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Am andern Morgen saßen die beiden Freunde auf der schattigen Terrasse des kleinen Landhauses. Sie hatten gefrühstückt, von alten Tagen gesprochen, Alfred ließ sich eine vortreffliche Cigarre bringen, und während Beide sich in ihre kleinen Drahtfauteuils zurücklehnten, schlürften sie den würzigen Duft des guten Blattes.
Die Terrasse war tief beschattet von rothblühenden Kastanien und hochstämmigen Orangen. Die Sonne konnte nicht in das Dickicht dringen, und die Kühle hier war um so wohlthuender, als man bemerkte, wie die Hitze des Junimorgens draußen auf den Feldern brütete. Nur hie und da, wenn ein leichter Luftzug die Blätter hob und senkte, drang ein Sonnenblick durch, spielte auf dem feinen gelben Sand der Terrasse und beleuchtete irgend einen kleinen Käfer, der dort munter herumlief. Neben der Terrasse befand sich ein Springbrunnen, zwei weiße marmorne Schalen über einander und oben eine schöne Copie der prachtvollen Venus von Jean de Bologne, deren Original auf dem herrlichen Landhause di Petreia in der Nähe von Florenz steht. Die Göttin ist dargestellt, wie sie, dem Meer entstiegen, ihr herabwallendes Haar mit den Händen ausdrückt; das Wasser, das demselben unaufhörlich entfließt, füllt die obere Schale und strömt aus dieser, melodisch murmelnd, in die zweite über.
Dieser Morgenwinkel, wo sich die Freunde gerade befanden, und so genannt, weil er während des Vormittags durch seine Lage der Sonne den Eintritt verweigerte, war ein lieber, kleiner Platz mit schönen Vasen und Marmorstatuen verziert. Eine weite Flügelthüre führte in eine kühle gewölbte Halle, wo man sich während der Mittagshitze zurückzog und auch wohl frühstückte. Diese Halle, mit einem bunten Steinboden, Wände und Decke mit reichen Holzsculpturen verziert, war dem Mittelalter geweiht. Ein riesenhafter Kamin nahm fast eine ganze Wand ein, auf demselben waren Aufsätze fast bis zur Decke, und auf ihnen sah man kleine Steinfiguren, Drachen und allerlei von tapfern Rittern besiegte Ungeheuer und dazwischen große Glaspokale, auf welchen Turniere und bunte Wappenschilder eingebrannt waren, sowie irdene Krüge mit merkwürdigen Verzierungen. Die übrigen Wände dieses Gemachs waren bedeckt mit mittelalterlichen Waffen aller Art, und in zierlichen Gruppen geordnet sah man hier alte Harnische, Hellebarden, zweihändige Schwerter, blanke Helme und schöne, mit Gold und Silber eingelegte Armbrüste. In der That, der Erschaffer dieses Landhauses war zu beneiden um dieses herrliche Besitzthum und um die Kunstschätze, die er seit einer langen Reihe von Jahren auf seiner weiten Reise gesammelt und die er mit feinem Geschmacke zusammengestellt. Wenn man auf der Terrasse saß, so erblickte man das Gebüsch wie durch Zufall auf einer Seite geöffnet und es gewährte einen herrlichen Blick auf die reizende Stadt Lüttich und auf die klaren Fluthen der Maas, welche die Stadt liebend umfaßt.
Die beiden Freunde hatten eine Zeit lang fortgeraucht, ohne zu sprechen, und der Baron Karl blickte mit Interesse über die Stadt hinaus, nach der Höhe von Ans, wo der Eisenbahnzug von der stehenden Maschine hinaufgeschleppt wurde, um von da gegen Brüssel zu rollen. Dorthin zog sein Herz auch ihn, und er konnte nicht unterlassen, an den Rand der Terrasse zu treten und dem davondampfenden Zuge stille Grüße mitzugeben. Lustig flog der Convoi über die Hochebene dahin und war bald seinen Blicken entschwunden. Alfred war ruhig sitzen geblieben und lächelte dem zurückkehrenden Freunde herzlich zu.
»Du bist wirklich ein glücklicher Mensch, Karl,« sagte er nach einer Pause, »und ich hoffe, du wirst es zu erkennen und zu würdigen wissen. Wenn ich überhaupt zum Neid geneigt wäre, so würde ich dich unbedingt beneiden; deine Braut muß ein vortreffliches Wesen sein. Obgleich ich sie noch nicht kenne, so entnehme ich es aus deinen Schilderungen und kenne ja deinen feinen Geschmack für alles Schöne.«
Der Baron nickte glückselig lächelnd mit dem Kopfe.
