Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nach dem Mittagmahl nahmen wir eine gründliche Besichtigung der Außengebäude wie des angebauten Bodens vor und ich zögere nicht, die Station die erfolgreichste und schönste ihrer Art, die ich je in Afrika gesehen habe, zu nennen. Dann kehrten wir nach der Veranda zurück, wo sich Umslopogaas die günstige Gelegenheit zunutze gemacht hatte, um eine gründliche Reinigung aller Gewehre vorzunehmen. Es war dies die einzige Arbeit, der er sich unterzog, da er als Suluhäuptling jede Handarbeit verachtete. Der große Sulu bot einen eigentümlichen Anblick dar, wie er da vor uns auf dem Boden sitzend, seine Schlachtaxt gegen die Wand gelehnt, mit seinen langen aristokratischen Händen behutsam den Mechanismus der Hinterlader säuberte. Er hatte jedem Gewehr einen besonderen Namen gegeben. Eines – die Sir Henry gehörige Doppelbüchse – war der »Donnerer«. Ein anderes – mein Expreß Nr. 500 – das einen eigentümlichen Knall hatte, war »das Kleine, das wie eine Peitsche spricht«, die Winchester-Repetiergewehre hießen »die Weiber, die so schnell sprechen, daß kein Wort von dem andern zu unterscheiden ist«, die sechs Martini-Gewehre waren »die 57 gewöhnlichen Leute«, und so ging es anmutig weiter. Ihm zuzuhören, wie er sich mit jedem Gewehr wie mit einem Menschen, und dazu in einem ganz absonderlichen Humor, unterhielt, bereitete uns ein eigenartiges Vergnügen. In gleicher Weise sprach er auch mit seiner Streitaxt, in der er seine intimste Freundin erblickte. Stundenlang konnte er sie zwischen seinen Händen halten und ihr alle seine alten, meist recht schaurigen Abenteuer erzählen. In einem Anflug grimmigen Humors hatte er die Axt »Inkosi-Kaas« genannt, was in der Sulusprache »Häuptlingin« bedeutet. Es wollte mir zuerst gar nicht einleuchten, weshalb er ihr gerade diesen Namen verliehen, bis ich ihn schließlich nach dem Grunde fragte und zur Antwort erhielt, daß die Axt offenbar weiblich wäre, da sie nach weiblicher Sitte sehr tief in alles eindringe, und eine Häuptlingin, da alle Männer vor ihr niederfielen, bei dem Anblick ihrer Schönheit und Macht vom Schlage getroffen. Aus demselben Grunde auch zog er, wenn er sich in irgendeiner Verlegenheit befand, »Inkosi-Kaas« zu Rat. Sie, die so vielen Menschen ins Gehirn geblickt habe, müsse notgedrungen sehr weise sein, so gab er mir zu verstehen.
Ich nahm die Axt in die Hand und betrachtete die furchtbare Waffe ganz in der Nähe. Sie war, wie ich bereits gesagt habe, eine Spitzaxt. Das aus einem ungeheuren Rhinozeroshorn angefertigte Heft war drei Fuß drei Zoll lang, etwa einundeinviertel Zoll dick und lief am Ende in einen Knauf von der Größe einer Maltaorange aus, der das Ausgleiten der Hand verhüten sollte. Obwohl so massiv, war dieser Horngriff doch so geschmeidig 58 wie ein Rohr und wirklich unzerbrechlich. Zur doppelten Sicherheit war er jedoch noch in kleinen Zwischenräumen mit starkem Kupferdraht umwickelt. An der oberen Seite des Griffes war eine Anzahl Kerben eingegraben, wovon jede einen mit der Waffe im Kampf getöteten Feind bedeutete. Die Axt selbst bestand aus dem schönsten Stahl und war offenbar europäisches Fabrikat, obwohl Umslopogaas nicht wußte, woher sie stammte, da er sie vor vielen Jahren einem in der Schlacht getöteten Häuptling abgenommen hatte. Sie war nicht sehr schwer und das eigentliche Beil wog, so weit ich beurteilen konnte, etwa zweieinhalbes Pfund. Die Schneide hatte im Gegensatz zu der bei den Wilden üblichen konvexen eine konkave Form und war so scharf wie ein Rasiermesser. An der breitesten Stelle maß sie etwa fünfdreiviertel Zoll. Dem Rücken der Axt entsprang ein starker, vier Zoll langer, in den letzten zwei Zoll