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Als sich Herr Larioz auf der Straße befand und eben den Weg nach Hause einschlagen wollte, bemerkte er auf dem Zifferblatte des gegenüber liegenden Kirchthurms, daß es bereits halb Zwei und somit zu spät zu seinem Mittagsmahle sei, welches um diese Zeit schon dem Tiger zur Beute gefallen war. Als außerordentlich pünktlicher Mensch, der sich höchst selten auch nur die kleinste Abschweifung von der Regel erlaubte, hatte er der alten Magd ein- für allemal befohlen, sein Mittagessen bis ein Viertel nach Eins bereit zu halten, wenn er aber um diese Zeit nicht da sein sollte, anderweitig darüber zu verfügen. Nun war er allerdings wohl ein paar Mal mehrere Minuten nach Eins nach Hause gekommen, und da hatte er dann aus den Blicken des Tigers gesehen, daß derselbe schon im Begriffe gewesen, über das, was er als sein Eigenthum ansah, jetzt herzufallen; in solchen Momenten hatte es dann dem Schreiber sehr leid gethan, den Tiger verscheuchen zu müssen, und er hatte sich nicht halb satt gegessen, um auch der alten Magd noch etwas zukommen zu lassen. Heute aber lächelte er wahrhaft vergnügt in sich hinein, als er nun wiederholt auf das Zifferblatt blickte und sich daran erinnerte, daß jetzt Gottschalk und der Tiger vereint am Tische säßen, und der letztere unter vielen guten Lehren für den jungen Menschen, in dem so unverhofft ihnen zu Theil gewordenen Mittagsmahle schwelgten.
Schon war Don Larioz im Begriffe, die Burggasse zu verlassen, sich nach der Schreibstube zu begeben und dort vermittels eines Stückes Brod sein Diner einigermaßen zu ersetzen, um auf diese Art die verplauderte Zeit wieder herein zu bringen, als ihm – er befand sich gerade vor einer Kneipe, welche sich als der Reibstein auswies – ein vaterländisches Sprichwort einfiel:
Por oir misa y dar cebada
No si pierde la jornada,
Welches auf Deutsch ungefähr heißt: Mit Messehören und ordentlich Füttern ist keine Zeit verloren, weßhalb er denn auch von der Straße abschwenkte und in die Gaststube trat, wo er einen gedeckten Tisch fand, an dessen einem Ende sich ein halb Dutzend jüngerer und älterer Leute befanden, die mit den Resten ihres Mittagsmahls beschäftigt waren.
Das Gemach, welches zum Wirthszimmer diente, hatte, wie Herr Larioz schon bei seinem Eintritt in die Burggasse von außen gesehen, eine dunkle Holzdecke, braune, lederfarbene Tapeten, und alle Möbel, Tische, Stühle, Bänke, waren auf alterthümliche Art grob aus Holz gearbeitet. In den Fenstern schienen hier und da bunte gemalte Gläser eingesetzt, und auf einigen Brettern, die längs der einen Wand liefen, sah man Krüge von seltenen Formen.
Der Schreiber setzte sich an einen Tisch in der Ecke, da er nicht wußte, ob es den Anderen nicht vielleicht unangenehm sei, wenn sich ein Fremder zu ihrem gemeinschaftlichen Mittagsmahle dränge. Er schien auch mit dieser Voraussetzung nicht ganz Unrecht zu haben; denn kaum hatte er sich nach dem Wirth oder einem Kellner umgesehen, so erschien einer der letzteren, ein sehr mageres, dürftiges Wesen – er schwebte mehr, als er ging – und versicherte dem Eingetretenen, während er mit großer Behendigkeit einen Teller mittels der Serviette reinigte, der Herr habe sich geirrt und sei in die falsche Stube gerathen. – »Hier,« sagte der Kellner mit ungemeiner Wichtigkeit, wobei er den rechten Fuß so graziös vorsetzte, daß nur dessen Spitze den Boden berührte, »hier ist ein Künstler-Club, wo nur die Mitglieder und eingeladene Fremde den Zutritt haben.«
Als er das gesagt hatte, spitzte er seinen Mund, schloß die Augen fast zu und unterbrach sich für einen Moment in seiner Arbeit des Tellerabwischens, aber nicht in der Art, wie ein anderer Mensch sich in einer ähnlichen Arbeit unterbrechen würde, indem er beide Hände ruhen ließe, nein, der dürre und lebhafte Kellner fuhr während dieses Stillstandes mit der rechten Hand, in der sich der Teller befand, auf seinen Rücken, während er die Serviette in der Linken mit einer unnachahmlich graziösen Bewegung über die Schulter warf und dann die fünf freigewordenen Finger dazu benutzte, durch sein struppiges Haar zu fahren, welches wie die Stacheln eines Igels in die Höhe stand.
Als höflicher Mann bedankte sich Herr Larioz für diese Auskunft, nahm seinen Hut und war im Begriffe, zu gehen, als sich vom oberen Ende des Tisches eine Baßstimme vernehmlich machte, welche zu dem leichtfüßigen Kellner sprach: »Windspiel, wir haben dir schon mehr als einmal zu erkennen gegeben, daß es uns durchaus nicht unangenehm ist, ausgezeichnete Fremde in unserem Clubzimmer zu sehen. Nimm also den Hut jenes Herrn und ersuche ihn, falls er zu Mittag zu speisen wünscht, es sich an unserem Tische bequem zu machen.«
Der Ton dieser Stimme hatte, abgesehen von den freundlichen Worten, etwas Wohlthuendes für den Spanier; es war eine klangvolle, sonore Stimme, wie sie in den ehemaligen, leider fernab liegenden Zeiten wohl biederen Rittern, oder alten treuen Knappen zu eigen gewesen, und wie sie nothwendig war, wenn einer derselben zu dem Fremdlinge, der an das Burgthor kam, sprach: »Tretet ein, ehrwürdiger Wandersmann, Ihr seid hungrig und müde, sättiget Euch mit Speise und Trank und streckt Eure Glieder auf dieses weiche Bärenfell.«
Deßhalb verneigte sich der Schreiber auch gegen den Sprechenden, überließ dem hüpfenden Kellner seinen Hut, der diensteifrig mit der Serviette – den Teller hatte er auf den Tisch gestellt – über den feuchten Filz fuhr, und trat dann zum Tische, wo er sich mit freundlichen Worten für die Zuvorkommenheit bedankte, mit der man ihn hier in die geschlossene Gesellschaft aufgenommen. Herr Larioz that das mit seinem gewöhnlichen feierlichen, wir müssen fast sagen: seltsamen Wesen, welches nicht ermangelte, schon im ersten Augenblicke die Aufmerksamkeit der hier versammelten Künstler auf seine Person zu lenken.
Der mit der Baßstimme, wohl der älteste der hier Anwesenden, war ein Kupferstecher, und wenn er sprach, so machte er mit dem Messer, das er in der Hand hielt, Bewegungen, als führe er den Grabstichel. – Ohne gerade neugierig sein zu wollen, so sagte er im Verlaufe des Gesprächs, während Herr Larioz seine Suppe verzehrte, erkundige er sich, was den Fremden bei diesem Hundewetter in einen vom gewöhnlichen Verkehr so entlegenen Stadttheil verschlagen, und frage, ob er in ihm vielleicht einen Kunstgenossen verehren dürfe.
Das Letztere verneinte der Schreiber, wobei er lächelnd sagte: so sehr er auch die Kunst hochschätze, so habe ihn dieselbe doch nicht gewürdigt, ihre Geheimnisse vor ihm aufzuthun; sein Gang hieher aber betreffe ein kleines Privatgeschäft, das er mit den Gebrüdern Breiberg abzumachen gehabt.
Der Träger der Baßstimme hatte ein etwas stark geröthetes Gesicht, so viel man vor dem kolossalen, überall wuchernden Bartwerke sehen konnte, kleine angenehme Augen, und auf seinen Zügen lagerte ein Ausdruck der Gutmüthigkeit. Als der Andere aber den Namen Breiberg nannte, zog er die Augenbrauen zusammen und schüttelte mit dem Kopfe.
