Freund,« sagte Sir Henry, »auch ich habe Ihnen eine kleine Geschichte zu erzählen.« Und er berichtete, was am Tage zuvor zwischen Sorais und ihm stattgefunden hatte.

Dies brachte Good nun vollends zur Vernunft. Kein Mann hört es gern, daß man ihn zum besten gehabt hat; wenn aber die Umstände so außergewöhnlich abstoßend wie in dem vorliegenden Falle sind, so läßt sich eine bitterere Pille kaum denken.

»Wißt ihr,« sagte er, »ich glaube, ihr habt mich gründlich kuriert,« mit diesen Worten entfernte er sich und nahm mein aufrichtiges Mitgefühl mit sich. Ach, wenn die Motten nur 290 immer die Kerze vermeiden wollten, wie wenige sich da wohl die Flügel verbrennen würden!

Es war grade ein Galatag, an dem die Königinnen in dem großen Saal saßen, Bittschriften entgegennahmen und Gesetze, Geldbewilligungen wie andere Gegenstände erörterten. Dorthin begaben wir uns bald darauf und unterwegs schloß sich Good uns an, der außerordentlich niedergedrückt aussah.

Als wir in den Saal traten, hatte Nyleptha bereits ihren Thron eingenommen und, von Räten, Höflingen, Anwälten, Priestern und einer auffallend starken Wache umgeben, mit der Erledigung der üblichen Fragen begonnen. Aus den aufgeregten und erwartungsvollen Gesichtern der Anwesenden konnte man indes unschwer den Schluß ziehen, daß sie den auf der Tagesordnung stehenden Angelegenheiten keine besondere Aufmerksamkeit schenkten, da die Kunde, daß ein Bürgerkrieg zu erwarten sei, bereits in den weitesten Kreisen bekannt geworden war. Wir begrüßten Nyleptha und nahmen unsern gewohnten Platz ein. Eine kleine Weile ging es in der hergebrachten Weise fort, bis plötzlich vor dem Palast die Trompeten schmetterten, und die dort in Erwartung eines außergewöhnlichen Ereignisses angesammelte Menge in das Geschrei: – Sorais! Sorais! ausbrach.

Dann vernahmen wir das Rasseln vieler Wagenräder, die großen Vorhänge am Eingang des Saales wurden zur Seite geschlagen und es trat durch die Öffnung die Königin der Nacht herein. Sie kam nicht allein; ihr voran schritt der Hohepriester 291 Agon, in seine prachtvollsten Gewänder gekleidet, und andere Priester folgten. Der Grund ihrer Anwesenheit lag auf der Hand – es wäre ein Verbrechen gegen die Religion gewesen, hätte man sich Sorais' Person unter den Augen der Priester bemächtigen wollen. Hinter ihr schritt ferner eine Anzahl der ersten Häuptlinge des Landes und hinter diesen wiederum eine kleine aber sorgfältig ausgewählte militärische Bedeckung. Ein Blick auf Sorais ließ erkennen, daß sie nicht in friedlicher Absicht kam, denn an Stelle ihres goldgestickten »Kaf« trug sie eine glänzende, aus goldenen Schuppen zusammengesetzte Tunika und auf dem Haupte einen goldenen Helm. In ihrer Hand hielt sie einen wunderschönen kleinen Speer aus reinem Silber. In ihrem selbstbewußten Stolz und ihrer Schönheit einer Löwin vergleichbar, schritt sie den Saal hinauf, während die Zuschauer zurücktraten und einen Pfad für sie freigaben. Bei dem heiligen Stein hielt sie an, legte ihre Hand darauf und rief Nyleptha mit lauter Stimme zu: »Heil, o Königin!«

»Heil meiner königlichen Schwester!« antwortete Nyleptha. »Tritt näher und fürchte dich nicht.«

Sorais antwortete mit hochmütigem Blick und rauschte den Saal weiter hinauf, bis sie unmittelbar vor dem Throne stand.

»Eine Gunst, Königin!« rief sie wiederum.

