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Siebentes Kapitel.
Ein Modell


Als der Tannhäuser am andern Morgen etwas früher als gewöhnlich aufgestanden war, arrangirte er sogleich seinen Malkasten; er ordnete alles darin so sauber wie möglich, ersetzte die stark gebrauchten Farbenblasen durch neue, suchte die nöthigen Pinsel zusammen, putzte die Pallette auf's sorgfältigste und packte dann alles in einen kleinen hölzernen Kasten. Hierauf machte er seine Toilette, nicht gerade besonders sorgfältig wie gestern zum Diner, vielmehr heute mit einer etwas koketten Nachläßigkeit.

Der kleine Thiermaler war ebenfalls aus seinem Bette herausgerollt – er pflegte diese Art des Aufstehens jeder andern vorzuziehen – dann streckte und dehnte er sich auf dem Teppich, welcher auf dem Boden lag, um sich so, wie er sagte, auf sein strapaziöses und mühsames Tagewerk vorzubereiten, und zog alsdann eines seiner unentbehrlichsten Kleidungsstücke an, um hierauf an seine erste Morgenbeschäftigung, die Bereitung des gemeinschaftlichen Kaffees zu gehen. Er that das abwechselnd pfeifend und singend, wie gewöhnlich, nachdem er aber zuvor die beiden Fenster des Schlafzimmers weit geöffnet, um die liebe Sonne hereinspazieren zu lasten. Diese schien aber auch heute so golden und prächtig über Berg und Thal, daß Einem das Herz nicht nur im Leibe lachen, sondern sich auch unwillkürlich auf den Zügen wiederspiegeln mußte, wenn man in den klaren, herrlichen Morgen hinausschaute. Und dabei war es ein bischen kühl, aber es herrschte jene angenehme Kühle, die uns wohl thut, wenn wir dabei an die Wärme des Mittags denken. Draußen zitterten die Blätter der Bäume ordentlich vor Wohlbehagen, die Blumen neigten verschämt ihre Köpfe vor dem Kuß der Sonne, wie junge Mädchen beim Pfänderspielen, Häuser und vor allem die Fensterscheiben glänzten wie gediegenes Gold und der Rasen, soweit man ihn erblickte, war bedeckt mit Milliarden von Brillanten, – eine kolossale Verschwendung. Der kleine Thiermaler hatte nicht genug daran, daß er mit weit aufgesperrtem Munde die frische Morgenluft einathmete, er suchte sich auch noch mit den ausgespreizten Händen so viel davon zuzuwedeln wie nur möglich. Das war sein geistiges Vorfrühstück, wie er es nannte. Sodann ging es an die Zubereitung des wirklichen.

»Wenn mein Vater eine weite Reise machte,« sprach er, indem er den Kaffee in die Blechmaschine that, »so pflegte meine Mutter, die eine sparsame Hausfrau war, eine Bohne mehr in die Mühle zu thun, und das geschah, um meinen Erzeuger daran zu erinnern, daß es nicht bloß in den Wirthshäusern einen guten Kaffee gebe. – Unter dem Wenigen, was ich von meinen Eltern geerbt, befindet sich auch diese kostbare Erinnerung, und die werde ich nun hier praktisch anwenden.«

»So willst du verreisen?« fragte Tannhäuser in einem etwas affektirt gleichgültigen Tone.

»Ich?« gab der Andere verwundert zur Antwort. »Ich bin der Zurückbleibende; du gehst in die Welt hinaus.«

»Schon wieder die alten abgedroschenen Späße. Ich kann es nicht fassen, wie man ein Vergnügen daran haben kann, andere Menschen immer zu necken und zu plagen.«

Der kleine Thiermaler hielt seine beiden Hände auf das Blechgefäß und schaute mit einem langen Blicke nach seinem Freunde herüber. Dieser Blick hatte anfänglich etwas Komisches; nach und nach aber wurde er ernster, düster, wehmüthig.

»Und ich kann es nicht fassen,« sagte er dann nach der so entstandenen langen Pause, »wie ein sonst so verständiger Mensch über sich selbst so verblendet sein kann. Oder bist du es wirklich, Richard? Wandelst du in der That so förmlich arglos dem Abgrunde zu, den deine Blicke nicht sehen wollen, weil ihn deine eigene Einbildungskraft mit bunten üppigen Blumen zudeckt? – Ich spreche da wie ein Buch,« setzte er sich selbst persiflirend hinzu, indem er die Achseln zuckte, »und sehe schon, es macht auf dich nicht die geringste Wirkung.«

»Was sollte es auch!« entgegnete der Andere unwillig. »Glaube mir, ich habe es endlich einmal satt, so von euch allen wie ein kleines Kind behandelt zu werden, jeden meiner Schritte bekritelt zu sehen und immer zu hören: Tannhäuser, du mußt das nicht thun, und das nicht, und das nicht. – Teufel auch! das wird langweilig. Und doppelt lächerlich ist es von dir, aus dieser an sich einfachen Geschichte ein solches Leben zu machen. Ich gehe dahin, male eine vornehme Dame, weil sie mich bittet, die Sitzungen in ihrem Hause zu halten; dabei scheint es euch ein großes Unglück, daß die Dame jung, schön und reich ist. – Im Gegentheil, das halte ich für ein Glück; ich werde ein Bild malen, das Aufsehen erregt, ich werde gut bezahlt werden – also Ehre und Geld, was will ich mehr?«

»Namentlich des letzteren recht viel,« gab der kleine Thiermaler gelassen zur Antwort; »daran zweifle ich nicht. Aber was die erstere anbelangt, so wollen wir später vielleicht wieder darüber sprechen. – Ich wasche meine Hände.« Er strich seine beiden Handflächen einen Augenblick gegen einander.

