Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.
Beim Gewitter


Nachdem es wieder längst Abend geworden war, hatte Franceska wie gestern die brennende Lampe auf den Tisch unter der Veranda gestellt, doch klang ihr: Felicissima notto! welches sie wie alle Italienerinnen im gleichen Augenblicke dazu sprach, still und traurig. Die Flamme des Dochtes wogte in der weichen Nachtluft leise hin und her, und dann war es durch die widerstrahlende, flackernde Beleuchtung gegen das Grün der Blätter, als bewegten sich diese hin und her. Und das war doch nur Täuschung, dazu war der Luftzug zu schwach, dazu war es zu stille rings umher in der weiten, weiten Natur. Ja, es war recht stille um das kleine Haus her, und wenn man auch noch so angestrengt lauschte, so hörte man nicht viel, wenn man unter der Veranda saß; von der Stadt her nur ein leichtes Summen, ein unbestimmtes Klingen, zuweilen die Schritte eines einsamen Wanderers, der noch heraus kam, hieher, wo die kleinen Häuser zerstreut waren und dann wie allabendlich bei dem warmen dunstigen Wetter das Concert der Frösche, nur heute piano, in einer auffallend weichen Stimmung. Vielleicht sahen sie, daß der Himmel mit Wolken überlaufen war und daß es ferne an den Bergen wetterleuchtete – gleichviel, sie ließen sich nur nach langen Zwischenpausen hören und dann, wie eben bemerkt, sehr discret.

Unter der Veranda saßen wie gestern der Bildhauer Pisani, der kleine Thiermaler und Franceska. Letztere hatte ihren Stuhl zurückgezogen, so daß sie sich selbst im Schatten befand, sie sprach fast kein Wort; Wulf beschäftigte sich auch ausschließlich mit seiner Pfeife, an welcher er bald unten, bald oben etwas zu schrauben und zu arrangiren hatte. Es war nur ein Glück, daß Vater Pisani am heutigen Abend Lust hatte, so recht in der Erinnerung an vergangene Tage zu schwelgen, so daß er zurückgelehnt aus seinem Stuhle sitzend mit den Fingern auf dem Tische trommelte, wie er zu thun pflegte, wenn er in einer zufriedenen Stimmung war, und weit in die Nacht hinausblickend ausführlich von seinen Reisen durch Calabrien und Sicilien erzählte.

Man hätte vielleicht glauben können, die heute erhaltene Bestellung des russischen Grafen habe auf seine Stimmung einen bedeutenden Einfluß gehabt. Aber dem war durchaus nicht so. Freilich hatte es ihm wohl geschmeichelt, daß gerade er mit einer solchen Commission betraut worden. Gab es doch sehr viele Bildhauer in der Stadt, Hof- und Staatsbildhauer, Professoren der Skulptur und Gott mochte wissen, was sonst noch, lauter kleine Canova's, und doch war man gerade zu ihm gekommen. Das hatte ihm allerdings ein Lächeln der Zufriedenheit entlockt; und als der alte freundliche Herr das Atelier verlassen, war er eine Zeit lang auf und ab gestiegen, die Hände auf den Rücken gelegt, die er nur zuweilen von einander trennte, um seine Sammetmütze von einem Ohr aufs andere zu schieben, wobei er eine italienische Weise summte.

Dann hatte er in seinem Spaziergange plötzlich inne gehalten, war vor seine Modelle getreten, vor seine Hebe, seine Venus, seine Bacchantin, seine Tänzerin, hatte sie genau betrachtet, wobei er verständiger Mann genug war, um dabei zuweilen einen prüfenden vergleichenden Blick auf die Werke berühmter Meister zu werfen, die er in seinem Atelier aufgestellt hatte. Diese Vergleichung mochte nun gerade nicht zu Gunsten seiner eigenen Arbeit ausgefallen sein, – genug, er hatte nach einiger Zeit eine wegwerfende Bewegung mit der Hand gemacht und dann zu sich selber gesagt: » per bacco! es ist doch was Schönes um die alten Sprichwörter, und wenn ich auch kein Schuster bin, so will ich doch bei meinem Leisten bleiben, denn wenn es Einem zu wohl und man geht aufs Eis, so bricht man ein Bein. – Abgemacht. Der russische Herr soll seine Aufträge ertheilen, wem und wo er will, oder er soll sein Hotel in Petersburg mit Marmorornamenten verzieren lassen – das will ich übernehmen – da soll er seinen Mann finden, – wenn – wenn – ja nun, wenn wir überhaupt noch lange genöthigt sind, Hammer und Meißel in der Hand zu behalten.«

Darauf hatte er sich in seinen alten Lehnstuhl gesetzt, welcher einem Modell der Venus von Canova gegenüber stand, und war in Träumereien versunken, nicht über diese Venus oder sonst etwas, was damit zusammenhing, – nein, es beschäftigten andere Dinge seinen Geist. Er zog aus der Tasche ein paar Briefe hervor, lange Briefe – jeder hatte acht eng beschriebene Seiten – und er las alle acht Seiten dieses Schreibens noch einmal mit großer Aufmerksamkeit durch. Das letzte legte er aufgefaltet auf sein Knie hin und vertiefte sich in halblaute Betrachtungen darüber, wobei er Für und Wider einander gegenüber stellte, als müsse er das Resultat einer schwierigen Rechenaufgabe herausbringen.

