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Der Tannhäuser hatte seinen Frack hervorgesucht, der, wenn er auch gerade nicht mehr vom letzten Jahre war, noch immer stattlich genug aussah, sobald ihn der ausfallend schöne junge Mann angezogen. Er hatte auch seine Toilette mit der weißen Halsbinde von Franceska's Vater, welche ihm dieselbe freundlich und bereitwillig gebracht, vollendet, und war zur bestimmten Stunde nach der Stadt gegangen, wo er sich zu dem Opfer entschloß, in einem der zahlreichen Läden sich ein paar neue Handschuhe zu kaufen, worauf er sich nach dem ihm wohlbekannten Hause der Fürstin Lubanoff verfügte. Der junge Maler hatte etwas Außergewöhnliches, etwas Vornehmes in seinem Wesen; er hätte fast für einen der Ihrigen gelten können, weßhalb denn auch das sonst so geübte Auge des alten Portiers einigermaßen getäuscht wurde und er, vor seiner Loge stehend, jene Verbeugung machte, die er auszuführen pflegte vom einfachen Adeligen aufwärts durch die Klasse der unbetitelten Barons hindurch bis hinauf zu den Legations-Sekretären der fremden Mächte.
Im Vestibul traf Tannhäuser mit dem ältlichen freundlichen Herrn zusammen, der von einer unbeschreiblichen Liebenswürdigkeit für den Künstler war; er drückte dem jungen Mann nicht nur die Rechte mit beiden Händen, sondern er zog ihn sogar an sich, als wolle er ihn als Ausdruck seiner freundschaftlichen Gefühle umarmen; er näherte seine lange spitze Nase und seinen fast zahnlosen Mund mit grinsender Freundlichkeit dem offenen und edlen Gesichte des Malers, wobei der alte Herr aber etwas Lamaartiges an sich hatte, so daß sich Tannhäuser genöthigt sah, sein Gesicht abzuwenden, um einem förmlichen Sprühregen zu entgehen. Dazu sprach der Graf Portinsky mit einem wahren Entzücken von der angenehmen Fahrt von heute Vormittag; mit welchem Behagen er so ohne alle Ceremonie ins innerste Heiligthum der Kunst gedrungen sei und wie er es sich nicht nehmen lassen werde, so häufig, ohne alle Anmeldung, seine Besuche zu machen, schwelgend in den harmlosen Freuden des einfachen Künstlerlebens.
»Aber, Freundchen,« setzte er hinzu, wobei er einen Rockknopf des jungen Malers faßte und ihn mit steifem Arm ein wenig von sich abdrückte, als wolle er ihn etwas genauer von der Ferne betrachten, ehe er ihn wieder an sein Herz zöge, »Sie müssen mich bei meinen Besuchen ganz wie einen der Ihrigen betrachten; nicht so ängstlich Ihr Atelier verschließen, wie heute Morgen, – nicht so eifersüchtig sein, junger Mensch,« fuhr er mit einem Lächeln fort, das sich zu bemühen schien, seine Nase und das spitze Kinn zu vereinigen. »Ja, ja,« sprach er in lustigem Tone weiter, als er bemerkte, wie ihn der Maler ernst und fragend anblickte, »ja, ja, heute Morgen. Daß Sie die Damen fern hielten, begreife ich wohl, aber Unsereinem, einem Kenner – ich versichere Sie, einem Kenner der feinsten Art, hätten Sie schon sagen müssen: treten Sie ein, s'il vous plait. Wissen Sie, Freundchen, eine Hand wäscht die andere in dieser Welt. Ja, sehen Sie mich nur so verwundert an; Sie sind ein Schalk, ich habe es der Fürstin gleich gesagt, aber ein gefährlicher Schalk. Ob sie es gehört hat, weiß ich nicht. Sie schlug ihren Fächer auf und blickte zum Wagen hinaus. – Aber das beiseite! Um wieder auf Ihr Atelier zu kommen, die Kleine da –«
»Welche Kleine, wenn ich bitten darf, Herr Graf?« fragte der Maler in ernstem Tone.
»Lieber Freund, Sie machen mich lachen,« erwiderte der alte Herr, ohne im Geringsten seine heitere Miene zu verändern; »wer die Kleine ist mit dem schwarzen Haar und dem feurigen Blick? – Nun die, welche Sie gemalt; da kann von einer Andern nicht die Rede sein. Das reizende Geschöpf, das im hintern Atelier saß – Ihr Modell.«
»Ach, ich verstehe, Herr Graf!« versetzte Tannhäuser und fuhr dann in sehr trockenem Tone fort: »das junge Mädchen ist kein Modell, wie Sie es zu nennen belieben; es ist die Tochter eines Freundes, die uns erlaubt, die in der That wunderbaren Formen ihres Kopfes zuweilen mit einigen Strichen zu benutzen.«
Währenddem waren sie langsam die Treppen hinaufgestiegen, wozu sie einige Zeit gebraucht, da der alte Herr im Eifer seines Gesprächs häufig stehen blieb und den jungen Mann durch eine Wendung des Armes zwang, sich gegen ihn zu drehen. Er that das, um eindringlicher mit ihm zu reden.