»Sprich, meine Schwester, was kann ich dir geben, die du das halbe Königreich besitzest?«

»Ich bitte dich, mir die Wahrheit zu offenbaren – mir und dem Zu-Vendi-Volk. Stehst du oder stehst du nicht im Begriff, 292 diesen fremdländischen Wolf,« und sie deutete mit ihrem zierlichen Speer auf Sir Henry, »zum Gatten zu nehmen, daß er deinen Thron mit dir teile?«

Curtis zuckte über die Beleidigung zusammen und flüsterte Sorais, sich ihr zuwendend, zu: »Mich dünkt, Königin, daß du gestern andere Namen für mich hattest, als Wolf.« Und ich sah sie in ihre Lippen beißen, und das Blut färbte ihre Wangen tiefrot. Was Nyleptha anbetraf, so beantwortete sie, da das Geheimnis jetzt entdeckt und durch Verschweigen nichts zu gewinnen war, die Frage auf eine neue, ebenso originelle wie wirksame Manier, zu der sie, wie ich fast glaube, nicht minder durch Gefallsucht, wie durch das Verlangen, über ihre Nebenbuhlerin zu triumphieren, angetrieben wurde.

Sie erhob sich, stieg von dem Thron herab und rauschte in all ihrer königlichen Pracht und Anmut auf ihren Geliebten zu, bei dem sie anhielt und die goldene, um ihren Arm geschlungene Schlange löste. Dann kniete er auf dem Marmorboden vor ihr nieder, worauf sie die goldene Schlange mit beiden Händen ergriff, um seinen Hals legte, ihn auf die Stirn küßte und ihren Herrn nannte.

»Du siehst,« wandte sie sich zu ihrer Schwester, als sich die Aufregung der Zuschauer ein wenig gelegt hatte – »ich habe dem Wolf meinen Armreifen um den Hals gelegt und siehe! er soll von nun an mein Wachthund sein. Da hast du die Antwort, die ich dir, o meine Schwester, Königin Sorais, und deinem Gefolge gebe. Fürchte dich nicht,« und sie lächelte ihrem Geliebten 293 holdselig zu, dabei auf die goldene Schlange deutend, die sie zweimal um seinen starken Hals gewunden hatte, »ist mein Joch auch schwer, so besteht es doch aus reinem Gold und es soll dich nicht schmerzen.«

Dann fuhr sie, zu den Zuhörern gewandt, mit klarer stolzer Stimme fort: »Ja, Königin der Nacht, Edelleute, Priester und ihr übrigen, mit diesem Zeichen nehme ich den Fremdling hier in eurer Gegenwart zum Gatten. Was, ich, eine Königin, soll nicht das Recht haben, mir den Mann zu wählen, den ich liebe? Dann wäre ich niedriger gestellt als das geringste Mädchen in meinen Provinzen. Nein, er hat mein Herz und damit meine Hand, den Thron und alles, was ich besitze, gewonnen. Und wäre er ein Bettler und nicht der große Häuptling, schöner und stärker, weiser und erfahrener als alle hier Anwesenden gewesen, hätte ich ihm gleichfalls alles gegeben, um wieviel mehr jetzt, da er im Besitz so vieler Vorzüge ist.« Und sie ergriff seine Hand, blickte ihn stolz an und stand kühn dem Volk gegenüber. Und so groß war ihr Liebreiz und die Macht und Würde ihrer Person und so schön sah sie aus, Hand in Hand an der Seite ihres Geliebten stehend, seiner und ihrer selbst so sicher und bereit, alles für ihn zu wagen und alles für ihn zu ertragen, daß die meisten Anwesenden von dem Feuer in ihren Augen und dem glücklichen Ausdruck ihres errötenden Gesichts ergriffen wurden und ihr wie toll zujubelten. Es war ein kühner Streich, den sie gewagt hatte, bei den Zu-Vendi aber wie auch anderswo liebt die menschliche Natur das Kühne, das nicht Bedenken trägt, sich über die 294 konventionellen Schranken hinwegzusetzen, und das sich besonders an die Einbildungskraft und das dichterische Gefühl der Masse wendet.