»Wenn man,« sagte er, während er den Zeigefinger der linken Hand an den Daumen der rechten legte, »mein ganzes früheres Leben in der Heimath betrachtet, zu welcher Partei ich mich beständig gehalten, wie ich mich bemühte, selbst mit bedeutenden Opfern, das Ansehen der rechtmäßigen öffentlichen Gewalt aufrecht zu erhalten, so liegt bei allen Heiligen kein Menschenverstand in dem, wie man mich behandelt. – Gut,« fuhr er nach einer Pause fort, wobei er die Zeigefinger beider Hände vereinigte; »ich habe wirklich jenen armen Teufel bei mir aufgenommen, weil er bettelnd kam und nicht aus noch ein wußte. – Ist das ein Beweis, daß ich seine verbrannten Ideen theilte?«

Er ging mit dem Zeigefinger der linken Hand auf den dritten der rechten über und sagte: »Allerdings habe ich ihm fortgeholfen, ihn auch mit Gold und Briefen unterstützt, aber nebenbei auch mit festen Ermahnungen, die er sich wohl hinter seine neapolitanischen Ohren geschrieben haben wird. Corpo di Dio! das ist freilich alles so klar, daß es ein Schulknabe einsehen müßte; und doch hätten sie mich noch lange für einen der scheußlichsten Cospiratori gehalten, wenn es Seiner Eminenz nicht gefallen hätte, das Zeitliche zu gesegnen. Aber jetzt dämmert es auf, hell, klar und goldig, wie der Morgen nach einer wilden Sturmnacht. Aber Pietro hat Recht: mit einer de- und wehmüthigen Bitte um allergnädigste Revision der Akten meiner Anklage ist jetzt nichts gut gemacht. Da muß man jetzt auf- und hintreten, fest und sicher, per bacco! Ja fest, daß sie am Auftreten schon merken, mit wem sie es zu thun haben.«

Er hatte während seiner Calculationen mit dem Zeigefinger der Linken alle Finger der Rechten berührt, und jetzt, wo er mit aller Energie das Wort »fest« aussprach, stieß er die zusammengeballte linke Faust in die Handfläche seiner Rechten. »Und darin hat Pietro Recht: und so soll er vorgehen, keine Gnade erbetteln, nur ein Recht verlangen.«

Nach diesem Selbstgespräch hatte Meister Pisani seine Briefschaften zusammengelegt und war den ganzen Nachmittag heiterer Laune geblieben. Ja diese hatte ihn, wie schon früher bemerkt, auch Abends nicht verlassen, als er mit den beiden Andern unter der Veranda saß und fröhlichen Muthes von Rom, Neapel und Sicilien erzählte. Dabei war es gut, daß er selbst so redselig war und am allermeisten in seinen Erinnerungen schwelgte; denn so bemerkte er es nicht, wie einsylbig Franceska und der kleine Thiermaler waren. Ja mehr als einsylbig, stumm, verstimmt, das junge Mädchen saß da im Schatten der Lampe, den Kopf in die Hand gedrückt, blickte in die Nacht hinaus und horchte wohl von Zeit zu Zeit auf das Concert der Frösche; denn sonst ließ sich auf der Straße nichts vernehmen, kein Fußtritt, nicht das geringste. Es war aber auch ein Gewitter im Anzug, und das hielt wohl alle Spaziergänger zu Hause und ließ selbst die, welche es noch nicht waren, den Ausbruch abwarten. Ja, ja, so mußte es wohl sein. Der Himmel, noch vor Kurzem klar und sternenhell, überlief zuerst mit leichten Wolken, denen aber bald dichtere folgten. Auch der Wind ließ sich vernehmen, nicht mehr in jenem sanften gleichförmigen Hauche, der uns an warmen Sommerabenden so anmuthig die heiße Wange kühlt, der die Flamme des Lichtes sich zierlich hin und wider drehen und winden läßt, der so neckisch die Blätter aufhebt, um lüstern die Rosen zu suchen, die sich versteckt halten wollen, – er kam schwer und stoßweise; man hörte ihn, wenn er über die Hecken strich und durch die Zweige der Bäume, und wenn er da war, fuhr er einem ordentlich warm und dunstig ins Gesicht, hob auch Papier, Stroh und Blätter vom Boden auf und jagte das toll umher.

