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Fünfzehntes Kapitel.
In der Schreibstube


Wenn man sich eine Jahreszeit wählen dürfte, um alle seine verdrießlichen Augenblicke dorthin zu verlegen, so müßte das unfehlbar das Frühjahr sein mit seinen freundlichen Morgenstunden, dem blauen Himmel mit den leicht dahin segelnden Wolken, der duftenden Erde voll erwartungsvoll zitternder Kräuter und neugierig aufschauender Blumen. Ja, für den Frühling sollte man sich alle Verdrießlichkeiten des ganzen Jahres aufheben, aber nicht um die schönen Tage desselben damit zu verderben, sondern um vor ihrem Duft und Schimmer alle Traurigkeit verschwinden zu lassen, wie der letzte Schnee vor einer warmen Maisonne vergeht.

Wer an einem Frühlingsabend bekümmert nach Hause geht und schon im Dahinschreiten den eigenthümlichen Geruch des jungen Laubes auf sich einwirken läßt und jenen warmen, feuchten Hauch, den die Erde ausströmt und den ein Westwind uns fast dunstig ins Gesicht weht, jenen Hauch, der uns, wenn wir die Augen schließen, schwarze, aufgelockerte Erde vor unsere Phantasie zaubert, die ersten grünen Blätter, ziehende Schwalben und die Spitzen von unzähligen keimenden Pflanzen – der fühlt nach und nach die Rinde schmelzen, die sein Herz nicht nur umzieht, sondern auch schmerzhaft zusammendrückt, und wenn er alsdann in der Nacht fest und ruhig geschlafen hat und am Morgen in das lachende Gesicht des jungen, fröhlichen Tages blickt, der vergißt leicht Kummer und Leid, und was ihm gestern niederdrückend vorkam, erscheint ihm heute als eine vorübergehende Unannehmlichkeit.

Ja, wer das könnte! Aber für die meisten der armen Menschen sind die Sorgen ziemlich gleichförmig über das ganze Jahr hin vertheilt, und schlage einer die finsteren Gedanken sich aus dem Sinn, wenn er nach einem Abende voll Verdrießlichkeiten am anderen Morgen durch die Straßen gehen muß, wo ihm Regen und Schnee ins Gesicht peitschen, wo er mit der einen Hand seinen langen Stock hält und mit der anderen seinen Hut beruhigt, der bei jedem Windstoße allerlei verdächtige Bewegungen macht, um vom Haupte des Dahinwandelnden hinweg vielleicht in irgend eine strömende Gosse getrieben zu werden!

Auf die eben beschriebene Art war am anderen Morgen nach jenem gemischten Thee Herr Larioz aus seiner Wohnung fort und auf das Bureau gegangen, an seiner Seite Gottschalk, der von Nässe und Wind weniger zu leiden hatte, da er sich hinter seinem Vorgesetzten hielt und durch die lange Gestalt desselben geschützt wurde. Das Herz des Schreibers war immer noch tief betrübt, und wenn wir uns am Eingang dieses Kapitels erlaubten, von einem heiteren Frühlingstage als einer Zeit zu sprechen, die da im Stande ist, ein trauriges Herz fröhlich zu stimmen, so müssen wir hinzusetzen, daß der rauhe, windige und nasse Herbsttag dagegen die Verstimmung des Herrn Larioz sichtlich vermehrte.

Als die Beiden das Bureau erreichten, fanden sie auf dem Vorplatze den Tiger, der sich bemühte, ein kleines Feuer in dem Ofen anzumachen, welcher im Zimmer des Rechtsconsulenten stand. Wenn die frostige, feuchte Schreibstube der beiden Anderen schon an einem sonnigen Tage wie ein griesgrämiger Alter aussah, den man mit Gewalt zu einem mürrischen Lächeln zwingt, so konnte man heute bei dem niederströmenden Regen, bei dem trostlosen Halbdunkel, welches das Licht des Tages nicht zu verdrängen im Stande war, auf die Idee kommen, über der Eingangsthür würden die bekannten Worte:

Laßt alle Hoffnung hinter euch!

einen passenden Platz finden.

Herr Larioz lehnte seinen Stock in eine Ecke, hängte Paletot und Hut an den hiefür bestimmten Nagel und stellte sich mit über einander geschlagenen Armen an die angelaufenen Fenster. Der Anblick des Hofes war indessen, wir möchten sagen: glücklicherweise, noch trauriger als der im Innern des Zimmers; hatten sich die schwarzen spitzen Giebel in der Nacht wirklich vorwärts gelehnt, oder täuschten Regen und Schnee, der sie dicht verschleierte – genug, man konnte glauben, die umherstehenden alten ruinenhaften Häuser blickten mit Selbstmordgedanken auf die Kehrichthaufen im Hofe. Sogar diese letzteren schienen ein Gefühl ihres Elends zu haben, denn der Regen, der sich oben in den Vertiefungen sammelte, lief wie in Thränenbächen an ihnen herunter, so daß es aussah, als beweinten sie ihr jammervolles Dasein.

»Das ist doch ein wahres Hundewetter,« sagte der lange Schreiber, nachdem er einen Augenblick hinausgeschaut.

Gottschalk, der sich durch einige sehr kunstlose Sprünge, die er hinter dem Rücken seines Vorgesetzten ausführte, zu erwärmen versuchte, näherte sich jetzt ebenfalls dem Fenster und fragte mit einer etwas affektirten Schüchternheit: »Warum sagt man eigentlich Hundewetter, wenn es so stürmt und regnet?«

»Das ist doch sehr einfach,« entgegnete verdrießlich Herr Larioz; »weil ein Hund bei solchem Wetter nicht auf die Straße geht.«

»Da aber die Menschen es doch thun,« sprach der Bube mit einem sehr pfiffigen Gesichtsausdrucke, »so könnte man es ebenso gut ein Menschenwetter nennen.«

»Für manche Menschen wäre es allerdings das gehörige Wetter,« versetzte finster Herr Larioz und dachte dabei an den gestrigen Abend und sah im Geiste Madame Weibel mit ihren beiden Töchtern auf einem der Kehrichthaufen wie auf einer verwünschten Insel stehen und umsonst die Hände flehend nach jemand ausstrecken, der sie von da erretten möge.

»Ja, einen Hund sieht man bei solchem Wetter selten auf der Straße,« fuhr Gottschalk fort, sichtlich erfreut, daß ihn sein Vorgesetzter nicht zur Ruhe und zum Schreiben verwiesen; »und wenn man je einen sieht, so schleicht er an den Häusern hin und kriecht ins Trockene, sobald er kann.«

»Darin hast du wohl deine Studien gemacht?« fragte der lange Schreiber.

»Ich habe mich allerdings viel mit Hunden abgeben müssen,« meinte der Knabe; »denn der Vater hatte immer eine ganze Menge zum Dressiren, die im Keller eingesperrt werden, wo zuweilen auch wir hinkamen, wenn wir unartig waren.«

»So, bei euch werden Hunde dressirt? – Ich mag die dressirten Hunde nicht.«

»Ach, die müssen alle dressirt sein,« versetzte Gottschalk mit großer Wichtigkeit, »sonst taugen sie nichts. Was würde ein undressirter Hund nicht alles für Unheil anstellen! Er würde stehlen und auffressen, was er findet.«

»Weil das in seiner Natur liegt,« sagte der Andere gedankenvoll.

»Er würde Einen in die Waden beißen, wenn man ihn hart anführe.«

»Natürlich, weil er ein Recht hat, sich zu wehren,« meinte Herr Larioz.

»Er würde auf der Jagd sich wohl hüten, eine geschossene Ente aus dem Wasser zu apportiren,« fuhr der Knabe, durch die Gegenreden des Andern einigermaßen verwundert, fort.