hohler Hammer, der genau dem einer Fleischeraxt glich. Später entdeckten wir, daß sich Umslopogaas im Kampfe gewöhnlich dieses Hammers bediente, um – wie ein Specht in einen Baumstamm – seinem Gegner ein kleines rundes Loch in den Schädel zu schlagen, und daß er nur, wenn stark bedrängt, zu der breiten Schneide griff. Aus diesem Grunde auch führte er seinen Beinamen »der Baumhacker«. So war Umslopogaas' Axt »Inkosi-Kaas« beschaffen, die merkwürdigste und gefährlichste Waffe im Handgemenge, die ich je gesehen habe, und die er wie sein eigenes Leben wert hielt. Er ließ sie nie, oder höchstens nur während des Essens, aus der Hand und selbst dann mußte sie an seinem Knie lehnen. 59
Gerade als ich Umslopogaas die Axt zurückreichte, holte mich Fräulein Flossie ab, um mir ihre recht hübsche Blumensammlung, afrikanische Lilien und blühende Strauchpflanzen, zu zeigen, die viele mir und wahrscheinlich auch der Botanik ganz unbekannte Arten enthielt. Ich fragte, ob sie je die »Goya-Lilie« gesehen hätte, von deren unbeschreiblicher Schönheit mir zentralafrikanische Reisende, die sie zuweilen gefunden, Wunderdinge berichtet hatten. Diese nach den Erzählungen der Eingeborenen nur alle zehn Jahre einmal blühende Lilie gedeiht im allertrockensten Boden. Im Verhältnis zu der Größe der Blüte ist die Zwiebel nur klein zu nennen und wiegt meist vier Pfund. Was die Blume selbst anbetrifft (die ich später unter mir unvergeßlichen Umständen zum erstenmal sah), so fehlen mir die Worte, um ihre Schönheit und Pracht oder ihren unvergleichlich süßen Duft zu schildern. Die Blume – denn sie hat nur eine Blüte – erhebt sich auf dickem, fleischigem, kantigem Stengel (das Exemplar, das ich sah, maß vierzehn Zoll im Durchmesser) und ist ähnlich wie die Blüte einer gewöhnlichen »Longiflorum« trompetenförmig gestaltet. Der grüne Kelch gleicht anfänglich dem einer Wasserlilie, spaltet sich aber später, wenn sich die Blume erschließt, in vier anmutig gewölbte, dem Stamme zugeneigte Teile. Dann kommt die Blüte selbst, ein einziger entzückender Bogen aus schneeigem Weiß, der einen zweiten Kelch von tiefstem Purpurrot umschließt, aus dessen Herzen ein goldfarbiger Stempel emporsteigt. Nie habe ich etwas gesehen, das sich dieser Blüte an Schönheit oder Wohlgeruch auch nur 60 entfernt zur Seite stellen ließe. Da sie meines Wissens nur wenig bekannt ist, nahm ich mir die Freiheit, sie ausführlich zu beschreiben. Zu meinem Entzücken antwortete mir Fräulein Flossie, daß ihr die Blume wohl bekannt wäre, und daß sie sie sogar, wenn auch vergeblich, in ihrem Garten aufzuziehen versucht habe. Da sie aber um diese Jahreszeit in der Blüte stehen müsse, hoffe sie mir ein Exemplar besorgen zu können.
Dann richtete ich die Frage an sie, ob sie sich nicht unter all diesem wilden Volk und ohne Altersgespielinnen sehr einsam fühle.
»Einsam?« sagte sie. »Oh, durchaus nicht. Ich bin hier so glücklich, wie der Tag lang ist, und habe außerdem meine Gespielinnen. Nein, es wäre mir sogar verhaßt, unter einer Menge weißer Mädchen vergraben zu sein, die mir alle so ähnlich sähen, daß niemand sie von mir unterscheiden könnte! Hier,« sagte sie und warf ihren Kopf ein wenig zurück, »bin ich ›Ich‹. Auf Meilen kennt jeder Eingeborene die ›Wasserlilie‹, wie man mich heißt, und ist bereit, meine Befehle auszuführen. In den Büchern aber, die ich über kleine Mädchen in Europa gelesen habe, ist es nicht so. Sie sind jedermann lästig und haben nur das zu tun, was ihre Schullehrerin ihnen vorschreibt. Oh! mein Herz würde mir brechen, wenn ich in einen solchen Käfig gesperrt werden und nicht mehr frei – so frei wie die Luft sein sollte.«
»Möchten Sie denn keinen Unterricht nehmen?« fragte ich weiter.