Ein paarmal schon hatte der kleine Thiermaler seine Mütze vor das flackernde Licht der Lampe gehalten, damit es nicht auslösche, und als er das wieder that, sagte der Bildhauer: »Der Klügste gibt nach; wir wollen zu Bette gehen und uns freuen, den Gewitterregen zu hören, wenn er auf das dürre Land niederprasselt. Es ist ein so gar behagliches Gefühl und man kann sich dabei einbilden, man sei selbst eine Erdscholle und sauge so mit vollen durstigen Zügen die kostbar erfrischenden Tropfen in sich. – Kommt, Kinder!«

»Gute Nacht, Wulf!«

»Gute Nacht, Franceska!«

Alle verließen die Veranda, und der kleine Thiermaler hörte noch, ehe er in sein Hans trat, daß Herr Pisani seine Thür sorgfältig verriegelte, wie er Abends immer zu thun pflegte. Dann kletterte auch er die enge Stiege zum Schlafzimmer hinauf, welches über dem Atelier gelegen war, und welches er und Tannhäuser gemeinschaftlich bewohnten. Da er hier vom Fenster einen freien Ueberblick hatte, so sah er auch schon deutlicher das Gewitter, wie es prächtig von den Bergen daher zog in all' seiner feurigen Majestät, wie jetzt die Blitze zuckten, glühenden, spielenden Schlangen ähnlich, und wie gleich darauf das Hintere schwere Gewölk nur wie mit Glut schattirt erschien. Dazu rollte der Donner, er machte sich nicht in einzelnen zornigen Schlägen bemerkbar, sondern es war ein immerwährendes unmuthiges Grollen, das sich jetzt dämpfte und dann wieder sich stärker erhob, und das wie eine fortgesetzte Strafpredigt klang, wie die eindringliche Rede eines liebenden Vaters, von dem man überzeugt ist, daß er wohl strafen kann, von dem man aber auch weiß, daß er dazu eigentlich viel zu milde ist, und der, wenn er uns seine Meinung gesagt, den Segen wieder mit vollen Händen über uns ausgießen wird.

Und dieser Segen schlug schon in einzelnen schweren Tropfen an die Fenster. Es waren die Vorläufer des Regens, die ein ungestümer Wind den Wolken entpreßt, ein häßlicher Wind, der jetzt einige Sekunden lang schlimm zwischen den armen Bäumen hauste. Wie bog er sie nieder, wie riß er ihnen Laub und Blüthen ab – glücklicher Weise aber nicht lange, denn der ergrimmte Regen stürzte hinter ihm drein, und löschte mit mächtigem Falle seine Wuth.

Ah, wie das so wohlthuend prasselte auf den Blättern der Bäume draußen, auf dem Dache des Hauses! Wie war es dem Thiermaler, der sich langsam entkleidet hatte, so wohl zu Muth! Wie behaglich dehnte er sich aus, als er nun zu Bette lag, das Licht auf einem Stuhl neben sich stehen hatte, um noch zu lesen, und nach einem Buche griff, das sich ebenfalls dort befand. Da polterte es auf der Treppe draußen und eilte rasch aufwärts. Die Thür öffnete sich und der Tannhäuser trat mit einem verdrießlichen Ausrufe ins Zimmer.

»Dieses garstige Wetter,« sagte er, »muß mich mit seiner tollsten Wuth gerade in dem kleinen Garten draußen ereilen! Hätte wohl noch eine Viertelstunde warten können. Bin ich doch in den paar hundert Schritten durch und durch naß geworden.«

So schien es in der That, und als der Maler seinen Hut herunter nahm und von sich abschlenkerte, flogen die Tropfen im Zimmer umher wie von einem kleinen Sprühregen; auch bildete sich augenblicklich eine Wasserlache, wo er stand.

»Das ist wahr,« gab Wulf zur Antwort, »du bist tüchtig hinein gekommen; aber wenn ein Gewitter so drohend am Himmel steht, da nimmt man sich in deinen Verhältnissen einen Fiaker.«

»Meinst du etwa, ich sei zu Fuß gekommen?«

»Nun, in dem Falle begreife ich nicht, warum du dich nicht bis vor das Haus führen ließest.«

»Weil es kein Fiaker war, der mich geführt, und ich dem Kutscher der Fürstin doch wohl nicht zumuthen konnte, um die Häuser herum den schmalen Weg aufzufinden.«

»A-a-a-h!« machte der Thiermaler. »So, so!«

»Das versteht sich doch wohl von selbst,« sagte der Andere ärgerlich. »Man hat glücklicherweise dort, wo ich herkomme, zu viel Lebensart, um jemand, der in finsterer Nacht, nach Hause muß, sich erst nach einem Fiaker umsehen zu lassen.«

»Da triffst du es wieder einmal besser als andere ehrliche Leute,« meinte der Thiermaler mit seinem gewöhnlichen sarkastischen Lächeln. »Ich malte einmal bei der verwittweten Majorin v. Z., natürlicherweise nicht sie selbst, sondern nur ihren vollendeten Mops, ein Thier, welches an unregelmäßigem Lebenswandel verstorben war. Es pflegte nämlich häufig sehr wenig Fressen zu erhalten, um alsdann, wenn wieder Gelder ankamen, mit einem Male wieder zu gut zu leben. Es war Schade um das Thier; man hätte es noch ein Jahr länger halten können. – Ich malte es also und wurde spät an einem Nachmittag fertig, wo es ebenfalls wie vorhin mit Kübeln vom Himmel herabgoß. Da erlaubte ich mir schüchtern, auf einen – – Regenschirm anzuspielen. – Nun – meinst du, sie hätte Lebensart genug gehabt, mir einen solchen anzubieten?«

»Das beweist einfach,« erwiderte Tannhäuser, »daß sie dort keinen Begriff von Lebensart hatten. – Aber die Fürstin, Wulf, – ah, sie!«

Der junge Mann hatte seinen Rock abgeworfen, die nasse Halsbinde weggerissen und fuhr sich nun mit der Hand durch das dichte blonde Haar, das, hie und da vom Regen angefeuchtet, noch krauser und lockiger als gewöhnlich erschien. Er sah erregt aus, freudig, glücklich.