Das Volk jubelte, daß der Saal widerhallte, die Königin der Nacht aber stand gesenkten Blickes da, denn sie vermochte den Triumph ihrer Schwester, der sie des Mannes beraubte, den sie für sich zu gewinnen gedachte, nicht mit anzusehen. Und in der Ohnmacht ihres eifersüchtigen Zornes zitterte sie wie ein Espenblatt im Wind. Ein wirklich hübsches Weib bietet in seinem Zorn immer einen schönen Anblick dar, solche Schönheit aber und solchen Zorn sah ich nie zuvor beieinander und ich kann nur sagen, daß die Wirkung, die sie hervorbrachten, ihrer würdig war.

Sorais richtete ihr weißes Antlitz in die Höhe, ihre Zähne waren zusammengepreßt. Dreimal versuchte sie zu sprechen und dreimal versagte ihr die Sprache. Endlich fand sie jedoch ihre Stimme wieder. Drohend erhob sie ihren Silberspeer, an dem sich das Licht brach wie an den goldenen Schuppen ihres Panzers.

»Und denkst du, Nyleptha,« sagte sie mit einer Stimme, die wie eine Trompete durch den großen Saal schmetterte, »denkst du, daß ich, Sorais, eine Königin der Zu-Vendi, es diesem niedrigen Ausländer gestatten werde, auf meines Vaters Thron zu sitzen und Mischlinge zu züchten, die die Stelle des großen Hauses der Treppe einnehmen? Nie! Nie! Solange noch ein Funken Leben in mir ist und ein Mann mir Folgschaft leistet! Wer steht auf meiner Seite? Ich frage, wer?

Überantworte diesen ausländischen Wolf und die 295 Raubgesellen bei ihm dem Feuertode, denn haben sie nicht die tödliche Sünde gegen die Sonne begangen? Wo nicht, Nyleptha, erkläre ich dir Krieg, blutigen Krieg! Ja, flammende Städte sollen den Pfad deiner Leidenschaft beleuchten und das Blut deiner Anhänger ihn benetzen. Auf dein Haupt die Verantwortung für die Tat. Mögen die Seufzer der Sterbenden und das Geschrei der Witwen und Waisen immer und immer in deinen Ohren widertönen.

Ich sage dir, ich will dich, Nyleptha, die Weiße Königin, vom Throne reißen, von der höchsten Stufe der großen Treppe sollst du in den Abgrund hinunter geschleudert werden, da du den Namen ihres Erbauers mit schwarzer Schande bedeckt hast.

Und ich sage euch, ihr Fremden – euch allen, Bugwan allein ausgenommen, dem ich das Leben schenke, weil er mir einen Dienst erwiesen hat, doch nur, wenn er diese Männer verlassen und mir folgen will (hier schüttelte der arme Good heftig sein Haupt und rief auf Englisch: »Niemals!«) – »daß ich euch mit Gold überziehen und noch lebend in Ketten an den vier goldenen Trompeten der vier Engel, auf den höchsten Spitzen des Tempels im Osten und Westen, Norden und Süden aufhängen lassen will, so daß ihr dem Volk eine Warnung und ein abschreckendes Beispiel seid. Und was dich anbetrifft, Incubu, so sollst du eine noch grausamere Todesart sterben, die ich dir jetzt noch nicht nennen will.«

Sie schwieg und rang nach Atem, von ihrer Leidenschaft wie von einem Sturm geschüttelt, und ein halb entsetztes, halb 296 bewunderndes Gemurmel drang durch den Saal. Dann antwortete Nyleptha ruhig und würdevoll:

»Übel würde es mir und meiner Stellung anstehen, o Schwester, so zu reden wie du geredet, und so zu drohen, wie du gedroht hast. Wenn du aber Krieg anfangen willst, so werde ich den Kampf aufnehmen. Zart wie meine Hand zu sein scheint, wirst du sie doch eisern finden, wenn sie deine Armeen am Halse packt. Sorais, ich fürchte dich nicht. Ich weine um des Unheils willen, das du auf dich und unser Volk herabbringen wirst; was mich selbst jedoch anbetrifft, so sage ich – ich fürchte dich nicht. Und hast du nicht erst gestern versucht, meinen Geliebten und meinen Herrn, den du heute einen fremdländischen Wolf nennst, zu deinem Geliebten und deinem Herrn zu gewinnen?« (Hier gab sich ungeheure Aufregung in dem Saale kund.) »Und hast du nicht gestern abend, wie ich erst jetzt nach deinem Eintritt erfahren, versucht, mich, deine Schwester, hinterlistig zu ermorden, während ich im Schlafe lag?«

»Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr!« rief Agon und mit ihm eine ganze Anzahl anderer Stimmen aus.

»Es ist wahr,« sagte ich und hielt die abgebrochene Dolchklinge in die Höhe. »Wo ist das Heft, das hierzu gehört, o Sorais?«

»Es ist wahr,« rief Good aus, entschlossen wenigstens jetzt als ehrlicher Mann zu handeln. »Ich hielt die Dame in der Nacht vor dem Bett der Weißen Königin an und an meiner Brust zerbrach der Dolch.« 297

»Wer steht auf meiner Seite?« unterbrach Sorais ihn laut und schüttelte dabei ihren silbernen Speer, denn sie sah, daß die öffentliche Teilnahme sich gegen sie wandte. »Was, Bugwan, du kommst nicht?« flüsterte sie Good, der ihr ganz nahe stand, mit leiser eindringlicher Stimme zu. »Schwachherziger Tor du. Zum Lohn soll sich dein Herz in Liebe nach mir verzehren und nicht Befriedigung finden, während du mein Gatte und ein König hättest sein können! Zum mindesten halte ich dich in unzerbrechlichen Ketten.

Krieg! Krieg! Krieg! Hier mit meiner Hand auf dem heiligen Stein, der, so lautet die Prophezeiung, so lange dauern soll, bis die Zu-Vendi ihren Nacken unter ein fremdes Joch beugen, erkläre ich Krieg bis ans Ende. Wer folgt der Königin der Nacht zu Sieg und Ehre?«

Sofort begann sich die ganze Versammlung in unbeschreiblicher Verwirrung aufzulösen. Viele Anwesenden beeilten sich, ihr Geschick an das von Sorais zu knüpfen, doch gingen aus ihrem Gefolge auch einige zu uns über. Zu den ersteren zählte gleichfalls ein Unteroffizier von Nylepthas Leibwache, der plötzlich kehrt machte und der Tür zulief, durch die Sorais' Anhänger hinausdrängten. Da das Beispiel dieses Soldaten schädlich hätte wirken können, sprang Umslopogaas, der den ganzen Auftritt beobachtet hatte, ihm mit bewundernswerter Geistesgegenwart nach und schlug mit seiner Axt nach ihm. Obwohl sich der Mann verzweifelt mit seinem Schwert zur Wehr setzte, streckte ihn doch der Sulu nach wenigen Sekunden unter lautem Triumphgeschrei nieder. 298

Dies war das erste Blut, das in dem Krieg vergossen wurde. »Schließt die Tore!« schrie ich, da ich dachte, daß wir Sorais vielleicht noch gefangen nehmen könnten, wobei ich mich durch den Gedanken an die Gegenwart der Priester wenig stören ließ. Der Befehl kam jedoch zu spät. Schon zogen ihre Anhänger durch die Tore und in der nächsten Minute hallten die Straßen von dem wütenden Galopp ihrer Pferde und dem Rollen ihrer Wagen wider.

So sauste, etwa die Hälfte des Volkes nach sich ziehend, Sorais wie ein Wirbelwind durch die Felsenstadt und ihrem Hauptquartier, der etwa zweihundert Kilometer von Milosis nördlich gelegenen Festung Marstuna zu.

Von jetzt an hallte die Stadt von dem endlosen Marsch der Regimenter und den Vorbereitungen für den kommenden Krieg wider, und abermals saß der alte Umslopogaas im Sonnenschein und schliff die Schneide von Inkosi-Kaas. 299

 


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