»Und er hätte Recht, wenn er keine Ente apportirte,« sagte Herr Larioz kopfnickend. »Es liegt das nicht in seiner Natur; man hat sein Naturel gewaltsam verändert, man zwingt ihn, sich zu verstellen und anders zu sein, als er sein sollte.«

Der Knabe schüttelte mit dem Kopfe und meinte: »Wenn aber alle so undressirt blieben, das wäre doch wahrhaftig ein Unglück.«

»Im Gegentheil, es wäre der reine Naturzustand,« entgegnete Herr Larioz, wobei er, wie in tiefe Gedanken versunken, weit, weit hinaus zu blicken schien, durch den Regen und durch die Häuser in unabsehbare Fernen. »Leider, leider ist Alles Dressur,« fuhr er nach einer Pause fort, »es gibt keine Wahrheit und keine Aufrichtigkeit mehr. Wer wird das glückliche Zeitalter erleben, wo die Menschen so sprechen, wie sie denken?«

Gottschalk schüttelte abermals mit dem Kopfe und getraute sich, in sehr bescheidenem Tone zu sagen: »Das ginge doch wahrhaftig nicht an, da würde man sich ja gegenseitig schöne Grobheiten machen.«

»Besser das, als Falschheiten.«

»Aber Alles müßte ja aufhören,« meinte der Knabe, muthig gemacht durch die Antworten, welche ihm der lange Schreiber zu Theil werden ließ. »Gestern hat mich der Herr Doktor gepufft, wie er sagte, weil ich absichtlich einen Dintenspritz auf das Papier gemacht. Nun weiß ich aber wohl, daß ich eigentlich gepufft worden bin, weil gestern der Prozeß Springer contra Baumüller verloren gegangen ist. So habe ich auch wohl gedacht; hätte ich das wohl sagen dürfen?«

Nach diesen Worten blickte der Knabe fragend und mit lächelndem Gesichtsausdrucke zu Herrn Larioz empor, der die Hände auf den Rücken gelegt hatte und einen Augenblick schwieg, ehe er sagte: »Deine Nutzanwendung, mein lieber Gottschalk, zeugt von einigem Scharfsinn, und ich will dir darauf entgegnen, daß man allerdings seine Meinung offen und frei sagen sollte, wenn die ganze Welt einverstanden wäre, es gegenseitig so zu machen, sich ohne Falsch und Hinterlist, ohne allen Rückhalt zu behandeln.«

»Ah so!« erwiderte der Knabe: »das scheint aber nicht der Fall zu sein, denn sonst hätte mich der Herr Rechtsconsulent nicht wegen des Dintenspritzens gepufft, da er doch einzig und allein im Zorn war wegen des verloren gegangenen Prozesses.«

»Leider! leider!« versetzte der Schreiber, und dabei stützte er die eine Hand auf die Fensterbrüstung und ließ den Kopf herabhängen. »Leider kann ein Einzelner nicht viel thun und muß sich auf große Kämpfe gefaßt machen, wenn er, allein mit Wahrheit gerüstet, dem Trug und der Falschheit der ganzen Welt entgegentreten wollte. Es wäre ein schöner Kampf,« setzte er träumerisch hinzu, »ein schöner Sieg der ein glorreiches Untergehen. – Vor Allem aber merke dir einen Spruch,« fuhr er nach einer Pause im gewöhnlichen Tone fort, »der dir viel nützen kann: Was du sagst, muß wahr sein, aber es ist nicht thunlich, alles zu sagen, was wahr ist.«

»Ja, das hat mein Vater auch schon gemeint, wenn er sagte:

Das Maul halten zu rechter Zeit,
Hat weder Narren noch Weise gereut.«

»Ja, ja, ich kenne das; dein Vater hat zuweilen sonderbare Uebersetzungen. – Es ist schon gut,« ließ sich Herr Larioz abermals nach einer Pause vernehmen, da ihm das Gespräch mit Gottschalk etwas zu weitläufig zu werden schien. Auch wandte er sich seufzend vom Fenster ab, trat vor sein Schreibpult und gab auch dem Knaben durch eine bezeichnende Handbewegung zu verstehen, sich an seine Arbeit zu machen.

Doch hatte, was diese Arbeit anbelangte, Gottschalk heute einen guten Morgen; denn kaum hatte er nach mehrmaligen mühsamen Versuchen das Papier in die richtige Lage gebracht, auch unter vielen untauglichen Federn endlich eine brauchbare gefunden, hatte die Dinte beinahe zu Schaum gerührt und mit fast flehentlicher Geberde nach der Thür gehorcht, ob sich dort nicht vielleicht ein Klopfer vernehmen lasse, den er zurechtweisen könne, als sich mit einem Male die Thür zum Zimmer des Rechtsconsulenten öffnete und dieser selbst heraustrat, seinem Schreiber flüchtig einen guten Morgen wünschte und dann im Zimmer auf und ab spazierte, wie er zu thun pflegte, wenn er übler Laune war oder Berathungen über einen wichtigen Gegenstand pflegen wollte. Dann legte er gewöhnlich die Hände auf dem Rücken zusammen, blies die Backen auf, als fühle er sich durch irgend eine Wärme genirt. Auch liebte er es, nach besonders decidirten und kraftvollen Aeußerungen sein Kinn in die Halsbinde zu vergraben und dann, um einen großen Effekt hervorzubringen, mit hoch emporgezogenen Augenbrauen wieder daraus hervorzutauchen.

Gottschalk schmunzelte vergnügt, als er seinen Herrn und Meister so eintreten sah; denn er rechnete nun mit Sicherheit darauf, hinausgeschickt zu werden und draußen beim Tiger eine Stunde verbummeln zu können. Um aber dem Anscheine nach in voller Arbeit gestört zu werden und das Recht zu haben, über die Unterbrechung seines Fleißes ein finsteres Gesicht zu machen, fing er mit einer solchen Wuth zu schreiben an, daß sich das Papier ordentlich bäumte und die Feder knarrte und spritzte.

Der Rechtsconsulent warf über seinen gespitzten Mund hinweg einen melancholischen Blick durch die Fensterscheiben, hinter welchen man nichts als Dunst, Regen und Schnee sah; er seufzte tief auf, barg seine rechte Hand auf der Brust und sagte zu Gottschalk, indem er sich nach dem fleißig Schreibenden umwandte: »Sieh' draußen nach, was die Magd treibt, daß sie nicht zu viel Holz in den Ofen schiebt, und dann schau, ob die Ableitungsröhre des Regenfasses gehörig geöffnet ist, daß ich nicht nachher wieder eine Ueberschwemmung in meinem Arbeitscabinet habe.«

Der Lehrling erhob sich verdrießlich, daß er so in bester Arbeit gestört werde, und warf einen Blick der Sehnsucht auf das noch ziemlich leere Papier, ehe er hinausging auf den Vorplatz, wo der Tiger beschäftigt war, das kleine Holz in einer Ecke aufzuschichten. Gottschalk schwang sich auf eine leer stehende Kiste, schlenkerte mit den Füßen hin und her, steckte die Hände in die Taschen seiner Hosen und sah stillvergnügt der Arbeit der alten Magd zu.

Drinnen war der Rechtsconsulent noch einige Mal hastig auf und ab geschritten mit zu Boden gesenkten Blicken, dann blieb er wieder am Fenster stehen, seufzte tief auf, blies fast pfeifend den Athem von sich und sagte alsdann: »Das sind schöne Geschichten! – Meinen Sie nicht auch, daß das schöne Geschichten sind?« fuhr er nach einer Pause fort, als er bemerkte, daß der lange Schreiber nicht von seiner Arbeit in die Höhe sah. »Merkwürdige Geschichten – ganz infame Geschichten! Aber ich will nächstens unter sie treten und fürchterliche Musterung halten! Hat doch diese – Madame Weibel sich erlaubt, mir die ehrenrührigsten Dinge ins Gesicht zu sagen!«

»Ja,« unterbrach ihn Herr Larioz mit großer Ruhe, »und hat doch Babette sich unterstanden, mir einen Kübel schmutzigen Wassers auf meinen Frack zu gießen.«

»Oh!« machte erstaunt der Prinzipal. »Und wann das, wenn ich Sie fragen darf?«

»Das geschah gestern Abend, nachdem ich Ihr Haus verlassen; es war das ein hinterlistiger Ueberfall, oder vielmehr ein perfider Ueberguß, ein Ueberguß mit Spülwasser; ich sah es heute Morgen an meinem Fracke, der vor Fett ordentlich glänzt.«

»Ja, Spülwasser,« sprach der Rechtsconsulent, indem er mit den Zähnen knirschte, »Spülwasser – was mir das schon in meinem Hause zu schaffen gemacht hat! – Doch schweigen wir davon, wir haben wichtigere Dinge. Können Sie sich denken,« fuhr er nach einer Weile fort, nachdem er zuvor die Hände auf seinem Bauch zusammen gefaltet und erschrecklich tief in die Halsbinde hinabgetaucht war, »daß das Attentat von gestern auf uns Beide eine abgekartete Geschichte war? Können Sie sich denken, daß man mich wieder einmal ungerechter Weise in einem Verdacht hat? – O, ich bin ganz außer mir. Es ist das eine wahre Mordgeschichte, in die auch Sie verwickelt sind. – Ja, Sie, schauen Sie mich nur fragend an, auch Sie sind darin verwickelt, und Sie werden sich doch so unschuldig fühlen, wie ein neugeborenes Kind.«

Der Blick, mit dem Herr Larioz hierauf seinen Herrn ansah, war wirklich wie der eines unbefangenen Säuglings.