Wulf betrachtete ihn mit einem langen Blicke, dann vergrub er seinen Kopf tiefer in die Hand, welche er aufgestützt hatte, um bequem in seinem Buche lesen zu können.

Der Andere setzte sich auf das Bett seines Freundes und sprach nach einer Pause: »Wenn du nur einmal dies unvergleichlich schöne Weib in der Nähe sehen könntest, nur einmal längere Zeit mit ihr sprechen!«

»Frau Venus ist eine schöne Frau,
Liebreizend und anmuthreiche,
Wie Sonnenschein und Blumenduft
Ist ihre Stimme, die weiche,«

las Wulf ruhig aus seinem Buche.

»Du bist wieder in einer eigenthümlichen Laune,« versetzte der Tannhäuser. »Man kann mit dir kein vernünftiges Wort reden.«

»Im Gegentheil,« lächelte der Thiermaler; »ich gehe ganz auf deine Phantasieen ein. Spreche ich dir nicht aus der Seele, wenn ich fortfahre:

»Ihr edles Gesicht umringeln wild
Die blühend schwarzen Locken;
Schau'n dich die großen Augen an,
Wird dir der Athem stocken.

»Wie der Schmetterling flattert um eine Blum',
Am zarten Kelch zu nippen,
So flattert meine Seele stets
Um ihre Rosenlippen.«

»Was ist denn das?« fragte der Andere, indem er träumerisch vor sich niedersah. »Das klingt ganz hübsch und hat viel Wahres. Ich versichere dich, Wulf, wenn man ihre seltsamen Augen ansieht, so stockt einem auch unwillkürlich der Athem. – Aber was ist das für ein Gedicht? das hast du mir ja nie vorgelesen.«

»Ich sing dir das Tannhäuserlied,
Um deine Seel' zu warnen,«

hub da Wulf wieder an, und als der junge Maler ihm lachend in die Rede fallen wollte, hob er die Hand empor und las weiter:

»Der edle Tannhäuser, ein Ritter gut,
Wollt' Lieb und Lust gewinnen,
Da zog er in den Venusberg,
Blieb sieben Jahre drinnen.«

»Ah! die Sage vom Tannhäuser! Wie kommst du mit einem Male darauf?«

»Auf die einfachste Weise von der Welt:

»Da zog er in den Venusberg,
Blieb sieben Jahre drinnen.«

»Und ist es ihm dort nicht vortrefflich gegangen?« fragte Tannhäuser in leichtsinnigem Tone. »Ich glaube, er ist sogar noch drinnen. Du weißt, ich habe zu wenig Gründlichkeit, um mich mit diesen alten Sagen zu beschäftigen. Ich denke mir immer, er jubilirt noch da, Frau Venus hält ihn umfangen und er läßt sich von ihr in den Schlaf wiegen wie ein kleines unschuldiges Kind.«

»Nicht so ganz,« entgegnete Wulf in ernstem Tone; »der Tannhäuser hatte etwas in sich, was man im gewöhnlichen Leben das Gewissen nennt, und das eines Tages anfing, ihn tüchtig zu plagen. Also eines Tages, wo er mit Schrecken erkannte, daß man es genug kriegen könnte, am glühenden Herzen der Frau Venus zu ruhen, und daß man sich aus ihrem schwülen glänzenden Palaste mit einer namenlosen Sehnsucht an einen kleinen einsamen Platz in irgend einem frischen, grünen Walde sehnen könne. Und als diese Sehnsucht kam, gingen ihm die Augen auf, und da verschwanden ihre schönen Züge, ihr üppiger Leib, und sie wurde häßlich und gespensterhaft. Von den Wänden ihres Palastes stürzten nieder die herrlichen Tapeten und die reichen Decken und es zeigte sich ödes, schwarzes Gestein.«

»Heißt es so in der ächten Sage vom Tannhäuser?« fragte der Andere nach einer Pause. »Du weißt, ich kam nie dazu, das Schicksal meines Namensvetters zu lesen.«

»Wenn es auch nicht ganz so kam, so hatte der edle Ritter doch diese Empfindungen. – Aber willst du sein Ende hören?«

