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Achtzehntes Kapitel.
Eugenie


Neben vielen Annehmlichkeiten, welche das Haus des Barons von Breda bot und die es dem Geschmacke und dem bei den vielen Reisen des Erbauers Gesehenen verdankte, hatte es auch einen Wintergarten, der bei der schlechten Jahreszeit ein wahres Kleinod genannt werden konnte. Dieser Wintergarten, bestehend aus einem sehr großen Glashause, befand sich seitwärts von dem Portal gegen Südost gelegen, stieß gegen das Haus zu an den kleinen Speisesaal und stand auf der anderen Seite mit den Gewächshäusern in Verbindung. Es war ein längliches Viereck, dessen vier Seiten durch rankende Gewächse und Pflanzen in Kübeln, sowie in den freien Grund gesetzt, vollständig verdeckt waren, welche nun grüne Laubwände bildeten, von denen einige bis an die gewölbte Decke emporstrebten, während andere ihre Zweige weit herabhängen ließen und so eigene reizende Wölbungen bildeten. Die vier Ecken waren durch Blumengruppen abgerundet, zwischen denen man freundlich aus dem Grün hervorleuchtende weiße Marmorfiguren sah. Die Decke des Glashauses hatte so einfach als sinnreich eine hellblaue Färbung erhalten, wodurch man selbst bei trübem und Regenwetter den klaren Himmel zu sehen glaubte. Von dieser Decke herab hingen drei Kronleuchter, äußerst geschmackvoll aus Holzstämmen gebildet, welche in einer unten befindlichen Schale Epheu trugen, deren Ranken sich um die Arme des Kronleuchters bis hoch hinauf zur Decke spannten.

Vom Eßzimmer des Hauses ging man auf vier Stufen in den Wintergarten hinab, weßhalb man, oben auf der Thürschwelle stehend, das ganze schöne Glashaus mit einem Blick übersehen konnte. Auf der ersten Langseite befand sich ein Springbrunnen, der sein Wasser zuweilen hoch hinauf unter die immergrünen Zweige fremdartiger Sträucher und Bäume sandte, von denen alsdann die einzelnen Tropfen lange nachplätschernd wieder in das Bassin hinabfielen. Gewöhnlich standen die weiten Flügelthüren, welche in das Speisezimmer führten, offen, und dann empfand man auch in diesem Gemach die angenehme gleichförmige Wärme des Gewächshauses, sowie den würzigen Duft der Pflanzen und Blumen.

An demselben Nachmittage, von dem wir vorhin dem geneigten Leser dieser wahrhaften Geschichte berichtet, standen die Flügelthüren zum Eßzimmer ebenfalls offen, und es wird uns erlaubt sein, einen Blick hinein zu werfen.

Es war dies ein einfaches und elegantes Gemach, Decke und Wände mit einer Täfelung von Eichenholz bedeckt, die vier Ecken mit Blumengruppen garnirt, aus deren jeder eine prachtvolle Bronze-Statuette hervor sah. Von gleichem Metall war der Kronleuchter, der von der Mitte der Decke herabhing; er war wie aus fremdem, starkblättrigem Schilfe geformt, dessen Blätter, in der Mitte ein Büschel bildend, unten nach vielen Seiten aus einander gingen, dann wieder in die Höhe stiegen und Wasserlilienkelche zeigten, welche die Wachslichter trugen. Der Boden war mit einem Teppich von Wachstuch bedeckt, darauf sah man in der Mitte unter dem Eßtisch von hellem Eichenholz eine dicke persische Vorlage mit den unbestimmten, dunklen und doch so eleganten Dessins. An der Wand, den Flügelthüren des Gemaches gegenüber, befand sich ein Kamin von jenem bekanntem bronzefarbenen, mit feinen Adern durchzogenen italienischen Marmor, und über demselben ein kolossaler Spiegel, der bis zur Decke reichte, – das Einzige, was in dieses Zimmer als Speisesaal nicht recht zu passen schien. Und doch that sich Baron Breda auf die Anbringung dieses Spiegels, und nicht mit Unrecht, etwas zu Gute; denn in ihm zeigte sich durch die geöffneten Thüren das Bild des Wintergartens so täuschend, daß man mitten im Grünen zu sitzen glaubte, um so mehr, als das Gemach, nur von oben erhellt, nirgend einen Blick auf die im Winter abgestorbene Landschaft, auf Schnee, oder Regen, erlaubte.

In beiden Räumen, im Wintergarten, sowie im Eßzimmer, herrschte momentan eine tiefe Stille, deren Einförmigkeit, man könnte fast sagen, noch vermehrt wurde durch das gleichmäßige Plätschern des Springbrunnens; zuweilen nur vernahm man das leise Zwitschern eines Sperlings, von denen sich ein paar unbefugterweise eingeschlichen hatten und es sich nun hier sehr wohl sein ließen, während ihre Kameraden draußen oft jämmerlich hungerten und froren.

Doch wurde jetzt die Stille, die schon längere Zeit im Glashause geherrscht, dadurch sehr auffallend unterbrochen, daß man an dem dem Speisesaal entgegengesetzten Ende mit einem Male eine menschliche Stimme vernahm, welche, die Melodie des lieben Augustin gemüthlich und ohne Uebereilung vor sich hinpfiff, was unter den fremdartigen Bäumen und bei dem Plätschern des Brunnens gewissermaßen sehr komisch klang; auch schallte es bedeutend in dem hohen Raume, was aber dem Pfeifer zu gefallen schien; denn nachdem er die bekannte Melodie einmal durchgepfiffen, fing er sie wieder von vorn an und hätte das möglicherweise, ohne zu Ende zu kommen, Gott weiß, wie lange fortsetzen können.

Mittlerweile hatte sich auch die Thür geöffnet, welche aus dem Hause in das Speisezimmer führte, und der kleine Jockey war eingetreten, auf dem Arme Tischzeug und Servietten tragend, die er auf einen Nebentisch legte und darauf den runden Eßtisch, der in der Mitte stand, sammt Teppichunterlage nicht ohne einige Mühe dem Kamin näherte, in welchem ein lustiges Feuer loderte. Dann schloß er den großen Eichenschrank auf, der sich in einer Ecke befand, deckte die Servietten über den Tisch und stellte zwei vollständige Couverts auf. Er that das alles mit wichtiger, ja, man könnte sagen, finsterer Miene, wobei er, so oft er bei dem Spiegel vorüber kam, was sehr häufig geschah, einen forschenden Blick hinein warf. Doch mochten ihn diese Forschungen nicht vollkommen zufrieden stellen, denn seine Miene verfinsterte sich immer mehr; auch gab er sich gewaltige Mühe, seine Figur etwas größer erscheinen zu lassen, zu welchem Zweck er sich fast die Hüften ausrenkte.

Jetzt hatte er den Tisch gedeckt und nahm einen kleinen silbernen Präsentirteller, der ebenfalls auf dem Schranke stand, setzte ein Glas darauf, rollte einen Stuhl vor den Kamin und stellte sich auf diesen, so daß er wenigstens drei Viertel seiner kleinen Figur in dem Spiegel sehen konnte. Hierauf bemühte er sich, den Teller mit dem Glase mit einer graziösen Attitüde zu halten, als wollte er das letztere Jemand präsentiren. Er machte zu diesem Zwecke mehrere Versuche, die er aber selbst alle als nicht gelungen zu betrachten schien. Jetzt nahm er den Teller auf die rechte Seite, bog sich scharf vorn über, wobei er aber den Kopf hoch erhoben trug, und seine Mienen einen gewissen unbeugsamen Stolz, aber sehr mangelhaft, auszudrücken suchten; dann nahm er Teller und Glas auf die linke Seite, auf die des Herzens, gab seinem Körper, namentlich Brust und Schultern, eine herausfordernde Stellung, während er jedoch den Kopf demüthig senkte, als wolle er ausdrücken: stolz kann ich sein, wo es mir nothwendig erscheint; aber vor dir beuge ich mein Haupt in tiefer Unterwürfigkeit. Auch auf der Kehrseite betrachtete er sich, indem er den Rücken gegen den Spiegel wandte und Hals und Kopf fast krampfhaft verdrehte. Alle diese Stellungen aber hatten etwas außerordentlich Komisches; man sah, wie es dem kleinen Manne darum zu thun war, eine würdevolle, auffallende Haltung anzunehmen, was ihm doch durchaus nicht gelingen wollte. Da er sich nebenbei ganz allein glaubte, so ließ er sich vollkommen gehen und nahm eine Position wohl drei- bis viermal hinter einander an, bis sie ihm als gelungen erschien. Alsdann bewegten sich seine Lippen, und er bot irgend einem unsichtbaren Gaste auf die zierlichste Weise das leere Glas.

Dieser Moment aber war so drollig und so zum Lachen herausfordernd, daß es dem geneigten Leser gewiß nicht ungerechtfertigt erscheint, wenn sich in der That plötzlich ein lautes Gelächter vernehmen ließ, von dem der höchlichst überraschte Jockey im ersten Augenblicke durchaus nicht wußte, woher es kam. Es war in der That, als hätten die Wände des Gemachs oder eine der Bronzefiguren in den Ecken ihre Lustigkeit nicht mehr länger zurückhalten können.

Friedrich sprang erschrocken von dem Stuhle herab, wobei er übrigens mit einer außerordentlichen Gewandtheit das Glas balancirte, welches auf den Boden niederzufallen drohte; dann wandte er sich schnell nach der Thür, die ins Haus führte, und da er diese fest verschlossen fand, trat er auf die Schwelle des Wintergartens, wo er auch alsbald den Urheber des lauten Gelächters entdeckte.

Der Gärtner Andreas stand auf dem Kübel, in welchem eine riesenhafte Sparmannia wuchs, durch deren Blätter und Zweige gedeckt, er selbst unbemerkt alles hatte sehen können, was sich in dem Eßzimmer begeben. Als der kleine Mann den Späher jetzt gewahr wurde, ging sein Schrecken in heftigen Zorn über; er stampfte mit dem Fuße auf den Boden und rief aus: »Mit Euren ewigen schlechten Witzen und verfluchten Spähereien. Ich hätte vom Stuhle fallen und den Hals brechen können, wenigstens das Glas da.«

»Das will ich dir zugeben, Friedrich,« entgegnete lachend der Gärtner, indem er näher trat. »Aber komm her, stell' du dich auf den Kübel und laß mich einmal da vor dem Spiegel deine Faxen machen, da wollen wir sehen, ob du nicht noch viel toller lachen mußt.«

»Ich habe aber keine Faxen gemacht,« versetzte verdrießlich der Jockey, »und wenn ich auch wirklich auf dem Kübel gestanden hätte, so würde ich doch zu discret sein, um anderer Leute Thun und Lassen zu belauschen.«

Der Gärtner klappte ruhig sein Messer zu, mit dem er ein paar gelbe Zweige der Sparmannia abgeschnitten, dann sagte er kopfnickend: »Höre, Friedrich, du bist ein ganz verfluchtes Bürschlein; du weißt schon, was du thust und treibst, und wenn du vor dem Spiegel stehst und irgend eine schöne Stellung annimmst, so braucht man dir wahrhaftig nicht zu sagen, warum du das thust. – O du Pfifficus!«

Der kleine Groom warf sich in die Brust, und obgleich er sich noch immer bemühte, finster auszuschauen, so flog doch ein leises Lächeln über seine Züge.

