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Die wohlorganisirte Gaunerei in einem wohlgeordneten Staate hat ihre Polizei, wenn man es so nennen kann, die meistens besser eingerichtet ist, als jene Polizei, welche uns vor jenen Gaunern selbst schützen soll. Ihre Chefs (die der Gauner nämlich) sind wohlbekannte, unter ihnen sehr angesehene Leute; ihre Hehler sind meistens von einer musterhaften Pflichttreue; ihre Schlupfwinkel sind sicher und selten einem Verrathe ausgesetzt, und unter ihnen besteht eine immerwährende Communikation, wodurch sie einander mit der Schnelligkeit eines Telegraphen gegen böswillige Anschläge zu wahren und zu schützen wissen, und wodurch sie rasch und mit Leichtigkeit das erfahren, was der wirklichen Polizei viel fruchtlose Mühe und Kosten verursacht.
Der treffliche Steinmann war aber in dieser Hinsicht doppelt gut berathen, da er im öffentlichen Leben an einer Ecke stand und dadurch, wie wir wissen, im Stande war, zwei Seiten auf einmal zu übersehen. Daher kam es denn auch, daß er wenige Tage nach der Flucht der Madame Müller mit ihrer Tochter abermals und mit sehr vergnügtem Gesicht neben seinem Gevatter im Refektorium des alten Klosters saß und sich mit einigen Schoppen weißen Weins erlabte. Es war noch ziemlich früh, in dem Lokale sonst Niemand zugegen und der Steinmann saß an seinem Lieblingsplatze auf der Ofenbank, schlenkerte mit den Füßen und rieb sich lächelnd die Hände.
Der Gevatter befand sich, Dank dem Gelde der Jungfer Kiliane, in einem ziemlich anständigen Anzuge, der, wenn er ihm auch theilweise zu weit und zu eng war, ihm doch gestattete, sich auf der Straße an der Seite des Steinmann sehen zu lassen.
Dieser hatte seine Uniform mit einer bürgerlichen Kleidung vertauscht, trug einen schwarzen Hut und in der Hand ein spanisches Rohr mit weißem Knopf. Er sah zuweilen auf seine Uhr und ermahnte jetzt den Gevatter, seinen Schoppen auszutrinken, da sie fortgehen müßten.
»Was werden die Beiden für ein Vergnügen haben,« lachte der Gevatter, »wenn sie uns plötzlich erscheinen sehen!«
»Vergeßt nur nicht,« sagte der Steinmann, »daß wir mit gehöriger Vorsicht auftreten müssen; die Alte ist schlau und brennt durch, wenn sie nur Einen von uns sieht, geschweige denn alle Beide. Wir müssen einen vollkommenen Operationsplan entwerfen und getrennt manövriren. Daß sie in Metthausen sind oder heute Abend dorthin kommen, das weiß ich ganz bestimmt, meine Berichte sind sicher, und wir werden mit dem Omnibus ebenfalls gegen Zehn dort eintreffen; ich werde alsdann gleich erfahren, wo sie sich befinden, und wenn wir das einmal wissen, so dürfen wir unter keiner Bedingung zu gleicher Zeit in's Haus treten; ich gehe dann allein in die Stube, und da ich natürlicher Weise kein Aufsehen erregen will, so werde ich zuerst versuchen, ob sie freiwillig zurückkehren; im Fall sie sich dessen weigern, so habe ich hier in meiner Tasche einen Ausweis für den dortigen Bürgermeister, worin ich ermächtigt bin, die Beiden als gefährliche Landstreicherinnen, als liederliche Personen zu verhaften. Ihr habt ein ähnliches Papier und bleibt vor dem Hause stehen, bis ich Euch hineinrufe, wenn Alles in Ordnung ist. So lange ich Euch aber nicht rufe, paßt mir auf's Genaueste auf, und wenn eine von den Beiden aus dem Hause schlüpft, so folgt Ihr derselben, und wenn sie aus dem Dorf rennt, so rennt Ihr ihr nach; nur macht mir auf der Straße keinen Spektakel und gebt Euch nicht vor versammeltem Volk als Polizeiagent aus, denn sonst könntet Ihr im Geheimen die schönsten Prügel bekommen.«
Der Gevatter versprach, Alles sorgfältig zu beobachten, und nachdem er auf diese Art vollständig instruirt war, gingen die Beiden mit einander fort nach dem Omnibus, setzten sich auf und fuhren zur Stadt hinaus.
Es war ein unangenehmer, windiger Tag, dunkle Wolken sandten häufig Regenschauer herab, und als es Mittag wurde, umzog sich der Himmel mit einem dichten Grau, gegen Abend fing es wieder an zu regnen; anfänglich tröpfelte es nur schwach, dann immer stärker und endlich strömte ein tüchtiger Landregen auf die Erde, der für die Nacht anzuhalten versprach. Dem Steinmann war dies nicht angenehm, denn er fürchtete, daß die Flüchtlinge, wenn sie Metthausen noch nicht erreicht hätten, vorher schon in irgend einem Bauernhofe oder einer Fuhrmannsherberge an der Straße anhalten und übernachten könnten.
Indessen rollte der Omnibus vorwärts, so gut es ging; doch wurde es allmälig spät, aus allen Ortschaften, durch welche sie kamen, glänzten schon die Lichter heraus und immer war von Metthausen noch nichts zu sehen.
Während die Reisenden im Omnibus auf dieser Seite des ersehnten Orts häufig und ungeduldig nach demselben ausschauten, machte es ein Reisender auf der andern Seite desselben ebenso. Dieser saß in einer Postkalesche, mit zwei Pferden bespannt; er hatte die Ledervorhänge fest zugezogen, um sich vor dem hereinschlagenden Regen zu sichern, und schaute, wie gesagt, nur zuweilen hinaus, um endlich die Station zu erblicken oder den Postillon zu schnellerem Fahren anzutreiben. Dieser, sowie die Pferde, trofen von Wasser und trabten so langsam wie möglich durch den unergründlichen Schmutz, den der Platzregen schnell auf der Straße gebildet.