»Nein, nein, ich bitte dich!« sagte der junge Maler hastig. »Jetzt nicht; ich will es später selber einmal lesen. Was würde es mir nützen?« fuhr er nach einer Pause fort. »O Wulf, ich kann dir's nicht verschweigen, dieses Weib hat mich an sich gekettet mit unauflöslichen Banden. – Wollte ich auch vor ihr fliehen,« setzte er nach einer Pause hinzu, »ich hätte dazu nicht die Kraft. Binde mich an, schließe mich ein; ich würde meine Bande mit den Zähnen zerreißen, die Thür meines Kerkers mit den Nägeln aufgraben, um zu ihr zu gelangen. O der wonnevolle Reichthum! Schätze ihres Geistes und Körpers, die nicht zu erschöpfen sind – ein Wesen, bei dem man durstig bleibt bei vollen gierigen Zügen. – Laß mich noch zwei Worte zu dir reden, vielleicht würde ich es morgen nicht können. Ich verlasse dich für einige Zeit, sie will nicht, daß ich so weit entfernt von ihr bin.«

»Da zog er in den Venusberg,
Blieb sieben Jahre drinnen,«

sagte der kleine Thiermaler ganz ruhig.

»Auch kann ich Franceska nicht wieder sehen,« fuhr der Tannhäuser fort; »um alles in der Welt nicht; dazu habe ich keine Stärke. Grüße sie von mir, sage ihr, ich hätte in den nächsten Tagen zu viel in der Stadt zu thun, bald aber käme ich wieder.«

»Nach sieben Jahren.«

»Ach! laß deine schlechten Späße!« versetzte der Andere in fieberhafter Erregung. »Sag ihr das und was du willst; versichere sie auch, ich würde sie nie, nie vergessen.«

»Das wird ihr als Beweis deiner Liebe sehr zu Herzen gehen,« erwiderte Wulf mit schneidender Ironie, doch fuhr er gleich darauf in seinem gewöhnlichen Tone fort: »Reden wir von was Anderem; diese Sache ist abgemacht. Mich wundert überhaupt, daß du heute Abend noch zurückgekehrt bist.«

»Ich mußte über einiges Wichtige disponiren, ein paar Papiere an mich nehmen. Mein Platz im Atelier bleibt vorderhand drunten, wie er jetzt ist. Das versprichst du mir.«

»Vorderhand soll er so bleiben,« gab der Andere ruhig zur Antwort.

»Wer kann es auch wissen!« sagte Tannhäuser, nachdem er, aufgeregt wie er war, ein paarmal hastig durch das Zimmer geschritten.

»Ja, wer kann's wissen!«

»Vielleicht kehre ich übermorgen, die nächsten Tage wieder.« Er fuhr mit der Hand durch sein Haar und ließ dann, wie in tiefem Nachdenken, die Rechte ein paar Sekunden auf seiner Stirne liegen. »Ich war im Theater,« sagte er hierauf, indem er sich plötzlich gegen seinen Freund umwandte.

»Mit ihr?«

»Allerdings mit ihr.«

»In ihrer Loge?«

»Ja, ja, ja, in ihrer Loge.«

»Das hat sie klug gemacht,« sprach Wulf mit einem kalten Lächeln. »So hat sie dich, den schönen Tannhäuser, vor aller Welt gründlich compromittirt, und wenn du auch wirklich nicht wärest, was du bist, so würdest du es doch scheinen.«

»Das verstehe ich nicht ganz,« antwortete Tannhäuser heftig und sein Blick ruhte in der That zweifelnd auf dem Gesichte des Andern. »Erkläre dich deutlicher.«

»Ich will das, doch mit einem andern Beispiel. Was würdest du nun Franceska sagen, wenn sie plötzlich mit dem alten, lieben freundlichen Grafen, der gestern hier war, im Theater erschiene oder wenn sie mit ihm in seiner Equipage spazieren führe?«

Diese Worte, so ruhig sie gesprochen wurden, brachten eine furchtbare Wirkung auf den jungen Maler hervor. Er ballte seine beiden Hände, sein Auge flammte, er biß sich auf die Lippen und stieß dann mühsam hervor, wobei er wild abwehrend seine Rechte gegen den kleinen Thiermaler schüttelte: »Ja, ich verstehe dich, verstehe dich vollkommen. – Zum Teufel, mag man über mich sagen, was man will! Aber wie kommst du zu dem Gleichniß von Franceska und Jenem?«

»Auf die einfachste Art von der Welt,« gab Wulf zur Antwort. »Dieser alte liebe freundliche Herr war heute bei Meister Pisani und sah dort mit Erstaunen die wunderbaren Arbeiten dieses bisher so sehr verkannten, großen Bildhauers. Er bestellte auch sogleich, ohne sich um den Preis zu bekümmern, eine Statue in Lebensgröße und aus cararischem Marmor erster Qualität. – Und nach welchem Modell glaubst du wohl?«

»Was weiß ich! – So sprich doch!«

»Nach dem schönsten Modell, das Pisani besitzt, nach dessen Tochter nämlich, – eine Hebe, wozu er die Stellung Franceska selber machen ließ.«

»Ich will ihm diese Leidenschaft zur Kunst niederlegen,« sagte der junge Maler zähneknirschend.

»Von hier oder von dort?«

»Von dort, wo ich mehr Macht über ihn erlange,« gab der Tannhäuser nach einer ziemlich langen Pause zur Antwort.

