Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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7. Kapitel

Ein schauriges Gemetzel

Dann trat eine Pause ein und inmitten tiefen eisigen Schweigens erwarteten wir den Augenblick zum Aufbruch. Von allem stellte vielleicht nichts so sehr unsere Nerven auf die Probe wie jene lange, lange Viertelstunde. Die Minuten schleppten sich unendlich träge hin, und die Ruhe, die feierliche Stille, die unheilschwanger um und über uns brütete, wirkte allgemein höchst niederdrückend. Es fiel mir ein, daß ich einmal vor Tagesanbruch aufgestanden war, um einen Mann hängen zu sehen, und daß ich damals ganz ähnliche Empfindungen verspürte. Die Lage war in dem jetzigen Falle nur insofern verschieden, als ich mich nicht in die Rolle des teilnahmsvollen Zuschauers, sondern eher der zu operierenden Person befand. Die ernsten Gesichter der Männer, die wohl wußten, daß einige, wenn nicht alle von ihnen, im Verlauf einer kurzen Stunde den letzten großen Gang in das Unbekannte oder das Vergessen anzutreten hatten, ihr gedämpftes Flüstern, selbst die Art und Weise, wie Sir Henry seine Holzhaueraxt fortgesetzt und nachdenklich betrachtete, und Good sein Einglas putzte – all diese Zeichen verrieten, daß die Nerven bis auf den höchsten Grad angespannt waren. Umslopogaas allein, 105 der sich wie gewöhnlich auf Inkosi-Kaas lehnte und hin und wieder eine Prise Schnupftabak nahm, war dem Anschein nach gänzlich frei von aller Aufregung. Seine eisernen Nerven vermochte eben nichts zu erschüttern.

Mittlerweile war eine geraume Zeit verstrichen und der Mond dem Horizont immer näher und näher gekommen. Jetzt verschwand er und ließ die Welt in Dunkelheit zurück, von einem schwachen grauen Schimmer am östlichen Himmel abgesehen, der das Nahen der Dämmerung ankündete.

Herr Mackenzie nahm nun seine Uhr in die Hand, während seine Frau ihn umklammert hielt und vergebens ihr Schluchzen zu unterdrücken suchte.

»Es fehlen noch zwanzig Minuten an Vier,« sagte er. »Um zwanzig Minuten nach Vier sollte es zum Angriff hell genug sein. Kapitän Good, meinen Sie nicht auch, daß es Zeit für Sie ist? Sie müssen doch drei bis vier Minuten Vorsprung haben.«

Good putzte noch einmal sein Einglas, nickte uns, was ihn sicherlich eine gehörige Anstrengung kostete, in drolliger Weise zu, zog, stets höflich, seine Stahlkappe zum Abschied vor Frau Mackenzie ab und setzte sich nach seinem Platze an der Spitze des Kraals in Bewegung. Eingeborene liefen ihm dabei als Führer auf den nur ihnen bekannten Pfaden voran. In demselben Augenblick kam grade einer der Kundschafter mit der Meldung zurück, daß in dem Massai-Lager jetzt jedermann fest zu schlafen scheine. Sie hätten nur zwei Schildwachen aufgestellt, die vor den beiden Eingängen auf und ab gingen. Dann machten auch wir andern 106 uns auf den Weg. An der Spitze schritt der Führer und hinter ihm Sir Henry, Umslopogaas, die Wakwafi-Askari und die beiden mit langen Speeren und Schilden bewaffneten Missionsneger. Ich folgte unmittelbar darauf mit Alfons und fünf, sämtlich mit Gewehren ausgerüsteten Eingeborenen, während Herr Mackenzie mit den sechs übrigen Eingeborenen die Nachhut bildete.