»O-o-oh!« sagte er jetzt, indem er oben stehen blieb; »was seid ihr Künstler für ein merkwürdiges Volk! So was von Eifersucht und Mißtrauen kann sich Unsereins, der in Parenthese gesagt, gegen seine Freunde und Bekannte nach allen Richtungen hin gefällig ist, nicht vorstellen. Dem sei aber, wie ihm wolle, in den nächsten Tagen werden Sie mich wieder bei sich sehen. – Lieber Freund und Herr, Ihre finstere Stirne schreckt mich nicht; ich komme, sobald ich kann, zu Ihnen, ich, der alte Portinsky. Wenn ich daran denke, könnte ich jetzt schon lachen, hahaha!« – Und während er das sprach, brach er wirklich in ein lautes Gelächter aus, wobei er sich ordentlich vor Vergnügen schüttelte. »Ich komme zu Ihnen mit der Mappe unter dem Arm, wie ein junger Kunstschüler, und zeichne ebenfalls nach den wunderbaren Formen des Kopfes dieser kleinen reizenden Person. – Diese Idee ist eklatant, sie wird die Fürstin außerordentlich amusiren.«
Der Maler fühlte sich durch diese ausgelassene Lustigkeit des alten Herrn etwas verletzt; es wehte ihn aus diesem Gespräche kalt und unheimlich an; er kam sich fast selbst nicht mehr wie der vor, der noch vor wenigen Augenblicken stolz gegen das Haus der Fürstin geschritten war, mit dem Bewußtsein eines Künstlers, den sein Talent adle, oder, was freilich nicht ganz dasselbe ist, den sein Talent über die gewöhnliche Menschheit erhebe. Bei diesen Worten fühlte er sich herabgedrückt, weßhalb er sich nicht enthalten konnte, dem alten, so übermäßig heitern Herrn zur Antwort zu geben: »Erlauben Sie mir die Bemerkung, daß ich nicht begreifen kann, wie sich die Frau Fürstin über Ihre eben ausgesprochene Idee so außerordentlich werde amusiren können.«
Sie waren in ein Vorzimmer getreten, an dessen Thür ein reich gallonirter Bedienter stand, welcher sich vor dem Grafen tief verbeugte.
»Sie werden das sehen und hören,« sagte der alte Herr, wobei er zu lächeln fortfuhr, »ich mit einer Mappe unter dem Arm. Wenn ich nur gleich eine bei der Hand hätte, um so in den Salon treten zu können. Meinen Sie in der That, daß das nicht amüsant wäre?«
»Komisch gewiß,« entgegnete Tannhäuser; »es ist wirklich schade, Herr Graf, daß keine Mappe zur Hand ist, ich würde alsdann mit Ihnen, meinem Schüler, eintreten, einem Schüler, von dem aber der Meister noch sehr viel lernen könnte.«
»Das könnten Sie auch, junger Mann, ich versichere Sie; Sie werden das sehen, wenn ich erst ein paarmal mit Ihnen gezeichnet habe.«
So waren sie durch mehrere Zimmer geschritten, und als sie abermals vor eine Thür kamen, zog der Graf seine weiße Halsbinde ein wenig in die Höhe, fuhr leicht mit der Hand über die Lichtung seines ehemaligen Haares und trat alsdann voran in den Salon der Fürstin, wobei er laut und lustig auflachte.
Es war das ein Gemach mit Raffinement und Luxus ausgestattet; auf dem Boden lagen die feinsten, indianischen Matten, wie das feinste Gewebe, wie ein Seidenstoff aussehend, während tatarische Decken, die wirklich von Seide gemacht waren, aber buntgefärbten, glänzenden Vließen ähnlich sahen, sich überall als Vorlagen vor den verschiedensten Möbeln befanden. In den Ecken des Zimmers waren Blumenpartieen aufgestellt, mit duftenden, buntfarbenen Blüthen; dem Eingange gegenüber führte eine vielleicht sechs Fuß breite Oeffnung in ein kleines Gemach, wo man zwischen grünen Gebüschen eine marmorne Brunnenschale sah, die murmelndes Wasser von allen Seiten überströmen ließ. Eine leichte Bewegung desselben, sowie der Blätter, die sich hin und her wiegten, zeigte an, daß dort, wahrscheinlich um eine erfrischende Kühle zu behalten, die äußere Luft ungehindert eintreten könne.
Der ganze Anblick dieses Salons hatte etwas eigenthümlich Unordentliches und doch dabei Reiches und Malerisches. Kein Fauteuil, kein Tisch stand an dem Platze, wo man allenfalls befugt gewesen wäre, ihn zu suchen; dabei waren an allen diesen Möbeln die kostbarsten, aber verschiedenartigsten Stoffe verwendet, in den buntesten Farben, oft mit Gold durchwirkt, aber in den eigenthümlichsten und doch wieder geschmackvollen Zusammenstellungen. Dazu kam noch, daß die reichen und schönen Tischdecken mit einer naiven Willkürlichkeit hier hoch, dort tief herab hingen, daß sich auf ihnen alle möglichen Geräthe befanden: Krüge, Schüsseln, Schalen, kostbare Majoliken, oder Sachen aus getriebenem Silber und Gold, mit Emaille und Edelsteinen besetzt und incrustirt. Auch Bücher sah man hie und da aufgeschlagen, prachtvolle Kupferwerke, und dazu seltsamer Weise bemerkte man welche am Boden liegen, häufig über einander, auf dem obersten ein kleines gemaltes Brevier, und vor diesen kostbaren Schätzen der Literatur sah man drei, vier türkische Teppichvorlagen auf einander liegen, darüber vielleicht eine buntseidene Decke aus Brussa, so daß das Ganze aussah wie ein kleiner Divan, den irgend jemand benutzte, um hier ruhend in jenen Kupferwerken zu blättern. Dort auf der einen Seite neben diesem Divan, auf der Matte stand eine prachtvoll emaillirte Schaale, auf derselben ein einfaches Krystallglas, halb mit Wasser gefüllt. Daneben lag ein kleines, mit Spitzen besetztes Battisttuch.
