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Ich will mir eine Beschreibung der Einzelheiten unserer Reise nach Kendahland, wenigstens was den ersten Teil derselben betrifft, ersparen. Es mag genügen, wenn ich sage, daß Zululand gerade damals aus innerpolitischen Gründen in ziemlicher Unruhe war, daß wir aber trotzdem durchkamen und uns sogar weitgehendste Hilfe geleistet wurde. Denn mein Name hatte in jenem wilden Lande einen guten Klang. Ich schickte dann von dort aus drei Boten, hagere, leichtfüßige Kaffernmischlinge, zu dem König der Mazitu, um ihn zu benachrichtigen, daß seine alten Freunde, Macumazana und der gelbe Mann, Herr Licht-im-Dunkel und Herr des Feuers, auf dem Wege waren, ihn aufzusuchen.
Da ich mir darüber im klaren war, daß die Wagen nicht bis über einen gewissen Punkt hinauskämen, nämlich den Lubafluß, der für jedwelches Ding auf Rädern unpassierbar ist, ließ ich den König gleichzeitig bitten, uns hundert Träger mit der nötigen Bedeckung an eine bestimmte Stelle des Flußufers entgegenzuschicken.
Nach vierzehn Tagen Rast im nördlichen Teile Zululands, die wir der wegemüden Ochsen halber halten mußten, treckten wir weiter.
Wir nahmen eine Anzahl Zuluträger mit. Diese Maßnahme erwies sich späterhin als sehr nützlich, trotzdem es große Schwierigkeiten kostete, Leute in einem Lande, wo es nichts zu kaufen gab, auf ihre gewohnte Weise zu beköstigen. Im Laufe der Tage verendete ein Ochse nach dem andern an den Stichen der Tsetsefliege, so daß wir schließlich gezwungen waren, einen Wagen im Stich zu lassen und seine Ladung den Zulus auf die Köpfe zu packen. Endlich erreichten wir den Fluß und schlugen unser Lager an seinem Ufer in der Nähe von drei seltsam geformten Felsen auf, die von den Eingeborenen die »drei Medizinmänner« genannt werden. Das war der Platz, wohin die Träger zu schicken ich den König gebeten hatte. Wir blieben hier vier Tage liegen, da im Innern des Landes niedergegangene Regen den Fluß völlig unpassierbar machten. Morgen für Morgen erkletterte ich den höchsten der »drei Medizinmänner« und suchte mit einem Glas das buschbestandene Land jenseits des breit und gelbfarbig dahinströmenden Flusses nach den erwarteten Mazitu ab. Aber kein lebendes Wesen war in der Einöde zu sehen.
Ich war deshalb erfreut, als am fünften Morgen noch vor Tagesanbruch Hans in den Wagen gekrochen kam, in dem Lord Ragnall und ich schliefen, um uns zu benachrichtigen, daß er auf der anderen Seite des Flusses Stimmen gehört hätte.
Beim ersten Morgengrauen kletterten wir auf die Felsen und spähten in den Nebel hinunter. Als er sich endlich gelichtet hatte, sahen wir drüben einen Haufen Menschen stehen, die ich an ihren Speeren und an ihrer Tracht als Mazitu erkannte. Sie sahen mich, erhoben ein Begrüßungsgeheul und sprangen sofort truppweise ins Wasser, worauf unsere verbohrten Zulus prompt ihre Speere nahmen und sich in Schlachtordnung aufbauten. Ich rutschte, so schnell es nur ging, vom »großen Medizinmann« zum Ufer hinunter. Unterdessen waren die Mazitu schon fast herüber, und zu meiner Freude erblickte ich als einen der ersten unter ihnen keinen andern als meinen alten Freund, ihren Häuptling Babemba, einen einäugigen Mann, der in manchen Abenteuern mein Gefährte gewesen war. Mit mächtigen Sprüngen setzte er durchs Wasser und schrie, noch während er das Ufer heraufklomm:
»Oh, Macumazana, wenig habe ich gehofft, daß ich jemals dein Gesicht wiedersehen würde, sei willkommen, tausendmal willkommen! Und willkommen auch du, Licht-im-Dunkel, Herr-des-Feuers!«
Ich machte Babemba mit Ragnall und Wild durch Nennung ihrer Eingeborenennamen bekannt.