»Das kann ich hier auch. Vater lehrt mich Lateinisch, Französisch und Arithmetik.« 61
»Und fürchten Sie sich nicht unter all diesen wildern Männern?«
»Fürchten? Oh nein! Sie haben mir noch nie etwas zuleide getan. Sie halten mich, glaube ich, für ›Ngai‹ (göttlich), weil ich eine so weiße Haut und so blondes Haar habe. Und sehen Sie, außerdem« – und die kleine Hand in eine Tasche steckend, zog sie einen doppelläufigen, nickelplattierten Derringer hervor, »trage ich den immer geladen bei mir. Wenn mich jemand anfassen wollte, würde ich ihn einfach niederschießen. Einmal erschoß ich einen Leoparden, der während eines Spazierritts auf meinen Esel sprang. Ich war zwar sehr erschrocken, traf ihn aber doch ins Ohr und er fiel tot zu Boden. Oh, blicken Sie jetzt dorthin,« fuhr sie mit veränderter Stimme fort, indem sie meinen Arm berührte und nach einem fernen Gegenstand wies, »ich sagte Ihnen eben, daß ich Gefährten hätte. Dort ist einer von ihnen.«
Ich blickte auf und sah zum erstenmal den Berg Kenia in seiner ganzen Pracht. Bisher hatten uns dichte Nebel den Berg verdeckt, jetzt aber war seine strahlende Schönheit auf viele tausend Schritte sichtbar, wenngleich unten am Fuß noch immer Nebel hingen, so daß der lustige, fast zwanzigtausend Fuß hohe Pik wie ein zwischen Himmel und Erde schwebendes und auf den Wolken ruhendes Luftgebilde erschien. Die feierliche Majestät und Schönheit dieses weißen Berges lassen sich überhaupt nicht in Worte fassen. Als ich so mit jenem kleinen Mädchen auf den silberfunkelnden, mit seiner Spitze weit in das Himmelsblau hineinragenden Berg blickte, fühlte ich mein ganzes Herz von 62 einer unbeschreiblichen Bewegung aufwärts gehoben und große wunderbare Gedanken regten sich in mir. Es war gerade in dem Augenblick, wo die Strahlen der untergehenden Sonne noch einmal die Schneeabhänge des Berges küßten. Herrn Mackenzies Eingeborene nennen den Berg »Finger Gottes«, und nicht mit Unrecht, da er mir von unsterblichem Frieden und der reinen hohen Ruhe zu sprechen schien, die über dieser fieberkranken Welt liegen. Es müßte wirklich ein verworfener Mensch sein, der jenen mächtigen schneebedeckten Riesen, jenen weißen alten Grabstein der Jahrtausende, anblicken könnte, ohne seine eigene Kleinheit zu empfinden und Gott, wie immer er ihn auch nennen mag, in seinem Herzen zu verehren.
Um diese Zeit kamen die von unserm Wirt am Vormittag ausgesandten Kundschafter wieder zurück und berichteten, daß sie das Land auf fünfzehn (englische) Meilen in der Runde abgesucht hätten, ohne einen einzigen Massai-Elmoran zu entdecken. Sie glaubten, daß die Biedermänner die Verfolgung aufgegeben hätten und dahin zurückgekehrt seien, woher sie gekommen wären. Bei dieser Botschaft ließ Herr Mackenzie einen Seufzer der Erleichterung hören und auch wir freuten uns darüber, da wir für einige Zeit wirklich genug von den Massai hatten. Die allgemeine Meinung ging dahin, daß sie unsere Verfolgung als aussichtslos aufgaben, nachdem wir die Station, deren Stärke ihnen bekannt war, sicher erreicht hatten. Wie übel beraten wir mit dieser Ansicht waren, wird die Fortsetzung lehren.
Als die Spione sich entfernt und Frau Mackenzie und Flossie 63 sich zurückgezogen hatten, legten wir auf den kleinen Franzosen Alfons Beschlag, und Sir Henry, der sehr gut französisch spricht, bewog ihn, uns zu erzählen, wie er nach Zentralafrika verschlagen wurde.