In der Mitte des Salons war ein ähnlicher Divan wie der eben beschriebene, nur höher und breiter, ebenfalls mit einem seidengewirkten Teppich bedeckt, und auf diesem saß oder ruhte vielmehr liegend die Fürstin. Sie war mit einer ausgesuchten, man hätte sagen können raffinirten Einfachheit gekleidet. Sie trug ein Kleid von weißer Seide ohne alle bunte Verzierung, aber mit unzähligen ebenfalls weißen Knöpfen und Quasten bedeckt; ihr dunkles, volles Haar war in einfachen Flechten um den Kopf befestigt, und ausgenommen zwei immense Perlen, die in Nadeln befestigt und ihr Haar zu tragen schienen, sah man weder an ihrem Halse noch an ihren Armen das Geringste irgend einer Art von Schmuck.
Wie wir vorhin bemerkten, trat der alte Graf mit einem sehr lauten, etwas affektirten Lachen in das Gemach, überzeugt, daß die Dame des Hauses ihn mit einer Frage über seine außergewöhnliche Heiterkeit empfangen werde. Doch schien er sich diesmal geirrt zu haben, denn die Fürstin erhob sich ein wenig von ihrem Divan und sagte in einem mehr ernsten, als scherzhaften Tone: »Ich möchte in der That wissen, Graf Portinsky, wo Sie immer Ihre scheinbar unverwüstliche Laune herbringen. Jeder Mensch sollte doch Momente haben, wo er im Stande ist, etwas ernsthaft auszusehen, ernsthaft zu denken, ernsthaft zu sprechen. Da könnten Sie von unserem jungen Freunde lernen. – Guten Tag, lieber Herr Tannhäuser!« wandte sie sich an diesen. »Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß der Graf ein guter Freund unseres Hauses ist, aber daß, wenn Sie nur das geringste Bestreben haben, mir zu gefallen, Sie sich durchaus nicht nach ihm richten müssen.«
»Und doch habe ich die Ehre,« sprach der alte Herr mit seiner unverwüstlichen Laune, »der Fürstin in manchen Dingen so ähnlich zu sehen.«
»Ah!« machte der junge Maler unwillkürlich, worauf die Dame einen Moment ihre schönen Augen empor wandte, als wolle sie damit andeuten, sie wünsche von da oben einige Erleuchtung für ihn.
»Ich meine nur,« plauderte der Graf unermüdlich fort, »was die ewig heitere Laune anbelangt und die beständige Lust zu scherzen.«
»Ich habe aber gar nicht gescherzt!« rief die Fürstin, wobei sie wie aus Ungeduld mit dem Fuße zuckte. »Sie können wahrhaftig von einer ruhigen Gesellschaft noch sehr viel Gutes lernen.«
Und wiederum lachte der alte Herr, und als hierauf die schöne Frau die Achseln zuckte, konnte er es nicht unterlassen, seine Idee mit der Mappe zu erzählen, wie er mit derselben unter dem Arm nächstens in das Atelier des Herrn Tannhäuser hinaus pilgern werde, um dort das außerordentlich schöne Mädchen zu zeichnen, das er hinter der spanischen Wand entdeckt.
Die Fürstin drückte ihre Lippen ein wenig auf einander, dann schlug sie ihre Augen langsam auf und blickte wie fragend auf den Maler. Doch ehe dieser noch etwas zur Antwort geben konnte, warf sie unmuthig ihren Kopf herum und sagte zu dem alten Herrn: »Wahrhaftig, Portinsky, Sie sind von einer ausgesuchten Indiscretion. Hatte uns Herr Tannhäuser, als wir in seinem Atelier waren, nicht gesagt, er habe eine Sitzung, und mußte Ihnen das nicht genug sein, um Ihre Neugierde unbefriedigt zu lassen? – Wie nun, wenn man Sie verdienter Maßen auf eine wenig feine Art zurückgewiesen hätte?«
»Das ist ja auch geschehen!« lachte der Graf, der durch nichts aus seinem Gleichgewicht zu bringen war. »Haben Sie nicht den kleinen finsteren Collegen unseres vortrefflichen Freundes hier gesehen, der im Atelier die Affen malte? – Nun ja, der schoß mit der Behendigkeit einer wilden Katze hinter mir drein und sagte mir einige, wahrscheinlich nach seiner Meinung passende Worte; sein Gesicht strahlte von Eifersucht.«
»Wohl nicht von Eifersucht,« nahm der Maler ruhig das Wort; »mein Freund Wulf ist, wie ich glaube, von dieser Leidenschaft nicht beseelt; er hält es nur für seine Pflicht, das junge Mädchen – die Tochter meines Freundes –" wandte er sich an die Fürstin, »zu schützen vor allen –«
»Sagen Sie: lächerlichen Zudringlichkeiten,« warf diese mit gleichgültigem Tone dazwischen. »Und nun lassen Sie ihn sprechen und setzen sich zu mir. – Wissen Sie wohl,« sagte sie im nächsten Augenblicke zu dem alten Herrn, der höchst zufrieden lächelnd und händereibend auf und ab ging, »daß die Frau v. Bauvallet schon ein paarmal nach Ihnen gefragt hat? Sie will einen Rath von Ihnen.«
»Meine verehrungswerthe Freundin,« rief der Graf, indem er plötzlich stehen blieb, umwandte und dann mit den Worten der Thür zueilte: »ich möchte sie um alles in der Welt nicht auf mich warten lassen, und bin sogleich wieder da.«
»Setzen Sie sich zu mir,« sprach die Fürstin gütig, wobei sie auf den Divan zu ihren Füßen zeigte.
