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8. Kapitel
Durch die Wüste zu den schwarzen Kendah

Zehn Minuten später wußte jedermann im Lager, was sich ereignet hatte, und war im Nu wach und unter Waffen. Anfänglich gab es einige Anzeichen von Panik. Aber mit Hilfe von Babemba beruhigten wir die Leute, indem wir ihnen, um sie zu beschäftigen, befahlen, das Lager in Verteidigungszustand zu setzen. Vom ersten Moment an sahen wir, daß außer für uns drei, die wir Pferde hatten, ein Entkommen von hier unmöglich war. Dieses Heer von Kamelreitern hätte jeden unserer Leute innerhalb einer Meile eingeholt.

Nachdem wir Babemba eingeschärft hatten, auf seine Leute gut Obacht zu geben, hielten wir drei Weißen und Hans einen Rat ab. Ich wiederholte jedes Wort, das zwischen Hârut und Mârut und mir gewechselt worden war. Ich betonte auch, daß sie strikte leugneten, mit dem Verschwinden Lady Ragnalls am Nil etwas zu tun zu haben.

»Was soll jetzt geschehen?« fragte ich. »Mein Schicksal ist besiegelt; denn aus Gründen, die wir wahrscheinlich nicht ganz durchschauen, bestehen diese Leute darauf, mich mit sich in ihr Land zu nehmen. Sie haben dazu auch tatsächlich ein gewisses Recht, und zwar durch das Versprechen, das ich ihnen seinerzeit törichterweise gegeben habe. Aber sie wollen niemand sonst mitnehmen. Deshalb sehe ich eigentlich nicht ein, was Sie, Ragnall, und Sie, Wild, und dich, Hans, abhalten sollte, mit den Mazitu heimzukehren.«

»Oh, Baas,« sagte Hans, der englisch genug verstand, trotzdem er es selten sprach, »warum quälst du mich immerfort mit solchen ›Praatjes‹ (Geschwätz); was immer du tust, werde auch ich tun, und warum du es tust, geht mich nichts an. Außer es ist nicht zu deinem eigenen Besten, Baas!«

Ich sah Ragnall unschlüssig an.

»Ich gehe mit«, sagte er kurz.

»Trotzdem diese Männer ableugnen, irgend etwas mit Ihrer Frau zu tun zu haben? Wenn ihre Worte wahr sind, was wollen Sie dann mit dieser Reise erreichen?«

»Mindestens eine wertvolle Erfahrung; das ist alles. Und im übrigen, immer vorausgesetzt, daß ihre Worte wirklich wahr sind, bin ich Fatalist. Meine Zukunft ist mir vollständig gleichgültig. Doch ich glaube jenen Leuten nicht ein Wort. Eine innere Stimme sagt mir, daß sie sehr vieles wissen, was sie nicht gern aussprechen, über meine Frau nämlich. Aus diesem Grunde liegt ihnen soviel daran, daß ich nicht mitkomme.«

»Sie müssen selbst für sich entscheiden,« antwortete ich, von bangen Zweifeln erfüllt, »und ich hoffe, daß Sie sich für das Richtige entscheiden. Nun, Wild, was haben Sie beschlossen?«

»Ich habe mich bereits entschieden. Ich will also mitkommen und alles weitere Gott überlassen.«

»Das müssen wir alle«, bemerkte ich. »Gut, das wäre also abgemacht; laßt uns nach Babemba senden und ihm Bescheid sagen.«

Das geschah, und der alte Bursche nahm die Nachricht mit mehr Gleichmut entgegen, als ich erwartet hatte. Er heftete sein einziges Auge auf mich und sagte:

»Macumazana, diese Worte habe ich von dir erwartet. Mögen die Götter, die du anbetest, dich niemals verlassen. Fahr wohl!« Und ohne Antwort abzuwarten ging er davon, und Tränen rannen aus seinem einzigen Auge.