»Aber Scherz bei Seite!« fuhr der Gärtner fort, indem er näher trat und sich an die Thüreinfassung des Eßzimmers lehnte. »Du hast es in der That recht brav gemacht, und wenn auch klein von Gestalt, so bist du doch von einer Zierlichkeit, die Jedem in die Augen fallen muß. – Apropos!« sprach er nach einer Pause, während welcher er wohl bemerkte, daß der kleine Jockey einen flüchtigen Blick in den Spiegel geworfen, »hast du denn einen Streit mit der Nanette gehabt?«

»Wie so? – Was solls?« fragte der Andere barsch. »Was geht mich die Nanette an!«

»Der Teufel auch, wie du sprichst!« erwiderte der Gärtner mit einer affektirten Verwunderung. »Da klang es doch vor acht Tagen ganz anders.«

»Was soll mir die Nanette?« entgegnete stolz der Reitknecht; »das ist ein hoffärtiges, naseweises Ding, eine unnütze Person, die nicht gewußt hat, wie hoch sie sich im Werthe anschlagen soll, die sich einbildet, auf einen Reitknecht herabsehen zu können. Wir sind vollkommen fertig mit ihr.«

»Du handelst rasch, Friedrich,« versetzte Andreas scheinbar mit großem Ernste. »Du läßt dir von den Weibsleuten nichts bieten, und das gefällt mir. Es ist eine schöne Sache, wenn man mit denen das umgekehrte Spiel treiben kann. Zuerst hat sie dich links liegen lassen, und das ging dir sehr zu Gemüthe; jetzt vergiltst du ihr Gleiches mit Gleichem, und sie ist total unglücklich. – Ja, total unglücklich,« wiederholte er in bestimmtem Tone. »Wie gesagt, du bist ein verfluchter Kerl. Aber was geht's mich an!«

Damit wandte er sich, um in das Gewächshaus zurückzukehren, und sprach dabei, ganz gleichgültig: »Ja, was geht's mich an! Wer mich nicht fragt, dem brauche ich auch nicht zu rathen; und wer allein laufen kann, der soll's versuchen; die Nase hoch, vor sich einen tiefen Abgrund, den er natürlicherweise nicht sieht, bis er hineingeplumpt ist, und dann erst wird er schreien: Andreas, hilf mir! – Ja, prosit die Mahlzeit! Da singe ich, wie es in dem alten Lied heißt

Mutter, es hilft kein Thee mir mehr,
Juha, Thee mir mehr!«

Nach diesen Worten trat der Gärtner auf die Treppe hinaus, die in das Gewächshaus führte, und begann wieder sein Lied vom lieben Augustin zu pfeifen.

Der kleine Jockey zuckte unmuthig mit den Achseln, indem er sagte: »Ich habe Augen, um zu sehen, was mir vor der Nase liegt.«

Obgleich er aber anfänglich ein entschlossenes Gesicht machte, ließ er doch, als sei ihm ein betrübter Gedanke gekommen, mit einem Male die Unterlippe herabhängen, kratzte sich am Kopfe und trat ebenfalls in den Wintergarten, nachdem er vorher den silbernen Teller und das Glas auf den Tisch gestellt.

Andreas stand wieder auf dem Kübel der Sparmannia und suchte so eifrig nach welken Blättern, pfiff auch so hartnäckig seine Melodie vor sich hin, daß er unmöglich bemerken konnte, wie Friedrich sich auf den Rand eben dieses Kübels setzte; ebenso begreiflich war es, daß der Jockey etwas sagte, was der Andere gar nicht zu hören schien.

»Ihr wollt ein guter Freund sein,« rief endlich der kleine Mann ärgerlich; »ist das Freundschaft, wenn man Einem so einen bösartigen Brocken hinwirft, woran er ersticken könnte, und dann davon läuft und Einen stehen läßt?«

»Habe ich dir einen solchen Brocken vorgeworfen?« fragte verwundert der Gärtner. »Habe ich dir was Verdrießliches gesagt? Nicht daß ich wüßte!«

»Doch, doch! Ihr spracht von einem Abgrunde zu meinen Füßen, dem ich zuschreite, in den ich stürzen müsse. Eigentlich,« fuhr er in hochmüthigem Tone fort, »verstehe ich das wahrhaftig nicht; – aber,« sprach er nach einer Pause und nachdem er heftig geschluckt, »wenn ich einen Freund hätte, dem etwas vor den Füßen läge, worüber er fallen müßte, so würde ich ihm sagen: Da, nimm dich in Acht, geh bei Seite!«

»Und das soll ich dir wohl auch sagen?« erwiderte der Gärtner mit scharfem Tone. »Damit der hochmüthige Herr Friedrich sich so – in die Brust wirft, mit dem Kopfe wackelt und mir zur Antwort gibt: Ich habe gute Augen, um zu sehen, was vor meiner Nase liegt.«

Dabei ahmte er die Stellung und Geberden des kleinen Reitknechts außerordentlich getreu nach, was um so komischer aussah, da er dies auf dem Rande des Pflanzenkübels that.

»Also von Abgründen soll ich mit dir reden?« fuhr er nach einigen Augenblicken achselzuckend fort. »Was weiß ich, ob du in deinen hohen Ideen nicht Lust hast, nur so ein bischen am Abhange spazieren zu gehen, oder ob du Muth besitzest, hinab zu springen, um zu Grunde zu gehen oder da unten etwas Köstliches zu finden!«

»Muth habe ich schon,« sagte der kleine Groom, indem er sich in die Brust warf. »Aber vor allen Dingen laßt mich hören, was Ihr mit dem Abgrunde meint.«

Statt aber bei diesen Worten den Gärtner anzuschauen, blickte er auf eines der wolligen Blätter der Sparmannia, das er verlegen zwischen den Fingern zerrieb.

Ueber die Züge des Anderen flog ein triumphirendes Lächeln; doch nur eine Sekunde lang, dann nahm er eine erzürnte Miene an und sprach, indem er nicht nur die Worte, sondern auch den Ton der Stimme seines Gegenübers nachäffte:

»Aber vor allen Dingen laß mich hören, was hast du mit dem Kammerdiener François zu munkeln, den du zuweilen in der Stadt triffst und mit dem du gestern Abend hinter den Gewächshäusern eine halbe Stunde lang parlirtest? – Bist du nicht ein leichtsinniger Kerl, von dem man glauben könnte, er sei hier oben vernagelt?« fuhr er in gewöhnlichem Tone fort, wobei er mit der Handfläche an seine eigene Stirn, schlug. »Das muß der Herr Baron erfahren, und du sitzest vor der Thür, ehe man Eins, Zwei, Drei zählen kann.«

»Ich hätte den François gesprochen?« rief Friedrich mit erkünsteltem Erstaunen, »den Kammerdiener vom Gute draußen, von dem ich weiß, daß er der ganzen Herrschaft und mit vollem Rechte verhaßt ist?«

»Von dem du weißt, daß er der ganzen Herrschaft und mit Recht verhaßt ist,« wiederholte der Gärtner in sehr nachdrücklichem Tone, »den hast du gestern Abend hinter den Gewächshäusern gesprochen!«

»Da wollte ich doch schwören auf alles, was Ihr wollt!« rief der kleine Jockey eifrig. »Nein, so was müßt Ihr mir nicht nachsagen!« Dabei nahm er eine gekränkte Miene an.

»O, Bürschlein, Bürschlein!« versetzte Andreas, indem er mit dem Zeigefinger der linken Hand – in der rechten hielt er das Messer – vor dem Gesichte des Andern hin und her fuhr. »Du willst da schwören und zwinkerst doch mit den Augen, wenn ich dich fest ansehe? Wenn ich nun einen Zeugen nennen wollte, der dich gestern mit dem François sprechen sah? Wenn ich mit diesem Zeugen vor den Herrn Baron hinträte und ihm sagte: So und so, gnädiger Herr, wahr ist es, Sie können mir glauben; der Friedrich, der kleine Halunke, conspiratirt mit dem François gegen die Herrschaft. He, Sohn, was dann? Da kannst du auch hingehen und Bierwirthschafts-Kellner werden, wie dein Bruder im Reibstein in der Burggasse.«

Während der Gärtner so sprach, hatte der Groom finster vor sich hingeblickt, alsdann preßte er die Lippen auf einander, und eine seltene Entschlossenheit zeigte sich auf seinen Zügen; auch glänzten seine Augen wie die einer erzürnten Katze, als er zur Antwort gab: »So, Ihr habt einen Zeugen, der mich gesehen? Nun, dann ist mir's gleichviel, ob Ihr mich heute oder morgen beim Herrn angebt; denn wenn Ihr es nicht thut, so thut es der Andere, der, wie Ihr sagt, mich gesehen. Aber in dem Falle werde ich freiwillig nicht das Geringste sagen, so unschuldig es auch sein mag, nicht das Geringste.« – Er machte eine heroische Handbewegung.

»Du bist und bleibst ein Kindskopf,« sagte der Andere jetzt auf einmal mit einem gutmüthigen Lächeln. – Er klopfte die Gartenerde am Rande des Kübels von seinem Messer und fuhr alsdann fort: »Und doch bist du ein schlimmer Geselle; denn wenn du glaubst, ich sei im Stande, dich von einem Andern belauschen zu lassen, so wärst du in der That fähig, es mir so zu machen. – Also, daß du mit dem François gesprochen, gibst du zu?«

»Wie kann ich das zugeben, da es nicht wahr ist!« rief der Reitknecht. »Allerdings sprach ich gestern Abend mit Jemand hinter den Gewächshäusern, aber das war der Jäger Klaus.«

»Kann dieser verdorbene Bursche lügen!«

»Ich schwöre einen feierlichen Eid, daß ich den Jäger Klaus gestern Abend hinter den Gewächshäusern gesprochen,« sagte Friedrich, indem er die rechte Hand feierlich empor hob.