»Die Geschichte mit dem Gottschalk ist an Allem schuld,« fuhr der Rechtsconsulent fort. »Wir hätten den Jungen auf das Bureau genommen – so sagen die da droben – nicht aus Mitleid mit seiner hülflosen Lage, sondern weil er, weil er – o, es kommt mir so lächerlich vor, daß ich es kaum aussprechen kann – weil er eine hübsche Schwester habe! – Nun, was sagen Sie dazu?«

»Es kommt mir das nicht so unerwartet,« entgegnete der lange Schreiber, indem er sein Lineal feierlich neben dem Pulte empor zog, wie man es mit einem Schwerte zu machen pflegt, und dann das Kinn darauf stützte. »Verzeihen Sie mir, Herr Doktor, wenn ich etwas Hartes sagen muß, aber wer es selbst liebt, mit Lug und Heuchelei umzugehen, der setzt dasselbe auch bei andern Leuten voraus. – Der arme Bube! Da wird es wohl mit seiner Existenz alsbald zu Ende sein.«

»Vorderhand nicht,« versetzte eifrig der Rechtsconsulent, während er feierlich die Hand erhob; »bei Gott, vorderhand nicht! Ich will die Weiber da oben lehren, sich in meine Geschäftssachen zu mischen; ich will ihnen zeigen, ob sie sich im Geringsten darum zu kümmern haben, wer meine Gehülfen sind, ob es sie etwas angeht, wenn dieselben keine Familie haben, oder wenn sie ein halbes Dutzend schöne Schwestern aufweisen können. Ja, das will ich, und wenn auch noch eine Anzahl Schwiegermütter mehr da wären.«

Er hatte sich selbst in den Eifer hineingesprochen, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt und ging eilfertig auf und nieder, während er das eben Angeführte sprach.

Der lange Schreiber gab übrigens nicht das geringste Zeichen des Mißfallens oder Beifalls über das, was sein Prinzipal sprach, zu erkennen; er hatte schon häufig dergleichen erlebt und dann leider fast immer die Erfahrung gemacht, daß Madame Weibel oder ihre Tochter gegen ihn Recht behielten.

»Das wäre mir eine schöne Geschichte,« fuhr Herr Doktor Plager fort, wobei er bald in seine Halsbinde niedertauchte, bald den Kopf hoch erhob, um, am Fenster angekommen, den übernassen Hof betrachten zu können. – »Eine schöne Geschichte in der That! Heute der Gottschalk, morgen –«

»Meine geringe Persönlichkeit,« sagte gleichmüthig lächelnd der Schreiber.

»Bei Gott, Sie haben Recht, Larioz! Und übermorgen – ich selbst. Ja, ich selbst,« wiederholte der Rechtsconsulent zwei oder drei Mal und verfiel dann in Träumereien, die aber scheinbar dem ernsten und traurigen Augenblicke nicht angemessen waren, denn er spitzte seinen Mund und lächelte zuweilen vergnügt in sich hinein. Er träumte nämlich, die Schwiegermutter habe ihn in der That vor die Thür gesetzt, und er habe seine Kinder genommen und sich das gefallen lassen; er sei hinabgezogen in die beiden Rumpelkammern neben dem Bureau, habe sich dieselben einfach, aber behaglich möblirt; der Tiger mit dem guten dummen Gesichte zog die Kinder an und bereitete einen sehr guten Kaffee ohne Waschschwamm, worauf Fritzchen und Louise in die Schule gebracht wurden und er nun, ohne vorherigen Zank und Streit, mit ruhigem Gemüth und nicht aufgeregten Nerven in die Schreibstube ging und sich an das Fenster stellte, wo er jetzt stand – frisch, fromm, fröhlich, frei. Herr Rechtsconsulent Plager war nämlich Turner gewesen und liebte diesen Spruch noch immer in Erinnerung an eine angenehm verlebte Jugendzeit.

Wenn er übrigens dergleichen träumte, so wird es dem geneigten Leser begreiflich werden, wenn wir sagen, daß der Rechtsconsulent im Gefühle seiner Unschuld heute Morgen bei dem Kaffeegespräch, welches wohl zur Fortsetzung der Punschattake von gestern Abend hätte werden können, nicht nur durch große Ruhe und Kaltblütigkeit jede weitere Scene abgeschnitten, sondern auch einfach erklärt hatte, das Maß des gegen ihn gerichteten Benehmens sei bereits übergelaufen, und er sehe sich veranlaßt, entschieden andere Saiten aufzuziehen. Ja, er hatte die Versicherung durchscheinen lassen, wie er vollkommen überzeugt sei, daß er wohl im Stande wäre, mit seiner Frau allein fertig zu werden, ja, vergnügt zu leben; doch sei die Einmischung einer Dritten, einer Schwiegermutter, unerträglich.

Mochten nun die Weiber durch etwas Anderes noch nachgiebig gestimmt worden sein, genug, die Rechtsconsulentin hatte sich mit einem gelinden Weinen begnügt und Madame Weibel starr an den Himmel hinauf gesehen, als forsche sie nach etwas Blitz und Donner, die von dorther zur gelegenen Zeit herabfahren möchten. Aber die verdrossenen Wolken thaten nichts als langweilig fortregnen, weßhalb Madame Weibel mit einem kräftigen Ruck ihre Morgenhaube bis über die Ohren herabzog und sich, eingehüllt in ihr Bewußtsein, niedersetzte.

Darauf war der Rechtsconsulent an seinen Schreibtisch gegangen, hatte den Lohn der Babette gezählt, hatte ihr ein Zeugniß geschrieben, daß Babette Schmiermel während ihrer zweijährigen Dienstzeit weder gestohlen noch betrogen habe, und war mit dieser furchtbaren Waffe in das Eßzimmer zurückgekehrt, worauf er also gesprochen: »Hier ist der Lohn und ein Zeugniß für Babette; sie hat mir, wie ihr Beide wißt, gestern Abend grobe, unverschämte Antworten gegeben, ohne darüber nachträglich ein Zeichen der Reue zu verrathen« – das war ein Einleitungspunkt – »mag sie gehen und mich verklagen, es soll mir eine wahre Freude sein, einen Prozeß gegen diese Person höchstselbst zu führen.«

Als er so geredet, hatte Herr Plager schleunigst seinen Rückzug genommen, worauf die beiden Damen einigermaßen bestürzt zurückgeblieben waren und worauf Babette, weinend über ihr Schicksal, eben nicht dazu beigetragen hatte, ihre Stimmung angenehmer zu machen. Man berathschlagte eifrig und lange; man verhehlte sich nicht, daß man sich schon wegen Clementinens und Herrn Schilder in einer Lage befand, wo es angenehm und wünschenswerth war, den Herrn des Hauses in guter Laune zu erhalten; man wußte wohl, daß einige der Gäste des gemischten Thee's, namentlich die strenge Justizräthin und die blasse Kaufmannswittwe, Mehreres von den Streitigkeiten vernommen und daß die Sache nur dann auf nichts zu reduciren war, wenn man sich in nächster Zeit mit dem Hausherrn in bester Eintracht sehen lasse. Auch trugen die Lamentationen Babettens, die sich für ein Schlachtopfer ansah, dazu bei, das Gemüth der beiden Damen zur Nachgiebigkeit zu stimmen.

Das Resultat der Berathungen droben zeigte sich denn auch alsbald und zwar noch, während der Rechtsconsulent, entschlossen zu den furchtbarsten Maßregeln, am Fenster seiner Schreibstube stand.

Der Tiger streckte seinen Kopf zur Thür herein und ersuchte den Herrn, einen Augenblick in sein Bureau zu kommen. Ahnte dieser, was er dort finden würde, – genug er waffnete sein Gesicht mit dem Ausdrucke ernster Entschlossenheit und trat so – seiner Frau entgegen, die in Shawl und Hut neben dem kleinen Sopha seines Privatzimmers stand.

So leicht es Fürsten wird, geistreich zu erscheinen und die Herzen ihrer Unterthanen zu gewinnen, ebenso braucht sich eine einigermaßen kluge Frau nicht viel Mühe zu geben, um als versöhnendes Prinzip zu erscheinen und aus allen Streitigkeiten siegreich hervorzugehen. So auch hier. Die Rechtsconsulentin, von ihrer erfahrenen Frau Mutter gehörig instruirt, sprach ein paar so passende Worte zur Einleitung, daß sich die trotzigen, entschlossenen Mundwinkel ihres Herrn und Gemahls abwärts senkten und einen Zug der Wehmuth annahmen.