Der von den Massai als Lagerplatz benutzte Viehkraal lag am Fuße des Hügels, auf dem sich das Haus erhob, d. h. etwa achthundert Schritte von dem Missionsgebäude entfernt. Von dieser Strecke legten wir die ersten fünfhundert Schritte ruhig aber schnell zurück, dann krochen wir schweigsam wie Jagdleoparden vorwärts, indem wir wie Gespenster von Busch zu Busch und von Stein zu Stein huschten. Als ich ein kleines Stückchen Wegs gegangen war, blickte ich mich zufällig um und sah den furchtbaren Alfons mit kreidebleichem Gesicht und zitternden Knien uns nachschlottern. Sein Gewehr, dessen Hahn gespannt war, hielt er so, daß es direkt meinen Rücken bedrohte. Nachdem ich den Hahn vorsichtig zurückgestellt hatte, setzten wir ungestört unseren Marsch fort, bis wir dem Kraal auf etwa hundert Schritt nahe gekommen waren, als plötzlich Alfonsens Zähne in der außerordentlichsten Weise zu klappern anfingen.

»Ich bringe Sie um, wenn Sie nicht still sind,« flüsterte ich ihm empört zu, da der Gedanke, eines zähneklappernden Koches wegen unser Leben zu verlieren, mir denn doch zu viel war. Ich begann zu fürchten, daß er uns verraten würde und wünschte von Herzen, daß wir ihn zurückgelassen hätten. 107

»Aber, Monsieur,« entgegnete er, »ich kann nichts dafür, die Kälte ist schuld daran.«

Was tun? Meine Verlegenheit war groß. Zum Glück fiel mir aber ein Ausweg ein. In einer Rocktasche trug ich einen kleinen schmutzigen Lappen bei mir, den ich kurz zuvor zum Gewehrreinigen benutzt hatte. »Stecken Sie das in Ihren Mund,« flüsterte ich wiederum und reichte ihm den Lappen, »und wenn ich noch einen einzigen Laut höre, sind Sie ein toter Mann.« Ich wußte, daß sein Zähneklappern jetzt aufhören würde. Zudem hatte ich ihm auch wohl ein sehr zorniges Gesicht gezeigt, denn Alfons gehorchte mir sofort und setzte seinen Weg schweigend fort. Dann krochen wir weiter.

Endlich waren wir dem Kraal bis auf fünfzig Schritte nahe. Von ihm trennte uns nur eine grasbewachsene Ebene, auf der uns ein einsamer Mimosenbaum und einige dichte Distelbüsche etwas Deckung verhießen. Noch lagen wir in ziemlich dichtem Gebüsch verborgen. Schon wurde es aber hell. Die Sterne waren erloschen und im Osten tauchte ein matter Schein auf, der sich auf der Erde widerspiegelte. Wir konnten die Umrisse des Kraals ziemlich klar sehen und auch die hin und wieder noch aufflackernden Lagerfeuer der Massai erkennen. Wir hielten an und warteten, da wir wußten, daß vor dem Eingang ein Posten aufgestellt war. Jetzt erschien er, ein langer, stämmiger Bursche, der nachlässig die ihm zugewiesene Strecke auf und ab ging. Wir hatten gehofft, ihn im Schlaf zu überraschen, das sollte aber nicht sein. Im Gegenteil erschien er mir ganz besonders wachsam. 108 Wenn wir nicht jenen Mann töten und geräuschlos töten konnten, waren wir verloren. Wir kauerten uns also nieder und warteten. Plötzlich gab uns Umslopogaas, der mir einige Schritte voraus war, ein Zeichen, und in der nächsten Sekunde sah ich ihn wie eine Schlange sich auf dem Bauche durch das Gras winden.