Der Maler näherte sich und ließ sich dort nieder, doch hatte die Fürstin so wenig Platz gelassen, daß er selbst bei dem besten Willen, sich in anständiger Entfernung zu halten, doch beinahe ihr Gewand berühren mußte. Sie war dem alten Herrn mit den Augen gefolgt, preßte einen Moment die Lippen auf einander und sagte dann, während sie den Mund rasch, fast zuckend öffnete: »er kann recht unausstehlich sein; nehmen Sie sich überhaupt vor ihm in Acht, und wenn Sie ihn je um Rath fragen sollten, was Sie indessen besser unterlassen können, so thun Sie wenigstens beständig das Gegentheil von dem, was er Ihnen anräth.«
Diese Worte stieß sie ziemlich heftig heraus, worauf ihr der junge Mann, um etwas Versöhnliches zu sagen, zur Antwort gab: »Mir scheint der Herr Graf ein harmloser, jovialer alter Herr zu sein.«
Die Fürstin machte eine Bewegung mit der Hand, wie um das Gegentheil von dem, was er gesagt, anzudeuten und sprach dann mit einem kleinen lauernden Blick: »Nehmen Sie sich vor ihm in Acht; was hat er doch vorhin von einem jungen Mädchen gesprochen, das er bei Ihnen gesehen haben will? – Wer ist sie? – Wenn sie Ihnen irgend werth ist – und überhaupt, es wäre dies das Beste –« unterbrach sie sich selbst, indem sie den Ton ihrer Stimme änderte, »verbitten Sie sich ein für allemal die Besuche des Grafen.«
»Das Mädchen, von dem die Rede ist,« erwiderte Tannhäuser mit einem leichten Lächeln, »ist ein erwachsenes Kind, die Tochter eines meiner Freunde, vielleicht sechzehn Jahre alt.«
Die Fürstin richtete sich rasch etwas in die Höhe. »Und das, glauben Sie,« gab sie hastig zur Antwort, »würde jenen – alten Herrn abhalten, Ihr Atelier zu besuchen, oder das Haus dort, wo er das junge Mädchen zu sehen hofft? – O glauben Sie mir, er kommt bald und so oft er kann, und wenn er es nur thut, um sie vor ihren Nachbarn zu compromittiren. – Doch was mischen wir ihn in unser Gespräch?« fuhr sie sanfter fort, indem sie sich zurücklehnte und den Kopf auf ihre Hand stützte. »Aber sagen Sie mir, ist das junge Mädchen wirklich schön? – Ah! sie wird eine Aehnlichkeit haben mit dem schönen, frischen Kopf auf Ihrem Bilde, – auf Ihrem Bilde, das nun mein gehört. Nicht wahr, da haben Sie den Kopf des jungen Mädchens benutzt?«
»Ja, etwas, gnädige Fürstin; ohne aber den Ausdruck ihres Gesichtes wieder zu geben, habe ich mich nur im Allgemeinen an die wirklich schönen Formen ihres Kopfes gehalten.«
»Gut, – entweder ist die Kleine sehr schön oder Sie haben eine außerordentliche Gewandtheit, etwas, was Ihnen tauglich erscheint, zu benutzen. Der kleine Kopf, den Sie gemalt, ist reizend. – Glauben Sie,« fragte sie darauf hastig, »auch von mir ein hübsches Bild machen zu können?«
»Wenn mich meine Kunst dabei nicht im Stich läßt,« gab der junge Maler zur Antwort, »so hoffe ich, soll mir das glänzend gelingen. Ich brauche ja nur mit einigem Geschick wiederzugeben, was ich – vor mir sehe.«
»Und doch,« versetzte die Fürstin lachend, »sagen Sie mir das mit abgewandtem Gesichte. Ich glaube, so recht angeschaut haben Sie mich überhaupt noch nicht. – Ehe mir anfangen zu malen,« sprach sie nach einem augenblicklichen Stillschweigen mit langsamer Stimme, »werde ich Ihnen ein paar Sitzungen geben, in denen Sie nichts zu thun haben sollen, als mich anzusehen. Fest, unverwandt, – Auge in Auge.«
Ihre Lippen zuckten ein wenig, als sie das sagte, und dabei sanken ihre Augenlider schläfriger als je herab. Sie hatte sich ganz zurückgelehnt, und während sie mit dem Kopfe auf einem kleinen gestickten Kissen ruhte, deren mehrere hie und da auf dem Divan umherlagen, hatte sie mit ihren beiden Händen die weißseidene Gürtelschnur ihres Kleides emporgehoben und ließ die Quasten derselben zwischen ihren Fingern umher wirbeln.
»Diese Sitzungen,« wagte der junge Mann zu sagen, »würden für mich die glücklichsten sein, die ich je erlebt.«
Unwillkürlich hatte sich sein Blut erregt, er fühlte das wohl; es mußte die Wirkung sein der eigenthümlichen Umgebung, in der er sich befand. War doch der Anblick des Gemaches schon so sonderbarer Art, wie man es auf orientalischen Gemälden sieht, wie es vor uns gaukelt, wenn wir Tausend und eine Nacht lesen, wie es uns im Traume erscheint, wenn wir die letzten Stunden des Abends schönen, glänzenden Augen gegenüber verbracht. Dabei war die Luft von einem so berauschenden Dufte geschwängert; es war kein ausgesprochenes Parfum, kam auch nicht von einem bestimmten Orte her; es schien von überall zu duften: aus dem Holz der Möbel, aus den Kissen der Divans, aus dem Wasser des Springbrunnens, aus den Blüthen der Pflanzen, welche diesen umgaben. Und wenn der junge Mann dabei vor sich auf die schöne Fran blickte, die so ungenirt auf ihrem Divan lag, jetzt heiter lächelnd nach ihrem Spielzeug, der Quaste, emporblickend, wobei sich ihr glänzendes Auge zwischen den halbgeschlossenen Lidern nur durch ein zeitweiliges Leuchten verrieth, während durch die lachenden frischen Lippen hindurch die weißen Zähne glänzten, wenn er dabei um sich blickte auf die wahrhaft asiatische Pracht, die ihn umgab, oder auf das einschläfernde Plätschern des Brunnens lauschte, so kam es ihm vor, als sei er unter dem Lesen irgend einer phantastischen Erzählung unter seiner Veranda eingeschlummert und habe einen seltenen und schönen Traum.
