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Zwei volle Jahre sind vergangen, seit ich Lord Ragnall und Fräulein Holmes Lebewohl gesagt habe, und nun, da der Vorhang wieder aufgeht, sitze ich auf den Verandastufen meines kleinen Hauses in Durban.
Ich hatte in dieser ganzen Zeit von Lord Ragnall ein- oder zweimal gehört. Zuerst erhielt ich einen Brief von Scroope, der mir Seiner Lordschaft Vermählung mit Fräulein Holmes anzeigte. Diese Sache schien ein Ereignis der Londoner Saison gewesen zu sein. Ein Ausschnitt aus einer Zeitung, den Scroope beigefügt hatte, verbreitete sich lang über die glänzende Erscheinung des Bräutigams und die Holdseligkeit der Braut. Nur ein einzelner Absatz erregte mein besonderes Interesse.
Er lautete: »Die Braut verursachte besonderes Aufsehen dadurch, daß sie, trotzdem, wie man weiß, die Diamanten der Familie Ragnall zu den schönsten Juwelen des ganzen Landes gehören, nur einen einzigen Schmuck trug. Es war eine Halskette, die aus großen, aber ziemlich primitiv gearbeiteten Rubinen bestand, und von der ein kleines, ebenfalls aus einem Rubin geschnittenes ägyptisches Idol herabhing. Es muß hinzugefügt werden, daß der Schmuck ihre dunkle Schönheit gut kleidete, wenn er auch bei dieser besonderen Gelegenheit etwas ungewöhnlich erschien. Warum Lady Ragnall unter den vielen Kleinodien, die sie besitzt, gerade ihn ausgewählt hatte – darüber gab es mancherlei Vermutungen. Es wird berichtet, daß sie auf die diesbezügliche Frage eines Freundes sich dahin äußerte, das Schmuckstück würde ihr Glück bringen.«
Auch ich wunderte mich, warum sie dem barbarischen Hochzeitsgeschenk der Hârut und Mârut den Vorzug gegeben hatte. Die Sache schien mir merkwürdig, fast unverständlich.
Eine zweite Nachricht über dieses Paar erreichte mich über ein Jahr später. Aus einer Zeitungsnotiz ersah ich, daß Lord Ragnall ein Sohn und Erbe geboren worden war, und daß Mutter und Kind sich wohlauf befanden.
So, dachte ich, das wäre das Ende einer netten, kleinen Episode.
Ich hatte im Verlauf dieser zwei Jahre allerhand erlebt, und zwar auf einer Expedition in eine unbekannte Gegend Afrikas. Als Fazit all dieser Abenteuer war in mir der Entschluß reif geworden, mich nie wieder auf solche verrückten Unternehmungen einzulassen. Nur meinem großen Glück hatte ich es zu verdanken, wenn ich überhaupt noch lebendig nach Durban zurückkam.
Durch Umstände, über die ich an anderer Stelle berichtet habe, sah ich mich jetzt im Besitz einer beträchtlichen Summe Geldes, und ich beschloß, diese so anzulegen, daß ich nie mehr in die Zwangslage käme, Jagd- und Handelsexpeditionen in die wildesten Regionen Afrikas unternehmen zu müssen. Wie gewöhnlich kommt, wenn man erst Geld hat, auch die Gelegenheit, es zu verwerten. In meinem Falle bot sie sich in Gestalt einer Goldmine, die eben an der Grenze des Zululandes entdeckt worden und eine der ersten in jener Gegend war. Ein jüdischer Händler, namens Jakob, unterrichtete mich von der Sache und bot mir Halbpart an, falls ich das nötige Betriebskapital in das Unternehmen hineinsteckte. Eine Reise in jenen Distrikt überzeugte mich davon, daß tatsächlich ein außerordentliches Geschäft in Aussicht zu stehen schien. Es ist nicht nötig, Einzelheiten zu berichten, und, um die Wahrheit zu sagen, ich habe auch gar kein Verlangen, das zu tun; denn auch jetzt ist die Sache noch ein wenig schmerzlich für mich. Ich will nur soviel erwähnen: der Jude und einige seiner Freunde holten vor meinen Augen Goldkörner aus dem Boden und zeigten mir dann auch die vielversprechende Quarzklippe, aus der es in verflossenen Zeiträumen ausgewaschen worden sein sollte. Die Nachricht von unserer Entdeckung verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und das Endergebnis war, daß eine Gesellschaft gegründet wurde mit Allan Quatermain an der Spitze, die »Bona-fide-Goldmine G. m. b. H.«.
Oh, diese Kompanie! Manchmal, noch heute, wenn ich Verdauungsbeschwerden habe, träume ich von ihr.
Unser Kapital war klein, 10 000 Pfund. Der Jude, der mit Recht Jakob hieß, und seine Freunde übernahmen die Hälfte (umsonst natürlich) als Kaufpreis für ihre Rechte. Ich betrachtete das Verhältnis nicht als angemessen, zumal als ich ausfindig gemacht hatte, daß diese Rechte sie genau drei Dutzend Flaschen Schnaps, einen zusammengebrochenen Wagen, vier alte Kühe und fünf Pfund in bar gekostet hatten. Nachdem man mir jedoch von der Genialität erzählte, die in Aktion hatte treten müssen, um diese Schatzkammer überhaupt ausfindig zu machen und sie an sich zu bringen, und in Anbetracht des Umstandes, daß diese Summe ja nicht in bar, sondern in Anteilscheinen ausgezahlt wurde, die nur nach Sicherstellung des Ertrages realisiert werden konnten, gab ich nach einer Nacht voll sorgenvollen Erwägungen nach.
