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Onkel George hatte sich still in die Ecke seines Coupé's gedrückt, und während er in die wirklich stürmische Nacht hinausfuhr, blieben seine Gedanken in dem kleinen behaglichen Kabinette, das er so eben verlassen; doch mochten diese Gedanken, mit denen er dort verweilte, gerade nicht von der heitersten Art sein, denn während er die Arme über einander schlug, zogen sich seine Augenbrauen ernst, fast finster zusammen. Es ist ein eigenthümliches Vergnügen, dachte er, ein junges Mädchen zwingen zu wollen, in die Welt zu gehen, wenn es einmal keine Lust dazu hat. Man lasse doch Jedem seinen Willen! Ich halte es obendrein für ein großes Glück, daß Eugenie nichts von dem wilden Sinne ihrer Mutter geerbt hat. Ah, das gäbe mir eine schöne Wirtschaft! Da müßte ich am Ende anfangen, wo ich vor vielen Jahren aufgehört, woran ich schon damals kein Vergnügen gefunden und was mir jetzt wahrhaft unerträglich wäre: neue Bekanntschaften machen, mein Haus öffnen, am Ende gar die Herren von Tondern, Fremont und Consorten bei mir aus- und eingehen und sie, protegirt von meiner Frau, sich um Eugenie bemühen sehen. Ich muß gestehen, das könnte mir conveniren! Aber in dem Punkte sind die Weiber alle gleich. Und dann die Bälle! Was braucht man Jemand zu Bällen zu forciren, der einmal den Sinn dafür nicht hat! Und diese verfänglichen Reden an ein harmloses Mädchen, wie Eugenie ist, von Lust an Bällen und dergleichen, wenn man einmal ein Interesse für etwas gefaßt hätte! Bah! – Aber es ist und bleibt wahr: Auch die Beste und Vernünftigste kann das Zusammenbringenwollen nun einmal nicht lassen. Natürlich, wenn sich eine gute Partie für Eugenie zeigte – aber eine sehr gute Partie, eine außerordentlich gute Partie – so wäre ich der Erste, der das zu protegiren suchen würde. Aber auf Bällen finden sich dergleichen gute Partieen nicht, und was ein junges Mädchen da von Interessantem findet, darum drehe ich keine Hand herum: das sind nur so trügerische Momente, hervorgebracht durch den Blick eines schönen Auges, die gewöhnlich verwehen und verschwinden beim Erwachen am nächsten Morgen. – Dann finde ich auch, philosophirte er weiter, daß bei einer Stellung wie der Eugeniens, bei einem so sehr schönen Mädchen, es besser ist, man erregt nicht zu viel Aufsehen mit ihr. Wer sie kennen lernen will und wessen Recht hierzu ich anerkennen mag, der kann dies ja in meinem Hause thun. Warum das gute Kind den Blicken Aller aussetzen, wenn sie strahlend auf den Ball träte! Und strahlend würde sie auf den Ball treten, dessen bin ich gewiß, strahlend im frischen Glanze ihrer Schönheit und Jugend, wie keine Andere. Ah! sehr! sehr!
Während er dies dachte, hatte der Baron unwillkürlich die Augen geschlossen, und Eugenie schwebte ihm vor, einfach weiß gekleidet, das dichte, dunkle Haar kunstlos und doch wieder so graziös um den Kopf geschlungen, nur mit einem frischen Blüthenzweige geziert, so daß Alles an dem herrlichen Mädchen zusammenpaßte; die Blüthenknospen eben aufgebrochen, Alles duftig und frisch. Ja, es war ihm, als perlten in ihrem Haare wieder glänzende Wassertropfen wie heute Mittag nach dem Reiten – glückliche Wassertropfen, die sich bei ihr verflüchtigen – sterben durften. – Ah! –
Da zerriß das dumpfe Rollen der Räder des Wagens, der in einen gewölbten Thorweg einlenkte und dann plötzlich hielt, seine Träume. Beinahe im gleichen Augenblick wurde der Schlag geöffnet, und der Baron Breda sprang auf die Treppe, die in den ersten Stock des Palastes Helfenberg führte und heute Abend von keinem der vielen Gitter gesperrt war. Ja, selbst der strenge Hüter dieses Durchganges hielt sich in bescheidener Entfernung an der Thür seiner Loge, angethan mit dem schweren goldbordirten Pelzrocke, dem unförmlich breiten Bandeliere mit dem Wappen des Hauses und dem Degen, der offenbar für dieses Bandelier viel zu leicht war. Der Portier nahm den Stock mit dem großen silbernen Knopfe wie grüßend auf die Seite, als der Baron vorbeischritt und in die Zimmer hinaufging.
Hier war Alles glänzend erleuchtet, die stolze Wölbung des Treppenhauses mit den Deckengemälden, die steinernen Ritter in den Nischen, das Vestibül droben, über welches man an die Empfangs- und Wohnzimmer gelangte.
Auch diese waren jetzt am Abend in reicher Beleuchtung viel behaglicher und wohnlicher anzuschauen als heute Mittag, wo das ohnehin trübe Licht des Regentages sich nur mühsam zwischen den herabgelassenen Vorhängen eindrängen mußte.
Baron von Breda schritt durch die ihm wohlbekannten Räume bis zu dem Kabinette des Grafen, dessen Thür ihm der Kammerdiener mit einer leichten Verbeugung öffnete. Es war dasselbe, in welchem unser edler Freund, Don Larioz, empfangen worden war. Dort am Fenster stand der Schreibtisch; hier neben uns an der Wand sehen wir das Portrait des Mannes im grauen Jagdrocke, dessen Gesicht bis zu den Schultern wie unabsichtlich von der rothseidenen Schärpe bedeckt ist, die unten zusammengeschlungen den Kranz von verwelkten Vergißmeinnicht trägt. Alles war wie vor ein paar Stunden, nur der Bewohner dieses Zimmers fehlte, was aber George von Breda, der mit den Lokalitäten des Hauses und den Gewohnheiten des Hausherrn genau bekannt war, durchaus nicht befremdete; vielmehr schritt er auf die Thür rechts vom Eingange zu, öffnete dieselbe und trat mit einem lauten »Guten Abend!« in einen kleinen Salon, wo sich vier Herren um das Kaminfeuer gruppirt befanden. Rechts in der Ecke saß der Hausherr auf einem sehr niedrigen Fauteuil, den Stock mit der weißen Krücke neben sich; er beantwortete den Gruß des Barons mit einem freundlichen Zuruf, wobei er ihm mit der Hand herzlich entgegenwinkte und alsdann sagte: »Ich hatte wahrhaftig halb und halb schon befürchtet, George, du würdest nicht kommen.«
»Und weßhalb das?« fragte Baron von Breda. »Ich bin doch gewiß nicht im Rückstand.« Er wies nach der Uhr über dem Kamin, deren kleiner Zeiger noch auf der Ziffer Sechs stand, während der große freilich schon um ein paar Minuten weiter gerückt war.
»Nein, nein!« erwiderte der Graf, »du bist pünktlich wie immer. Das habe ich auch gesagt, – wenn du überhaupt kommst. Aber Tondern da behauptet, du seiest in den letzten Zeiten gar nicht mehr aus deinen vier Pfählen zu bringen gewesen. Etwas ist schon daran; denn mich hast du seit Kurzem gräulich vernachläßigt, und du weißt, ich schmachte nach deiner Gesellschaft.«
»Ja, er macht sich rar, dieser gute George,« sagte ein junger, hübscher Mann mit großem dunklem Schnurr- und Knebelbart, der, sehr sorgfältig und elegant angezogen, nachläßig an dem Kamingesimse lehnte.