Die Fürstin schleuderte ihre Quaste weit von sich, und ehe diese auf das weite, bauschige Gewand niederfiel, fing sie solche mit der Spitze ihres Fußes wieder auf, um sie abermals in die Höhe zu werfen, – ein höchst gefährliches Spiel für einen jungen Mann von zwanzig Jahren, der auf dem Divan zu ihren Füßen saß. –
Glücklicher Weise ließ sie endlich die Quaste ruhen und erhob sich mit dem Oberkörper aus ihrer liegenden Stellung, so daß sie in aufrechter Haltung neben dem Maler saß, dem sie lächelnd mit einem leichten Erröthen sagte, während sie ihre zierlichen Fingerspitzen ansah: »Recht sehr will ich mich freuen auf diese vorbereitenden Sitzungen, – Auge in Auge, und wir können alsdann machen, wie die Kinder zu thun pflegen: uns scharf anblicken, um zu sehen, wer zuerst lacht. – Nein, nein!« fuhr sie hastiger fort, »es wäre das für mich ein gefährliches Spiel; müßte ich nicht fürchten Ihnen gegenüber leicht zu unterliegen? Und doch,« setzte sie rasch hinzu, indem sie ihren Kopf empor warf, »versuchen mir es einmal. Sehen Sie mich an.«
Sie öffnete ihre Augen und heftete ihren dunklen, sinnenden, etwas umflorten Blick, in dem zuweilen eine wilde, unheimliche Gluth zuckte, auf den Tannhäuser, der diesen Blick ein paar Sekunden ruhig aushielt, dessen Wangen sich aber leicht zu röthen begannen und dessen Augen sich zusehends animirten. – –
»Ah, nicht so!« rief das leidenschaftliche Weib nach einer längeren Pause; »so dürfen Sie mich nicht betrachten; wissen Sie wohl, daß das perfid ist? Ich darf Ihnen nur erlauben, Ihre Blicke auf mich zu richten, wenn Sie mich anschauen wollen mit den Augen des Künstlers.«
Sie nahm mit einem Male eine ernstere Miene an, dämpfte mit den herabfallenden Augenlidern das Feuer ihrer Blicke und bemerkte alsdann mit sanfter und leiser Stimme, während sie ihre Hand auf die Schulter des jungen Mannes legte: »ich bin überzeugt, Sie werden ein gutes Bild von mir machen; Ich freue mich kindisch darauf. – Sagen Sie mir aufrichtig, war Ihnen der Auftrag, mich zu malen, willkommen? Werden Sie ihn gern ausführen, oder thun Sie es nur, um der Fürstin Lubanoff keine abschlägige Antwort zu geben?«
Sie sagte das außerordentlich ruhig, im Tone des alltäglichen Gespräches und schien fast überrascht, als der junge Maler, der seine Gefühle nicht so in der Gewalt hatte, ihr mit unsicherer Stimme etwas verwirrt, aber doch fast zu stürmisch für einen Ton gewöhnlicher Conversation zur Antwort gab: wenn ihm bei dem so schönen Auftrage Ruhe genug bleibe, sich seiner ganzen Kunst bedienen zu können, so hoffe er ein Bild zu geben, dem man es ansehen müsse, daß es mit Begeisterung gemalt sei.
Bei dieser Antwort ließ die schöne Frau einen langsamen Blick über das Gesicht des jungen Mannes gleiten, einen Blick mit wohlgefälligem und doch ruhigem Ausdruck. Dabei nickte sie leicht mit dem Kopfe, als wolle sie ihre Zufriedenheit ausdrücken über die Gelehrigkeit ihres angenehmen Schülers. Im nächsten Augenblicke aber sprang sie rasch in die Höhe, that ein paar Schritte in den Salon hinein und hob das Battisttuch vom Boden auf, welches neben den Büchern lag. Nicht, als ob sie es zu etwas hätte brauchen wollen, vielmehr sah Tannhäuser, der mit Wohlgefallen ihren raschen und elastischen Wendungen gefolgt war, und die weichen Formen ihres Körpers in allen Bewegungen bewundern mußte, mit Erstaunen, daß unter dem Tuche am Boden eine goldene Kette auf dem Teppich glänzte, an der sich eine kleine mit Brillanten besetzte Uhr befand.