Persönlich zahlte ich tausend Pfund in das Unternehmen ein. Ich erinnere mich noch, daß Jakob und seine Freunde über diese Maßnahme erstaunt waren, da sie mir fünfhundert ihrer Anteilscheine ganz umsonst angeboten hatten, »in Erwägung der Garantie, die mein guter Name böte«. Das lehnte ich ab mit der Begründung, daß ich nicht andere auffordern wolle, in eine Unternehmung Geld zu stecken, an der ich nicht selbst mit Kapital beteiligt war.
Schließlich waren viertausend Pfund gezeichnet, und wir gingen an die Arbeit. Arbeit ist eine eigenartige Bezeichnung für das, was mir persönlich in der kommenden Zeit blühte. Es war die aufreibendste Tätigkeit, die ich jemals verrichtet habe.
Wir begannen, indem wir einen Streifen Kies auswuschen, und wir erzielten dabei einfach erstaunliche Ergebnisse. So erstaunlich waren sie, daß die Aktien daraufhin sofort auf zehn Schilling über pari stiegen. Jakob und Genossen zogen Vorteil aus dieser Gelegenheit, indem sie die Hälfte ihrer Anteilscheine an stürmisch Nachfragende verkauften, nicht etwa um persönlichen Profit zu machen, wie sie mir erklärten, sondern um »die Basis des Unternehmens durch Zuführung von frischem Blut zu erweitern«.
Kurz nach dieser Hausse geschah es, daß die Ausbeute aus dem Kiesstreifen um die reiche Ader herum bedenklich mager wurde. Es erwies sich als nötig, eine Sprengbatterie anzuschaffen, um die angeblich goldhaltige Quarzklippe zu sprengen. Die Batterie wurde auch bei einer Firma in Kapstadt bestellt. – Aber warum diese traurige Angelegenheit in allen ihren Details verfolgen? Die Aktien begannen zu fallen. Sie fielen erst auf ihren Nennwert, auf ein Pfund, dann auf fünfzehn Schilling, dann auf zehn. Jakob, der Betriebsdirektor, setzte mir auseinander, es würde nötig sein, »den Markt zu stützen«. Ich als Vorsitzender müsse die Führung bei diesem löblichen Werke übernehmen, um mein Vertrauen in das Unternehmen zu beweisen.
Ich übernahm auch die Führung, indem ich nochmals fünfhundert Pfund anlegte. Es war das letzte, was ich aufbringen konnte. Ich muß gestehen, es bedeutete die Erschütterung meines letzten Glaubens an das Gute im Menschen, als ich dann eines Tages erfuhr, daß die Aktien, die ich für fünfhundert Pfund gekauft hatte, in Wirklichkeit das Eigentum Jakobs waren, trotzdem sie mir unter zahllosen anderen Namen angeboten wurden. Schließlich kam die Katastrophe. Denn noch bevor die Sprengbatterie geliefert war, waren unsere verfügbaren Fonds erschöpft, und niemand wollte auch nur einen halben Penny zeichnen. Es wurden noch Schuldscheine ausgegeben. Wer sie kaufte, blieb mir damals verborgen. Zuletzt wurde eine Versammlung der Gesellschafter einberufen, um die Frage der Auflösung des Unternehmens zur Debatte zu stellen, und nach drei schlaflosen Nächten erklärte ich mich bereit, den Vorsitz in dieser Versammlung zu übernehmen.
Als ich den Raum betrat, stellte ich zu meinem Erstaunen fest, daß von den fünf Direktoren nur einer da war, ein ehrlicher alter Seekapitän a. D., der dreihundert Aktien gekauft und auch bar bezahlt hatte. Jakob und seine zwei Freunde, die Stellvertreter, hatten, wie ich erfuhr, an dem Tage Passage nach Kapstadt genommen, um zahlreichen Verwandten beizustehen, die plötzlich erkrankt waren. Die Versammlung begann stürmisch. Ich erklärte den Stand der Dinge, so gut ich es vermochte. Als ich geendet hatte, wurde ich in ein Kreuzfeuer von Fragen genommen. Ich konnte sie weder zu meiner eigenen Zufriedenheit noch zu der von irgend jemand anderem beantworten. Dann stand ein Herr, Besitzer von zehn Aktien, auf, und erklärte klipp und klar, ich hätte die Aktionäre durch die Ausgabe falscher Berichte betrogen.