» Auch gesprochen, du Spitzbube!« versetzte der Gärtner. »Jetzt gib Acht, Kerlchen, ich will dir sagen, wie die Sache sich begeben, und da wollen wir sehen, ob der Andreas zu viel, oder zu wenig weiß. – Du standest gestern Abend, als es dunkel war, hinter dem Camelienhaus und sprachst mit François; da hörtet ihr Schritte, der François retirirte sich um die Ecke, und du, ein durchtriebener Geselle, wie du bist, pfiffst ruhig: So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage! – He, weiß ich Alles?« – Dabei blinzelte er mit dem rechten Auge pfiffig gegen Friedrich. – »Und du thatest, als wenn du nach den Ställen gehen wolltest.«

»Das Letztere ist vollkommen wahr; ich habe gepfiffen und bin auch nach den Ställen gegangen.«

»Unterwegs trafst du Klaus?«

»Ja, ich traf Klaus, das heißt, ich traf ihn nicht, sondern als ich sah, daß er mich vermeiden wollte, da sagte ich ihm: guten Abend, wie geht's? und ging meiner Wege?«

»Und tratest zu dem sauberen François hinter das Camelienhaus?«

Der Reitknecht zog ein spitzes Maul und zuckte mit den Achseln, ohne Antwort zu geben.

Andreas klappte sein Messer zu, dann sprach er ruhig: »Ich will dir was sagen, Sohn, wenn du in das Loch hinein purzeln willst, auf welches du zuduselst, so kann es mir schon recht sein, obgleich es mir leid thut, denn bei all deinem Leichtsinn hast du ein paar gute Seiten. Du mußt nun auch gar nicht glauben, daß ich wissen will, was du mit dem François verhandelt – Gott soll mich bewahren! dafür ist mir meine Stelle zu lieb. Aber wenn du einen guten Rath annehmen willst, so sagst du mir zu deinem eigenen Besten, wer mit Klaus sprach, nachdem er bei dir vorübergegangen war – du weißt es, du hast ihn beobachtet.«

Der kleine Jockey versuchte es, ein schmerzliches Gesicht zu ziehen, aber er brachte es nur zu einer Grimasse, wie sie vielleicht ein Affe zeigen wird, den man in den Schwanz kneipt. Dabei patschte er mit der Hand auf sein Herz und sagte mit affektirter Rührung: »Das hat mich erschüttert.«

»Ja, ich habe beim Nachtessen gesehen, daß es dich erschüttert hat. Hast du doch geseufzt, daß Alle aufmerksam wurden, und daß selbst die Nanette gefragt, ob du vielleicht ein Herzleiden hättest?«

»Ich hatte auch gestern ein Herzleiden,« entgegnete Friedrich mit einem tiefen Seufzer und melancholischem Tone. »Seht Ihr, Andreas,« fuhr er redseliger fort, »es thut weh, wenn man so bittere Erfahrungen machen muß. Aber ich halte es für eine wahre Wohlthat, mich gegen einen Freund aussprechen zu können. Und Ihr seid doch mein Freund, nicht wahr, und schwört mir unverbrüchliches Stillschweigen?«

Jetzt hatte der schlaue Gärtner den kleinen Jockey auf dem Punkte, auf dem er ihn haben wollte. Seine Worte begannen zu fließen, wie das Wasser aus einer geöffneten Schleuse, und es brauchte jetzt nur noch eines Gegendrucks, um es im Augenblicke darauf stärker hervorquellen zu machen. Deßhalb sprach auch Andreas mit gleichgültiger Miene, indem er Anstalten machte, von dem Kübel herabzusteigen: »Du weißt, ich schwöre nicht gern, und es ist auch nie meine Art gewesen, mich in anderer Leute Geheimnisse einzudrängen. Wenn Jemand kein Vertrauen zu mir hat, so soll er es bleiben lassen, dann brauche ich ihm auch keinen guten Rath zu geben.«

»Ihr wißt aber wohl, daß ich Vertrauen zu Euch habe, und ich hätte schon mit Euch gesprochen, aber da macht Ihr immer über jede Kleinigkeit einen Spektakel, wenn auch so gut wie gar nichts dahinter ist.«

»Na, na!« entgegnete der Gärtner, »davon später! Ich sage dir, die Sache ist ernst genug.«

»Ja, es hat mich auch überrascht und schmerzlich berührt,« erwiderte der Jockey, nachdem er heftig geschluckt. »Was hat der Jäger Klaus überhaupt hier bei uns in Nacht und Nebel zu schaffen? Und was hat – – das gnädige Fräulein mit ihm im Geheimen zu verkehren?«

»Das gnädige Fräulein?« rief, ungläubig lachend der Gärtner. »Höre, armer Bursche, du siehst das gnädige Fräulein überall. – Das gnädige Fräulein – ah bah! Wo hast du denn deine Augen gehabt?«

Er zucke aufs Auffallendste mit seinen Achseln und stieg alsdann gemüthlich vom Kübel herab.

Durch diesen Widerspruch augenscheinlich gereizt, versetzte Friedrich in sehr bestimmtem Tone: »Meine Augen hatte ich bei mir, und die sehen sehr gut; auch mögt Ihr die Achseln zucken, wie Ihr wollt, und ein ungläubiges Maul ziehen, so ist doch wahr, was ich sage. Das gnädige Fräulein war es, die aus dem Hause kam, gerade so, als habe sie mit Klaus die Zeit abgeredet gehabt. Und dann sprachen die Beiden mit einander wohl zehn Minuten lang.«

Andreas schüttelte mit dem Kopfe, dann sagte er im Tone des Unglaubens, wobei er aber aus den Augenwinkeln einen lauernden Blick auf Friedrich warf: »Was soll das gnädige Fräulein mit dem alten Jäger Klaus zu schaffen haben? – Narrenspossen!«

»Das will – das würde ich Euch sagen,« verbesserte sich plötzlich der Jockey, »wenn ich es nämlich wüßte.«

Bei diesen Worten betrachtete er aufmerksam das Blatt der Sparmannia, welches er zwischen die Finger genommen hatte.

Der Gärtner steckte die Hände in die Seitentaschen seiner Jacke und entgegnete: »Nun ja, angenommen, du hättest richtig gesehen – es wäre wirklich das gnädige Fräulein gewesen, welches mit dem alten Jäger sprach, was wird die ganze Geschichte sein? – Er ging von dem Gute nach der Stadt und nahm einen Auftrag von der Frau Mutter des gnädigen Fräuleins mit.«

Friedrich schüttelte pfiffig lächelnd den Kopf und erwiderte nach einer kleinen Pause: »So ist es nicht; es muß etwas ganz Anderes gewesen sein.«

»Das hat dir François gesagt?« fragte rasch der Gärtner, worauf der Andere sich scheu umsah und dann hastig mit dem Kopfe nickte.

»Ei, ei! – hm, hm!« machte Andreas, während er die Arme über einander schlug und zu Boden blickte. »Das ist eine verwickelte Sache, die überlegt sein will. Wenn du wirklich Zutrauen zu mir hast – und ich rathe dir als Freund, welches zu haben – so wollen wir heute Abend nach dem Diner der Herrschaft darüber weiter sprechen. – Jetzt ist nimmer Zeit dazu,« fuhr er eilig fort, indem er aufhorchte. »Hörst du, dort kommen die Pferde.«

In der That vernahm man in diesem Augenblick noch von der Straße draußen den leichten Galoppschlag ansprengender Pferde. Der Gärtner Andreas verlor sich im Hintergrunde des Gewächshauses, und Friedrich, der Jockey, verschwand durch die Eingangsthür auf der linken Seite, die ins Freie führte.

Kurze Zeit darauf erschien der Baron Breda an der Seite Eugeniens am Eingangsthore des eleganten Hauses. Beide kamen von einem Spazierritte zurück, und als die Pferde auf dem weichen Sandboden nur im Schritte gehend daher kamen, bog sich der Baron im Sattel gewandt zu der schönen Reiterin hinüber und ordnete etwas an den Zügeln ihres Pferdes, die sich verwirrt hatten, worauf er ihr dieselben mit einem freundlichen Blicke in die Hand gab. Der große Lord strebte so stark nach dem Stalle, daß ihm der kleine Braune, den Eugenie ritt, im Schritt nicht folgen konnte, weßhalb sie ihn lachend mit der Reitpeitsche berührte, worauf er mit einer eleganten Lancade zu gleicher Zeit an der Thür des Glashauses hielt. Und das gewährte bei dem festen Sitze des schönen Mädchens einen reizenden Anblick.

Baron Breda schwang sich leicht aus dem Sattel und hob alsdann auch Eugenie von ihrem Pferde herab. Friedrich ergriff die Zügel der beiden Thiere und führte sie mit einem beinahe finsteren Seitenblicke auf die junge Dame nach dem Stalle.

Der Gärtner Andreas aber hatte sich an der Eingangsthür zum Glashause eingefunden und öffnete dieselbe, um die Beiden einzulassen.

Eugenie ging voraus, und als sie so leicht und graziös zwischen den grünen Pflanzen dahin wandelte, konnte man wohl kaum eine reizendere Erscheinung sehen. Das schwarze, knapp anliegende Reitkleid zeigte die schlanken und doch so vollen Formen ihres Körpers. Und wie sie die Schleppe desselben so natürlich und hübsch mit der linken Hand trug! Dabei schien sie durchaus nicht von dem Ritte ermüdet zu sein; denn sie blieb bald hier, bald da stehen, strich leicht mit den Fingern über das Blatt einer fremden Pflanze oder beugte sich nieder auf den noch offenen Kelch irgend einer Blume.