Ahnungslos fing die Schildwache an, ein Liedchen zu trillern, während Umslopogaas weiterkroch. Unbemerkt erreichte er den Schutz des Mimosenbaums, wo er einige Augenblicke wartete. Noch immer schritt die Schildwache auf und nieder. Jetzt wandte sie sich ab und blickte über die Mauer ins Lager. In demselben Augenblick auch war die menschliche Schlange, die sie beschlich, um zehn Schritt weiter geglitten und erreichte eines der Dornengebüsche, grade als sich der Elmoran wieder umwandte. Anscheinend kam ihm das Dornengebüsch gegen früher verändert vor. Er ging einen Schritt darauf zu, machte Halt, gähnte, bückte sich, nahm einen kleinen Kiesel auf und warf ihn nach dem Gebüsch. Zum Glück traf er Umslopogaas auf den Kopf und nicht auf die Rüstung, in welch letzterem Falle der Klang uns verraten hätte. Zum Glück bestand das Kettenhemd aus braunem und nicht aus glänzendem Stahl, dessen Schein der Wache sonst gewiß nicht entgangen wäre. Überzeugt, daß alles in Ordnung sei, stellte der Massai dann seine Nachforschungen ein und begnügte sich damit, auf seinen Speer gelehnt, nachlässig nach dem Gebüsch zu blicken. So stand er, offenbar in eine angenehme Träumerei versunken, mindestens drei Minuten lang da, während wir in der schrecklichsten Angst in unserm Versteck lagen und 109 jeden Augenblick unsere Entdeckung oder das Eintreten eines sonstigen unglücklichen Zufalls befürchteten. Ich hörte, wie sich Alfons' Zähne verzweiflungsvoll in den Fettlappen einbissen und hielt es für angebracht, ihm aufs neue eine drohende Grimasse zu schneiden. Mein Herz war aber, um die Wahrheit zu gestehen, nicht minder unruhig wie des kleinen Franzosen Kastagnetten, und starker Schweiß bedeckte meinen ganzen Körper, so daß das mit Waschleder gefütterte Hemd in unangenehmer Weise an mir festklebte. Alles in allem befand ich mich in jenem kläglichen Zustand, der meist als »Angstfieber« bekannt ist.

Endlich fand auch diese Prüfung ihr Ende. Die Schildwache blickte nach dem Osten und schien mit Genugtuung wahrzunehmen, daß ihre Dienstzeit sich dem Ende nahte – wie es in der Tat, und zwar für immer, der Fall war – denn sie rieb sich ihre Hände und begann wiederum schnell auf und ab zu gehen, um sich zu erwärmen.

In dem Augenblick, wo der Massai sich umdrehte, glitt die lange schwarze Schlange weiter vorwärts und erreichte den zweiten Distelbusch, der nur wenige Schritte von dem Endpunkt des Weges der Schildwache entfernt war.

Zurück kam der Posten und trollte an dem Gebüsch vorüber, ohne sich im mindesten träumen zu lassen, daß ein Feind dahinter verborgen lag. Hätte er zur Erde geblickt, hätte er ihn kaum übersehen können. Er unterließ jedoch diese Vorsichtsmaßregel. Er ging vorüber, und dann erhob sich sein verborgener Feind und folgte ihm auf seiner Spur mit ausgestreckten Armen. 110

Noch ein Augenblick, und grade als der Elmoran sich wieder umwenden wollte, sprang der große Sulu mit einem mächtigen Satz auf ihn zu, und bei dem Morgengrauen sahen wir, wie seine langen magern Hände des Massais Hals umschlossen. Es folgte ein krampfhaftes Hin- und Herwogen der beiden Körper, in der nächsten Sekunde aber fiel schon der Kopf des Massai nach hinten zurück, und wir hörten ein scharfes Knacken, nicht unähnlich dem Brechen eines trockenen Astes. Dann stürzte der Körper zu Boden, wo seine Glieder noch einige Augenblicke hin und her zuckten.

Umslopogaas hatte seine ganze eiserne Kraft aufgeboten und der Schildwache das Genick gebrochen.