War er doch glücklich über den ehrenvollen Rückzug, den man ihn aus seiner angreifenden Stellung nehmen ließ, ja, er reichte die Hand zur Versöhnung, und der Hausfriede wurde – Gott allein weiß, zum wie vielsten Male – unter nachfolgenden Bedingungen geschlossen:

  1. Gegenseitige Bemühungen, sich das Leben so angenehm
    als möglich zu machen.
  2. Mäßigung aller Widersprüche.
  3. Sehr beschränkte Einmischung der Schwiegermutter in
    alle häuslichen Angelegenheiten, dagegen
  4. Beibehaltung von Babette, nachdem
  5. dieselbe um Verzeihung gebeten und
  6. den Frack des Herrn Larioz mit eigener Hand von den
    Flecken des Spülwassers gesäubert.

Nachdem dieser Vertrag ratificirt war, gab es noch einen Händedruck, einen Kuß der Versöhnung, und damit verließ Madame Plager die Schreibstube, um sich in einen Laden zu begeben und dort ein neues Kleid zu kaufen – eine Ausgabe, die zu machen sie der Rechtsconsulent nicht nur autorisirt, sondern sogar gebeten hatte.

Als dieser hierauf in die Schreibstube zurückkehrte, hatte er das Aussehen eines Siegers und berichtete seinem Schreiber die gepflogenen Unterhandlungen mit dem Beisatze, wie wahr es sei, daß nur Standhaftigkeit zu allen gewünschten Zielen führen könne.

So siegreich übrigens auch der Rechtsconsulent aus dem Streite hervorgegangen war, so können wir es doch nicht verhehlen, daß Gottschalk den einzigen reellen Nutzen von der Stunde hatte, welche diese Unterhandlungen gedauert; er brauchte sich während derselben nicht mit dem verhaßten Schreiben abzugeben und saß vergnügt auf seiner Kiste vor dem arbeitenden Tiger, von dem er sich eine Menge interessanter Stadtneuigkeiten erzählen ließ. Selbst als er nun endlich wieder hineingerufen wurde und langsam auf seinen Schreibstuhl geklettert war, brauchte er sich nicht zu befleißigen, seine Feder laufen zu lassen, denn sein strenger Aufseher schien so mit dem Vorhergegangenen beschäftigt, daß er sich um die Arbeit des Knaben gar nicht bekümmerte, sondern gedankenvoll in den Regen hinausstarrte, wobei er aber sein Lineal nicht aus der Hand ließ, sondern mit demselben aufs Seltsamste manövrirte; oft hob er es an das Gesicht empor, zuweilen senkte er das andere Ende herab, nicht selten aber fuhr er mit dem Arm in die Höhe und stieß dann mit einem eigenthümlichen Gesichtsausdrucke das glatte Holz, so tief er konnte, in den neben ihm stehenden Papierkorb. Es sollte heute überhaupt ein Morgen der Ruhe für Gottschalk werden; denn kaum war der Rechtsconsulent in sein Bureau gegangen, so kehrte er auch schon wieder zurück und bat seinen Schreiber, ein paar kleine Ausgänge für ihn zu machen. »Den einen sollte ich eigentlich selbst besorgen,« sagte er mit wichtiger Miene, setzte jedoch verbindlich hinzu: »Sie, bester Larioz, sind ja aber mein anderes Ich und in den Geschäften erfahren wie Keiner; auch wird es nur eine Besprechung sein über einen Akt, den wir, wie ich glaube, später vornehmen sollen. Mein langjähriger Client,« sprach er in leiserem, vertraulichem Tone, »der junge Graf Helfenberg – ein sehr reiches Haus – hat mich gebeten, ihn um elf Uhr zu besuchen. Ich habe wirklich zu viel zu thun und muß heute Morgen noch Einiges beendigen. – Sie wissen das Palais des Grafen?«

»Es ist mir wohl bekannt,« entgegnete Herr Larioz mit einem gewöhnlichen Ernste.

»Dann ist da noch eine zweite Sache, die Sie en passant mit vornehmen können, die Schuldklage im Betrage von vierhundert Gulden, wie ich glaube, gegen die Maler in der Burggasse. Wo sind die Papiere? – Sie erinnern sich wohl?«

Herr Larioz reichte kopfnickend einen Aktenfascikel, welchen der Rechtsconsulent nahm und ihn aufschlug.

»Richtig, es sind vierhundert Gulden,« sagte er alsdann. »Schuldner: Maler Gebrüder Breiberg; Gläubiger: Erdwinkel. Die Breiberg haben, durch uns eingeklagt, die Schuld anerkannt. Der Termin ist fruchtlos abgelaufen und die Sache also zur Execution reif. Doch ersucht mich Erdwinkel in dem hier beiliegenden Schreiben, ehe man zur Execution schreite, einen Versuch zu machen, auf gütlichem Wege Abschlagszahlungen zu erhalten. Ich will Erdwinkel schon den Gefallen thun und bitte Sie also, den Breiberg's ins Gewissen zu reden. Der eine von ihnen soll ein exaltirter, eigenthümlicher Geselle sein, mit dem schwer fertig zu werden ist, der andere es dagegen verstehen, die Leute durch süße Redensarten hinters Licht zu führen. Man versuche aber, was zu machen ist, und da ich es in Ihre Hände gebe, bin ich überzeugt, Sie werden Ihr Mögliches thun.«

Nachdem der Rechtsconsulent seinem Schreiber diese Commission aufgetragen, zog er sich, viele Geschäfte vorschützend, in sein Kabinet zurück, nicht ohne einen Blick auf Gottschalk zu werfen, der mit einer rührenden Schnelligkeit fortkritzelte.

Herr Larioz warf seinen Mantel über, nahm die Handschuhe und sein spanisches Rohr, vergaß aber, dem kleinen Schreibergehülfen sein Pensum aufzugeben, und trat auf die Straße. Als er so in Regen und Schnee dahin schritt, dachte er an den gestrigen Abend, an die Familienunterhaltungen seines Prinzipals und an Numero sechs der Bedingungen, wonach Babette gezwungen werden sollte, seinen Frack wieder in ursprünglicher Reinheit herzustellen. Wenn es ihn auch freute, daß das Recht gewissermaßen gesiegt, so fühlte er doch in seinem Innern, daß der eben geschlossene Friede nicht von Bestand sein, daß man neue und gewaltigere Hebel gegen ihn und den Knaben in Bewegung setzen werde, und daß das Unrecht, wie so oft in dieser Welt, doch am Ende triumphiren müsse.

Was konnte er machen – er, ein einzelner, schwacher Mensch, gegen die Gewalt, mit der Heuchelei, Lug und Trug daher rollten, Alles vor sich niederwerfend, Alles zermalmend? Was konnte er, machtlos wie er war, mit Worten, ja, mit Thaten, wie er sie leisten konnte, dagegen ausrichten? Er, in seiner abhängigen Stellung, der nicht einmal berechtigt gewesen war, gestern Abend den drei Weibern droben, wie sie es verdient, ihre Handlungsweise aus einander zu setzen. Nach einer unabhängigen Stellung, nach Reichthum, nach Macht sehnte er sich nur in solchen Augenblicken. Ah, wenn es ihm einmal vergönnt wäre, ohne Menschenfurcht, ohne alle Rücksicht jedes finstere Gewebe aus einander reißen zu können, das sich vor ihm entsponnen zum Schaden armer Unschuldiger, die hineinflattern, wie die Fliege in das Netz der Spinne! Wenn er einmal stark genug wäre, den Handschuh hinzuwerfen dem Drachen der Lüge und Hinterlist, der auf Erden mächtig umherschleicht; wenn er ihn niederwerfen könnte mit seinem guten Stahl! – Dann, ja, dann müßte ihm ein herrlicher Lohn winken – von oben die Palme des Sieges, dachte er. – Wir aber setzen traurig hinzu: Hier unten bei dem verdorbenen Menschengeschlechte durchnäßte Fräcke und Ungelegenheiten aller Art, Kummer, Noth und – Prügel.