»Du mußt aber gestehen, Onkel George,« sagte sie alsdann, indem sie stehen blieb und sich gegen den Baron umwandte, »daß ich deinem Reitunterrichte keine Schande mache. Auch fatiguirt es mich von Tag zu Tag weniger, ein paar Stunden zu Pferde zu sein, nur fühle ich mich echauffirt, ach, recht echauffirt! Und da thut die kühle Temperatur hier in dem Gewächshause so außerordentlich wohl.«

»Ja, wir sind ein wenig scharf geritten,« entgegnete der Baron, indem er mit inniger Freundlichkeit auf das zart geröthete Gesicht des jungen Mädchens blickte, dessen Augen förmlich leuchteten. »Aber geh in deine Zimmer, Kind,« fuhr er besorgt fort, als er sah, daß Eugenie keine Miene machte, das Glashaus zu verlassen. – »Nein, nein,« setzte er eifrig hinzu, indem er bemerkte, daß sie ihren Hut abnehmen wollte, »das darfst du jetzt nicht thun; dazu ist es doch zu kühl hier, du wirst dich jedenfalls erkälten.«

Dabei hatte sie aber schon mit großer Behendigkeit den kleinen, grauen Filzhut herabgenommen und bewegte ihn schelmisch lächelnd gegen ihren kopfschüttelnden Begleiter, dem es jedoch nicht gelingen wollte, eine ernste Miene anzunehmen, wie einen Fächer vor dem Gesichte auf und ab, so daß Schneeflocken und Wassertropfen, die sich am Rande angesammelt hatten, auf ihr dickes schwarzes Haar flogen, sich dort einen Moment wie glänzende Punkte anhängten und den schönen Kopf des jungen Mädchens wie eine frisch blühende, dunkelglühende, mit Thauperlen besäete Rosenknospe erscheinen ließen.

Der Baron schaute eine Sekunde nachsinnend in die kindlich lächelnden Augen des Mädchens, dann fuhr er mit der Hand leicht über ihr feuchtes Haar und sagte, indem er eine ernste Miene anzunehmen suchte: »Du bist ein schrecklicher Wildfang, Eugenie, und man muß sich obendrein in Acht nehmen, dir etwas zu verbieten; denn statt daß du einem guten Rathe Folge leistest, begehst du noch etwas Anderes dazu. Ich warne dich vor Erkältung, und du spritzest dir Wasser und Schnee auf die erhitzte Stirn. Ja, ja, wer kann dich bändigen! Die Tante ist zu nachsichtig und ich – sehe leider den dritten Theil deiner kleinen Unarten nicht.«

Eugenie hatte bei diesen Worten aufmerksam mit den großen Augen das Gesicht ihres Onkels betrachtet, und wenn sie etwas auf demselben entdeckt hätte, was wie Verdruß oder Kummer ausgesehen, so würde sie das gewiß tief betrübt haben; da sie aber bemerkte, daß die Strafpredigt durchaus nicht ernstlich gemeint war, so machte sie einen tiefen schelmischen Knix und sprang davon, indem sie zurückrief: »O, Onkel George, ich muß machen, daß ich dir aus den Augen komme; denn sonst zankst du in Einem fort mit mir, und das über lauter Sachen, die ich von dir und bei dir gelernt.«

Dahin flog sie die paar Stufen hinan zum Eßzimmer und hätte fast den Gärtner Andreas umgeworfen, der wieder hinter den dichten Zweigen der Sparmannia zu thun hatte, und verschwand darauf hinter der Flügelthür.

Der Baron schritt ihr kopfschüttelnd nach, und als er sie so durch die Gesträuche dahin schlüpfen sah, war ihm das junge Mädchen, obgleich sie erst vor Kurzem in sein Haus gekommen, doch gerade hier in demselben durchaus keine fremdartige Erscheinung; es war ihm, als sei sie von Anfang an da gewesen, und als gehöre sie so zum Ganzen, daß dieses nicht ohne sie bestehen könnte. Freilich lächelte er selbst über seine Phantasieen, wenn er dachte: Wozu wäre das Glashaus nöthig, wenn Eugenie nicht hier Morgens spazieren ginge, dort auf jener Bank ihre Bücher lesen würde und dem Gärtner Andreas oft halbe Stunden lang Gelegenheit gäbe, seine Kenntnisse und seine Gelehrsamkeit zu zeigen, indem sie ihn über die Namen aller erdenklichen Pflanzen und Blumen examinirte, diese aber oft besser wußte, als er? – Wozu hätte ich meine Reitpferde, als daß ich mit Eugenien spazieren ritte? wozu meine Loge im Theater, als daß sich das junge, schöne Mädchen dort in die Ecke schmiegt? leider für viele müßige junge Herren ein Schauspiel im Schauspiel.

So dachte Baron Breda, als er langsam durch den Wintergarten und den Eßsalon nach seinem Zimmer schritt. Gewissermaßen aber hatte er ein Recht, so zu denken; denn erst seit das junge lebhafte Mädchen im Hause war, wurden die ebengenannten Gegenstände in ihrem vollen Umfange gewürdigt und benutzt. War doch früher die Breda'sche Loge im Opernhause in ihrer Leere zu einem Sprichworte geworden; schienen doch der Wintergarten und die weitläufigen Gewächshäuser nur eben dazu eingerichtet zu sein, daß Andreas etwas zu thun habe; wurde doch der reizende Eßsalon nur höchst selten bei kleinen Diners, welche der Hausherr seinen Freunden zur Winterzeit gab, benutzt; und wenn auch der Baron, ehe Eugenie im Hause war, viel zu Pferde auswärts war, so vermehrte dies doch noch beträchtlich die Leere und Stille des Hauses; denn wenn er alsdann zurückkam, so stieg er drüben bei den Ställen ab und bemühte sich alsdann, so leise wie möglich die Treppen hinauf nach seinen Zimmern oder denen seiner Frau zu gehen. Ja, es war, als hätten sich früher Herrschaft und Dienerschaft gescheut, in dem Hause das geringste Geräusch zu machen; letztere sprach nur flüsternd zusammen, und die erstere gab auch höchst selten einen lauten Ton von sich. Nicht einmal beim Diner wurde von Herrn und Frau von Breda viel gesprochen, was eigentlich begreiflich ist, denn ein Diner zu Zwei ist nur in Ausnahmsfällen amüsant und wird gewöhnlich von der Langenweile selbst bedient. Früher, als der kleine Jockey noch zuweilen lustig gelaunt war, hatte er einmal dem Gärtner und der Nanette versichert, jedesmal, wenn er ins Eßzimmer trete, kneife er sich draußen in seine langen Ohren, damit es ihm nicht einmal passire, daß er beim Serviren irgend eines Gerichtes einschlafe und umfallend seinen eigenen Kopf auf der Schüssel präsentire.

Bei alle dem aber kann man nicht sagen, daß Frau von Breda, in deren Wesen man wohl die Stille und Einförmigkeit des Hauses suchen darf, dabei eine langweilige, verdrießliche oder gar unbedeutende Frau gewesen wäre. Im Gegentheil, bei einem regen, bildsamen Geiste hatte sie eine vortreffliche Erziehung genossen, redete und schrieb verschiedene Sprachen mit großer Fertigkeit und beschäftigte sich außerordentlich viel, vielleicht etwas zu viel, mit Kunst und Literatur; sie las fast den ganzen Tag, ohne daß sie es liebte, sich über das Gelesene auszusprechen, woher es auch wohl kam, daß sie sich gern in sich selbst zurückzog, ein Bedürfniß nach Ruhe und Stille hatte, in welcher sie von dem aufmerksamen Gatten nicht gestört wurde, und so eine Atmosphäre, die zuweilen fast an Langweiligkeit grenzte, über das ganze Haus verbreitete.

Schon in einem früheren Kapitel haben wir mit wenigen Worten der Verheirathung des Barons von Breda mit seiner Frau gedacht; letztere mußte es als ältere Schwester mit Kummer und Besorgniß erleben, daß ihre jüngere Schwester, die Mutter Eugeniens, ein Leben führte, das mit der Zeit nur ein schlimmes Ende zur Folge haben konnte. Obgleich Beide ein großes Vermögen besessen, so hatte doch die Baronin Henriette mit dem ihrigen auf die tollste Art gewirthschaftet, worin sie von ihrem alten schwachen Manne, wenn nicht unterstützt, doch auch nicht gehindert wurde, indem der Baron nur Sinn für seine verschiedenen Sammlungen hatte, mit denen er sich aufs eifrigste und als Kenner beschäftigte, während er sich bei dieser Beschäftigung für den Gang des Hauswesens weder interessirte, noch darum bekümmerte. Bitten und Ermahnungen der älteren Schwester waren gänzlich fruchtlos geblieben, und obgleich diese wohl einsah, daß sie ein Leben wie das ihrer Schwester, selbst mit den größten Aufopferungen ihrerseits, nicht zu erhalten vermöge, so ließ sie sich doch bewegen, immer und immer wieder, selbst mit großen Summen, auszuhelfen, was am Ende auch ihren Ruin hätte mit herbeiführen müssen. Da hatte sie sich ein Herz genommen, um ihren jetzigen Mann, den Baron Breda, der als äußerst zuverläßig in Geschäftssachen bekannt, sowie um seines festen Charakters willen mit Recht berühmt war, um Rath zu fragen. Der wilde George, welchen Namen ihm seine Kameraden vom Regiment gegeben, verdiente diese Benennung nur, wenn er im Sattel saß; denn da war ihm kein Wagestück zu groß, kein Unternehmen zu tollkühn, das er nicht mit ausgeführt hätte, wenn es, ihm von Anderen proponirt wurde oder wenn er selbst in seinen vielen Freistunden darauf verfiel.

Die Baronin kannte den Offizier schon von ihrem elterlichen Hause her, wo ihn ihr Vater gern gesehen und protegirt hatte. Auch hatte George beständig eine gewisse Zuneigung – man konnte sie eine brüderliche nennen – für die beiden Schwestern bewahrt; ja, er allein hatte das Recht, der Baronin Henriette von Braachen zuweilen ihre Thorheiten vorhalten und seine Ermahnungen mit der Frage schließen zu dürfen, wohin das verschwenderische und ausschweifende Leben denn eigentlich führen solle? Wenn sie auch ihrem Prediger in der Wüste, wie sie ihn nannte, Anfangs lachend zuhörte und seine Angriffe geistreich und gewandt parirte, so war er doch im Stande, sie ernst zu stimmen, ja, ihr Thränen zu entlocken, sie auch vielleicht zu guten Vorsätzen zu ermuntern, die aber leider in der nächsten Stunde darauf schon alle wieder vergessen waren. – »Ja, es ist ein Unglück,« pflegte sie dann wohl zu sagen, »daß guter Rath oft zu spät kommt und daß man Geschehenes nicht ungeschehen machen kann. Sie hätte ich heirathen sollen, lieber George, dann wäre wahrscheinlich Alles, Alles anders gekommen.«

»Das wäre vielleicht möglich,« hatte er dann trocken zur Antwort gegeben; »entweder hätte sich Ihr Leben anders gestaltet, oder wir wären Beide unglücklich geworden.«

»Das Letztere erscheint mir glaubwürdiger,« erwiderte sie dann mit einer unbegreiflichen Offenherzigkeit, und wenn sie darauf in tiefes Nachsinnen versunken war, so hatte er seinen Hut genommen und sich empfohlen.