Einen Augenblick noch kniete er auf seinem Opfer und umklammerte seinen Hals, bis er ganz sicher wußte, daß von dem Massai nichts mehr zu befürchten war. Dann erhob er sich und winkte uns zu, ihm zu folgen, was wir auch auf allen vieren, wie eine Kolonie großer Affen taten. Als wir den Kraal erreichten, sahen wir, daß die Massai den etwa zehn Fuß breiten Eingang – wahrscheinlich in der Absicht, sich gegen einen Überfall zu schützen – noch weiter durch vier oder fünf große Mimosenbäume verbarrikadiert hatten. Um so besser für uns – sagte ich mir. Je dichter das Verhau, je schwerer mußte es ihnen fallen, und um so länger dauern, sich einen Weg hindurch zu bahnen. Hier trennten wir uns. Mackenzie und sein Gefolge krochen unter dem Schatten der Mauer nach links, während Sir Henry und Umslopogaas sich links und rechts von der Dornenhecke 111 aufstellten und der Askari sowie die beiden mit Speeren bewaffneten Missionsneger sich unmittelbar davor niederlegten. Ich und meine Leute krochen die rechte Seite des Kraals entlang, der hier etwa fünfzig Schritt lang war.

Als ich zwei Drittel des Weges zurückgelegt hatte, hielt ich an und stellte meine Leute in Abständen von je vier Schritt auf, wobei ich Alfons dicht an meiner Seite behielt. Dann lugte ich zum erstenmal über die Mauer. Es war schon ziemlich hell geworden und das erste, was ich grade mir gegenüber sah, war der weiße Esel. Dicht daneben erkannte ich das blasse Gesicht der kleinen Flossie, die, wie der Junge uns richtig beschrieben hatte, etwa zehn Schritte von der Mauer saß. Um sie herum lagen viele schlafende Krieger. Im Kraal waren, bald hier bald dort, Feuer angezündet worden, um die sich die meisten bis zum Platzen gesättigten Massai in Abteilungen von je fünfundzwanzig Mann gelagert hatten. Dann und wann hob ein Wilder den Kopf in die Höhe, gähnte und blickte nach dem jetzt in rosigem Licht erstrahlenden Osten, doch stand keiner auf. Ich beschloß, noch weitere fünf Minuten zu warten, da wir dann genügend Licht für unsere Kugeln haben mußten und ich zudem Good und seiner Abteilung, von denen nichts zu sehen noch zu hören war, Zeit lassen wollte, ihre Stellung einzunehmen und sich auf den Kampf vorzubereiten.

Die Dämmerung begann sich immer weiter über Ebene und Wald und Fluß auszubreiten – in das Schweigen des ewigen Schnees gehüllt, blickte der mächtige Kenia hinab auf die Erde – bis plötzlich ein erster Sonnenstrahl auf seinen hochragenden 112 Gipfel fiel und ihn wie mit Blut färbte. Der Himmel über uns wurde blau und sanft wie das Lächeln einer Mutter, ein Vogel begann seinen Morgengesang anzustimmen, und eine leichte, durch den Busch wehende Brise schüttelte Millionen von Tautropfen herab, um die erwachende Welt zu erfrischen. Überall herrschte Friede und Glück, überall – nur nicht in den Herzen der Menschen!

Grade als ich mir Mut zusprach, um das vereinbarte Zeichen zu geben – ich hatte mir schon einen großen, nur drei Schritte von der kleinen Flossie entfernt liegenden Kerl für meine Kugel ausgesucht – fingen plötzlich Alfons' Zähne wiederum wie die Hufen einer galoppierenden Giraffe zu klappern an. In seiner Aufregung war ihm der Lappen aus dem Munde gefallen. Sofort erwachte ein Massai in unserer allernächsten Nähe, richtete sich auf und schaute sich nach der Ursache des Geräusches um. Außer mir vor Unwillen versetzte ich dem Franzosen mit dem Kolben meines Gewehrs einen derben Stoß vor den Magen. Das hatte zwar das Aufhören des Zähneklapperns zur Folge, verhinderte aber nicht, daß sich das Gewehr des kleinen Feiglings im Fallen entlud und die Kugel einen Zoll breit an meinem Kopfe vorbeisauste.

