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Drittes Kapitel.
Träume


Der andere Theil des Ateliers, in welchen wir uns nun, dem kleinen Maler folgend, begeben, hatte, da hier alle die wunderlichen Thiergestalten fehlten und sich dafür ernste Studienköpfe an den Wänden befanden, ein ganz anderes Aussehen. Diesen Raum zierten ferner ein paar alte malerische Lehnsessel; ein ähnlicher Tisch, aus Eichenholz geschnitzt, stand in der Ecke, von ihm herab hing eine buntfarbene Decke, auf der eine Mandoline lag und ein paar mittelalterliche Stoßdegen. Die hierzu gehörende Eisenhaube, sowie ein paar Stahlhandschuhe lagen auf einem neben dem Tisch stehenden Tabouret und dienten dort, um durch ihre Schwere ein Stück rothen Damastes festzuhalten, das in breiten schönen Falten auf den Boden herabhing. Ueber den Studienköpfen hing ein größeres, unfertiges Bild, ein Fenster darstellend, aus welchem ein schönes Mädchen dem Beschauer entgegensah; ihr Gesicht zeigte unverkennbar einen südlichen, italienischen Schnitt, wozu aber die Umgebung durchaus nicht paßte; denn statt daß man vor dem Fenster Aloe, Lorbeer, Orangenbüsche oder dergleichen gesehen hätte, bemerkte man hier eine einfache Veranda mit den abgestorbenen, herabfallenden, dunkelrothen, theils verschrumpften Blättern der Jungfernrebe, auf denen, sowie auf dem dünnen Geflecht der Aeste der erste, flockige Schnee lag, rein, weiß, jungfräulich anzusehen, wie die Augen, die Stirne, die Wangen des reizenden italienischen Mädchens.

Wenn wir näher hinblicken, so kann es uns nicht entgehen, daß wir in der Veranda hier auf dem Bilde eine Aehnlichkeit mit jener Veranda entdecken, die wir vorhin draußen im Hofe sahen und die sich jetzt dort mit ihren grünen Blättern über die Fenster des kleinen Hauses wölbte. Blicken wir nun aber von diesem Bilde an der Wand auf das ebenfalls noch nicht ganz fertige, welches die Staffelei des Malers im gegenwärtigen Augenblicke trägt, so finden wir den schönen, blühenden Mädchenkopf wieder, die gleichen Augen, die dort verwundert zum Schnee emporblicken, hier dem Beschauer mit einer rührenden Offenheit und Herzlichkeit entgegensetzend. Es ist dies ein Bild, drei Viertel Lebensgröße, wohl ein Portrait. Das junge schöne Geschöpf auf demselben sitzt hier umgeben von südlicher Pflanzenpracht auf einem Marmorkapitäl in dem malerischen Costüm von Albano. Prachtvoll heben sich auf dem blauschwarzen Haar, das in dicken Flechten das jugendliche frische Gesicht umgibt, die bauschigen rothen Bänder ab und die blitzenden silbernen Nadeln. So klar und glänzend die großen, tiefbraunen Augen sind, so strahlt doch aus ihnen etwas unbeschreiblich Liebes und Mildes, und wird noch erhöht durch ein, wenn gleich kaum merkliches Lächeln um die frischen, rothen Lippen des kleinen Mundes.

»Was soll's?« sagte der Thiermaler, nachdem er sich mit verschlungenen Armen an die Wand neben dem Fenster gelehnt und das liebliche Bild eine Zeitlang betrachtet.

»Nicht viel,« entgegnete der Andere lachend; »ich wollte dich nur wieder auf bessere, menschliche Gedanken bringen. Man ist dir wahrhaftig schuldig, dich zuweilen deinem Thierkreise zu entreißen und dich etwas Wohlthuendes sehen zu lassen. Schau dir diese Augen genau an und gestehe, daß es eigentlich ein Unglück ist, wenn man ein Thiermaler geworden.«

Der kleine Maler zuckte mit einem gutmüthig lächelnden Gesichtsausdruck die Achseln und versenkte sich, statt augenblicklich eine Antwort zu geben, mit beifälligem Kopfnicken in den Anblick des reizenden Mädchengesichtes, so daß wir Zeit finden, auch den Schöpfer dieses Bildes genau zu betrachten, der eben zurückgetreten war, sich auf seinen langen Stock stützte und ebenfalls mit einem Ausdruck der Befriedigung auf sein Bild schaute.