Auch die ältere Schwester, deren ruhigen und ernsten Charakter Herr von Breda wohl erkannt, sah er häufig bei Besuchen, die er ihr machte, oder in Gesellschaften und auf Bällen, die sie mit einer alten Tante besuchte. Bei solchen Veranlassungen war er immer freundlich, theilnehmend, ja, auch aufopfernd für sie gewesen; er liebte es, sich in Gesellschaften mit dem, wenn auch ältern, aber geistreichen Mädchen stundenlang zu unterhalten, und auf Bällen war er hergebrachtermaßen für gewisse Touren lange Zeit ihr Tänzer gewesen. Schon viele und mitunter dem Aeußeren nach auch vortheilhafte Partieen hatten sich für die reiche Dame gefunden; doch mußten ihr diese nicht annehmbar erschienen sein, da keine zu Stande gekommen war.

Auch bei diesen delikaten Angelegenheiten fragte sie George häufig um seinen Rath, den er ihr auch in seiner kurzen und treffenden Weise bereitwillig gab, – eine offene Unbefangenheit, die uns zu der Annahme berechtigt, daß damals weder die Baronin, noch Herr George von Breda auch nur im Entferntesten an eine Verbindung zwischen ihnen selbst gedacht.

Da geschah es, was wir schon oben angedeutet, daß sie ihm eines Tages die Lage ihrer Schwester genau aus einander setzte und nicht unterließ, ihm dabei zu sagen, wie sie voraussichtlich wohl in den Fall kommen könne, ihre eigene Existenz wenn auch nicht zu opfern, doch sehr zu schmälern, um ihrer Schwester zu helfen.

George von Breda hatte ihr darauf alles wiederholt, was er ihr selbst sowohl als ihrer Schwester schon häufig gesagt, und hatte es schließlich für rathsam gefunden, einen Geschäftsmann aufzusuchen, dem sie die Verwaltung ihres Vermögens unter gewissen Bedingungen übertrüge, wobei sie sich freilich verbindlich machen müsse, in Betreff ihrer Schwester nichts gegen den Rath dieses Sachwalters zu unternehmen, der mit den Eigenschaften, die er eigentlich haben müsse, wohl sehr schwer zu finden sein dürfte.

Diese Unterredung hatte ein paar Stunden gedauert, und als der Baron darauf das Haus verlassen und sein Pferd bestiegen, war er im langsamsten Schritte durch die Straßen der Stadt bis in seine Wohnung geritten – ein Ereigniß, welches bei den ihm begegnenden Kameraden, die er obendrein aufs flüchtigste grüßte, gewaltiges Kopfschütteln hervorgebracht hatte.

Dieses Kopfschütteln aber vergrößerte sich, wurde zur Verwunderung, ja, zum größten Erstaunen aller, welche den wilden George gekannt, als derselbe in den nächsten Tagen bei seinen zahlreichen Bekannten Verlobungskarten herumschickte und darauf seinen Freunden und allen ihm näher Stehenden in sehr trockenen Worten sagte, er wisse wohl, daß die Verbindung, die er einzugehen im Begriffe stehe, verschiedenartigen Deutungen unterliegen werde, er bäte aber, sich im Ausdrucke dieser Deutungen außerordentlich zu menagiren; denn wenn er sich auch in diesem Falle vorgenommen habe, auch ferner ein zuverlässiger und treuer Kamerad zu bleiben, so sei er doch bekannt genug, daß man im anderen Falle von ihm glauben könne, er werde auch nicht das geringste unangenehme oder anzügliche Wort, welches er in dieser Angelegenheit erfahren würde, ruhig oder geduldig hinnehmen.

War es nun, daß man den wilden George fürchtete, oder stand er so hoch in der Achtung seiner Bekannten – und wir glauben das Letztere – daß man die Motive zu seiner allerdings etwas überraschenden Verbindung ehren und anerkennen zu müssen glaubte – genug, die Sache war abgemacht, und als Baron George von Breda sich kurze Zeit darauf verheiratete, war es gerade, als habe Jedermann schon lange vorher um diese Verbindung gewußt und sei vollkommen damit einverstanden.

Daß sie in jeder Hinsicht gelungen schien, glauben wir auch unsererseits berechtigt zu sein, dem geneigten Leser zu sagen. Der Baron übernahm das Vermögen seiner Frau, brachte alles, was unter der schwächeren Hand derselben nicht gehörig verwaltet worden war, in gute Ordnung, setzte sich auch ein- für allemal mit seiner Schwägerin aus einander, und das zwar auf so großmüthige Art, daß diese ihm aus Grund ihrer Seele dankte, und das Einzige, was er nun, reich geworden, wenn man will, für sich that, war der Bau des reizenden Hauses vor den Thoren der Stadt, dessen Pläne er schon lange vorher mit Liebe und Umsicht angefertigt hatte. –

Nachdem Eugenie und der Baron das Glashaus verlassen hatten, und Beide in den oberen Stock hinaufgestiegen waren, herrschte hier unten wieder dieselbe Stille, wie wir sie zu Anfang dieses Kapitels erwähnt. Der kleine Jockey assistirte der Abreibung der beiden Pferde in dem Stalle, und Andreas, der sich aus dem Wintergarten nach dem großen Gewächshause zurückgezogen, saß hier auf den Stufen einer Blumenstellage, sein Vesperbrod verzehrend, und war dabei in tiefes Nachdenken versunken.

Was doch ein Mensch vor dem anderen in dieser Welt voll Ungerechtigkeiten für ein merkwürdiges Glück hat! dachte er. Da kommt das junge Mädchen, das draußen auf dem alten, halbverfallenen Landhause kaum etwas zu beißen hatte, hieher, und da ist es doch gerade, als sei eine Prinzessin eingezogen. Ja, so ein schönes Gesicht, das kann doch Alles durchsetzen; daß wir alle sammt und sonders hierhin und dorthin springen müssen, wenn die nur mit den Augen zwinkert, ist leider Gottes begreiflich; denn ein Diener ist nun einmal ein Diener und muß sich nach den Launen seiner Herrschaft fügen; daß aber diese Herrschaft, d. h. die gnädige Frau, murmelte er ingrimmig, während er sein Messer bis ans Heft in das Brod stieß, alles thut, was man der Anderen nur an den Augen absehen kann, das ist doch unbegreiflich und noch gar nie dagewesen. Hat denn die keine Augen im Kopf, um zu sehen, wie er mit dem Kinde – so nennt er sie freilich – umgeht? Eugenie hier und Eugenie da! – Eugenie, du wirst dich erkälten, da fühle nur, deine Stirn ist ganz heiß – hahaha! ja prosit die Mahlzeit – erkälten! Nun, das wird mit der Zeit eine gefährliche Erkältung geben, dafür ist mir gar nicht bange. – Aber weil sie alles Recht im Hause hat, fuhr er giftiger fort, deßhalb nimmt sie sich auch heraus und bekümmert sich um meine Angelegenheiten. Daß sie was von der Gärtnerei versteht, daran ist leider Gottes ihr verrückter Papa draußen schuld. Aber wer ihr das Recht gibt, in meine Pflanzenkästen und in mein Inventar zu schauen, das möcht' ich wissen. Der Baron gibt doch auch auf die Sachen hier Achtung, das muß man ihm lassen, aber was geht's die da an, wenn ich manchmal irre? Es kann schon Fälle geben, wo Zwei und Zwei Sechs ist; was versteht so Eine davon! – Na! passe du mir nur auf, ich will dir Gleiches mit Gleichem vergelten, und Zinsen sollst du obendrein kriegen.

Damit war Brod und Selbstgespräch zu Ende, und Andreas hätte wahrscheinlich wieder den lieben Augustin vorgenommen, wenn er sich nicht selbst in den Zorn hinein gedacht hätte, was auch daran zu erkennen war, daß er ein prachtvolles Geranium, das er im Aufstehen von der Stellage herabgeworfen, so mit dem Fuße von sich stieß, statt es aufzuheben, daß der Blumenscherben in unzählige Stücke zerbrach, die weit umher flogen.

Dabei war es für ihn unangenehm, daß das junge Mädchen, dessen er soeben in seinen Betrachtungen so liebreich gedacht, zufälligerweise in diesem Augenblicke in das Gewächshaus trat. Bei jeder anderen ähnlichen Veranlassung würde sie sich wahrscheinlich achselzuckend entfernt haben, aber dieser so muthwillig zerbrochene Blumentopf, die umherliegenden Scherben brachten mit einem Male eine so trübe Erinnerung in ihr hervor, daß sich ihr Gesicht mit glühender Röthe übergoß, die gleich darauf einer tiefen Blässe Platz machte; ja, sie zuckte ordentlich zusammen und konnte sich nicht enthalten, auszurufen: »Ah, Andreas, das ist nicht schön von Ihnen! Warum zerbrechen Sie so muthwillig den Blumenstock? Das thut mir weh; ich kann das nicht sehen.«

Der Gärtner blickte in die Höhe, ohne gerade ein bedeutendes Erschrecken auf seinem Gesichte sehen zu lassen; vielmehr warf er spöttisch den Mund auf, war aber doch klug genug, seine Worte mit dieser Geberde nicht in Einklang zu bringen, sondern sagte: »Ja, das ist so ein Unglück, wie es Einem wohl passiren kann. Habe ich doch den Topf nur etwas bei Seite setzen wollen, und da ist er mir zu meinen Füßen zerbrochen. Nun, der Blume hat es nichts geschadet, die wollen wir gleich wieder einsetzen.«

Eugenie zog sich zurück, ohne ein Wort weiter zu verlieren, und Andreas, der das Geranium aufgehoben hatte und so that, als betrachte er aufmerksam die Schäden, die dasselbe allenfalls genommen haben könnte, blickte über die Blätter weg dem jungen Mädchen nach, indem er vor sich hinmurmelte: »Gelt, hättest am Ende gern nach einem Stocke gesehen, kannst nicht leiden, wenn man Scherben zerbricht. Das mag wohl sein, mein Schatz, aber wir hier sind kein François, und was du zu Hause gethan, wirst du hier, hoffe ich, unterlassen.«

Hätte Eugenie nur eine Ahnung von den Gedanken des Gärtners gehabt, daß er sie hasse, er, gegen den sie, wie gegen Alle im Hause, freundlich und höflich war, ja, hätte sie nur den hundertsten Theil erfahren von den giftigen Reden, die im Bedientenzimmer, in Küche, Stall und Gewächshaus über sie zu Tage kamen, wer weiß, ob sie nicht im selben Augenblicke heimgekehrt wäre in das verfallene Landhaus ihrer Eltern, wo freilich kein Glanz und keine Pracht sie umgab, wo sie aber allen, die dort lebten, wie ein fleckenloses himmlisches Bild erschien, wo sie friedlich abgeschieden von der Welt gelebt, umgeben von tiefer Ruhe und dem heiligen Frieden der großen Wälder.