Zehn Minuten später waren auch die Mazituträger abmarschiert, und wir saßen nun allein in dem stillgewordenen Lager, umringt von unserem Gepäck – und kamen uns ziemlich verlassen vor. Wir waren eben dabei, unsere persönlichen Habseligkeiten zu verpacken, als Hans, der an der Quelle nebenan den Kaffeekessel auswusch, uns zurief:

»Die Gespenster kommen, Baas, das ganze Regiment!« Wir liefen hinaus, und richtig, in fast militärischer Ordnung fegten die Rotten der Kamelreiter den Hügel herab gerade auf uns zu. Es war ein fremdartiger, aber schöner Anblick, die Tiere mit ihren schwingenden Hälsen und ihren weitausgreifenden, schwebenden Schritten zu beobachten. Etwa fünfzig Meter vor uns hielten sie. Zwei der weißgekleideten Gestalten kamen auf uns zu, blieben vor uns stehen und verbeugten sich. Es waren Hârut und Mârut.

»Guten Morgen, Lord,« sagte Hârut zu Ragnall in seinem gebrochenen Englisch, »so kommst du also mit Macumazana, zu besuchen unser ärmlich Haus, wie wir besuchten damals dein schönes in England. Du denken, wir nahmen die schöne Lady, dein Frau die wir gaben altes Halsband. Das nicht so. Kein weiße Lady jemals in Kendahland. Wir hören Geschichte von Macumazana, und glauben, daß Lady in Nil ertrunken. Das sehr traurig für dich, aber Götter wissen, was tun. Sie lassen, wenn sie wollen lassen, und nehmen, wenn sie wollen nehmen. Du finden sie einen Tag wieder, schöner noch und wieder mit ihre Verstand.«

Hier sah ich ihn scharf an. Ich hatte ihm kein Wort davon gesagt, daß Lady Ragnall den Verstand verloren hatte. Wie konnte er also davon etwas wissen? War es da aber nicht das beste, vorläufig den Mund zu halten? Übrigens hatte ich den Eindruck, daß auch Hârut selbst seinen Schnitzer sofort einsah; denn er ließ das Thema Lady Ragnall plötzlich fallen und fuhr fort:

»Du aber willkommen, o Lord. Aber es ist recht, daß ich dir sage, diese Reise sehr gefährliche Reise; denn Elefant Jana nicht lieben fremde Gesichter, und«, hier sprach er ganz langsam und mit besonderer Betonung, »alle Elefanten Brüder! Was einer haßt, hassen alle in ganzer Welt! Ich sehe an dein Gesicht, daß du schon Leid gehabt von Elefant, du oder jemand, der zu dir gehört. Auch einige von Kendahvolk sehr wilde Leute und lieben Kampf, und vielleicht gibt Krieg im Lande, während du da, und im Krieg manchmal Leute sterben.«

»Schön, mein Freund,« sagte Ragnall, »ich bin auf alles gefaßt. Entweder wir alle gehen in euer Land, wie es dir Macumazana erklärt hat, oder niemand von uns geht.«

»Wir verstehen. Das unser Abmachung, und wir nicht brechen Wort«, entgegnete Hârut.

Dann wandte er sein wohlwollendes Auge auf Wild und sagte: »So, du kommen auch, Herr Bona, das deine Name hier, eh? Gut, du lernen viele Dinge in Kendahland über Schlangen. Mein Bruder sagen mir, du treffen eine Schlange schon drunten in Land Natal, aber sitzen auf ihm so fest, daß er wurde ganz breit und nicht beißen dich. Nun wir dir zeigen viel besserer Schlange in Kendahland, aber du nicht sitzen auf ihm, Herr Bona.«