»So, das findest du, Tondern?« versetzte George von Breda, wobei seine Mundwinkel lächelnd zuckten. »Nun, wenn das wirklich deine Ansicht ist, so schlage ich dir gleich eine Wette vor.«
»Und die wäre?«
»Daß Fremont dort ganz dieselbe Ansicht hat. Will einer von euch dagegen wetten?«
Der Graf lachte laut auf; denn er hatte ebenso gut wie George von Breda bemerkt, daß Fremont, der in einem Fauteuil vor dem Kamin ruhte, schon den Mund geöffnet hatte, um, wie das bei ihm und seinem Freunde Tondern zur Gewohnheit geworden war, des Andern Ansicht augenblicklich zu seiner eigenen zu machen.
Baron Fremont, obgleich noch ein junger Mann im Anfang der Dreißig, war wohlbeleibt, blond und hatte ein außerordentlich freundliches und stets lächelndes Gesicht, von welchem – dem Lächeln nämlich – seine Freunde behaupteten, er habe sich das angewöhnt, um seine in der That prachtvollen weißen Zähne zu zeigen. Auch jetzt that er das im vollsten Umfange, als er lachend erwiderte: »Wilder George, du verleugnest nie, daß du früher ein furchtbarer Fechter warst. Du parirst, ehe dein Gegner noch seinen Schlag zu führen vermag.«
»Ja, ja,« rief lustig der Graf, »und er parirt so vortrefflich, daß der erwartete Schlag nun gar nicht mehr geführt werden darf, ohne sich ridicul zu machen.«
»Es ist das gerade wie mit den beiden ewig vorgetragenen Räthseln einer allerhöchsten Person, von welchen ein witziger Kopf das eine mit der Auflösung des anderen beantwortete,« sprach Legationsrath von S., eine kleine, sehr dünne Persönlichkeit mit auffallend fahlem blondem Haar und einer Unruhe und Beweglichkeit, die ihn, selbst wenn andere Leute still saßen, zu unaufhörlichem Auf- und Abgehen antrieb. Herr von Tondern hatte einmal von ihm ausgesagt, der Legationsrath hege bei der immensen Triebkraft, die er bei sich voraussetzte, Andere aber vollkommen bezweifelten, die Befürchtung, auf irgend einer Stelle, wo er sich zu lange aufhalte, anzuwurzeln, und deßhalb laufe er beständig hin und her.
»Was du vorhin gemeint,« sprach Baron Fremont nach einer Pause, »ist nicht ohne; aber ich bedaure in der That, daß George's gute Parade alle Bemerkungen über das, was Tondern gesagt, abschnitt, und ich möchte den Sieger um die Barmherzigkeit bitten, mir doch zu erlauben, über dieses Thema noch ein wenig fortzufahren.«
»Ueber das Kapitel des Rarmachens,« ergänzte Tondern kopfnickend, worauf Graf Helfenberg, welcher sah, daß George von Breda mit den Achseln zuckte, erwiderte: »Nein, nein, das ist jetzt vorbei; überhaupt haben wir heute Abend keine Ursache, unserem guten Breda Vorwürfe zu machen; er hat den weitesten Weg und ist bei dem schauerlichen Wetter pünktlich erschienen.«
»Na, schauerliches Wetter, was will das sagen!« entgegnete Tondern, wobei er den Kopf hin- und herwiegte; »er steigt vom Perron seines Hauses in sein Coupé, gibt sich die Mühe, dem Kutscher deinen Namen zu sagen, und ist da.«
Der Legationsrath war auf seinem hastigen Spaziergange durchs Zimmer einen Augenblick in der Nähe des Kamins stehen geblieben, schaute den Sprecher an und sagte zu ihm: »Du gibst dir bei deinen Ausfällen immer Blößen, lieber Tondern; wenn George nicht eine so harmlose Natur wäre, so würde er, deine Bemerkung beantwortend, dich fragen: Und machst du es mit deinem Kutscher nicht gerade so?«
Nachdem er dies gesprochen, wandte er sich um und schwebte wieder nach der andern Ecke des Zimmers.
Tondern hätte gern eine scharfe Bemerkung entgegnet, doch fürchtete er, daß sämmtliche Anwesende gegen ihn Partei nehmen würden. Wir brauchen dem geneigten Leser eigentlich kaum noch zu sagen, daß es Tondern, in Bezug auf die Bemerkung des Legationsraths, aus einem sehr einfachen Grunde nicht möglich gewesen wäre, seinem Kutscher einen Befehl zu geben, obgleich er gern so that und dafür, wie auch wegen seiner scharfen Zunge, von den Freunden oft stark mitgenommen wurde.
»Laßt das gut sein, mit euren Wortklaubereien,« bemerkte der Hausherr; »wir sind alle pünktlich, wenn es gilt, irgendwo zu erscheinen, wo wir gern hingehen.«
»Oder, wenn wir zu Hause nicht gar so sehr gefesselt sind,« konnte Herr von Tondern nicht unterlassen zu sagen, wobei er einen Blick auf George von Breda warf, den dieser aber nicht zu bemerken schien.
Auf der andern Seite, als der, zu welcher die Gäste hereingekommen waren, öffnete sich langsam die Thür, der Kammerdiener des Grafen erschien und meldete, daß servirt sei. George von Breda trat an den Fauteuil des Hausherrn, reichte ihm seinen Arm und hob ihn so leicht von dem Sessel empor.
»Wie sich die Zeiten ändern!« sagte Helfenberg lachend; »jetzt werde ich in meinem eigenen Hause von einem Gaste noch als Dame zu Tische geführt. Ja, wer weiß, was uns die nächsten Tage bringen!« setzte er mit einem leichten Anflug von Traurigkeit hinzu. – »Doch benutzen wir die Zeit, so lange uns das rosige Licht noch scheint!« Dies sprach er mit einem Lächeln, aber es war schmerzlich anzusehen, um so mehr, da der arme Graf dabei einen tänzelnden Schritt annehmen wollte, der ihm aber durchaus nicht gelang.
Alle gingen ins Eßzimmer und nahmen dort an dem reichbesetzten kleinen Tische ihre Plätze ein, mit alleiniger Ausnahme des Legationsrathes, der nicht unterlassen konnte, wie um den silbernen Tafelaufsatz genau zu betrachten, einmal schnell um den Tisch herum zu schreiten, ehe er sich seinem Stuhle näherte.
»Das ist ein harter Moment für ihn,« lachte Baron Fremont. »Jetzt muß er still sitzen, und da könnte ihm das Entsetzliche geschehen, auf dem Stuhle festzuwachsen. Was würdest du in dem Falle thun, alter Freund?«
Der Sprecher zeigte in diesem Augenblicke in süßer Erwartung des guten Diners von seinen schönen Zähnen so viel, als ihm möglich war, und sah seinen kleinen Nachbar dabei an. Ehe dieser aber auf die Frage antworten konnte, meinte Herr von Tondern: »Du hast unserem Legationsrath Unrecht gethan; er war ganz bei seinem Departement und ging, wie diese Herren es so gern zu machen pflegen, als Katze um den heißen Brei herum.«
»Fehlgeschossen! fehlgeschossen!« lachte der kleine Mann gutmüthig; »ich war in diesem Augenblick in Indien, wo man um den Tisch herum schreitet, ehe man sich niederläßt. Es ist das wie das Gettatore der Neapolitaner gegen das böse Auge, eine Zauberformel gegen böse Zungen. – Aber die Suppe ist vortrefflich.«
Damit fing das Diner an und nahm, einige Häkeleien und spitzige Bemerkungen des Herrn von Tondern abgerechnet, die Baron Fremont immer aufs freundschaftlichste belachte, seinen ungestörten und vortrefflichen Fortgang, ja, einen so vortrefflichen Fortgang, daß selbst Tondern gegen das Dessert hin wahrhaft versöhnlich wurde, und Fremont, in seinen Stuhl zurückgelehnt, mit einer fast rührenden Melancholie an die Decke emporschaute, wobei er seufzend sagte: »Daß doch alles Schöne so vergänglich ist!«
Graf Helfenberg hatte das Diner vorübergehen lassen, ohne Vieles von den servirten Schüsseln zu genießen; auch trank er nur hier und da ein paar Tropfen Wein mit Wasser. Gegen das Ende hatte er den Kopf in die Hand gestützt und war in tiefes Nachdenken versunken, wobei er vor sich hin starrte und nur zuweilen als höflicher Wirth bei irgend einer lustigen Bemerkung ein trübes Lächeln zeigte, dem man jedoch wohl ansah, daß es gänzlich ohne Zusammenhang mit dem Tischgespräche war. Als aber Baron Fremont die eben erwähnten Worte sprach, worin er das Vergängliche alles Schönen beklagte, erhob sich der Hausherr mühsam von seinem Stuhle, ließ sich von dem Kammerdiener ein gefülltes Champagnerglas reichen und sagte, indem er die Rechte auf den Tisch stützte: »Ich möchte zu euch, meine lieben, guten und erprobten Freunde, ein paar Worte sprechen; da ich aber, wie euch allen bekannt ist, kein Redner bin, so wurde es mir schwer, zu beginnen, und ich danke daher Fremont, daß er mir, ohne es zu wollen, den Eingang meiner Rede soufflirte. – Ja, Alles ist vergänglich auf dieser Erde, das Schöne wie das Häßliche, das Große wie das Geringe! Eine dieser vier Eigenschaften dürfte auch ich wohl besitzen, und daß ich obendrein ein Recht habe, von meiner Vergänglichkeit ganz besonders zu sprechen, wird mir Keiner von euch abstreiten wollen.«
»Aber, Helfenberg,« rief Herr von Tondern, »welch melancholischer Trinkspruch! Was lauert dahinter?«
Fremont schüttelte mit dem Kopfe, und Baron von Breda, der augenscheinlich den trüben Ideen seines Tischnachbars und Freundes folgte, blickte düster schweigend vor sich nieder.
