Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eilftes Kapitel.
Der Maler Potomski


Der Tannhäuser hatte damals auch nicht so leichten und fröhlichen Muthes die Freunde, ja mehr noch als die Freunde verlassen, und es war ihm sehr schwer geworden, Abschied zu nehmen von seinem Atelier und von den beiden kleinen Häusern mit der dazwischen liegenden Veranda. So eigentlich Abschied hatte er auch nie davon genommen, denn selbst, als er in jener Nacht nach dem schweren Gewitter seinen Koffer gepackt hatte, und nachdem er sich schlummerlos auf dem Lager hin und her geworfen, endlich noch vor Tagesanbruch das Haus verließ, hatte er sein klopfendes Herz mit dem Gedanken beschwichtigt, er werde heute Abend, morgen, übermorgen wieder nachsehen, überhaupt mit den Freunden in Verbindung bleiben. Er ahnte im ersten Augenblicke nicht, daß er in ganz andere Bahnen gerissen worden sei und daß es ihm selbst schon nach kurzer Zeit ein peinliches Gefühl verursachen würde, die alten Kreise zu berühren.

Und so war es in der That. Nachdem er zum erstenmal bis zur Berauschung aus jenem schäumenden Becher getrunken, den man ihm unter den schönsten und angenehmsten Formen kredenzt, überschlich ihn bei völligem Nüchternwerden ein peinliches Gefühl, das ihn verhinderte, rückwärts zu schauen mit den Gefühlen, wie er sie für die Freunde bewahren zu können geglaubt hatte. Er bemerkte schaudernd, daß er hinter sich seine Brücken abgebrochen, und da er sich nun vorwärts gedrängt sah, so stürzte er sich mit aller Glut, deren sein Herz fähig war, in das neue Leben, entzückend und entzückt. Und ihn nicht so leicht erkalten zu lassen, war der schönen Fürstin ein Leichtes; konnte sie doch von ihrem Reichthum an Geist, an körperlichen Reizen, an Geld mit vollen Händen um ihn her streuen, konnte sie doch alles Mögliche erfinden und erkaufen, um ihn und sich in diesem Taumel zu erhalten.

Zuweilen wohl mitten hinein drang ein mahnender Ton, ein höhnender Klang, so kalt und nüchtern, daß es ihn bis tief in's Innerste durchbebte und er sich eines plötzlichen Schauers nicht erwehren konnte. Das jedoch währte nur kurze Zeit; der Ton verklang und – der Maler war wieder willenlos im betäubenden Wirbel seines Lebens.

Seine Kunst hatte der Tannhäuser Anfangs sehr vernachläßigt; das lebensgroße Portrait der Fürstin hatte er wohl angefangen, aber nicht vollendet; bald änderte er, bald sie an der Stellung. Und dann nahm er neue Leinwand vor, um das zuerst zu probiren, ehe er an dem großen Bilde etwas änderte. Dieses Bild zeigte sie aufrecht stehend, in einem einfachen, eleganten Morgenanzuge – es war schon anfänglich bestimmt, daß es kein pretentiöses Bild werden solle. Es sollte die schöne Fürstin zeigen, wie sie war bei sich zu Hause, und deßhalb hatte sie auch etwas eigensinnig darauf bestanden, die Frisur ihres schönen vollen Haares so machen zu lassen, wie sie solche Morgens in der Frühe hatte, in dicken Flechten einfach um den Kopf gewickelt, was ihr aber außerordentlich gut stand.

Daß übrigens dies Gemälde nicht fertig wurde, daran trug der Tannhäuser eigentlich nicht die Schuld, denn die Fürstin selbst war es, welche auf den Gedanken kam, ob er nicht versuchen wolle, sie zu malen sitzend oder ruhend auf ihrem Divan, wie sie so gern that. Diesem Wunsche war er bereitwillig nachgekommen, und nachdem er einige Zeit gebraucht, bis er sie in eine passende Lage gebracht – sie lachte dabei so außerordentlich heiter und hatte scherzend bald diese, bald jene Einwendung zu machen – fing er eifrigst sein Werk an, ohne aber auch damit zu Ende zu kommen. Bald war es dies, bald das, womit sie ihn oder er sich selbst in der Arbeit unterbrach; jetzt fühlte er sich nicht recht in der Stimmung, etwas Tüchtiges zu leisten, dann sagte sie mit weicher Stimme: »Warum das auch so ernsthaft nehmen wie ein Geschäft? Haben wir nicht morgen Zeit, übermorgen, die nächsten Wochen, Monate, Jahre? – Auch bin ich müde geworden,« setzte sie mit ganz leiser, etwas zitternder Stimme hinzu, »und möchte viel lieber jetzt ruhen und dann schlafen.« –

So blieb auch dieses Bild nicht nur unvollendet, sondern wurde auch bald zu dem andern in ein entferntes Zimmer gebracht; ihnen folgten Staffelei und Oelfarben, deren Geruch so nahe bei sich die Fürstin zuweilen nicht ertragen konnte. Ueberhaupt, so sagte sie, seien Zeichnungen und Aquarelle ihre Leidenschaft; bei dieser Passion blieb sie eine gute Zeit, und es machte ihr das größte Vergnügen, wenn der Tannhäuser ihr Gesicht, ihre Figur, die sonderbarsten Stellungen ihres schönen Körpers mit einigen Bleistiftstrichen und ein paar bunten Tönen auf's Papier warf, und daß auf diese Art ein Album entstand, das sie häufig, wenn er dicht bei ihr saß, lachend durchblätterte und zu welchen immer neue Variationen zu erfinden sie eine ebenso wilde als unerschöpfliche Phantasie zeigte. Dieses Album verwahrte sie in einem kostbaren Etui, dessen kunstreich gearbeiteten Schlüssel sie beständig an einer Seidenschnur um den Hals trug. Wenn sie die Blätter wieder einmal betrachtete, so konnte sie mit der größten Heiterkeit sagen: »das ist der größte Schatz, den es geben kann. Wie würden sich meine Verehrer um diese Zeichnungen reißen!«