Metthausen, das Ziel dieser beiden Wagen, war ein kleiner Ort mit einer Posthalterei, mit welcher eine Wirtschaft verbunden war, die aber hauptsächlich von Fuhrleuten und Gästen niederen Ranges besucht wurde. Alles Andere ging in den »Rothen Ochsen«, der gegenüber lag; doch machte der »Rothe Ochse« durch diesen höheren Rang keine besseren Geschäfte, und wenn es hier fast beständig leer war, so sah man drüben die Post beinahe immer mit Gästen angefüllt. So war es auch heute Abend, und in der großen Wirthsstube kaum noch ein Plätzchen zu finden, so besetzt war Alles mit Fuhrleuten, die hier über Nacht blieben, mit Handwerksburschen und mit Einwohnern des Orts, die nach vollbrachtem Tagewerk hier ihren Schoppen genossen. Durch diese große Anzahl von Gästen und durch die Art, wie die Meisten, von dem Regen draußen zugerichtet, herein kamen, das Wasser abschüttelnd, den Schmutz der Straße von den Stiefeln abtretend, war das Zimmer der Post durchaus kein behaglicher Aufenthalt. Der Fußboden war mit Wasser und Schmutz bedeckt; die durchnäßten Kittel der Fuhrleute dampften ebenso arg, wie die Suppe, die vor ihnen auf dem Tische stand; denn wegen des kühlen Wetters hatte man ein Feuer im Ofen angemacht und nebenbei qualmten aus ebenso vielen Tabakspfeifen, als hier waren, ebenso viel unangenehme Gerüche.
In der Ecke der Wirthsstube, ziemlich unbemerkt von den übrigen Gästen, saß eine Frau, die wir bereits kennen, mit ihrer Tochter. Das Regenwetter hatte ihre Kleidung stark mitgenommen, und die Frau saß da, den Kopf auf ihre Arme gestützt, und sah mürrisch vor sich hin. Das Mädchen hatte die Hände in den Schooß gelegt und starrte, in tiefes Nachdenken versunken, auf das Gewühl der Trinkenden und Essenden. Vor den Beiden auf dem Tische stand ein Glas Bier nebst einigen Kartoffeln in der Schale.
Die Mutter seufzte tief auf und das Mädchen fuhr aus ihren Träumereien in die Höhe. »Warum seufzt Ihr, Mutter?« sagte sie »es wird nicht alle Tage so schlecht gehen, wie heute; wir werden, wenn die Leute fort sind, unsere Kleider trocknen und uns ein Bett zum Schlafen geben lassen. Morgen oder übermorgen kommen wir in eine größere Stadt und da werden wir schon Arbeit finden. Seid nur getrost, Mutter, es wird schon gut werden.«
Ein tiefer Seufzer war Alles, was die Frau zur Antwort gab.
»Seid doch nicht so entsetzlich betrübt, Mutter,« fuhr das Mädchen fort. »Daß wir Unangenehmes aller Art erleiden müßten, das war ja vorauszusehen; aber haben wir uns nicht vorgenommen, Alles freudig und geduldig zu ertragen, um ein besseres und glücklicheres Leben zu beginnen?«
»Ein besseres und glücklicheres Leben?« fragte die Mutter, ohne aufzublicken.
»Allerdings, Mutter, ein glücklicheres Leben! Meint Ihr, es könne uns nicht gelingen, mit Ehren durchzukommen? Meint Ihr, Gott im Himmel werde Jemanden verlassen, der sich vornimmt, durch ehrliche Arbeit sich durchzubringen? – Gewiß nicht, Mutter! Drum seid getrost, eßt und trinkt etwas, Ihr müßt gewiß Hunger haben.«
»Ich mag aber nicht,« war die Antwort.
»Ihr mögt nicht, Mutter? – Leider könnt Ihr für heute nichts Besseres haben, aber lasset den Muth nicht sinken; morgen oder übermorgen finden wir etwas, das für uns paßt, und wir werden gewiß noch zufrieden und glücklich.«
»Zufrieden und glücklich?« sagte die Mutter bitter lachend und erhob ihren Kopf, um das Mädchen anzuschauen. »Du willst zufrieden und glücklich werden, wenn du mit den feinen Händen da den ganzen Tag arbeiten sollst? – Wer wird dir überhaupt Arbeit geben? O, es ist nicht so leicht, zu arbeiten! Gehe doch hin und vermiethe dich als Magd, versuch's einmal, man wird dir Zeugnisse abverlangen, und wenn du dich auf dein ehrliches, schönes Gesicht berufst und sie deine glatten Hände sehen, da werden die Leute sagen: du seiest nicht zu harten Arbeiten gemacht, und werden dir den Rath geben, zu deinem früheren Geschäft zurückzukehren.«
Obgleich die Mutter die letzten Worte sehr leise sprach, so fuhr doch das Mädchen entsetzt in die Höhe, als habe sie ihr etwas Fürchterliches laut und gellend in die Ohren geschrieen; die Alte stützte den Kopf wieder in ihre Hände, und das Mädchen erwiderte nach einer Pause:
»Ihr bereut es wohl, Mutter, daß wir die Stadt verlassen haben? Sagt mir, Mutter, ob Ihr es bereut.«
»Ja, das thue ich!« entgegnete die Frau; »ich bereue es gewiß und wahrhaftig, dir gefolgt zu sein, es war nichts als eine Lächerlichkeit von dir, eine Laune; am Ende hättest du doch zu Hause arbeiten können und...«
»Ein anderes Leben anfangen, wollt Ihr sagen, Mutter,« bemerkte das Mädchen mit gelassenem Tone, obgleich sie unter dem Tische ihre Hände krampfhaft in einander schloß. »Oder,« fuhr sie fort, »es wäre Euch am Ende gleichgültig gewesen oder noch lieber, wenn ich kein anderes Leben angefangen hätte, sagt es nur frei und offen heraus.«
»Ja,« sagte die Alte trotzig, »wozu auch eine solche Geschichte? Was geschehen ist, ist leider geschehen; kannst du dich besser machen, kannst du mit aller Arbeit oder aller Buße anders werden, ungeschehen machen, was einmal geschehen ist?«