Er sah sie einen Augenblick prüfend an, dann sagte er:
»Dieser«, indem er auf Ragnall zeigte, »ist ein großer Herr, aber dieser«, die Hand nach Wild ausstreckend, der viel sorgfältiger gekleidet war als sein Herr, »ist nichts als ein Hahn in der Aschengrube, aufgeputzt mit eines Adlers Federn«, eine Bemerkung, die ich unübersetzt ließ, die aber von Hans mit vergnügtem Glucksen beantwortet wurde.
Während wir hastig unser Frühstück einnahmen, das von dem »Hahn in der Aschengrube« bereitet worden war, der nebenbei außer anderen Vorzügen auch den hatte, ein ganz ausgezeichneter Koch zu sein, erzählten sie mir ihre Neuigkeiten. Bausi, der König, war tot; einer seiner Söhne war ihm gefolgt, der ebenfalls Bausi hieß. Die Bezarstadt war nach dem großen Zerstörungsfeuer wieder aufgebaut und viel stärker befestigt worden denn je zuvor. Weder von den Sklavenhändlern noch von den Pongo hatten sie wieder etwas gesehen, trotzdem sie behaupteten, daß ihre Geister oder vielleicht die ihrer Opfer noch immer auf der Insel im See spukten. Das war alles, außer der traurigen Nachricht vom Tode der zwei Läufer, die uns der dritte, der mit den Mazitu zurückgekommen war, überbrachte.
Nach dem Frühstück hielt ich unseren Zulus die Abschiedsrede. Jeder bekam ein hübsches Geschenk, und ich übergab die Wagen und die Diener, die uns nicht weiter begleiten wollten, ihrer Obhut. Sie sangen ein Abschiedslied, salutierten mit den Speeren und zogen davon, immer noch rauf- und mordlustig auf ihre Mazitufeinde zurückblickend.
Als der letzte Schimmer der weißen Wagenplanen in der Steppe verschwunden war, gingen wir daran, unsere Güter über den Fluß zu schaffen. Das ging mit Hilfe der Mazitu, die für mich wie Freunde und nicht wie bezahlte Diener arbeiteten, rasch und gut vonstatten; doch hatten wir am jenseitigen Ufer zwei volle Tage lang damit zu tun, die Sachen in Einzellasten zu verpacken.
Schließlich aber war alles in Ordnung, und wir setzten uns in Marsch. Über unsere Reise bis Bezarstadt ist nichts zu sagen, als daß wir dort vor den Toren feierlichst eingeholt wurden. An der Spitze der Prozession marschierte Bausi II. selbst; wir trafen auf eben jenem Hügel zusammen, den wir seinerzeit in der großen Schlacht besetzt gehalten hatten und in dem die Knochen des tapferen Mavovo und meiner anderen Jäger begraben lagen.
Die Mazitu veranstalteten in der folgenden Nacht uns zu Ehren ein Fest. Wir saßen währenddem in dem großen neuen »Haus der Gäste« und hielten eine »Indaba« unter Vorsitz Bausis II., eines jungen Mannes von angenehmen Gesichtszügen, und des alten Babemba. Auf die Frage des Königs, wie lange wir ihre Gäste zu bleiben gedächten, antwortete ich, daß wir nur ein paar Tage rasten und dann weiter nach dem Norden ziehen wollten, um das Land eines Volkes, die Kendah genannt, zu suchen, und ich bat ihn gleichzeitig, mir Träger, wenigstens bis zur Grenze seines eigenen Landes, zur Verfügung zu stellen. Bei der Nennung des Namens der Kendah trat ein Ausdruck des Erstaunens auf ihre Gesichter, und Babemba sagte:
»Bist du von Tollheit ergriffen, Macumazana, daß du so etwas unternimmst? Sicher, dein Kopf ist krank.«
»Was weißt du denn überhaupt von ihnen?«, forschte ich. »Aber warte, ehe du antwortest, will ich sagen, was ich weiß«, und ich wiederholte, was ich von Hans gehört hatte und von Hârut und Mârut, ließ aber alles aus, was mit den privaten Angelegenheiten Lord Ragnalls zu tun hatte.