»Nein, Wulf,« fuhr Tannhäuser nach einer längeren Pause in weicherem Tone fort; »laß deine Neckereien sein. Ich versichere dich, du hast vollkommen Unrecht; in vierzehn Tagen ist, so Gott will, das Bild vollendet, und dann wirst du über deine eigenen Worte lachen.«

»Ich werde nicht darüber lachen,« sagte kopfschüttelnd und auffallend ernst der Thiermaler. »Aber Andere werden darüber weinen, und das thut mir jetzt schon recht weh. Ich bin einmal ein so närrischer Kerl, der sich gern um Andermannsleiden und Schmerzen bekümmert. Ich könnte was von deinem Leichtsinn gebrauchen, Tannhäuser.«

Dieser wollte zornig auffahren, doch schien er sich eines Bessern zu besinnen; er zuckte die Achseln und sagte dann nach einer Pause mit großer Ruhe: »Wulf, du bist unverbesserlich; aber es wäre eine Sünde, wenn man sich über dich ärgern wollte. Wenn du mich jedoch noch ein wenig lieb hast, so verdirb mir den Morgen nicht mit deinen prophetischen Sprüchen. Es kann ja das doch alles nichts nützen.«

Der kleine Maler ging auf seinen Freund zu, legte die Hand auf dessen Arm und sprach: »Daß es leider nichts nützen kann, weiß ich nur allzugut; aber es gibt etwas, das man Freundespflichten nennt, und die erkenne ich an, und deßhalb habe ich so zu dir gesprochen. Ja, um noch einmal prophetisch zu reden, will ich dir jetzt sagen, – und vergiß es nicht,« setzte er mit erhöhtem Tone hinzu – »daß eine Zeit kommen wird, wo du mich vielleicht am Kragen nimmst und mich derb schüttelst und dazu sprichst: Kerl, miserabler! Damals warft du zehn Jahre älter als ich, du kanntest meine Verhältnisse und – – Franceska genau, du mußtest mir damals sagen: ein – Elender, wenn du, der Beau, der du bist, du, der gute, leichtsinnige Mensch, zu jener Lubanoff gehst, um sie zu malen!«

»Wulf!« –

Der kleine Maler streckte die Rechte von sich ab und fuhr in gewöhnlichem Tone fort: »Schrei nicht so, Tannhäuser, ich sage dir nichts; du hast nur von mir gehört, wie du einstens zu mir reden wirst. – Ja, einstens, so wahr die Sonne scheint; du wirst so zu mir sprechen. – Aber jetzt kein Wort mehr davon.

Ihr Freunde, seht, es strahlt der Morgen.

Und unser Kaffee ist auch fertig.«

»Man muß dir schon recht viel zu Gute halten,« meinte Tannhäuser, und zu diesen Worten wollte er lachen, brachte es aber nur zu einem leichten Lächeln, und auch dieses sah melancholisch genug aus.

Wulf hätte, wie er sich auch eben ausgedrückt, nicht mehr von dem Bilde angefangen, das sein Freund zu malen hatte, noch von den Folgen, welche es für diesen haben konnte; doch konnte es der Tannhäuser selbst nicht lassen, während sie, wie schon so sehr oft bei ihrem Kaffee saßen, heute am geöffneten Fenster, anscheinend mit aller Gleichgültigkeit davon zu sprechen.

»Ich kann dich versichern,« sagte er, »das muß ein ganz famoses Bild werden, und es soll dem Namen Tannhäuser einen guten Klang beifügen.«

»Ja, ja,« brummte der kleine Thiermaler vor sich hin, dann fuhr er nach einer Pause fort, ohne seinem Freunde auf die vorhin gethane Aeußerung eine Antwort zu geben: »Weißt du, was ich allein fürchte und was mir so lebhaft vorschwebt, daß es geschehen werde? – Ich meine immer der alte Herr, der gestern mit deiner Fürstin da war, wird Veranlassung nehmen, sich hier herum viel zu schaffen zu machen. Es könnte das aber Unannehmlichkeiten für ihn herbeiziehen; deßhalb glaube ich, es wäre gar nicht übel, wenn du ihn ein bischen davor warntest, sich hier außen allzuviel umherzutreiben.«

»Du siehst wie immer alles schwarz,« entgegnete der Andere; »wenn er auch einmal käme, was thut's? Ich bin ja auch da.«

»So, du bist auch da?« sagte Wulf in ganz eigenthümlichem Tone. »Ja, wenn du da bist, ist es freilich etwas ganz anderes. Nun, wir wollen sehen, bakulum! wie der Türk sagt. Das Wort gefällt mir, weil es mit sonst was eine so angenehme Aehnlichkeit hat. Auf alle Fälle aber kann ich dich versichern, daß ich da sein werde, – und fest. – Nimmst du noch ein wenig Kaffee?« setzte er darauf in gleichgültigem Tone hinzu; »du mußt ihn nicht verschmähen, ich habe eine Bohne mehr dazu gethan, als gewöhnlich. Du weißt schon weßhalb. – Und nun wollen wir für heute die Abschiedspfeife rauchen. Willst du eine irdische oder nimmst du meine türkische?«

»Ich werde heute Morgen gar nicht rauchen,« versetzte Tannhäuser; »man muß doch ein wenig Rücksicht nehmen, wenn man eine Dame malt.«

»Da wird es dich am Ende auch geniren, wenn ich rauche?«

»Bei offenen Fenstern ganz und gar nicht.«

»Nun, das ist mir recht lieb.« –

Darauf fing der kleine Thiermaler an zu rauchen und zwar aus einer langen irdenen Pfeife, wobei er sich dicht ans Fenster setzte, nicht wegen des Anzuges seines Freundes, sondern weil es ihm Vergnügen machte, den blauen Rauch so fein gekräuselt vor sich aufsteigen zu sehen und ihn mit den Augen zu verfolgen, wie sich seine Ringe langsam verschoben, immer weiter sich auseinander zogen und dann in Nichts vergingen. Er konnte dabei so gut seinen wachen Träumereien nachhängen.

Der Tannhäuser ging im Zimmer auf und ab, nachdem er seinen Malkasten zugeschlossen, und bald darauf griff er nach seinem Hute und reichte seinem Freunde die Hand. »Adieu, Wulf, – bis heute Abend!«

»Bis heute Abend, Tannhäuser.«

Der Letztere ging zur Thür hinaus, der kleine Thiermaler aber blieb am Fenster sitzen und war einen Augenblick nachher so in tiefe Gedanken versunken, daß er es nicht zu bemerken schien, wie die irdene Thonpfeife seinen Fingern entglitt, aus dem Fenster fiel und drunten in kleine Stücke zerschmetterte.