Als nun jene Zeit gekommen war, wo den Tannhäuser zuweilen ein nüchternes, bitteres, unbehagliches Gefühl überschlich, da ging er manchmal in jenes Zimmer, wo die beiden Bilder an der Wand lehnten, das zweite drehte er rasch herum – er mochte den Ausdruck dieses Kopfes nicht leiden, und doch war er so wahr – fast erschreckend wahr. Die eigenthümliche Beleuchtung des zurückgebogenen Kopfes, der auf dem linken Arm ruhte, die schwimmenden Augen, halb verdeckt von den schläfrig herabfallenden Augenlidern, und was noch sichtbar blieb, wie verschleiert von den langen seidenartigen Wimpern, die Lippen etwas geöffnet, von einem leichten Lächeln umspielt, – einem Lächeln, welches mehr der Vergangenheit als der Zukunft angehörte. Das andere Bild aber betrachtete er gern und lange, auch schloß er zuweilen die Thüre hinter sich ab, nahm wie verstohlen Palette und Pinsel und malte am Kopfe dieses ersten Bildes emsig fort. Als er aber eine Stunde so fortgearbeitet und einen Augenblick zurücktrat, um das Ensemble zu überschauen, erschrack er fast vor sich selber, denn aus den jetzt gänzlich veränderten Augen sprachen seine tiefsten, verstecktesten Gedanken, sprach eine glückliche Vergangenheit.

Von da an ging er häufiger in dieses Zimmer, richtete es sich nach und nach förmlich zum Atelier ein und ebauchirte eine Menge von Bildern, von denen er auch ein paar meisterhaft fertig malte. Zuerst hatte ihn die Fürstin über seinen Fleiß verspottet, ja sie hatte ein Wort des Erstaunens fallen lassen, als sie bemerkte, wie er ihr erstes Portrait verändert. Doch befand sich der Tannhäuser glücklicherweise in einem Momente, wo die heilige Kunst ihm wieder lächelte, wo die Weihe, womit sie ihre Jünger beglückt, sein Herz stolzer schlagen ließ. Er hatte auf ihre Worte hin einfach die Achseln gezuckt und dann gesagt: »zuerst bin ich Maler und dann erst – Tannhäuser.«

Es fuhr ein seltsamer Blitz aus ihren Augen. Doch lachte sie gleich darauf so hell und fröhlich, legte ihre Hand auf sein blondes Haar und sagte: »Vor allen Dingen sind wir ein verzogenes Kind, und man muß unsern Willen schon erfüllen.«

So malte er denn in seinem Atelier, und wie er sah und von Andern hörte, daß ihm alles gelang, an was er seine Hand legte, daß die leichten Skizzen, die er machte, sowie die vollendeten Bilder gleich reizend waren, da klärte sich sein verdüstertes Gemüth wieder auf und er ward wieder empfänglicher für die freundlichen Worte der schönen Frau, er ruhte wieder gern bei ihr zu ihren Füßen, ja er zeichnete wieder auf's neue Albumblätter und freute sich, wenn sie so herzlich darüber lachte, daß man ihre schneeweißen Zähne sah.

Wer außer der Fürstin am häufigsten in seinem Atelier war, wenn er zeichnete und malte, das war der alte freundliche Graf Portinsky, der so oft kam, als ihm nicht die Thüre vor der Nase zugeschlossen wurde, und dann so lange blieb, bis ihn der Maler zum Weggehen ausforderte. So hatten sie sich auf einen ganz eigenthümlichen Fuß zu einander gesetzt, und da der Tannhäuser einmal erklärt hatte, er könne und wolle sich in seinem Betragen gegen den Grafen nicht ändern, so ertrug dieser mit der freundlichsten Miene der Welt alle Unarten des Malers, wie er dessen Benehmen oft zu nennen pflegte. Dazu gehörte unter Anderem, daß der Tannhäuser den lieben freundlichen Herrn zu seinem lebendigen Feuerzeug ernannt hatte und ihm nur zu häufig Veranlassung gab, die brennende Kerze herbeizubringen, woran der Maler seine Cigarre anzündete. Auch die Pinsel warf er oft hinter sich, wie damals Wulf gethan, und der alte freundliche Herr fing sie lachend auf, – in der einzigen Absicht, wie er sagte, um den Teppich nicht mit den Farben beschmutzen zu lassen. Auch durfte er häufig Palette und Malerstock halten, wenn der Andere ans Fenster trat, um hinauszuschauen; ja er hatte schon als Modell gesessen, da der Maler einmal in einem Bildchen, wie er gesagt, zum Gegensatze gegen einen Engel eine alte unangenehme Persönlichkeit brauchte.

Man muß indessen nicht glauben, daß es Liebe zur Kunst oder zum Künstler war, welche den Grafen Portinsky so fest an den Tannhäuser band – im Gegentheil, er haßte ihn, und wenn der alte Herr mit Madame Beauvallet allein war, so konnte er ingrimmig die Faust gegen das Zimmer ballen, wo sich der Andere befand, und konnte sagen: »Dieser verdammte Kerl! Ist er nicht zum Unglück in's Haus gekommen?« Dabei war es aber weniger die Zuneigung der Fürstin für den Tannhäuser, die mit jedem Tage zu wachsen schien, welche den Grafen vermochte, ihm eine solche Freundschaft zu heucheln – vielmehr war es die Erinnerung an die schöne Franceska, die so plötzlich und ohne alle Spuren verschwunden und über deren jetzigen Aufenthalt er sich alle Mühe gab, etwas zu erfahren. Er setzte voraus, der Tannhäuser wisse darum, und je mehr dieser der Wahrheit gemäß versicherte, es sei ihm nicht bekannt, wohin der Bildhauer Pisani mit seiner Tochter gegangen, um so mehr gab der Andere sich Mühe, jenen durch die freundlichste Zuthunlichkeit zum Reden zu bringen.