»Vor den Leuten kann ich das freilich, Mutter,« entgegnete das Mädchen mit leiser Stimme; »in einer fremden Stadt, wo mich Niemand kennt, wo man nicht weiß, was ich gethan, kann ich ein anderes Leben führen, kann geachtet sein und mit Ehren angesehen. Hier,« sie preßte die Hand auf ihr Herz, »kann ich freilich nicht verwischen, was ich erlebt; aber das thut nichts, Mutter, diese quälenden Gedanken sind meine Strafe. – – – Aber was soll geschehen?« fuhr das Mädchen nach einer langen Pause fort; »wollt Ihr vielleicht umkehren, Mutter, und mich allein in die Welt hinausgehen lassen?«
Die Alte blickte abermals in die Höhe und schwere Thränentropfen liefen über ihre Wangen hinab. »Nein! nein!« sagte sie; »ich kann dich nicht allein lassen, aber ich kann auch nicht in der Welt mit dir herumziehen; kehre mit mir wieder um, wir wollen alle bisherigen Verbindungen abbrechen und können ja auch zu Hause arbeiten, können ja auch zu Hause ein anderes Leben anfangen.«
»Ich habe schon einmal gesagt,« entgegnete fest und bestimmt das Mädchen, »daß es zu Hause nimmermehr angeht; wie wollt Ihr Eure Verbindungen abbrechen? Denkt nur an den Steinmann – – – den Steinmann, Mutter!« wiederholte das Mädchen und starrte mit weit aufgerissenen Augen nach der Thüre des Zimmers – »der Steinmann!« fügte sie mit dem Tone des höchsten Schreckens hinzu und drückte krampfhaft den Arm der Frau – »der Steinmann, Mutter! Ich habe ihn draußen vor der Thüre im Gange gesehen!«
»Was sagst du?« rief die Alte und fuhr in die Höhe, »der Steinmann wäre hier?«
»Ja, ich habe ihn gesehen!« sagte das Mädchen; »bei Gott, er war es! Kommt, Mutter, laßt uns fliehen! dort durch die Küche in den Hof hinaus, – fort, fort!«
»Ich kann heute Abend nicht weiter!« sagte die Alte mürrisch und spähte forschend nach der Thüre, doch schien ihr Blick nicht mehr so trüb und finster, wie früher. »Siehst du wohl,« fuhr sie fort, »ich habe es dir ja gesagt! Was hilft das Fortlaufen? der findet uns doch wieder.«
»Nein, nein!« entgegnete das Mädchen in namenloser Angst; »es ist draußen finster, der Regen gießt noch immer vom Himmel herab, und wenn wir nur ein anderes Haus erreichen, so findet er uns nicht, Mutter, ich bitte Euch um Gottes willen, kommt mit!«
»Nein,« entgegnete die Alte bestimmt, »ich gehe nicht weiter, ich habe gethan, was ich gekonnt, aber dem können wir doch nicht entfliehen.«
»Wir nicht, Mutter?« sagte das Mädchen mit gänzlich verwandeltem Tone und warf, wie an jenem Abende, die Oberlippe trotzig in die Höhe; »sagt doch lieber: ich nicht, weil Ihr nicht wollt, mich dagegen soll keine Macht der Erde vermögen, lebendig wieder in ein Joch zurückzukehren, dem ich einmal entflohen, mich soll nichts in meinem Entschlüsse wankend machen; ich will fliehen, so lange mir ein Ausweg offen bleibt, und nur im schlimmsten Falle der offenbaren Gewalt weichen und alsdann noch Hinausschreien in die Ohren Aller, die es hören können, was man mit mir vor hat, wozu man mich zwingen will. – Aber der Augenblick drängt, noch einmal beschwöre ich Euch, Mutter, kommt mit!« – Sie wollte die Alte am Arme fortziehen, aber diese blieb unbeweglich. Noch einen Augenblick harrte das Mädchen und schaute mit der entsetzlichsten Angst auf ihre Mutter; als diese aber kein Zeichen gab, folgen zu wollen, legte sie ein kleines Paketchen – es enthielt ihr letztes Geld, ihre Ohrringe und was sie sonst an Schmuck besaß – in die Hände der Frau, warf noch einen schmerzlichen Blick auf sie und verschwand durch die neben ihnen befindliche Küchenthüre.
Es war in der That der Steinmann gewesen, den der scharfe Blick des Mädchens im Hausgange entdeckte. Mit dem Omnibus, der ihn gebracht, war auch zu gleicher Zeit die Postkalesche angekommen und hielt vor dem Hause. Der Steinmann seinerseits hatte Mutter und Tochter ebenfalls bemerkt, hatte seinen Gevatter im Hausgange gelassen und wollte gerade in die Stube treten, als er sah, daß Anna durch die Küchenthüre hinaus eilte.
Das arme Mädchen hatte es mit einem schlauen und hartnäckigen Feinde zu thun, und kaum betrat sie die Küche, so zeigte sich auch der Steinmann an der anderen Thüre. Das Mädchen stand erstarrt und schaute rathlos um sich; in der Küche war von den Hausleuten Niemand; nur ein einzelner sehr großer Mann, derselbe, den die Postkalesche gebracht, stand vor dem Herdfeuer und trocknete die Enden seines Mantels, die der Regen draußen durchnäßt hatte. Er zog es wahrscheinlich vor, lieber hier auf einen neuen Wagen und frische Pferde zu warten, als in der überfüllten Wirthsstube.
Das Mädchen, welches den Steinmann näher treten sah und welches keine Rettung mehr erblickte und eine Sekunde überlegte, ob sie in das anstoßende Zimmer zurückkehren und die Anwesenden zu ihrem Schutze auffordern solle, verwarf diesen Gedanken ebenso schnell wieder als unausführbar, und wandte sich dagegen mit der Verzweiflungsvollen Hoffnung, mit welcher der Ertrinkende nach einem Strohhalm greift, an den fremden Mann am Herde, ergriff seinen Mantel und flehte um Gottes Barmherzigkeit willen seinen Schutz an.