»Es stimmt alles«, sagte Babemba, als ich geendet hatte. »Höre! Diese Kendah sind ein schreckliches Volk und zahllos an Köpfen und von allen Völkern das blutgierigste und wildeste. Ihr König wird ›Simba‹ genannt, das heißt Löwe. Der König heißt immer ›Simba‹, und das ist schon so seit Hunderten von Jahren. Er ist ein schwarzer Kendah, und deren Gott ist der Elefant Jana. Aber wie Licht-im-Dunkel es auch sagt, gibt es auch weiße Kendah, und zwar sind dies arabische Männer; sie sind die Priester und Händler dieses Volkes. Die Kendah erlauben keinem Fremden, in ihr Land zu kommen; wenn einer kommt, dann töten sie ihn unter Martern, oder sie blenden ihn und jagen ihn hinaus in die Wüste, die ihr Land umgibt, damit er dort stirbt. Die Weißen Kendah sind Züchter jener Tiere, die man Kamele nennt und die sie an die Araber des Nordens verkaufen. Komme ihnen nicht zu nahe, Macumazana, denn falls du die Wüste gekreuzt hast, ohne daß sie dich tötet, werden dich die schwarzen Kendah töten, und wenn du denen entrinnst, dann wird dich ihr König Simba töten, und entkommst du dem, dann wird dich ihr Gott Jana töten. Und solltest du auch unter dessen Rüssel und Füßen nicht umkommen, dann werden dich die weißen Priester mit ihrer Zauberkraft um so sicherer töten. Oh, bevor du in die Gesichter dieser Priester siehst, wirst du viele Male dem Tod begegnen, Macumazana!«
»Warum haben sie mich denn aufgefordert, sie zu besuchen, Babemba?«
»Ich weiß es nicht, Macumazana, vielleicht wollen sie dich dem Elefanten Jana zum Opfer bringen, dem kein Speer der Welt eine Wunde schlagen kann; nein, nicht einmal die Kugeln aus deinem Gewehr, die einen Baum zerschmettern, können ihn verwunden.«
»Ich bin willens, das einmal auszuprobieren,« antwortete ich selbstbewußt, »und wir müssen auf jeden Fall hingehen, um diese Dinge mit unseren eigenen Augen zu sehen.«
»Ja,« wiederholte Ragnall, »wir müssen sicherlich hingehen«, und sogar Wild nickte mit dem Kopf, trotzdem es aussah, als ob er lieber nicht hinginge.
»Fragen Sie ihn, bitte, ob es dort Schlangen gibt«, sagte er. Ich übersetzte wirklich die Frage, um Zeit zu gewinnen, über wichtigere Dinge nachzudenken. »Ja, Bona, ja, ›Hahn der Aschengrube‹,« entgegnete Babemba, »meines Onkels Kendahweib sagte mir, daß einer der Wächter des Heiligtums der weißen Kendah eine Schlange ist, wie die Welt noch keine gesehen hat.«
Wir kamen dann auf die Frage der Träger zurück. Nach einigem Zögern versprach Bausi II., uns eine genügende Anzahl zur Verfügung zu stellen; doch mußten wir feierlich versprechen, sie an der Grenze der Wüste zurückzuschicken, »auf daß sie eurem Schicksal entgehen mögen«, wie er äußerst aufmunternd hinzusetzte.
Vier Tage später brachen wir, begleitet von etwa hundertzwanzig ausgesuchten Leuten, auf. Der alte Babemba selbst führte sie an, denn er wünschte, wie er erklärte, der letzte zu sein, der uns lebendig in dieser Welt erblicke.