»Wie kann ich von dem etwas sagen, von dem ich nicht das Geringste weiß?« gab der Maler zur Antwort, so oft der Graf wieder von seinem Lieblingsthema anfing. »Sie sollten mich doch endlich einmal damit in Ruhe lasten.«

»Ich kann das nicht,« antwortete der alte Herr lächelnd; »ich hoffe immer noch, einmal Ihr Herz zu erweichen.«

»Und gewiß und wahrhaftig vergeblich,« sprach der Tannhäuser und setzte mit Entrüstung hinzu: »Und wenn ich wirklich ihren Aufenthalt wüßte, glauben Sie denn, ich würde so unverantwortlich handeln und Ihnen das Geringste davon mittheilen?«

»Sie sind der größte Spaßvogel, den ich kennen gelernt.«

Abwechselnd mit diesem hatte der Graf ein anderes Anliegen, das er ebenso häufig und ebenso erfolglos vorbrachte. Wie vielmal befanden sich in den Mappen des Malers kleine Skizzen von Franceska, flüchtig hingeworfen und ausgeführt, und nur eine davon zu erhalten, war ein zweiter sehnlicher Wunsch des alten freundlichen Herrn. Aber über dieses Verlangen, so oft derselbe es vorbrachte, zog der Tannhäuser die Augbrauen finster herab und antwortete kurz und schroff: »Ach was, lassen Sie mich in Frieden! Glauben Sie, ich würde mich der Sünde theilhaftig machen, das Portrait eines solchen Mädchens in ihren Fingern zu wissen?«

War er sehr gut gelaunt, so konnte er vielleicht hinzusetzen: »Mag der Teufel wissen, welche Art von Zauberei Sie versuchen würden, wenn Sie im Besitze dieses Portraits wären.« Oder er sagte auch wohl: »Würden Sie denn einem Heiden, von dem Sie wissen, er wird sich niemals zum Guten bekehren, das Bild einer Heiligen schenken?«

Darauf hin hatte der Graf einmal achselzuckend geantwortet: »Der Vergleich hinkt bedeutend und ist gänzlich unpassend. Jeder noch so verstockte Heide kann sich bekehren, und es würde vielleicht schneller mit ihm zum Durchbruch kommen bei einem Missionär wie die schöne Franceska. Ich bin eigentlich ein Narr, daß ich da um zwei Bleistiftstriche bettle, wo sich später vielleicht einmal der bedeutendste Maler glücklich schätzt, die Züge der schönen Gräfin Portinsky malen zu können.«

Dieses Wort, obgleich es gewiß nur ausgesprochen war, um den Maler etwas zu ärgern, hatte doch eine tiefe Wirkung auf ihn nicht verfehlt und regte ihn auf, so oft er daran dachte. Wenn er sich die Bestrebungen des alten Herrn um das schöne Mädchen bis jetzt so erfolglos wie nur möglich gedacht hatte, so stellten sich diese auf einmal in ganz anderem Lichte dar, wenn es dem Grafen wirklich einfallen könnte, ihr seine Hand, sein großes Vermögen anzubieten. Hatte Franceska vielleicht Ursache, diese Hand in Erinnerung an ihn, den Tannhäuser, auszuschlagen? Gewiß nicht, im Gegentheil. Die Art, wie er gegen sie gehandelt, konnte ihre Liebe zu ihm, die er verschmäht, in Haß verkehrt haben und das entschlossene Gemüth des Mädchens zu einer Handlung entsetzlicher Rache treiben. Und es wäre das eine solche entsetzliche Rache, so tönte es laut in ihm, und selbst die höhnende Stimme seines Gewissens, welche ihm zurief: Narr, der du bist, was braucht sie nach dir zu fragen? trug nur dazu bei, ihm jenen Gedanken völlig unerträglich zu machen.

Und dieser Gedanke verließ ihn nicht mehr; er konnte ihn wohl zuweilen verscheuchen, aber in jedem stillen Augenblicke, in jedem Moment der Abspannung tauchte er deutlicher wieder auf und erschien so bereitwillig, sich in die wild aufregendsten Einzelnheiten zerlegen und ausmalen zu lassen. – Franceska, die schöne, blühende, von ihm nicht wirklich geliebte, reine, jungfräuliche Franceska, und dieser alte, verlebte Mann mit dem gerade dadurch so unheimlichen lüsternen Blick. Und dies lebensfrische Mädchen vielleicht in jene zitternden Arme geworfen, einfach dadurch, daß ihm diese Beute groß genug schien, um sie durch den Namen Portinsky zu erkaufen.

Dergleichen Phantasieen, wenn er sich ihnen hingab, fraßen um so tiefer und zerstörender in seinem Innern, da er niemand hatte, der ihm ein beruhigendes Wort darüber sagte, der ihn vielleicht von der Haltlosigkeit derartiger Befürchtungen zu überzeugen gesucht. Wohl hatte er einmal bei der Fürstin das Gespräch auf dergleichen gebracht, doch schauerte es ihn ordentlich, als diese ihm ziemlich ruhig bemerkte, die Leidenschaft des alten Herrn für das junge Mädchen sei, wie sie wohl wisse, so heftig, daß er jeder Thorheit fähig wäre, um in ihren Besitz zu gelangen. Auch sei ihr genau bekannt, wie große Mühe er sich durch Unterhändler und Korrespondenten gebe, um ihren Aufenthaltsort zu erfahren.

Eines Tags nun war der alte freundliche Herr verschwunden. Er hatte wohl so obenhin von einer Reise gesprochen, die er nächstens einmal machen müsse, doch hatte er nichts von dem Ziele derselben erwähnt, sondern schien absichtlich alle Welt darüber in Ungewißheit lassen zu wollen. Der Maler hatte dies für eins von den vielen Manövern des Grafen gehalten, die dieser zu Gott weiß welchem Zweck aufführte, und hatte es nicht weiter beachtet. Als sich derselbe aber am nächsten Tage nicht sehen ließ, auch am zweiten, dritten und vierten nicht, und als Tannhäuser endlich nach ihm fragte und erfuhr, der Graf sei, und zwar für längere Zeit, verreist, da erneuerte diese Nachricht das unangenehme Gefühl, welches ihn schon oft gequält, und frischte es zuweilen zu heftigem Schmerze auf.

Um so fleißiger war er darauf in seinem Atelier beschäftigt; wenn er malte, zerstreuten sich seine finstern Gedanken, und wenn ihm ein Bild gelang, so konnte er sich wenigstens auf Augenblicke wieder zufrieden und glücklich fühlen. Und dabei fehlte es ihm an Käufern nicht; ja er hatte Bestellungen so viel er nur wollte. Es gelang ihm aber auch alles, was er auf Papier und Leinwand entweder flüchtig hinwarf oder sorgfältig ausführte. Sein in der That großes Talent fing an sich glänzend zu entwickeln, was er sich bei aller Bescheidenheit doch selbst gestehen mußte.