Der fremde Mann drehte sich schnell zu dem Mädchen herum, das zitternd vor ihm niedersank, und blickte erstaunt in das Gesicht Steinmanns, welcher ebenso erstaunt ihm gegenüber wie angefesselt stehen blieb. Der Stadtsoldat erkannte den Jäger Lukas und wußte, daß er es hier mit keinem geringen Gegner zu thun hatte.
»Was soll das bedeuten?« fragte der Jäger mit finsterem Blick, indem er den linken Arm in die Seite stemmte, wodurch der Griff seines Hirschfängers sichtbar wurde, wahrend er mit der andern Hand das Mädchen vom Boden in die Höhe zog. »Was soll das sein? Warum verfolgt Ihr dieses Kind?«
Der Steinmann schleuderte einen wüthenden Blick auf den Jäger, da er wohl wußte, daß derselbe jedenfalls Partei gegen ihn nehmen würde, und entgegnete mit frechem Ton: »Was das sein soll? – Ich möchte mich erkundigen, was es bedeuten soll, daß Ihr Euch in meine Angelegenheit mischt?«
Ein Lächeln der tiefsten Verachtung überflog die Züge des riesenhaften Mannes, er führte das Mädchen gegen das Herdfeuer, stellte sich zwischen sie und ihren Verfolger und fragte so sanft wie möglich: »sage du mir, mein Kind, was soll das alles bedeuten, warum verfolgt dich dieser Mensch?«
Das Mädchen schlug bitterlich weinend die Hände vor's Gesicht und war nicht im Stande, sogleich eine Antwort zu geben; der Steinmann aber übernahm dieselbe an ihrer Statt und sagte höhnisch:
»Der Herr Lukas werden mich wahrscheinlich kennen und werden vielleicht wissen, daß ich der Polizei angehöre und in dieser Eigenschaft bin ich also hier und trage den schriftlichen Befehl bei mir, dieses Mädchen mit ihrer Mutter, zwei Landstreicherinnen der schlimmsten Art, zu verhaften.«
Bei diesen Worten ließ Anna ihre Hände vom Gesicht heruntergleiten, sah den Jäger an und sprach durch Thränen: »glaubt ihm nicht, Herr, o glaubt ihm nicht! Ich bin keine Landstreicherin, aber dieser da ist ein schlechter Mensch, der mich verderben will.«
»Das hat gewiß seine Richtigkeit,« sagte der Jäger lächelnd und schaute über seine Achsel nach dem Stadtsoldaten hin; »sei aber die Sache, wie sie will, so soll ihm der Spaß dieses Mal verdorben werden, ich nehme dich unter meinen Schutz.«
Jetzt erlaubte sich der Steinmann eine laute Lache aufzuschlagen, nahm seinen Verhaftsbefehl aus der Tasche, hielt ihn dem Jäger vor die Augen und bemerkte: »wir wollen doch einmal sehen, ob Ihr, ein fremder, unbekannter Mensch, Euch unterstehen wollt, der Polizei in's Amt zu greifen und sie zu verhindern, zwei schlimme Personen zu verhaften, das wollen wir einmal sehen!«
Der Jäger überlegte gerade, ob jetzt ein günstiger Moment sei, um den Steinmann zum Fenster hinauszuwerfen, als ihm und dem armen Mädchen in der stämmigen Wirthin des Hauses eine unerwartete Hülfe zu Theil wurde, die kräftig gegen den Steinmann auftrat.
»Was!« rief diese würdige Dame mit zornrothem Gesicht, welche die letzten Worte gehört hatte, »ein verkleideter Polizist will in meinem Hause Gäste insultiren und sie verhaften? – Nehme Er sich in Acht, oder ich werde Ihm zeigen lassen, was mein Hausrecht ist!«
»Aber, liebe Frau,« entgegnete der Steinmann geschmeidig, »Sie muß wissen, warum es sich handelt. Will Sie in Ihrem Hause vagabundirende Weibsbilder behalten und will Sie die Polizei hindern, solche Geschöpfe, die zum Schaden aller Menschen umherstreifen, unschädlich zu machen? O, das wird Sie nicht wollen, wackere Frau Siemlich! In einem Gasthofe, wie der Ihrige, solche Frauenspersonen? – Denk Sie nur, wie sich darüber die Frau Ochsenwirthin freuen würde! O nein, Sie wird mir helfen und beistehen lassen gegen diesen Herrn da, der sich unbefugter Weise in meine Geschäfte mischt.«
Die Frau ließ bei dieser Rede ihre Arme langsam vom Leibe heruntergleiten und sah das Mädchen und den Jäger mit fragenden Blicken an. Allerdings mochte das schöne Gesicht der Ersteren, die weißen Hände und die wohlgeordnete dicke blonde Flechte, die unter der groben Haube hervorgekommen war, im Vergleich mit der unscheinbaren Kleidung verdächtig erscheinen; doch trat der Jäger fest auf sie zu und sagte mit bestimmtem Tone:
»Ich versichere Sie, Frau Wirthin, ich kenne jenen Menschen, ich weiß, daß er ein schlechter Gesell ist, und bin fest überzeugt, daß es sich hier um eine Spitzbüberei handelt, um eine Schlechtigkeit, die er einem armen, wehrlosen Geschöpf Ihres Geschlechts anthun will. Das Mädchen ist gewiß unschuldig und von Ihnen, Frau Wirthin, bin ich überzeugt, daß Sie es überhaupt nicht dulden werden, daß in Ihrem Hause ein Spektakel der Art vorfällt, und daß es in dem Orte morgen heißt: die Polizei habe es für nöthig gefunden, aus Ihrem Hause, aus dem Gasthofe »zur Post« Leute zu entfernen. Denken Sie, was Ihnen das hier, sowie in der Residenz, die ich morgen früh erreiche, für ein Renomenée geben würde.«
Der Steinmann warf dem Jäger einen wahrhaft teuflischen Blick zu, als er sah, wie die Frau Siemlich abermals ihre Arme in die Seite stemmte, und als sie sagte: »der Herr hat Recht, ich lasse nun und nimmermehr in meinem Hause Jemanden arretiren; sie können heute Nacht dableiben, und wenn sie morgen das Wirthshaus »zur Post« verlassen haben, so mag mit ihnen geschehen, was da will, ich habe dann keine Verantwortung.«
Der Steinmann, welcher nicht so leicht abzuweisen war, entgegnete: »dann werdet Ihr mich zwingen, Frau Siemlich, daß ich zum Bürgermeister gehe und mir mit Gewalt nehme, was Ihr mir in Güte verweigert. – Ich will ja durchaus keinen Spektakel machen,« setzte er listig hinzu, »wir bringen das Mädchen mit ihrer Mutter auf ein Zimmer droben, und morgen früh fahren wir mit ihr nach der Residenz zurück, das kann gar kein Aufsehen erregen.«
»Nein, nein!« flehte Anna, »laßt es um Gotteswillen nicht geschehen, gebt mich nicht in die Gewalt dieses Menschen!«
»Mit Gewalt?« sagte die Wirthin, die nur dieses Wort gehört zu haben schien, und deren Gesicht abermals zornigroth aufflammte, »mit Gewalt in meinem Hause? Das wollen wir doch einmal sehen! – Und mir mit dem Bürgermeister drohen, der drinnen seinen Schoppen trinkt? Ist nicht der Christoph und der Johann im Hause, sitzen nicht in der Wirthsstube draußen sechs meiner besten Kunden, sechs vierspännige Fuhrleute, die der armen Frau Siemlich nichts geschehen lassen? O, wir wollen das einmal sehen!« – Die Frau steigerte ihre Rede zu so lautem Ton, daß der Steinmann und selbst der Jäger sie zu beschwichtigen versuchten.