»Außerordentlich trostvoll«, sagte ich, drehte mich auf dem Absatz um und fragte Ragnall geradeheraus, ob er die Sache aufgeben wollte; denn um die Wahrheit zu sagen, meine Nerven waren überreizt.
»Ich muß gehen,« antwortete er einfach, »aber das ist kein Grund, daß Sie und Hans auch mitgehen müssen oder auch Wild.«
»Oh, ich gehe, wohin Sie gehen,« sagte ich, »und wohin ich gehe, geht auch Hans. Wild muß selbst für sich entscheiden.«
Das tat er denn auch, und da er ein anständiger und treuer Bursche war, selbstverständlich in bejahendem Sinne.
So schieden wir denn von den Mazitu. Ungefähr einen Monat lang marschierten wir durch alle möglichen Landstriche. Nachdem wir den großen See mit der Insel der Pongo passiert hatten, wandten wir uns nördlich, auf einem Wege, den Babemba kannte. Dann durchzogen wir, uns nach den Sternen orientierend, ein Land mit spärlichen Bewohnern, elenden Menschen, die in halb verfallenen kleinen Dörfern hausten und vom Ackerbau kaum die primitivsten Kenntnisse zu besitzen schienen.
Nach und nach wurde das Land immer öder und menschenleerer und verlor sich zuletzt in nackter Wüste. Am Rande dieser Wüste, die sich ohne erkennbare Grenzen vor uns ausdehnte, lag eine schöne kleine Oase, in der eine schäumende Quelle entsprang, deren Bach sich draußen allerdings bald im Sande verlor. Wir hätten, selbst wenn wir auch weiterhin noch Wasser gefunden hätten, nicht weitermarschieren können, da die Mazitu erklärten, keinen Fuß in die Wüste setzen zu wollen. So blieb uns nichts anderes übrig, als in der Oase ein Lager aufzuschlagen und zu warten.
Es zeigte sich bald, daß dieser Flecken Erde ein Jägerparadies sondergleichen war.
Vierzehn Tage lang vertrieben wir Weißen uns die Zeit mit Jagen, die Schwarzen mit Fleischessen, bis wir alle dieser Beschäftigung müde wurden. Zweimal ritten wir so weit in die Wüste hinaus, als unsere Pferde uns zu tragen vermochten, ohne etwas anderes zu erblicken als flache, sandige Ebenen, übersät mit braunen, im Laufe der Jahrhunderte von Wind und Sand glänzend blank polierten Steinen, und ohne daß wir auf die geringste Spur von Wasser oder Menschen gestoßen wären.
Nach unserem zweiten Ausfluge erklärte der alte Babemba, daß er seine Leute nicht länger halten könnte, da sie krank vor Heimweh wären, und fragte uns, was wir eigentlich tun wollten und warum wir hier säßen »wie Steine«. Ich antwortete ihm, daß wir auf das Erscheinen von Kendahleuten warteten, die mir gesagt hätten, ich sollte hier bleiben und Wild schießen, bis sie kämen, um uns zu führen. Er entgegnete, daß die Kendah, soweit er unterrichtet wäre, in einem noch Hunderte von Meilen entfernten Lande wohnten und mein Vorhaben, da sie ja von unserem Eintreffen gar nichts wüßten, somit töricht wäre.
Ich gab zurück, daß mir das nicht so ganz sicher erscheine, denn die Kendah schienen ungewöhnliche Mittel zu besitzen, um sich auch über in weiter Entfernung sich abspielende Geschehnisse zu informieren.
»Dann, Macumazana, fürchte ich, daß ihr hier allein warten müßt, bis es sich herausstellt, wer von uns beiden im Recht ist«, entgegnete er mürrisch.