Im Hofe traf Tannhäuser Franceska, die im Schatten ihrer Veranda saß und einige Veilchen zusammenwand. Ihr Gesicht war wie gewöhnlich, nicht heiter, nicht betrübt, aber ruhig und freundlich.

»Die Blumen sind für dich,« sagte sie, »aber behalte sie, gib sie nicht weg.«

»Wie sollte ich sie weggeben, Franceska, da ich sie von dir erhalten! Sind sie mir nicht lieb und werth?«

Sie hob ihre rechte Hand leicht gegen ihn empor, wobei sich jetzt in ihr Lächeln nur für eine Sekunde lang etwas Trübes mischte; dann wiederholte sie ihre Worte von vorhin: »Gib sie nicht weg, mehr kann ich ja nicht verlangen.«

»Ich versichere dich, Franceska, daß ich sie gut aufbewahren werde,« gab Tannhäuser ihr zur Antwort, während er ihr seine Hand entgegenstreckte, in welche sie zögernd die ihrige legte. Dabei sah sie ihn mit einem tiefen, innigen Blicke an, so daß es ihm so sonderbar schwer um's Herz wurde.

»Gewiß, Franceska,« sagte er, »ich werde deine lieben Blumen aufbewahren, ich werde sie dir später wieder zeigen.«

»Wie Gott will!« flüsterte das Mädchen, aber so leise, daß er es nicht verstand. Dann nickte sie dem jungen Manne zu und ging in das Haus.

Tannhäuser schritt durch den kleinen Gemüsegarten dahin, mußte aber hier noch einmal halten, denn zwischen den schnurgeraden Reihen der frischgrünen Erbsen, die eben aus dem Boden hervorgebrochen waren, sah er den Vater Pisani gebückt stehen, wie er emsig die Pflänzchen betrachtete und sich an dem kräftigen Wachsthum derselben freute. Er rauchte eine seiner langen dünnen italienischen Cigarren und als er den jungen Maler in dem mittleren breiten Wege stehen sah, winkte er diesem freundlich mit der Hand und rief ihm zu: »Macht ein schönes Bild, Tannhäuser, und macht alles so, daß wir uns darüber freuen. Ihr habt Euer Glück in der Hand, so glaube ich. Addio – caro

Der junge Maler winkte dem alten Manne freundlich mit der Hand, dann beeilte er sich, seinen Weg fortzusetzen, und ließ gleich darauf den Garten hinter sich. Ihn aus den Augen zu lassen, sowie auch die zwei bescheidenen Häuschen, in denen heute Morgen die Fenster so golden im Strahl der Morgensonne glänzten, wollte und konnte er nicht sogleich. Bei einer leichten Biegung des Weges – es befand sich da eine Linde und eine steinerne Bank, auf der die Bauernweiber ausruhten, wenn sie Gemüse zur Stadt brachten – blieb Tannhäuser stehen und blickte rückwärts. Er lehnte den Arm an den Stamm der Linde und stützte seine Stirn auf die Hand. Hatte er früher alle Worte des kleinen Thiermalers verlacht, wirklich verlacht oder nur so gethan, so mußte er sich jetzt eingestehen, daß sie ihm doch schwer auf das Herz gefallen waren und er sich nun derselben aufs lebhafteste erinnerte; es war ihm gerade zu Muth, als nehme er für längere Zeit Abschied von dem Orte, wo er so gute, so glückliche Stunden verlebt hatte.

Er fühlte sein Herz bewegt, gedrückt, ja, ein paarmal war es ihm, als thäte er besser daran, wieder umzukehren und den Auftrag, der ihm geworden, nicht auszuführen. Dann aber verlachte er, und wie er glaubte, mit vollem Recht, einen solchen Gedanken, nannte ihn und sich selbst kindisch und raffte sich gewaltsam auf, um seinen Weg fortzusetzen. Aber dies ging nicht so ganz leicht. Noch einige Mal blickte er sehnsüchtig zurück, und sein freundliches Atelier trat lebhaft vor sein inneres Auge: sein angefangenes Bild, seine Geräthschaften, seine Waffen, an denen er lange gesammelt, und dann öffnete sich die Thür und Franceska trat herein mit ihrem munteren Eccolo! Es war ihm, als sollte er dies alles nicht wieder sehen, und wenn dieses Wiedersehen auch nicht buchstäblich zu verstehen war, so fühlte er doch selbst auf Augenblicke, sein Leben werde sich von heute an ändern.

»Und wenn auch! ist es nicht vielleicht mein Glück?« sagte er trotzig, und dann riß er sich los und schritt der Stadt zu. Aber es war noch ein anderer Gedanke, der ihn dorthin zog, der, wenn er ihn sich ausmalte, sein Herz schneller schlagen machte, seinen Athem erschwerte.

Der Thiermaler konnte und wollte aber am heutigen Tage nicht arbeiten. Er war wie gewöhnlich ins Atelier hinunter gegangen, er hatte sich vor seine Staffelei gesetzt, sein Bild betrachtet, fand aber an den Schwänzen sämmtlicher Affen heute so viel auszusetzen, daß er sich mißmuthig erhob und in den Hof ging, wo Franceska wieder unter der Veranda saß mit einer Näharbeit beschäftigt.

»Heute thätest du mir einen rechten Gefallen,« rief er ihr zu, »wenn du ein bischen ins Atelier kämest und mir bei der Arbeit zuschautest. Ich glaube, dann könnte es allenfalls gehen.«

Sie schüttelte mit dem Kopfe und dann gab sie zur Antwort: »Nein, ich mag nicht gern; ich war soeben darin und habe dem Joco etwas gebracht; aber es ist dort heute so kühl, es hat mich ordentlich gefröstelt.«

»Ja, kühl ist es dort,« sagte Wulf, »das habe ich auch gefühlt, und deßhalb bleibe ich lieber in der Sonne. Ich will ein paar Besuche in der Nachbarschaft machen.«

Und so that er auch: er zog sehen schwarzen, sehr kurzen Sammtrock an, setzte eine Mütze auf, die wie ein Barett aussah, und ging, die Maler Krauß und Becker zu besuchen.