»Mein Großvater,« so begann er, »war ein Soldat der alten Garde und diente unter Napoleon. Er machte den Rückzug von Moskau mit und lebte zehn Tage lang von seinen Gamaschen und einem zweiten Paar, das er einem Kameraden stahl. Er betrank sich gern – er starb betrunken – und ich erinnere mich, daß ich auf seinem Sarg Trommel spielte. Mein Vater –«
An dieser Stelle schlugen wir ihm vor, uns seine Ahnengeschichte zu erlassen und zur Sache zu kommen.
»Bien, messieurs,« erwiderte der komische kleine Mann mit einer höflichen Verbeugung. »Ich wollte Ihnen nur beweisen, daß das militärische Prinzip nicht erblich ist. Mein Großvater war ein prächtiger Mann, volle sechs Fuß zwei Zoll hoch, entsprechend breit, ein wahrer Feuerfresser. Auch er war wegen seines Schnurrbartes berühmt. Ich habe nur den Schnurrbart geerbt, und sonst – nichts.
Ich bin, Messieurs, ein Koch und wurde in Marseille geboren. In jener schönen Stadt verlebte ich meine glückliche Jugend. Jahrelang war ich Geschirrabwascher im Hotel Continental. Oh, es waren goldene Tage!« und er seufzte. »Ich bin Franzose, das heißt, Messieurs, ich bewundere die Schönheit. Nein, ich bete die Schönen an. Messieurs, wir bewundern in einem Garten alle Rosen, pflücken aber nur eine einzige. Ich 64 pflückte eine, und ach, Messieurs, stach meine Hand an ihren Dornen. Meine Rose war ein Stubenmädchen, ihr Name Annette, ihre Gestalt entzückend, ihr Gesicht das eines Engels, ihr Herz – ach, Messieurs, daß ich es eingestehen muß! – so schwarz und glatt wie ein Patentlederschuh. Ich liebte, verehrte sie bis zur Verzweiflung. Ihr Anblick versetzte mich in den siebenten Himmel, munterte mich in meinem Schaffen an. Nie habe ich so gut gekocht (denn ich war mittlerweile zum Hotelkoch befördert worden) wie wenn Annette, meine geliebte Annette, mir zulächelte. Nie« – und seine männliche Stimme ging in Schluchzen über – »nie werde ich wieder so gut kochen.« Hier zerschmolz er in Tränen.
»Verzagen Sie nur nicht gleich, alter Junge,« sagte ihm Sir Henry auf Französisch und schlug ihn dabei derbe auf die Schulter. »Wir wissen nie, was uns noch bevorstehen mag, meinen Sie nicht auch? Nach Ihren heutigen Leistungen zu urteilen, können Sie früher nicht viel besser gekocht haben.«
Alfons hörte mit seinem Weinen auf und begann sich dafür den Rücken zu reiben. »Monsieur,« sagte er, »wollte mich zweifellos wohl trösten, aber seine Hand ist schwer. Um fortzufahren: Wir liebten einander und waren in unserer Liebe glücklich. Die Vögel konnten in ihrem kleinen Nest nicht glücklicher als Alfons und seine Annette sein. Dann kam der Schlag – sapristi! – wenn ich daran denke. Messieurs werden mir vergeben, wenn ich mir eine Träne aus dem Auge wische. Eine böse Nummer traf mich – ich wurde zum Militär ausgehoben. Das 65 Glück war neidisch auf mich geworden, weil ich Annettens Herz gewonnen hatte, und wollte seine Rache.
Der schlimme Augenblick kam, ich mußte gehen. Ich versuchte zu entfliehen, wurde aber von brutalen Soldaten eingefangen, die mich mit ihren Musketenkolben drangsalierten, bis sich mein Schnurrbart vor Schmerzen krümmte. Ich hatte einen Vetter, einen Leinwandhändler, der zwar vermögend, aber sehr häßlich war. Er hatte eine gute Nummer gezogen und bedauerte mich, als er mich ihre Mißhandlungen erdulden sah.
›Dir, mein Vetter,‹ rief ich ihm zu, ›dir, in dessen Adern das blaue Blut unseres heldenmütigen Großvaters fließt, dir vertraue ich Annette an. Wache über sie, während ich mir auf blutigem Feld den Lorbeerkranz erringe.‹
›Sei unbesorgt!‹ sagte er, ›ich will es tun.‹ Und wie die Folge lehrte, tat er es wirklich!