Diese hob sie nun empor, aber noch ehe sie einen Blick darauf warf, sagte sie, sich gegen den jungen Mann umwendend, mit lachender Miene: »Sie müssen mich für sehr unordentlich halten, und wenn Sie das thun, haben Sie vollkommen Recht. Ich kann nun einmal nicht anders; ich finde einen eigenen Reiz darin, die Sachen dort liegen zu lassen, wo ich sie gerade gebraucht habe. Was will ich machen?« setzte sie achselzuckend hinzu, »man hat mich so erzogen. Von Natur bin ich gewiß nicht so schlimm, wie ich mich zuweilen gebe.« Das sprach sie mit einem eigenen Tone und fuhr gleich darauf, denselben gänzlich verändernd, fort, nachdem sie die kleine Uhr betrachtet: »aber seh' Einer Frau v. Bauvallet, da wird sie mit dem Grafen plaudern und mich und mein Diner ganz vergeben.«
Rasch ging sie auf einen der kleinen Tische los, die in der Ecke des Gemachs standen, nahm einen zierlichen Hammer, der dort lag, und schlug damit auf eine Glocke, welche die bronzene Figur eines Negers mit beiden Händen hielt.
Es dauerte ein paar Sekunden, dann sah man den Kammerdiener in schwarzem Frack und weißer Halsbinde unter der Oeffnung erscheinen, die in das Kabinet führte, wo sich der Springbrunnen befand. »Mein Diner!« rief ihm die Fürstin entgegen.
»Ist soeben servirt,« erwiderte der Kammerdiener mit einer tiefen Verbeugung gegen seine Herrin.
»So wollen wir gehen,« sagte diese, indem sie sich gegen den jungen Maler wandte. »Geben Sie mir Ihren Arm.«
Rasch erhob sich Tannhäuser, trat an die Seite der Fürstin, indem er sich ein klein wenig verneigte. Die schöne Frau hing sich fest an seinen Arm und dann gingen die Beiden nach dem Hintergründe des Gemachs bei dem murmelnden Springbrunnen vorbei durch eine hinter demselben befindliche Doppelthür, die sich bei ihrem Näherkommen wie von selbst öffnete, durch ein paar Zimmer in einen kleinen Speisesaal, dessen Tisch mit vier Couverts besetzt war. Hier war auch der alte Graf, der mit Madame Bauvallet plaudernd auf und ab ging. Die Fürstin ließ sich sogleich an dem Tische nieder und lud den jungen Mann ein, sich an ihre Seite zu setzen; ihm gegenüber nahm der alte Herr Platz, und vis á vis der Dame vom Hause die Frau von Bauvallet.
Das Speisezimmer, welches der Maler mit einem forschenden Blick betrachtete, zeigte eben solchen Reichthum, eben solche Pracht, namentlich in dem kolossalen Silbergeschirr, welches ein Buffet auf einer Seite des Gemaches von dem Fußboden bis zur Decke anfüllte, wie die andern Appartements; nur schien die Laune der Fürstin, alles in Unordnung zu bringen, hier für diesmal nicht geherrscht zu haben; vielmehr war die ganze Einrichtung eine systematisch geordnete und richtige, alles hier an seinem gehörigen Platze, die Möbel auf's passendste zusammengestellt, und was das Diner selbst anbelangt, wurde es unter den Augen des alten Kammerdieners, der nur hie und da einen Wink gab, mit einer Ruhe und Präcision servirt, welche einen hohen Begriff von der Ordnung und der Solidität des Hauses gab. Wie das Diner an sich war, bedarf eigentlich gar keiner Erwähnung, denn der Koch der Fürstin Lubanoff war von Kennern als ein Künstler ersten Ranges geschätzt und verehrt. Nebenbei brauchte man ihn und Madame Bauvallet nur einmal in einem Gespräche über seine Kunst im Allgemeinen oder das Arrangement eines kleinen feinen Diners belauscht zu haben, um überzeugt zu sein, daß wo solche Kräfte zusammen wirkten, etwas ganz Ausgezeichnetes zu erwarten sein mußte. Das Einzige, was hierbei vielleicht außergewöhnlich war, bestand darin, daß gegen die Mitte des Diners vor die Fürstin eine ziemlich große flache Krystallschaale gestellt wurde, die auf einem goldenen Fuße ruhte. Diese Schaale war offenbar vorher gewärmt worden, denn als der Kammerdiener den außergewöhnlich stark frappirten Champagner hinein goß, stieg an den Rändern ein leichter Rauch auf, worauf die schöne Fürstin die Schaale hastig an ihre Lippen brachte, daraus schlürfte und sie alsdann ihrem jungen Gaste zum Trinken reichte.
Der Graf und Madame Bauvallet hatten ihre eigenen Gläser. Das Diner zeichnete sich sowohl durch Feinheit als auch durch Kürze aus; es dauerte nicht über eine halbe Stunde, worauf zwei Bediente eintraten, von denen der Eine nach orientalischer Art Kanne und Becken von Silber trug und während er das Letztere unterhielt, aus der Ersteren Wasser über die Hände der Fürstin goß, worauf der Andere ihr ehrerbietig ein feines Tuch überreichte.