Jetzt war ein Signal freilich nicht mehr nötig. Von beiden Seiten des Kraals erhob sich das Gewehrfeuer, dem ich mich sofort anschloß, indem ich mit meinem ersten Schuß den Massai neben Flossie, der grade aufspringen wollte, niederstreckte. Dann erscholl an dem äußersten Ende des Kraals ein durchdringendes 113 Geschrei, in dem ich zu meiner Freude Goods klare kräftige Stimme erkannte, und in der nächsten Sekunde schon folgte ein Auftritt, wie ich ihn zuvor nie erlebt habe, noch je wieder erleben werde. Unter lautem Angst- und Wutgeheul sprangen die ungefügen wilden Gestalten innerhalb des Kraals auf, sahen sich gleichzeitig aber von einem wohlgezielten Kugelschauer begrüßt, der viele von ihnen niederstreckte, ehe sie überhaupt einen Schritt gegangen waren. Einen Augenblick lang standen sie unentschlossen da, um sich dann, als sie das ohne Unterbrechung von dem Ausgang des Kraals zu ihnen herüberdringende Getöse vernahmen und sich von allen Seiten beschossen sahen, einer augenblicklichen Eingebung folgend, nach dem breiten Dorneneingang zu stürzen. Während dieser Flucht gaben wir auf die immer dichter werdende Masse mit schrecklicher Wirkung Schnellfeuer ab. Ich war grade mit den zehn Schüssen meines Repetiergewehrs fertig und wollte eben neue Patronen in das Magazin legen, als ich der kleinen Flossie gedachte. Ich blickte auf und sah, daß der weiße Esel, der entweder von einer unserer Kugeln oder einem Massaispeer getroffen war, mit allen vieren um sich schlagend, auf dem Boden lag. Es waren keine Massai, sondern nur die schwarze Wärterin in der Nähe zu sehen, die den Strick um Flossies Füße mit einem Speer zerschnitt. In der nächsten Sekunde schon lief sie nach der Mauer des Kraals und begann sie zu erklettern, ein Beispiel, dem das kleine Mädchen folgte. Flossie war aber offenbar sehr steif und deshalb erst wenige Schritte vorwärts gekommen, als zwei fliehende Massai sie entdeckten und auf sie zueilten, 114 um sie zu töten. Der erste Bursche holte seinen großen Speer grade in dem Augenblick zum tödlichen Wurf aus, wo das arme kleine Mädchen nach einer verzweifelten Anstrengung von der Mauer zurück in den Kraal gefallen war. Die Waffe blitzte in der Luft, gleichzeitig fand aber eine Kugel aus meinem Gewehr ein Plätzlein zwischen den Rippen des Kriegers, und wie ein geschossenes Kaninchen stürzte er vornüber. Hinter ihm kam aber noch der zweite Mann, und ach! ich hatte nicht mehr als eine Patrone im Magazin gehabt. Flossie richtete sich wieder auf und stand nun dem zweiten Krieger gegenüber, der mit erhobenem Speer auf sie eindrang. Von Todesangst ergriffen wandte ich mein Haupt zur Seite. Ich konnte es nicht ansehen, wie er sie erstach. Als ich wieder aufblickte, sah ich zu meiner Überraschung den Speer des Massai auf dem Boden liegen, während der Mann selbst mit beiden Händen nach seinem Kopfe griff und wie blind umhertaumelte. Plötzlich bemerkte ich, wie eine kleine Rauchwolke von Flossie ausging und der Mann der Länge nach auf den Boden fiel. Dann erinnerte ich mich des Derringerpistols, das sie immer bei sich trug und wußte jetzt, daß sie beide Läufe auf ihren Angreifer abgefeuert und dadurch ihr Leben gerettet hatte. Im nächsten Augenblick unternahm sie den Versuch, die Mauer zu erklettern, noch einmal und kam, von der Wärterin unterstützt, auch glücklich hinüber, worauf sie sich in verhältnismäßiger Sicherheit befand.