Flammend vor Wut fuhr ich in die Höhe und forderte ihn, trotzdem er ungefähr über das Doppelte meines Körpervolumens verfügte, auf, herauszukommen und sich mit mir draußen über diesen Punkt zu unterhalten, worauf er prompt wegging. Daraufhin erhob sich ein Gelächter, und dann kam die ganze Wahrheit ans Licht. Ein Herr erhob sich und erzählte eine Geschichte, die sich späterhin auch als wahr erwies. Jakob hatte ihn engagiert, um die Mine zu »salzen«, das heißt, er hatte eine Handvoll Goldstaub in den Kiesstreifen, den wir zuerst auswuschen, zu mischen (der farbige Herr schwor, daß er das getan hätte, ohne sich etwas Böses dabei zu denken), worauf er prompt von Jakob um seinen Lohn betrogen worden war. Das war alles. Ich sank wie vom Schlag getroffen in meinen Stuhl zurück. Dann stand ein anständiger Mensch, der selbst Geld bei der Affäre verloren hatte, und den ich kaum kannte, im Auditorium auf und hielt eine Rede, die mir wenigstens einen Teil meines Vertrauens in die menschliche Natur zurückgab.
Er gab der allgemeinen Überzeugung Ausdruck, nach der ich, Allan Quatermain, nachdem ich wie ein Pferd für die Interessen der Aktionäre geschuftet und mich selbst bei diesem Unternehmen finanziell ruiniert hätte, unschuldig sei, und daß der wirkliche Betrüger Jakob wäre, der sich mit einer ganz netten Summe nach dem Kap davongemacht hätte. Er schloß mit der Aufforderung: »Drei Hochs auf unseren ehrlichen Freund und Leidensgenossen, Mister Allan Quatermain!«
Merkwürdigerweise wurden sie von dem Auditorium auch in herzlicher Weise ausgebracht. Ich dankte dem Sprecher mit Tränen in den Augen und bemerkte, ich wäre froh, den Raum, zwar arm, aber als ehrlicher Kerl – was mir mein Gewissen sowohl als auch ihre Freundlichkeit bestätige – verlassen zu dürfen.
So wurde denn eine gewundene Resolution gefaßt und die Versammlung löste sich auf. Nachdem ich dem Mann, der mir auf so anständige Weise in einer sehr unangenehmen Situation beigesprungen war, noch herzlich die Hände geschüttelt hatte, trottete ich mit dem leichtesten Herzen von der Welt heim. Mein Geld war zwar weg, das war ein Faktum, und durch meine allzu große Vertrauensseligkeit war ich zum allgemeinen Gespött geworden – denn ich hatte trotz des augenfälligen Schwindels etwas als Tatsache anerkannt, was ich aus Mangel an Erfahrung zu überprüfen nicht in der Lage war. Aber mein ehrlicher Name war gerettet, und das ist, wie ich in einem langen Leben erfahren habe, schließlich doch der beste und verläßlichste Aktivposten.
Als ich das Lokal, wo unsere Versammlung stattgefunden hatte, verlassen hatte, passierte ich eine noch unvollendete Seitenstraße mit nur wenigen in Gärten versteckten Häusern und einem ziemlich breiten und schlammigen Rinnstein am Rande des Fußsteiges. Bis auf zwei Menschen war die Straße leer, aber diese beiden zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Da war ein weißer Mann, in dem ich das untersetzte, halbbesoffene Individuum erkannt, das mich des Betruges an der Compagnie beschuldigt und sich dann davongemacht hatte, und ein vertrockneter alter Hottentott, der mich von weitem an einen gewissen Hans erinnerte.
Dieser Hans war, wie ich nachholen muß, ursprünglich ein Diener meines Vaters, eines Missionars in der Kapkolonie, aber späterhin mein Gefährte in vielen Abenteuern gewesen. Er und ich, wir zwei allein entkamen, als der Zulu Dingan Retif und seine Buren ermordete, und er war auch mein Begleiter auf der abenteuerlichen Fahrt nach der wundervollen Orchidee, der Heiligen Blume.
Hans hatte seine schwachen Seiten. Da war vor allem seine innige Neigung für Schnaps. Aber sonst war er ein mutiger und zuverlässiger alter Bursche. Dazu kam, daß er mit einer Liebe an mir hing, die noch über die Liebe einer Frau hinausging. Jetzt, nachdem er sich eine gewisse Summe Geld erworben hatte, war er als eine Art Miniaturhäuptling auf einer Farm unweit Durban ansässig, wo er hochgeehrt wegen seiner ruhmvollen Taten lebte.
Der weiße Mann und Hans, falls es wirklich Hans war, waren in einer erregten Auseinandersetzung auf Kapholländisch begriffen, von der mir der Abendwind einzelne Brocken zutrug.
»Du dreckiger, kleiner Hottentott,« schrie der weiße Mann, drohend einen Stock schwingend, »ich werde dir die Leber herausschneiden! Was soll das heißen, daß du hinter mir herschnüffelst wie ein Schakal?« Und schon schlug er nach Hans, der aber zur Seite sprang.