»Es geht mich nichts an,« sagte er alsdann, »welcher Art Ihre Privatgeschäfte mit den Herren Gebrüdern Breiberg sind; wenn Sie aber dieselben nicht genau kennen, so rathe ich Ihnen, nehmen Sie sich in Acht bei jedem Verkehr, den Sie mit den Beiden haben. Das sind ein paar eigene Gesellen, denen jedes Mittel recht ist, um zu Geld zu kommen.«
»Eine wahre Mörderhöhle für arme Künstler,« sprach ein jüngerer Mann, der neben dem Kupferstecher saß. »Sie kaufen Bilder von Leuten, die sich in Noth befinden, und nicht nur kaufen sie das Werk selbst, sondern auch den Ruhm, es gemacht zu haben. Denn wenn es einmal ihr Eigenthum ist, so geben sie es für ihre Arbeit aus und sind so zu unverdientem Renommee gekommen.«
Es schmerzte den Schreiber, daß er Kunstgenossen also hart über einander urtheilen hörte, und er entgegnete deßhalb nach einer Pause: er müsse allerdings zugestehen, daß ihm Herr Jean Baptist Breiberg etwas rauh und abstoßend vorgekommen sei, Herr Clemens dagegen habe ihn auf die freundlichste Art empfangen, und er sei mit einem guten Eindruck von demselben gegangen.
Auf das hin zuckte der Kupferstecher mit den Achseln und meinte: Herr Clemens sei der Schlimmste von Beiden. »Jean Baptist ist freilich ein grober Geselle,« sagte er, »dagegen derjenige von ihnen, der noch etwas zu leisten im Stande ist.«
Larioz hätte das Gespräch können fallen lassen, doch war es ihm interessant, etwas zu vernehmen über jenes Haus, welches einen Schatz in sich verbarg, der ihm seit einer Stunde, er wußte selbst nicht, wie, so unendlich theuer geworden war. Nachdem er also einige Augenblicke absichtlich geschwiegen, um kein allzu großes Interesse zu verrathen, warf er anscheinend gleichgültig die Frage hin, ob vielleicht einer der beiden Gebrüder Breiberg verheirathet sei.
Der Kupferstecher schüttelte mit dem Kopfe, und auch die übrige Gesellschaft verneinte diese Frage mit Worten und Geberden.
»In dem Hause ist nichts Weibliches, als eine alte Magd,« bemerkte ein junger Mann mit langen blonden Haaren, der einen grünen Sammtrock trug und nicht weit von dem Schreiber saß.
»Dem muß ich mir zu widersprechen erlauben,« versetzte dieser lächelnd. »Durch Zufall sah ich droben eine junge Dame, von der ich gestehen muß, daß sie außerordentlich schön ist.«
»Vielleicht eine, die das Unglück hat, an Breiberg für ein Portrait empfohlen zu sein. Glück haben diese Beiden allerdings, und wer sie in guten Kreisen empfiehlt, das mag der Himmel wissen.«
»Ich glaube nicht,« sprach der Spanier, »daß die Dame, welche ich gesehen, sich dort befand, um ein Portrait von sich machen zu lassen; sie hatte ein eigenthümliches Costüm an und befand sich auch in einer Stellung, die sich nicht gerade zum Portrait einer Dame eignen würde.«
»Ah, so war es ein Modell!« versetzte der Kupferstecher. »Und in der That schön?«
Herr Larioz nickte mit dem Kopfe und erwiderte, ohne aufzuschauen, denn er fürchtete, man möchte auf seinem Gesichte eine Bewegung wahrnehmen: »Ja, sie war in der That außerordentlich schön.«
»Wer kann denn das sein?« fuhr der Andere fort, indem er im Kreise umher sah. »Sollte es die Katharine sein oder der Stöpsel? – War die Dame schwarz?«
»Ja, sie hatte schwarzes Haar.«
»So könnte es die Katharine sein,« meinte der mit dem grünen Sammtrock. »Doch ist das nicht möglich, denn ich sah sie vor einer halben Stunde auf der Straße.«
»War Ihre Dame untersetzt und sehr stark, was man eigentlich dick nennen könnte?« forschte lächelnd der Kupferstecher weiter.
»Im Gegentheil,« erwiderte Herr Larioz begeistert, »sie war schlank und vom schönsten Ebenmaß der Glieder.«
»Dann war es auch nicht der Stöpsel,« bemerkte der Frager, »denn obgleich der Stöpsel in der That ein schönes Gesicht hat, so ist er doch auffallend klein und dick.«
Es, hätte dem Schreiber wirklich weh gethan, wenn die Dame, die einen so gewaltigen Eindruck auf sein Herz gemacht, den Beinamen »der Stöpsel« gehabt hätte. Aber die konnte es nicht sein, denn er erinnerte sich zu lebhaft und genau der langen und feinen Taille, der in allen Verhältnissen so schönen und edlen Gestalt.
»Das weiß der Teufel,« begann der Kupferstecher nach einem längeren Stillschweigen wieder, während dessen er einen tüchtigen Zug aus seinem Bierglase gethan und den Deckel schallend zugeklappt hatte. »Diese Kerls haben immer was Apartes. Wer weiß, wo sie irgend ein schönes Mädchen aufgegabelt und es nun begreiflicherweise vor allen anderen Menschen verborgen bei sich halten. Mich dauert nur so ein armes Ding, welches denen in die Klauen fällt. Man sollte eigentlich dahinter kommen.«
»Ja, das sollte man allerdings,« entgegnete rasch der Schreiber, dem jedes Wort, welches der Andere so eben gesprochen, ein Dolchstoß gewesen war. Seiner ohnehin erhitzten Phantasie erschienen Gespenstern gleich augenblicklich die Bilder schwerer Unthaten – Raub, gewaltsame Entführung, schrecklicher Zwang, Knechtschaft in Ketten und Banden, am Ende Mord und ewiges Verschwinden. Jetzt erinnerte er sich auch, wie ihm gleich von Anfang an das Haus der Gebrüder Breiberg so geheimnißvoll, ja, fast unheimlich erschienen war; an der Hausthür die Begegnung mit dem jungen blassen Mädchen und dem guten ehrwürdigen Manne; dann die finsteren Treppen, die Kisten und Fässer auf den Ruheplätzen derselben, der alte Ritterhelm mit den zerzausten Straußenfedern, ja, die rothen Hosen – alles das kam ihm jetzt doppelt unheimlich vor, dazu der barsche Jean Baptist, dem die Bosheit aus den Augen leuchtete, und neben ihm sein heuchlerischer Bruder – es waren in der That vollkommene Bilder für eine Mörderhöhle. Der Eine, der die unglücklichen Opfer mit sanften Worten an sich zog, der Andere, der sie fesselte und erdolchte. O, es überlief ihn heiß, wenn er dabei an die schönen, edlen Züge des jungen Mädchens dachte, das sich vielleicht gerade jetzt unter den rohen Fäusten dieser beiden Elenden wand, dessen zuckende Lippen um Schonung und Gnade baten, und das mit den schönen glänzenden Augen vielleicht eben verzweiflungsvoll nach der Thür blickte, ob nicht dort ein Retter erscheinen werde, – ein Retter, so träumte er weiter, in der Gestalt jenes großen Mannes, den sie heute Morgen gesehen und der nun gewaltsam die Thür des Gemaches einstieß, der– Gott und San Jago! rufend, nun mit gezogenem Schwert hereinstürzte und die Beiden niederwarf.
Leider war Don Larioz nicht im Stande, diesen ritterlichen Gedanken nachzuhängen, ohne dieselben auf seinem Gesichte reflectiren zu lassen und so denen, die ihn ansahen, einigermaßen Kenntniß von den Stürmen in seinem Innern zu geben. So auch jetzt, denn sein Auge flammte, seine bleichen Wangen rötheten sich, und um die fest verschlossenen Lippen spielte es wie Trotz und Kampfesmuth. Dabei hatte er sein Messer hastig empor genommen, doch nicht so, als wolle er es zum friedlichen Zerschneiden des vor ihm stehenden Rindfleisches benutzen.