Diese hatten sich in einem der Häuser nicht weit von dem seinigen, und wie dieses ebenfalls in einem Garten gelegen, ein provisorisches Atelier auf einem Heuboden eingerichtet, der einen sehr großen Dachladen hatte, welcher zufällig gegen Norden ging. Es waren ein paar fleißige Landschafter, die Beiden, die sich schon etwas verdienten und gern die größere Miethe für ein besseres Atelier bezahlt hätten, wenn nur ein solches in der Nachbarschaft zu bekommen gewesen wäre.

»Wer weiß!« sagte der Thiermaler, der es sich auf dem Bette des einen der Freunde wie auf einem Sopha bequem gemacht hatte. »Wer weiß! Ich glaube nicht, daß Tannhäuser noch gar zu lange da bleibt, und was mich anbelangt, so muß ich auch schon gestehen, daß es mich lange gereizt hat, ein bischen die Welt zu betrachten. – Das wäre eine Gelegenheit für euch. – Nun, kommt Zeit, kommt Rath.« Er versprach den Beiden, vorkommenden Falles an sie zu denken und dann ging er auf einem großen Umwege nach Hause zurück.

Dieser Umweg führte ihn auch an der Linde vorbei wo der Tannhäuser vorhin gestanden und nach den beiden kleinen Häusern hinüber geblickt. Wulf blieb hier ebenfalls stehen und sprach zu sich selber: »Was gräme ich mich da und plage mich mit Sachen ab, die doch nicht zu ändern sind. Nichts währt überhaupt ewig auf dieser Welt, und wenn er wegbleibt, wenn sie vielleicht auch mit ihrem Vater fortzieht – der Alte spricht ja häufig davon, nach Italien zurückzukehren – so soll es mir auch weiter keinen Kummer machen, mein Bündel schnüren zu müssen und mir die Welt ein bischen anzusehen.«

Er schlenderte langsam durch den Gemüsegarten nach dem Hause zu, und die Sonne, welche recht warm schien, that ihm am heutigen Morgen besonders wohl. Er wollte zum Bildhauer Pisani hinein, als er aber in den Hausgang trat und sich eben rechts nach der Thür des Ateliers wenden wollte, hörte er vom Hofe her eine fremde Stimme laut lachen. Das änderte augenblicklich seine Absicht, und er trat rasch unter die Veranda, um nachzusehen.

Der kleine Thiermaler hatte ein ahnungsvolles Gemüth und er wußte fast im Voraus, daß er hier den alten so sehr freundlichen Herrn finden würde, der auch in der That da war, der auf einem Stuhle vor Franceska saß und vorhin so laut und vergnügt gelacht hatte. War es Absicht oder Zufall? – genug, er hatte sich mit seinem Stuhle so an den Tisch und vor das junge Mädchen hin postirt, daß dieses nicht ihren Platz verlassen konnte, wenn sie das auch gewollt hätte. Das sah Wulf mit einem einzigen Blicke, und darum trat er auch mit einer recht feindseligen Miene näher, wobei er kaum mit einem Finger an sein Barett langte, als ihm der alte Herr so außerordentlich freundlich lächelnd mit der rechten Hand entgegenwinkte und rief: »Ach! da kommt ja unser Freund.«

»Ich bin wohl recht lange ausgeblieben, nicht wahr, Franceska?« wandte sich der kleine Maler an das Mädchen. »Nicht wahr, viel zu lange? Ja, ja, ich kann mir's wohl denken!« Damit faßte er den schweren Tisch an einer Ecke und drückte ihn so scharf auf die Seite, daß es den alten freundlichen Herrn fast genirt hätte. Doch bekam dadurch Franceska einen Ausweg, den sie auch sogleich benützte und mit einem leichten Kopfnicken in das Haus eilte. Wulf nahm sogleich auf dem leeren Stuhle Platz, legte beide Arme auf den Tisch und schaute den alten, so überaus freundlichen Herrn mit einem festen, gerade nicht zu wohlwollenden Blicke an.

»Das ist hier ein kleines, recht angenehmes Haus,« sagte dieser und dabei blickte er rings umher, »Sehr angenehm.«

»O ja, recht angenehm,« wiederholte der Maler grinsend. »Darf ich mir vielleicht erlauben, zu fragen, was uns die außerordentliche Ehre verschafft hat, Euer Gnaden schon wieder hier zu sehen?«

Der Ton, mit welchem er dies sagte, ließ den Sinn seiner Frage durchaus nicht verkennen. Doch ging der alte freundliche Herr begreiflicher Weise nicht darauf ein; er machte vielmehr eine so heitere Miene, lächelte so vergnügt, daß sich der Raum zwischen der Nasenspitze und seinem Kinn außerordentlich verkleinerte, und antwortete, indem er mit sichtlichem Vergnügen lachte: »Ich habe gestern schon erkannt, daß Sie ein kleiner Spaßmacher sind, und Sie sehen, ich nehme das so auf und finde mich ganz in Ihre Art zu reden. Was ich aber hier suchte, mein Verehrtester, das sind Sie vor allen Dingen nicht.« Seine grauen, scharfen Augen leuchteten eine Sekunde lang scharf. »Da es mir so gefällt,« setzte er ruhig und immer lächelnd hinzu, »so will ich Ihnen sagen, daß ich hieher kam, um zuerst nach Herrn Tannhäuser zu sehen.«

»Der ist nicht da,« versetzte Wulf sehr kurz. »Und das wissen Euer Gnaden wahrscheinlich auch, und ebensogut, wo er sich befindet.«

»Wo er sich befinden könnte, kann ich mir allerdings denken,« gab der Graf Portinsky zur Antwort; »aber daß er sich schon so früh aufmachen würde, das hätte ich mir nicht gedacht. Schön, schön, er zeigt Eifer für die Sache, und das gefällt mir. – Ihr Freund, Herr Tannhäuser, kann es zu etwas bringen,« fuhr er fort, und dabei strahlte sein Gesicht ordentlich vor Wohlwollen. »Er ist ein guter Künstler, ein sehr angenehmer und dabei äußerst höflicher Mann. – Apropos!« sagte der alte Herr darauf mit einem ganz andern Tone, »ich sah auch gestern auf Ihrer Staffelei ein wie mir schien nahezu fertiges Bild, ein allerliebster Blick in die Thierwelt. Dürfte ich mich vielleicht nach dem Preise dieses Bildes erkundigen?«