»Du stehst am Ziel deiner Wünsche,« fuhr Alfred fort, »heute Morgen kann die nothwendige Bewilligung eintreffen, du feierst eine kleine, stille Hochzeit, hebst deine kleine Frau in einen Reisewagen und fort geht's im schönsten Frühlingswetter über die Berge, hinaus in die Welt, ohne Rast und Ruh, immer weiter, immer weiter. Du bist doppelt glücklich – außer deiner großen orientalischen Tour bist du nicht viel gereist, wenigstens in den letzten Jahren nicht, und wie neu und frisch wird dir Alles erscheinen? wie lieblich wird sich eine prachtvolle Stadt, eine reizende Landschaft in dem vor Freude funkelnden Blick deines Weibes wiederspiegeln. Wahrhaftig, du bist unverschämt glücklich!«
»Wahr, sehr wahr,« lachte der Baron; »aber lieber Freund, sag' um Gottes willen: unberufen! Wenn mir die Frau von C. irgend einen Spuk macht, so wird es mich Mühe kosten, Paulinen zu bereden, und wenn sie auch am Ende ohne die verlangte Einwilligung meine Frau wird, so gibt's doch eine verdrießliche Verzögerung.«
»Sie wird dir keinen Spuk machen, die Frau von C.,« sagte Alfred ernst; »ich habe in solchen Sachen eine richtige Vorahnung – sie wird ihre Einwilligung geben, es hat mir heute Nacht von der unbekannten Dame geträumt.«
»Ah!« lachte der Baron, »dein zweites Gesicht kommt wieder zum Vorschein; und hast du etwas Gutes im Geiste gesehen?«
»So, so!« sagte der Andere. »Ich sah die Frau v. C., wie du sie mir beschrieben, nur sah sie todtenbleich aus; sie reichte deiner Braut die Hand, dann versank sie vor unsern Augen. Nun, das ist nicht so übel,« setzte Alfred hinzu, »und du wirst auf jeden Fall baldigst Nachricht bekommen!.«
»Nach meiner Berechnung,« meinte der Baron, »hätte mein Jäger schon gestern zurück sein können. Ich muß dir nur gestehen, daß ich auch einestheils deßhalb hieher gekommen bin, um hier meinen Boten zu erwarten und eine gute oder schlimme Nachricht selbst zu überbringen. Ach, mein Freund, du kannst mir's glauben, dieses kleine Hinderniß, das noch immer zwischen unserer Verbindung steht, thut mir eigentlich wohl; mein Glück ohne alle Beunruhigung wäre offenbar zu groß. Aber,« fuhr er lebhaft fort und stieß die Asche von seiner Cigarre ab, »du sprachst vorhin mit so großem Feuer, mit wahrer Begeisterung von Reisen in die Welt hinaus – ich muß dir offenherzig gestehen, ich würde es jedenfalls vorziehen, statt auf der staubigen Chaussee zu rollen, eine kleine Sejour mit meiner jungen Frau auf einer reizenden Villa, wie die deinige ist, zu machen, natürlich, wenn die Villa mein eigen wäre.«
»Ich will sie dir gern abtreten,« sagte ruhig der Andere; »ich muß gestehen, ich fange an, mich bedeutend hier zu langweilen.«
»Unmöglich!« rief der Baron aus; »wie könnte ich mich hier auf diesem herrlichen Punkte langweilen, wenn ich mir denke, daß ich hier jeden Morgen säße, in dem kühlen Schatten, bei dem murmelnden Springbrunnen, vor mir die schönste Aussicht der Welt!«
»Und mit deiner Frau,« sagte der Andere mit einem trüben Lächeln.
»Allerdings mit meiner Frau,« fuhr der Baron lustig fort; »und dann die kleinen Diners in deinem charmanten Speisezimmer.«
»Mit deiner Frau,« sagte abermals der Andere.
»Ja, das versteht sich von selbst; ich glaube, ich wäre unbeschreiblich glücklich.«
»Das wäre ich auch an deiner Stelle,« antwortete Alfred; »aber auf dieser Terrasse, deren Schönheiten du so rühmst, sitze ich fast Morgen für Morgen allein; in meinem Speisezimmer siehst du beständig ein einzelnes Couvert, und wenn es mir je einmal zu einsam wird und mein Herz dringend nach einer Gesellschaft verlangt, so ziehe ich den Vorhang von dem Bilde, das du gestern Abend gesehen – voilà tout.«
Der Baron reichte seinem Freunde stumm die Hand und es trat eine längere Pause ein, in der man nichts hörte, als das Rauschen des Wassers und den Gesang der Vögel in dem dichten Laubwerk.