»Du Sohn einer fetten, weißen Sau,« schäumte Hans auf (in dem Moment, wo ich die Stimme hörte, erkannte ich Hans mit Bestimmtheit), »du hast dich unterstanden, den Baas einen Dieb zu nennen? – Ja, einen Dieb, du Wühler im Schlamm, du Schmutzfresser, du Eber der Gosse – den Baas – von dem ein Fingernagel mehr wert ist als du mitsamt deiner ganzen dreckigen Familie, er, dessen Ehre so klar, so rein ist wie das Sonnenlicht, und dessen Herz weißer ist als der weiße Sand der See.«
»Jawohl, so ist's,« grölte der weiße Mann, »er hat mein Geld von der Goldmine.«
»Du Wildsau, warum bist du denn weggerannt? Warum hast du nicht gewartet, um ihm das draußen vor der Tür zu wiederholen?«
»Warte, ich werde dir etwas zeigen von wegen Weglaufen, du kleiner, gelber Hund«, schrie der andere und versetzte Hans einen Faustschlag in die Rippen.
»Oh! Du willst mich laufen sehen, nicht wahr?« sagte Hans und glitt mit wundervoller Behendigkeit um ein paar Meter zurück. »So, pass' mal auf!«
Mit diesen Worten senkte er den Kopf und stürmte los wie ein wütender Büffel. Sein Wollkopf traf den Feind genau in der Magengrube. Der Weiße wurde in die Höhe geschleudert. Er flog rückwärts und landete mit einem Plumps im schlammigen Rinnstein, gerade dort, wo er am tiefsten war. Ich möchte hier bemerken, daß, wie die Schienbeine die schwächste Stelle eines Hottentotten, der Kopf bei weitem den härtesten und gefährlichsten Teil seines Körpers bildet. Solch ein Schädel hat tatsächlich die Wucht und Härte etwa einer Kanonenkugel; ich habe einmal gesehen, wie ein halbbeladener Wagen über den Kopf eines Hottentotten fuhr, ohne daß diesem mehr passierte als eine kurze Besinnungslosigkeit.
Nachdem Hans seinen Sturmbockangriff zu einem glücklichen Ende gebracht hatte, huschte er um die nächste Ecke und ward nicht mehr gesehen. Ich aber wartete aufgeregt ab, wie die Untat seinem weißen Gegner bekommen war. Zu meiner Erleichterung kroch dieser eine Minute später aus der Gosse, schlammbedeckt und von Wasser triefend. Langsam schlich er die Straße hinunter, den Kopf so tief auf die Brust gesenkt, daß es aussah, als wäre er zusammenklappbar, und die Hände auf den Magen gepreßt. Ich habe oft gehört, daß man die Hottentotten als auf der niedrigsten Stufe menschlicher Entwicklung stehend betrachtet. Sie können aber, wenn man sie nur gut behandelt, treue und anhängliche Freunde sein – eine Tatsache, für deren Richtigkeit ich binnen kurzem einen neuen Beweis bekommen sollte.
Nach Hause gekommen, setzte ich mich zunächst in den wackligen Lehnstuhl auf der Veranda meines Hauses. Sodann stopfte ich mir eine Pfeife und versank in eine Erstarrung, wie sie meist als Reaktion eintritt, wenn man mit knapper Mühe einer Gefahr entronnen ist. Eines stand zwar fest: niemand glaubte, daß ich ihn mit jener dreimal verfluchten Goldmine hätte betrügen wollen. Aber da waren noch ein paar andere kniffliche Geschichten.
Ich grübelte über die biblische Erzählung von Jakob und Esau nach und entdeckte plötzlich in mir eine Sympathie für Esau. Ich war begierig, was wohl aus meinem Jakob werden würde. Wahrscheinlich würde er, wie sein biblischer Namensvetter, durch seine Geschäfte in Nahrungsmitteln, durch weitere mehr oder minder reelle Transaktionen zu Wohlstand und, wie van Koop in England, schließlich noch zu einem Adelstitel kommen. Jedenfalls hatte ich das Linsengericht in Gestalt der wertlosen, aber teuer bezahlten Aktien gegessen und auf der Jagd nach dem goldenen Kalbe hart gefrondet, während Bruder Jakob meine Erbschaft oder zumindest mein Geld hatte. Wahrscheinlich zählte er jetzt an Bord des Schiffes die Goldstücke und lachte sich schief bei dem Gedanken an die Versammlung der Aktionäre mit mir als Vorsitzenden. Nun, warum noch weitergrübeln! Ich hatte meinen ehrlichen Namen behalten – mochte er meine Ersparnisse besitzen. –
Aber ich hatte einen Sohn zu unterstützen. Und was sollte ich jetzt mit knapp dreihundert Pfund, einer Kollektion guter Gewehre und diesem kleinen Grundstück in Durban anfangen? Es blieb mir jetzt wieder nur eins übrig: mein altes Handwerk, die professionelle Jagd. Demnach mußte ich von neuem auf Abenteuer ausziehen, denen ich abgeschworen hatte, als mein trügerischer Stern über der Goldmine glänzend aufging.
Während ich die Vorteile und Nachteile der verschiedenen in Frage kommenden Jagdgebiete abwog, erregte meine Aufmerksamkeit eine Art Husten aus der Richtung hinter einem großen Gardeniabusch her. Es schien kein menschlicher Husten zu sein. Er erinnerte vielmehr an jene Töne, die eine gewisse kleine Antilopenart bei Nacht ausstößt, wahrscheinlich als Zeichen für ihren Gefährten. Hier konnte etwas Ähnliches natürlich nicht in Betracht kommen, denn auf einige Meilen im Umkreis gab es keine Antilopen. Und ich wußte, daß der Ton aus einer menschlichen Kehle kam. Hatte ich ihn nicht schon früher in so mancher Stunde der Gefahr vernommen?