Zuweilen zuckte wohl etwas Aehnliches durch ihr Herz, und dann konnte sie lange, lange droben am Fenster stehen und hinüber schauen nach der breiten Landstraße, die dort über den Hügel weg lief und dann zu dem Thale hinabsank, wo links der Waldweg mündete, der zu den Ihrigen führte. Den verfolgte sie alsdann in Gedanken und kam an das zertrümmerte Thor, unter welchem der breite Weg anfing, wo die alten Steinfiguren waren. Wie eilte sie dahin mit geflügelten Schritten! Wie schlug ihr Herz höher, als sie nun das alte Landhaus wieder erblickte, als sie in die Arme ihrer Mutter sank und sanft schluchzend sagte: Da bin ich wieder! – Sie wußte wahrhaftig nicht, woher ihr oft diese eigenthümlichen Gedanken kamen. Aber nachdem sie gesehen, daß sich Alles im Hause noch an seiner alten Stelle befand, als sie auch den Vater umarmt und begrüßt, der sie herzlich willkommen hieß, obgleich er seine Augen nur flüchtig von dem kleinen römischen Kruge erhob, den ein Bauer beim Graben der neuen Straße gefunden, – als das alles von ihr geschehen war, da eilte sie um das Haus herum in den Wald hinein, bis zur Wohnung des Jägers Klaus, und wenn sie in ihren Gedanken dort angekommen war und von der Höhe, wo damals das Pferd mit dem Reiter verschwunden, hinabblickte, dann fuhr sie lächelnd mit der Hand über die Augen, und ihre Träume flatterten aus einander. War es doch kalt und winterlich draußen, lag doch der Schnee auf der Bank vor der Hütte, wo sie so gern gesessen; war doch der Wald entlaubt, so daß man weit, weit hinein schauen konnte, und ob man gleich auf eine der Hauptstraßen sah, erblickte man doch Niemand, Niemand!

Ja, so träumte das junge Mädchen zuweilen und hatte eine fast unbezwingbare Sehnsucht nach ihrer Freiheit, nach ihrem Walde, jetzt, wo es dort kalt und kahl war, wo sich die nackten Aeste fröstelnd vor dem strengen Winter beugten; wo der Boden naß und schlüpfrig war, wo Schneeflocken und Regentropfen durch die Luft sausten. Was sollte das geben, wenn nun der Frühling wieder kam, wenn Bäume und Sträucher anfingen, sich mit dem unaussprechlich schönen Flaum zu beziehen, der anfänglich grau erscheint, dann ins Violette übergeht und endlich nach einem warmen, duftenden Regen einen grünen Schimmer annimmt! Ach, daran mochte sie nicht denken, und wenn sie doch daran dachte, so preßte sie ihre Hand seufzend auf das Herz. – –

Tante Breda saß bereits im Eßsalon, als Eugenie eintrat; sie hatte sich neben dem Kamin niedergelassen und nickte dem jungen Mädchen freundlich zu, ohne den düsteren Blick zu bemerken, der aus den Augen Eugeniens schoß und den diese vergeblich in einen heiteren umzuwandeln versuchte.

»Ihr seid heute nicht lange ausgeblieben,« sagte die Baronin gutmüthig. »Nun, ich kann es mir denken: Schnee und Regen haben euch heimgetrieben; ich könnte das nicht ertragen; aber für dich, mein Kind, ist es sehr gesund. Du, von jeher an die frische Luft gewöhnt, immer draußen unter den freien Bäumen des Waldes, du müßtest dir ja in den umschlossenen Räumen des Wintergartens wie ein gefangenes Vögelein vorkommen. – Ja, ja,« fuhr sie nach einer Pause fort, während sie sich in ihren Sessel zurücklehnte und den Kopf in die Hand stützte, »so sind die Charaktere verschieden. Ich kann dich versichern, meine gute Eugenie, daß mir oft eben dieser umschlossene Wintergarten wie die weite, weite Welt vorkommt, daß mich seine Räume fast erschrecken und daß ich gern wieder zurückkehre in meine Zimmer.«

»Das ist wahr, liebe Tante,« erwiderte das Mädchen, »Sie sind gern allein bei sich, so gern, daß ich es oft nicht begreife. Sie hatten Recht, wenn Sie vorhin sagten, daß ich das Freie, Uneingeschränkte liebe; war ich doch schon von Kindheit an Ihr kleiner Wildfang, wie Sie mich so gern nannten.«

Sie hatte sich dem Stuhle der Baronin genähert, ihre Hand auf die Lehne gelegt, und als sie sah, daß die Tante aufwärts blickte, beugte sie sich so tief herab, bis sie mit ihren Lippen die Stirn der älteren Dame berührte.

»Ja, ja,« sprach diese, indem sie mit den Fingern leicht über das dichte Haar Eugeniens fuhr, »du warst von jeher mein lieber Wildfang und bist es auch geblieben, und ich habe dich so recht, recht lieh, dich mit deinem klaren, guten Gemüthe. Dein Herz muß in der Freiheit unter grünen Bäumen und Blüthen schlagen. Ist es doch selbst eine Knospe, die gewiß Herrliches verbirgt und die sich hoffentlich in all' ihrer Pracht unter sanften, angenehmen Schlägen entfalten wird.«

Frau von Breda hatte dies so leise gesprochen, daß Eugenie es kaum verstand; doch bemerkte sie wohl an dem innigen Blick, den die Baronin auf ihrem Gesichte ruhen ließ, wie gut sie es mit ihr meine.

»Da setze dich zu mir her, du kleines Kind!« sagte Tante Breda, wobei sie auf ein Tabouret zeigte, das neben ihrem Fauteuil stand. »Gleich werden wir unser Diner bekommen, und ich kann mir denken, daß du eben sowohl müde wie hungrig bist. Auf euren Ritten wird dich Onkel George nicht schonen; ich kann mir das wohl denken, denn ich kenne ihn. Aber er läßt sich schon ein Wort von dir gefallen, und du mußt dich ja nicht geniren, ihm Halt! zuzurufen, wenn er es gar zu eilig hat.«

»O, ich komme schon nach, liebe Tante,« versetzte Eugenie lächelnd; »er hat mir ja ein gutes, sicheres Pferd gegeben; auch reitet Ihr Wildfang gern etwas rasch dahin, und diese Spazierritte machen mir in der That viel Vergnügen, namentlich da ich doch wohl gewiß sein darf, daß es Ihnen angenehm ist.«

»Hast du daran gezweifelt?« fragte Frau von Breda und ließ ihr offenes, ehrliches Auge auf dem Gesichte des jungen Mädchens ruhen.

»Ja, ich habe mir wohl schon gedacht, dies und die andere viele Unruhe, die ich, aber gewiß, ohne es zu wollen, im Hause hervorbringe, könnte Ihnen doch zuweilen lästig werden. Ja, meine gute, gute Tante,« setzte sie schmeichelnd hinzu, »oft habe ich schon gewünscht, mein Charakter wäre so still, so ruhig, so liebenswürdig wie der Ihrige. Das müßte auch Ihnen angenehmer sein, nicht wahr, Tante Breda? Sagen Sie mir die Wahrheit. Ich bin noch so jung, um mich ändern zu können, und will mir alle Mühe geben, dies zu thun. Gewiß, Ihnen zu lieb, meine gute Tante.«

»Daran thätest du sehr unrecht,« entgegnete die Baronin, »gewiß, sehr unrecht, und erzeigtest mir keinen Gefallen damit. Glaube mir, liebe Eugenie, ich habe mich lange nach meinem lieben Wildfang gesehnt und deine Mutter beneidet, daß sie ein so lebensfrisches Herz, wie das deinige, um sich hat, so ehrlich leuchtende Augen. Und doch braucht sie dich nicht so nothwendig, da sie immer noch mit tausend Fäden an der äußeren Welt festhängt, da sie selbst lebhaft und unruhig ist und vielleicht viel eher ein sanftes und stilles Gemüth zu schätzen wüßte. Mir bist du aber mit deinem duftigen, heiteren Wesen eine Vermittlerin mit der äußern Welt, von der ich mich ja gänzlich zurückgezogen habe. Wenn du zu mir eintrittst und mir von der lärmenden Stadt erzählst, von der schneebedeckten Landstraße oder von irgend einer neuen Oper, die ich doch nie erfasse, wenn ich auch zuweilen gezwungen bin, sie mit anzuhören, so ist es mir gerade, als kehrten meine eigenen Gedanken, die in Feld und Wald, in der Stadt und in der Gesellschaft zerstreut waren, erst wieder zu mir zurück. Gewiß, Eugenie, ein Gemüth, wie das deinige hat unserem Hause gefehlt, hat mir gefehlt und Onkel George, und wenn du jetzt auf einmal nicht mehr da wärest, so würde mir die Stille und Ruhe unseres Hauses, die ich sonst so gern hatte, recht drückend erscheinen.

Das Mädchen hatte ihre Hände über einander gelegt und blickte nachdenkend in die spielenden Flammen des Kamins.

»Wenn ich lange gelesen,« fuhr die Tante fort, – »und ich lese gern, wie du weißt,« setzte sie lächelnd hinzu, – »so ist es mir, wenn ich deine Stimme höre, oft zu Muth wie dem Reisenden in meinen Büchern, der aus dem Sande der Wüste hinweg plötzlich in eine grüne, frische Oase kommt; da lausche ich gern, wenn du sprichst oder lachst oder singst, und kann mir oft dabei ein ganzes und gewöhnlich sehr glückliches Leben träumen, das ich mit allen seinen Abstufungen durchmache, und wobei ein gutes, liebes Geschöpf, wie du bist, die Hauptrolle spielt.«

Sie hatte bei diesen Worten ihre Rechte ausgestreckt und drückte innig die Hand Eugeniens, welche ihr diese mit einer leidenschaftlichen Bewegung entgegenstreckte.

In diesem Augenblicke trat Onkel George in das Zimmer, er hatte eine sorgfältige Toilette gemacht, und statt im Reitanzuge erschien er jetzt mit einem schwarzen Fracke bekleidet.