Damit brach er das Gespräch ab, wandte sich nach einer Art von Schreibtisch, der in der Ecke stand und wo er seine Papiere aufbewahrte. Dort suchte er herum, nahm hie und da ein Schreiben, legte es mit andern zusammen und bildete dann vermittelst eines Bindfadens ein Päckchen daraus.

Wulf hatte noch eine Zeitlang gelesen, dann löschte er sein Licht aus und legte sich auf die andere Seite, um zu schlafen. Der Tannhäuser blieb noch länger auf, er packte Kleider und Wäsche in einen kleinen Koffer, warf auch das Päckchen mit den zusammengefalteten Schreiben hinein, und als er hierauf den Koffer verschlossen, löschte auch er das Licht aus und legte sich aufs Bett, ohne sich auszukleiden.

Das Gewitter war vorüber gezogen, der Wind rauschte noch leise in den Zweigen der Bäume, aber nicht mehr wild und zornig, sondern es schien, als wolle er in aller Gemüthlichkeit den noch immer zitternden Blüthenknospen von dem vergangenen Kampfe erzählen und sie auffordern, wieder guten Muthes zu sein. Auch hörte man zuweilen einen Wassertropfen fallen, häufiger aber von der Dachrinne herab, als vom freien Himmel nieder; dann und wann vernahm man in weiter, weiter Ferne einen leichten, verhallenden Donner.

Als am andern Morgen Wulf aus seinem festen Schlafe erwachte, spielte bereits ein neugieriger Sonnenstrahl an seinen Fensterscheiben. Verschwunden waren Wolken und Gewitter, aber auch der Tannhäuser, und als sich der Thiermaler rasch in die Höhe richtete, erblickte er nur das leere Lager desselben und sah auch, daß das kleine Köfferchen nicht mehr da war. Er dachte: es ist am Ende besser so, und trat rasch ans Fenster, um frische Luft in das dumpfige Zimmer zu lassen. Draußen war es sogar recht kühl, und der Sonnenschein that wohl, denn das Wetter von heute Nacht hatte die Luft fast ein wenig zu viel erfrischt. Dafür war aber der Himmel so rein, so klar und blau, wie man ihn nur sehen konnte, die Sonne blitzte in unbeschreiblicher Pracht und blickte so liebend auf all' die übriggebliebenen Regentropfen, daß diese vor Freude wie lauter Brillanten funkelten.

Nachdem Wulf seine Toilette besorgt, ging er in das Atelier hinab, wo es noch von gestern her dunstig und schwül war. Er gab dem kleinen Joco sein Frühstück, dann ging er, wie er jeden Morgen zu thun pflegte, auf den Hof, um nach den Hausleuten zu sehen. Franceska stand unter der Thür, die nach der Veranda zu führte; sie hatte ihren rechten Arm auf den Kopf gelegt und blickte vor sich nieder, während sie noch mit Jemand sprach, der hinter ihr stand.

Das war die alte Magd des Hauses und sie sagte zu dem jungen Mädchen: »So etwas befiehlt der Herr nicht ohne Absicht; und ich bin ja vor Freuden die Treppen ordentlich hinauf gesprungen, um zu thun, wie er befohlen. Auf dem Söller standen auch noch die beiden großen Koffer unversehrt, wie ich sie vor Jahren hinauf getragen habe. Von dem Gefühl aber, mit dem ich sie heute abgestaubt und wieder herab getragen, kann nur der einen Begriff haben, der sich noch wie ich so genau erinnert, wie lieb und angenehm die Sonne auf dem Monte Pincio scheint. Dabei kann man doch seines Lebens froh werden. Ist denn das hier ein Frühjahr- oder Sommermorgen? – Puh! man könnte einen Pelz gebrauchen. Friert's dich nicht auch, Kind?«

Das junge Mädchen nickte mit dem Kopfe und dabei zuckte sie leicht mit den Schultern, wie wir wohl thun, wenn es uns friert. Und sie fror recht, nicht wie die alte Magd, kühl angeweht vom frischen Morgen, es fror sie aus ihres Herzens Innerstem heraus; sie wußte wohl, warum der kleine Thiermaler mit einem so eigenthümlichen Blick auf sie zukam und ihr so herzlich die Hand schüttelte, während er sich dabei augenscheinlich Mühe gab, nach dem Laub der Veranda zu schauen und nach den Schwalben, die über ihre Köpfe dahinflogen, kurz, überall anderswohin als in ihre Augen. Sie wußte, ohne daß sie darum fragte und ohne daß sie eine Antwort erhielt, daß er nicht mehr drüben war, sondern fort, fort.

Wulf sprach nicht ein Wort darüber; er redete von dem Wetter der vergangenen Nacht, von der Kühle des Morgens, hatte aber dabei selbst nicht den Muth, zu fragen, warum die alte Magd so auffallend mit ihren großen Koffern verkehrte. Und diese hätte doch so gern noch einmal wiederholt, was sie schon vorhin gesagt: von dem kalten deutschen Wetter und von dem warmen Sonnenschein auf dem Monte Pincio. – Nun kam auch Herr Pisani zum Vorschein, der Briefträger war schon da gewesen, und an den Mienen des Bildhauers sah man wohl, daß der Inhalt des Schreibens, welches er erhalten, nicht unangenehmer Art war. – Man nahm stillschweigend an, daß der kleine Thiermaler allein sei, und Franceska lud ihn zum Kaffee ein, und nachdem dieser getrunken war, begab sich jedes an seine Geschäfte.