Wie eben schon bemerkt, fanden seine Arbeiten den größten Beifall und augenblicklich Käufer. Ja manche Bilder erhandelte man von ihm auf der Staffelei, ehe sie noch fertig waren. Nur etwas begriff er nicht – und das gab ihm genugsam Stoff zum Nachdenken, ja konnte ihn verdrießlich und traurig machen: er erfuhr nämlich nie, wo seine Bilder blieben. Dieselben wurden angekauft durch Fremde, die sich ihm auf seinem Atelier vorstellen ließen, oder durch Unterhändler. Was er verlangte, wurde ihm bezahlt, dann aber waren und blieben seine Arbeiten spurlos verschwunden. Wohl fragte er nach diesem oder jenem, wo es geblieben sei, und alsdann bewies ihm der Käufer, ein Geschäftsmann in der Stadt, durch Schreiben oder Frachtbriefe, daß sein Gemälde hierhin und dorthin gekommen, nach England, nach Frankreich, nach Rußland, ja viele nach Amerika. Zuerst hatte ihn einmal der finstere Gedanke beschlichen, seine Bilder haben eigentlich gar keinen Werth und würden, um ihn in einer angenehmen Illusion zu erhalten, von der Fürstin selbst durch dritte Hand aufgekauft und theuer bezahlt. Als ihn zum erstenmale diese Idee quälte, da fiel dieselbe gespensterhaft über ihn her, entsetzlich, hohnlachend, daß er wild den Pinsel aus der Hand schleuderte, seine Rechte in dem Haare vergrub und mit einem Gefühl, das an Verzweiflung grenzte, hastig auf und ab schritt.

Aber nein, nein, sprach es nach einer Pause in ihm, so falsch, so entsetzlich treulos zu handeln, ist das Herz eines Weibes – ihr Herz nicht fähig. – Oder – sollte sie mich so zu ihrem Geschöpf erlesen haben, daß sie dieses an sich gefesselte Geschöpf nur deßhalb mit einem falschen Nimbus der Kunst bekleidet, um jeden Augenblick die Macht zu haben, es in sein völliges Nichts zurückfallen zu lassen, ihm zu sagen: »siehe, was du bist, bist du allein durch meine mächtige Hand; ich lasse dich fallen und du kehrst in dein Nichts zurück, aus welchem ich allein dich erhoben.« –

Entsetzlich marterte ihn dieser Gedanke, und er mußte die Probe machen, ob seine Kunst wirkliches Gold sei, oder ob er sich mit taubem Gestein geplagt. Er entwarf heimlich ein Bild, er malte nur daran, wenn er allein war, und wenn er sich auch vornahm, dasselbe flüchtig und leicht zu behandeln, so strengte er sich doch unwillkührlich an und legte seine Phantasie hinein, seine Kunst, sein Talent. Als er das Gemälde beendigt hatte, konnte er trotz der schärfsten Kritik, welcher er es unterwarf, nicht ganz unzufrieden damit sein. Freilich befriedigte ihn sein eigenes Werk nicht vollkommen, dafür war der Tannhäuser zu sehr wahrer Künstler; auch änderte er noch hie und da, endlich aber gab er es fast zitternd aus der Hand, ja zitternd, denn spielte er nicht um das ganze Glück seines Lebens? spielte er nicht um zwei Treffer, um Schwarz oder Weiß, um Glück oder Unglück? Hier errang er das Bewußtsein, ein wirklicher Künstler zu sein, dort verblieb ihm das Recht, sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen.

Seinen Namen setzte er nicht auf das Bild; vielleicht durch einen Gedanken an den Grafen Portinsky angeregt, der ihm früher so oft bei der Arbeit zugeschaut, der enthusiastisch für ihn eingenommen war, malte er ein P. unter seine Arbeit und suchte einen der wenigen Bekannten auf, mit denen er in Verkehr geblieben war, auf den er sich aber verlassen konnte, und bat ihn, das Bild an einen Händler in einer entfernten Stadt zu schicken, es nicht zu empfehlen, nur zu sagen, es komme von einem Anfänger, dem es erwünscht wäre, einen Kauf abzuschließen, der aber in Noth sei und deßhalb eine höhere Forderung machen müsse, als vielleicht der Arbeit gegenüber gerechtfertigt erscheine.

Der Bekannte Tannhäusers fragte durchaus nicht, aus welchem Grunde er die Besorgung des Bildes übernehmen solle, er fragte überhaupt gar nichts; ihm war es glaubwürdig, was ihm der Maler gesagt, am allerwenigsten schien er die Ansicht zu haben, als könne das Gemälde von Tannhäuser selbst sein. Aber er betrachtete es lange und aufmerksam von nah und ferne, wobei dem Andern heftig das Herz klopfte.

Der Bekannte war ein Kunstkenner; er nickte mit dem Kopfe und sagte endlich: »Schön, sehr schön, eine gute Idee und vortrefflich gemalt. Es hat Aehnlichkeit mit den Sachen von Potowski; nur ist dies noch kecker und flotter behandelt.«

»Wer ist Potowski?« fragte Tannhäuser mit etwas unsicherer Stimme, nachdem er einen tiefen Athemzug gethan.