Das Palais des Grafen Helfenberg, in einer Nebenstraße gelegen, wo es wie eine gewaltige Burg die umherliegenden kleinen Bürgerhäuser überragte, war ein großes, weitläufiges Gebäude, für den Aufenthalt einer ansehnlichen Familie berechnet, die auch einst in den Angehörigen des Erbauers den jetzt so stillem Steinhaufen bewohnt hatte. Die Mitglieder der Familie von damals, welche als Kinder lustig die weiten Höfe mit ihren Spielen, ihrem Jubel und Lachen erfüllt, waren groß geworden und dann jedes seiner Bestimmung gemäß durch das Hauptthor in die Welt gegangen, um nicht wieder oder nur auf Augenblicke das elterliche Haus zu betreten. Dieses verblieb dem ältesten Sohne des Erbauers, ging auch wieder auf dessen ältesten Sohn über, der es seinem einzigen Nachkommen hinterließ. Das war der jetzt lebende junge Graf Hugo von Helfenberg, welcher ein Leben führte, das nicht dazu gemacht war, dem stillen und öden Palaste ein wohnlicheres Aussehen zu geben. Wenn das Hauptthor auch beständig offen stand, und wenn sich dort auch immer, so oft das Wetter nicht zu schlecht war, der alte Portier sehen ließ, der mit dem dreieckigen Hute, dem schweren Pelz-Ueberrocke gravitätisch seinen langen Stock mit goldenem Knopfe und großen Quasten haltend, auf- und abschritt, so war doch sonst auf dem Pflaster unter dem Thorbogen nicht viel Verkehr zu bemerken; wohl sah man die Freunde des jungen Grafen zuweilen eintreten, oder auch hier und da eine Equipage von Bekannten oder vielleicht auch von Fremden, welche Besuche machen wollten, aber nur dazu gelangen, eine Karte abzugeben. Es mußte eine eigene Zauberformel dazu gehören, weiter als bis zur Stube des Portiers zu gelangen, ein Spruch, welcher wahrscheinlich nur den genauesten Freunden bekannt war; denn, wie schon gesagt, nur diese – und es war eine sehr kleine Zahl – traten in das Palais ein, ohne gleich wieder fortzugehen.

Und doch war der jetzige Besitzer dieses Palastes, ja, der einzige Erbe der reichen Helfenberg'schen Güter – ein Mann in noch jungen Jahren, der vor nicht gar langer Zeit, als er im selben Kürassier-Regimente diente, in dem sich auch der Baron von Breda befunden hatte, einer der lebenslustigsten und in jeder Hinsicht unternehmendsten Cavaliere gewesen war. Große Summen waren damals mit den Bekannten verjubelt worden, wobei es aber eigenthümlich war, daß der Verwalter der Helfenberg'schen Güter, wenn ihn ein Bekannter beim Glase Wein mit dem Ellbogen stieß, ihm vertraulich zuflüsternd: »Na, wenn das so fortgeht, so werdet ihr bald ausgewirthschaftet haben,« ernsthaft und mit dem Ausdrucke der Wahrheit versicherte: »Laßt das gut sein, lieber Freund, wenn wir Beiden das einmal zu theilen hätten, was der Herr Graf von seinen jährlichen Revenuen nicht verzehrt, so wären wir ganz anständig reiche Leute.«

Dabei aber hatte der junge Graf ein gutes, offenes, freundliches Herz; wo er half, – und er half gern – geschah das in großem Maßstabe; ja, es kam häufig vor, daß Baron Breda ihm irgend ein Anliegen für Jemand vortrug, mit dem Zusatze: »Es thut mir leid, daß ich dich belästigen muß, ich würde Dem oder Jenem gern von mir aushelfen, aber meine Kasse erlaubt es nicht; das ist etwas für dich, du glücklicher Mensch!« Und darin schien sich der Graf auch wirklich glücklich zu fühlen; er half Unzähligen, und wo er half, diskret und großartig.

Dann war er nach Italien gereist, dort ein paar Jahre geblieben, und als er zurückkam, begann die vollkommen veränderte Lebensweise, welche wir vorhin angedeutet. Er hatte seine Entlassung vom Militär genommen, machte fast nirgendwo Besuche, und es blieb so still in seinem Palais, daß Leute, die immer Alles genau wußten, die Achseln zuckend sprachen: »Da ist etwas nicht ganz richtig, Graf Helfenberg ist nicht von seinen Reisen zurückgekehrt, Gott weiß, wo der in Italien begraben liegt!« Daß er aber wirklich zurückgekehrt war, merkten bald wieder die Armen und Hülfsbedürftigen aller Art, die sich an ihn wandten, – die Leute in den Nachbarhäusern sahen freilich nichts von dem Bewohner des alten, finsteren Palais. Dort waren und blieben die Vorhänge verschlossen, der Portier spazierte einsam unter dem Thorbogen, wie schon bemerkt, wenn es gutes Wetter war, und in diesem Falle sah man auch täglich aus dem Palais ein verschlossenes Coupé wegfahren, das einzige Lebenszeichen, welches der Bewohner gab; denn in diesem Coupé befand sich der junge Graf Helfenberg, der, wie die Leute, welche sich genau darum bekümmerten, erfuhren, auf eines seiner vielen Güter fuhr, die in der Nähe der Stadt lagen, und in deren ausgedehnten Wäldern er es liebte, spazieren zu gehen.

Herr Larioz hatte das Palais bald erreicht; da es aber noch in Einem fort stürmte und regnete, so befand sich der Portier in seiner Loge, wo er gegenüber der Glasthür in einem bequemen Lehnsessel saß, und wo neben ihm an der Wand eine Schnur herabhing, die er anzog und auf diese Art das eiserne Gitter öffnete, welches das Treppenhaus versperrte.

Der lange Schreiber erschien an der Gitterthür, die sich vor ihm öffnete, um hinter ihm wieder ins Schloß zu fallen, und er befand sich nun wie in einem Käfig, denn die Treppe selbst war mit einem zweiten Gitter gesperrt, welches nur nach vorher erfolgter Rücksprache mit dem Portier geöffnet wurde. Herr Larioz trat an die Loge und fragte dem erhaltenen Auftrage gemäß nach dem Herrn Grafen von Helfenberg und ob er zu sprechen sei.

Der Portier schüttelte mit dem Kopfe und schien beinahe erstaunt, daß ein Mann vom Aeußern des Schreibers mit dem Herrn zu sprechen verlange.

»Geben Sie mir nur Ihr Gesuch,« sagte er mit wohlwollender Stimme, »wir werden es mit dem Uebrigen vortragen lassen.«

»Es handelt sich um kein Gesuch,« erwiderte Herr Larioz würdevoll lächelnd, »ich habe nur im Auftrage meines Prinzipals, des Herrn Rechtsconsulenten Doktor Plager, dem Herrn Grafen dieses Billet zu übergeben und werde darauf wahrscheinlich eine mündliche Antwort erhalten.«

»Das ist etwas Anderes,« sagte der Portier, ohne irgend ein Zeichen, daß ihn sein Irrthum in Verlegenheit gebracht; »so wollen wir nach Joseph schellen.«

Er zog eine Klingel, worauf nach wenigen Minuten ein einfach, aber elegant gekleideter Lakai erschien, der mit der Weisung des Portiers: das in Empfang genommene Billet des Rechtsconsulenten dem Kammerdiener Seiner Erlaucht zu übergeben und um Antwort zu bitten, wieder verschwand.

Bald hörte man ihn wieder, und zwar eilig, die Treppe herabkommen; er trat in die Portierloge und bedeutete den Ueberbringer des Schreibens mit einer leichten Verbeugung, ihm zu folgen.

Hätte es der Portier nicht unter seiner Würde gehalten, ein erstauntes Gesicht zu machen, so würde er es in diesem Augenblicke gethan haben, denn er fühlte den Drang hierzu in sich, da es seit langer Zeit nicht vorgekommen war, daß Seine Erlaucht, der Herr Graf, jemand gänzlich Fremdes vor sich ließen. Der alte Diener zuckte leicht mit den Achseln und machte ebenfalls eine Achtelsverbeugung, als er das Gitterthor zur Treppe öffnete und den Fremden hindurch gehen ließ.

Herr Larioz befand sich auf breiten Marmorstufen, über welche in der Mitte ein Teppichstreifen lief. Ein Anderer würde es vielleicht wie der Lakai gemacht haben und neben dem Teppichstreifen gegangen sein, unser Freund aber trat fest darauf und betrachtete, während er aufwärts stieg, mit sichtbarem Behagen das prachtvoll gewölbte Treppenhaus mit seinen Deckengemälden und seinen Nischen, aus denen ernsthafte steinerne Ritter den Emporsteigenden so unverwandt und forschend betrachteten, als hätten sie im Sinne, nachher ihre Bemerkungen über den so eben Vorbeigegangenen auszutauschen.

Im ersten Stocke angekommen, öffnete der vorausschreitende Lakai durch einen, nur den Leuten des Hauses bekannten Mechanismus eine große Glasthür, die auf einen weiten Vorplatz führte, um den die Wohnzimmer des Grafen Helfenberg lagen. Auf der Treppe sowohl als hier im Vestibül herrschte so tiefe Stille, daß man sich unwillkürlich fürchtete, laut zu sprechen; ja, der Lakai hatte schon einige Mal einen Hustenanfall gewaltsam unterdrückt, und als sich dieser jetzt endlich doch Luft machte, klang es gerade, als husteten alle Ritter in der Nische und alle Figuren an der Decke ebenfalls mit.