Nun waren aber die Gesinnungen der lustigen Maler rings umher nicht von der Art, um eine so seltene Erscheinung, wie die des langen Mannes mit dem so auffallend aufgedrehten Schnurrbarte, nicht alsbald zum Gegenstände einer allgemeinen Unterhaltung zu machen. Wenn auch vielleicht der Kupferstecher aus der Erzählung des Fremden irgend etwas heraus zu finden hoffte, wodurch man vielleicht im Stande sein könnte, den Gebrüdern Breiberg, die er wirklich haßte, irgend einen Schabernack zu spielen, so entging ihm doch nicht das exaltirte Wesen des neuen Tischgenossen; und wenn ihm die Erzählung von dem wunderschönen Mädchen, das sich da drüben bei den Malern aufhalten sollte, etwas fabelhaft vorkam, so war am Ende doch genug Wahrheit darin, um vielleicht auf die eine oder die andere Art Stoff zu irgend einer heiteren Geschichte zu geben.
Auch die Uebrigen, die sich an der Mittagstafel befanden, hatten den Eingetretenen ihrer besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt. Einigen war es, als müßte ihnen dieses Gesicht und diese außergewöhnliche Gestalt schon im Leben begegnet sein, oder als hätten sie dieselbe auf einem Bilde gesehen. Ein paar Andere aber nahmen unvermerkt ihre Skizzen-Bücher hervor und zeichneten heimlicher Weise den langen Mann.
Doch war es bei alledem nicht ein Gefühl der Lächerlichkeit, welches Don Larioz einflößte, wenn er sich auffallend, ja, vielleicht komisch auffallend, in jeder gewöhnlichen Umgebung ausnahm; schien doch er es nicht selbst zu sein, der diesen eigenthümlichen, sonderbaren Eindruck hervorbrachte, sondern es war, als gehörten er und die Heutige Welt, in welcher er sich bewegte, zwei verschiedenen Jahrhunderten an.
Der leichtfüßige Kellner, der, nebenbei gesagt, ein sehr poetisches Gemüth war – er las, was von neuen Romanen und Gedichten erschien, sang Kückens Lieder zu einer verstimmten Guitarre mit sehr viel Seele und Gefühl, – empfand eine besondere Verehrung für den langen Mann, und das zwar schon nach dem ersten Blicke, den er auf ihn geworfen, nach dem ersten Worte, das er mit ihm gesprochen. Windspiel vergaß seine sonst so flinke Bedienung und stand, die Serviette auf dem linken Arm, in der Rechten einen Teller bereit haltend, wie ein dienender Knappe hinter dem Stuhle des ernsten Fremden.
Der Kupferstecher wischte sich den dicken Bart, nachdem er sein Glas leer getrunken, dann schlug er etwas heftig auf den Tisch, ließ seine Augen mit einem leichten Zwinkern über die Versammlung rings umher gleiten und sagte mit dumpferer Stimme als bisher: »Ja, die Welt liegt im Argen, und in der Burggasse können sich Dinge begeben, von denen ein heiterer Bewohner des Rosenmarktes zum Beispiel gar keine Idee hat.«
Dabei händigte er seinen Krug dem Kellner ein, der nur widerstrebend herbei hüpfte, und ließ sich einen neuen, schäumenden Schoppen geben.
Es war wohl ein Wetter zum festen Beieinandersitzen und zum beharrlichen Trinken. Regen und Schnee schlug an die Fensterscheiben, und der Wind, der zuweilen heulend um die Ecke des Hauses herum fuhr, machte überall den vergeblichen Versuch, herein zu dringen, rüttelte an den Scheinen, pfiff durch das Schlüsselloch der Hausthür und hob sich, unten überall Widerstand findend, hoch auf das Dach, wo er gegen die Ziegel kämmte und in den Schornstein hinab heulte.
»Füllt eure Gläser, meine Freunde!« sagte hierauf der Kupferstecher, indem er im Tone der Stimme und in seiner Haltung etwas von der Gravität des langen Mannes anzunehmen versuchte. – »Füllt eure Gläser und thut mir Bescheid auf das Wohlergehen eines werthen Fremden, der unter uns eingetreten ist, der – ich kann es wohl gestehen – meine Sympathie erweckt hat und der sich selbst, wie ich hoffe, nicht unheimlich in unserem Kreise fühlen wird. – Darf ich um Ihren werthen Namen bitten?« wandte er sich hierauf mit einer sehr ehrerbietigen Neigung des Kopfes an den langen Schreiber.
Dieser hatte, als von seinem Wohlergehen die Rede war, nicht versäumt, sein Glas augenblicklich zu leeren, welches darauf vom Windspiel mit rasender Geschwindigkeit wieder gefüllt wurde. Dann erhob er sich in seiner ganzen Länge und sprach: »Ich schätze mich glücklich, durch Zufall und schlechtes Wetter in diese Versammlung angenehmer Männer getreten zu sein, deren Lebenszweck die Kunst und deren Unterhaltung deßhalb so angenehm für Jemand ist, der wie ich die poetischen und künstlerischen Seiten dieses armen Lebens aufsucht. – Übrigens ist mein Name Larioz – ich könnte sagen Don Larioz,« setzte er mit einem feinen Lächeln hinzu, »denn mein Vater – Gott habe ihn selig! – war ein spanischer Edelmann.«
Dem Windspiel war in diesem Augenblicke, zu Muth, als wollten ihm vor Ehrfurcht die dünnen Kniee einknicken. Prosaische Engländer und windige Franzosen, wie sie in den Romanen, die er las, häufig genug vorkamen, hatte er schon viele gesehen, aber einen echten Spanier, Don Alonzo oder Fernando, noch nie. Ja, so mußten sie aussehen, die tapferen Kämpfer mit dem zierlichen Stoßdegen und der langen Lanze, so mußten sie den Bart emporgekräuselt tragen, wenn sie mit der Laute allabendlich unter Donna Lauras Fenster erschienen, zum Klang der Saiten ihre süßen Romanzen singend.
Unwillkürlich hatte der Kellner seinen Teller wie eine Mandoline vor die Brust genommen und krabbelte mit den Fingern darauf herum, als halte er es für möglich, dem kalten, gefühllosen Porzellan einige Töne zu entlocken.
Nachdem sämmtliche Gläser ausgetrunken waren, auch die Ruhe wieder hergestellt, lehnte sich der Kupferstecher in seinen Stuhl zurück, schlug die Arme über einander und sagte: »Mir scheint es, wir haben die Verpflichtung gegen unseren neuen Freund, Don Larioz, der Sache mit der interessanten und höchst wunderbaren Dame im Hause der Gebrüder Breiberg auf die Spur zu kommen. Bei diesen Menschen ist Alles möglich, ja, ich halte sie für fähig, irgend ein unschuldiges Wesen einzufangen, es zu rauben, gewaltsam festzuhalten und – – doch erlaßt mir, euch vor die Augen zu führen, was wir schaudernd selbst erleben.«
»Ja, etwas ist da drüben nicht richtig,« meinte ein untersetzter Maler, dessen äußerer Mensch sich durch besonders großen Haarmangel auszeichnete. – »Vor ein paar Tagen hatte ich bei den Breiberg's etwas zu thun, doch wollte es mir nicht gelingen, in das Atelier zu gelangen. Der glatte, abgefeimte Clemens empfing mich auf der Treppe und nöthigte mich in die Wohnung hinauf.«
»Das Gleiche war bei mir der Fall,« sagte der mit dem grünen Sammtrock; »auch ich klopfte vergeblich an die Thür des Ateliers.«
»Aber unserem Freunde ist das Gegentheil widerfahren,« vernahm man die tiefe Stimme des Kupferstechers. »Ist dem nicht also, Don Larioz?«
»Es ist so,« erwiderte der lange Schreiber. »Ich fand die Thür des Ateliers angelehnt, nach mehrmaligem Anklopfen trat ich hinein und fand Niemand.«
»Vergessen wir nicht, daß Don Larioz anfänglich Niemand sah,« unterbrach ihn der Kupferstecher ernst und feierlich. – »Doch weiter!«
»Ich näherte mich einer spanischen Wand, die das Gemach in«zwei ungleiche Hälften schied,« fuhr Larioz fort.