Es ist ein junger Mann von vielleicht vierundzwanzig Jahren, groß, schlank, kräftig, vollkommen untadelhaft gewachsen; alle Bewegungen seines Körpers haben etwas Sicheres, Elastisches und doch dabei so viel Weiches und Elegantes, daß seine Figur, wie er sich stellt, wie er sich dreht und wendet, immer ein angenehmes Bild der Sicherheit gewährt und dabei genau paßt zu dem, was er sagt, ja zu dem, was er mit einem Achselzucken, mit einem leichten Lächeln, mit einem unmerklichen Neigen oder Hin- und Herwiegen des Kopfes bezeichnen will. Und dieser Kopf paßt vortrefflich zu dieser vollkommenen, jugendkräftigen Gestalt; nur ist er – zu schön. In diesen gut geformten, vom Glanze der Gesundheit überstrahlten Zügen liegt, wenn wir uns so ausdrücken können, eine zu weiche Harmonie; es paßt hier alles so genau zu einander, daß wenn wir auch im ersten Augenblicke ausrufen: welch' schönes Gesicht! wir im nächsten nach irgend einem Schatten suchen, der uns diesen Kopf weniger harmonisch, ja, und eben dadurch weniger flach erscheinen ließe.

Dabei kann man aber nicht sagen, daß die Züge des Malers geistlos zu nennen wären; die hohe und offene Stirn scheint vielmehr das Gegentheil andeuten zu wollen, ebenso die lebhaften, etwas schwärmerischen, dunkelblauen Augen von einem seltenen Glanze. Da das Haar des jungen Mannes hellblond ist, so finden wir auch den Teint weiß, klar und durchsichtig; er trägt dieses Haar aber nicht nur in reicher Fülle, sondern so kraus und dabei so auffallend reich gelockt, daß man wohl sieht, er brauche die gewählte Frisur, die man an seinem Kopfe bemerkt, d. h. diesen scharf ausgeprägten Scheitel, um es nur einigermaßen zu bändigen. Ein kleiner Bart sitzt auf seiner feinen Oberlippe, die sich, wenn er lächelt, eigenthümlich zuspitzt, und dann erheben sich seine Mundwinkel auf so angenehme Art, daß Herr Wulf zu sagen pflegt, der Tannhäuser lache nur, damit man seinen sonderbaren Mund sehe, der in seiner komischen Form gar nicht zwischen andern vernünftigen Mäulern zu registriren sei.

Dies sagte er aber nur, um den Andern auf harmlose Weise zu necken, den Neid gegen seinen schönen Freund weder in dessen Eigenschaft als Mensch, noch als Maler, kannte er nicht, vielmehr gestand er ihm seine körperlichen Vorzüge vollkommen zu, wobei er hinzusetzte, daß darin gerade so wenig Beneidenswerthes liege, als wenn jemand, wie der hochselige Midas, alles in Gold verwandle, was er anfasse.

»Siehst du, Richard,« pflegte er zu sagen, »das ist freilich nicht deine Schuld, daß du ein Beau bist, wie die Leute sagen; aber du hast nun einmal das Unglück, und ein redlicher Freund kann nichts Ehrlicheres thun, als dich von Zeit zu Zeit warnen, oder dich vielmehr über dein Schicksal zu trösten. Als wirklicher Beau bist du ein Mittelding, eine eigenthümliche Gattung zwischen Vornehm und Gering, zwischen Reich und Arm, zwischen Verstand und Dummheit. Deine Schönheit flößt allen Damen Argwohn ein; nähere dich einem reichen Mädchen, so wird sie sagen: »es ist nicht rathsam, er ist zu schön;« eine Arme flieht dich von vorneherein: »ein gefährlicher Mensch!« sagt sie oder ihre Mutter, »er ist viel zu schön.« Eine Verständige denkt: das ist nichts für mich, trop beau, um Verstand zu haben; eine Dumme spricht zu sich selber: »ich wäre nicht recht gescheut, einen so schönen Mann für meine Freundinnen zu heirathen!« – Und daraus siehst du nun, mein armer Richard, daß du in der Welt auf gewöhnliche Weise schwerlich fortkommen wirst, weil du zu schön dazu bist. Du mußt schon einmal eine exceptionelle Stellung einnehmen, und die hat auch ihre Gefahren. Ich an deiner Stelle würde die Götter zu versöhnen suchen, ließe mir einen recht wilden Bart wachsen und würde es so einzurichten suchen, daß mich irgend ein böses Thier, ein Affe oder dergleichen tüchtig in die Nase bisse. Ich will dir dazu meine Hülfe recht gern leihen. Wahrhaftig, guter Richard, du mußt meine Worte nicht zu gering anschlagen, es ist ein gefährliches Geschäft, zu schön zu sein. Und da unsere lieben Mitmenschen immer, nachdem sie etwas Gutes oder Angenehmes von uns zugestehen mußten, mit einem Aber bei der Hand sind, so würde es bei dir beständig heißen: schön – aber dumm, unbedeutend, ein schlechter Maler oder dergleichen – während es mir gerade ist, als hörte ich von mir sagen: ein häßlicher Kerl, das muß wahr sein, aber verflucht gescheut, eine geistreiche Bestie und ein ganz immenser Viehmaler.«

Wenn die Beiden so zusammen sprachen, oder vielmehr wenn der Eine so sprach, da wollte sich der Andere vor Lachen ausschütten, und es war ihm alsdann kaum möglich, einen vernünftigen Strich auf die Leinwand zu machen.