Ich fragte Lord Ragnall, was er zu tun beabsichtige, und wies darauf hin, daß ein Vordringen in die Wüste den Tod bedeute, zumal wir ja nicht wußten, in welcher Richtung wir zu gehen hatten. Andererseits aber lief ein Zurückgehen, noch dazu ohne Vorräte, die wir in Ermangelung von Trägern ja zurücklassen mußten, ungefähr auf das gleiche hinaus. Doch wäre es an ihm, eine Entscheidung zu treffen.
Meine Frage setzte ihn in Verlegenheit. Er hielt mir nochmals vor Augen, welche Gründe er hatte, alles daran zu setzen, um nach Kendahland zu kommen, und schloß mit der Erklärung, daß er hier bliebe, mochte werden, was da wolle.
»Und das heißt, daß wir alle hier bleiben, Ragnall. Denn Wild wird Sie nicht verlassen und Hans mich nicht, trotzdem er uns alle miteinander für verrückt erklärt. Er betont immer wieder, daß ich doch ausgezogen wäre, um Elefanten zu suchen, und hier wären ja genug.«
»Ich könnte auch allein hier bleiben, Quatermain«, fuhr der Lord fort, – aber ich blickte ihn auf eine Weise an, daß er seinen Satz nicht beendete.
Schließlich einigten wir uns auf ein Kompromiß. Babemba war einverstanden, mit seinen Mazitu noch drei Tage zu warten. Wenn sich innerhalb dieser Zeit nichts ereignete, so wollten wir mit ihm nach einem Landstrich zurückkehren, wo es Wasser gab, etwa fünfzig Meilen hinter uns, und wo es ebenfalls von Elefanten wimmelte. Dort wollten wir dann so viel Elfenbein jagen, als die Mazitu nur tragen konnten, und dann mit ihnen zurückmarschieren in ihre Heimat.
Die drei Tage gingen vorüber. Mit jeder Stunde hob sich meine Stimmung, ebenso die Wilds und Hans', während Lord Ragnall immer deprimierter wurde. Den dritten Nachmittag verbrachten wir mit dem Einpacken der Lasten. Innerlich jubilierten wir. Am nächsten Morgen sollten wir den Rückweg antreten. Mit großer innerer Erleichterung und mit dem Gefühl, einem besonders ausgefallenen Abenteuer glücklich entgangen zu sein, legte ich mich dann am Abend unter mein Schutzdach von Zweigen. Nach und nach war ich zu der Überzeugung gekommen, daß wir, selbst wenn wir Kendahland noch auf irgendeine Weise erreichten, doch so gut wie gar keine Chancen hatten, Lord Ragnalls verschwundene Gattin wiederzufinden, und daß die Vorsehung uns davor behütete, durch Verdursten in der Wüste umzukommen oder durch das Betreten jenes verrufenen Landes eine Art Selbstmord zu begehen.
Doch gerade das wollte die Vorsehung nicht. Es war genau zwei Uhr nachts, als Hans, der hinter meiner Laubhütte schlief, mich weckte und mit leichtem Beben in der Stimme zu mir sagte:
»Öffne deine Augen und schaue, Baas! Da draußen sind zwei Gespenster, die mit dir reden wollen, Baas.«
Ich erhob mich vorsichtig und spähte ins Mondlicht hinaus. Da draußen, etwa fünf Schritte vor dem offenen Ende der Hütte, saßen wirklich zwei »Gespenster«, weißgekleidete Gestalten, stumm und unbeweglich am Boden hockend. Zuerst fürchtete ich mich ein wenig, dann dachte ich an Diebe und fühlte unter der Wolldecke, die mir als Kopfpolster diente, nach meinem Revolver. Doch eben als meine Hand den Revolver berührte, sagte draußen eine tiefe Stimme:
»Ist es deine Gewohnheit, Macumazana, Nächtlich-Wachender, deine Gäste mit Kugeln zu begrüßen?«
Welcher Mensch möchte auf der Welt wohl fähig sein, im nächtlichen Dunkel zu sehen, wie ein von einer Decke verhüllter Mann nach einem Revolver griff – außer dem Besitzer jener Stimme, die ich einst in einem gewissen Salon in England gehört hatte und immer noch zu hören glaubte?