»Ei,« sagte er, freundlich lachend, »da sitzt ihr noch am Kamin und plaudert vor dem unberührten Tische, während ich denke, euer Diner sei schon vorüber. Haben wir denn noch so früh?« Er zog seine Uhr hervor. »Richtig, erst Fünf, und doch bei dem bedeckten Himmel hier kaum dämmerig. Ich habe droben schon Lichter gebraucht. Ja, das macht mein Glashaus; ich kann dir nicht sagen, Julie, wie stolz ich auf diese Erfindung bin.«

Bei diesen Worten hatte er einen Stuhl vor den Kamin gerollt und sich zwischen seine Frau und Eugenie gesetzt.

»Das ist doch hier ein trauliches Plätzchen,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »so recht zum Plaudern geschaffen. Es thut mir wirklich leid, daß ich nicht bei euch bleiben kann; heute gerade, wo es draußen tobt und stürmt, fühlt man sich so behaglich bei der knisternden Flamme. Fast jeden Tag diese Einladungen!«

»Aber, Onkel George,« sagte das Mädchen, »du hast doch in der letzten Zeit nicht viele Einladungen gehabt.«

»Ich?« fragte er mit einem Tone der Verwunderung. »O, da sieh nur droben auf meinem Schreibtische nach, da liegt es ganz voll davon.«

»Aber du bist in der letzten Zeit gar nicht aus gewesen. Was machst du denn mit den vielen Einladungen?«

»Ja, man kann nicht überall hingehen; ich refusire eben, was zu refusiren ist, und hätte es gerne heute Abend auch so gemacht.«

»Aber es war gut,« bemerkte die Baronin, »daß du dem armen Grafen Helfenberg nicht abgeschrieben hast. Ich weiß, er hat dich gern und bat dich schon mehrere Male.«

»Ja, er hat mich gern,« entgegnete Onkel George fast unmuthig, »und ich mag ihn auch gut leiden; aber du kannst dir denken, Julie, daß es mir gerade nicht angenehm ist, ihn in größerer Gesellschaft zu sehen. So am Tage tête à tête bin ich gern bei ihm und verplaudere dort auch manche Stunde. Wenn ich aber sehen muß, wie er sich anstrengt, den angenehmen Wirth zu machen – und es geht doch gar nicht mehr, – das thut mir in der Seele weh.«

»Du solltest ihn bitten, häufiger herzukommen,« versetzte gutmüthig die Baronin; »dein vielgerühmter Wintergarten müßte eine wahre Erholung für ihn sein.«

»Ich habe ihm das schon oft angeboten,« erwiderte der Hausherr, »wie du dir das wohl denken kannst; aber er mag nicht. Du weißt überhaupt, wie sorgfältig er sich von den Damen, die er früher gekannt, zurückzieht.«

»Ja, ja, ich weiß es,« sagte die Baronin, und setzte mit einem leichten Seufzer hinzu: »Der arme Graf!«

Eugenie hatte diesem Gespräche, das für sie ohne Interesse war, nur mit halbem Ohre zugelauscht. Sie blickte auf die brennenden Holzblöcke und sah da allerlei seltsame Gestalten, denen ihre Phantasie Formen verlieh. Während sie aber so sinnend schaute, verfinsterte sich unwillkürlich ihr Auge, und man sah, daß etwas Trauriges ihr Herz bewege. Was es war, wußte sie selbst nicht, doch hing es wieder mit ihren Träumereien zusammen, die sie bewegten, wenn sie auf die Landstraße hinausblickte; es war ordentlich ein feuriger Wald, den die aufknisternden Funken bildeten, und mitten in demselben lag etwas wie eine kleine Hütte, das anfänglich im Wiederscheine des Feuers so schön erglänzte, dann aber auch von dem gefräßigen Elemente verzehrt wurde.

Onkel George legte seine Hand leicht auf den Arm des Mädchens und sprach: »Warum bist du so ernst, Eugenie? Du bist nicht heiter, ist dir etwas Unangenehmes begegnet?«

Sie fuhr aus ihren Träumereien empor und lächelte, als sie erwiderte: »Mir gewiß nicht; ich blicke nur so in die Flamme und hatte da meine eigenen Gedanken.«

»Mache dir nur keine betrübten, mein Kind,« sagte der Baron, indem er leicht mit der Hand über ihr Haar strich; »die kommen früh genug und von selbst. Du blickst noch in diesem Leben aufwärts, und wer aufwärts blicken kann, in dessen Augen strahlt der Himmel wieder, und so muß er heiter sein.«

»O, daß ich meistens sehr heiter bin, Onkel George, das Zeugniß mußt du mir geben; vielleicht viel zu heiter, wie ich auch vorhin der Tante schon sagte. Ja gewiß, ich fürchte mich oft, meine lustige Laune herauszulassen, indem ich mir denke, das müßte euch mit der Zeit etwas zu viel werden.«

»Wie kann man auch nur solche Gedanken haben!« bemerkte der Baron. »O, Kind, fange nicht an zu träumen; ich versichere dich, dein munteres, heiteres Wesen ist ordentlich wohlthuend in diesen sonst so stillen Räumen. Nicht wahr, Julie?«

»Das Gleiche habe ich ihr vorhin auch gesagt,« versetzte die Baronin, »und ihr dabei versichert, wie lieb mir ein heiteres Temperament sei, ja, ihr gesagt, daß gerade der Contrast zwischen der Stille unseres Hauses und ihrem Wesen so höchst angenehm ist. Es wäre ja zu arg, mein liebes Kind, wenn du hier herum schleichen wolltest, dich scheuen vor einem lauten Tone. Das soll nicht geschehen; nein, nein, ich bin im Gegentheil überzeugt, daß du dazu bestimmt bist, ein rechtes Leben in dieses ruhige Haus zu bringen. Onkel George wird wieder mehr zu seinen Bekannten gehen, als er in der letzten Zeit gethan; wir werden Einladungen machen, um andere Menschen zu sehen und so mit der Welt in nähere Berührung zukommen.«

»Aber doch nicht; meinetwegen?« fragte lachend das junge Mädchen. »Ei, liebe Tante, meinetwegen sollte Onkel George auch nur im Geringsten seine bisherige Lebensweise ändern, Leute sehen, die er nicht sehen mag, oder ausgehen, wenn er gern zu Hanse bleiben möchte? O, das ist nur Ihr Scherz.«

»Nein, mein Kind, es ist etwas mehr als Scherz; ich sprach neulich schon, mit dem Baron darüber. Ein junges Mädchen wie du muß in die Welt, muß Leute sehen und muß auch gesehen werden.«

»Aber das war ja früher bei mir gar nicht der Fall,« sagte Eugenie mit einem Tone der Verwunderung. »Draußen habe ich ja Niemand gesehen, und wie oft ich in die Stadt herein kam, das wissen Sie am besten, meine liebe Tante.«

»Ganz richtig,« erwiderte diese, »aber eben, daß du ein wenig in die Welt hineinschauen sollst, dies ist ja einer der Hauptgründe, weßhalb meine Schwester endlich zugab, daß du zu uns kommen dürftest – Nicht wahr, George, es ist so?«

Der Baron hatte seine Ellbogen auf die Kniee gestützt und blickte vornüber gebeugt in die verglimmenden Kohlen; diese aber warfen immer noch eisen Schein, stark genug, um sein Gesicht so scharf zu beleuchten, daß ein aufmerksamer Beobachter in seinen Zügen etwas hätte entdecken können, was anzeigte, daß die Worte seiner Frau nicht vollkommen nach seinem Sinne waren. Sein Blick war beinahe finster, auch nagte er an der Unterlippe und wiegte zuweilen den Oberkörper wie mißbilligend hin und her. Vielleicht waren es aber auch Gedanken anderer Art, die ihn beschäftigten; denn als sich die Baronin, wie wir so eben erwähnt, fragend an ihn wandte, blickte er wie überrascht in die Höhe, zuckte die Achseln und sagte mit einem Tone, der freundlicher war, als seine Miene vorhin vermuthen ließ: »Ja, allerdings, Eugenie, es wird wohl die Intention deiner Mutter sein, dich nach und nach in die Welt einzuführen. Auch ich halte das – natürlich sobald es mit der gehörigen Umsicht geschieht – für ein junges Mädchen gar nicht unnothwendig.«

»Aber die Welt, Onkel George! was soll mir die Welt? Ich habe mich nie um die Welt bekümmert, noch sie um mich. Was will ich auch in der Welt? Die Gesellschaften, wo schon so viele unnöthige Zuschauer sind, noch um einen dergleichen vermehren, mich zwingen, vergnügt zu sein, wenn ich es nun einmal gerade nicht bin, oder umgekehrt ernst erscheinen, wo ich gern lachen möchte und lustig sein –!«

»Spricht das Kind nicht wie ein Buch?« meinte lachend die Baronin. »Aber aus jedem Worte höre ich meine Schwester, wenn sie sich am Morgen nach einer langweiligen Gesellschaft matt und müde wieder des vorangegangenen Abends erinnert.«

»Und doch hat deine Schwester Weltkenntniß,« sagte kopfnickend der Baron.

»Ja, ich weiß wohl,« erwiderte heiter die Frau des Hauses, »daß dieses einer der wenigen Punkte ist, wo du mit Henriette vollkommen harmonirst. Aber zu dem vollkommenen Ueberdruß alles dessen, was ihr die Vergnügungen der Gesellschaft nennt, zu dieser Harmonie seid ihr aus zwei ganz entgegengesetzten Wegen gelangt. Henriette, welche zu viel in der Welt war, und du, weil du von jeher zu wenig Geschmack daran fandest, um dir Mühe zu geben, ihre pikanten und amüsanten Seiten aufzusuchen.

»Nun, ich muß gestehen,« sagte ebenfalls lächelnd der Baron, »daß ich von dir, der in vielen Dingen so vortrefflichen Lehrmeisterin, erfahren möchte, was du zum Beispiel Pikantes an einem der gewöhnlichen Raouts findest, wo man oft in kleinen Lokalen zusammengedrängt mit dem Hut in der Hand, im Schweiße seines Angesichtes stehen muß, nur um da gewesen zu sein?«

»Allerdings,« fiel rasch die Baronin ein, »wenn der Zweck deines Besuches nur der ist, da gewesen zu sein, so hast du vollkommen Recht; aber wenn dir ein Raout eine Art gesellschaftlicher Börse ist, wo du mit deinen Bekannten Dieses oder Jenes abmachen kannst, wo du am leichtesten neue Bekanntschaften anknüpfst, wo du – doch Gott sei Dank,« unterbrach sie sich, »da kommt unser kleines Diner. Wie bin ich dankbar für diese Unterbrechung! Ich will da gegen dich ein Terrain verteidigen, das ich selbst nicht einmal genau kenne und kennen will, und für das ich deßhalb matt plaidire, wie der Advokat für den Verbrecher, von dessen Schuld er überzeugt ist.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, die ins Wohnhaus führte, und der Kammerdiener des Barons erschien mit der Suppe, welche er auf ein Nebentischchen setzte, dann die Teller der zwei Couverts auffüllte und hierauf der Baronin meldete, daß servirt sei. Ihm war ein Bedienter mit einer Carcellampe gefolgt, die derselbe auf den Eßtisch stellte und sich hierauf nach den Glasthüren des Gewächshauses wandte, um diese zu schließen und die dunkeln Portieren davor zusammen zu ziehen.