Der kleine Thiermaler hatte den Ellenbogen auf den Tisch gestützt und versetzte, indem er sich ebenfalls einer außerordentlichen Freundlichkeit befleißigte und dabei sein Kinn streichelte: »Und warum wünschen Euer Gnaden den Preis des Bildes zu wissen? Ich glaube nicht, daß dazu ein Grund vorhanden ist, was auch Euer Gnaden einleuchten wird, wenn ich Ihnen sage, daß das bewußte Bild nicht zu kaufen ist, da ich nur auf Vorausbestellung arbeite.«

»Ah! nur auf Vorausbestellung?«

»Nur auf Vorausbestellung!« wiederholte der kleine Thiermaler in sehr entschiedenem Tone. »Und da es noch eine gute Anzahl von Gallerien und Museen gibt, die noch mit keinem Wulf geschmückt sind, so habe ich noch mehrere Jahre angestrengt zu arbeiten, um allen Nachfragen genügen zu können.«

»Nachfrage nach Affenschwänzen?«

»Versteht sich! Oder auch nach Affen in ganzer Größe; ich male auch solche, sobald mir ein passendes Modell dazu aufstößt.«

Der Blick, den der kleine Thiermaler bei diesen Worten an der Figur des alten freundlichen Herrn hinabgleiten ließ, konnte nicht gut mißverstanden werden, wenn man ihn verstehen wollte, was aber bei dem Herrn Grafen durchaus nicht der Fall zu sein schien, denn sein Lächeln, mit welchem er sagte, es verursache ihm in der That einigen Kummer, daß er sich also vorderhand keine Hoffnung machen könne auf den Besitz eines so vortrefflichen Affenschwanzes, war förmlich herzgewinnend, und daß es diese Wirkung auf das Gemüth des Herrn Wulf gänzlich verfehlte, zeigte deutlich, welch' versteinertes oder verknöchertes Herz dieser kleine Thiermaler in seinem Busen trug. Es flammte in seinen Augen wahrhaft feindselig auf, und die Unterredung hätte sich vielleicht noch pikanter gefärbt, wenn nicht in diesem Augenblicke Franceska unter der Thür erschienen wäre und zum alten freundlichen Herrn gesagt hätte: ihr Vater sei soeben in sein Atelier gegangen, und es würde ihm recht angenehm sein, den Herrn Grafen dort zu sehen.

Wulf zuckte fast sichtlich zusammen und biß sich auf die Lippen.

Der alte freundliche Herr dagegen schmunzelte auf's wohlgefälligste, als das blühende junge Mädchen so mit ihm sprach, und der Ausdruck dieses Wohlwollens galt unbedingt nur ihrer Person; denn über die Worte, welche sie gesprochen, hatte er sich einigermaßen geärgert. – Das ist eine eigenthümliche Sorte von Künstlern hier, dachte er; ich, der Graf Portinsky, lasse da so einem miserablen Bildhauer sagen, ich wolle sein Atelier sehen, und statt, wie es bei uns und auch sonstwo der Brauch ist, mich mit der Mütze in der Hand an der Thür des Hauses zu empfangen, läßt er mir sagen, er sei in seinem Atelier.

»Ich danke, mein liebes, schönes Kind,« sprach er, trotz dieses Ideengangs, doch änderte sich dieser plötzlich und es fiel ihm ein, das reizende Mädchen könne ja auch den Vater abgehalten haben, heraus zu kommen, um die Botschaft selbst zu überbringen. – In dieser Welt ist alles möglich, dachte der Graf Portinsky. Deßhalb schnellte er hinter dem Tische mit einem unglaublichen Elan hervor, tänzelte auf Franceska zu, und ehe diese noch eigentlich wußte, was diese unnatürlichen Bewegungen des alten Herrn bedeuten sollten, hatte dieser seinen rechten Arm schäckernd einen Augenblick um die schlanke Taille des jungen Mädchens geschlungen, – wie gesagt, nur eine Sekunde, worauf er mit einer eleganten Verbeugung zurücktrat, denn er bemerkte wohl, wie ihr Auge plötzlich aufflammte, und er war doch noch nicht ganz gewiß, was ihm der nächste Moment vielleicht bringen könne.

Der kleine Thiermaler saß da, starr vor Erstaunen. Eine solche Keckheit war ihm noch gar nicht vorgekommen. Ehe er sich aber von seiner Ueberraschung erholte und mit sich im Reinen war, es sei das Passendste, den alten zudringlichen Herrn auf einmal niederzuschlagen, war dieser bereits in dem Atelier des Bildhauers verschwunden und hatte durch ein ebenso geschicktes wie kühnes Manöver an der Thür das junge Mädchen ebenfalls genöthigt einzutreten.

Wir haben bereits erwähnt, daß Herr Pisani ein sehr wackerer Mann, aber kein überaus begabter Künstler war; und wir müssen diese Ansicht festhalten, obgleich sich der Graf Portinsky beim Erblicken der einfachen Werke hier geberdete, als sei er in das Atelier eines neuen Canova oder Thorwaldsen getreten. Kleine Steinornamente, die er hier sah, schienen ihm würdig, die ausgewählteste Skulptursammlung zu zieren; einzelne Thonmobelle, mit denen Vater Pisani in seinen Freistunden kühne Versuche angestellt, erklärte er für die geistreichsten Entwürfe, die er in seinem Leben gesehen. Dabei lächelte er so glücklich, rieb seine Hände so behaglich an einander und schien so von Wohlwollen aufgelöst, daß man es vollkommen begreiflich fand, wie seine Nase und sein Kinn, mit fortgerissen vom wilden Strudel der Gefühle, die heftigsten Anstrengungen machten, sich zu nähern und zu küssen.

»Ich kann Ihnen nicht sagen, mein verehrter und werther Herr,« sprach er mit leuchtenden Blicken, »wie glücklich es mich macht, hier einen Künstler zu finden, der sein großes Talent mit einer so gemüthlichen Bescheidenheit verbindet. – Ich weiß nicht, ob ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu sein – Graf Portinsky, ein Verehrer der Kunst und alles Schönen.« Er erlaubte sich bei diesen Worten einen leichten Streifblick auf Franceska, welcher aber von dieser gänzlich unbeachtet blieb.