»Komm näher, Hans«, sagte ich auf holländisch, und wie eine gelbe Schlange kroch sofort die verwitterte Gestalt des alten Hottentotten hinter dem Gardeniabusch hervor. Warum er gerade auf diese Methode der Annäherung verfallen war, statt einfach durch Gartentür und Gartenweg hereinzukommen, wußte ich nicht. Aber sie entsprach ganz seiner leisen und vorsichtigen Art, vererbt von hundert Generationen Vorfahren, die ihr Leben in steter Bedrohung durch mörderische Feinde verbracht hatten. Er warf sich vor mir nieder und starrte wie geistesabwesend in die feurige Scheibe der sinkenden Sonne, ohne mit einem Augenlid zu blinzeln. Geier verhalten sich so.
»Du siehst aus, als ob du gerauft hättest, Hans; dein Hut ist eingetrieben, du selbst bist mit Schlamm bespritzt und hast einen Striemen von einem Stockhieb an deiner rechten Seite.«
»Ja, Baas, du hast recht wie immer, Baas. Ich hatte Krach mit einem Mann um sechs Pence, die er mir schuldete, und habe ihn mit dem Kopf über den Haufen gerannt und vergessen, vorher meinen Hut abzunehmen. Nun ist er hin, und das tut mir leid, denn es war ein ganz neuer Hut, noch nicht zwei Jahre alt. Der Baas hat ihn mir gegeben. Er kaufte ihn in einem Laden in Utrecht, als wir von Pongoland zurückkamen.«
»Warum lügst du mich an?« fragte ich. »Du hast mit einem weißen Mann gerauft und um mehr als sechs Pence. Du hast ihn in die Gosse geworfen, und der Schlamm hat dich über und über angespritzt.«
»Ja, Baas, es ist so. Dein Dämon spricht wahr zu dir. Und doch kommt er ein bißchen vom Wege ab; denn ich habe mit dem weißen Mann für weniger als sechs Pence gerauft. Ich raufte mit ihm wegen Liebe, die überhaupt nichts wert ist.«
»Dann bist du ein noch größerer Narr, als ich gedacht habe, Hans. Was willst du jetzt?«
»Ich will ein Pfund borgen, Baas. Der weiße Mann wird mich vor den Polizeirichter schleppen, und ich werde mit einem Pfund bestraft werden, oder ich muß vierzehn Tage in den Koffer (Haft). Es ist wahr, daß der weiße Mann mich zuerst geschlagen hat, aber der Polizeirichter wird dem Wort eines armen, alten Hottentotten einem weißen Mann gegenüber nicht glauben, und ich habe keine Zeugen. Er wird sagen: ›Hans, du bist wieder betrunken gewesen. Hans, du bist ein Lügner und verdienst ausgepeitscht zu werden, was beim nächsten Mal geschehen wird. Zahle ein Pfund und zehn Schilling dazu, was der Preis für gute weiße Justiz ist, oder gehe für vierzehn Tage in den Koffer und mache da Körbe für die große Königin.‹ Baas, ich habe den Preis für die Justiz, der zehn Schilling ist, aber ich möchte das Pfund für die Strafe von dir borgen.«
»Hans, ich glaube, augenblicklich wärst du eher imstande, mir ein Pfund zu borgen als ich dir. Meine Tasche ist leer, Hans.«
»Steht es so, Baas? Nun, macht nichts! Wenn nötig, kann ich auch vierzehn Tage lang Körbe für die große weiße Königin machen, in die sie ihre Einkäufe hineintun kann, oder Matten, auf denen sie ihre Schuhe säubert. Der Koffer ist gar kein so schlechter Platz, Baas. Man hat da Zeit, über die Justiz des weißen Mannes nachzudenken und dem Großen im Himmel zu danken. Denn die kleinen Sünden, die man nicht getan hat, sind herausgekommen und bestraft worden, während die großen Sünden, die man wirklich getan hat, so wie – na, egal – nicht herausgekommen sind.«
»Warum gehst du überhaupt in den Koffer, Hans, da du doch reich bist und eine Strafe bezahlen kannst, sogar wenn es hundert Pfund wären.«
»Vor ein oder zwei Monaten war ich reich, das stimmt, Baas, aber jetzt bin ich arm, mir ist nichts geblieben als zehn Schilling.«
»Hans,« sagte ich ernsthaft, »du hast wieder gespielt, du hast wieder getrunken, du hast dein Grundstück und dein Vieh verkauft, um Spielschulden zu bezahlen und um Schnaps zu kaufen.«
»Ja, Baas, und nutzlos verkauft, scheint es. Trotzdem ist es nicht wahr, daß ich getrunken habe. Ich habe das Land und das Vieh für sechshundertfünfzig Pfund verkauft, Baas, und mit dem Gelde andere Sachen gekauft.«
»Was hast du gekauft?« fragte ich.