»Wenn mein Trinkspruch, wie Sie es nennen, melancholisch anfing,« fuhr der Graf fort, »so war es wahrhaftig nicht meine Absicht. Ist es denn traurig, daß das alles vergeht? Ich kann das von mir nicht sagen, denn wie ich lebe – eigentlich wie ich vegetire – muß ich schon gestehen, daß ich mir aus dem Aufhören dieses Zustandes in der That nichts mache; und da ich, vielleicht nach vielen Schmerzen, dahin gelangt bin, mir dieses Aufhören fast zu wünschen, so ist es mir auch möglich, darüber mit aller Ruhe zu denken und zu sprechen.«
»Wozu das, Helfenberg?« fragte George von Breda mit weicher Stimme, indem er seine Hand auf die des Freundes legte; »warum in unseren heiteren Kreis eine so traurige Stimmung rufen? Denn daß deine Rede uns traurig stimmen muß, wirst du bei uns, die wir dich so herzlich lieben, voraussetzen.«
»Das soll sie aber nicht!« rief der Hausherr, indem er sein Glas erhob, »und wenn ihr meinen Trinkspruch auf die Vergänglichkeit nicht annehmen wollt, so will ich denn zuerst mein Glas leeren auf das Glück des frischesten und herrlichsten Lebens, welches ich kenne.«
»Und welches ist das?« fragte Fremont, ehe er seinen Kelch an die Lippen setzte.
»Gleichviel,« erwiderte der Graf, »irgend eines, das Jeder sich nach seinem Belieben denken mag.«
Nach diesen Worten preßte er die Lippen fest zusammen und stieß mit seinem Glase so heftig an das des Barons von Breda, der ihm zunächst saß, daß es mit einem schneidenden Klange zersprang.
Während der Kammerdiener eilig die Trümmer entfernte und einen neuen Krystall herbei brachte, tranken die vier Freunde schweigend ihre Kelche leer, und der Hausherr sprach fast jubelnd: »So ist es recht! nach diesem Trinkspruche durfte das Glas zu nichts Anderem mehr dienen.« Dann setzte er mit angenommener Lustigkeit noch hinzu: »Nachdem ich euch nun bewiesen, daß ich weit entfernt von aller Traurigkeit bin, laßt mich auch mit ein paar Worten meine Rede von vorhin zu Ende bringen. Es gibt Dinge, die man sich nun einmal vorgenommen hat, mit einer gewissen Feierlichkeit zu begehen. Man weiht also ein Haus ein, das man sich erbaut, man verläßt ebenso ein anderes, in welchem man nicht mehr lange zu wohnen gedenkt, nicht ohne eine solche Weihe. – Und zu einer solchen Feierlichkeit habe ich euch, meine Freunde, eingeladen. Wenn ihr aber nun nach meiner großen Rede etwas Bedeutendes erwartet, so habt ihr euch vollkommen getäuscht; ja, ich fürchte fast, es wird euch das so unbedeutend erscheinen, daß Tondern es nicht unterlassen wird, eine witzige Bemerkung darüber zu machen, und wenn er das thut, so soll es mir zur Erhaltung eures und meines Humors lieb sein. – Mit einfachen Worten denn: ich habe mein Testament gemacht und bitte euch freundlich, dasselbe als Zeugen unterschreiben zu wollen.«
Den Baron Breda durchschauerte es leicht, als sein Nachbar so sprach und sich darauf ermüdet und bleicher als vordem auf seinen Stuhl niederließ.
Fremont schloß seinen Mund, als habe er plötzlich etwas Unangenehmes auf seiner Zunge gespürt; der Legationsrath war aufgestanden und ging, die Hände auf dem Rücken, mit großen Schritten auf und ab, und selbst Tondern schien sich zu einem Lächeln zwingen zu müssen, als er, mit seinem Glase spielend, sagte: »Sie sollen sich gewissermaßen in mir nicht geirrt haben, lieber Freund. Gute Witze machen ist nicht gerade meine Sache, wie ihr alle wißt; aber ich kann Ihnen à propos Ihrer Rede etwas nicht verhehlen, was ich verbürgen kann; ich habe nämlich einen Mann gekannt, der ebenfalls sehr frühzeitig sein Testament gemacht und sechszig Jahre später an Altersschwäche gestorben ist. – Möge es Ihnen gerade so ergehn!«
»Ja, ja,« bemerkte Baron Fremont, der sich wieder gefaßt hatte, »diesen Fall kenne ich und kann ihn bezeugen; die Erben kamen schlecht dabei weg, und von dem, was sie erhalten sollten, hätte man die Buchstaben auf ihren Grabsteinen neu vergolden können. – Aber wie dem auch sei, daß Sie uns bedenken werden, davon bin ich fest überzeugt. Möge es uns aber auch so ergehen wie Jenen! Das spricht meine Freundschaft für Sie.«
»Amen!« sagte eine Stimme im Hintergrunde des Zimmers, und als sich Alle umwandten, bemerkten sie den Legationsrath, der mit gesenktem Haupte von einer Ecke zur anderen schritt.
Graf Helfenberg hob mit einer Verbeugung gegen George von Breda und Herrn von Tondern die Tafel auf, worauf sich Alle in den Salon zurück begaben, um Kaffee und Liqueur zu nehmen, sowie die unvermeidliche Cigarre, die wir nun einmal dem geneigten Leser in Ausnahmsfällen nicht erlassen können, da wir, wie hier zum Beispiel, gegen die Wahrheit eines Garçon-Diners aufs Gröblichste verstoßen würden, wenn wir verschweigen wollten, daß der größte Genuß nach demselben in dem behaglichen Rauchen einer echten Havannah besteht.
Mittlerweile war es sieben Uhr geworden, und da der Rechtsconsulent Doktor Plager in allen geschäftlichen Obliegenheiten von einer musterhaften Pünktlichkeit war, so erschien wenige Minuten, nachdem die Uhr die angegebene Stunde geschlagen, der Kammerdiener und meldete seinem Herrn, der eben genannte Geschäftsmann sei ins anstoßende Kabinet getreten.