»Vergessen wir nicht die geheimnißvolle spanische Wand,« meinte der Andere mit aufgehobenem Zeigefinger und einem Blick auf die Künstler umher – »und dann?«
»Als ich mich nach einigem Umschauen dieser Tapetenwand näherte,« sprach Herr Larioz mit unerschütterlicher Ruhe weiter, »und nachdem ich ein Rauschen wie von seidenen Gewändern gehört zu haben geglaubt, blickte ich durch die Oeffnung der spanischen Wand und sah – o Gott! – – und sah das Mädchen, von dem ich vorhin gesprochen.«
»Und sie war schön?«
»Bei San Jago, ob sie schön war! In meinen kühnsten Phantasieen und Träumen würde ich es nie für möglich gehalten haben, daß sich ein solches Ideal unter den Bewohnern dieser Erde befände. Sie zu schildern ist mir unmöglich; sie war wie eine Blume so schön, so hold und rein.«
Bei diesen Worten hatte er die mageren Hände auf dem Tische über einander gelegt und blickte schwärmerisch zu der Zimmerdecke empor.
Windspiel machte es ebenso, und es war ihm, als höre er
Das Geflüster kluger Myrten
Und der Blumen Athemholen.
Der mit dem grünen Sämmtling legte sein Gesicht in die Hände, der dicke Maler mit dem wenigen Haar biß sich wie krampfhaft auf die Lippen, wobei er die Augenbrauen finster zusammenzog, und der Kupferstecher räusperte sich auffallend laut und vernehmlich, um – – seine Rührung und sein Mitgefühl zu verbergen.
»Sie ruhte auf einem Divan,« fuhr der Spanier nach einer kleinen Pause fort, »in einer reizenden, verführerischen Lage.«
»Vergessen wir das nicht,« sagte laut der Kupferstecher.
»Ihr Costüm war spanisch, echt spanisch; ich habe Aehnliches in früheren glücklichen Jahren häufig in dem schönen Andalusien gesehen.«
»Also es kam Ihnen spanisch vor?« fragte der dicke Maler mit auffallender Rührung.
»Es war spanisch,« erwiderte Don Larioz fest und bestimmt. »Wie könnte ich mich darin täuschen! So echt spanisch, wie die reizendste Maja es trägt, wenn sie den glühenden Fandango tanzt unter den Orangenbäumen am Ufer des Guadalquivir, im Schatten des goldenen Thurmes bei Sevilla.«
Windspiel fühlte ein gelindes Frösteln; es war etwas wie ein Wonneschauer, als er die Worte: Maja, Fandango, Orangenbäume und goldener Thurm bei Sevilla hörte, und zwar aus dem Munde eines echten Spaniers, der alles das gesehen und erlebt.
Der Kupferstecher hatte sein Gesicht so tief wie möglich in das Bierglas versenkt, und als er es wieder hervorzog, sprach er mit sanfter Stimme, indem er einen Blick auf den dicken Maler warf: »Wozu der Wortstreit, ob echt spanisch oder nicht! Das Costüm ist Nebensache. Kommen wir auf sie zurück, auf das wunderbare Mädchen, die unser verehrter Freund bei dem wilden Jean Baptist gesehen und die – ich nehme keinen Anstand, das zu sagen – nur ein Verbrechen in die Hände dieses tyrannischen Breiberg geführt haben kann. Bleiben wir bei dem Mädchen, welches – ich kann es mir schon erlauben, meine Vermuthung auszusprechen – einen tiefen Eindruck auf das empfängliche Herz des edlen Don Larioz gemacht zu haben scheint.«
»Ihre Theilnahme rührt mich,« sprach dieser, nachdem er mit einem hastigen Zuge sein Glas geleert. »Und um offen zu sein, wie das überhaupt meine Gewohnheit ist, will ich dem verehrten Kreise gestehen, daß der Reiz und die Sittsamkeit der Erscheinung allerdings mein Herz getroffen; ja, um noch mehr zu thun, will ich Ihnen das Portrait dieser Dame zeigen, welches ich mühsam errungen und welches ich um keinen Preis in den Händen der Beiden dort drüben gelassen hätte.«
»Sie haben ihr Portrait?« fragte der Kupferstecher mit wirklichem Erstaunen und folgte sichtbar überrascht den Bewegungen des langen Mannes, der sich erhoben hatte, um von dem Nebentische das kleine Portrait, welches er dort niedergelegt hatte, zu holen. Doch war der leichtfüßige Kellner vorausgeeilt und brachte es ihm auf einem Teller entgegen, den er feierlich, einher trug, indem seine Augen dabei das blaue Papier mit wahrer Ehrfurcht betrachteten.
Auch die Uebrigen in der Gesellschaft blickten mit dem Ausdrucke der Ueberraschung auf das Eingewickelte, welches Herr Larioz in die Hand nahm und das Papier ablöste. Ehe er es aber seinem Nachbar zur Besichtigung übergab, vertiefte er sich erst selbst noch einmal so lange und ausschließlich in die geliebten Züge, daß es kein Wunder war, wenn er übersah, wie der Kupferstecher ein Zeichen machte, welches von den Meisten durch ein auffallendes Lächeln beantwortet wurde. Dann stützte sich der Erstere mit der linken Hand auf den Tisch, nahm eine außerordentlich feierliche Miene an und sagte, während er mit der rechten Hand das leere Glas zum Auffüllen an Windspiel gab: »Geliebte Brüder und Freunde! Don Larioz ist im Begriffe, uns das Portrait der Dame seines Herzens, derselben, die, wie wir annehmen, von den Gebrüdern Breiberg in Ketten und Banden gehalten wird, vorzustellen. Es ist unsere Schuldigkeit, dieses Portrait mit genauer Aufmerksamkeit zu betrachten, um uns dann zu berathen, was allenfalls zur Rettung dieser Unglücklichen geschehen könnte. Es erscheint mir aber diese Sache wichtig genug, um aus der harmlosen Tischgenossenschaft ein ernstes Bundes-Comite zu constituiren, und im Falle ihr damit einverstanden sein solltet, so bitte ich, eure Gläser zu leeren und mir beistimmend zuzunicken – ein Verfahren, um welches ich auch unseren edlen Freund Don Larioz bitte.«
Hiernach blickte der Redner auf die Tafelrunde und sah mit Befriedigung, wie Jeder ihm das geleerte Glas mit einer tiefen Neigung des Kopfes entgegen hielt, sämmtliche Gläser wurden aber augenblicklich wieder vom Windspiel gefüllt.
»Ehe wir aber daran gehen,« fuhr der Kupferstecher fort, »unseren neuen Freund in die Geheimnisse des Bundes einzuweihen, halte ich es für nothwendig, denselben durch einen Salamander, den wir ihm zu Ehren reiben, in die gehörige Stimmung zu versetzen. Merk also auf, geliebte Brüder! Wir verehren unter uns einen Mann, Don Larioz, dessen Vorfahren und Ahnen wahrscheinlich edle Granden von Spanien waren, sich jedenfalls in allen möglichen ritterlichen Tugenden hervorgethan. Ergreift deßhalb wiederholt eure Gläser, gefüllt bis an den Rand, und reibt unserem Gaste, dem edeln Spanier, Don Larioz, zu Ehren einen ganz famosen Salamander.«
Bei diesen Worten schaute der Sprecher ernst, ja, streng im ganzen Kreise umher, und als er sah, daß der Blick eines Jeden auf ihm ruhte, begann er langsam mit seinem Glase auf dem Tische zu reiben, wobei er mit dumpfer Stimme eintönig vor sich hinmurmelte: »Salamander! Salamander! Salamander!«
Und »Salamander!. Salamander!« murmelten auch die Anderen nach, rieben ebenfalls ihre Gläser auf der Tischplatte, und als' nun der Vorsitzende »Eins!« sprach, hoben sie dieselben zum Munde auf »Zwei!« wurden sie an die Lippen gesetzt, und auf »Drei!« stürzten die verschiedenen Bierströme mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in die durstigen Kehlen hinab.