Der Kunstkenner schaute den Maler mit einem eigenthümlich lächelnden Blicke an; es war, als wolle er sagen: Ja so, was wirst du von Potowski wissen! Du bekümmerst dich wohl nicht mehr viel um Kunst und Künstler. Doch war er natürlich zu diskret, um seine Gedanken nur mit einer Silbe zu verrathen, vielmehr sprach er: »O von Potowski müssen Sie gehört haben, vielleicht auch von ihm gesehen. Es ist das ein jüngerer russischer Maler, ein immenses Talent. Es waren auch schon Bilder von ihm hier.«

Auf diese Worte hin bedauerte Tannhäuser recht, daß er seit längerer Zeit so gar nicht mehr die Kunstausstellungen besucht, überhaupt von neueren Bildern nicht viel gesehen, ja daß er so sehr zurückgezogen bei sich lebte. »Und glauben Sie,« fragte er nach einem längeren Stillschweigen, während der Andere mit Interesse das Bild betrachtete, »daß man es in B. anbringen kann?«

»Ich glaube es wohl,« erwiderte der Kunstkenner, »ja ich möchte es verbürgen. Sagen Sie Ihrem Anfänger,« setzte er hinzu, »er möge noch mehr solcher Bilder malen.«

Mit welch' gehobenem Gefühl der Tannhäuser das Haus verließ, wo er seinen Schatz zurückgelassen, versteht wohl jeder, der im Stande ist, sich in eine ähnliche Lage zu denken. Er sah den Schimmer eines Glückes, das über ihm aufsteigen könne, froh und geduldig; er erblickte sich an einem gähnenden Abgrund, an dessen äußerstem Rande er auf glattem, schlüpfrigem Abhange stand, ein Windstoß, den er schon dahersausen hörte, mußte ihn hinabstürzen, in Unglück und Verderben; nirgends sah er für seine zuckenden Finger einen Anhaltspunkt – da auf einmal ebnete es sich an seiner Rechten, wo grade noch schroffe Felsen waren. Diese schoben sich auseinander und ließen ihn einen Weg sehen, der in angenehmen Windungen zu einem freundlichen reizenden Thale führte. –

Ihm schwindelte ordentlich vor Glück, als er nach wenigen Tagen einen Brief erhielt, worin der Kunsthändler aus B. seinem hiesigen Bekannten schrieb: »Du bist ein netter Kerl, aber mich führt man nicht so leicht an.« – Bei dieser Stelle hatte den Tannhäuser ein Frost durchschüttelt – aber wie jubelte er auf, als er weiter las. »Die Forderung für dein kleines Meisterwerk ist eine Bagatelle und folgt hier in einem Wechsel. Schicke mir von dem sogenannten Anfänger etwas Größeres und laß ihn tüchtig fordern, aber bitte ihn, er soll seinen Namen ausschreiben.« In einer Nachschrift heißt es: »Sage mir genau, wie du eigentlich zu dem Bilde gekommen.«

Nun war er trunken von Glück, nun sah er wieder frisch und fröhlich ins Leben hinein, nun fühlte er eine Befriedigung wie damals, als die Freunde, die streng zu richten pflegten, seine ersten Arbeiten für vielversprechend, ja für gelungen erklärt hatten, als Franceska sich eine kleine Skizze von seinem ersten Bilde ausgebeten und ihm gesagt hatte, ihr Vater, der sich auf Malerei schon ziemlich verstünde, habe es für etwas Außerordentliches erklärt – nun fühlte er wieder Lebensmuth und Kraft, eine ganze Welt in seiner Hand, und wenn es ihn, an sein Leben in der letzten Zeit gedenkend, auch zuweilen unheimlich überflog, so war er doch leichtsinnig genug, bei sich mit leichtem Muthe zu denken: Pah! jede Fessel läßt sich brechen, wenn man nur ernstlich will. Und wer wird mich hindern, das morgen, übermorgen zu wollen? Ein Blatt meines Lebens, das ich nicht mehr ansehen will, rasch umzuschlagen, eine neue Seite zu beginnen, wohl mit alten, aber lieben und süßen Erinnerungen? – Dabei hatte er an Franceska gedacht, und wenn er von einem neuen Leben träumte, so sah er immer wieder zwischen den dunkeln Zweigen der Veranda das Licht der Lampe flackern und hörte den Bildhauer vergnüglich lächelnd aus vergangenen Tagen erzählen; daneben saß der kleine Thiermaler, neidlos auf ihn, den glücklichen Tannhäuser, blickend, an dessen Brust sich das liebliche Mädchen schmiegte, aber freilich nicht mehr als Mädchen, vielmehr sein liebes, gutes Weib.

Er wußte aber nicht, warum durch sein Herz jedesmal trübe Ahnungen flogen, wenn er so dachte und träumte, ja warum er alle Gewalt anwenden mußte, um ein solches liebliches Gemälde der Zukunft festzuhalten, und warum die harmonischen Linien, die es bildeten, so leicht auseinanderflossen, um andere Gestalten zu formen, wohl dieselben Figuren, aber mit so gänzlich verschiedenem Ausdrucke. Ja, leichter wurde es ihm, solch' ein Gebilde festzuhalten, wo er den alten Freund Pisani sah, verdrießlich, traurig, grau, stumpf und müde geworden, mit erloschenem Blick, einem jungen Mädchen nachschauend, das kein junges Mädchen mehr war, deren sonst so glänzendes Auge ebenfalls trübe, erloschen war, um deren so seltsam zuckende Mundwinkel Kummer und Mißmuth spielten. Auch der kleine Wulf erschien ganz anders, ärmlich ausschauend, zusammengekrümmt und hustend vor seiner Staffelei sitzend, aber immer warf er nach alter Gewohnheit den Pinsel hinter sich, dabei murmelnd: »verflucht, wenn man es nie weiter bringt, als trostlose Affenschwänze zu malen!«

Wenn solche Bilder durch seine Seele gegangen waren und er sich, selbst anklagend, sagen mußte, daß er der Mittelpunkt hätte sein und werden können, um die Freunde zusammenzuhalten, daß er sich aber freventlich von ihnen zurückgezogen, daß er das glückliche Band zerrissen, daß er ihrer aller rosige Zukunft vernichtet, dann blickte er mit Bestürzung, ja mit Haß um sich her, auf die reiche, üppige Einrichtung seines Ateliers, dann mochte er nicht ausschauen, wenn er vor der Staffelei saß und hörte, wie sich die Thüre langsam öffnete und er der Fürstin leichten Schritt erkannte, mit dem sie sich ihm näherte. Da legte sie ihm zuweilen vergeblich die Hand auf die Schulter, oder fuhr ihm wohl gar über das Haar, um seine Aufmerksamkeit zu erregen! er hielt hartnäckig die Augen auf das Gemälde gerichtet; er murmelte vielleicht ein paar Worte auf ihre herzliche Begrüßung, ein paar Worte, worin die Versicherung lag, er könne jetzt unmöglich seine Arbeit unterbrechen, – er wolle auch nicht immer gestört sein.