»Ich komme gleich,« gab Graf Helfenberg zur Antwort, wobei er sich, auf seinen Stock gestützt, erhob. »Thut mir den Gefallen,« wandte er sich an die Freunde, »und laßt euch nicht stören. Ich werde eben ins Nebenzimmer gerufen, um die Vorbereitungen zu jenem Akte zu treffen, zu welchem ich euch als Zeugen erbeten. – Erbeten,« setzte er lächelnd hinzu, »ist der technische Ausdruck für diese Art von Einladung, und ich thue das kund und füge es hiermit zu wissen, damit ihr seht, daß ich mich auch um Geschäftssachen bekümmere.«
Damit verschwand er in seinem Kabinette.
Die Zurückbleibenden saßen mit Ausnahme des Legationsrathes stillschweigend um den Kamin, mehr oder minder mit ernsten, Gedanken beschäftigt, Baron Breda, der wohl am besten den körperlichen Zustand des Freundes zu kennen schien, fühlte sich von der ganzen Sache aufs Schmerzlichste berührte er sah wohl ein, daß dieses Testamentmachen mehr als eine gewöhnliche Formalität war, und es wurde ihm nicht schwer, sich in die Lage des unglücklichen Freundes zu versetzen und die Seelenleiden mit zu empfinden, die wahrscheinlich vorangegangen waren, ehe dieser Entschluß bei ihm gereift und zur Ausführung gekommen.
Herr von Tondern und Baron Fremont sprachen ihre Gedanken über dasselbe Thema gegen einander aus, hatten es aber von einer andern Seite aufgefaßt.
»Wie kommt es eigentlich,« sagte Fremont, »daß der Graf überhaupt testiren will? Sind denn nicht die großen Güter der Familie, die er als ältester und einziger Sohn seines Vaters antrat, Lehen und Fideicommisse?«
»Das ist der größte Theil der Güter allerdings,« entgegnete der Gefragte. »Wenn wir Beide aber,« setzte er leiser hinzu, »meinetwegen mit noch ein paar Anderen, das zu theilen hätten, was dem Grafen an Gütern und Vermögen als freies Eigenthum und nicht zu Lehen oder als Fideicommiß gehört, so würden wir zufrieden sein. Das sind die großartigen Vermögen der Großmutter und der Mutter unseres Freundes, sowie die Ersparnisse namentlich des Vaters.«
»Wie die Glücksgüter doch so ungleich vertheilt sind!« sprach Fremont mit einem tiefen Seufzer. – »Ich bin gerade nicht unzufrieden mit dem, was ich habe, aber ein bischen mehr schadet immer nichts. Es muß doch ein eigenes Gefühl sein, so eine große Herrschaft sein nennen zu können.«
»Von einem solchen Gefühl habe ich gar keine Idee,« meinte Herr von Tondern trocken; »mit Herrschaften und Ländereien gebe ich mich auch nicht gern ab, mir wäre ein tüchtiges Quantum baaren Geldes viel lieber.«
»Nein, nein, das kann ich nicht sagen,« entgegnete der Andere, wobei er sich in den kleinen Fauteuil zurücklehnte und dem blauen Dampfe nachsah, den er gerade emporsteigen ließ. »Ah, ein eigener Herd, und ein Schornstein mit dem Rauche des Küchenfeuers, das dein Diner kocht, ist schon eine wundervolle Idee!«
»Natürlich aber muß dieser Herd,« vernahm man des Legationsrathes feine Stimme, der wie ein Schatten hinter den Stühlen auf und ab strich, »am Ende zu einer Enfilade von circa zwanzig Zimmern gehören, von deren Fenstern man mit dem besten Fernrohr die umliegenden Felder und Wälder nicht übersehen kann.«
Fremont nickte mit dem Kopfe und versetzte, ohne sich nach dem Sprecher umzuschauen: »Ganz meine Ansicht, und ich wüßte von den Gütern unseres guten Freundes gerade eines, das alle diese eben angegebenen vortrefflichen Eigenschaften besitzt. Es ist dies Schloß Stromberg, – ah, eine deliciöse Besitzung! – Apropos!« wandte er sich an George von Breda, der sich mit keiner Sylbe in dieses Gespräch mischte, »du mußt ja Stromberg genau kennen. Stößt es nicht an die Besitzungen deines Schwagers, des Herrn von Braachen?«
»Es stößt daran,« entgegnete der Gefragte.
»Nicht wahr, es ist wunderschön?«
»Das Schloß liegt prachtvoll, und die Besitzungen sind ausgedehnt und vortrefflich erhalten.«
»Ist es Fideicommiß oder Lehen?«
»Nein, es wurde vom Vater unseres Freundes erworben und durch viele Ankäufe arrondirt. Er hatte es zum Wittwensitze für die leider so früh verstorbene Gräfin Helfenberg bestimmt.«
»Da hast du, was dir paßt,« sagte Tondern, indem er sich lang ausstreckte. »Wer weiß, ob nicht drinnen in diesem Augenblicke dein Glück entschieden wird! Nun, ich gratulire dir zum Voraus und kenne keinen Neid; ich gönne dir die Herrschaft und bin mit circa fünfzigtausend Thalern zufrieden. Weniger kann er doch nicht für seine Freunde thun.«
»Ihr seid doch in der That entsetzlich ruchlose Menschen,« nahm Baron Breda das Wort, wobei die Stimme sehr ernsthaft klang, wenn auch auf seinen Zügen ein leichtes Lächeln erschien. »Ich möchte eigentlich wissen, was im Stande wäre, euch einmal in eine ernste Stimmung zu versetzen.«
»Dieses Mal muß ich für die Beiden, obgleich ungern, Partei nehmen,« sprach der vorbeischwirrende Legationsrath. »Wenn ich auch überhaupt nicht in Abrede stellen will, daß es in vielen Beziehungen ruchlose Menschen sind – sie sind selbst davon überzeugt – so muß ich doch zu ihrer Rechtfertigung sagen, daß diese Erbgelüste in der meisten Menschen Herzen existiren. Ich habe meine Eltern gewiß außerordentlich geliebt, aber ich erinnere mich noch ganz genau, daß ich mit einem jüngeren Bruder häufig Gemälde und Mobilien in Gedanken vertheilt habe, wie wir dachten, daß sie uns später einmal zufallen sollten.«
»Damals waret ihr Kinder und unzurechnungsfähig,« warf George von Breda leicht hin.