Der lange Schreiber fand sich durch diese Ceremonie seltsam ergriffen, und obgleich Windspiel ihm eben erst sein Trinkglas aufgefüllt hatte, leerte er es doch auf einen Zug und ließ darauf fern Haupt so tief als möglich auf die Brust herabsinken. Es war ein zu erhebender Moment, all die Gesellen mit den gerötheten Wangen und flammenden Augen um den Tisch stehend zu erblicken, nur mit ihm und seiner Angelegenheit beschäftigt, stumm und feierlich, so daß man für einen Augenblick nichts vernahm als einen tiefen Seufzer des gerührten Windspiels, sowie das Platschen des Regens an die Fensterscheiben.
Der Kupferstecher strich seinen dichten Bart mit der breiten Handfläche, blickte alsdann unter den buschigen, zusammengezogenen Augenbrauen finster nach dem Kellner hin und sagte: »Man gebe mir den Dolch des großen Meisters Rubens.«
Es mußte dies eine Ceremonie sein, die äußerst selten vorkam, denn Windspiel zuckte leicht zusammen, blieb aber wie an den Boden angefesselt stehen, wobei er fragend den Wortführer anschaute.
»Ja so!« fuhr dieser fort. »Der Uneingeweihte scheut sich, die kostbare Waffe zu ergreifen. So gehe denn du hin, Bruder Christian,« wandte er sich an den Maler mit dem grünen Sammtrock, »und hole die kostbare Waffe; geh, du wirst sie in meinem Mantelkragen finden.«
Mit einer tiefen Verbeugung trat Bruder Christian ab und kehrte gleich darauf mit einer rostigen Dolchklinge zurück, deren eine Parirstange zerbrochen und deren hölzerner Griff sehr mangelhaft war. Trotz dieses unscheinbaren Aeußeren nahm der Vorsitzende die Waffe mit der allertiefsten Ehrfurcht in die Hand, küßte sich verneigend die Klinge und reichte sie dann ernst und langsam zum nämlichen Zwecke seinem Nachbar hin.
So machte sie die Runde um den ganzen Tisch und kam zuletzt an den langen Schreiber, der sie ebenfalls inbrünstig zu seinem Munde führte und dann mit einer tiefen Verbeugung dem Kupferstecher übergab. Dieser nahm hierauf die Waffe des großen Meister Rubens in die Rechte, winkte mit einer majestätischen Handbewegung dem dürren Kellner, der sich zaghaft näherte und statt der Klinge den hölzernen Griff des Dolches küssen durfte, wobei der Vorsitzende sprach: »Auch du, Windspiel, wirst bedingungsweise für heute in die Verbrüderung vom Dolche als dienender Bruder aufgenommen.«
Als er nun den Dolch mit beiden Händen ergriffen hatte, so daß die rostige Spitze in die Höhe stand, sprach er zu den aufhorchenden Brüdern: »So ist denn für heute wieder der feierliche Bund geschlossen worden. Mich trieb dazu einestheils die Ahnung eines gewaltigen Verbrechens, das in unserer Nähe begangen worden zu sein scheint, anderntheils die Noth und Bedrängniß unseres neuen edlen Freundes Don Larioz; ferner der trostlose Winter-Nachmittag mit Regen und Schnee, sowie mit seinem zweifelhaften ungenießbaren Lichte; dann noch der wirklich vortreffliche Stoff, der dem Fasse unseres Wirthes entquillt. – Windspiel, fülle die Gläser!«
Als dies geschehen, als der Redner getrunken und sich den Bart abgewischt, fuhr er fort: »Sie, unser edler Freund, Don Larioz, sind durch diese eben stattgehabte feierliche Ceremonie in die Verbrüderung zum Dolche Rubens ausgenommen worden und haben künftig statt aller anderen Bekräftigungen, statt zum Beispiel zu sagen: auf meine Ehre! oder: hole mich der Teufel! – immer und überall nur bei dem Dolche Rubens zu schwören. Haben Sie mich verstanden, edler Don Larioz?«
»Ob ich Sie verstanden habe!« erwiderte der neu Aufgenommene mit wirklich gerührter Stimme.
»So schwören Sie denn, der Verbrüderung zum Dolche anzugehören und sich als ein Mitglied dieser höchst edlen und sehr anonymen Gesellschaft betrachten zu wollen.«
»Ich schwöre es bei dem Dolche Rubens!«
»Mit Vergnügen vernehme ich,« fuhr der Kupferstecher fort, indem dabei ein höchst eigenthümliches Lächeln über seine Züge flog, »daß Sie mich vollkommen verstanden haben. Hören Sie also die Tendenz unserer Verbrüderung:
Festen Muth in schwerem Leiden,
Hülfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwor'nen Eiden,
Wahrheit gegen Freund und Feind,
Männerstolz vor Königsthronen, –
Brüder, gält' es Gut und Blut, –
Dem Verdienste seine Kronen,
Untergang der Lügenbrut!
»Wir suchen die Unschuld auf, wo wir sie finden,« fuhr der Sprecher erklärend fort, »ermuntern sie in ihren Bedrängnissen und unterstützen sie in schwierigen Lagen. Aber auch die Schuldigen sind von uns nicht unbedingt verworfen; auch ihnen gewähren wir Asyl und Freistatt, heben sie zu uns empor, wenn sie tiefer stehen, und erfreuen uns an ihrem Aufwärtsstreben, wenn wir sehen, daß die allgemeine Liebe bei ihnen zum Durchbruch kommt. Wir kämpfen für Recht, Licht, Tugend und Bedrängniß.«
»Wie die ehrwürdigen Ritter der alten, schönen Zeit,« sprach schwärmerisch Don Larioz. »Auch ich will dafür kämpfen und Schwert und Lanze erheben.«
»So sind Sie denn feierlich in die Verbindung zum Dolche aufgenommen, und da Sie neben Pflichten auch Rechte haben müssen, so werde ich mich bemühen, Ihnen die letzteren mit zwei Worten klar zu machen.«
»Sie haben das Recht,« fuhr der Sprecher ernst und gewichtig fort, »als Mensch unter Menschen zu leben, sich zu wehren, wenn man Sie angreift, ja, selbst anzugreifen, wo Sie das für unbedingt nothwendig halten. Sie haben das Recht, Ihr Geld sowohl selbst zu verzehren, als auch Ihre Nebenmenschen beiderlei Geschlechts an dieser Verzehrung mit Theil nehmen zu lassen. Als Bruder vom Dolche haben Sie das Recht, ja, sogar die Verpflichtung, einen scharf geschliffenen Dolch unter Ihrem Kleide zu tragen, so lange es eine hochlöbliche Polizei nicht anders zu wünschen beliebt. Sie sind ferner ermächtigt, die Verbrüderung zum Dolche Rubens zu Schutz und Trutz zusammen zu berufen, und es schreiben die Statuten der anonymen Gesellschaft in diesem Falle vor: Der Berufer schlägt einen Zettel in der Kneipstube zum Reibstein an, daß an dem und dem Tage, zu der und der Stunde auf seine Kosten ein gutes Faß Bier aufgelegt sein wird, worauf sich die Brüder zahlreich einfinden werden. Sich deutlicher auszusprechen, ist im vorliegenden Falle den bestehenden Landesgesetzen zuwider und darf nicht geduldet werden.– Die wichtigste Errungenschaft unseres Bundes ist aber das Recht, welches Ihnen zusteht, bei außerordentlichen Fällen, bei drohender Gefahr, die Brüder selbst nächtlicher Weile zu Ihrer Hülfe herbeirufen zu dürfen, zu welchem Zwecke Sie mit dem Griffe Ihres Dolches drei Mal an die betreffenden Fensterläden zu klopfen haben. Diese betreffenden Fensterläden sind aber an allen Häusern der Burggasse, wo Sie an den Thüren abgerissene oder zerbrochene Klingeldrähte finden.«
So sprach der Vorsitzende, und Jeder hörte mit großer Andacht zu, vor Allen Don Larioz. Wenn auch auf den glühenden Gesichtern der Mitglieder dieser Tafelrunde hier und da ein plötzliches Lächeln erschien, welches nur gedämpft werden konnte, indem der Lacher außerordentlich schnell mit dem Gesicht in das Glas fuhr, so war doch eben dieses Lachen gewiß nur der Ausdruck des freudigsten Behagens, daß dem ehrwürdigen Bunde ein neues Mitglied gewonnen worden. So sah es auch der lange Schreiber an, und wo er Einen die Lippen krampfhaft zusammenbeißen sah, erhob er sein Glas gegen ihn und trank ihm tüchtig zu. Ja, als der Redner endlich schwieg, hielt er es für seine Schuldigkeit, sich der Reihe nach bei Allen für die Ehre zu bedanken, die ihm geworden, wobei er nie mit leerem Glase erschien, so viel Mühe er sich auch gab, es, auszutrinken; denn auf den Wink des Kupferstechers sprang Windspiel wie ein Besessener hinter ihm drein, ihm beständig ein volles Glas in die nicht widerstrebende Faust drückend.