Ich weiß nicht warum, aber für mich lag in diesen Scherzen so etwas wie eine schreckliche Drohung. Ein Gefühl überkam mich, ähnlich dem, wenn man eine Katze mit einer Maus spielen sieht. Warfen da kommende fürchterliche Geschehnisse ihre Schatten voraus? Wie konnten denn diese Menschen etwas von Ereignissen wissen, die sie nicht erlebt hatten, von denen ihnen niemand etwas erzählt haben konnte? Verlieh jener merkwürdige »Tabak« wirklich so etwas wie die Gabe des Fernsehens, oder besaßen sie andere geheimnisvolle Mittel, um sich von räumlich entfernten Geschehnissen Kenntnis zu verschaffen? Ich warf einen verstohlenen Blick auf den armen Wild. Er war blaß geworden, und ich merkte, daß er ähnlich empfand wie ich. Sogar Hans war betroffen; denn er flüsterte mir auf holländisch zu: »Das sind keine Menschen; das sind Teufel, Baas, und unsere Reise ist eine Reise in die Hölle.«

Nur Ragnall saß ernst, nachdenklich und augenscheinlich in keiner Weise aus der Fassung gebracht da. Er hatte fast etwas Sphinxhaftes in seinem scharfgeschnittenen, ruhigen Gesicht. Ich war sicher, daß auch Hârut und Mârut die Kraft und Entschlossenheit dieses Mannes festgestellt hatten und diesen Faktor demgemäß in ihre Rechnung einkalkulierten. In gewissem Sinne gab dies Hârut auch zu, indem er plötzlich in verändertem Tone und auf Bantu zu mir sagte:

»Du bist ein guter Leser der Menschenherzen, o Macumazana, fast ein so guter wie ich selbst. Aber bedenke, daß es ein Wesen gibt, das in die Bücher des Herzens schreibt, ein Wesen, das Meister von uns allen ist, die wir nur lesen können. Und das, was dieses Wesen schreibt, muß geschehen, wie sehr wir uns vielleicht auch sträuben. Denn in seiner Hand liegt die Zukunft.«

»Richtig,« antwortete ich kühl, »und eben aus diesem Grunde gehe ich mit euch nach Kendahland, und ich fürchte euch nicht im geringsten.«

»So ist es, und so wird es sein,« antwortete er, »und nun, Herren, seid ihr reisefertig? Denn der Weg ist weit, und wer weiß, was alles passiert, ehe wir sein Ende sehen!«

Wir ritten mit folgender Marschordnung: ungefähr eine Meile vor der Hauptkolonne galoppierte eine Vorhut, bestehend aus acht bis zehn ausgesuchten Leuten, denen man die schnellsten aller vorhandenen Tiere zugeteilt hatte. Zwei- bis dreihundert Meter dahinter folgten in Doppelreihen etwa fünfzig Kendahleute, und hinter diesen die Gepäckleute, beritten wie alle übrigen, die die Lastkamele an Stricken hinter sich herführten. Dann kamen wir drei Weißen und Hans, jeder auf einem so ausgezeichneten Kamel, wie es nur die Afrikaner zu züchten verstehen. Rechts und links, in ungefähr einer halben Meile Entfernung, trabten noch andere Kavalkaden der Kendah als Flankendeckung. Den Schluß bildete eine Nachhut von Reservekamelen.

Alles war von dem Gesichtspunkte aus arrangiert, uns jeden Gedanken an Flucht von vornherein als unmöglich erscheinen zu lassen. Unsere Wächter Hârut und Mârut ritten dicht hinter uns, so daß sie jedes Wort verstanden, das wir miteinander wechselten.

Tag um Tag glitten wir über sandige Ebenen hin, sahen die Sonne aufgehen, sahen sie höher steigen und wieder hinten am Horizont verschwinden, und Nacht um Nacht verzehrten wir unsere einfache Mahlzeit, schliefen unter den glitzernden Sternen, bis ein neuer Morgen an dem glühenden östlichen Himmel aufstieg.

Mit der Eskorte unterhielten wir so gut wie keine Beziehungen. Man hatte wahrscheinlich verboten, mit uns zu sprechen.