Herr Wulf zog abermals seinen schwarzen, sehr kurzen Sammtrock an, setzte sein Barett auf und ging wie gestern zu den Malern Krauß und Becker, die er beide schon fleißig an der Arbeit fand. Er setzte sich wieder auf das Bett, schlenkerte mit seinen Beinen hin und her und sagte nach einer kurzen Einleitung: »Apropos, was den Tannhäuser anbelangt, so hat er sich ein Atelier in der Stadt genommen, und da ich mich für meine Person auch nicht mehr gar zu lange hier aufhalten will, so steht euch unser Haus zu Diensten. Ihr tretet in unsern Miethvertrag ein, der Hauseigenthümer, davon bin ich überzeugt, wird nichts dagegen haben, und von heute über vier Wochen könnt ihr in Gottes Namen einziehen.«

»Herzlichen Dank!« versetzte der Maler Krauß, welcher die Wirthschafts-Angelegenheiten Beider besorgte. »Wäre es aber nicht möglich, die Miethe schon in vierzehn Tagen anzutreten? Ich sage dir, Wulf, es ist hier auf unserem Dachboden zur Sommerszeit so heiß, daß einem die Farben von der Leinewand herunter laufen. Wär's in der That nicht möglich?«

Der Thiermaler blickte an die Decke empor, wobei er sein Kinn mit der rechten Hand unterstützte. »Am Ende wäre es schon möglich,« sagte er nach einem kurzen Nachsinnen; »ich habe mir schon lange vorgenommen, eine kleine Tour ins Gebirge zu machen; Tannhäuser ist schon fort und ich muß nur noch auf etwas warten, wenn das eingetroffen ist, so kann ich sogleich gehen und euch das Atelier überlassen.«

»Aha, Geld!« lachte Herr Becker, der ohne aufzublicken mit gekrümmtem Rücken vor seiner Staffelei saß und an einer knorrigen Baumwurzel malte.

»Richtig, richtig, Geld,« gab Wulf mit einem sehr erkünstelten Lächeln zur Antwort. »Aber es muß dieser Tage eintreffen, und dann komme ich gleich und sage es euch.«

»Wirklich, Wulf?«

»Gewiß, Krauß.«

» Bon,« sagte Becker, wobei er seine linke Hand auf dem Rücken wie zum Abschied schüttelte, denn er hatte nicht Zeit umzuschauen, da die knorrige Baumwurzel seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Der kleine Thiermaler ging hierauf nicht nach seiner Wohnung zurück, sondern begab sich in die Stadt, in irgend ein Haus. In welches, ist für unsere wahrhaftige Geschichte ganz gleichgültig. Dort blieb er einen Augenblick und dann begleitete ihn der Herr dieses Hauses bis auf die Straße, wobei er sprach: »Dafür also stehen Sie mir ein, Herr Wulf, er ist nicht kränklich wie die kleinen Affen oft zu sein pflegen, und er beißt auch nicht?«

»Ich kann Sie versichern,« gab Wulf zur Antwort, »er ist das lustigste und gutmüthigste Ding von der Welt. Würde ich mir sonst in Jahresfrist den Rückkauf vorbehalten haben?«

»Gut, gut!« sagte der Herr.

»Aber,« meinte der Andere, »er hat es auch gut bei Ihnen, nicht wahr? Ich versichere Sie, das Thier ist klug wie ein Mensch und anhänglich wie ein Kind, wenn man es freundlich und mit Liebe behandelt.«

»Wenn ich Ihnen sage, Herr Wulf, er soll es bei mir famos haben, so hat er es bei mir famos. Und damit können Sie zufrieden sein. Also Sie bringen mir ihn selber?«

»Ja, ja,« entgegnete der Thiermaler mit etwas leiserer Stimme. Und dann nahm er Abschied, weil er sah, daß der Hauseigenthümer zerstreut war, indem er wohl wichtigere Sachen im Kopfe hatte.

Wulf hätte gerne noch ein Langes und Breites über den kleinen Affen gesprochen – aber er ging nach Hause mit gesenktem Kopfe.

Dort verlebte er in der nächsten Zeit harte, traurige Tage. Pisani hatte ihm mit freudestrahlendem Gesicht mitgetheilt, daß er ohne alle Gefahr in sein Vaterland zurückkehren könne, und er betrieb die Vorbereitungen zur Abreise in einer wahrhaft kindisch erregten Weise. Franceska war in diesem Punkte viel ruhiger und gesetzter. So oft sie nur konnte, ging sie in das Atelier zu ihrem Freunde, dem kleinen Thiermaler, setzte sich neben ihn auf den schmalen Sitz, oder legte sich scheinbar ermüdet auf den Teppich am Boden. Selten sprach sie von ihrer Abreise, und wenn sie das that, so drückte sie immer dabei die Vermuthung aus, sie würde gewiß bald wiederkommen.