Bei diesem Rundgange war es eigenthümlich, daß der edle Spanier nicht mehr genau zu wissen schien, von wo er ausgegangen war, und so oft er an den vermeintlichen Sitz kam, fand er diesen von einem der Gesellen besetzt, der ihm mit rührender Herzlichkeit das gefüllte Glas zum Anstoßen entgegen hielt. Dabei war es denn nicht unbegreiflich, daß durch dieses beständige Imkreisegehen die Tische, Stühle, Menschen, ja, die ganze Stube dieselbe Bewegung annahm, so daß sich der lange, Schreiber endlich genöthigt fand, den Tisch mit starker Hand zu ergreifen und den hinter ihm drein schreitenden Kellner um einen Stuhl zu ersuchen. So kam er endlich zur Ruhe.
Wenn auch die Gesellen am Tische nicht wie er so eben erst in den Bund des Dolches aufgenommen worden waren und deßhalb auch nicht nöthig gehabt hätten, sich auf so laute und innige Art zu freuen, so thaten sie das doch, indem sie laut lachten, jodelten, mit den Gläsern zusammenstießen und hier und da die Strophe eines bekannten Liedes brüllten.
Der dicke Maler mit dem wenigen Haar blicke träumerisch mit den halbgeschlosseneu Augen zu dem Fenster hin und sprach, wobei er etwas Weniges stotterte: »Bis jetzt habe ich nicht gewußt, wozu so ein trüber Regentag eigentlich dienen kann. Jetzt weiß ich es. Zum Trinken – zum Trinken – und wieder zum Trinken.«
Dabei that er, wie er gesagt; worauf Einer gegenüber sein gefülltes Glas erhob, es auf einen Zug leerte und darauf das Lied versuchte:
Im tiefem Keller sitz' ich hier,
Bei einem Glas voll Biere –
doch verhinderte ihn ein gewaltiges Schluchzen, das ihn überfiel, an der ferneren Profanation.
O du, der ich einzig gedenke,
Mein holdes Lieb – ade!
sang der mit dem grünen Sammtrock; doch kam er auch nicht weiter, denn die Stimme des Kupferstechers unterbrach ihn mit einem gewaltigen »Silentium!« auf welches die Gesellen aufhorchten, als er nun weiter sprach: »Wozu der unnöthige Lärm? Ist das ein würdiges Benehmen für Brüder vom Dolche? Was soll unser edler Bruder, Don Larioz, davon denken? Wenn ihr einmal durchaus singen und diese Stunde würdig feiern wollt, so stimmt die Kehlen zum harmonischen Gesange – zum Bundesliede:
In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad;
Mein Liebchen ist verschwunden,
Das dort gewohnet hat.
So begann er; und nachdem die Gesellen am Tische sich in ihre Stühle zurückgelehnt, die Arme aufgestützt oder es sich sonst bequem gemacht, stimmten sie ein, und es war wohl die alte bekannte Weise des schönen Liedes, die ihre Stimmen ziemlich harmonisch zusammenklingen ließ. Wenigstens kam es so dem edlen Spanier vor, der mit gefalteten Händen da saß, den Kopf auf die Brust niedersinken ließ und träumerisch zuhorchte; dabei war es ihm, als höre er wirklich das Mühlrad rauschen in einem tiefen Grunde, und als steige er dort hinab auf dem verschlungenen weichen Waldpfade, unter dem sanften Säuseln und Rauschen hochstämmiger Eichen und Buchen, die mit ihren Zweigen und Blättern über seinem Haupte zusammenschlugen. Ja, er stieg dort hinab, um nach dem Liebchen zu sehen, von dem ihm Kunde geworden, daß sie verschwunden sei und nimmer zu finden.
Anfänglich war es ihm klar, daß mächtige Feinde sie ihm geraubt hätten, daß sie in Ketten und Banden schmachte, drüben bei den Gebrüdern Breiberg, und deßhalb stürmte er hastig ins Thal hinab, nicht mehr ein armer Schreiber des Rechtsconsulenten Plager, unbewehrt, waffenlos, sondern ein Mitglied der Verbrüderung zum Dolche, die blanke Waffe in der Hand; und während er so allein dorthin eilte, unter den hochstämmigen Bäumen, hörte er da droben am Waldesrande die weithin schallenden Stimmen der treuen, engverbrüderten Gesellen. – – –
Aber sie sangen nicht ermuthigend, sie sangen nicht von des Liebchens Ausdauer und Treue, vielmehr war ihr Lied erklungen:
Sie hat mir Treu' versprochen,
Gab mir 'nen Ring dabei,
Sie hat die Treu' gebrochen,
Das Ringlein sprang entzwei.
Ja, er fand sie nimmer, er durchsuchte das ganze Thal, er drang in jeden Winkel des Hauses, wo sie einstens gewohnt, er stieg die Treppen hinauf, bei den Fässern und Gläsern vorbei, bei dem Ritterhelm mit der zerzausten Straußenfeder, bei den rothen Hosen – er fand von ihr keine Spur. Er betrat ein weites Gemach, in dessen Hintergrunde sich eine spanische Wand befand, hinter welcher er seidene Kleider rauschen und ein spöttisches Kichern von weiblicher Stimme hörte – da mußte sie sein! Er blickte hinter die spanische Wand, aber da hatte das Zimmer gar keinen Fußboden mehr, er stand am Abhange eines jähen Felsens, und vor seinen Füßen ging es hinab wohl viele tausend Schuh tief. Und da hinab mußte er schauen, beständig in Todesangst, in die fürchterliche Kluft zu stürzen. Auch fühlte er sich plötzlich an den Füßen gefesselt, ein anderer Prometheus, während Herr Jean Baptist Breiberg, mit großen Adlerfüßen versehen, ihn kreischend näher und näher umschwebte und dabei in hohem Discante sang:
So leben wir, so leben wir alle Tage
Bei der allerschönsten Saufcompagnie. –
Dieses: »So leben wir« klang wirklich rings um ihn her in donnerndem, jauchzendem Chorus, es ertönte hinter seinem Rücken, es drang aus den Spalten des Felsens, auf welchem er stand, und schien auch da sich hinab in den Abgrund zu verlieren.
»So leben wir, so leben wir,« hörte er jetzt noch kräftig und ganz nahe, dann gedämpft und entfernt. Es war dem Träumer, als kletterten die Stimmen an den Felswänden hinab, und je tiefer sie kamen, desto mehr verloren sie an Kraft und Deutlichkeit. Zuletzt war es nur noch ein unbestimmtes Tönen und Klingen, das sich in leises Rauschen und Sausen verwandelte, in ein Sausen, wie es der Wind hervorbringt, wenn er durch kahle Aeste fährt, oder wie wir es auch ohne alle äußere Einwirkung in unseren Ohren hören, wenn wir zu viel getrunken haben.
Aber noch immer blieb der Abgrund zu den Füßen des langen Schreibers geöffnet, und er starrte noch immer hinab, wohl ängstlich, aber doch erwartend und hoffend. Und seine Erwartung hatte ihn nicht getäuscht, denn jetzt begann es drunten zu brodeln und zu kochen und dann aufzusteigen, wolkig und nebelhaft, und wie dieser ganze Dunst höher und höher stieg, klärte er sich ab, wurde leuchtend und immer leuchtender und nahm endlich wunderbar süße, bekannte Formen an, die das Herz des Träumers vor seliger Freude erzittern machten.