Der Schreiber des Advokaten wurde in ein Vorzimmer geführt, wo ihn ein schwarz gekleideter Mann, der Kammerdiener Seiner Erlaucht, in Empfang nahm. Dieser trug Schuhe und Strümpfe, sowie eine weiße Halsbinde, und hatte nichts Außergewöhnliches an sich, als daß er sehr leise sprach, den Kopf herabgesenkt hielt und großes Vergnügen daran zu finden schien, die Nägel seiner weißen Finger zu betrachten.

»Der Herr Graf haben befohlen, Sie herauf zu führen,« lispelte der Kammerdiener, worauf Herr Larioz entgegnete:

»Sie waren doch so gütig, den Brief, den ich herauf sandte, zu übergeben?«

»Allerdings,« versetzte der Andere mit sanfter Stimme und einem Lächeln, welches zu sagen schien: »Wie wäre es möglich, einen Brief nicht zu übergeben! – Seine Erlaucht,« fuhr er fort, haben den Brief erbrochen, gelesen und dann gesagt: Der Ueberbringer soll herauf kommen.«

»Und meinte Seine Erlaucht nicht etwa, mein Prinzipal, der Herr Rechtsconsulent Plager, sei selbst der Ueberbringer?«

»Darüber kann ich mir nicht erlauben, meine Meinung abzugeben,« sprach der Kammerdiener achselzuckend, »mein Befehl lautet, den Ueberbringer des Schreibens herauf kommen zu lassen; Sie sind der Ueberbringer, also –«

»Gehen wir,« ergänzte Herr Larioz, legte seinen bereits ausgezogenen Paletot auf einen Stuhl an der Thür, nahm den Hut und das lange spanische Rohr in eine Hand und folgte dem Voranschreitenden.

Die Beiden gingen durch mehrere Zimmer und Säle auf weichen Teppichen dahin, aber in allen diesen Piecen waren die Fenstervorhänge herabgelassen und gaben somit dem ohnedies trüben Herbsttage ein unerquickliches Halbdunkel. Nur hier und da glänzte irgend ein vergoldetes Möbel hervor oder leuchtete in einer Ecke eine weiße Marmor-Figur oder erschien fast gespenstig die Gestalt eines Ahnherrn mit scharfen und lebhaften Augen. Und auch das zeigte sich nur, wo sich der Fenstervorhang verschoben hatte und zufällig einen Lichtstrahl herein ließ.

Endlich erreichten sie einen kleinen Bildersaal, wo es schon freundlicher aussah, da dieser ein helles Licht durch die Decke empfing und mit neuen, hübschen Bildern geschmückt war. In den Ecken befanden sich Blumenpartieen, aus deren jeder eine schöne weiße Marmor-Figur hervorblickte. In der Mitte des Gemaches stand ein breiter, rother Divan, auf dem mehrere Kupferstichwerke lagen und an dem überdies eine lange türkische Pfeife lehnte mit ausgebranntem Kopfe, deren Asche auf dem dicken smyrnaer Teppich verstreut lag.

Der Kammerdiener hatte ein paar Schritte Vorsprung gewonnen und verschwand hinter den Portieren einer Thür, wo er aber gleich darauf wieder erschien und den Andern durch eine Handbewegung einzutreten ersuchte.

Herr Larioz befand sich in einem mittelgroßen, sehr behaglich eingerichteten Kabinet. Ein einziges großes Fenster, auf den Garten des Hauses gehend, gab vollkommenes Licht und ließ Ecken und Wandflächen genugsam übrig, um Möbel aller Art, an denen hier ein Ueberfluß war, placiren zu können. Am Fenster stand ein hoher und breiter Schreibtisch, mit grünem Tuche behängt, auf dem sich eine Menge nothwendiger und sehr unnothwendiger Gegenstände befanden. Hefte und Mappen, meist mit kostbaren Decken, ein halb Dutzend reich eingebundener Bücher, Schreibpapier und Couverts in lackirten Cassetten, ein paar silberne Handleuchter mit Wachskerzen, ein anderer vielarmiger Leuchter zum Lesen und Schreiben bei Nacht, Schalen von Bronze und Achat mit Federmesser von allen Größen und Formen. An einer Wand des Gemaches hingen alte und neue Waffen, einige Hirsch- und Rehgeweihe, Jagdhüte und dergleichen; gegenüber sah man einige Gemälde, deren Mittelpunkt das lebensgroße Portrait eines Mannes bildete, von dem man aber nur sah, daß er in einen grauen Jagdrock gekleidet war; das Uebrige des Bildes war scheinbar unwillkürlich zugedeckt durch eine jener weichen, rothseidenen, mit Gold durchwirkten, indischen Schärpen, deren festes Gewebe unten zu einem Knoten verschlungen war, über den eigenthümlicher Weise ein Kranz von verdorrten Vergißmeinnicht hing; ja, in der That, seltsam nahmen sich diese bescheidenen Feldblumen auf dem kostbaren Stoffe aus.

Vor dem Schreibtische befand sich ein großer Fauteuil, in welchem der Bewohner des Zimmers, der Herr des Schlosses, Graf Helfenberg, saß; eigentlich lag er wie zusammengesunken in den weichen Kissen, und nachdem der Schreiber eingetreten war, wandte der Graf seinen Kopf etwas gegen denselben hin, winkte ihm mit der feinen weißen Hand und sagte: »Bitte, treten Sie näher.«

Es war dem Herrn Larioz eigen zu Muth, als er diese kaum hörbare Stimme vernahm, die zusammengefallene Gestalt sah und nun in die edlen, aber so müden Züge blickte. Wenn er auch wohl von der Krankheit des Grafen wußte, so hatte er sich doch beim Anblick der Ritter auf der Treppe und durch die weiten Zimmer schreitend, ein ganz anderes Bild von ihm gebildet und sich eine gebietende Gestalt vorgestellt, die sich vielleicht mit der einen Hand auf die Tischecke stützen, ihn frei und stolz anblicken und mit klarer, fester Stimme ihre Wünsche oder Befehle kund geben werde. Es mochte sich etwas von dieser getäuschten Erwartung in seinen Zügen malen oder ein Ausdruck des tiefen Mitleidens auf dem sonst so ernsten Gesichte erscheinen, welcher wiederum die Aufmerksamkeit des jungen Grafen rege machte – genug, dieser blickte nicht unfreundlich zu dem langen Manne empor, ja er schien in dessen strammer und doch wieder ehrerbietiger Haltung, in der Art, wie er seinen Kopf trug und das lange spanische Rohr in der Hand hielt, etwas Außergewöhnliches zu finden; er nickte mit dem Kopfe, richtete sich etwas in seinem Fauteuil in die Höhe und sagte: »Sie haben mir ein Schreiben des Herrn Rechtsconsulenten Plager überbracht.«

»Ein Schreiben meines Prinzipals.«

»Sie sind also sein Gehülfe?« fuhr der Graf fort. »Nun gut; wenn es dem Herrn Doktor nicht unangenehm wäre, so würde ich ihn bitten, mich heute Abend um sieben Uhr zu besuchen. Um was es sich handelt, werde ich ihm mit ein paar Zeilen zu wissen thun. – Wollen Sie ihm diesen Auftrag ausrichten?«

»Es ist das meine Schuldigkeit, und außerdem werde ich es mit großem Vergnügen thun.«

»Warum mit großem Vergnügen?« fragte der junge Mann, indem er den Andern fest ansah und lächelte. Er schien das Gespräch fortsetzen zu wollen, denn sonst hätte er, wie es der Schreiber auch nicht anders erwartet, denselben durch eine Handbewegung verabschiedet. »Warum mit großem Vergnügen?« wiederholte er.

»Weil ich,« entgegnete Herr Larioz, »überhaupt gern Jemand gefällig bin und weil – aber eigentlich, gnädiger Herr, ist der Ausdruck: mit Vergnügen, eine Redensart, die man sich so angewöhnt.«

»Nein, nein,« fuhr der Graf lebhafter fort, »Ihr Wort und Ihr Blick war keine Redensart. Sie wollen damit sagen: es gewährt mir ein Vergnügen, einem armen, kranken, hinfälligen Menschen einen kleinen Dienst zu erweisen. Nicht wahr, so haben Sie es gemeint? Und ich nehme Ihnen das gar nicht übel, denn ich fühle am besten, wie krank und hinfällig ich bin.«

Bei diesen Worten hustete er in sein Taschentuch, und auch der lange Schreiber räusperte sich, nur aus ganz andern Motiven, denn es ist nicht sehr angenehm, einem vornehmen Herrn einzugestehen, daß man ihn wirklich für krank und hinfällig halte.

»Habe ich nicht Recht?« fuhr der Graf hartnäckig fort.