»Deßhalb mußt du auch nicht von hier fort gehen, Wulf,« sagte sie alsdann; »du weißt, wie lieb es mir sein wird, wenn ich mir denken kann, daß du wie bisher immer hier aus- und eingehst, daß du wie jetzt Abends unter der Veranda sitzest und daß du dann die Sterne über dir siehst, die ich ja auch in demselben Augenblicke betrachten werde, und dabei an uns denkst, wie wir an dich denken. – Weißt du, Wulf, dann hat meine Phantasie eine Heimat; sonst müßte sie so gar traurig umher irren. – Verstehe mich recht,« setzte sie mit leiser, schmeichelnder Stimme und niedergeschlagenen Augen hinzu, »hier müssen wir uns alle – alle – alle – wieder einmal zusammenfinden.«

Oder drüben, dachte der kleine Thiermaler und blinzelte mit den Augen, denn er mußte in diesem Momente gar zu genau auf sein Bild schauen.

Abends aber, wenn er nach ähnlichen Gesprächen, die unter der Veranda gehalten wurden, allein in seinem Zimmer war, ging er ingrimmig und heftig auf und ab, ballte seine Hände und sprach zu sich selber: Ja, ja, so was kann man wohl von mir verlangen; als wenn ich gar kein Herz und kein Gefühl hätte! Hierauf trat er an einen alten hölzernen Kasten, schloß ihn auf und nahm einen kleinen, wohlgepackten Tornister heraus, den er sanft und mit freundlichem Blicke streichelte.

So kam der Abend heran, wo er, Franceska und der alte Bildhauer zum letztenmal beim Schein der messingnen Lampe, die auf ihn vererbt worden war, unter der Veranda saßen. – Es war ein trauriger, trauriger Abend, und je heller die Sterne leuchteten und je glänzender die scharfe Mondsichel über die fernen Berge herüberstrahlte, um so schmerzlicher fühlten sich die Drei bewegt. –

Doch auch der Abend war vorüber gegangen, wie ja alles in dieser unbeständigen Welt vorüber geht, Gutes und Böses, und wieder war es dunkel geworden und wieder saß Herr Wulf an dem Tische unter der Veranda, aber diesmal ganz allein vor der flackernden Lampe; er hatte sich gezwungen, da hinzusitzen, und that es wie in stummem Trotze; die Hände lagen zusammengefaltet vor ihm und seine Blicke versenkten sich in die dunkelrothe Flamme des Lichtes. Das that aber nur so lange gut, bis drüben über den Bergen der Mond auftauchte und wie verwundert herüber sah, verwundert auf ihn, daß er so ganz mutterseelenallein dasaß. Da schien mit diesem Blicke dies Gefühl des trostlosen Alleinseins den kleinen Thiermaler erst recht zu überkommen; er sprang hastig wie schaudernd auf, blickte scheu um sich, und als er sah, daß niemand in der Nähe war – es konnte ja auch niemand da sein – da trat er wieder an den Tisch, an jene Stelle, wo so oft ihre Hand geruht, und drückte seine Lippen fest auf das gefühllose Holz, nur eine Sekunde, dann eilte er hinweg nach seiner Wohnung, die Treppen hinauf, nahm seinen kleinen Tornister, hing ihn auf den Rücken, setzte den Hut auf und faßte einen derben Knotenstock in die Hand, worauf er still und geräuschlos Zimmer und Haus verließ.

Von dem brennenden Lichte unter der Veranda konnte er sich schwer trennen und doch fürchtete er sich, es auszulöschen. Wie oft blieb er stehen und blickte zurück nach dem zitternden Scheine, den er noch lange durch die Zweige glitzern sah. – Ja, wie oft blieb er stehen, und wie oft war es ihm, als müsse er zurückkehren und alle die Lieben dort, wie so oft versammelt finden. –

Endlich riß er sich mühsam los, und dann sah er sich auch nicht mehr um und ging raschen Schrittes bis an die Wohnung der Maler Krauß und Becker, wo er Licht durch den großen Dachladen schimmern sah.

»He! Hollah!« rief er mit lauter Stimme, und als Krauß herabschaute, sagte er: »Ich habe wichtige Briefe erhalten, die mich zwingen, noch heute Abend abzureisen. Thut mir deßhalb die Liebe und geht gleich hinüber; ich ließ alles offen stehen.«

»Das kommt schnell,« meinte Krauß, aber seine Stimme klang nicht unfreundlich.

»Ja, sehr wichtige Briefe,« fuhr der kleine Maler fort, »die mich alles vergessen ließen. Und so vergaß ich sogar die Lampe auszulöschen, die unter der Veranda brennt.«

»Du hast doch niemand umgebracht, daß du so davon eilst?« meinte Becker lachend. »Aber wir kommen schon. Gehst du noch einmal mit zurück?«

»Nein, nein,« lautete die Antwort Wulfs im Davoneilen. »Lebt wohl und hebt mir die Lampe auf, bis ich wiederkomme.« Damit war er in der Nacht verschwunden.


 << zurück weiter >>