Daß Herr Wulf bei dergleichen Vorlesungen äußerst komisch war, ist nicht zu läugnen; er setzte sich alsdann oder hüpfte vielmehr auf die oberste Stufe einer Leiter, die sich im Atelier befand, um auch den obern Theil der Fenster blenden zu können, und wenn er dort oben saß, so machte er vielleicht unwillkürlich, aber mit einer erschreckenden Wahrheit die Bewegungen seiner Lieblingsthiere nach, wobei es fast grauenhaft anzusehen war, bis zu welcher Fertigkeit er es darin gebracht hatte, sich mit der Spitze seines Fußes am Kopfe zu krazen. Es war einmal vorgekommen, daß dies eine fremde Dame, welche es zufällig im gegenüber hängenden Spiegel sah, so außer sich brachte, daß sie mit einem Ausruf des Schreckens plötzlich das Atelier verließ.

Auch sonst besaß Herr Wulf allerlei ähnliche Fertigkeiten; er warf zum Beispiel einen Pinsel, den er gebraucht, so hoch in die Luft, daß er ihn erst dann wieder ausfing, wenn er schon einen andern wieder vorgezogen hatte. Bei diesem Spiel bedauerte er häufig, nicht die Mittel zu besitzen, sich einen Lehrjungen zu halten, dem er, wie der berühmte Maler von Siena, nur über den eigenen Kopf hinweg die Pinsel zuwerfen könnte. Hatte er sich doch schon unsägliche Mühe gegeben, den kleinen Affen zu diesem Dienste abzurichten; aber das war ihm nicht gehörig gelungen, denn wenn auch Joco die Pinsel wirklich auffing, so war er doch nicht zu vermögen, sie ruhig bei sich zu behalten, sondern er zerbiß oder zerbrach sie.

»Ich glaube, mein neues Bild wird Aufsehen machen,« sprach Herr Wulf nach einer längeren Pause, wobei er mit einem Auge in die Höhe schielte und sich mit ganz losem Handgelenke hinter dem rechten Ohre krazte. »Der alte Aders war gestern wieder da und lobte es so, daß ich fast schamroth geworden wäre.«

»Fast, – ja,« gab der Andere ruhig zur Antwort; »aber wirklich schamroth zu werden, brauchst du keine Angst mehr zu haben. Nun, und was meinte der alte Aders über den Ankauf?«

»Nun, er meinte, er wüßte einen Narren, dem es gefallen könnte.«

»Das müßte aber schon ein rechter Narr sein!”

»Was willst du? Es ist von mir eine edle That, mit meinen Meisterwerken auch für dergleichen bedauernswerthe Leute zu sorgen. Aber Scherz bei Seite! Der alte Aders ist geistreich genug, um die tiefen Ideen, sowie die wunderbare Technik an meinem Bilde zu begreifen.«

»So, der alte Aders ist geistreich?«

»Ja, weil er kein Beau ist. – Dabei gab er sich auch die Mühe, – wozu ein Beau freilich keine Zeit hat – das Bild deines Freundes mit all' der Aufmerksamkeit zu betrachten, die es verdient. Hast du das je gethan?« wandte er sich mit einem so plötzlichen Rucke gegen seinen Freund, daß jeder andere Mensch dabei unfehlbar von der Leiter herabgestürzt wäre, er aber nicht nur ruhig sitzen blieb, sondern auch während der Umschwingung sein linkes Bein über sein rechtes schlug und darauf, als sei nichts vorgefallen, mit seiner rechten Hand den linken Knöchel des Fußes anfaßte.

Der Tannhäuser, der dergleichen equilibristische Kunststücke schon gewohnt sein mochte, schaute gar nicht um, sondern malte ruhig am Gewande seiner Italienerin fort. Jetzt aber trat er wieder einen Schritt zurück, wandte seinen Kopf ein wenig auf die linke Seite und sagte alsdann: »Weißt du, Wulf, mir geht vielleicht der Sinn ab für deine Thierfiguren. Du wirst dich erinnern, daß mir deine Affen, lebendige und gemalte, anfänglich ein wahres Grauen verursachten; ich mußte mich erst nach und nach daran gewöhnen, und bei diesen Umständen wirst du es begreiflich finden, daß ich es wahrhaftig nicht verstehen kann, welch' tiefer Sinn oder auch nur welch' meisterhafte Technik man in einem halben Dutzend herabhängender Affenschwänze zu entdecken vermag.– Ah, geh' weiter!« setzte er lachend hinzu, »du bist sonst so ein guter Kerl!«