War sie alsdann heiter und fröhlich gelaunt, so lachte sie herzlich über seine Grillen, wie sie es nannte, warf sich ihm gegenüber auf einen Divan und versuchte es durch allerlei Neckereien, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Meistens gelang ihr dies auch vortrefflich; man sah, wie sich seine Züge erheiterten, wie der eben noch so kalte Blick seiner Augen anfing zu leuchten und zu strahlen, und endlich zog es ihn förmlich zu ihr hin; er warf Pinsel und Palette bei Seite, er kniete neben dem Divan, auf dem sie ruhte, nieder; er litt es gerne, wenn sie sein Haar durcheinander warf; er tändelte mit ihr wie in den ersten Tagen, als sie sich kennen lernten. – War sie einmal nicht heiter gelaunt und verließ das Atelier wieder, schweigend, wie sie gekommen, nachdem sie gesehen, daß er in seine Arbeit versunken war oder versunken sein wollte, so fuhr er bald darauf in die Höhe, es überflog ihn etwas, wie ein unheimliches Gefühl, und häufig legte er bald darauf sein Malergeräth bei Seite, um zu ihr hinüber zu gehen. Kam er alsdann nach einiger Zeit wieder, oft mißmuthig, finster, die Lippen zusammengepreßt, so konnte er lange, lange, ohne einen Pinselstrich zu thun, seine Arbeit betrachten, sich dann heftig abwenden, das Zimmer mit großen, eiligen Schritten durchmessen und sich dann in einen Fauteuil werfen, den Kopf tief in die Hände vergraben und Stunden lang dort liegen bleiben im finsteren Nachgrübeln.

In solchen Augenblicken gingen traurige, ja schreckliche Gebilde durch seine Seele; er konnte schaudernd emporfahren, sein zuckender Mund konnte die Worte hervorstoßen: Fort! fort! er konnte mit allen Zeichen der Angst der Thüre zueilen, um – an derselben stehen zu bleiben und wieder umzukehren.

Wenn er sich nur von dem reichen, üppigen Leben hätte losreißen können, mit dessen Genüssen ihn die Fürstin wie absichtlich umstrickte. War er doch nicht im Stande, irgend einen Wunsch auszusprechen, den sie ihm nicht erfüllt hätte. Und er wünschte zuweilen recht ausschweifend, nur um einmal das Wort: »unmöglich« zu hören. Daß er dabei durchaus weder eigennützig, noch habgierig war, mußte man vielleicht zu seinem Lobe sagen, er schien den Werth des Geldes nicht zu kennen, noch zu achten, und sein eigenes reiches Einkommen warf er für Phantasieen, für Spielereien in Summen hin, gerade so wie er früher in seinen beschränkteren Verhältnissen eine Kleinigkeit ebenfalls mit leichtem Herzen ausgegeben. Oft kam ihm freilich die Idee, mit dieser unsinnigen Verschwendung einzuhalten und sich irgend etwas zu ersparen. Aber es war ihm das unmöglich; es war als brenne das Gold in seinem Schreibpulte, die Papiere in seiner Brieftasche, war es ihm doch fast, als habe er das vielleicht richtige Gefühl, später einmal durch nichts Erworbenes an die jetzige Zeit erinnert zu werden. Sollte er einmal dieses Haus, sein Verhältniß zu demselben verlassen, so wollte er gerade so gehen, wie er gekommen. Ja, er hatte sich für diesen Augenblick seinen einfachen Anzug von damals aufgehoben und verwahrte ihn sorgfältig verschlossen in seinem kleinen Koffer.

Wenn ihn finstere Gedanken quälten, was häufig genug vorkam, so konnte es ihn erheitern, ja fast glücklich machen, wenn er sich jenen Moment vorstellte, wo er seine glänzende Wohnung verlassen würde, und allein in die Welt hinaus gehen, allein, mittellos, aber sich seiner Kunst, seines großen Talentes bewußt. Dann will ich mein Leben neu beginnen, konnte er fast triumphirend ausrufen; dann gebt mir eine Elle Leinwand, ein Stück Holz, Pinsel und Farben, und ich will im Augenblicke ein neues, solides Fundament gelegt haben. Dies Bewußtsein aber, der Gründer seiner eigenen schönen Existenz sein zu können, war es, verbunden mit der Schwäche seines Charakters, welches ihn diesen Zeitpunkt immer in die Ferne hinausschieben ließ und ihm erlaubte, sich daran, als an etwas angenehm Zukünftigem zu erfreuen. – Ah! heute noch nicht, konnte er sich selber sagen, aber morgen, übermorgen! – Daß aber dieses Morgen und Uebermorgen immer wieder zum Heute mit der demselben eben gegebenen Bedeutung wurde, dafür sorgte die schöne Fürstin schon, so daß es selbst einem kräftigeren Charakter, als dem des Tannhäuser schwer geworden wäre, sich ihren Armen zu entreißen, ihm aber war das geradezu unmöglich, besonders bei seinem Ausspruch: »Ja, morgen oder übermorgen, wenn ich einmal wollen werde.«

Und doch klirrte er häufig laut und deutlich mit seinen goldenen Ketten, theils weil es ihm Vergnügen machte, aus Unmuth, oder auch, weil er vielleicht hoffte, seine Fesseln seien morsch geworden, sie würden abfallen bei einer kräftigen Handregung, er hätte seine Freiheit wieder errungen ohne jenen Kampf, vor dem er sich fürchtete, da er gewiß war, ihm zu unterliegen.

Aber die Fessel hielt im Gegentheil, die Leidenschaft der Fürstin für den Tannhäuser flocht täglich ein neues Band um ihn her. Sie liebte ihn grenzenlos, unsäglich, es war eine heiße, glühende Liebe, die selbst nicht einer momentanen Veränderung fähig war, – eine Liebe, welche duldend siegte und siegend genoß, eine Liebe, die sie jetzt scheu, zitternd und bange zu ihm aufblicken ließ, um dann wieder mit einemmale plötzlich und gewaltig auflodernd, alle Schranken niederzustürzen und ihn in wildem Fluge unaufhaltsam, glühend, bis zur Erschöpfung mit sich fortzureißen.