»Ganz unabhängig,« fuhr er darauf fort, »ohne Familie, und reich genug, um in Bezug auf künstlerische Anschaffungen keine Opfer scheuen zu dürfen. – Bilder guter Meister habe ich schon so viele angekauft, um einen Gemäldesaal in meinem Hotel zu Petersburg würdig schmücken zu können. Aber in Anschaffungen von Werken der Bildhauerkunst bin ich bis jetzt noch nicht glücklich gewesen. Und deßhalb freue ich mich sehr, mein werther und hochverehrter Monsieur Pisani, zu Ihnen gekommen zu sein.«

Der gute Bildhauer schüttelte leicht mit dem Kopfe, als der alte freundliche Herr so sprach. Er war zu verständig und kannte, was er allenfalls zu leisten vermochte, zu genau, um die exaltirten Lobsprüche nicht einigermaßen verdächtig zu finden. Deßhalb sagte er: »So dankbar ich auch für Ihre freundliche Anerkennung bin, Herr Graf, so bin ich doch überzeugt, daß Sie meine geringen Arbeiten gar zu günstig anschauen. Ja, wenn Sie Bedürfnisse in Steinornamenten hätten, so glaube ich schon, Ihre Zufriedenheit erringen zu können; aber an Büsten und Statuen habe ich mich eigentlich noch gar nicht gewagt.«

»Daran hätten Sie sich noch nicht gewagt?« rief Graf Portinsky mit einem gut gespielten Erstaunen. »Und was sind denn diese wunderbaren Modelle, die Sie hier um sich aufgehäuft haben? Wäre nicht jedes davon werth, in Marmor ausgeführt zu werden? – O Monsieur Pisani, Ihre Bescheidenheit begeht eine Sünde an Ihrer Kunst. Sehen Sie hier, den Entwurf dieser Ceres. Da diese Venus – daneben die Tänzerin, dort eine Hebe. – Wundervoll! Graziös! Wie wäre ich glücklich, von diesen Schätzen etwas mein nennen zu dürfen!«

Wird uns der geneigte Leser glauben, daß sich der gute Bildhauer Pisani, ein so bescheidener und selbstbewußter Mann er auch war, doch schmeichelhaft berührt fühlte von den exaltirten Worten des alten freundlichen Herrn? – Und es war so. Er betrachtete die kleinen Modelle seiner Hebe, seiner Tänzerin, seiner Venus, seiner Ceres – Gestaltungen, deren Mängel und Fehler ihm eben noch so deutlich erschienen, etwas befriedigter, denn wenn er von dem ausgesprochenen Lob auch hundert Prozente abzog, so blieb, wenn man die wahrhaft entzückten Blicke des Grafen betrachtete, doch noch genug übrig, um seine Arbeiten als kleine Kunstwerke anzusehen.

»Nein, nein,« fuhr der alte freundliche Herr fort, »so müssen Sie mir nicht kommen, bester und verehrter Freund. Haben Sie vielleicht einen andern Grund, nicht für mich arbeiten zu wollen? Wenn das der Fall wäre und wenn sich derselbe triftig genug erweisen würde, so müßte ich allerdings zurücktreten. Aber, mein verehrter Freund, er darf nur triftig und haltbar sein – der Graf hob feierlich die Hand in die Höhe – sonst trete ich nicht zurück – gewiß und wahrhaftig nicht; sonst sage ich Ihnen ganz einfach: Sie haben hier ein Atelier, Sie nehmen Bestellungen an für Diesen und Jenen, warum nicht auch für den Grafen Portinsky? Darin muß mir sogar Ihre Fräulein Tochter beipflichten, indem sie vom Rechte meiner Forderung so überzeugt sein wird, daß sie in diesem Falle selbst gegen den eigenen Vater sprechen müßte. Habe ich nicht Recht, mein hochverehrtes Fräulein?«

Franceska war, wie schon bemerkt, von dem alten Herrn genöthigt worden, in das Atelier zu treten. Dort hatte sie sich gleich dicht an die Seite ihres Vaters begeben, sich aber so gewissermaßen einen Ausweg versperrt, denn der Graf hielt sich in der Nähe der Thür und beherrschte dabei den Raum zwischen dieser und Franceska mit seinen ruhelosen, so seltsam leuchtenden Blicken, vor welchen sich das junge Mädchen ordentlich fürchtete und von ihnen gebannt in dem Gemache blieb. Auf die Appellation des Fremden an sie wollte und konnte sie indessen keine Antwort geben; auch trat der Vater für sie ein, indem er mit einem nicht unangenehmen Lächeln versetzte: »Wie sollt' ich Gründe haben, für Sie, Herr Graf, nicht arbeiten zu wollen? – Aber wie ich Ihnen vorhin sagte: ich kenne meine eigenen Kräfte so genau, daß ich es nicht wagen kann, gewisse Arten von Bestellungen anzunehmen.«

»Wagen Sie es, wagen Sie es, mein verehrter Freund!« sagte der Graf mit einem seiner süßesten Lächeln, und dabei bewegte er seine dünnen Lippen, als sei er im Begriff, dort den feinsten Blüthenhonig abzulecken – »wagen Sie es! – Oder um denn in Ihre Bescheidenheit einzugehen, so lassen Sie mich's wagen. Ich wünsche also eine Statue von Ihnen, drei Viertel Lebensgröße in cararischem Marmor ausgeführt.«

»Das Material kommt schon sehr hoch,« erwiderte Herr Pisani mit Bescheidenheit.

»Sehr hoch – was nennen Sie sehr hoch? Habe ich nach dem Preise gefragt? Wird mir eine Arbeit von Ihrer Hand zu theuer sein? – Gewiß nicht.« Er schaute bei diesen Worten auf den Bildhauer, nicht aber, ohne durch unaufhörliche Streifblicke auf dem Gesichte des jungen Mädchens nachzusehen, ob sie vielleicht nur ein einziges Mal ihr glänzendes Auge zu ihm erhebe, oder ob überhaupt auf ihrem schönen Gesichte eine Bewegung wahrzunehmen sei. Aber dies war durchaus nicht der Fall; Franceska hatte sich auf ein Piedestal niedergelassen und saß da, die Hände in den Schooß; gelegt, ebenso unbeweglich und anscheinend ruhig, wie das Modell der Psyche in der gleichen Haltung dort in der Ecke des Ateliers.