Ich ging. Ich lebte in Kasernen und von schwarzer Suppe. Ein feinfühliger Mensch und von Natur ein Dichter stand ich Folterqualen in meiner rauhen schrecklichen Umgebung aus. Unser Rekrutenunteroffizier hatte einen Stock – einen fürchterlichen Stock! Nie, nie kann ich ihn vergessen!
Eines Morgens kam die Nachricht, daß mein Bataillon nach Tonking versetzt worden sei. Der Rekrutenunteroffizier und die andern rohen Ungeheuer jauchzten. Ich – ich zog Erkundigungen über Tonking ein. Sie fielen nicht sehr befriedigend aus. In Tonking gibt es wilde Chinesen, die einem den Leib aufschlitzen. Meine künstlerischen Neigungen – denn ich bin auch ein Künstler 66 – lehnten sich energisch gegen den Gedanken auf, bei lebendigem Leibe aufgeschlitzt zu werden. Ein großer Mann trifft schnell seinen Entschluß. Das tat ich. Ich beschloß, mich nicht aufschlitzen zu lassen. Ich desertierte.
Als Greis verkleidet erreichte ich Marseille. Ich ging nach dem Hause meines Vetters, desselben, in dessen Adern meines Großvaters Heldenblut fließt, und fand dort Annette. Es war grade Kirschenzeit. Sie nahmen einen Doppelstengel mit zwei Kirschen. Mein Vetter steckte die eine in seinen Mund, Annette die andere in ihren. Dann zogen sie die Stengel herein, bis ihre Lippen sich berührten und – wehe mir, daß ich es zu sagen habe – sie einander küßten. Es war ein hübsches Spiel, erfüllte mich aber mit Wut. Das Heldenblut meines Großvaters kochte in mir. Ich stürzte in die Küche und versetzte mit meiner Greisenkrücke meinem Vetter einen Hieb. Er fiel – ich hatte ihn erschlagen. Ja, ich glaube, daß ich ihn erschlug. Annette schrie. Die Gendarmen kamen. Ich floh. Ich erreichte den Hafen. Ich versteckte mich auf einem Schiff. Das Schiff ging in See. Der Kapitän fand und schlug mich. Ja, noch mehr, er benutzte die erste Gelegenheit, um von einem ausländischen Hafen aus einen Brief an die Polizei zu schreiben. Ans Land ließ er mich nicht, weil ich so gut kochte. Ich kochte für ihn, bis wir nach Sansibar kamen. Als ich ihn um meinen Lohn bat, gab er mir Fußtritte. Das Blut meines heldenmütigen Großvaters kochte in mir, ich drohte ihm mit meiner Faust und gelobte ihm, mich an ihm zu rächen. Als Antwort erhielt ich wiederum Fußtritte. In 67 Sansibar lag ein Telegramm. Ich verwünschte den Mann, der die Telegraphen erfunden hat. Jetzt verwünsche ich ihn aufs neue. Ich sollte wegen Fahnenflucht, Mord und que sais-je? verhaftet werden. Ich entwich aus dem Gefängnis, floh und wäre beinahe verhungert. Zuletzt traf ich die Leute von Monsieur le Curé. Sie brachten mich hierher. Ich vergehe an diesem Ort fast vor Herzeleid. Ich kehre aber nicht zurück nach Frankreich. Lieber noch will ich mein Leben in dieser schrecklichen Wildnis aufs Spiel setzen, als das Bagno kennenlernen.«
Er hielt an und wir erstickten beinahe vor Lachen. Um unsere Heiterkeit vor ihm zu verbergen, mußten wir unsere Gesichter abwenden.
»Ah! Sie weinen, Messieurs,« sagte er gerührt. »Das wundert mich nicht – ist es doch eine gar so traurige Geschichte.«
»Vielleicht,« bemerkte Sir Henry, »wird das Heldenblut Ihres Großvaters schließlich doch noch triumphieren und noch ein großer Mann aus Ihnen werden. Wir werden ja sehen. Und nun schlage ich vor, zu Bett zu gehen. Ich bin todmüde und gestern abend haben wir auf jenem verwünschten Felsen herzlich wenig geschlafen.«
Das taten wir denn auch, und die freundlichen Zimmer, die reinen weißen Bettücher muteten uns nach den Erfahrungen der letzten Zeit recht sonderbar an. 68