»Höre, Alfred,« fragte endlich der Baron, »willst du wirklich keinen Versuch mehr machen, das Mädchen aufzufinden?«
»Freilich habe ich zuweilen daran gedacht,« sagte der Andere, »aber wo soll ich mich hinwenden? Die Spuren, die ihr leichter Fuß hinterläßt, sind zu unbedeutend. Ist sie in England geblieben, ist sie nach Frankreich gegangen oder nach Italien? und gesetzt den Fall, ich kreuzte ihren Weg durch ein glückliches Ungefähr, wird sie nicht Alles anwenden, um vor mir unsichtbar zu bleiben? – Ja, sie wird mich fliehen und sie hat die Macht dazu, dies zu thun. Wenn ich, wie gesagt, wirklich durch Zufall den Ort erreiche, wo sie sich gerade befindet, was wird's mir nützen? Ich stehe im Licht, sie im Schatten; sie wird erfahren, daß ich da bin, sie wird mir verschwinden, ehe ich eine Spur von ihr sehe.«
»Aber ich habe ja auch gesucht und gefunden,« entgegnete der Baron.
»Das, lieber Freund,« sagte Alfred, »ist ein ganz anderes Verhältniß. Deine Braut, wenn sie auch, ihrer Erzieherin gehorsam, den Ort verließ, wo du warst, that es nicht aus eigenem Antrieb und hatte wahrhaftig kein Interesse dabei und auch nicht den festen Willen, dich nie wieder zu sehen. Aber lassen wir diese traurigen Gespräche; ich fühle wohl, daß ich es nicht lange mehr hier allein aushalten werde; sprechen wir lieber von deinen Planen für die Zukunft; vielleicht, daß ich später euren Schlitten folge. Wohin denkst du zu gehen?«
»Ich habe mir vorgenommen, Italien einmal wieder zu besuchen,« versetzte der Baron. »Der alte Herr, bei dem Pauline sich aufhält, hat mir von einer allerliebsten Besitzung gesprochen, die er am Comersee hat, und ich glaube, es würde ihm sehr angenehm sein, wenn dort Jemand von der Familie ein paar Jahre zubrächte, und ich denke, man kann sich's am Comersee schon gefallen lassen. Wir wollen also auf unserer Tour nach Mailand diese Besitzung ansehen und dann Florenz, Rom und Neapel besuchen, dann das Frühjahr am Comersee und Vielleicht später den Winter in Paris zubringen, und so fort. Mich zieht's gewaltig nach Italien, und wenn es Paulinen ebenso dort gefällt, so wäre es nicht unmöglich, daß wir dort für mehrere Jahre unsern beständigen Aufenthalt nähmen.«
»Bravo!« sagte Alfred; »ich kann diesen Entschluß nur billigen, und mir wäre es außerordentlich erwünscht, euch dort vielleicht später finden zu können. Nach Italien zieht's mich auch wieder, und wenn ich hier noch eine Zeit lang ausgeruht habe und vielleicht ruhiger geworden bin, folge ich euch, und einer solchen Zeit des freundschaftlichen Zusammenlebens würde ich mit Sehnsucht entgegensehen. – Daß es dich nach deinem bisherigen Aufenthalt, der kleinen Residenz, nicht zurückzieht, kann ich mir ganz gut denken; überhaupt begreife ich nicht recht, wie du es dort so lange aushalten konntest.«
»Das habe ich oft selbst nicht begriffen,« lachte der Baron, »aber jetzt danke ich meinem Schicksal, das mich vor sechs Jahren – ich wollte damals nur durchreisen – dort festhielt. Fand ich nicht da das Glück meines Lebens? Aber jetzt ist mir die Stadt und das Leben dort entsetzlich verleidet. Schade um die paar guten Menschen, die ich dort kennen lernte und wahrscheinlich so bald nicht wieder sehe! – Doch schau,« unterbrach der Baron den Fluß seiner Rede und blickte scharf in die Gegend hinaus, »dort biegt von der Hauptstraße ein Wagen ab und scheint sich hieher zu dirigiren.«
Die beiden Freunde traten an den Rand der Terrasse, Alfred richtete ein großes Fernrohr, das sich dort befand, nach dem fraglichen Punkte und sagte, nachdem er hindurchgesehen: »es ist ein leichter Wagen mit Postpferden, schaue selbst!«
Der Baron richtete seine Augen an das Glas und nachdem er einen Augenblick hingesehen, hob er vergnügt die Hand empor und rief aus: »das ist bei Gott meine kleine Reisekalesche und Lukas sitzt darin. Freund, der große Augenblick naht, dort kommt eine Botschaft!«
In der That war es Lukas, den man durch das scharfe Glas in seiner ganzen Gestalt und deutlich bemerkte. Wie aufrecht saß er im Wagen, die Arme über einander geschlagen und schaute unverwandten Blickes nach der kleinen Villa empor, die jetzt der Postillon als Ziel der Reise, indem er mit der Peitsche darauf hinwies, zeigte. Bald kam der Wagen näher und in einer kleinen Viertelstunde schien der Jäger zu bemerken, wie ihm Jemand von der Terrasse dort oben zuwinkte. Herzlich erwiderte er diesen Gruß und stieß darauf den Postillon freundschaftlich in die Rippen, der nun seinerseits, eines guten Trinkgeldes gewärtig, die schäumenden Pferde im Galopp den Berg hinauffliegen ließ. Jetzt hielten sie vor der Treppe und Lukas schwang sich aus der Kalesche, eilte hinauf und der Baron in der Freude seines Herzens begrüßte den treuen Diener, wie einen langvermißten guten Freund, der endlich wieder gekommen ist.