Die Schilderung dieser Vorgänge erfordert natürlich einige Zeit, doch glaube ich nicht, daß die Vorgänge selbst länger als 115 fünfzehn Sekunden dauerten. Bald hatte ich das Magazin des Repetiergewehrs wiederum mit Patronen gefüllt und eröffnete aufs neue das Feuer, diesmal jedoch nicht auf die dichte schwarze Masse, die sich am Eingang des Kraals zusammenfand, sondern auf die vereinzelten Flüchtlinge, die über die Mauer zu klettern gedachten. Ich schoß verschiedene von ihnen nieder und näherte mich dabei immer mehr dem Ende des Kraals, wo ich noch rechtzeitig ankam, um mit meinem Gewehr an dem mächtigen Kampf, der dort stattfand, teilzunehmen.

Um diese Zeit hatten sich, angenommen, daß wir bis jetzt fünfzig Gegnern das Lebenslicht ausgelöscht hatten, gegen zweihundert Massai vor dem breiten Eingang eingefunden. Merkwürdigerweise gerieten sie nicht auf den Gedanken, sich über die Mauer zu retten, was sie ziemlich leicht hätten zuwege bringen können; sie stürzten vielmehr alle auf die Dornenhecke zu, die in Wahrheit ein fast undurchdringliches Verhau bildete. Mit weitem Satz sprang der erste Krieger darauf zu, ehe er aber noch den Boden auf der andern Seite berührte, sah ich Sir Henrys große Axt in der Luft blitzen und mit fürchterlicher Gewalt auf den Federnkopfputz des Wilden niedersausen. Er fiel mitten in die Dornen hinein. Dann versuchten sie unter lautem Gebrüll den Durchbruch zu erzwingen, blieb ihnen doch nichts anderes übrig. Sie mochten aber anstürmen, wie sie wollten, sie fielen doch einer nach dem andern, von Sir Henrys großer Axt oder von Inkosi-Kaas getroffen, auf der Stelle nieder, und vergrößerten mit ihren Leichnamen noch die Barriere gegen die nachfolgenden 116 Krieger. Die den Äxten der beiden entkamen, fielen unter den Speeren des Askari und der beiden Missionskaffern, und wer diesen noch entging, den trafen sicher meine oder Mackenzies Kugeln.

Wilder und leidenschaftlicher wurde der Kampf. Jetzt sprangen einzelne Massai auf die toten Körper ihrer Kameraden, um den beiden Axtträgern mit ihren langen Speeren auf den Leib zu rücken. Dank aber hauptsächlich den Kettenhemden war das Ergebnis meist dasselbe. Die Axt beschrieb plötzlich einen großen Bogen in der Luft, ein lautes Krachen ertönte und es gab einen toten Massai mehr. So spielte sich der Kampf ab, wenn der Krieger Sir Henry gegenüberstand. Kämpfte er aber mit Umslopogaas, so war das Ergebnis zwar das gleiche, doch wurde es auf andere Weise herbeigeführt. Nur selten holte der Sulu zu dem mächtigen Hieb mit beiden Händen aus, er klopfte im Gegenteil nur mit dem Hammer seiner Axt auf den Kopf seines Gegners wie ein Baumhacker mit seinem Schnabel an faules Holz pocht – weshalb er auch den Namen »der Baumhacker« führte. Zog er aber Inkosi-Kaas wieder zurück, so fiel sein Feind mit einem kleinen kreisrunden Loch in der Stirn oder im Schädel tot zu Boden. Das eigentliche Beil benutzte er nie, er mußte denn grade sehr stark bedrängt sein oder nach einem Schild schlagen. Er hielt den Gebrauch des Beils nicht für sportsmäßig, wie er mir später erklärte.