Und eben dieser rasende Taumel, in welchen sie ihn zu versetzen wußte, war es, der seine Willenskraft lähmte, der ihn sein »Morgen« und »Uebermorgen« immer wieder und so gerne hinausschieben ließ.

Bei alle dem war es gewissermaßen verzeihlich, daß er sich von ihr halten, immer fester umgarnen ließ. Sie kannte das Leben und die Menschen, wie wenige, sie war leidenschaftlich, wie nicht viele Weiber, hatte aber dabei eine Selbstüberwindung, eine Kraft, ihre Leidenschaft zu zügeln, die sie vielleicht da mit lächelndem Munde zuschauen ließ, wo ein wilder Kampf in ihrem Innern sie zu ersticken drohte, – eine Kraft, die es ihr möglich machte, eine andere Leidenschaft, die bei jeder leidenschaftlichen Liebe auftritt, die Eifersucht nämlich, nicht nur vollständig zu zügeln, sondern sich dieselbe sogar dienstbar und, wenn gleich mit tiefem Schmerze, zu einer Fessel zu machen, mit der sie den so grenzenlos Geliebten fest und fester hielt.

Wenn wir vorhin sagten, daß der Tannhäuser zuweilen mit seinen goldenen Ketten klirre und einen schwachen Versuch mache, sie zu zerreißen, so that er das, wenn er unter anderm von einer Aenderung seines Ateliers sprach.

»Und warum?« fragte die Fürstin scheinbar in gleichgültigem Tone. »Kann es irgendwo bequemer sein als in meinem Hause?«

»Bequemer wohl nicht,« gab der Tannhäuser hierauf zur Antwort, »auch gewiß nicht schöner und eleganter, aber es ist gewissermaßen zu schön und zu elegant. Und vor allen Dingen ist es hier im Hause, was mich in gewissen Beziehungen ungeheuer genirt.«

»Wie so, Richard?«

»Nun – wie so? Das ist außerordentlich einfach zu sagen, und doch dir gegenüber nicht so leicht. Ihr versteht das nicht.«

Sie nickte lächelnd mit dem Kopfe.

»Gewiß, ihr versteht das nicht,« fuhr er beinahe unmuthig fort; »ihr glaubt, ein Künstler müsse alles aus sich selbst schöpfen, jede Inspiration käme ihm so ohne Weiteres angeflogen. Um etwas Tüchtiges zu leisten, muß man Menschen sehen und studiren, Menschen von allen Gattungen, aus allen Kreisen. Und du wirst mir zugeben, daß sich der alte Vater Hubertus, eine der famosesten Bettlergestalten, die es gibt, schlecht genug ausnehmen würde, wenn er in seinem grauen geflickten Kittel über die breite Marmortreppe herauf stiege.«

»Er könnte aber über die hintere kleine Treppe kommen. Darin sehe ich durchaus nichts Anstößiges.«

Der Tannhäuser war ans Fenster getreten, um seine ausgegangene Cigarre hinauszuwerfen. Ohne sich umzuwenden sagte er dann: »Aber du weißt wohl, daß man nicht immer alte Männer und Bettler malt. – Und so ist man hier im Hause genirt, das ist nun einmal nicht zu läugnen.«

Sie nickte abermals lächelnd mit dem Kopfe, ohne weiter eine Antwort zu geben.

Wenige Tage darauf nach dem Frühstück, als sich der Tannhäuser mißmuthig in seinem Fauteuil dehnte und durchaus keine Lust zum Arbeiten hatte, wie er sagte, ja als es ihm sogar langweilig war, sich immer und immer wieder auszustrecken und an die Decke emporzuschauen – er fühlte in sich eine körperliche und moralische Erschlaffung – sprach die Fürstin: »Ich muß dir doch ein neues Kammermädchen vorstellen, das ich gestern engagirt. Sie ist sehr schön« – Und als nun die so Angemeldete hierauf schüchtern und mit niedergeschlagenem Blicke eintrat, mußte sich der Maler gestehen, daß er selten etwas Reizenderes geschaut, als dieses junge blühende Mädchen. Sie war ziemlich hoch und schlank gewachsen, hatte dunkles Haar und ein eigenthümlich interessantes Auge, dunkel und blitzend mit einem etwas scheuen Ausdrucke, und dabei lag auf dem ganzen Gesichte beständig ein Ausdruck der Ueberraschung, gerade so, als erblicke sie, versteckt hinter grünen Zweigen, etwas absonderlich Merkwürdiges.

Der Tannhäuser hatte gerade eine weibliche Figur entworfen, die, sich badend, halb neugierig, halb erschreckt das Schilf auseinander biegt, wie um auf das Rauschen eines Kahnes zu lauschen, der sich ihrem heimlichen Versteck zu nähern scheint.

»Den Kopf könnte ich gerade brauchen,« sagte er, als das Mädchen wieder schüchtern zurückgetreten war. »Darin, namentlich in den Augen, liegt ein prächtiger Ausdruck. Wenn man darnach malen könnte, bekäme man wahrhaftig wieder Lust zur Arbeit.«

»So male darnach,« versetzte die Fürstin mit einem Lächeln, welches geschickt gemacht war, um ein eigenthümliches Zucken ihrer Lippen zu verbergen. Doch dauerte dieses Zucken nur ein paar Sekunden, dann blickte sie frei und fröhlich auf und wiederholte: »Gewiß, Richard, male nach ihr; Elise wird sich sicher nicht sträuben.«

Er zuckte wohl mit den Achseln, er sagte dies oder das, was ihm convenabel sei, wodurch man mehr oder minder genirt werde, worauf sie aber erwiderte: »Wozu sich selber Schwierigkeiten machen! Betrachte sie wie jedes andere Mädchen, wornach du malen würdest. Du hast mir gesagt, es sei dir für deine Kunst nothwendig – nun gut! Auf diese Art ist es passender zu machen, als wenn irgend Fremde, Unbekannte für gewisse Stunden ins Haus kämen.«