»Nein, nein,« gab der Andere eifrig zur Antwort, »der Streit muß einmal ausgefochten werden, und du mußt mir wenigstens zugeben, daß der Vorwurf meines Bildes nicht verrückt ist, wie du schon oft gesagt. Sei nur wenigstens gerecht, mein schöner, junger Mensch; ich bin es ja auch gegen dich. Habe ich dir nicht zugestanden, daß das Bild, welches du dort malst, Aufsehen erregen muß, daß der Kopf deiner Italienerin, wenn er auch nicht schöner ist, als das Original, doch einen sanften Zug um den Mund hat, der dem wilden Urbild vollkommen abgeht? Daß auch an der Zeichnung der Figur nichts auszusetzen ist, als die Haltung des linken Fußes, die mir nicht ganz natürlich erscheint; es müßte denn sein, daß sie mit der Fußspitze das Blümchen zertreten will, welches vor ihr wächst. Aber dergleichen mörderische Tendenzen traue ich deinem weichen Gemüthe nicht zu. – Also wenn ich gerecht gegen dich bin, so sei du es auch gegen mich; laß dir mein Bild erklären.«

»Aber ich verderbe meine Augen daran,« sprach Tannhäuser mit einem leichten Achselzucken; »ich sehe mich so in die garstige Physiognomie deiner Affen hinein, daß –«

»Dir darauf der schöne Kopf Franceska's um so wohler thun wird,« fiel der Thiermaler seinem Freunde in die Rede, worauf er von der Leiter herab sprang, aber nicht in der Art, wie es jeder andere vernünftige Mensch gethan haben würde, Er legte vielmehr seine beiden Hände auf die Stufe, auf der er bis jetzt gesessen, hob dann seinen Körper langsam in die Höhe, streckte die Füße einen Augenblick horizontal von sich ab, und gelangte alsdann vermittelst dieses großen Umweges auf den Boden.

»Deinem Griffe entkommt niemand,« sagte Richard lachend, warf noch einen langen Blick auf sein Bild und folgte dann dem Thiermaler, welcher schon voraus nach dem Theile des Ateliers gegangen war, das er inne hatte und welches er »die Menagria« nannte.

Gleich darauf standen Beide vor seinem Bilde.

»Daß nun jemand sagen sollte, namentlich jemand, der selbst Künstler sein will,« fing der kleine Thiermaler eifrig an, »er sei nicht im Stande, dies Bild ohne eine Erklärung zu verstehen, ist mir rein unfaßlich. Allerdings läßt es, wie jedes bedeutende Kunstwerk, dem geistreichen Beschauer – hier kratzte er sich leicht am Halse – mehrerlei Deutungen zu. Es ist zum Beispiel der Kampf der rohen Gewalt durch den vierschrötigen Kerl da unten repräsentirt, gegen List und Schlauheit: die Affenschwänze da oben. Doch wollen wir in dergleichen feine Intentionen nicht weiter eingehen, wogegen du mir aber zugeben wirst, daß man auf den ersten Blick sehen muß, das da unten ist der Menageriebesitzer, der seine Morgenpfeife raucht, dabei behaglich zu einem halben Dutzend Affen aufschauend, die durch den Blick ihres Herrn gebannt sich so anständig wie möglich verhalten. – Verstehst du das?«

»Ich glaube, daß ich das allenfalls verstehe. Warum du aber nichts sehen läß'st als sechs Affenschwänze, du, mit deiner enormen Fertigkeit im Malen dieser Thiere, das ist mir nicht ganz begreiflich.«

Der Thiermaler warf seinem Freunde einen fast verächtlichen Blick zu, dann antwortete er: »Weil ich mich bemühe, alle möglichen Schwierigkeiten der Kunst aufzusuchen und siegreich zu bezwingen. Es ist wahrhaftig keine Kunst, in einer ganzen Affenfigur die augenblickliche Gemüthsstimmung dieses Thieres auszuführen, ob es lustig ist, traurig, zutraulich oder tückisch, ob es wirklich langweilt oder nur in affektirter Gemüthsruhe über einen auszuführenden Streich nachdenkt. Wie gesagt, es ist leicht, dergleichen innere Bewegungen in einer ganzen Figur auszudrücken. – Aber ich habe versucht, das durch die Haltung der verschiedenen Schwänze zu zeigen, und ich glaube, es ist mir gelungen.«