»Ich bin ein eigener – Kunstnarr,« fuhr der alte Graf mit einer erstaunlichen Lebhaftigkeit fort. »Wenn ich Sie bitte, mir eine Statue herzustellen und im Voraus den geforderten Preis genehmige, so habe ich allerdings noch kleine Nebenbedingungen. – Ich bin, wie schon gesagt, ein wirklicher Kunst-Enthusiast; ich schwärme für alles Schöne, und dabei ist mir die Art des Entstehens sehr interessant. Sie müssen mir, wenn Sie für mich arbeiten, deßhalb schon erlauben, daß ich häufig komme, um nachzusehen, daß ich zuschaue, wie Sie Ihren Meißel führen, daß ich mich freuen darf, wie das Werk sich nach und nach unter Ihren Händen formt.«

Der Bildhauer Pisani war ein zu gutmüthiger und argloser Mann, um in diesem Wunsche seines vornehmen Gönners irgend etwas zu finden, was auch nur im geringsten unpassend wäre. Deßhalb nickte er lächelnd mit dem Kopfe und erwiderte: »Das könnte für mich nur eine Ehre sein, und wenn sich der Herr Graf durch solche Liebhabereien schon im Voraus bezahlt machten, so wäre mir das um so lieber; dann wäre doch Ihr Geld, wie ich fast fürchten muß, nicht gar zu umsonst ausgegeben.«

»Lassen wir jetzt diese unnöthige Bescheidenheit bei Seite, lieber Meister,« entgegnete der alte Herr mit plötzlichem Ernste, »und bleiben wir bei dem Geschäfte. Ich wünsche also eine Statue von Ihnen zu haben; und was für eine, das werde ich mir jetzt erlauben, Ihnen klar zu machen.« – Er legte die Hand an die Augen; dann fuhr er nach einer kleinen Pause fort: »Ich weiß nicht, ob die Idee, welche ich habe, aus meiner eigenen Phantasie entsprungen ist oder ob ich irgendwo was Aehnliches gesehen. Ich glaube aber das Letztere,« setzte er mit einem affektirt gutmüthigen Lächeln hinzu. – »Wenn ich nur wüßte –«

»Und welche Art von Statue war es wohl?« fragte Herr Pisani. »Eine mythologische Figur oder eine Allegorie?«

»Ich glaube, es war eine mythologische Figur. – Eine Venus?« – Er blickte auf den Boden und schüttelte mit dem Kopfe, während er den Zeigefinger der linken Hand empor hob. – »Nein, nein, eine Venus war's nicht. Eine Grazie, Tänzerin oder so etwas war es auch nicht. – Nur schwebt mir ein wunderbar schöner weiblicher Körper vor.« – Er wagte einen abermaligen Blick auf das junge Mädchen, doch konnte das Marmorbild hinter demselben nicht theilnahmloser aussehen, als sie. – »Warten Sie. – – Eine Hebe war's, – eine Hebe!«

»Vielleicht die Canova'sche? oder die nach dem Modell von Rauch?«

»Ja, wenn ich zeichnen könnte,« fuhr der alte Herr nachdenklich fort, »so wäre das augenblicklich geschehen. Aber mit der Beschreibung eines solchen Kunstwerkes will mir es nicht recht gelingen.« Er blickte wie suchend umher auf die Modelle. »Ah!« rief er nun auf einmal, »so könnte ich es Ihnen erklären, wenn Ihre Fräulein Tochter die Freundlichkeit haben wollte, einen Augenblick herzutreten. – Darf ich vielleicht bitten?« fügte er hinzu, und dabei bewegten sich seine Lippen abermals wie vorhin unter dem süßen Einflüsse des Blüthenhonigs. – Franceska schrak unwillkürlich zusammen; sie war mit ihren Gedanken so ganz anderswo gewesen und fühlte sich durch die Stimme des alten Herrn nicht angenehm in die Wirklichkeit zurückgeführt.

»Komm' einen Augenblick her, mein Kind,« sagte der Bildhauer. Und sie erhob sich gehorsam, um dicht vor ihren Vater hinzutreten.

»Sie müssen mir schon erlauben, mein schönes Fräulein,« sprach der alte freundliche Herr, indem er so nah wie möglich an ihre Seite trat, »daß ich Sie bitte, für ein paar Sekunden eine graziöse Stellung anzunehmen, was Ihnen gewiß außerordentlich leicht wird.«

Während er das sprach, näherten sich die Spitzen seiner Nase und seines Kinnes in fast erschreckender Weise, und in dem tiefen Abgrund zwischen beiden, wo sich der Mund wie ein ausgebrannter Krater befand, bewegten sich unzählige feine Falten, wie ebensoviele zuckende Schlangen. Franceska sah ihn einen Augenblick an, aber nur einen kleinen Augenblick; dann wandte sie ihr Gesicht rasch ab, und man hätte sehen können, wie es leicht, aber trotzig um ihre schönen frischen Lippen zuckte.

»Darf ich?« fragte der Graf, indem er eine ihrer herabhängenden Hände nahm, die sie ihm widerstrebend ließ und worauf er sie leicht gegen sich drehte, was sie nach einem langen Blick auf ihren Vater, der freundlich lächelnd zuschaute, geschehen ließ. »Die Statue, von der ich rede,« sagte er alsdann mit viel leiserer Stimme, als früher – es war, als mache ihm das Athemholen etwas Mühe – »hatte beide Arme erhoben – so, wodurch der Oberkörper in seiner reizenden Form auf das graziöseste und vortheilhafteste hervortrat. – So wie bei Ihnen, mein schönes Fräulein,« konnte er sich nicht enthalten, mit glühenden Blicken hinzuzusetzen. – »Welches Model! zu einer Hebe! In den Händen hielt sie eine Schaale, mit welcher sie durch die Räume des Himmels schwebt; – über alle Beschreibung schön und hinreißend schön. – Haben Sie mich verstanden?« wandte er sich an den Bildhauer.