Auch mit Hârut und Mârut wechselten wir nur wenige Worte. Und auch diese bezogen sich ausschließlich auf die Zwischenfälle der Reise. So legten wir nach meiner Berechnung zwischen fünf- und sechshundert Meilen zurück. Das ganze Gebiet, das wir durchkreuzten, war eine vollkommen tote Wüste. Nichts Lebendiges existierte, nur ein paar kleine Nagetiere, einige Insekten. Und die Vögel zogen hoch über unseren Häuptern fruchtbareren Gegenden entgegen.

Endlich aber begann sich der Landschaftscharakter zu verändern. In tiefer gelegenen Strichen erschien Gras, dann Büsche, schließlich vereinzelt Bäume. Eines Tages tauchten auch zwischen den Bäumen die ersten größeren Tiere, einige Antilopen, auf. Ich winkte der Karawane, zu halten, pirschte mich heran und erlegte mit zwei Schüssen ebenso viele feiste Böcke. Es war ein Ereignis, das unsere Eskorte fast starr vor Verwunderung machte. Daraus zog ich den Schluß, diese Leute hätten noch nie ein Gewehr zu Gesicht bekommen oder seine Wirkung beobachtet.

In der darauffolgenden Nacht verzehrten wir mit großem Wohlbehagen das frische Fleisch, das erste seit unserem Einmarsch in Kendahland. Außerdem stellte ich fest, daß Anlage und Gruppierung unseres Lagers anders geregelt wurde wie bisher. Es war schmaler und zusammengedrängter. Die Kamele liefen nicht frei herum, um zu grasen, wo es ihnen paßte, sondern sie wurden auf einer verhältnismäßig kleinen Fläche zusammengepflockt, auf deren Umkreis die Treiber sich in Gruppen lagerten. Ferner wurden die Vorräte und die Gepäckstücke in der Nähe unserer Zelte, also in der Mitte des Lagers, untergebracht und Wachen danebengesetzt. Ich fragte Hârut und Mârut, als sie mit uns aßen, nach dem Grunde dieser Maßnahmen.

»Der Grund ist der, daß wir an der Grenze von Kendahland angelangt sind,« antwortete der alte Hârut, »noch vier Tage Marsch, und wir werden mitten im Land stehen, Macumazana.«

»Ja, aber trefft ihr denn Vorsichtsmaßregeln gegen eure eigenen Leute? Die kommen doch nur, um euch Willkommen zu bieten?«

»Mit Speeren vielleicht, Macumazana! Du weißt doch, daß die Kendah aus zwei Stämmen bestehen. Wir gehören zu den weißen Kendah, aber es gibt auch schwarze Kendah, die um vieles zahlreicher sind als wir, trotzdem wir sie, als wir vor grauen Zeiten dieses Land besetzten, unterworfen haben. Die weißen Kendah bewohnen ihr eigenes Gebiet; aber da es keine andere Straße gibt, müssen wir das Land der schwarzen Kendah durchqueren, und da muß man immer auf Überfälle gefaßt sein, zumal wir jetzt Fremde in das Land bringen.«

»Wie kommt es denn, Hârut, daß die schwarzen Kendah euch alle miteinander nicht schon längst umgebracht haben, wenn sie um soviel zahlreicher sind als ihr?«

»Aus Furcht, Macumazana. Sie fürchten sich vor unserem Wissen und vor der Kundgebung des heiligen Kindes, und sie wissen, daß dieses Kind einen Fluch auf sie herabschleudern kann. Doch wenn sie uns außerhalb unseres Gebietes erwischen, töten sie uns geradeso, wie wir sie töten, wenn wir sie innerhalb unserer Grenze antreffen.«

»Also so liegt die Sache, Hârut. Dann sieht es ja fast aus, als ob der Krieg zwischen den beiden Stämmen unmittelbar bevorstünde.«

»Er steht auch unmittelbar bevor, Macumazana, der letzte große Krieg, der nur die weißen Kendah oder die schwarzen Kendah als Überlebende sieht, aber vielleicht werden auch beide Stämme zugrundegehen. Mag sein, daß dies der wirkliche Grund ist, weshalb wir dich aufforderten, zu uns zu kommen, Macumazana.« Und mit ihrer gewöhnlichen höflichen Verbeugung erhoben sich die beiden Araber und verließen uns, bevor ich noch antworten konnte.