Er wühlte erst in einer Tasche seines großen Rockes herum, dann in der anderen und brachte schließlich ein zerknittertes und schmutziges Stück Papier hervor, das fast so aussah wie eine Banknote. Ich nahm das Dokument und besah es näher. In der nächsten Minute vergingen mir fast die Sinne. Denn es bestätigte, daß Hans der Besitzer von, ich weiß nicht wieviel, Schuldscheinen der Bona-fide-Goldmine G. m. b. H. war. Also eben derselben Gesellschaft, deren unglücklicher Versitzender ich gewesen. Und für dieses Papier hatte Hans die Summe von über sechshundert soliden Pfund bezahlt.
»Hans,« fragte ich matt, »von wem hast du das gekauft?«
»Von dem Baas mit der krummen Nase, Baas. Sein Name war Jakob, wie der große Mann in der Bibel, von dem dein Vater, der Prediger, uns manchmal erzählte.«
»Und wer hat dir gesagt, daß du die Papiere kaufen sollst, Hans?«
»Sammy, Baas, der bei dir Koch war, als wir nach Pongoland gingen, der sich in der Maisgrube versteckte, als die Sklavenhändler Bezarstadt verbrannten, und der dann halbgerostet herauskam wie ein Huhn aus dem Ofen. Der Baas Jakob war in Sammys Hotel abgestiegen und hatte ihm gesagt, daß, wenn er nicht Papiere wie dieses kaufte, von denen er sehr viele hatte, du, Baas, vor den Richter und in den Koffer kommen würdest. So hat Sammy einige gekauft, Baas, aber nicht viel, denn er hatte nur wenig Geld, und der Baas Jakob hat ihm für alles, was er gegessen und getrunken hat, mit ebensolchen Papieren bezahlt. Dann kam Sammy zu mir und zeigte mir, was ich zu tun hatte, und erinnerte mich, daß dein ehrwürdiger Vater, der Prediger, dich meiner Obhut übergeben hatte, bis einer von uns stürbe, ob du gesund oder krank wärest, ob es dir gut oder schlecht ginge – gerade wie eine weiße Frau. – So habe ich die Farm und das Vieh zu einem sehr geringen Preise an einen Freund von Baas Jakob verkauft, Baas, und das ist die ganze Geschichte.«
Ich hörte, und muß gestehen, ich weinte fast bei dem Gedanken an das Opfer, das dieser arme alte Hottentott auf die Vorspiegelungen eines Gauners hin für mich gebracht hatte.
»Hans,« fragte ich, als ich meine Selbstbeherrschung wiedergefunden hatte, »sage mir, wie war doch der neue Name, den der Zuluhäuptling Mavovo dir gab, bevor er starb; ich meine damals, als du Bezarstadt angezündet und Hassan und seine Sklavenjäger in ihrer eigenen Falle gefangen hattest?«
Hans, der plötzlich draußen auf See etwas sehr Interessantes entdeckt zu haben schien, vielleicht, weil er nicht Zeuge meiner Bewegung sein wollte, drehte sich langsam herum und antwortete: »Mavovo nannte mich Licht-im-Dunkel. Unter diesem Namen kennen mich die Kaffern, Baas.«
»Dann hat dich Mavovo recht genannt, Hans; denn du glänzest wirklich wie ein Licht im Dunkel meines Herzens. Ich, den du für so weise hältst, bin nur ein Dummkopf, Hans, der auf die Tricke eines gewöhnlichen Betrügers hereingefallen ist, genau so wie du und Sammy. Aber hat er mir gezeigt, wie gemein Menschen sein können, so hast du mir gezeigt, daß sie auch sehr gut sein können, und wenn ich das eine gegen das andere vergleiche, dann richtet sich mein Geist, der im Staube lag, wieder auf wie eine verdorrte Blume nach dem Regen. Licht-im-Dunkel, und wenn ich auch zehntausend Pfund hätte, ich könnte dich nicht bezahlen; denn das, was du mir gegeben hast, ist mehr wert als alles Gold der Welt und alles Land und alles Vieh. Aber mit Achtung und Liebe will ich versuchen, dich zu entschädigen.« Und ich hielt ihm meine Hand hin.