Good stand mit seinen Leuten jetzt in unserer nächsten Nähe, wir mußten daher, um sie nicht aus Versehen zu treffen, 117 aufhören in die Masse zu feuern. Es geschah dies leider aber erst, nachdem ein Missionsneger erschossen war. Verzweifelt und fast wild vor Furcht durchbrachen die Massai nach einer letzten beispiellosen Anstrengung die Dornenhecke wie den Stoß der hoch übereinander aufgestapelten Leichen und erreichten, an Curtis, Umslopogaas und den drei andern vorüberdringend, das Freie. Und jetzt fingen wir an, starke Verluste zu erleiden. Von einem Speer getroffen, der einen Fuß weit aus seinem Rücken hervorragte, fiel unser armer, mit einer Axt bewaffneter Askari zu Boden und bald folgten ihm die beiden Missionsneger, die bis zum letzten Atemzug wie Tiger an seiner Seite kämpften. Noch andere von unserer Partie teilten ihr Schicksal. Einen Augenblick lang gab ich den Kampf schon für verloren – zum mindesten aber erschien mir der Ausgang sehr zweifelhaft. Ich rief darum meinen Leuten zu, die Gewehre mit den Speeren zu vertauschen und sich in das Handgemenge zu stürzen – ein Befehl, den sie und auch Herrn Mackenzies Leute ungesäumt befolgten, da ihr Blut jetzt von heißem Kampfesfieber ergriffen war.

Dieses Manöver hatte zwar zeitweilig guten Erfolg, noch immer aber hing der Kampf in der Schwebe.

Unsere Leute fochten vorzüglich. Todesmutig warfen sie sich hauend, stoßend, tötend auf die dunkle Masse der Elmoran. Ständig war das gellende Aufmunterungsgeschrei Goods zu vernehmen, der immer im dichtesten Kampfgewühl zu finden war, und ständig auch, fast mit der Regelmäßigkeit einer Maschine, hoben und senkten sich die beiden Äxte, mit jedem Schlage Tod 118 oder Verwundung bringend. Die Folgen der ungeheuren Anstrengung wurden aber bei Sir Henry, der aus verschiedenen Fleischwunden blutete, bereits sichtbar, sein Atem kam nur stoßweise und die Adern standen auf seiner Stirn wie blaue Drähte ab. Selbst Umslopogaas machte jetzt Ernst. Ich bemerkte, daß er seine »sportsmäßige« Kampfweise aufgegeben hatte und die breite Seite von Inkosi-Kaas benutzte, mit der er seine Feinde niedermähte, wo er sie grade traf, statt ihnen, wie früher, zirkelrunde Löcher in den Kopf zu klopfen. Ich selbst mischte mich nicht in das Handgemenge, sondern hielt mich ein wenig im Hintergrund, um, sobald sich mir Gelegenheit dazu bot, eine Kugel durch einen Massai zu senden. Auf diese Weise war ich von mehr Nutzen. Ich feuerte an dem Morgen neunundvierzig Patronen ab, von denen nicht viele ihr Ziel verfehlten.

Plötzlich begann, so sehr wir uns auch anstrengten, das Zünglein an der Wage gegen uns zu schwanken. Es waren uns nicht mehr als fünfzehn oder sechzehn kampffähige Männer übrig geblieben und die Massai hatten deren mindestens noch fünfzig. Hätten sie kaltes Blut bewahrt und zusammengehalten, so wären sie zweifellos bald mit uns fertig geworden. Da viele sich aber noch nicht von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, und einige tatsächlich von dem Lager ohne ihre Waffen aufgesprungen waren, war dies grade der Ausweg, auf den sie zum Glück für uns nicht verfielen. Dennoch kämpften jetzt bereits viele Krieger mit ihrer gewöhnlichen Tapferkeit und Umsicht, was allein schon genügte, um uns zu schlagen. Um die Lage noch zu verschlimmern, 119 unternahm grade in dem Augenblick, wo Mackenzie alle Patronen aus seinem Gewehr abgefeuert hatte, ein stämmiger Wilder mit einem kurzen Schwert einen verzweifelten Angriff auf ihn. Der Geistliche warf sein Gewehr nieder, zog (da er während des Kampfes seinen Revolver verloren hatte) sein großes Vorlegemesser aus seinem Gummigürtel und trat seinem Gegner beherzt entgegen. Im nächsten Augenblick schon hielten sich Missionar und Massai dicht umschlungen und entschwanden, zu Boden stürzend und hinter die Mauer rollend, meinem Blick. Über den Ausgang dieses Zweikampfes blieb ich einige Zeit im ungewissen, da ich zunächst zu sehr mit mir selbst zu tun und dafür zu sorgen hatte, daß meine Haut nicht von einem Speer durchlöchert wurde.