»Allerdings läßt das Aussehen des Herrn Grafen Einiges zu wünschen übrig,« sprach Herr Larioz nach einer Pause, während welcher er sich vollkommen gesammelt. »Eure Erlaucht sind gewiß sehr krank gewesen; aber das Wort »hinfällig« paßt doch wohl nicht.«

»O, es paßt sehr,« erwiderte der Andere mit einem leichten Seufzer. »Doch lassen wir das. – Sie sind also der Gehülfe des Herrn Doktor Plager. Ich war ein paar Mal auf Ihrem Bureau; wie kam es, daß ich Sie nie gesehen?«

»Weil der Herr Graf im Privatzimmer des Herrn Doktor waren; wir arbeiten im Nebenzimmer.«

»Ja, ja, so ist es. Aber auch sonst habe ich Sie nie gesehen. – Früher war ich viel auf der Straße, und ich meine schon, eine Figur wie die Ihrige würde mir nicht entgangen sein. Sie sind noch nicht lange in der Stadt?«

»O, doch schon einige Jahre.«

»Aber nicht hier geboren? Nicht einmal im Lande? Ich höre das an dem fremden Accent, mit dem Sie Ihr sonst sehr gutes Deutsch sprechen. Sie sind aus dem Süden – ein Italiener?« fragte er nach einer Pause.

»Ich bin ein Spanier, Herr Graf,« versetzte Larioz, und als er das gesagt, hob er seinen Kopf mit einem gewissen Stolz in die Höhe.

»Ah, ein Spanier?« fuhr der Kranke fort. »Aber für einen Spanier sind Sie sehr groß. Ich habe manchen Ihrer Landsleute gekannt, meistens schlanke Leute von mittlerer Größe.«

»So ist es, Herr Graf, weder Castilianer noch Andalusier sind im Durchschnitt große Leute; ich bin aber aus einem Theile Spaniens, wo man schon kräftigere Gestalten findet; ich bin aus den wilden Schluchten der Sierra Morena, aus Carolina.«

»Ah, aus der deutschen Niederlassung!«

»Meine Mutter war eine Deutsche, mein Vater, Don Larioz, ein Spanier.«

»Ei der Tausend! – Don Larioz!« rief lächelnd der Graf. »Und wie kommt es – verzeihen Sie mir meine Frage – daß Sie mit diesem schönen Namen sich hier in so untergeordneten Verhältnissen befinden, daß Sie das schöne Spanien verließen, um hier im kalten Norden zu leben?«

»Das schöne Spanien hat auch seine Schattenseiten,« sagte ernst der Schreiber. »Ja, Spanien ist schön,« fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, »um es als Fremder behaglich zu durchreisen, oder auch um auf seinem Stammsitze in Andalusien, überhaupt im gesegneten Süden zu leben.«

Der Graf hatte sich in seinen Fauteuil zurückgelehnt, stützte den Kopf auf die Hand und sprach nach einer Pause: »Ich habe immer dafür geschwärmt, Spanien noch zu sehen, es blieb aber ein schöner Traum, wie so mancher andere in diesem armen Leben.« – Dabei seufzte er tief und schmerzlich.

»Ein schöner Traum allerdings,« entgegnete der Schreiber, »den aber Eure Erlaucht in Ihren Verhältnissen wohl verwirklichen können.«

»Ja, in meinen Verhältnissen!« rief der Kranke mit einem schneidenden Tone. »Meine Verhältnisse sind wirklich der Art –« Er that einen tiefen Athemzug, zwang sich mühsam zu einem Lächeln und fuhr dann fort: »Lassen wir das gut sein. Aber warum verließen Sie Spanien?«

»Das ist nicht mit einigen Worten gesagt,« erwiderte der Schreiber, »und ich fürchte, die Zeit des Herrn Grafen zu sehr in Anspruch zu nehmen, wenn ich mir erlauben wollte, auch so kurz wie möglich von meinem unbedeutenden Leben zu sprechen.«

»Seien Sie darüber unbesorgt,« meinte der Kranke. »Was meine Zeit anbelangt, so fängt sie in gewisser Beziehung freilich an mir kostbar zu werden, doch habe ich hier und da gewaltige Leeren, für deren Ausfüllung ich sehr dankbar bin. – Bitte, rollen Sie sich den kleinen Fauteuil vom Fenster hieher und setzen Sie sich. Im Falle Sie Raucher sind, sprechen Sie Ihren Wunsch aus, und Sie sollen haben, was das Haus vermag. Selbst spanische Cigaretten besitze ich, wenn Sie die Gewohnheit Ihres Landes beibehalten haben. Ich selbst,« setzte er achselzuckend hinzu, »muß freilich vorderhand auch auf dieses Vergnügen renonciren, doch macht mir der Dampf einer Cigarre, die ein Anderer raucht, durchaus keine Beschwerden.«

So gern Herr Larioz, wie jeder verständige Mensch, seine Cigarre rauchte, so hätte er doch um Alles in der Welt der freundlichen Aufforderung hier keine Folge gegeben, es wäre ihm wie eine Sünde erschienen, in diese reine, nur von Blumenduft geschwängerte Atmosphäre einen Hauch von Tabak zu bringen. Er machte demgemäß eine tiefe, dankende Verbeugung, ließ sich auf den kleinen Fauteuil nieder und sagte, nachdem er eine kleine Weile vor sich hingeschaut: »Euer Erlaucht kennen das schöne Spanien aus Büchern, aus Bildern, haben die Geschichte desselben studirt und wissen also auch, daß auf der Höhe der Sierra Morena, jenes schwarzen, phantastischen Gebirges, das wie ein Wall den stolzen Norden vom lebenslustigen Süden trennt, von ausgewanderten Deutschen einige Colonieen und Dörfer angelegt wurden, von denen La Carolina die vornehmste und bedeutendste ist. Unsere Vorfahren, welche sich dort niederließen, erhielten Ländereien und Gerechtsamen freigebig und in großem Umfange, zugleich aber auch zu vielen schönen Rechten die Verpflichtung, durch das noch unwegsame schwarze Gebirge eine Fahrstraße zu brechen. Damals gab es nur Saumpfade durch die Schluchten der Sierra Morena, und die Abgründe und gefährlichen Passagen schienen so unüberwindlich, daß dieser Saumpfad nur eben breit genug für ein einzelnes Lastthier gemacht werden konnte. Deßhalb horchten die Treiber bei den verschiedenen Uebergängen in das Thal hinab, ehe sie in die Schluchten niederstiegen, und wenn sie von drunten das Klingeln der Glocken vernahmen, so lagerten sie sich droben, bis der entgegen kommende Zug vorüber war.

»Es war eine schauerliche Wildniß, die Sierra Morena, das sieht man heute noch, so wie man rechts oder links von der großen Straße abweicht. Den Namen des schwarzen Gebirges hat sie daher, daß der Gebirgszug, wenn man ihn aus weiter Entfernung am Horizont auftauchen sieht, wie eine schwarze Wand erscheint, voll eigenthümlicher Zacken in allerlei seltsamen Formationen.«

So sprach Herr Larioz und blickte träumend vor sich hin, wobei sein Auge glühte, als sähe er wirklich über die gelb und roth gefärbte Ebene der Mancha hinweg den schwarzen Zug der Sierra Morena erscheinen, scharf hervortretend unter dem strahlenden spanischen Himmel.

Der Graf hatte sich in die Ecke seines Fauteuils gedrückt, und wenn er auch die linke Hand vor das Gesicht hielt, so blickte er doch durch die Finger sinnend nach dem Erzähler, der ihm mit kunstlosen Worten die Landschaft so hinzeichnete, daß er mit seiner Phantasie im Stande war, sie lebendig auszumalen, und der mit dem eigenthümlichen Gesichte, dem aufwärts gedrehten Schnurrbart als Staffage darin erschien – ein einsamer Reiter, durch die Fläche dahinziehend.

»Die Straße, welche unsere Vorfahren, die Deutschen, dort gebaut,« fuhr der lange Schreiber fort, »ist ein Riesenbau, würdig, jedem der berühmten Werke der vielbewunderten Römer an die Seite gestellt zu werden. Mit eisernem Fleiße und unendlicher Ausdauer wurden Schluchten und Abgründe bewältigt, und wo sich, wie vorhin erwähnt, am Rande der Felsen kaum ein schmaler Pfad hinzog, übersteigen jetzt auf breiter Chaussee die schwersten Diligencen, mit acht und zehn Maulthieren bespannt, das Gebirge, und von Madrid nach Sevilla rollt man auf dieser Strecke, die früher nicht zu passiren war, am angenehmsten.