»Ja, Hârut,« antwortete ich und markierte ein gleichgültiges Gähnen, »wenn nämlich die Gäste auf eine so verdächtige Weise und mitten in der Nacht ankommen. Aber da ihr gekommen seid, so teilt mir freundlichst mit, warum ihr uns solange habt warten lassen. Ist das eure Art, Versprechen einzuhalten?«
»Oh, Lord Macumazana,« antwortete Hârut bestürzt, »ich lege mich dir demütig zu Füßen und bitte um Verzeihung. Aber wirklich, wir brachen sofort auf, sobald wir in der Bezarstadt Nachricht von deiner Ankunft erhielten, oder vielmehr, wir standen im Begriff aufzubrechen, um unser Versprechen zu halten. Aber wir sind sterblich, Macumazana, und widrige Zufälle traten ein; so mußten, nachdem wir das Gewicht deines Gepäckes berechnet hatten, erst Lastkamele zusammengetrieben werden, und diese Kamele grasten in einer entfernten Oase; dann war es auch nötig, Leute wegzuschicken, um in der Wüste Brunnen zu graben, damit die Kamele getränkt werden könnten, und anderes mehr. Daher die Verzögerung. Doch du wirst zugeben, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen sind, fünf oder wenigstens vier Stunden, bevor jene Sonne aufgeht, die euch auf eurem Heimwege leuchten sollte.«
»Ja, das stimmt, Propheten oder Schwindler, was immer ihr auch sein möget«, rief ich in einer begreiflichen Aufregung aus, denn ihr mysteriöses Wissen um meine Privatangelegenheiten, das sie mir ja wieder einmal bewiesen hatten, genügte schließlich, um sogar einen Heiligen wütend zu machen. »Da ihr nun einmal hier seid, so kommt herein und trinkt etwas, denn ob ihr nun Menschen oder Teufel seid, es muß euch da draußen in Tau und Kühle der Nacht ja mordskalt auf der Haut sein.«
Sie traten also ein, und da sie keine Mohammedaner waren, genehmigten sie auch einen Schluck Schnaps aus einer Flasche, die ich außerhalb von Hans' Reichweite in einer verschlossenen Kiste aufbewahrte.
»Auf eure Gesundheit, Hârut und Mârut«, sagte ich und nahm meinerseits einen herzhaften Zug aus der Blechtasse, und ich muß gestehen, daß ich mich an diesem unheimlichen nächtlichen Gelage ganz gern beteiligte, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen und meine Nerven zu beruhigen.
»Auf deine Gesundheit, Lord Macumazana«, sagten sie, tranken und setzten die verbeulten alten Becher mit so viel Ehrerbietung auf die ausgebreitete Decke, als wären es heilige Gefäße.
Nachdem ich mir eine andere Decke über die Schultern geworfen hatte – die Nacht war empfindlich kühl –, beleuchtete ich die beiden Ankömmlinge mit der Laterne, die Hans mit nachdenklich schiefgeneigtem Kopfe angezündet hatte.
Da waren sie, Hârut und Mârut, wie sie leibten und lebten, und in ihrer äußeren Erscheinung noch vollkommen dieselben wie auf Schloß Ragnall.
»Was treibt ihr hier, und wie seid ihr damals aus England herausgekommen, nachdem ihr versucht hattet, die Dame zu entführen? Und was habt ihr mit der Dame gemacht, nachdem ihr sie von dem Nilboot bei Abu-Simbel glücklich heruntergelockt hattet? Im Namen eures heiligen Kindes oder des Schaitans der Mohammedaner oder der Set der Ägypter, an wen immer ihr nun glauben mögt, antwortet mir, oder ich mache ein Ende mit euch beiden! Ich kann das hier tun, ohne daß viel danach gefragt wird!« sagte ich, und Erbitterung und Neugierde wirbelten in meinem Herzen durcheinander, und ich legte den Revolver auf sie an.