Der Erstere, der einen schnellen Blick in der Küche umherwarf, bemerkte, daß dieselbe nur zwei Ausgänge hatte, einen nach der Hausflur, wo der Gevatter versteckt war, und den anderen nach der Wirthsstube, wo hinein er sich zurückzuziehen beschloß, um mit Madame Müller zu verhandeln, die gewiß nicht so hartnäckig war, und abzuwarten, bis sich die Wirthsstube geleert haben würde. Der Jäger aber bat die Frau Siemlich sich zu beruhigen, indem er schon mit dem Herrn da fertig werden wolle.
Der Polizeisoldat zog sich in die Wirthsstube zurück und begann alsbald ein eifriges Gespräch mit der Mutter des Mädchens; die Wirthin eilte in das Hintergebäude, um sich für den Nothfall zu überzeugen, ob Johann und Christoph kampffähig seien. Anna aber sank auf einen Stuhl am Herde und berichtete dem Jäger, der sich neben sie an den Kaminstein lehnte, so viel es nöthig war, von ihrem früheren Leben und wodurch es gekommen sei, daß der Steinmann sie verfolge.
»Ich habe immer gewußt, daß er ein schlechter Kerl ist, und es wäre am Besten, wenn man auf Untersuchung gegen ihn antrüge.«
»Nein, nein!« entgegnete Anna, »das kann und darf nicht geschehen. Er würde sich herauszuziehen wissen und meine arme Mutter angeben, und sie käme in's Unglück, in's bitterste, entsetzlichste Elend! O, glauben Sie mir, mein Herr, ich habe, so jung ich bin, schon viel, sehr viel erlebt, schon viel, sehr viel gefehlt, aber ich bin kein schlechtes Geschöpf, gewiß nicht! nur unglücklich, fühle jedoch alle Kraft in mir, wieder gut zu machen, was ich vielleicht verbrochen!«
Der Jäger blickte in die Gluth des Feuers und versank in tiefes Nachsinnen, ihm kamen wieder seine Ideen des immerwährenden Traumes, er dachte an seine Jugend, an den blauen Regenschirm, an den tiefen See des Dorfes, und gestand sich schaudernd, wenn er damals älter gewesen wäre und verständiger, so wär das nicht vorgefallen, als er damals aus der Stadt im Regen nach Hause ging an ihrer Seite; er hätte vielleicht nicht zu Hause so lange im Bett gelegen und wäre vielleicht nicht in jenen Schlaf gefallen, in welchem er heute noch fortträumte; aber hier war fast der gleiche Fall: eine Mutter, die ihr Kind geopfert, aber ein Kind, das sich selbst emporreißen wollte aus der Tiefe, in die es versunken. Das hatte ihm freilich Anna alles nicht mitgetheilt, aber wie gesagt: er träumte von dem blauen Regenschirm, er träumte von jener Mutter und fühlte in dem Innersten seines Herzens, daß hier der gleiche Fall sei. Das Mädchen hatte lange zugeschaut, wie ihr Retter so tief in Gedanken versunken dastand, und wußte nicht, wie genau er unbewußter Weise in dem Augenblicke ihre Vergangenheit ergründet; doch machte der finstere traurige Blick, mit dem er jetzt aufschaute, sie ängstlich, und ihr Auge hing an seinen Lippen, um zu erfahren, ob er ihr helfen werde.
»Da ist nichts zu thun,« sagte Lukas nach einer langen Pause, »als Sie heute noch aus diesem Hause, aus diesem Orte zu bringen. Nach der Residenz zurück wollen Sie nicht und können Sie nicht, ich finde das begreiflich; aber ich will Ihnen etwas sagen: Sie fahren mit dem Wagen, der mich hiehergebracht, zurück nach der Station im nächsten Orte, dort halten Sie sich auf, bis ich nach einigen Tagen zurückkehre, und dann wollen wir sehen, was für Sie zu thun ist.«
Das Mädchen ergriff die Hand des Jägers und küßte sie, ehe er dieses hindern konnte; er hätte das auch wohl geschehen lassen, denn er kam sich vor, wie um viele, viele Jahre älter, als die übrige Welt, und es war ihm, als sitze jenes andere Mädchen neben ihm am Feuer, ein junges, unglückliches Kind und klammerte sich fest an seine Hand und flehte ihn an: ziehe mich empor aus dem tiefen Dorfsee, empor an das freundliche Licht der Sonne!«
Der Steinmann hatte unterdessen seinem Gevatter draußen die größte Aufmerksamkeit eingeschärft und ihm befohlen, dem Mädchen zu folgen, wohin sie sich auch begeben würde. So saß er denn selbst gesichert bei der Alten in der Wirthsstube, die eigentlich froh war, daß der Stadtsoldat gekommen war und sie wieder mit nach der Residenz nehmen wollte.