Das war einer der Momente, wo das kluge Weib eine neue Fessel um seinen Nacken warf, wo er in dankbarer Anerkennung dessen, was sie für ihn that, seine körperliche und moralische Ermüdung vergaß, wo er in herzlicher Erkenntlichkeit sich scherzhaft zu ihren Füßen lagerte, wo er in Gedanken sein »Morgen« und »Uebermorgen« wieder weit hinaus schob, indem er sagte: es wäre unrecht von mir, ihr so alle ihre Güte zu vergelten. – Etwas anderes wäre es, setzte er hinzu, wenn sie Eifersucht gezeigt hätte. Dann – –

Aber die Fürstin zeigte durchaus keine Eifersucht; sie kam in das Atelier und verließ es wieder, wie sie es immer gethan; sie sah lächelnd zu, als er den schönen Kopf Elisens malte und deren weiße Schultern, ja nach und nach so viel von ihr, wie er zu einem badenden Mädchen brauchte. Ja später klopfte sie vorher an, ehe sie eintrat, damit der Tannhäuser Zeit gewinne, eine Draperie um den schönen nackten Körper des jungen Mädchens zu legen. Dabei war Elise gewissermaßen ein gefährliches Modell, denn jedesmal, so oft sie ihre Stellung einnahm, dauerte es eine Zeitlang, ehe die tiefe Röthe, die in ihrem Gesichte aufflammte, langsam seinem freundlichen und doch wieder ernsten und respektvollen Zureden wich. Auch war das Mädchen nur durch ein vollkommen gerechtfertigtes Zutrauen zu dem jungen Maler dahin gebracht worden, ihren schönen Körper studiren und abbilden zu lassen. Eigenthümlich war es dabei, daß die Fürstin sie nach und nach wirklich liebgewann, sie aus dem Kreise der niederen Dienerinnen, dem sie anfänglich angehörte, durch ihr Zutrauen erhob und sie zu ihrem Liebling, ja gewissermaßen zu ihrer Vertrauten machte.

Einige Zeit, nachdem der Tannhäuser damals sein Bild unter einer fremden Chiffre an den Kunstkenner verkauft, sagte er eines Tages während des Diners zur Fürstin: »Ich habe schon lange fragen wollen, ob dir nicht ein russischer Maler Namens Potowski bekannt sei?«

Wenn er nicht bei dieser Frage gerade auf seinen Teller niedergeblickt hätte, so müßte er nothwendig gesehen haben, daß die Fürstin trotz der Gewalt, die sie über sich selbst hatte, ein wenig die Farbe wechselte. Sie preßte ihre Lippen aufeinander, trank aus ihrem Wasserglase, ehe sie wieder völlig gesammelt antwortete: »Potowski? – O ja, unsere Zeitungen sprechen zuweilen von ihm.«

»Also es ist ein Russe?« forschte er arglos weiter. »Eigenthümlich, ich habe nie etwas von ihm gesehen.«

»Das ist leicht begreiflich, da wenige Bilder von ihm hieher kommen; die meisten bleiben in Rußland, viele gehen auch nach Nordamerika und England.«

»Du kennst Potowski?«

»Ich habe Potowski nie gesehen,« gab sie zur Antwort. »Aber wie kommst du so auf einmal auf ihn?«

»Ein Bekannter sprach mir darüber,« sagte der Tannhäuser nach einem kleinen Nachdenken. Dann setzte er aufblickend hinzu: »Dieser Bekannte sagte mir auch, die Bilder Potomski's hätten Ähnlichkeit mit den meinigen. – Er malt wohl noch nicht sehr lange Zeit?«

»Ich glaube erst ein paar Jahre.«

Der Tannhäuser blickte vor sich nieder und ein trübes Lächeln flog über seine Züge. »Ist das nicht eigenthümlich,« sagte er nach einer Pause, »also meine Bilder gleichen den seinen? Meine Bilder sollen, wie mir jener Bekannte sagte, nicht schlechter sein, und von ihm reden die Zeitungen, er, der Fremde, ist hier in Deutschland bekannt, während meiner mit keiner Silbe gedacht wird, während ich von unsern Journalen todtgeschwiegen werde. Wie kommt das?«

Die Fürstin zuckte leicht mit den Achseln, dann erwiderte sie: »Wenn ich dir meine ehrliche Meinung darüber sagen soll, so kann ich dabei deinen Landsleuten kein Kompliment machen. Während wir Russen ebenso wie die Franzosen, die Engländer, einem wirklichen Talente, das auftritt, unsere Anerkennung nicht versagen, ist es nicht zu läugnen, daß bei euch in allen Zweigen der Kunst und Literatur eine gewisse unbegreifliche und kleinliche Eifersüchtelei herrscht und daß man bei Euch gar zu gern geneigt ist, eine neue Kraft, die sich zeigt, entweder, kritisch so zu zersetzen und zu zerfasern, daß der wirkliche gute Stoff vor den Augen der Welt zu Grunde gehen muß, da man ihm statt liebevoller Ermunterung nur seine Fehler zeigt, oder wenn ein Talent gar gewaltig auftritt, so daß es andere armselige Geister, die sich nur durch die Lobhudeleien ihrer Freunde einen kleinen unbedeutenden Namen gemacht, weit überragt, so wird dieses Talent, um deinen Ausdruck zu gebrauchen, zu Tode geschwiegen, und darin gehen gerade manche eurer großen Journale mit vortrefflichem Beispiel voran, legen handgroße Pechpflaster auf ihre dicken Ohren, rühmen sich nebenbei deutscher Gesinnung, loben den Fremden in gleicher Kategorie über alle Maßen, um so über den Landsmann auf gleicher Stufe mit einem vornehmen Schweigen hinweggehen und ihn vielleicht unter ihre plumpen Füße trampeln zu können.«

»Das ist wahr – nur zu wahr,« versetzte der Maler. Und da es ihn schon oft gekränkt, daß die Journale seiner nie Erwähnung thaten, so versank er, obendrein noch gereizt durch die Bemerkungen, welche er soeben gehört, in ein tiefes Nachsinnen über den Grund dieses hartnäckigen Nichtnennens seines Namens und vergaß darüber den russischen Maler Potowski.


 << zurück