Die Nacht verlief ruhig. Am nächsten Tage brachen wir schon vor dem Morgengrauen auf und durchquerten reichbewässerte, üppig bewachsene Landstriche und weite, wellige, steil bergansteigende Steppen. Auf diesen Steppen sah ich Herden von Antilopen weiden und anderes Wild, einmal auch etwas, was aus der Entfernung aussah wie eine Viehherde, aber kein einziges menschliches Wesen. Vor Sonnenuntergang schlugen wir ein Lager auf.

Während die Zelte aufgestellt wurden, erschien Hârut und forderte uns auf, ihm zu folgen. Wir begleiteten ihn etwa eine Viertelmeile weit und erklommen den Rücken eines niedrigen Bergzuges. Von da aus erblickte ich eins der wundervollsten Landschaftsbilder Afrikas. Zu unseren Füßen senkte sich das Land sanft zehn oder fünfzehn Meilen weit, bis es mit steilem Abfall in einer Ebene, in der Form einer ungeheueren Schüssel, wahrscheinlich dem Boden eines ehemaligen Sees, verlief. Ein Fluß durchkreuzte, seine Wasser vom Osten nach Westen tragend, das Gefilde. Kleine Nebenflüsse und Bäche strömten ihm zu, und weit jenseits dieses Flusses stieg das Land allmählich wieder an, bis zu einem viele, viele Meilen entfernten einzelnen, anscheinend buschbedeckten riesenhaften Berg. Nach Osten und Westen zu schien sich die flache Steppe bis in die Unendlichkeit zu erstrecken. Ihr Boden schien von äußerst fruchtbarer Beschaffenheit. Überall sahen wir Krale und Dörfer liegen. Im äußersten Westen machte ich stellenweise dichten Urwald aus, der anscheinend eine große Lichtung in seiner Mitte hatte.

»Schau dir das Land der Kendah an«, sagte Hârut. »Diesseits des Flusses Tava leben die schwarzen Kendah, auf der anderen Seite die weißen Kendah«.

»Und dort, was ist das für ein Hügel?« fragte ich.

»Das ist der Heilige Berg, der Wohnsitz des Himmelskindes, den kein Mensch betreten darf« – hier sah er uns bedeutungsvoll an – »außer den Priestern des Kindes.«

»Was geschieht, wenn einer es doch tut?« fragte ich.

»Er stirbt, Macumazana.«

»Demnach wird der Berg bewacht, Hârut?«

»Er wird bewacht, aber nicht durch sterbliche Wächter, Macumazana, sondern durch Geister, die das Kind behüten.«

Da er über diese geheimnisvolle Sache weiter nichts auskramte, wollte ich die Kopfzahl des Kendahvolkes wissen. Er setzte mir auseinander, daß die schwarzen Kendah ungefähr zwanzigtausend Männer unter die Waffen stellen könnten, während die weißen Kendah insgesamt höchstens zweitausend Köpfe stark wären.

»Dann allerdings wundert es mich nicht, wenn ihr Geister als Wächter eures Kindes notwendig habt,« bemerkte ich, »da die schwarzen Kendah, eure Feinde, euch um so vieles überlegen sind.«

In diesem Augenblick wurde unsere Unterhaltung durch die Ankunft einiger Kamelreiter gestört, die an Hârut etwas zu berichten hatten. Er schien mit einem Male beunruhigt. Ich fragte, ob denn etwas los sei.