Was Anna anbelangt, so dachten die Beiden, sie würde nicht weit laufen, und der Gevatter werde sie morgen schon zurückbringen.
Unterdessen hatte der Jäger den Postillon, der ihn Hieher gebracht, in die Küche kommen lassen, gab ihm ein reichliches Trinkgeld und ersuchte ihn, das Mädchen bis zur Station mitzunehmen, wozu sich derselbe auch bereitwillig erklärte. Er spannte seine Pferde ein, fuhr an der Hausthür vor und der Jäger begleitete Anna, bis an den Schlag der Postkalesche, hob sie hinein und legte etwas Geld neben sie, damit sie in den nächsten Tagen nicht in Verlegenheit komme. Obgleich sich das Zartgefühl des Mädchens anfangs sträubte, von ihm, dem Fremden, eine Gabe anzunehmen, so waren doch die Worte, mit welchen er sie überreichte, so wohlwollend, überhaupt sein Benehmen gegen sie so ernst und väterlich, daß sie das Geld annahm, ihm die Hand drückte und sich in eine Ecke des Wagens schmiegte. Der Postillon setzte sich auf den Bock, knallte gewaltig mit seiner Peitsche und fuhr durch die nächtlich stille Straße davon.
Der Jäger blieb einen Augenblick unter der Hausthür stehen und blickte dem fortrollenden Wagen nach; kam es ihm doch vor, es springe dicht an den Häusern hin neben der Kalesche her ein Mensch, der dem Wagen zu folgen schien. Der Steinmann konnte es nicht sein, denn der saß ruhig in der Wirthsstube. Ah! dachte Lukas, vielleicht ein armer Teufel, der sich die Gelegenheit zu Nutzen macht, um wohlfeil und trocken nach Hause zu kommen.
Obgleich der Jäger mit seiner Reise nach der Residenz eilig war, und er hier schon eine halbe Stünde verloren hatte, so konnte er sich doch nicht von der Straße trennen, sondern mußte immer und immerfort dem Wagen nachblicken, der jetzt den Ort verlassen hatte und auf der geraden ansteigenden Chaussee dahinrollte. Er wußte nicht, woher der Antheil kam, den er an dem unbekannten Mädchen nahm, aber es hatte ihn etwas mit Gewalt zu ihr hingezogen, etwas Unerklärliches, Räthselhaftes, und dieses Etwas schien ihm zu winken und ihn dem Wagen nachziehen zu wollen, denn er machte mehreremal einige Schritte nach dem Ausgange des Dorfes, und er mußte sich mit Gewalt zur Umkehr zwingen. Jetzt eilte er an seinen Wagen, um sich hineinzuwerfen und seinen Weg fortzusetzen; jetzt zog er den Fuß wieder von dem Tritte zurück und war im Begriff, umkehren zu lassen und dem andern Wagen nachzufahren. Der Regen hatte aufgehört und die zerrissenen Wolken jagten in phantastischen Gestalten an dem Monde vorbei, der zuweilen hindurchscheinend einen Lichtstrahl auf die Erde fallen ließ; bald hier und bald da durch die zerrissenen Wolken fielen diese Lichter auf die Erde, bald zogen sie sich zu kleinen Punkten zusammen, bald breiteten sie sich für einen Augenblick bis zum Horizonte aus – wie jetzt – und da erblickte der Jäger den Wagen auf der Höhe des Weges, wie er nun eilfertig abwärts fahrend verschwand. Dann war wieder Alles ringsum dunkle Nacht. –
Endlich riß sich Lukas mit Gewalt von seinen Träumereien los, stieg in seinen Wagen, versprach doppeltes Trinkgeld für gutes Fahren und fuhr im Galopp davon auf der Straße nach der Residenz.
Nach einer kleinen Stunde, die er nachdenkend verbracht, beruhigte sich sein Gemüth und er konnte lächeln über den Antheil, den er an dem unbekannten Mädchen genommen; dann aber kam es wieder über ihn wie eine gewaltige Sehnsucht, er blickte rückwärts zum Wagen hinaus und meinte oftmals, am Ende des Weges eine andere Kalesche der seinigen folgen zu sehen. Zuweilen versank er, auch in einen leichten Halbschlummer, war aber jedesmal froh, wenn ihn das Rütteln des Wagens wieder erweckte, denn er dachte einen und denselben fürchterlichen Gedanken immer und immer wieder. Er stand an dem Dorfsee und blickte hinab und suchte aus dem Grunde desselben einen Gegenstand zu erkennen, den er für den Körper eines Mädchens hielt; doch war es ihm nicht möglich, zur Gewißheit zu gelangen, ob dem wirklich so sei. Er lief um den See herum und blickte von der andern Seite wieder hinein – derselbe Gegenstand tief im Wasser; dieses war so durchsichtig und klar, und jetzt, wo es kühlend sein Gesicht berührte, konnte er deutlich den Grund des See's erblicken. Da sah er auch das Mädchen, aber nicht abschreckend, wie eine Todte, nein! sie saß da unten auf glänzendem Kiesel und flocht sich einen Kranz. Tiefer und tiefer beugte er sich hinab und glitt endlich von dem Ufer in den See. Da sank er langsam unter, und obgleich er anfänglich heftig erschrak, so lachte er gleich darauf und sagte: »ich träume ja nur, und werde erwachen, sowie mein Fuß den Grund des See's erreicht – und so war es auch – heute Nacht! Sowie er mit dem Fuß auf dem Boden des Wassers aufstieß, so erwachte er und fuhr in die Höhe.
Draußen war es noch immer finstere Nacht, am Himmel jagten sich die dunklen Wolken, und auf dem Bocke arbeitete der Postillon mit Zügel und Peitsche, um die ermüdeten Pferde rascher vorwärts zu treiben.