»Wie steht's, Lukas?« rief er ihm schon von Weitem entgegen, und der Jäger, der aus seiner Reisetasche ein großes Schreiben hervorholte und übergab, entgegnete:
»Ich glaube, es steht nicht so schlecht, ich habe neben diesem Briefe eine Menge persönlicher Grüße von dem Grafen Alfons auszurichten.«
»Wie kommt's aber,« sagte der Baron bestürzt, als er das Schreiben betrachtete, »daß der Graf schwarz siegelt? Ist Jemand gestorben?«
Der Jäger zuckte mit den Achseln, während der Baron den Umschlag abriß.
Eifrig durchlas er die Zeilen, die ihm sein Freund schrieb, und beim Lesen wurden seine Züge nachdenklicher und ernster. Als er mit dem ersten Schreiben fertig war und die Einlage geöffnet hatte, fuhr er mit der Hand über die Augen und ging abseits in den Garten, um die letzten Zeilen der verstorbenen Erzieherin seiner Braut durchzulesen. Als er nach einiger Zeit zurückkam, theilte er den Inhalt beider Schreiben seinem Freunde Alfred mit, der an dem schrecklichen Ereignisse innigen Antheil nahm, und dann mußte Lukas erzählen von dem traurigen Vorfalle selbst, von den Bekannten in der Residenz, und als nun später die beiden Freunde wieder allein waren, sagte der Baron: »ich bin überzeugt, daß diese Nachricht Paulinen tief erschüttern wird; es ist eigentlich ein trauriges Hochzeitsfest, durch den Tod eingesegnet.«
»Desto freundlicher wird sich ihr Leben gestalten,« entgegnete Alfred; »es ist eine Fügung des Himmels, schauerlich, aber glücklich für euch; denn nach dem, was du mir früher über die Frau von C. mitgetheilt, und nach dem, was ich aus den Briefen des Grafen Alfons erfahren, standen eure Sachen nicht zum Besten. Die Dame hätte sicherlich nicht nachgegeben; deßhalb sei Egoist und beruhige dich. Jedes Leben muß durchgekämpft werden, und nur wenn Andere fallen, ist eine Möglichkeit da, daß wir stehen bleiben. Der Verstorbenen ein gutes Andenken, meinetwegen eine stille Thräne und dann auf nach Brüssel!«
So geschah es denn auch am Nachmittage desselben Tages, und den letzten Eisenbahnzug, der mühsam die Höhe von Ans erklomm, sahen die Freunde nicht mehr von der Terrasse des Landhauses; vielmehr, droben angekommen, blickten Beide hinab auf das stille Haus, wie es so friedlich zwischen den Bäumen lag, und dann sausten sie in traulichem Gespräche mit dem Zuge davon.
Der Baron hatte Recht, als er geglaubt, daß die Nachricht von dem Tode der Frau von C. seine Braut tief erschüttern würde. Ja, es bedurfte seiner innigen Bitten und der ernstlichen Zureden des alten Oheims, um sie zu dem Entschlusse zu vermögen, ihre Verbindung mit dem Baron nicht länger hinauszuschieben.
Diese fand auch in den nächsten Tagen statt – eine stille Trauung mit wenigen Zeugen, worunter natürlicher Weise Alfred, und nach einem kleinen Frühstücke bestiegen die beiden, nun für's Leben vereinigten glücklichen Menschen ihren Reisewagen. Lukas war ein paar Stunden vorher als Courier vorausgereist und genoß, seiner finsteren Träume ledig, schon im Voraus die herrlichen Gefilde Italiens. Alfred hatte das junge Paar in den Wagen gehoben, hatte nochmals versprochen, ihnen, wenn er überhaupt seine Villa verließe, nachzufolgen, und kehrte trotz der Bitten des alten Herrn, er möge einige Tage bei ihm bleiben, noch am selben Abend nach Hause zurück. Dort angekommen, begab er sich in das kleine, uns wohlbekannte Zimmer, zog den Vorhang von dem Bilde zurück und saß lange davor in tiefes Nachdenken versunken.