»Vergib uns,« sagte Hârut mit einem ernsten Lächeln, »aber wenn du tun würdest, wie du drohst, Lord Macumazana, so würde es dir schwer fallen, so manche Frage zu beantworten. Sei also so gut und lege jenen Todbringer auf seinen Platz zurück, und sage uns, bevor wir dir antworten, was du von der Set der Ägypter weißt.«
»So viel oder so wenig wie ihr«, erwiderte ich.
Beide verbeugten sich, als hätte diese Antwort sie vollständig zufriedengestellt. Dann fuhr Hârut fort: »Als Antwort auf deine Frage, Macumazana. Wir verließen England auf einem Dampfschiff und erreichten nach langer Reise unser eigenes Land. Wir verstehen nicht deine Anspielungen auf einen Platz, der Abu-Simbel genannt wird, wo wir niemals gewesen sind und niemals eine Frau fortgenommen haben. Was sollten wir auch mit weißen Frauen anfangen, da wir selbst schon viel zu viele haben?«
»Das weiß ich nicht,« antwortete ich, »aber das weiß ich, daß ihr die beiden größten Lügner seid, denen ich jemals begegnet bin.«
Auf diese Worte hin, die jeder andere als eine Beschimpfung aufgefaßt hätte, verneigten sich die beiden Weißmäntel wiederum, als hätte ich ihnen das größte Kompliment gesagt. Dann sagte Hârut:
»Laß uns die Frauenfrage beiseite tun und von den Angelegenheiten sprechen, die uns Männer angehen. Du bist hier, wie wir es dir seinerzeit vorausgesagt haben. Damals wolltest du uns nicht glauben. Und wir sind hier, um dich zu treffen, wie wir es dir ebenfalls vorausgesagt haben. Woher wir wußten, daß du kämst, und auf welche Weise wir selbst hierher gelangten, tut nichts zur Sache. Glaube, was du willst. Bist du bereit, mit uns aufzubrechen, Lord Macumazana, und den Kampf gegen den bösen Elefanten Jana, der unser Land verheert, aufzunehmen und damit die große Belohnung von Elfenbein zu gewinnen? – Wenn ja, – dein Kamel wartet.«
»Ein Kamel kann nicht vier Männer tragen«, antwortete ich ausweichend.
»Was Tapferkeit und Entschlossenheit anlangt, bist du sicherlich mehr als viele Männer, Macumazana, aber an Körper bist du nur einer und nicht vier.«
»Wenn ihr denkt, daß ich allein mit euch gehe, irrt ihr euch sehr, Hârut und Mârut«, erklärte ich. »Hier ist mein Diener, ohne den ich mich nicht rühre«, und ich zeigte auf Hans, den sie mit ernsten Mienen betrachteten, »und hier ist auch Lord Ragnall, der in diesem Lande ›Igeza‹ genannt wird, und sein Diener, der ›Bona‹ heißt, der Mann, aus dem ihr Schlangen zogt, damals, in jenem Hause in England. Auch diese müssen uns begleiten.«
Es kam mir vor, als ob die ruhigen, leidenschaftslosen Gesichter der beiden einen Ausdruck von Verlegenheit zeigten. Sie flüsterten in einer mir unbekannten Sprache miteinander, dann sagte Hârut:
»Unser Land ist voller Geheimnisse und nur für dich offen, Macumazana, und überdies nur zu dem einen Zweck, den Elefanten Jana zu töten, wofür wir dir auch eine große Belohnung versprochen haben. Die anderen wünschen wir bei uns nicht zu sehen.«
»Dann könnt ihr euren Elefanten selbst töten, Hârut und Mârut, denn allein gehe ich nicht einen Schritt mit euch. Warum sollte ich es auch, da hier so viel Elfenbein zu holen ist, wie ich mir nur wünschen kann? Ich brauche ja nur hier Elefanten zu schießen.«
»Wie, wenn wir dich einfach mitnehmen, Macumazana?«