Schon dämmerte der Morgen, als der Jäger die Residenz vor sich liegen sah und, nach einem kurzen Aufenthalt am Thore, durch die todten, stillen Straßen der schlafenden Stadt rasselte. Noch eine Viertelstunde, und er hielt an dem Gitter, welches das Haus seines Herrn umgab; der Hofhund bellte zuerst zornig, dann heulte er vor Freuden und wedelte mit dem Schweife, als der Jäger abstieg und die Glocke an dem Thore zog. Bald öffnete der alte Diener und Lukas stieg die Treppen hinauf in das Schlafzimmer des Herrn Dubel, der vor Erstaunen fast aus seinem Bette gefallen wäre. Der Jäger legte Mantel und Hirschfänger ab, schüttelte fröstelnd die Erinnerung an die vergangene Nacht von sich, reichte dem Exschneider freundlich die Hand und erzählte, nachdem der alte Diener einen wärmenden Kaffee gebracht, von dem der Herr Dubel in seinem Bette ebenfalls genoß, daß er die besten Nachrichten bringe und freudige Botschaft habe für alle, welche sich für seinen Herrn lebhaft interessirten. »Wir haben sie gefunden, unsere zukünftige Gebieterin, und wie ich fest glaube, sind Beide Vollkommen einig.«
»Und auch vereinigt?« fragte Herr Dubel; »schon Verheirathet? darf ich gratuliren?«
»Das noch nicht,« entgegnete der Jäger; »gefunden, wie gesagt wäre das Fräulein, glücklich hat sie die Ankunft des Herrn auch gemacht, und einverstanden ist sie auch damit, jede Stunde seine Gemahlin zu werden, aber . . .« »Aber?« sagte der Herr Dubel kleinlaut; »schon wieder ein Aber?«
»Als eine dankbare und gehorsame Dame hat sie verlangt, der Baron solle nochmals alle Schritte thun, die Einwilligung der Hofdame, der Frau von C., respektive die der alten Frau Herzogin zu erlangen, und sobald die erfolgt ist, wird die Hochzeit mit allem Glanze vor sich gehen.«
»O weh!« sagte der Schneider; »und wenn die Einwilligung nicht erfolgt?«
»Hoffentlich werden sie dieses Mal gescheidter sein, die alten Weiber, und wenn dem nicht ist, so wird, wie ich denke, doch geheirathet; der Baron will diesen Versuch nur machen, um Alles gethan zu haben und seine Braut zu beruhigen. Daß er selbst nicht hieher kommen konnte, wird Jedermann begreiflich finden; er hat mich darum zum Kourier gewählt, und ich habe Briefschaften für den Grafen Alfons, der mit der Frau von C. unterhandeln soll, und ich bleibe nur so lange hier, bis ich Ja oder Nein, Schwarz auf Weiß habe.«
Herr Dubel rieb sich in seinem Bette vergnügt die Hände und ließ sich alsdann Einiges erzählen von den Reisen, den Kreuz- und Querzügen, die der Baron unterdessen gemacht.
»Wir waren in München und Wien,« sagte der Jäger, »gingen dann durch die Schweiz nach Frankreich, nach Paris, und alles das wurde im Fluge abgemacht, die Nächte, welche wir nicht durchfuhren, verbrachte der Baron in Soireen und auf Bällen; es standen ihm ja bei seinen großen Bekanntschaften alle Häuser offen, und so forschte er nach und erkundigte sich überall nach dem Fräulein, und wo er das bei seinen oder ihren Bekannten that, da wunderte man sich sehr über seine Fragen und meinte, er komme ja aus unserer Residenz; man wußte nichts von der Reise der jungen Dame, noch viel weniger von ihrem Aufenthaltsorte, und so zogen wir immer weiter und weiter. Auch Paris, wo sich ein Zweig ihrer Familie befindet, verließen wir, ohne eine Spur entdeckt zu haben, und kamen so nach Brüssel.«
»Aha!« sagte Dubel, »nach Brüssel, wo in der Nähe auf einem Schlosse ein alter Onkel des Fräuleins wohnt, der mit der ganzen Familie in Feindschaft lebt; nun, habt ihr ihn besucht? der wird schöne Augen gemacht haben?«
»Allerdings machte er schöne Augen,« lächelte der Jäger, »der Baron, der die Feindschaft des alten Herrn mit seiner ganzen Familie wohl kannte, hatte natürlich zu allerletzt daran gedacht, ihn aufzusuchen. O, wären wir nur zuerst dahin gegangen, denn ... was meinen Sie wohl, Dubel?«
»Ich will nicht hoffen!« sprach der Exschneider und richtete sich in seinem Bette empor.
»Versteht sich!« sagte lachend Lukas, »dort haben wir sie gefunden; der Teufel mag wissen, womit sie den alten Kameraden von hier besänftigt haben; genug, das Fräulein befand sich auf seinem Schlosse, er liebt sie, wie eine Tochter, was auch nicht anders möglich ist, und da man uns ebenfalls von hier aus wahrscheinlich als furchtbare Kerls geschildert hat, so fehlte nicht viel, daß der Alte, als der Baron sich melden ließ, Sturm läuten und die Bauern seiner Dorfschaften herbeirufen ließ, damit sie uns wie einen bösen Feind wegjagen sollten. Aber es brauchte keine großen Explikationen; in einer Stunde Zeit war Alles aufgeklärt, und der Baron hatte, wie es auch nicht anders möglich ist, bei dem alten Herrn den größten Stein im Brette. Alles wurde in Ordnung gebracht; der Onkel gab seine Einwilligung, und jetzt bin ich, wie gesagt, hier, und der Baron macht schriftlich einen vielleicht fruchtlosen Versuch, sich mit Frau von C. zu versöhnen.«
Nach dieser Erzählung stand der Jäger von seinem Stuhle auf, ging an's Fenster, blickte auf die bekannten Umgebungen und erkundigte sich, ob Dubel gut Haus gehalten und ob im Innern des Gebäudes Alles in Ordnung sei.