Ja, sie war es, die Schöne, die er gesehen und welche einen so unauslöschlichen Eindruck auf ihn gemacht. Sie schwebte zu ihm empor, während sich der Abgrund unter ihren Füßen ausfüllte und nun eine sonnbeglänzte grüne, weiche Wiese darstellte mit dem frischesten Grase, mit tausenden von Blumen, mit Sonnenglanz und Sonnenfäden. – Aber es war eine feuchte Wiese, das glaubte er zu fühlen; auch war es trotz des Sonnenscheins nicht allzu warm, denn ein Frösteln überflog momentan seine Glieder, das selbst die Nähe der Geliebten nicht zu verscheuchen im Stande war.
Aber wie blickte sie ihn so freundlich, so liebend an, wie hob sie ihre Arme gegen ihn empor und bewegte ihre Hände innig gegen ihn! – Doch wie verzog sie ihr liebes Gesicht, ernst, ja traurig, als er auf sie zustürzen wollte! wie ergreifend klang der Ton ihrer Stimme: »Wir werden uns Wiedersehen, aber ein mächtiger Zauber lagert zwischen uns, den du nur lösen kannst, wenn es dir gelingt, bei dem nächsten Male, wo wir uns Wiedersehen, den Spruch des großen spanischen Magiers Carabanzeros ohne Fehl vor mir auszusprechen! – Du kennst ihn, diesen Spruch,« fuhr die feenhafte Gestalt mit einem unaussprechlich süßen Lächeln fort. Und als er darauf statt aller Antwort traurig mit dem Kopfe schüttelte, flötete sie mit einer Stimme, wie sie nur besonders holde und edle Wesen in Romanen und bedingungsweise auch die guten Feen in den Märchen besitzen:
Trau, treue Trine, trüglich trüben Träumen nicht.
Treib' trotzig triumphirend fort das tolle Traumgesicht,
Trockne die Thräne tragischen Trübsals tröpfelnd auf,
Trink trauten Traubentrankes Trostestropfen drauf!
Dann setzte sie schmachtend hinzu: »Hast du mich verstanden, edler Don, und wirst du den Spruch des großen Carabanzeros nicht vergessen?«
Doch ehe er noch Zeit hatte, ihr mit einer ehrerbietigen Bewegung und mit einer schönen Attitüde, wobei er seine rechte Hand auf das Herz legte, zu versichern, daß er sie wohl verstanden habe und daß es ihm ein Leichtes sei, diesen höchst faßlichen und leicht auszusprechenden Spruch des großen Carabanzeros bei der nächsten passenden Veranlassung zu wiederholen – da war sie verschwunden, entflohen, wie verduftet, wie weggehaucht über die sonnbeglänzte Wiese hin; tiefe Stille umgab ihn, aus welcher mit einem Male ein Kichern an sein Ohr schlug.
Ja, es kicherte neben ihm, und als er vor diesen profanen Tönen, die so pöbelhaft seine süßen Gedanken zerrissen, rasch die Augen öffnete und um sich blickte, sah er vor sich weder den Tisch, an dem er vorhin gesessen, noch die traulichen Wände der Kneipe zum Reibstein, noch die Gesichter der Brüder vom Dolchbunde. – Erstaunt blickte er sich nach allen Seiten um. Rechts hatte er eine hohe schwarze Mauer, links dieselbe, vorn ging eine schmale Bretterwand hinauf mit mehreren kleinen Luftlöchern, und als er sich bestürzt umwandte, entdeckte er hinter sich ebenfalls eine hohe Mauer, in der sich aber am Boden eine Thür befand, an welcher die Rücklehne seines Stuhles stand.
Er hob sein Gesicht ganz in die Höhe; wo konnte er sein? Der Ort, wo er sich befand, hatte, mit Ausnahme der Bretterwand vor ihm, ganz das Aussehen eines Burgverließes, wohl achtzig Fuß tief oder hoch, wie man es nahm, und dabei nach jeder Seite kaum eine Länge und Breite von vier Schuhen. Obgleich man oben den grauen Winterhimmel sah, so war es doch hier unten, wo Don Larrioz saß, ziemlich dämmerig; auch sonst fühlte er sich durchaus nicht behaglich; aus der Höhe fiel Regen und Schnee auf ihn herab, seine Füße standen in Feuchtigkeit, und in seine Nase drang ein Geruch, der gerade nicht angenehm zu nennen war.
Er rieb sich die Stirn, doch konnte er seine Gedanken nicht klar machen und sich nicht erinnern, wie er hieher gekommen; nur das drang endlich bei ihm durch, daß er sie gesehen, die er nicht mehr vergessen konnte, daß er in den Bund zum Dolch aufgenommen worden sei und daß er sehr viel schäumendes Bier getrunken. – Aber wer ihn hieher ins Burgverließ gebracht, auf welche Veranlassung, das war er nicht im Stande zu begreifen. Wohl erinnerte er sich nach und nach, von unheimlichen Gewölben und dergleichen gehört zu haben, die sich in diesem Theile der Stadt befänden, den man den Burgplatz nannte und wohin er gegangen; was aber ihn in dieses verdächtige Loch geführt und wie er hineingekommen, das war und blieb ihm vorderhand unbegreiflich. – Sollte es vielleicht den Gebrüdern Breiberg gelungen sein, Kunde zu erhalten von der Verschwörung des Bundes zum Dolche Rubens gegen ihr Haus und ihre Errungenschaft, das schöne Mädchen? Sollten sie sich vielleicht eines bösen Zaubers bedient haben, um ihn in dieses Burgverließ zu werfen? – So etwas war schon mehr als einmal dagewesen. – – Aber so viel stand fest bei ihm, was auch kommen mochte – Treue dem Bunde! – Treue der unglücklichen Geliebten! – Treue bis in den Tod!
Da mit einem Male vernahm er eine tiefe Stimme, die aus der Höhe zu kommen schien, vielleicht aus einem jener kleinen, viereckigen Löcher in der Holzwand vor ihm, welche also sprach: »Edler Freund, Don Larioz, Biedermann und tapferer Ritter von der traurigen Gestalt, du hast alle die schwierigen Proben, welche deinem wirklichen Eintritt in den Bund zum Dolche Rubens vorangehen müssen, mannhaft und bestens bestanden; stolz nennen wir dich den Unsrigen und werden entzückt sein, dich nächstens wieder zu sehen; für heute forsche unseren Schritten nicht nach, wir entschweben unsichtbar nach allen Seiten, wie es auch in früheren Zeiten Brauch war bei den Mitgliedern der heiligen Fehme. Mache du es ebenso, vergiß die Losungsworte des erhabenen Bundes nicht und wandle heim, nachdem du deine und des Bundes Zeche dem treuen Windspiel bezahlt. Lebe wohl!«
Und – »Lebe wohl!« erklang es aus einigen anderen rauhen Kehlen, worauf Alles wieder still war wie vorher und nur der Regen und Schnee leise niederrieselte.
Der Geist des langen Schreibers war noch so umnebelt, daß er aufmerksam jenen Worten lauschte und daß sich der Zorn, welcher Anfangs wegen Nässe und Kälte in ihm rege wurde, wieder dämpfte. Er erhob sich von seinem Stuhle, wobei er nicht unterließ, auf einige hervorragende Steine zu treten, um so die hier unten, wahrscheinlich vom Regenwasser, angesammelte Flüssigkeit im Interesse seiner Stiefel zu vermeiden. Dabei erinnerte er sich, von zu bestehenden Proben gehört zu haben, die nothwendig seien, um in andere Bündnisse, zum Beispiel in den Freimaurer-Orden, aufgenommen zu werden. Darüber hatte er von Einem, der gedeckt hatte, ebenfalls grauenhafte Sachen gehört, von entblößten Degen, in welche man sich stürzen, von Abgründen, in die man springen müsse, von todten Menschen, mit denen man in allerhand fatale Berührungen käme, und dergleichen mehr. Gegen alles das erschien ihm die eben bestandene Probe sehr leicht gewesen zu sein, wogegen es ihm aber trotzdem nicht unlieb war, als er hinter sich einen Riegel zurückschieben hörte und sich umwendend die Thür geöffnet, sowie das süßlächelnde Gesicht des dürren Kellners sah, welcher eine ehrerbietige Verbeugung machte; auch zog Windspiel den Stuhl an sich, und als der Spanier diesem folgte, trat er in das Gemach, wo er sich kurze Zeit vorher befunden hatte.