»O ja, vollkommen,« sprach dieser lächelnd; »es ist ein Werk von Rauch, womit Ihre Phantasie Aehnlichkeit hat und das Sie vielleicht auch gesehen haben.«

»Möglich, möglich,« erwiderte hastig der alte, freundliche Herr. »Aber sollten Sie die ausgezeichnet schöne Haltung Ihrer Fräulein Tochter nicht mit zwei Strichen skizziren? Vielleicht ist sie so freundlich, noch einen Augenblick stehen zu bleiben.«

»Es sieht wirklich schön aus, Franceska,« sagte der Bildhauer mit dem Stolze des glücklichen Vaters. »Ich will schnell ein Skizzenbuch und ein Bleistift nehmen. – Ganz gut, ganz gut!«

»Eine liebreizende Hebe!« warf der Graf dazwischen, »die mit einer Schaale voll Nektar durch die Räume des Himmels schwebt. – Glücklich der, wem nur ein Tropfen zu Theil wird!«

Der Haltung und der Form ihres Körpers nach war Franceska allerdings in diesem Augenblicke das vollendete Modell einer Hebe, aber der Ausdruck ihres Gesichtes hätte eher auf irgend eine zürnende Göttin schließen lassen, die mit hoch erhobenen Händen ihren Fluch auf einen Verbrecher hinabschleudert. Aber schön und reizend war sie in ihrer Stellung, das junge Mädchen. Wie schwellend traten die leichten und doch schon so graziös entwickelten Formen ihres Körpers gerade bei der angenommenen Stellung und dem glatten, einfachen Hauskleide hervor! Wie elegant zeigte sich ihre schlanke Taille! Wie vollendet schön die Rundung ihrer nackten Arme, über welche die weiten Aermel herabgefallen waren. Wenn nur das Gesicht nicht gar so trotzig und finster gewesen wäre! Aber obgleich es so war, schien doch der gute freundliche alte Herr diesen Ausdruck nicht zu verstehen oder nicht verstehen zu wollen; denn als sich Vater Pisani umgewandt hatte und auf seinen Pantoffeln davon schlurfte, um Skizzenbuch und Bleistift zu holen, wagte er es nicht nur, mit seinen kalten, dürren Fingern ihre lebenswarmen Arme zu berühren, sondern er wollte auch den Versuch machen, dieselben an ihrer schlanken Taille hinab gleiten zu lassen. Doch zuckte das junge Mädchen mit einem Male so plötzlich, so heftig, mit solcher Energie zusammen, daß Graf Portinsky unwillkürlich, aber dabei etwas verlegen lächelnd einen Schritt zurücktrat und mit Staunen den ihn scharf treffenden Blick der vollendeten Verachtung, des nicht zu verkennenden Hasses in Empfang nahm.

»Gib dir für jetzt keine Mühe, Vater,« sagte Franceska mit bebenden Lippen; »ich will nachher ruhig stehen, so lange du willst; aber ich habe jetzt etwas Dringendes draußen zu besorgen.« Damit wandte sie sich um und ging zur Thür hinaus. Draußen blieb sie einen Augenblick tief aufathmend stehen und schien unschlüssig, ob sie ihr Zimmer aufsuchen wolle. Im nächsten Moment aber sah man sie über den Hof eilen und dann trat sie in das Atelier ihres Freundes, der jetzt wieder ruhig arbeitend vor seiner Staffelei saß. Ohne aufzublicken, obgleich er wohl ihren flüchtigen Schritt gehört hatte, rückte er auf dem Bänkchen, auf welchem er saß, etwas zur Seite, um für das junge Mädchen Platz zu machen. Dahin setzte sie sich denn auch, legte ihren Arm auf seine Schulter und den Kopf darauf.

Der kleine Thiermaler fühlte wohl, wie rasch und tief sie Athem holte. »Hat dich der schwarze Rabe verjagt, meine gute Taube?« sagte er, ruhig fortarbeitend. »Ja, ja, diese Galgenvögel haben ein scharfes Auge. – Du wirst sehen, Franceska, es wird sich hier noch Manches ändern. Bisher lebten wir hier, wie die harmlosen Eingeborenen eines glücklichen, noch unbekannten Eilandes. Aber wir sind entdeckt worden, überfallen von jenen Mächtigen der Erde, die uns Civilisation und Laster mitbringen.«

»So ist es, so ist es!« hörte man das junge Mädchen ganz leise sagen.

»Freilich ist es so, und auch vorbei mit dem Glück dieser Insel. Gäbe es nur noch die alten Zauberer in der Welt. Aber leider sind diese guten Kerls alle schlafen gegangen. Dann könnte man es vielleicht möglich machen, daß es dir erginge, wie dem Dornröschen. – Erinnerst du dich noch?«

»O ja, aber erzähl' es mir noch einmal.«

»Gern, Franceska. Mach' es dir aber bequem und lege dich auf deinen Teppich. Da kannst du auch besser ausruhen, und daß du müde bist, sehe ich an deinen Augen.«

»Ja, ich bin müde,« erwiderte sie, und dann erhob sie sich, schlüpfte neben die Staffelei auf den Teppich hin, der dort am Boden lag, schob sich ein Stück Bärenfell unter den Kopf und sagte dann: »So, nun erzähle mir.«

Das that denn auch der Thiermaler und berichtete ihr das Märchen vom Dornröschen so umständlich und genau, wie man es ganz kleinen Kindern erzählt. War doch sie auch noch in gewisser Beziehung wie ein kleines Kind diese Italienerin, soeben noch in ihrem Innern aufs höchste erregt, heftig empört, jedes Ausbruchs ihrer Leidenschaft fähig, beruhigte sie sich schnell wieder, und als ihr Freund in seiner Erzählung an jenes Wunder kam, wo die Büsche und Sträucher rings um Dornröslein zu einem undurchdringlichen Walde erwachsen waren, da zeigte Franceska's geschlossenes Auge, sowie ihre regelmäßigen Athemzüge an, daß sie sanft eingeschlafen war.

Wulf sah lächelnd auf sie nieder, und trotzdem sie nichts mehr hörte, erzählte er sein Märchen ruhig zu Ende und sagte alsdann, wobei er den eben gebrauchten Pinsel hinter sich warf: »Könntest du nur auch ein paar Jahre schlafen, armes Mädchen, und alsdann ihn schuldlos vor dir stehen sehen, den du fast unbewußt so heiß, so innig liebst!«


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