»Laß mich aus – laß mich aus!« rief der Andere, komisch eine Angst affektirend, wobei er nach seinem Haar fuhr und that, als wenn er sich die Ohren zuhalten wollte. »Ich versichere dich, Wulf, ich vergesse deine Affenschwanztheorie, die du mir schon öfters auseinandergesetzt, den ganzen Tag nicht mehr.«

»Du hast sie noch nie gehört,« fuhr der Thiermaler ruhig fort, »sie wenigstens nie gründlich in dich ausgenommen. Kannst du läugnen, daß dieser ohne Biegung herabhängende Affenschwanz mit glattem Haar einen langweiligen Kerl anzeigt, und jener daneben, der sich unten so schelmisch krümmt, davon erzählt, daß sein Besitzer an eine vielleicht unangenehme Ueberraschung für den Nachbar denkt? daß dort der andere, der sich so energisch aufbäumt, von einer emporgehobenen Pfote und einem leichten Grinsen spricht, und daß dort der in der Ecke, der sich zusammenschlingt und dessen Haare förmlich gesträubt sind, eine boshafte Bestie anzeigt, die im nächsten Augenblicke über jenes gemüthlich-schweifwedelnde Wesen an seiner Seite tückisch herfallen wird?«

Tannhäuser, der schon ein paarmal Zeichen der Ungeduld gegeben hatte, erhob nun wie flehend seine Hände und sagte: »Ich will dir alles zugeben, was du willst; ich will sogar deine Bilder auch zuweilen betrachten und mein Urtheil darüber aussprechen, aber dann laß mich auch mit deinen Erklärungen zufrieden. Ich versichere dich alles Ernstes, Wulf, die machen mir ein so unangenehmes Gefühl, als wenn ich auf ein Sandkorn bisse, oder als wenn – mich schaudert ordentlich – jemand mit einem Nagel über eine Glasscheibe fährt. Ich habe nun einmal für dergleichen Sachen kein Gemüth, es ist mir unheimlich.«

Der andere zuckte die Achseln so hoch als möglich war. »Es ist wirklich schade,« gab er zur Antwort, »daß du kein Theelöffel geworden bist, um deine Tage in einem Sammetfutteral zubringen zu können. – Wirklich schade!«

»O ja, das thäte mir wohl,« meinte Tannhäuser; »so seine Tage zu verbringen als glänzendes Silber in Sammet gehüllt, oder zwischen den weichen Fingern einer schönen Frau! – Es ist traurig, daß man sich seine Existenz nicht wählen kann!«

Während die Beiden so sprachen, hatte der kleine Affe anfänglich schläfrig zugehorcht, abwechselnd das eine oder das andere Auge schließend. Plötzlich aber öffnete er beide und schaute aufmerksam in die Höhe; dann bewegte er seinen Schweif leicht und wie es schien, wohlgefällig hin und her, hob auch seine Oberlippe auf und grinste freundlich mit den Zähnen. Aber sowohl der Tannhäuser, als der kleine Thiermaler waren zu eifrig in dem Austausche ihrer Ideen begriffen und sprachen zu laut, um das zu bemerken, oder um ein leises Geräusch hinter ihrem Rücken zu vernehmen.

Joco gab indessen immer größere Zeichen der Theilnahme, ja einer freudigen Theilnahme zu erkennen; er grinste häufiger, ja er lachte förmlich, er richtete sich in die Höhe und neigte dann seinen Körper behaglich von einer Seite auf die andere, sprang auch jetzt in die Höhe, daß seine kupferne Kette klirrte, so daß der kleine Maler einen Blick auf seinen Liebling warf, sich rasch herum wandte und dann rief: »Habe ich mir doch gedacht, daß du es seiest, wildes Mädchen! – Bravo, mein Kind! Bravo, Franceska! Sind das reizende Bewegungen! Da sieh hin, Tannhäuser, und wenn dir das nicht die Idee zu einem ganz wunderbaren Bilde gibt, so wird überhaupt nie mehr etwas im Stande sein, dich zu begeistern. – Warum hörst du auf, Kleine?« fuhr er nach einer Pause rasch fort, als er sah, wie das junge Mädchen, zu dem er sprach, plötzlich stille stand und mit der Hand über ihr dunkles, schwarzes Haar fahrend und dabei tief athmend die frischen Lippen öffnete.