Hin und her wogte der Kampf und die Lage nahm ein sehr schlimmes Aussehen für uns an. Da trug sich aber ein glücklicher Zufall zu. Umslopogaas sprang nämlich einige Schritte von seinem Standpunkt vor und wurde mit einem Krieger handgemein. Während er noch mit diesem zu tun hatte, stieß ihm ein Wilder von der Seite mit aller Kraft seinen großen Speer zwischen die Schultern, der aber von dem Stahlhemd, das diese beschützte, ohnmächtig abprallte, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. Einen Augenblick stand der Mann entsetzt da – Rüstungen sind jenen Männern etwas ganz Fremdes – dann schrie er, so laut er nur vermochte:

»Es sind Teufel, behext, behext!« Und von plötzlicher Furcht ergriffen, warf er seinen Speer nieder und entfloh. Eine wohlgezielte Kugel bereitete seiner Laufbahn ein Ende, Umslopogaas 120 spaltete seinem Gegner den Schädel, und dann begann sich die Panik auch den andern mitzuteilen.

»Behext, behext!« riefen sie aus und suchten, jetzt gänzlich entmutigt, nach allen Richtungen zu entfliehen, wobei sie sogar meist Schild und Speer von sich warfen.

Ich kann es mir erlassen, auf den letzten Auftritt des schaurigen Kampfs einzugehen. Es war ein fürchterliches Gemetzel, in dem Pardon weder verlangt noch gegeben wurde. Einen Zwischenfall will ich jedoch noch verzeichnen. Als ich schon hoffte, daß alles vorüber wäre, sprang plötzlich unter einem Haufen von Erschlagenen, wo er versteckt gelegen, ein unverwundeter Krieger hervor, setzte wie eine Antilope über die Stöße von Toten und Verwundeten hinweg und eilte wie der Wind den Kraal aufwärts, der Stelle zu, wo ich in jenem Augenblick stand. Er war aber nicht allein, denn Umslopogaas folgte schnell wie eine Schwalbe auf seiner Spur, und als er sich mir näherte, erkannte ich in dem Massai den Herold vom Abend vorher. Da der Mann entdeckte, daß er seinem Verfolger nicht zu entrinnen vermochte, blieb er stehen und schickte sich zum Kampf an. Umslopogaas stand gleichfalls still.

»Ah, ah!« rief er spöttisch zu dem Elmoran herüber, »du bist es, mit dem ich gestern abend sprach – der Lygonani! der Herold! der Räuber kleiner Mädchen – der Mann, der ein kleines Mädchen töten wollte! Und du hofftest, mir, Umslopogaas, einem Induna vom Stamme der Maquilisini, vom Volke der Amasulu, Mann gegen Mann und von Angesicht zu Angesicht 121 gegenüberzustehen? Siehe, dein Gebet ist dir gewährt! Und schwor ich nicht, dich Stück für Stück zu zerhauen, du unverschämter Hund? Siehe, ich werde es jetzt tun!«

Der Massai knirschte vor Wut mit den Zähnen und griff den Sulu mit dem Speer an. Umslopogaas trat aber gewandt zurück und schlug, Inkosi-Kaas mit beiden Händen hoch über seinen Kopf erhebend, das Beil mit so furchtbarer Gewalt von hinten auf des Massai Schulter, grade an der Stelle, wo der Nacken beginnt, nieder, daß die wie ein Rasiermesser scharfe Klinge wie ein Blitz durch Knochen, Fleisch und Muskeln drang und das Haupt wie einen Arm beinahe vom Rumpf trennte.

»Hu!« rief Umslopogaas aus, und betrachtete den Leichnam seines Feindes, »ich habe mein Wort gehalten. Es war ein guter Streich!« 122

 


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