»Wie, wenn ich euch beide niederschieße, Hârut und Mârut? Narren, die ihr seid! Mir stehen hier viele tapfere Männer zur Verfügung, und falls ihr oder eure Begleiter den Kampf haben wollt, so könnt ihr ihn haben! Hans, rufe die Mazitu zu den Waffen und hole Igeza und Bona.«
»Warte, Lord,« sagte Hârut, »lege jene Waffe nieder. Wir wollen unsere Bundesgenossenschaft nicht mit Blutvergießen beginnen, trotzdem wir sicherer vor dir sind als du denkst. Gut, deine Kameraden sollen dich nach Kendahland begleiten, aber lasse sie wissen, daß sie es auf eigene Gefahr hin tun. Wisse auch, daß uns Kunde davon ward, daß einige von ihnen unsere Lande nur als Geister und nicht mehr als Menschen verlassen werden.«
»Soll das heißen, daß ihr sie ermorden wollt?«
»Nein. Es heißt nur, daß dort Stärkere sind als wir oder irgendein anderer Mensch auf der Welt, und diese verlangen ihre Leben als Opfer. Nicht das deinige, Macumazana, das ist unbedingt ungefährdet, aber das Leben von zwei anderen. Welche es sind, wissen wir nicht.«
»Wirklich, Hârut und Mârut? Und was gibt mir die Gewißheit, daß wir vor euch wenigstens sicher sind, und daß ihr uns nicht nur nach eurem Lande lockt, um uns dort verräterisch umzubringen und unser Eigentum zu stehlen?«
»Die Gewißheit gibt dir unser Eid. Und dieser Eid darf nicht gebrochen werden; wir schwören ihn bei dem Kinde des Himmels«, sagten beide einstimmig und mit tiefem Ernst und verneigten sich dabei, bis ihre Stirnen fast den Boden berührten.
Ich zuckte die Achseln und lächelte.
»Du glaubst uns nicht,« fuhr Hârut fort, »du, der du allerdings nicht wissen kannst, was denen widerfährt, die diesen Eid brechen. Aber komm mit uns, und sieh dir etwas an. Fünf Schritte von deiner Hütte ist ein großer Ameisenhügel. Geh und steige auf diesen Ameisenhügel.«
Vielleicht war es unüberlegt, aber meine Neugierde trieb mich, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Von Hans gefolgt, der mein geladenes Gewehr trug, kletterte ich auf den Hügel, der, weil keine Bäume in der Nähe standen, einen guten Rundblick über die Wüste gestattete.
»Schau nach dem Norden«, sagte Hârut unten am Fuße des Hügels.
Ich blickte in die angegebene Richtung, und da, im hellen Mondenscheine, etwa fünfhundert Meter entfernt, sah ich auf dem Kamme eines langgestreckten Sandhügels Glied bei Glied gegen zweihundert kniende Kamele. Und neben jedem Kamel stand eine weißgekleidete Gestalt mit einer langen Lanze in der Hand, unter deren Blatt ein kleines Fähnchen flatterte. Ich starrte eine Weile hin, im Zweifel, ob ich einer Illusion zum Opfer gefallen oder ob das Wirklichkeit wäre. Dann, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß es wirkliche Kamele und wirkliche Menschen und keine Trugbilder und Gauklerkünste waren, stieg ich von dem Ameisenhügel herab.
»Du wirst zugeben, Macumazana,« sagte Hârut höflich, »daß es uns mit einer solchen Macht leicht gewesen wäre, ein schlafendes Lager zu überrumpeln. Aber diese Leute sind hergekommen, um eure Eskorte zu sein und nicht, um euch zu töten oder in Sklaverei zu schleppen. Und, Macumazana, wir haben dir den Eid geschworen, der nicht gebrochen wird. Jetzt gehen wir zu unseren Leuten. Am Morgen, nachdem du gegessen hast, werden wir unbewaffnet und allein zurückkommen.«
Dann glitten sie wie Schatten davon.