»Natürlich ist etwas los!« sagte er und wies mit der Hand auf einen Mann, der nicht weit hinter uns auf einem struppigen Pony den Bergrücken hinabgaloppierte. »Das ist ein Meldereiter Simbas, des Königs der schwarzen Kendah, und jetzt geht er zu seinem König und teilt ihm unsere Ankunft mit. Geh ins Lager zurück, Macumazana, und iß. Wir marschieren bei Aufgang des Mondes ab.«

Sobald der Mond über dem Landrücken aufging, brachen wir eilends auf. Wir marschierten die Nacht durch und rasteten nur einmal kurz vor Tagesanbruch. Als die Kolonne sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, erschien Mârut und übermittelte uns eine Bitte seines Bruders Hârut, die Gewehre von jetzt ab schußbereit zu halten, da wir nunmehr das Gebiet des Elefanten Jana beträten, »und wer weiß, ob wir dem vierbeinigen Gott nicht begegnen?«

»Ihm oder vielleicht seinen zweibeinigen Anbetern«, fügte ich hinzu, worauf er nur mit einem Kopfnicken antwortete.

So machten wir unsere Repetierbüchsen fertig. Hans bekam das kleine Gewehr, das die Eingeborenen »Intombi« nannten, einen einläufigen Vorderlader.

Eine Viertelstunde später brach die Dämmerung herein. Wir hatten uns durch ein Gewirr von Felsblöcken durchzuzwängen, die die offene, tiefer gelegene Steppe wie mit einem Gürtel umgab. Eben passierten wir, dichtgedrängt vorgehend, die letzten dieser Felsen, als, von Mund zu Mund weitergegeben, der Befehl zum Halten kam. Bald gewahrten wir auch den Grund: keine halbe Meile von uns entfernt kamen etwa fünfhundert Leute in weißen Gewändern im Eilmarsch heran. Ein Teil war beritten, der größere Teil marschierte zu Fuß, und dauernd erhielt die Kolonne neue Verstärkungen durch Männer, die einzeln oder in kleinen Trupps aus den Pfaden der Steppe und aus den Büschen des Bergabhanges hervorquollen. Und alle zeigten sie tiefschwarze Gesichter unter großen, verfilzten Haarschöpfen, und alle waren mit langen Speeren bewaffnet.

Zwei Reiter lösten sich plötzlich aus ihrer Masse und sprengten auf uns zu. Der eine trug eine weiße Flagge, ein Zeichen, daß sie reden und nicht kämpfen wollten. Unsere Vorhut ließ sie passieren. Sie galoppierten, den Kameraden mit bemerkenswerter Geschicklichkeit ausweichend, bis in die Mitte unseres Haufens, hoben ihre Speere zum Run und rissen dicht vor Hârut und Mârut ihre Pferde so scharf zurück, daß die Tiere fast auf die Hinterfesseln niederbrachen. Die Burschen sahen ausgezeichnet aus. Ihre Kleidung war leicht und ungewöhnlich. Sie trugen wildlederne, an Badehosen erinnernde Reithöschen, dazu Sandalen, und als Schmuck silberne Kettchen, die vom Nacken über Brust und Rücken herabhingen. Sonst nichts. Ihre Bewaffnung bestand aus einer langen Lanze und aus einem geraden Schwert mit Kreuzgriff, das an einem Riemen über der Schulter getragen wurde.

»Seid gegrüßt, Propheten des Kindes,« rief der eine aus, »wir sind Boten des Gottes Jana, der durch den Mund von Simba, unserem König, spricht«

»Sagt an, Verehrer des Teufels Jana, welches Wort hat Simba, der König, für uns?« antwortete Hârut

»Das Wort des Krieges, Prophet. Was tut ihr jenseits eurer südlichen Grenze, des Tavaflusses, hier im Gebiete der schwarzen Kendah? Ist das Land im Norden bis zu den Bergen und jenseits der Berge noch nicht genug für euch? Simba, der König, ließ euch wohl hinaus, in der Hoffnung, die Wüste würde euch verschlingen, aber zurückkehren läßt er euch nicht!«