»Man muß aus den Gewohnheiten aller Länder das Beste nehmen,« sagte die schöne Frau, indem sie sich lächelnd an ihren Gast wandte. »Versuchen Sie einmal, wie angenehm das ist.« Sie winkte mit den Augen, worauf die Bedienten vor den jungen Maler hintraten. »Aber Sie müssen ihre Hände so halten, daß der Wasserstrahl Ihre Pulsadern trifft; das kühlt und erfrischt wunderbar. – Habe ich nicht Recht?«
Tannhäuser verbeugte sich lächelnd, während er mit dem Tuche seine Hände abtrocknete. »Es ist allerdings ein eigenes Gefühl,« sagte er, »und man muß den Orientalen das Verdienst zuerkennen, durch dieses Waschen der Hände nach Tisch etwas namentlich für sie sehr Nützliches eingeführt zu haben.«
»Ja, für die Orientalen selbst,« lachte der alte Herr, »das gebe ich zu; denn wenn man sich mit den höchsteigenen Fingern aus der Schüssel zu seinem Pillau und seinem Hammelfleisch verholfen hat, da braucht man allerdings ein bischen Händewaschen.«
»Auch ohne das halte ich es für sehr angenehm,« sagte die Fürstin; »es erfrischt so eigenthümlich.«
Der alte Herr zuckte mit den Achseln. »Vor zwanzig Jahren, meine Gnädige,« meinte er, »hätte ich Ihnen wohl noch beigepflichtet; aber jetzt ist mir nach einem so guten Diner wie das, welches man das Glück hat, bei Ihnen zu genießen, die hieraus entstehende sanfte Wärme zu angenehm, um sie mit kaltem Wasser abzuschrecken. Bei Ihnen ist das freilich etwas ganz Anderes, und auch unserem Freunde da wird das kalte Element nicht unangenehm vorkommen.«
»Von Ihnen, Graf Portinsky,« versetzte die Fürstin, »der so alles Raffinement liebt, sollte man so etwas nicht aussprechen hören. Und dann haben Sie ganz unrecht mit Ihrer Behauptung. Das Wasser kältet nicht, es erfrischt nur. Ich habe mir schon oft überlegt, wie außerordentlich angenehm es sein müßte, so während der Siesta hie und da einen ganz feinen Strahl kalten Wassers auf sich herabrieseln zu lassen. Es müßte das ein unnennbar wohlthuendes Gefühl hervorbringen. – Ich muß das einmal versuchen.«
Sie wandte dem Gaste ihre vollen glänzenden Blicke zu, dann legte sie ihre Fingerspitzen leicht auf seinen Arm, und da sie sich im gleichen Augenblicke erhob, so mußte er einen schwachen Druck ihrer Hand fühlen. Dann nahm sie seinen Arm und kehrte mit ihm in den Salon zurück, wo sie vor dem Diner gewesen. Hier wurde der Kaffee auf türkische Art aus kleinen Porzellanschaalen getrunken, deren Zarva's aus goldener, ächt Damascener Filigran-Arbeit bestand. Dazu servirte einer der Bedienten in mehreren Flacons Liqueure von den verschiedensten und schillerndsten Farben.
»Nehmen Sie grünen Chartreuse,« sagte der alte Herr zu dem Maler; »dieser wunderbare Tropfen hat die Eigenthümlichkeit, daß er für alle Menschenalter paßt. Mich wird er sanft erwärmen, während er vielleicht bei Ihnen leicht dämpfend wie das kalte Wasser vorhin wirkt.«
Die Fürstin hatte sich wieder auf ihren Divan niedergelassen und sagte zu einem der Bedienten: »Vassil, bringe das kleine Kästchen und Licht. Sie rauchen doch?« wandte sie sich an den Maler.
»Zuweilen wohl, gnädige Fürstin,« entgegnete dieser. »Doch bin ich keiner von den starken Rauchern, die ohne eine Cigarre nach Tisch nicht sein können. Wenn Sie mich fragten, um mir hier eine anzubieten, so darf ich vielleicht dafür danken.«
»Sie haben recht – es ist auch so gut,« gab die schöne Frau zur Antwort, wobei sie mit der Hand das dargebotene kleine Kästchen leicht zurückstieß. »Geben Sie dem Grafen,« setzte sie hinzu. »Aber nicht wahr, Sie rauchen diskret?«
»Diskretissime! Ich werde mich an den Springbrunnen zurückziehen,« versetzte der alte Herr, »dazu noch oben ein Fenster öffnen und mit Madame Bauvallet plaudern, auch den Vorhang schließen, wenn Sie es wünschen.«
»Nein, nein, das können Sie bleiben lassen,« sagte die Fürstin in gleichgültigem Tone. Darauf winkte sie mit der Hand und die Diener zogen sich zurück. Sie nahm unbefangen ihre liegende Stellung auf dem Divan wieder ein und bat den jungen Mann, einen kleinen Fauteuil, der nicht sehr entfernt stand, herbeizurollen und sich darauf niederzulassen. –
»So,« sprach sie alsdann nach einer Pause, während welcher sie ihn zwischen den schläfrig herabgefallenen Augenlidern hindurch träumerisch betrachtet; »jetzt erzählen Sie mir etwas von Ihrem gewöhnlichen Leben und Treiben. Alles, was Sie wollen, die für Sie gleichgültigsten Sachen, es interessirt mich das Geringste. Sprechen Sie mir von Ihren Eltern, von Ihren Verhältnissen, von dem Hause, in dem Sie geboren wurden, wie sich Ihr Talent entwickelte, schildern Sie mir Ihre jetzige Situation, alles, alles so genau wie möglich. Es interessirt mich sehr, sehr, recht sehr. Wenn ich auch einmal die Augen zufallen lasse, so glauben Sie deßhalb ja nicht, daß ich einschlafe; ich thue das oft, wenn ich – etwas mit voller Seele erfassen, in mich, aufnehmen will. – Gewiß, mein Freund. Und nun sprechen Sie zu mir mit Ihrer so angenehm klingenden Stimme, alles, was Sie wollen.«
Daß sich der junge Mann in einer eigenthümlichen Aufregung befand, brauchen wir wohl nicht erst zu sagen. Wirkte doch hier alles so mächtig auf seine Sinne, auf seine Phantasie: die verschwenderische Pracht in allen Räumen des Hauses, der eigenthümliche Duft, den er einathmete, das kleine feine Diner, dem er gehörig zugesprochen, die berauschenden Weine, die er getrunken, noch mehr aber die berauschenden Worte der schönen Frau, vor allem aber der Anblick derselben, wie sie jetzt so zwanglos ruhend auf dem Divan vor ihm lag, er neben ihr sitzend, und auf ihren Wunsch so nah, daß bei jeder Bewegung, die sie machte, ihr weißes, seidenes Kleid an seiner Schulter und seinem Arme streifte. Dabei rauschte dasselbe so seltsam, so gefährlich, so verlockend.