Das kleine Gemach hatte bei der Beleuchtung eher gewonnen als verloren; es erschien so elegant, warm und heimlich, daß man sich mit einem wahren Behagen zu Tische setzen konnte, was denn auch Frau von Breda und Eugenie thaten. Der Baron zog abermals seine Uhr hervor, und da er noch eine starke Viertelstunde Zeit zu haben behauptete, so rollte er einen der kleinen Sessel herbei, um, wie er sagte, theilnahmlos zu assistiren.

Der Bediente hatte sich ins Vorzimmer zurückgezogen, und der Kammerdiener schritt schweigend und mit unhörbaren Tritten von dem kleinen Buffet zum Eßtische, um Teller zu wechseln oder zu serviren, oder von dort nach der Thür des Nebenzimmers, um eine neue Speise in Empfang zu nehmen. Das ging aber alles still, gleichförmig und dadurch wohlthuend wie ein Uhrwerk vor sich.

»Ueber das Kapitel von vorhin,« nahm die Baronin nach einer längeren Pause das Wort, »muß ich nochmals einen Kampf mit dir eröffnen, aber nur dann, wenn ich einen tüchtigen Sekundanten in meiner Nähe habe, etwa den Herrn von Tondern oder den Baron Fremont, kurz, einen von denen, die mich mit gewichtigen Gründen unterstützen können.«

»Aber wozu das alles?« fragte verwundert der Baron.

»Einfach, um Eugenien und auch dir zu beweisen, daß es für ein junges Mädchen unumgänglich nothwendig ist, in die Welt zu gehen.«

»Da wirst du freilich an Tondern und Fremont die vortrefflichsten Sekundanten haben,« sagte der Hausherr, wobei er den Mund spöttisch aufwarf. »Ja, die Beiden werden uns freilich beweisen, daß eine Soiree ein Vergnügen ist, ein Raout eine Nothwendigkeit, und ein Ball das Köstlichste, was es auf der Welt gibt.«

»Nun, was das Letztere anbelangt, lieber George, so getrau' ich mir, das am Ende ohne alle Hülfe zu beweisen. Ich bin überzeugt, darin bei Eugenien eine ganz gelehrige Schülerin zu finden.«

Der Baron zerbröckelte ein Stück Brod zwischen den Fingern und machte kleine Kugeln daraus, die er vor sich aufhäufte. Wenn er auch gerade nicht verdrießlich aussah, so können wir doch unmöglich behaupten, daß er heiter auf das Tischtuch nieder blickte.

Eugenie warf einen schnellen Blick zu ihm hinüber, und ein leichtes Erstaunen zeigte sich dann auf ihren Zügen, als sie sah, daß Onkel George die Augenbrauen zusammen zog. Sie wandte sich an die Baronin und sagte in heiterem Tone: »Darf ich mir erlauben, liebe Tante, Ihnen das erste Mal und wohl auch das letzte Mal ein klein wenig zu widersprechen? Ich glaube nicht,« setzte sie kopfschüttelnd hinzu, »daß ich in Ballangelegenheiten eine gelehrige Schülerin werde; das hat Mama schon oft gesagt, und wenn sie behauptet, es gehe mir das Talent zu dergleichen Vergnügungen ab, so glaube ich wahrhaftig, daß sie Recht hat.«

»Aber du tanzest doch recht gut,« sagte Frau v. Breda.

»Ich tanze wohl Dies oder Das,« entgegnete das Mädchen, »aber es macht mir keim Vergnügen.«

Es war ein eigenthümlicher Blick, den Onkel George in diesem Moment nach dem Mädchen hinsandte. Man hätte glauben sollen, er athme dabei tiefer auf als gewöhnlich; doch warf er gleich darauf seinen Kugelhaufen wie gleichgültig durch einander und meinte: »Ich versichere dich, Julie, das sind Geschmackssachen; man muß nie Jemanden zu einem Vergnügen zwingen wollen, denn der Zwang zerstört jedes Vergnügen.«

»Aller Anfang ist schwer,« sprach freundlich lächelnd die Baronin, »und ich kann dich dagegen versichern, daß ich in früheren Zeiten bei vielen meiner jüngeren Bekannten dieselben Ideen fand, bis sich einmal ein gewisses Interesse in die Sache mischte.«

Bei dem Worte »Interesse« zuckte der Baron wie mißbilligend mit den Achseln, und Eugenie blickte ihre Tante so fragend an, daß er es für zweckmäßig hielt, statt ihrer zu antworten. Er sagte daher mit einem sehr väterlichen Tone und mit emporgezogenen Augenbrauen: »Im Grunde hat deine Tante nicht ganz Unrecht, liebe Eugenie, ein junges Mädchen muß hier und da in die Welt; es muß seine Erfahrungen machen und sehen, wie es draußen zugeht. Du kannst wohl glauben, daß auch ich gewiß daran gedacht und auch schon einige passende Häuser ausgesucht habe, wo Julie so gut sein wird, dich in den nächsten Tagen vorzustellen. Da ist die Generalin B.,« fuhr er gegen seine Frau gewandt fort, die ihn aufmerksam anblickte, »da ist Frau R., die eine Tochter fast in deinem Alter hat; da sind die beiden Fräulein C., deren Umgang zugleich angenehm und lehrreich für Eugenie sein wird, denn sie lieben es beide, eine englische oder französische Conversation zu führen. Willst du dann nächstens einmal auf einen Ball gehen« – wandte er sich an das junge Mädchen scheinbar mit großer Unbefangenheit, doch mochte er auch ein leichtes Zwinkern in den Augenwinkeln seiner Frau bemerkt haben – »so führen wir dich in diesen Tagen zum E.'schen Gesandten oder machen dich auch sonstwo bekannt, wo es euch genehm ist.«

Es lag aber ein härterer Ton in der Stimme des Barons, als man sonst bei ihm gewohnt war, den die Baronin nicht zu hören schien, der aber in dem so tief fühlenden Herzen Eugeniens seltsam wiederklang, weßhalb sie sich bemühte, so heiter lachend, als ihr möglich war, zu sagen: »Onkel George, du sprichst da von Sachen, die ganz unnöthig sind, und wenn die Tante fortfährt, mich in die Welt treiben zu wollen, so muß ich wahrhaftig glauben, ich mache ihr doch zu viel Lärm hier im Hause, und sie suche dafür eine Ableitung nach außen. – Aber nein, nein!« setzte sie rasch und liebreich hinzu, als sie bemerkte, wie Frau von Breda ernsthaft den Kopf schüttelte, »das glaube ich ja auch nicht. Es war ja nur Scherz, wie alles Scherz war; nicht wahr, Onkel George? Ich bin ja so glücklich hier, wonach sollte ich mich sehnen? Nach fremden Menschen, die ich gar nicht kenne? – Gewiß nicht, Tante. – Wenn ich aufrichtig reden soll,« sprach sie nach einer kleinen Pause, während ihre Augen einen eigenthümlichen Glanz annahmen, – »ja, wenn ich ganz aufrichtig sein soll, so will ich nur sagen, daß ich sehr, sehr gern hier bin und daß, wenn dies einmal nicht mehr sein kann und wird, meine einzige Sehnsucht ist, alsdann draußen unser Landhaus wieder zu sehen und meinen lieben, weiten, stillen Wald.«

Es war für alle drei eine vielleicht nicht unangenehme Unterbrechung, als in diesem Augenblicke der Kammerdiener das Dessert aufsetzte und, nachdem dies geschehen, dem Hausherrn mit leisen Worten meldete, es sei in wenigen Minuten sechs Uhr und der Wagen vorgefahren.

»So müssen wir denn an unser Geschäft gehen,« sagte der Baron, wobei er wieder seine gleichmüthige, heitere Miene angenommen hatte. »Aber es ist hier so behaglich bei euch, daß ich mich fast scheue, in die trübe Nacht hinaus zu fahren. – Es regnet wohl noch?« fragte er den Kammerdiener.

»Es regnet und schneit durch einander, stürmt auch ein bischen,« antwortete dieser.

»Ich bitte, den Grafen Helfenberg herzlich von mir zu grüßen, lieber George,« sprach die Baronin, »und sei so gut, ihm zu sagen, wie sehr es uns freuen würde, wenn er hier und da herausfahren wollte. Er kann ja stundenlang ganz ungenirt sich im Wintergarten aufhalten, und wenn er Gesellschaft wünscht, so mache ich mir und gewiß auch Eugenie sich ein Vergnügen daraus, ihn so lange zu unterhalten, als er will. Er ist ein armer Kranker,« wandte sie sich an das Mädchen, worauf diese entgegnete: »Papa hat davon erzählt.«

» A revoir denn!« sagte der Baron, nachdem er seine Frau auf die Stirn geküßt und Eugenien eine Hand gereicht. – »Aber à revoir kann ich eigentlich zu dir nicht sagen,« wandte er sich an letztere, »denn ich werde bei Helfenberg ein paar lustige Bekannte finden, die es lieben, die Nacht zum Tage zu machen, und das ist mir unbequem geworden. Siehst du Julie, auch deßhalb schon bliebe ich lieber hier bei euch. – Gute Nacht denn, Eugenie!« Damit fuhr er abermals leicht mit den Fingern über ihr dunkles Haar, nickte der Baronin zu und verließ das Zimmer.

»So!« sprach Frau von Breda, »jetzt wollen wir auch unsere kleine Soiree beginnen; ich habe das Buch von gestern mit herunter gebracht, und wenn du mir aufmerksam zuhören willst, so führe ich dich abermals nach Indien an den Ganges, den heiligen Strom, wo es duftet und leuchtet, und wo die Lotosblume blüht – ›sich ängstigend vor der Sonne Pracht,‹ wie der Dichter sagt.«

Eugenie nickte mit dem Kopfe, dann horchte sie mit einem Male aufmerksam, und als man von draußen das dumpfe Rollen eines Wagens vernahm, sagte sie: »Onkel George fährt soeben fort.«


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