»Ja, freilich waren sie Kinder,« lachte Herr von Tondern, »aber um jenes Prädikat heim zu geben, in der That ruchlose Kinder, und jetzt begreife ich erst recht, warum du immer umherirrst wie der ewige Jude. Wahrhaftig, ich sehe klar und nehme meine Rede in Beziehung auf das Anwurzeln zurück – es ist dein böses Gewissen, das dich beständig ruhelos umher treibt.«
»Ich glaube, daß Tondern diesmal Recht hat,« meinte auch Baron Fremont nach einer kleinen Pause, in der man nur ein heiseres Lachen des Legationsrathes gehört; »wenigstens kann ich dir versichern, daß dieses nachtschmetterlingsartige Umherflattern für deine Nebenmenschen, die gezwungen sind, ihm zuzuschauen, etwas sehr Nervenangreifendes hat. – Aber genug davon, ich sehe unserem Freunde George an, daß ihn unsere Reden gewaltig ennuyiren. – Was Anderes denn! Du hast ja früher,« wandte er sich an Tondern, »bedeutend in der Rechtspflege herumgepfuscht und wirst wohl so viel davon behalten haben, um uns sagen zu können, was es mit so einem Testamente für eine Bewandtniß hat.«
»Das ist im Grunde sehr einfach,« versetzte der Gefragte. »Der Erblasser erklärt vor Gericht, vor einem Notar, Rechtsconsulenten oder sonstigen beeidigten Schreiber, er habe im Sinne, über sein Vermögen letztwillig zu verfügen, dasselbe an Den oder Den zu hinterlassen; darauf unterschreibt er, die Zeugen und der Beamte ebenfalls, man drückt sein Siegel bei, und somit ist die Sache abgemacht, und das Aktenstück wird bei Gericht deponirt.«
»Auf diese Art erfahren die Zeugen also,« forschte Fremont weiter, »über welches Vermögen verfügt wird und zu wessen Gunsten? Das kann zuweilen für die Betreffenden nicht uninteressant sein.«
»Es gibt fünf Formen von Testamenten,« fuhr Herr von Tondern mit wichtiger Miene fort, dem es angenehm schien, von seinen übrig gebliebenen Kenntnissen etwas Weniges zeigen zu können; »fünf Formen, die sich aber, um deine Bemerkung von so eben zu beantworten, eigentlich in drei Abtheilungen bringen lassen, – erstens und zweitens in die mündliche und schriftliche Form, bei welcher die Zeugen allerdings erfahren, was und wie testirt wird; drittens aber in die mystische, wo das Testament von dem Notar entweder selbst geschrieben oder beglaubigt wird, vom Erblasser unterschrieben, von eben demselben couvertirt und fest versiegelt, worauf dann die Zeugen nichts zu thun haben, als außen hin ihre respectiven Namen zu setzen.«
»Die mystische Form gefällt mir nicht,« entgegnete Baron Fremont, indem er die Oberlippe aufwarf und sich durch das Haar fuhr. »Da muß man Sachen unterschreiben, von denen man keine Kenntniß genommen hat. Ich finde das nicht angenehm und auch meiner Ansicht nach rechtlich unbegründet.« »Und es hat doch seine großen Vortheile für den Erblasser, ja, sogar für den Erben,« vernahm man aus dem Hintergrunde des Salons die Stimme des Legationsrathes. »Stell' dir zum Beispiel vor, Fremont, es wäre da ein reicher Mann, der vermachte unserem Tondern – um nur einen Namen zu nennen – wir wollen sagen, die fünfzigtausend Thaler, die er sich vorhin gewünscht; das weiß Tondern und lebt darauf hin, als wenn er die fünfzigtausend Thaler schon im Sack hätte; er glaubt ja, er werde sie einstens bekommen. Darauf geht es aber, wie unser verehrter Freund vorhin sagte: der Erlasser stirbt nämlich erst circa sechzig Jahre nach Abfassung des Testaments an Altersschwäche. Was dann? Da hätte sich der arme Tondern eine vergebliche Hoffnung gemacht und wahrscheinlich ein noch schlechteres Ende genommen, als ihm so schon bevorsteht.«
»Du bist unzurechnungsfähig,« versetzte mürrisch der, von dem eben die Rede war. »Deßhalb lasse ich dir auch deine Bemerkungen hingehen. Wenn du übrigens künftig wieder perorirst, so übe deine Beispiele an einem Anderen und nicht an mir.«
Baron von Breda war aufgestanden und hatte sich ans Fenster begeben, wo er in die immer noch stürmische Nacht hinausschaute. Hier und da war das Gewölk zerrissen und ließ einen bleichen Strahl des Mondes durchschimmern, phantastische Wolkenformen zeigend.
Jetzt öffnete sich die Thür des Kabinettes, und Graf Helfenberg kam von dort zurück, gefolgt von einem Herrn in schwarzem Frack, wobei derselbe eine steife weiße Halsbinde trug, welche das im gegenwärtigen Augenblicke sehr ernste und feierliche Gesicht einrahmte. Es war Herr Doktor Plager, der sich, die Feierlichkeit des Momentes und die vornehme Gesellschaft, in die er eintrat, vollkommen würdigend, nach einem sehr tiefen Bückling den vier Herren vorstellen ließ und sich dann nach einigem Zögern auf einen Stuhl setzte; und als er sich nun endlich niedergelassen, berührte er mit dem Rücken nicht die Lehne desselben, sondern saß mit dem starr emporgekämmten Haar gerade und aufrecht da – eine fast unheimliche Erscheinung, ein würdiger Träger oder selbst Repräsentant des wichtigen und ernsten Papieres, welches er in der Hand hatte.
»Die Herren, sämmtlich meine genauen Bekannten,« wandte sich Graf Helfenberg an den Rechtsconsulenten, »sind bereits von dem Dienste unterrichtet, den ich sie bat, mir zu leisten. Wie Sie sehen, sind es aber nur vier, und der Form des Gesetzes nach brauchen wir fünf Zeugen. Es ist mir recht fatal, daß Ihr Schreiber nicht mitgekommen ist.«
»Auch ich bedaure das unendlich,« entgegnete Herr Doktor Plager, wobei er sein Kinn in die weiße Halsbinde vergrub. »Herr Larioz wird untröstlich sein; aber er fand sich wirklich so unwohl, vollkommen fieberhaft, daß ich es für gewissenlos gehalten hätte, ihn in die kalte Nachtluft hinaus zu nöthigen.«
»Es thut mir doppelt leid, daß Don Larioz nicht gekommen ist,« sagte der Graf lächelnd und indem er fortfahrend sich an George von Breda wandte; »du hättest eine ganz interessante Bekanntschaft gemacht; ein spanischer Edelmann, der, Gott weiß, durch welche Schicksale, Schreiber bei meinem sehr ehrenwerthen Rechtsfreunde geworden.«
»Ein echter Spanier?« fragte Herr von Tondern.
Der Rechtsconsulent nickte ehrerbietig mit dem Kopfe, wobei er sich freundlich zu lächeln bemühte.
»Ein echter Spanier,« wiederholte der Graf, »unternehmend wie ein Andalusier und dabei stolz wie ein Castilianer. Ich weiß selbst nicht, warum, aber obgleich ich ihn Vormittags nur eine Stunde gesprochen, habe ich eine fast unbegreifliche Neigung zu ihm gefaßt.«
Bei diesen Worten warf er dem Rechtsconsulenten einen eigenthümlichen Blick zu, den dieser dadurch beantwortete, daß er sich leicht vornüberbeugte, die Augenlider herabfallen ließ und das wichtige Papier ein klein wenig gegen seine Brust erhob.
»Was nun den fünften Zeugen anbelangt,« fuhr der Graf nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, »so habe ich mir nicht anders zu helfen gewußt, als irgend einen Unbekannten zu pressen. Zufälliger Weise ist mein zweiter Kutscher krank und erhält gewöhnlich um diese Zeit« – er warf einen Blick auf die Uhr – »den Besuch des Arztes meiner Dienerschaft. Ein wackerer Mann, der Arzt nämlich, den ich schon lange selbst consultirt hätte, wenn ich es überhaupt noch der Mühe werth oder von irgend einem Nutzen hielte, über mich selbst zu sprechen.«
In diesem Augenblicke vernahm man im Kabinette, dessen Thür vorhin nicht geschlossen worden war, eine ziemlich laute Stimme, welche sagte: »Das kann ich Ihnen versichern, mein lieber Herr Kammerdiener – und Sie mögen meinen Worten glauben, wenn es Ihnen gut dünkt – der verschlimmerte Zustand unseres Patienten dahinten gestern Abend kam einzig und allein daher, daß er etwas gefressen – Sie werden mir im vorliegenden Falle erlauben, diesen Ausdruck zu gebrauchen – was er nicht hätte fressen sollen; ja, ich kann wahrhaftig es nicht anders nennen, denn das Factum steht fest: er hat sich den Magen überladen, item ist kränker geworden, und es hat etwas Kräftiges gebraucht, ihn wieder so weit zu bringen, wie wir ihn schon vor ein paar Tagen hatten. – Das habe ich Ihnen zur Vorsicht gesagt, mein lieber Herr Kammerdiener; denn Sie werden einsehen, daß Jemand da sein muß, der über dergleichen Patienten eine strenge Aufsicht führt. – So, jetzt bin ich mit der Geschichte fertig und bitte, Seiner Erlaucht zu melden, daß ich ganz zu seinen Diensten stehe.«
Nachdem die Stimme im Kabinette sich also hatte vernehmen lassen, erschien der Kammerdiener an der Thür des Salons und wollte die ihm aufgetragene Meldung machen, doch ließ ihn der Graf nicht zu Worte kommen, sondern rief ihm entgegen: »Wir wissen schon! Bitten Sie den Herrn Doktor, er möge gefälligst zu uns eintreten.«
Dies geschah denn auch augenblicklich, und unser Bekannter, Doktor Flecker, trat auch hier gerade so unbefangen und ungenirt ein, wie er dies bei dem Schneidermeister Schwörer oder der Frau Brenner gethan; ja, als er einige Schritte gegen die Gesellschaft gemacht und flüchtig mit dem Kopfe genickt, nahm er seinen Hut unter den linken Arm, zog mit der Rechten sein Taschentuch hervor und putzte mit demselben die Gläser seiner Brille, die von der Wärme in den Zimmern wiederholt angelaufen waren; dann setzte er dieselbe wieder ruhig auf seine Nase und erwiderte nun erst den freundlichen Gruß des Grafen mit einem etwas tieferen Kopfnicken, eine Bewegung, die er hierauf auch gegen die übrigen Herren machte, nachdem der Graf seinen und deren Namen genannt. Etwas erstaunte der Doktor, als er den Rechtsconsulenten in weißer Halsbinde erblicke; doch klopfte er ihm zur Begrüßung freundlich auf die Achseln und ließ sich dann bequem auf einen Lehnstuhl nieder, den der Kammerdiener hinter ihn gerollt.