»Und nun erzählen Sie mir,« sagte sie wieder, und mit halb geschlossenen Augen.
Das that denn auch der arme Tannhäuser, so gut er es vermochte; er sprach von seiner Kindheit, von seinem väterlichen Hause, wie er seine Eltern frühe verloren, wie er gänzlich allein in der Welt gestanden und wie sich ein Freund seines Vaters, der ein Lithograph war, seiner angenommen und ihm im Zeichnen Unterricht gegeben, wie er diesen fleißig benutzt und darauf Talent an sich bemerkt, wie er – –
Die schöne Fürstin ruhte mit dem Kopfe auf einem der kleinen Kissen und blinzelte unter den Augenlidern nach dem jungen Maler hin; zuweilen öffnete sie ihre Augen vollständig und schaute ihn mit einem glänzenden Blicke an, wobei ein leichter Seufzer ihre Brust hob. Dann ließ sie aber ihre Augenlider langsam wieder herabfallen, tiefer und immer tiefer, bis zuletzt das Auge geschlossen erschien, bis ihr Athem ganz gleichförmig hörbar wurde, bis ihre frischen Lippen leicht aufsprangen und feucht und glänzend die weißen Zähne sehen ließen. Dann war es, als sei sie fest eingeschlafen, und wie im Traume lächelnd erhob sie ihre Hand und legte sie leise auf das blonde, lockige Haar des jungen Mannes, den diese Berührung tief durchschauerte. –
»Ah!« rief sie alsdann aus, indem sie wieder um sich blickte, »denken Sie nicht, daß ich eingeschlafen, gewiß nicht, gewiß nicht; ich habe alles gehört, alles vor mir gesehen. O bitte, erzählen Sie weiter.«
Und das that er denn auch, aber mit seltsam bewegtem und gepreßtem Tone der Stimme. Wie er dann ein Maler geworden und glücklich gewesen sei, sein erstes kleines Bild zu verkaufen; wie er hinausgezogen, wo er jetzt wohne, nachdem sein väterlicher Freund und Beschützer gestorben, um von da selbständig zu arbeiten, wie er – –
Sie hatte ihre Hand von seinem Kopfe langsam heruntergleiten lassen auf die Schulter, von da an seinem Arme entlang, bis in seine Hand, wo sich ihre kleinen Finger fest eindrückten und sich zwischen den seinigen verschlingend liegen blieben.
Er athmete tief und schwer auf, und es war ihm unmöglich, auf seinem Stuhle sitzen zu bleiben. Langsam erhob er sich, er wollte einen Gang durch das Zimmer machen, er wollte zu dem Springbrunnen hin – er wußte nicht recht, was er wollte. Da aber ihre Finger zwischen den seinigen verschlungen waren, so konnte er nicht von der Stelle, und es wäre besser gewesen, wenn er ruhig sitzen geblieben wäre; denn da er aufstand und doch nicht von der Stelle konnte, so mußte er neben ihrem Lager stehen bleiben, auf sie herabgebeugt, in ihr feuchtes, büßendes Auge schauend, auf ihren leichtgeöffneten frischen und lächelnden Mund.
Hätte er nur nicht den kostbaren Tropfen von dem grünen Chartreuse getrunken! Denn nur dieser konnte es sein, der sein Blut erhitzt und es so wild und toll durch seine Adern rasen ließ. –
Das schöne Weib bemerkte wohl, daß er einen unruhigen Blick nach dem weit geöffneten Nebenzimmer warf, wo der Springbrunnen rauschte, wo ja an dem offenen Fenster der alte Herr mit Madame Bauvallet saß. Sie schüttelte mit einem unwiderstehlichen Lächeln ihren Kopf ein wenig, und im nächsten Augenblicke ruhten seine Lippen fest und durstig auf den ihren. – Aber nur einen kleinen Augenblick; dann löste sie ihre beiden Finger rasch aus den seinigen, vergrub ihre beiden Hände in sein dichtes Haar und drückte ihn sanft von sich; und nun war sie es, die einen besorgten, fast ängstlichen Blick auf das Nebenzimmer warf.
Als er aber rasch emporfuhr, lachte sie hell auf und sagte wie absichtlich mit lauter Stimme: »Jetzt muß ich Sie entlassen, so leid mir das auch thut; meine Zeit ist vorüber, aber,« setzte sie mit einem unendlich weichen Blicke hinzu, »ich darf doch hoffen, Sie morgen wieder zu sehen, damit wir unsere Sitzungen beginnen?«
Während sie das sprach, hatte sie sich rasch erhoben, stand nun neben dem jungen Manne, legte einen Augenblick ihre beiden Hände auf seine Schultern, schmiegte sich eine Sekunde lang fest an seine Brust und sagte mit zitternder Stimme: »Verschwender! Die Erwartung glücklicher Stunden ist etwas zu Kostbares und Süßes, um sie so mit einemmale zu vergeuden. O laß mich noch ein paar Tage tropfenweise davon schwelgen!« –
Nach diesen Worten wandte sie sich rasch ab und reichte dem jungen Mann ihre Hand, welche dieser mit heißen Küssen bedeckte und dann auf ihren Wink verwirrt und betäubt das Gemach und das Haus verließ.