Wie ihm aber die tiefe Stimme vorhin gesagt, so waren alle Mitglieder des Bundes zum Dolche Rubens verschwunden. Daß sie hier toll genug gehaust, sah man an den überschwemmten Tischen, an zerbrochenen Gläsern, sowie an den umgestürzten Stühlen. Don Larioz war noch froh genug, in diesem Chaos sein Bild unversehrt zu finden, welches der Kellner mit vorsorglichem Gemüth bei Seite gebracht und ihm nun feierlich übergab. Zu gleicher Zeit händigte er ihm einen Zettel ein, auf welchem die Kosten verzeichnet standen, die bei seiner Aufnahme in den Bund des Dolches erwachsen waren und die jedes junge Mitglied nebst einem Trinkgelde für den Kellner des Bundes mit großer Freude zu entrichten pflege.
Zu jeder anderen Zeit würde der lange Schreiber etwas bestürzt gewesen sein über die enorme Ausgabe von zwei Thalern und so viel Groschen, doch war er im jetzigen Augenblicke, als er seinen Geldbeutel hervorzog und bezahlte, noch nicht so klar im Geiste, wie er sonst wohl zu sein pflegte; ihm sauste es wie ein Mühlrad im Kopfe, und jeder Umschwung dieses Mühlrads brachte ein anderes Bild vor sein inneres Auge,– jetzt sie, die überall lieblich und neckisch durchblickte, dann die Gebrüder Breiberg, den alten ehrwürdigen Harfner mit dem jungen unschuldigen Mädchen, die Kathinka Schneller hieß und Entenpforte Nummer Vier parterre wohnte, was sie ihm so warm empfohlen. Auch die Mitglieder des Bundes gaukelten vor ihm umher, der rostige Dolch des berühmten Meisters Rubens, die schönen Formeln bei seiner Aufnahme, der Traum von dem Abgrunde und, von ihr – denn daß er geschlafen und geträumt, fing ihm an klar zu werden – dann wiederum ihr Bild, sowie der Spruch des großen Meisters Carabanzeros, mit dem er die Liebliche erlösen und befreien konnte aus aller Noth –
Trau, treue – –
Es war ihm doch so leicht erschienen, ihn zu behalten, und jetzt stockte er schon am dritten Worte –
Trau, treue – – trau, treue – –
Doch wozu heute die Anstrengung? Morgen, hoffte er, werde, ihm das Ganze schon klar werden. Daß er seine Zeit heute Nachmittag gut angewandt habe, glaubte er sich wohl sagen zu können; hatte er doch eine Menge guter Freunde erworben, hatte er doch Verbindungen angeknüpft in der Nähe ihres Hauses, und was die Verschwendung der paar Thaler anbelangte, so war das ja ein alter ehrwürdiger Gebrauch.– Und wie dankbar war Windspiel nicht für das Trinkgeld, das er erhalten! Er legte ihm seinen Mantel um, er reichte ihm das spanische Rohr und den Hut, er complimentirte ihn so liebenswürdig zur Thür hinaus, bis auf die Gasse, er machte dort noch eine sehr tiefe Verbeugung, als Don Larioz nun endlich wieder auf die Straße in Wind, Regen und Schnee hinaus trat.
Dahin zog er über den Platz, den man die Burggasse nannte, und woher es kam, wußte er nicht, aber er hatte die Idee, als blickten ihm aus allen Fensterläden unsichtbare Zuschauer nach, die genau beobachteten, ob er die Füße recht auswärts setze, ob er den Kopf gewohntermaßen aufrecht halte, und ob er in einer geraden Linie dahin wandle. So sehr er sich denn auch bemühte, diesen Forderungen nachzukommen, so wollte ihm doch namentlich das Letztere nicht sonderlich gelingen. Wenn er jetzt auch wirklich in der Mitte der Straße dahin ging, so befand er sich schon nach hundert Schritten an der rechten Häuserreihe, was ihm unbegreiflich erschien und wobei er sich mit sehr großem Erstaunen einige Mühe geben mußte, die fragliche Ecke, da er so nahe an sie hingerathen, ohne Anstoß zu umgehen. Aber seine Ausdauer siegte, und so hatte er denn bald die Burggasse hinter sich, kam auch, indem er mechanisch regelmäßig einen Fuß vor den anderen setzte, in die Nähe seines Bureau's, fand glücklich die Einfahrt in den finsteren Hof und nach einiger Anstrengung auch die Thür seiner Schreibstube.
Herr Doktor Plager war ausgegangen und hatte Gottschalk beauftragt, seinem Schreiber zu sagen, er müsse ein wichtiges Geschäft abgemacht haben, da er so lange ausgeblieben sei. Mit dem besten Willen und trotz eifrigen Nachdenkens konnte sich aber Herr Larioz keines wichtigen Geschäftes erinnern, das er besorgt; nur Eines fiel ihm ein, nachdem er lange gegrübelt, daß er nämlich seinen Prinzipal, den Rechtsconsulenten, auf sieben Uhr zu dem Grafen von Helfenberg zu bestellen habe, und um das nicht wieder zu vergessen, beauftragte er den kleinen Schreiberlehrling, diese Commission zu Papier zu bringen und auf den Tisch des Doktor Plager niederzulegen.
Herr Larioz hätte in diesem Augenblicke nicht schreiben können, sein Kopf war ihm zu schwer, seine Hand zitterte unstät. Er ließ sich an seinem Schreibpulte nieder, ohne die verwunderungsvollen und erstaunten Blicke zu bemerken, mit denen ihn Gottschalk betrachtete. Er stützte das betäubte Haupt auf die Rechte und blickte träumend in den wüsten, schmutzigen Hof hinaus.
Er konnte von seinem Platze aus gerade auf den festgetretenen Schutthaufen sehen, in dessen Rinnsalen das angesammelte Regenwasser wie in kleinen Flußbetten niederströmte. Ihm schienen es in diesem Augenblicke wirkliche Flüsse zu sein, deren Lauf er vom hohen Gebirge verfolgte, und die ihn der Freiheit und, aus dem schmutzigen Hofe hinweg, schönen glücklichen Ländern entgegenführten. Die kahlen Ufer bedeckten sich mit Gebüschen; Rosen, Oleander und Orangenhaine erhoben sich zu beiden Seiten; er sah prächtige Landhäuser mit spiegelblanken Fenstern und an einem sie, die ihm winkte, sein Boot anzulegen. – Doch zog es ihn fort nach dem fernen Arabien, wohin sich der große spanische Magier Carabanzeros, der von Geburt ein Maure war, zurückgezogen, um dort den Zauberspruch zu erlernen, den er vergessen: –
Trau, treue Trine – –
Ach, wenn diese süßen Traumgestalten nur nicht so häufig zerrissen worden wären durch die prosaische Wirklichkeit, durch das schallende Zuschlagen irgend einer Thür in dem großen Gebäude, durch den Anblick und das Gekreisch eines alten Weibes, die einem herabgewehten Stück Wäsche in den Hof nachstürzte, und durch das Klatschen von Schnee und Regen, welchen die Gewalt des Windes zuweilen gegen die lockeren Fensterscheiben der Schreibstube peitschte. Und dazu kam noch ein eigenthümliches Sausen und Rauschen im Kopfe des Träumers selbst, das er vordem nie empfunden, bei dessen Getöne eine plötzliche Hitze über sein Gesicht flog! – Dann seufzte er tief auf und ließ seinen Kopf ganz auf das Pult niedersinken.