»Es freut mich sehr, daß Sie meiner Bitte Folge gegeben,« sagte Graf Helfenberg zu dem Arzte. »Aber Sie werden sich wundern, lieber Herr Doktor, trotzdem im Augenblicke hier Niemand zu finden, der Ihnen die Hand zum Pulsfühlen entgegenstreckt. Bei mir verlohnt sich das nicht mehr der Mühe, und die Anderen sind kerngesund.«
»Aeußerlich ja,« murmelte der Legationsrath, der in der Diagonale des Zimmers eine Bahn wie ein Komet beschrieb. »Aeußerlich wohl, aber viel krankhafte Seelenzustände.«
Wofür ihm Tondern, hinter dessen Stuhle er das letzte Wort aussprach und stark betonte, einen geringschätzenden Blick zuwarf.
Der Armenarzt hatte sich mit einer sehr schnellen Neigung des Kopfes gegen den Grafen verbeugt und sagte dann launig: »Ich habe mir das denken können; jedes Geschöpf auf dieser Erde hat seinen bestimmten Rayon; der Vogel lebt in der Luft, der Fisch im Wasser, der Wurm in der Erde, der Armenarzt in dem vierten Stockwerk der Häuser oder in den Bedientenkammern. Und deßhalb sollte man, um in meinem Gleichniß fortzufahren, eigentlich ängstlich sein, das angewiesene Terrain zu verlassen; denn wenn Fisch und Vogel aus dem Wasser und der Luft in den ersten Stock einer menschlichen Wohnung gebracht werden, so geschieht das in der Regel nicht, um ihnen einen vergnügten Augenblick zu machen, sondern um sie aufzuspeisen. Sie werden mir zugeben, daß ich mich fast im gleichen Falle befinde, wogegen ich Ihnen aber bestens versichern will, daß ich ohne Furcht und mit großer Bereitwilligkeit erschienen bin. Eure Erlaucht haben über mich zu befehlen.«
»Der Doktor wird gewiß nicht erschrecken,« sprach Herr von Tondern mit einer gewissen protegirenden Miene, die er anderen Ständen gegenüber gern anzunehmen pflegte, »wenn er hört, um was es sich handelt. Wie Mancher glaubt, und wohl mit größerem Rechte, sein Testament machen zu müssen, wenn er den Arzt nahen sieht! Das geht meistens Hand in Hand.«
»Ja, es geht oftmals Hand in Hand, Herr von Tondern,« bemerkte achselzuckend der Doktor, »und obendrein erbt dabei ein gewissenhafter Arzt noch etwas, was ihm nicht mehr genommen werden kann – das Bewußtsein, seine Pflicht gethan zu haben. Das kann man nicht von jedem anderen Erben sagen.«
Graf Helfenberg schien nicht auf dieses Gespräch geachtet zu haben; er hatte die Augen mit der Hand bedeckt, und als er dieselbe jetzt wieder herabsinken ließ, sagte er: »So wollen wir an unser Geschäft gehen. – Ich glaube, ich muß das Wort nehmen?« wandte er sich mit einer höflichen Verbeugung an den Rechtsconsulenten.
Dieser nickte würdevoll mit dem Kopfe und erhob sich darauf von seinem Stuhle, um sich hinter denselben zu stellen, wobei er das verhängnißvolle Papier vor sich hielt.
Herr von Tondern zog die Augenbrauen etwas finster zusammen und flüsterte seinem Nachbar zu: »Den Worten des Grafen nach haben wir ein mystisches Testament zu erwarten.«
»Das wäre fatal!« entgegnete Baron Fremont, wobei er diesmal, da sich sein Gesicht unwillkürlich verlängerte, die untere Reihe seiner Zähne sehen ließ.
Graf Helfenberg war ebenfalls von seinem Stuhle aufgestanden und sprach: »Nachdem ich mich entschlossen, meinen letzten Willen aufzusetzen, habe ich denselben eigenhändig niedergeschrieben, diese meine Schrift von dem hier gegenwärtigen vereidigten Rechtsconsulenten, Herrn Doktor Plager, beglaubigen lassen, dann dieses Testament couvertirt und versiegelt und erkläre nun, daß man es als meinen letzten Willen betrachten und vollstrecken solle. Auch wünsche ich, daß es bei dem hiesigen Stadtgerichte deponirt werde, wo es dann nach meinem Tode zu finden sein wird.«
Bei diesen Worten war der Rechtsconsulent mit einem ernsten, fast traurigen Gesichte tief in seine Halsbinde hinabgetaucht, wodurch er vielleicht pantomimisch ein Untergehen in wehmüthigem Schmerze anzeigen wollte. Dann aber ließ er sein ganzes Gesicht wieder sehen, machte den Anwesenden eine tiefe Verbeugung und sagte: »Seine Erlaucht, der Herr Graf von Helfenberg, haben also nach seinem freien Willen testirt und haben sein Testament darauf vor meinen Augen verschlossen und versiegelt, und ich erlaube mir nun, die hochverehrten Herren, die als Zeugen anwesend sind, zu bitten, auf dieses Couvert ihre Namen und Insiegel beisetzen zu wollen.
»Es ist so, wie ich dir gesagt,« flüsterte Tondern abermals dem Baron Fremont zu, indem er sich bückte, als wolle er etwas aufheben, was ihm entfallen. »Es ist eigentlich verflucht das! Ich bin überzeugt, Helfenberg hat an uns gedacht; aber es wäre von großem Vortheil, mit seinem Ehrenworte versichern zu können, man habe dort einmal seine zehn- oder zwanzigtausend Thaler zu erwarten.«
Der Andere nickte kaum bemerkbar mit dem Kopfe, worauf er sich erhob, um an den Tisch zu treten und das Document mit seinem Namen zu versehen, zu welchem Ende ihm Baron Breda die Feder reichte.
Dann unterschrieb auch Herr von Tondern, hierauf der Legationsrath und zuletzt Doktor Flecker.
Als das wichtige Document somit in der vorgeschriebenen Form hergestellt war, nahm George von Breda es in die Hand, überreichte es dem Grafen, wobei er mit seiner tiefen Stimme, die aber in diesem Augenblicke etwas weicher klang, als gewöhnlich, sagte: »Wir haben das getreulich erfüllt, wozu du uns gebeten. Wenn ich mir aber hiermit erlaube, dieses Papier in deine Hände zu legen, so will ich dabei einen Wunsch aussprechen, dem gewiß alle, die hier versammelt sind, von Herzen beipflichten werden; das ist nämlich der Wunsch, daß du dich veranlaßt sehen mögest, dieses Papier in einigen Jahren vor uns wieder zu eröffnen und vor unseren Augen zu zerreißen. Wenn dieser Wunsch in Erfüllung geht, mein lieber Hugo, so soll dieser Moment für mich und gewiß für Alle einer der schönsten unseres Lebens sein.