Er nahm sie und preßte sie gegen seine runzlige, alte Stirn. Dann antwortete er:
»Sprich nicht mehr davon, Baas, denn es macht mich elend, mich, der ich doch so glücklich bin. Wie oft hattest du mir vergeben, wenn ich Unheil anrichtete? Wie oft hast du mich nicht geprügelt, wenn ich hätte geprügelt werden sollen, wenn ich betrunken war oder andere Sachen ausgefressen hatte, ja, sogar als ich einmal dein Schießpulver stahl und es verschacherte, um mir Schnaps zu kaufen? Trotzdem ich übrigens wußte, daß das Pulver verdorben war. Habe ich dir dafür jemals gedankt? Außerdem habe ich dieses Papier gar nicht gekauft, um dir zu helfen; denn man sagte mir, solche Papiere könnten bald viel, viel mehr wert sein, als ich dafür gegeben hatte. Ich betrachtete es als Spiel, und du weißt, daß ich das Spiel so liebe. Und wenn ich Geld gewonnen hätte, hätte ich es dir etwa gegeben? Nein, ich würde es selber behalten und eine noch größere Farm und noch mehr Vieh dafür gekauft haben.«
»Hans,« sagte ich mahnend, »wenn du so unverschämt lügst, wirst du sicher in die Hölle kommen, wie es dir mein Vater so oft gesagt hat.«
»Nicht wenn ich für dich lüge, Baas. Außerdem würde es auch nicht viel ausmachen. Nur daß wir, Baas, voneinander durch den tiefen Abgrund getrennt wären. Aber es hätte das Gute, daß ich dann den Baas Jakob treffen würde, was ich sehr gern möchte.«
Ich wollte ihn diesen ein bißchen unchristlichen Gedankengang nicht weiter verfolgen lassen und fragte deshalb, warum er sich eigentlich glücklich fühle. »Oh, Baas,« antwortete er, mit seinen kleinen schwarzen Augen zwinkernd, »kannst du es nicht erraten? Jetzt hast du nur noch sehr wenig Geld, und ich habe überhaupt keins; deshalb ist es klar, daß wir irgend wohin gehen müssen, um wieder Geld zu bekommen. Ich freue mich darauf, Baas. Ich habe es satt, da draußen auf der Farm zu sitzen und Mais und Milchkühe zu züchten, zumal ich zu alt bin, um zu heiraten, Baas. Und du selbst bist es sicher müde, umsonst nach Gold zu suchen und betrübte Lieder in jenem Versammlungshause zu singen, wie du es heute nachmittag getan hast. Der Große in den Himmeln wußte, um was es ging, als er uns den Baas Jakob in den Weg schickte. Er prügelt uns zu unserem Guten, Baas, wie er es immer tut. Wenn wir es nur immer verstünden.«
Nachdenklich erwiderte ich: »Das ist wahr, Hans, und ich danke dir für die Lektion, die zweite, die du mir heute gegeben hast. Aber wohin wollen wir gehen, Hans? Denke daran, es müssen Elefanten sein.«
Er nannte mir verschiedene Plätze. Es schien fast, als wäre er schon mit einer Liste hergekommen. Zuletzt warf er sich vor mir nieder, kaute ein Stück Tabak, das ich ihm gegeben hatte, und guckte mich von Zeit zu Zeit an, den Kopf auf die Seite biegend, wie ein mißtrauisches, spähendes Huhn.
»Hans,« sagte ich, »erinnerst du dich an eine Geschichte, die ich dir vor etwa einem Jahr erzählte, von einem Stamm, die Kendah genannt? In deren Land soll ein großer Friedhof von Elefanten existieren. Im Nordwesten der Seeinsel, auf der einst die Pongo wohnten, liegt er.«
»Ja, Baas.«
»Und du sagtest, glaube ich, daß du von solch einem Stamm niemals gehört hättest.«
»Nein, Baas, ich habe überhaupt nichts darüber gesagt. Aber dennoch habe ich sogar viel über diesen Stamm gehört.«
»Ja, aber warum hast du mir denn das nicht früher gesagt, du Idiot?« fragte ich ärgerlich.
»Wozu sollte das gut sein, Baas? Damals jagtest du Gold, nicht Elefanten. Warum sollte ich dich unglücklich machen und Atem verschwenden beim Schwatzen über Dinge, die so jenseits unserer Absichten lagen?«
»Rede kein dummes Zeug, Hans, und erzähle mir sofort, was du weißt«
»Folgendes, Baas: Als wir seinerzeit in Bezarstadt den Gorillagott getötet hatten und dein Freund, der Baas Stephan, krank lag und es nichts zu tun gab, unterhielt ich mich mit jedem, den ich traf. Und viele Leute gab es dort nicht, Baas. Aber da war eine sehr alte Frau, die nicht der Maziturasse angehörte und deren Mann und Kinder schon tot waren, die aber in der Stadt angesehen und gefürchtet war, weil sie Medizin aus Kräutern machte und die Zukunft weissagte. Sie war ganz blind, Baas, und liebte es sehr, mit mir einen Schwatz zu machen. Ich habe ihr also über den Pongo-Gorillagott erzählt, von dem sie schon einiges gehört hatte. Als ich mit meinem Bericht fertig war, sagte sie, daß dieser Gott unbedeutend sei, verglichen mit einem gewissen andern Gott, den sie in ihrer Jugend, gerade als sie heiratsfähig wurde, gesehen hatte, vor siebenmal zehn Jahren. Ich fragte sie nach dieser Geschichte, und da erzählte sie:
›Weit von hier, im Nordosten, lebt ein Volk, die Kendah genannt, die werden von einem Sultan regiert. Es ist ein sehr großes Volk, und es lebt in einem sehr fruchtbaren Lande. Aber rings um sein Gebiet liegen menschenleere Einöden, nur von Tieren bewohnt, und sie wollen nicht, daß jemand ihr Land betritt. So kommt es, daß niemand etwas über sie weiß. Gelangt aber wirklich einmal einer durch die Wildnis in ihr Land, so wird er getötet, und nie kehrt einer zurück, um von ihnen zu erzählen.‹«
»Und was sagte sie dir über das Volk der Kendah und ihren Gott?«
»Die Kendah haben nicht einen Gott, sondern zwei, und nicht einen Herrscher, sondern auch zwei. Sie haben einen guten Gott in der Gestalt eines Kindes (hier sah ich auf), der durch den Mund eines Orakelmediums spricht. Und immer ist eine Frau das Medium. Falls die Frau stirbt, kann der Gott nicht mehr sprechen, bis eine neue Frau gefunden ist, die bestimmte Zeichen auf ihrem Körper trägt. Dadurch wird offenbar, daß der Geist des Gottes in ihr seine Wohnung aufgeschlagen hat. Ehe die Frau stirbt, sagt sie den Priestern stets, in welchem Lande sie nach ihrer Nachfolgerin suchen müssen. Aber manchmal kann diese nicht gefunden werden und dann entsteht Unheil, weil ›das Kind‹ seine ›Zunge‹ verloren hat, und dann wird das Kendahvolk die Beute des anderen Gottes, der niemals stirbt.«
»Und wer ist jener Gott, Hans?«
»Jener Gott, Baas, ist ein Elefant (hier sah ich nochmals auf), ein sehr böser Elefant, dem Menschenopfer dargebracht werden. Ich glaube, Baas, der Teufel hat die Gestalt dieses Elefanten angenommen, wenigstens sagte auch die Frau so. Der Sultan ist ein Anbeter des Gottes Jana, der in dem Elefanten wohnt (jetzt stieß ich einen Pfiff aus), und auch die meisten des Volkes sind seine Anbeter. Denn, Baas, du mußt wissen, bei Beginn der Welt waren die Kendah zwei Völker; aber das hellfarbige Volk, das das Kind anbetete, kam vom Norden herunter und unterwarf das schwarze Volk. Sie brachten das Kind mit sich, oder wenigstens habe ich die Alte so verstanden, Baas. Es war vor tausend und tausend Jahren, als die Welt jung war. Seitdem leben die beiden Völker Seite an Seite nebeneinander hin wie zwei Ströme in demselben Bett, aber niemals haben sie sich gemischt. Jedes behält seine eigene Farbe, nur, sagte sie, jener Strom, der vom Norden kam, wird schwächer, und der vom Süden stärker.«
»Warum hat dann aber der starke Strom den schwächeren nicht verschlungen?«
»Weil die Schwachen noch immer die Reinen und die Weisen sind, Baas. So erklärte es die alte Frau. Denn sie beten das Gute an, die anderen aber den Teufel. Außerdem aber sind diese Menschen vom Norden mächtige Zauberer. Durch ihren Kinderfetisch sind sie imstande, Regen und fette Jahre zu machen und Krankheiten abzuhalten, wogegen Jana nur üble Geschenke gibt, die mit Grausamkeit und Krieg und ähnlichen schönen Dingen zu tun haben. Und als letzten Trumpf beherrschen die Priester des Kindes die Geheimnisse des Reichtums und der Weisheit, wogegen der Sultan und seine Anhänger nur über die Macht der Speere verfügen. Das war das Lied, das die alte Frau mir gesungen hat.«
»Warum hast du mir von diesen Dingen nichts erzählt, als wir in Bezarstadt waren, wo ich selber hätte mit der Alten sprechen können, Hans?«
»Aus zwei Gründen, Baas. Erstens fürchtete ich, du würdest dich aufmachen, um dieses Volk zu suchen, und ich war so müde vom Reisen und wollte zurück nach Natal und Ruhe haben. Und zweitens wurde die alte Frau kurz darauf krank und starb ganz schnell. So bewahrte ich das Geheimnis in meinem Kopf auf, bis es gebraucht würde. Jedoch, Baas, muß ich dir sagen, daß alle Mazitu diese alte Frau für die größte Lügnerin der Welt hielten.«
»Sie war nicht ganz eine Lügnerin, Hans. Höre, was ich erlebte«, und ich erzählte ihm von den Zauberkräften Hâruts und Mâruts, von dem Bild des Elefanten Jana, das ich gesehen zu haben glaubte, und von dem Angebot, das Hârut und Mârut mir seinerzeit machten. Hans lauschte gespannt, aber mit unbewegter, fast gleichgültiger Miene. Es ist nicht leicht, einen Hottentotten in Erstaunen zu versetzen. Denn diese Leute sind nicht imstande, das Mögliche und das, was die moderne Wissenschaft für unmöglich erklärt, scharf auseinanderzuhalten.
»Ja, Baas,« sagte er, als ich fertig war, »dann scheint ja die alte Frau doch nicht eine so große Lügnerin gewesen zu sein. Wann werden wir aufbrechen, um jenen Elfenbeinberg aus den toten Elefanten zu suchen, und welchen Weg willst du nehmen, über Kilwa oder durch Zululand? Du solltest dich bald entscheiden wegen der Regenzeit.«
Wir gingen noch lange Zeit auf und ab und besprachen die Sache, jedoch ohne zu einem Entschluß zu kommen; denn mit Taschen, so leer wie die meinen, schien das Problem fast unlösbar.