»Wir werden sogleich wissen, woran wir sind«, antwortete Hârut drohend. »Es hängt vielleicht davon ab, ob das Kind des Himmels oder der Teufel Jana der Mächtigere im Lande ist. Wir vermeiden Blutvergießen, solange wir nur können. Deshalb liegt uns daran, euch zu erklären, Boten des Königs Simba, daß wir in friedlicher Absicht hier sind. Wir müssen die weißen Herren begleiten, die gekommen sind, dem Kinde ein Opfer zu bringen. Und dies ist doch die einzige Straße, auf der wir sie zum Heiligen Berg geleiten können. Durch die Wälder und Sümpfe im Osten und Westen unseres Landes kommen Kamele nicht durch.«

»Und worin besteht das Opfer, das die weißen Männer dem Kinde bringen wollen, Prophet? Oh! wir wissen es wohl! Habt ihr eure Magier, so haben wir erst recht unsere Magier. Das Opfer, das sie bringen wollen, ist Janas, unseres Gottes Blut! Um diesen zu töten, habt ihr diese Weißen mit ihren fremden Waffen hergebracht – als ob irgendeine Waffe der Welt Jana, den Gott, verwunden könnte! Liefert uns sofort diese weißen Männer aus, damit wir sie dem Gotte opfern, mag sein, daß Simba, der König, euch unter dieser Bedingung durchläßt.«

»Warum sollen wir sie euch ausliefern?« fragte Hârut, »nachdem ihr selbst behauptet, daß die Weißen eurem Gott nichts tun können; was sie auch gar nicht beabsichtigen! Sie euch ausliefern, hieße sie von dem Teufel Jana in Stücke reißen zu lassen, und das wiederum hieße das Gebot der Gastfreundschaft brechen, denn sie sind unsere Gäste. Jetzt trollt euch zu Simba, eurem König, und sagt ihm, daß, wenn er nur einen Speer gegen uns aufhebt, der dreifache Fluch des Kindes ihn treffen soll, ihn und euch, sein Volk, der Fluch des Himmels durch Stürme und Feuer, der Fluch der Hungersnot, der Fluch des Krieges! Ich, der Prophet, habe gesprochen. Verlaßt uns!«

Dieses Ultimatum, von Hârut mit hoheitsvoller Stimme verkündet und durch die wie auf Kommando erhobenen zweihundert Speere der Kamelreiter machtvoll unterstützt, schien tiefen Eindruck auf die Boten zu machen. Ihre Gesichter nahmen den Ausdruck abergläubischer Furcht an, und sie räumten fluchtartig den Schauplatz. Ohne eine Antwort zu riskieren, warfen sie ihre Pferde herum und galoppierten zu ihrer Hauptmacht zurück.

»Wir müssen kämpfen, Macumazana,« sagte Hârut, »und wenn wir leben wollen, auch siegen. Und wir werden siegen, das weiß ich.«

Dann gab er seine Befehle. Die Karawane formierte sich in keilförmiger Ordnung, etwa wie ein Zug von Wildgänsen. Hârut selbst postierte sich an der Spitze des Dreiecks. Ich, Hans und Mârut wurden etwa in der Mitte des linken, Ragnall und Wild uns gegenüber im rechten Flügel eingereiht. Die Lastkamele mit ihren Führern erhielten einen sicheren Platz im Raum zwischen den beiden Flügeln und wurden überdies durch eine starke Nachhut gesichert.

Die Vorbereitungen waren rasch beendet. Noch war keine Viertelstunde seit dem Wegritt der Boten vergangen, als sich Hârut dreimal gegen den Heiligen Berg zu verneigte, dann hoch in den Steigbügeln aufrichtete und, einen langen Speer über seinem Kopfe schüttelnd, ein einziges Wort ausrief:

»Zum Sturm!«


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