Die Stimme des Barons zitterte fast, als er die letzten Worte sprach, und zu gleicher Zeit schlang er seinen Arm um den Hals des Freundes und drückte ihn fest und innig an sich, wobei der Contrast dieser beiden Gestalten schmerzlich anzusehen war.
»Für deinen guten Wunsch danke ich dir,« erwiderte der Graf nach einem augenblicklichen Stillschweigen mit trübem Lächeln. »Daß er aber nicht in Erfüllung gehen kann und wird, davon ist Niemand mehr überzeugt, als ich selbst, und wenn ihr meine Worte bestätigt haben wollt, so fragt dort unsern guten Doktor, der mich schon öfter forschend und mitleidig betrachtet hat. Und wo ein Arzt mitleidig schaut,« setzte er mit erzwungener Lustigkeit hinzu, »da ist für den Patienten nicht viel zu hoffen. – Wozu auch diese Hoffnungen, deren ich mich gänzlich entwöhnt habe! – Glaubt nicht,« fuhr er weicher fort, »daß ich vor euch den starken Geist spielen will, glaubt auch nicht, daß es übergroßer Leichtsinn ist, der mich das Kostbarste, was der Mensch besitzt, anscheinend gleichgültig dahin schwinden sehen läßt. Ich will euch nicht sprechen von den furchtbaren Kämpfen, die ich durchgemacht; aber glaubt meinen Worten, ich habe sie durchgemacht. – Sie liegen nun vollends hinter mir,« fügte er nach einer Pause bei und hob das Testament in die Höhe. »Jetzt will ich heiter in die Zukunft blicken.«
Die Freunde nahten sich der Reihe nach dem Fauteuil des Kranken und drückten ihm schweigend die Hand; auch der Legationsrath flatterte herbei, beugte sich auf den Grafen nieder, und als er ihn dann leicht auf die Stirn geküßt, eilte er mit raschen Schritten wieder nach einer dunkeln Ecke des Zimmers.
»Amen! Amen!« sagte der Armenarzt so leise, daß Niemand es verstand, als vielleicht der Rechtsconsulent, der dicht an seiner Seite war. In der That hatte der Doktor den kranken jungen Mann lange forschend und auch mitleidig betrachtet, was George von Breda ebenfalls nicht entgangen war, weßhalb dieser sein glänzendes Auge fragend auf den Arzt richtete, der, diese Frage verstehend, leicht mit den Achseln zuckte.
Eine allgemeine Unterhaltung wollte übrigens nach dem eben vollzogenen Akte nicht mehr so recht in Gang kommen; auch lehnte der Graf sich ziemlich theilnahmlos, wie ermüdet, in seinen Fauteuil, weßhalb die Anwesenden sich anschickten, den Salon zu verlassen. Dabei war es bemerkenswerth, daß sich Herr von Tondern und Baron Fremont dem Rechtsconsulenten anschlossen und Fremont sich sogar anbot, ihn in seinem Wagen nach Hause zu führen, was denn auch Doktor Plager nach einiger Weigerung annahm.
Als der Armenarzt sich von dem Grafen verabschiedete, sagte der letztere: »Es stürmt und regnet draußen, lieber Doktor. Darf ich Sie nach Hause oder sonst wo hin bringen lassen?«
»Ich bin das schlechte Wetter gewohnt, Erlaucht,« erwiderte der Arzt jedoch, »und führe deßhalb meine nothwendige Equipage, Regenschirm, Ueberschuhe und Paletot, beständig bei mir; auch würde es meine armen Patienten erschrecken, wenn ich so auf einmal im Wagen bei ihnen vorführe. Deßhalb danke ich herzlich für das freundliche Anerbieten.«
»Aber ich sehe Sie nicht zum – letzten Mal, lieber Doktor? Sie kommen ja häufig ins Haus. Lassen Sie sich doch hin und wieder bei mir sehen. Ach! ich habe manche höchst langweilige Stunden! Doch vergesse ich,« setzte er lächelnd hinzu, während er gegen den Scheidenden die Hand empor hob, »daß anderer Leute Zeit kostbarer ist, als die meinige. – Und doch wieder nicht,« murmelte er in sich hinein, und biß darauf die Zähne fest auf einander.
Auch der Legationsrath war nach Hause gegangen und Niemand mehr bei dem Kranken zurückgeblieben als George von Breda, der am Kamin lehnte und mit dem Stiefel gegen ein verglimmtes Stück Holz stieß.
»Es ist lieb von dir, daß du noch einen Augenblick bleibst,« sagte der Graf nach einem längeren Stillschweigen. »Aber opfere mir nicht zu viel von deiner Zeit; bei mir ist es still und einsam, bei dir zu Hause ungleich behaglicher. »Apropos, fuhr er rasch fort, ehe der Andere etwas entgegnen konnte, »wie gefällt sich deine Nichte in eurem Hause?«
»Du kennst sie?« fragte der Baron gleichgültig.
»Ich habe sie einmal flüchtig gesehen – ein sehr schönes Mädchen.«
»Und ein gutes Kind. Ihr frischer, heiterer Sinn belebt mein Haus auf die angenehmste Art.«
»Das kann ich mir denken, du Glücklicher!« entgegnete der Graf, während er den Kopf tiefer auf die Brust hinab senkte. »So eine frische Stimme thut wohl, ein so herzliches, liebes Lachen. O, das könnte auch ich brauchen hier in meinem öden Steinhaufen.«
George von Breda blickte theilnehmend und aufs innigste mitfühlend auf den armen Freund, dessen Gesicht er nicht sehen konnte. Ja, es mußte öde und still in dem gewaltigen Palaste sein, und diese Oede um so schrecklicher und fühlbarer, da sie gewiß häufig, ach, sehr häufig von furchtbaren und finsteren Gedanken und Phantasieen bevölkert war! War es ihm doch in seinem mitfühlenden Herzen zu Muthe, als sähe er sie aus den dunklen Ecken des Salons furienartig heran schweben und auf die Brust des armen Kranken niederfallen. – Es war das ein schreckliches Geschick, so jung, so reich, mit allen Ansprüchen an das Leben und mit allen Mitteln, diesen Ansprüchen zu genügen, da zu liegen elend, schwach, zusammengesunken, vor sich das verhängnißvolle Document mit den fünf Siegeln.