Es war das Original des Bildes, das wir vorhin beschaut, – eine Italienerin von vielleicht sechszehn Jahren, die leicht in das Zimmer getreten war und sogleich angefangen hatte, hinter dem Rücken der beiden Künstler den kleinen Joco, dessen besonderer Liebling sie war, durch besondere Bewegungen zu necken und ihn, indem sie ihm mit ihrem gewandten Körper die seltsamsten, ja wildesten Windungen vormachte, zu ähnlichen Stellungen zu ermuntern suchte, was schon oft geschehen, worüber dann Herr Wulf seine außerordentliche Freude bezeugt hatte und bei einem solchen Duett oder vielmehr Pas de deux ein dankbares, begeistertes Publikum bildete. Nicht so der Tannhäuser; für ihn lag in diesen wilden und blitzschnellen Biegungen des zuweilen recht tollen Mädchens etwas Unheimliches, Dämonisches, und wenn er nach Hause kommend an dem lauten Lachen des kleinen Thiermalers hörte, daß im Atelier eine ähnliche Scene aufgeführt werde, so ging er nicht in das Gemach, sondern blieb so lange draußen, bis er denken konnte, das lustige Spiel sei vorüber.

Franceska wußte das wohl, und auch ihr wäre es nicht möglich gewesen, vor den Augen des Herrn Tannhäuser ihrer heiteren Laune den Zügel schießen zu lassen, weßhalb sie auch jetzt, wo er sich herum wandte, mit einem Male ruhig stand, die Finger unter ihre dichte Haarflechte steckend, aber immer noch mit lächelnd zuckendem Mundwinkel. Es war ein schönes Mädchen, diese kleine Italienerin, wie sie der Tannhäuser nannte, der mit seiner hohen Figur allerdings bedeutend über sie hinaus ragte. Doch war sie von einer guten Mittelgröße, und wenn der Thiermaler die Benennung »klein« ebenfalls gebrauchte, so geschah das nur, weil dies Prädikat sich freundlich und schmeichelnd aussprach und weil Franceska, so oft Herr Wulf sie so anredete, herzlich lachend auf dessen in der That unbedeutende Figur schaute.

Wir sagten schon, sie sei sechszehn Jahre alt, aber dabei war sie, wie alle Südländerinnen, für ihr Alter vollkommen entwickelt. Was allein in ihrem Aeußern in dieser Hinsicht zurückgeblieben, war der Ausdruck ihres Gesichtes, der etwas außerordentlich Kindliches hatte. Das paßte aber auch vollkommen zu ihrem heiteren, ja lustigen Gemüthe; ihre großen glänzenden Augen schauten so unbefangen, so natürlich und unschuldig umher, daß man in dieselben blickend, es vollkommen verstand, wenn sie durch die geringfügigsten Sachen angeregt, in das herzlichste Lachen ausbrach, oder wenn man sie mit andern Mädchen, die gegen sie vollkommene Kinder waren, die harmlosesten Spiele treiben sah. Der Vater Franceska's war der Bildhauer Pisani, an dessen Atelier wir vorhin vorbei gegangen – ein ernster Mann an die fünfzig Jahre, Wittwer, wie es schien ohne viel Vermögen, und leider bei alle dem kein so guter Künstler, um mit seinem Meißel ein reichliches Auskommen sich verdienen zu können. Er war vor einigen Jahren aus Italien gekommen und damals – so erinnerten sich seine Freunde – waren die Arbeiten, die er machte, wirklich schülerhaft gewesen. Durch unablässigen Fleiß aber und eifriges Studium hatte er es so weit gebracht, daß er jetzt für einen ordentlichen Arbeiter galt, dem man zur Noth selbst ein schwieriges Ornament in Marmor auszuführen anvertrauen konnte. Höher verstieg er sich auch nicht, und wenn er auch zuweilen an Sonn- und Feiertagen zu seiner Belustigung ein Stück Thon vornahm, um daraus einen Kopf zu formen, so blieb es doch bei diesen schwachen Versuchen, und er nahm es durchaus nicht übel, wenn geschicktere, obgleich jüngere Genossen seine Arbeit mit ein paar Griffen zur schauerlichsten Fratze umgestalteten.

Herr Pisani war, wie bemerkt, Wittwer und nach Deutschland gekommen mit der kleinen Franceska und einer alten deutschen Magd, die er in Rom, seiner Vaterstadt, angenommen hatte, und welche nun hier die Wirthschaft führte und das junge Mädchen aufs gewissenhafteste erzog. Den größeren und wichtigeren Theil der Erziehung freilich leitete der Vater selbst, der, so unbedeutend er auch als Künstler war, doch in andern Fächern die vielseitigsten und gediegensten Kenntnisse besaß. Er sprach Französisch und Englisch mit einer für einen Italiener außerordentlich guten Aussprache; er war ein so vortrefflicher Rechner und Mathematiker, daß von den polytechnischen Schülern, die ebenfalls in diesem Stadtviertel wohnten, die meisten zu ihm kamen, um sich bei schwierigen Aufgaben hie und da seine Anweisungen zu erbitten; er zeichnete und malte vortrefflich, wenn auch gerade nicht mit künstlerischer Meisterschaft; vor allem aber betrieb er Botanik ganz leidenschaftlich, und nicht sobald hatte er Nachmittags Hammer und Meißel weggeworfen, als er mit Franceska den nicht fernen Bergen zueilte, um von dort Abends mit einer ganzen Ladung Wald- und Feldblumen, Moosen und allen möglichen Kräutern heimzukehren. Dabei verstand er auch ein klein wenig von der Arzneiwissenschaft, und die Arbeiter und jungen Künstler gingen bei kleinen Verwundungen und dergleichen lieber zu ihm, als zu einem Doctor in der Stadt.