Der Exschneider, der sich indessen von seinem Lager erhoben hatte und im Begriffe war, sich anzukleiden, versicherte, er habe sein Möglichstes gethan, und sprach die Hoffnung aus, man werde mit ihm vollkommen zufrieden sein.
»Aber, was Teufel!« sagte der Jäger, nachdem er sich im Zimmer umgesehen, »was haben Sie sich für eine Stange da an die Wand befestigen lassen? Ist das zum Kleidertrocknen oder zum Wäschaufhängen? So ein Möbel habe ich in meinem Leben nicht gesehen.«
»Richtig, richtig!« sagte Herr Dubel einigermaßen in Belegenheit und sprang mit einem Entrechats von seinem Bette herunter; »das hatte ich wahrhaftig beinahe Vergessen; ja, ja, es hat sich bei mir Manches verändert, ich habe die Flickschneiderei an den Nagel gehängt; wie Sie mich hier vor sich sehen, verehrter Herr Lukas, so sehen Sie in mir nichts Geringeres, als einen angehenden Tänzer der königlichen Hofbühne.«
»Sie spassen!« lachte der Jäger.
»Ohne Spaß!« entgegnete feierlich der Herr Dubel, »ich habe die erssss-te Stufe auf der Leiter des Ruhmes erssss-tiegen. Sie wissen selbssss-t, ich fühlte es immer, daß in mir etwas schlummere, ein unnennbares Etwas, welches zur That erweckt, vielleicht im SSSS-tande sein würde, dereinssss-t die Welt in ein gewisses SSSS-taunen zu versetzen. Man hat Talente in mir entdeckt, und obgleich nur eine Eleve der edlen Tanzkunssss-t, glaubt doch Signor Benetti, der königliche Balletmeissss-ter, daß er im SSSStande sein würde, mich baldigssss-t vor einem hohen Adel und verehrungswürdigen Publikum zu produciren. Doch habe ich mir seit jenem Tage den Namen Dubelli beigelegt.«
Der Tänzer sagte das in einer sehr gewählten Stellung verharrend, mit außerordentlich wichtiger Miene, und der Jäger lachte dazu, so gut er überhaupt lachen konnte.
»Also ein Künstler, Herr Dubelli? Nun, ich gratulire; aber warum haben Sie das nicht geschrieben? Der Baron würde sich außerordentlich darüber gefreut haben.«
»Glauben Sie das wirklich?« sagte forschend Herr Dubelli; »glauben Sie wirklich, daß mein hoher Gönner einigen Antheil an mir nimmt und es wirklich nicht ungern sieht, daß ich mit dem ehrenvollen Amte eines Hüters seines Hauses bekleidet, mich dem Theater zugewendet habe?«
»Im Gegentheil!« versetzte Lukas, »es wird ihn gewiß freuen, er liebt die Kunst und beschützt, so viel er kann, jeden Künstler.«
Herr Dubelli verbeugte sich geschmeichelt und entgegnete: »für jetzt noch nicht Künssss-tler, nur erssss-t Tänzer, aber ich will Alles anwenden, um dem Protektorate meines Gönners Ehre zu machen.«
»Nun warten Sie,« sprach der Jäger, »der Baron wird Ihnen Ihr kleines Gehalt, auch wenn Sie dieses Haus verlassen müßten, gern lassen, so sagte er und trug mir auf, irgend etwas für Ihr Unterkommen zu thun, und da ich nun gleich zum Grafen Alfons hingehe, der ein guter Freund des Intendanten ist, so will ich denselben im Namen des Barons um ein Wort für Sie bei Ihrem neuen Chef bitten, was Ihnen gute Früchte tragen solle.«
Herr Dubelli war voll Dankbarkeit, und glaubte es dem Jäger schuldig zu sein, ihm einen Begriff geben zu müssen, wie weit er es bis jetzt in der hohen Tanzkunst gebracht. Dieses Exercitium in dem mangelhaften Morgenanzuge des Tänzers sah nun freilich einiger Maßen komisch aus, und als es beendigt war, versicherte der Jäger lachend, es scheine allerdings ein großes Talent in ihm zu schlummern.
Unterdessen war es nicht mehr zu früh für den Jäger, seine Briefschaften abzugeben, und nachdem er seinen Anzug geordnet, schritt er durch die Zimmer seines Herrn. – Wie war hier Alles so öde und traurig! Die schweren Vorhänge waren zugezogen, die Fauteuils standen leer vor dem Kamin, die Uhren gingen nicht, dort in dem Schlafzimmer standen Spazierstöcke und Fahrpeitschen so theilnahmlos und ruhig, als wären sie nie gebraucht worden. Selbst die bekannten schönen und freundlichen Bilder blickten dunkel aus ihren Rahmen, und nur ein einziges gefiel dem Jäger heute absonderlich und fesselte seine Aufmerksamkeit. Früher war ihm das Bild nie aufgefallen, und er hatte es doch so oft gesehen! – Es stellte einen Bergsee vor, der mit hohem Gebüsch umgeben war, welches sich auf allen Seiten dunkelgrün in dem Wasser wiederspiegelte; nur in der Mitte, wo der Himmel auf das Wasser sah, glänzte es klar und blau. Es lag eine tiefe, feierliche Stille auf der ganzen Landschaft und hoch in den Lüften kreiste ein Raubvogel. – – Dieser See war der See seines Traumes aus vergangener Nacht, und er trat nachdenkend an's Fenster, hob den Vorhang in die Höhe und schaute nach der Richtung hin, wo er gestern hergekommen war. Wieder glaubte er den Wagen zu erblicken, der langsam davonrollte, bis er hinter dem Berge verschwand, und dann war Alles aus! – – – –
Als sich Lukas überzeugt, daß der nunmehrige Herr Dubelli das Haus zur Zufriedenheit in Ordnung gehalten, ging er zum Grafen Alfons, um seine Briefe abzugeben. Dieser empfieng den treuen Diener seines Freundes mit großem Vergnügen, meinte aber, es werde immer einige Tage kosten, bis von der Frau von C. eine Antwort zu erhalten sei – an eine günstige glaube er, aufrichtig gesagt, nicht.