Es war, als ob den Grafen selbst im gleichen Augenblicke dieselben furchtbaren Gedanken quälten; denn er fuhr mit einem tiefen, schneidenden Seufzer in die Höhe, preßte die Hand vor die Stirn und sagte, während er mühsam athmete: »Ja, diese Oede und Stille bringt mich noch zur Verzweiflung. Wie ich oft nach menschlichen Stimmen schmachte, nach fröhlichem Lachen, davon hast du keinen Begriff. Und dieses Regenwetter! Dieses melancholische Klatschen der Tropfen an die Scheiben regt mir die Nerven fürchterlich auf. – – Ach, nur noch einen Frühling möchte ich erleben!« sprach er alsdann mit gefalteten Händen und unendlich weichem Tone der Stimme, »ach, nur noch einen letzten Frühling mit seinem frischen Grün, mit Gräsern und Kräutern, mit Blüthen und Blumenduft! Nur noch einen einzigen – einen einzigen! Daß ich meinen geliebten Wald wieder sähe, ja meinen geliebten Wald, und im Grün und Sonnenglanz sie – ja sie, deren Namen ich nie nennen darf, meinen einzigen Trost, denn sie umschwebt mich lächelnd, eine himmlische Fee.«
Diesen Worten hörte der Baron tief erschüttert zu. Schon einige Mal hatte Hugo von Helfenberg so gesprochen und auf ein Wesen angespielt, das er unsäglich lieben mußte und wodurch seine Leiden noch qualvoller, ja oft wahrhaft entsetzlich wurden. Einen Namen oder eine nähere Bezeichnung hatte er dem Freunde nie mitgetheilt, und begreiflicher Weise war dieser zu diskret, um danach zu forschen, um so mehr, da der Kranke es zu lieben schien, wenn man dergleichen Aeußerungen, die sich zuweilen unwillkürlich seinem Herzen entrangen, für Phantasieen und Träumereien nahm. Deßhalb antwortete ihm auch George von Breda: »Du solltest dich von deinen Bekannten nicht so zurück ziehen. Geh doch mehr in die Häuser, wo man dich so gern sieht und wo man sich ein Vergnügen daraus machen wird, dich zu unterhalten. Ich muß dir beistimmen, dein zurückgezogenes Leben hier in dem großen Palaste muß in der That oft unerträglich sein. Noch heute Abend sprach auch meine Frau darüber, ja, ich kann dir versichern, aufs liebreichste und freundlichste; sie bat mich, dir zu sagen, es würde ihr das größte Vergnügen machen, wenn du unser Haus vollkommen als das deinige ansehen wolltest. Und daß du mir den größten Gefallen damit thätest, brauche ich dir wohl nicht zu sagen. Wir alle wissen, wie sehr du das Grün der Bäume und milde Luft liebst. Nun gut, gerade das kannst du bei mir haben; laß dich jeden Tag zu mir hinaus fahren, geh in meinen Wintergarten, ruhe dort aus, spaziere umher, lies, rauch' deine Cigarre, mit einem Wort: thue, was du willst. Bist du es alsdann müde, allein zu sein, so werde ich dich unterhalten; willst du eine Partie Whist machen, so ist meine Frau da oder auch Eugenie; und darauf kannst du dich verlassen, Beiden wird es das größte Vergnügen machen, dir auch sonst die Zeit zu vertreiben.«
Der Graf hatte die Hände auf seinen Knieen gefaltet, als der Andere so sprach, und um seine feinen bleichen Lippen spielte momentan ein freundliches Lächeln; aber nur wenige Sekunden, dann war es, als schüttle ein Frost seinen ganzen Körper, er wischte mit der Rechten heftig über die Stirn, wie um einen Gedanken zu verjagen, und sagte alsdann im Tone tiefen Leidens: »Du malst mir da ein Leben aus, guter George, das mich glücklich machen könnte, wenn es ausführbar wäre, das mich aber so zur Verzweiflung treiben könnte. – O, sprich nicht mehr davon, du weißt, ich will mich vor den Menschen nicht mehr sehen lassen. Selbst das ehrlichste Mitleid thut mir wehe, ja, am wehesten gerade, weil es ehrlich ist. Ich will nicht in der Erinnerung derjenigen, die ich hochschätze, die ich verehre, als die Gestalt fortleben, die ich heute bin, nein, nein! Sondern wenn man später von Graf Hugo Helfenberg spricht, so soll man sich mein Bild bewahren, wie es noch vor wenig Jahren war. – Es ist das, wenn du willst, eine Eitelkeit, vielleicht verwerflich, weil sie über das Grab hinausreicht, aber – am Rande desselben am Ende auch verzeihlich.« – –
Es trat eine Pause ein, die wohl für Beide ziemlich peinlich war. Die Uhr spielte ihren gleichförmigen Takt, und dabei dachte der Graf, der ihr aufmerksam zuhörte und das Geräusch, welches sie machte, mit dem Schlage seines Herzens in Einklang zu bringen versuchte: Das elende Ding wird fortpicken, unverdrossen und thätig, wenn sich hier in meiner Brust schon längst nichts mehr rührt, wenn fremde Menschen in diesen Sälen auf und ab gehen und gleichgültig, ohne an den früheren Besitzer zu denken, dasselbe Zifferblatt betrachten, auf welchem jetzt meine Augen ruhen. –
Zwischen hinein jagte zuweilen der Wind sausend den Regen an die Fensterscheiben, und wenn das geschah, so blickte George von Breda fast erschrocken, fast schaudernd auf die zusammengesunkene Gestalt seines Freundes und betrachtete mit scheuem Blick all' den Comfort rings umher, den ganzen behaglichen Salon, das strahlende Licht der Lampen, das freundliche Flackern des Kaminfeuers, und dachte dabei an die Zukunft – an die nahe feuchte Erde draußen.
»Doch wozu diese trüben Gedanken und Träumereien!« rief der Graf endlich, indem er sich empor raffte; »warum sich die eilenden Tage und Stunden selbst verbittern! Für dein freundliches Anerbieten, lieber George, bin ich dir wahrhaftig dankbar, und meine Gründe, warum ich es in dem Umfange, wie du es wünschest, nicht annehmen kann, werden dir gewiß einleuchten. Ja, ich will dir einen kleinen Beweis geben,« setzte er lächelnd hinzu, »welche Anhänglichkeit ich an dein Haus habe. Ich bin zu aufgeregt, um jetzt in Stunden schlafen zu können; eine kleine Zerstreuung wird mir wohl thun. Gib mir einen Platz in deinem Wagen; ich fahre mit dir nach Hause, wir promeniren eine halbe Stunde in deinem Wintergarten – o, das wird mir gut thun, und ich werde darauf vortrefflich schlafen. – Ja, sieh mich nur erstaunt an, es ist mein vollkommener Ernst, vorausgesetzt, daß wir deine Damen nicht beunruhigen und stören.«
Auf dem Gesichte des Barons hatte sich bei diesem Vorschlage wirklich etwas wie Verwunderung gezeigt. Und nicht ohne Grund; es war fast zehn Uhr und das kalte stürmische Wetter draußen sonderbar gewählt zum Spazierenfahren. Da er aber sah, wie sich der Kranke ziemlich lebhaft erhob, ihm zunickte und darauf sprach: »Ja, es ist mein vollkommener Ernst;« und wie sich alsdann seine Züge etwas verdüsterten, als er den forschenden Blick des Freundes sah, so reichte ihm dieser eifrig die Hand dar und beeilte sich, ihm zu sagen: »Du wirst wohl glauben, Hugo, daß, wenn ich nicht augenblicklich meine Freude über deinen Entschluß kund gab, der Grund davon nur in der späten Stunde und in dem Wetter liegt, das draußen herrscht.«
»Das Wetter macht mir nichts,« entgegnete der Andere; »aber was die Stunde anbelangt, so könnte es für dich zu spät sein, oder müßte ich vielleicht befürchten, deine Damen zu belästigen?«
»Gewiß Keines von Beiden, Hugo; meine Frau wird sich schon zurückgezogen haben.«
»Was ich als bestimmt voraussetzte,« fiel der Graf ein.
Der Baron nickte mit dem Kopfe und fuhr fort: »Und diesen Abend habe ich ganz dir gewidmet, und je länger ich in deiner Gesellschaft bin, um so lieber ist es mir. Gehen wir also, wenn es dir recht ist.«
»Ja, ja, gehen wir,« wiederholte eifrig der Kranke, wobei er an der Klingelschnur zog und so seinen Kammerdiener herbei rief. Er trieb ihn an, ihm eilig einen warmen Paletot zu geben, nahm selbst von einem Nebentischchen Handschuhe und Hut, kurz, war von einer so aufgeregten Geschäftigkeit, daß ihn der Baron kopfschüttelnd mit den Augen verfolgte.
»Soll ich mir einen Wagen zu dir hinaus bestellen?« fragte der Kranke, »oder bringt mich dein Kutscher nach Hause?«
»Wie du willst, aber ich denke, du bedienst dich auch zum Zurückfahren meines Coupé's. Ich begleite dich.«
»Gut, wenn es dir recht ist, das heißt, was dein Coupé anbelangt. Ich danke herzlich für Alles.«
Damit verließen die Beiden das Zimmer, der Graf auf seinen Stock gestützt, aber lebhafter und aufrechter gehend, als er den ganzen Abend gethan, so daß ihm der Kammerdiener erstaunt folgte, verwundert sowohl über diese Lebhaftigkeit, wie auch über die Idee, so spät am Abend und bei dem Wetter noch auszufahren.