An ihm war aber etwas Anderes noch besonders merkwürdig: so schwach er als Bildhauer, überhaupt als ausübender Künstler war, so groß, ja ordentlich erstaunlich war er als Kenner alles dessen, was in irgend ein Fach der Kunst einschlug; mochten es Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen sein, Aelteres oder der neueren Zeit Angehörendes, Herr Pisani erkannte seinen Werth oder Unwerth beim ersten Beschauen und sagte auch in dieser Hinsicht, wenn er gefragt wurde, seine Meinung ohne Ansehen der Person. Aeltere Sachen classificirte er meistens vollkommen richtig nach Zeit und Schule, und dabei konnte er sich für ein schönes Bild, für eine meisterhafte Zeichnung so sehr interessiren, daß man ihm das größte Vergnügen machte, wenn man ihm erlaubte, ein solches Werk eine Zeit lang bei sich aufstellen zu dürfen. Und das that jeder gern, denn der italienische Bildhauer war von aller Welt geehrt und geachtet. Wie schade, hieß es oft, daß dieser Mann mit seinen enormen Kenntnissen so wenig Talent besitzt!

Ueber seine Vermögensverhältnisse wußte man nichts Genaues; doch mußte er eigene Mittel besitzen, denn von dem Wenigen, was er mit der Bildhauerei verdiente, hätte er nicht so leben können, wie er lebte, obgleich dieses Leben auf das sparsamste eingerichtet war. Seine Wohnung war klein, dabei aber sehr anständig eingerichtet; man speiste in seinem Hause bescheiden, aber es war immer so viel da, daß Einer oder der Andere seiner Bekannten, der gerade um die Mittagszeit kam, an dem einfachen Mahle mit Theil nehmen konnte; und Sonntag Abends hatte er immer einige seiner Freunde bei sich, die sich Winters um die dampfende Theekanne in dem kleinen Stübchen versammelten, Sommers aber mit Früchten, Brod und einem Glase Landwein unter der Veranda bewirthet wurden.

Was nun die Tochter des Bildhauers anbelangte, die schöne Franceska, die sich mit jedem Tage reizender entwickelte, so hätte man vielleicht glauben sollen, der Vater, dessen Umgang doch fast ausschließlich aus jungen Männern bestand, von denen die meisten obendrein noch Künstler waren, hätte das Heranwachsende Mädchen davon möglichst fern gehalten, was aber durchaus nicht der Fall war, im Gegentheil ließ er sie im Hause, unter der Veranda, in seinem Gärtchen, ja in dem anstoßenden Atelier der beiden jungen Leute so viel und ungenirt verkehren, wie sie nur wollte. Und bei dem Charakter seines Kindes hatte er vollkommen Recht darin; denn so gewissermaßen auf sich selbst angewiesen, entwickelte sich in Franceska eine Festigkeit und Selbständigkeit, die sie, ohne irgendwo anzustoßen, immer den richtigen Weg erkennen ließ. Und dabei war sie gegen alles Verletzende hinreichend gedeckt durch die Reinheit ihres Herzens, die sichtbar aus ihren Augen strahlte und die jedem imponirte, sowie auch durch die Energie und Festigkeit ihres Wesens, welche allgemein bekannt war und die man in dem Kinde schon öfters scherzhaft herausgefordert hatte.

Noch etwas Anderes aber war es, was das junge und schöne Mädchen vor jeder, auch noch so schwachen Beleidigung schützte: die Furcht vor dem bekannten heftigen und in gewisser Beziehung unversöhnlichen Charakter ihres guten Freundes, des kleinen Thiermalers Wulf. Es war ein einziges Mal etwas vorgekommen, wo ein unbesonnener junger Mensch, ein Maler, der Franceska zum ersten Male sah und irgend eine etwas kecke Aeußerung that, nur durch hastiges Dazwischentreten Tannhäuser's vor dem kleinen Maler gerettet wurde, der im Begriffe war, wie ein wildes Thier über den Schwätzer herzufallen.

Daß aber Wulf nach gewöhnlichen Begriffen in das schöne Mädchen verliebt gewesen wäre, und der Schutz und die vielen Aufmerksamkeiten, die er Franceska bewies, in einer eifersüchtigen Regung ihren Grund gefunden hätten, muß man durchaus nicht glauben. Wohl fühlte er eine zärtliche Zuneigung zu diesem prachtvollen und reinen Geschöpfe; wohl sprach er gern von ihr mit seinem Freunde Tannhäuser und lobte dabei in enthusiastischen Aeußerungen ihren Wuchs, ihre Augen, ihr Haar, ihre glänzenden Zähne, was ihn aber nicht abhielt, gerade in diesen Gesprächen häufig zu sagen: »Siehst du, Kerl – damit meinte er seinen Freund Tannhäuser – wenn du dich recht plagst und dein enormes Talent, das dir von der Natur verliehen ist, gehörig anwendest, wenn du dir einen Namen machst und Bilder malst, die dir mit Tausenden bezahlt werden, so daß du eine gesicherte Existenz hast, so wäre einmal die Franceska eine Frau für dich. Und das würde mich wahrhaftig freuen, denn wenn du auch ein lächerlicher Beau bist, so bist du doch im Grunde ein guter Kerl, dem ich ein solches Glück wohl gönnen möchte. Aber ich fürchte, du bist zu schön, um gescheut zu sein, um zu wissen, was dir gut ist.«

Dazu hatte denn der Tannhäuser gelächelt und die Antwort gegeben: »Darin hast du Recht, zuerst wollen wir etwas Gescheutes malen und dann weiter sehen.«

War dann hierauf Franceska in das Atelier getreten, um dem Tannhäuser zu einer Kopfstudie zu sitzen oder ihre feine, weiche Hand von ihm zeichnen zu lassen, so hatte er sich wohl häufig nicht enthalten können, sie so lange und innig zu betrachten, bis auf ihrem eigenthümlich tief gefärbten Teint eine leichte Röthe erschien und sie dann lachend sagte: »Wenn du nicht bald anfängst zu malen, so gehe ich hinaus und spiele mit Joco; das ist überhaupt viel amüsanter.«

Daß sie die beiden jungen Künstler mit »Du« anredete, hatte ihr der Vater nicht abgewöhnen wollen, und sagte einmal zu dem kleinen Thiermaler: »Das kommt auf einmal von selbst; an irgend einem schönen Morgen wird sie euch mit »Sie« anreden, und dann thut mir den Gefallen und macht es ohne weitere Erörterung gerade so. Hoffentlich aber bleibt es noch eine gute Zeit lang bei dem kindlichen und vertraulichen Du.«

Es war eigenthümlich, daß sich Franceska im Allgemeinen diesseits der spanischen Wand bei Herrn Wulf, »auf Erden,« wie dieser lachend zu sagen pflegte, wohler und behaglicher zu fühlen schien, als jenseits »in den himmlischen Regionen,« unter Göttern und lauter tadellosen Menschengestalten. Waren ihre Sitzungen bei Tannhäuser beendigt, so eilte sie nach flüchtigem Betrachten dessen, was er gemacht, zu ihrem kleinen Freunde hinüber, kauerte sich nicht selten neben ihn auf dessen Stuhl, lehnte oftmals ihre Schulter an die seinige und sah mit unverkennbarem Interesse zu, wenn er seine lächerlichen Affengestalten malte. An heißen Sommertagen verbrachte sie oft alle ihre Freistunden in dem kühlen Atelier und hielt alsdann nicht selten dort ihre Siesta, zu der sie, wie alle Italienerinnen, eine große Neigung hatte. Mochte ihr aber bei solchen Gelegenheiten, wenn es in ihren Augen anfing, schläfrig zu zwinkern, Tannhäuser noch so oft seinen alten großen Lehnstuhl anbieten, sie schlüpfte zu ihrem Freunde Wulf, legte sich dort auf einen Teppich am Boden, und erst, wenn sie recht behaglich lag, mit dem Kopfe auf einem zusammengewickelten Bärenfell, rief sie hinüber: »Jetzt darfst du mir etwas singen, Tannhäuser.« Und dann nahm dieser auch in den meisten Fällen seine Mandoline zur Hand, die er mit Fertigkeit spielte, und sang ihr, was sie so gern hörte:

»O senke süßer Schlaf dich nieder.«

Dabei gab dann Wulf keinen Laut mehr von sich: er wagte nicht den leisesten Husten hörbar werden zu lassen, und wenn drüben der Gesang verstummte und ihre tiefen regelmäßigen Athemzüge anzeigten, daß sie wirklich eingeschlafen, so herrschte hierauf längere Zeit eine so tiefe Stille in dem Atelier, daß man den summenden Flug jeder Mücke vernahm, und durch die offenen Fenster deutlich das Rauschen und Sausen der nahen Stadt hörte.


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