»Um also von mir zu reden, wie der Herr Graf befohlen, so war mein Vater ein Spanier, meine Mutter eine Deutsche aus jener Colonie La Carolina; von Geburt also ein echter Spanier, lernte ich deutsches Wesen und deutsche Sprache von der Mutter, nahm auch vielleicht von ihr etwas Träumerisches an, was man mir wenigstens in meinen Kinderjahren oft zum Vorwurf machte; denn statt mit Knaben meines Alters zu spielen, zog ich es häufig vor, hinaus in die Berge zu wandeln, mich dort in der Einsamkeit auf ein Felsstück niederzusetzen und um mich her zu schauen, bald im engeren Gesichtskreis auf Moos, Gras und Steine, die sich um meinen Sitz befanden, wo ich dann das Thierleben beobachtete, die Käfer und Insekten aller Art, wie sie geschäftig hin und her liefen, ihre Arbeit thaten, nie einander ihren Pfad hinterlistig durchkreuzten, und wenn sie auch zuweilen in Kampf geriethen, dann ehrlich auf einander losgingen ohne Trug und Hinterlist, Einer gegen Einen, so namentlich die schwer gewaffneten Hirschkäfer, wie ein paar geharnischte Ritter aus der guten alten Zeit.«

Hier machte Herr Larioz eine kleine Pause und sagte dann lächelnd zu dem jungen Manne gegenüber, der gar keine Bewegung machte: »Aber ich langweile Euer Erlaucht mit diesen Kindereien und bitte sehr um Entschuldigung.«

Der Andere schüttelte mit dem Kopfe und entgegnete ebenfalls lächelnd: »Fahren Sie nur fort, das amusirt mich in der That. Ich habe mit Ihnen auf dem Felssteine gesessen und tiefsinnend in Moos und Kräuter geschaut. O, die Natur, namentlich der Wald, ist so schön, so wunderbar schön! Bitte, fahren Sie fort, Ihre Erzählung beruhigt eigenthümlich meine aufgeregten Nerven.«

Larioz machte eine Verbeugung, dann sprach er weiter: »Häufig auch blickte ich um mich her auf die Berge und Schluchten, die einander folgten, im allgemeinen Charakter gleich und doch in ihren Formen wieder so mannigfaltig. Mein Ohr vernahm das Rauschen der Blätter und ließ sich erzählen von alten Zeiten; ich hörte das Murmeln der Bergwasser und das tönte mir wie eines jener Märchen, die ich als Kind so gern gehört. Dann vernahm ich auch aus der Ferne das kurze zornige Brüllen eines der Stiere, die in der Sierra Morena zum Zwecke der Kampfspiele gezogen werden, und wenn ich alsdann nachdenkend aufblickte und um die von der Sonne beleuchteten Felsenzacken den Adler majestätisch und still im Kreise schweben sah, so hoben sich meine Träume mit ihm hoch und immer höher, bis die gewaltigen Formen des schwarzen Gebirges tief hinab gesunken waren und bis ich das blühende Granada sah, von dem mein Vater so oft erzählt, an den Fuß des grün bewachsenen Berges hingeschmiegt, der die Alhambra trägt, mit seinen vielen klaren Quellen, seinen schwarzen Cypressen und jenen melancholischen Ueberresten aus der prachtvollen Maurenzeit. Auch flog ich in meinen Phantasieen so gern nach dem glänzenden Sevilla, das ebenfalls vor mir in dem weiten leuchtenden Thale lag, den der Guadalquivir durchströmt, die lebensfrohe herrliche Stadt mit ihren zahllosen Thürmen und Kuppeln, mit ihren Wahrzeichen des Giralda, mit ihrem weiß marmornen Stierplatz, an dessen Mauerringe mein Vater oftmals sein Pferd angebunden – und ich ebenfalls, als ich einmal vierzehn Jahre alt geworden war. Da erhielt ich meine ersten Ledergamaschen, die kurze verschnürte Jacke, den breitkrämpigen Hut, man setzte mich auf eines der kleinen andalusischen Pferde, und ich durfte mit den Anderen ziehen, zur Nachtzeit die Heerde der wilden Stiere nach der Ebene geleitend.«

Als der Schreiber so erzählte, hatte sich der Graf in seinem Fauteuil empor gerichtet, hatte die weißen, jetzt so zarten Hände auf die Lehnen desselben gelegt, und sein Auge glänzte fast unheimlich, als er nun so aufmerksam und starr sein Gegenüber anblickte.

»Das muß ein herrliches Leben gewesen sein,« sagte er alsdann; »sitzend im Sattel auf muthigem Pferde, und nicht bloß zum harmlosen Spazierenreiten, sondern gewiß oftmals die Lanze gebrauchend zum ernstlichen Kampfe. – Nicht wahr, das kam häufig genug vor?«

Auch die dunklen Augen des Anderen glänzten, als er nun zur Antwort gab: »O ja, an Kampf und wildem Durcheinander fehlte es bei diesen Ritten nicht.«

Er hatte bei diesen Worten langsam sein spanisches Rohr erhoben und stützte es auf die Lehne des Sessels, wie man es im Sattel mit einer Lanze zu machen pflegt.

»Aber es thut eigentlich nicht gut, dieses Leben,« fuhr er nach einer Pause fort, »besonders nicht für ein kindliches Gemüth, dessen Phantasie ohnehin erregt ist. Wenn es in den Nächten, wo wir mit den Heerden der Kampfstiere dahin zogen, wohl so viel zu arbeiten und aufzupassen gab, daß man seine Gedanken bei einander behalten mußte, so boten dafür die Tage des Rückmarsches, wenn ich mit meinem Vater oft allein durch die unendlichen Ebenen der Mancha zog, lange Stunden der Einsamkeit, die der lebhafte Kopf des Knaben dann natürlicher Weise mit den abenteuerlichsten Gestalten bevölkerte.«

»Ah!« rief der Graf, der aufmerksam zuhörte, »Sie kämpften alsdann in Gedanken mit Windmühlen und Schafheerden, wie der hochachtbare Don Quixote?«

»Ja, wie Don Quixote,« entgegnete der Andere schnell, indem sein Auge aufflammte, »wie jener Held, für den ich von meiner Jugend an geschwärmt, für dessen Irrfahrten und trauriges Schicksal ich stets das innigste Mitleid gefühlt.«

»Die Phantasie eines lebhaften Geistes, die Erfindung eines reichen Gemüthes!« warf der Graf hin. »Ich schätze ihn sehr, den unerreichbaren Cervantes.«

»Wenn man die Fahrten des sinnreichen Junkers von La Mancha weitab vom Schauplatz seiner Thaten liest,« fuhr der lange Schreiber fort, »so kann man vielleicht bisweilen lächeln über jene – nennen wir es barocke – Phantasie, die einen Menschen, der noch nicht ganz zu den Narren gehört, mit Windmühlen und Schafheerden kämpfen läßt. Ist man aber einmal, selbst durch jene Flächen geritten, durch jenes wellenförmige, röthlich gelbe Terrain, wo ein Gehölz von Buchsbaumsträuchern, das am Horizont auftaucht, und dessen Stämme in Wirklichkeit kaum drei Fuß hoch sind, uns als ein Wald mit Riesenbäumen erscheint, wo wir ein Haus, eine Windmühle vor uns sehen und Stunde um Stunde darauf losreiten, ohne sie zu erreichen, ja, ohne ihr scheinbar näher zu kommen; wenn wir die phantastischen Wolkenschatten bemerken, die zur Zeit des Herbstes und auch des Frühjahrs vor uns auf der Fläche zu fliehen oder uns kampfbereit entgegen zu stürmen scheinen; wenn man weit, weit in der Ferne den Zug der Sierra Morena sieht, gefärbt wie dunkler Stahl, scharf und zackig – wenn man an jenen Hirten vorüber kommt, die noch heut zu Tage langsam ihr Gewehr empor nehmen, wenn sie einen einsamen Reiter bemerken, oder an den Feldhütern, die wir dort in der Schlucht gelagert finden, vor sich zwischen den Knieen den abgezogenen Hut, in den man ein Almosen werfen muß, will man nicht mit der kurzen, weitmündigen Büchse Bekanntschaft machen, die der Wegelagerer im Arme hält – ja, wer dabei eine rege Einbildungskraft hat, dem mag es leicht gehen wie dem edlen Don Quixote, daß er auf der schattenlosen Fläche Tage lang umher reitend dieselben Abenteuer aufsucht und findet.«

Das hatte der lange Spanier mit solcher Begeisterung und solcher Ueberzeugung gesprochen, und dabei flammten seine Augen so, daß ihm der Kranke lächelnd sagte: »Ei, Don Larioz, mir scheint, Sie hätten nicht übel Lust gehabt, ein anderer Don Quixote zu werden und ausgerüstet mit Schild und Lanze, auf der Rozinante reitend, aufs Neue die Mancha zu durchstreifen, Riesen und Drachen zu bekämpfen zu Ehren Dulcinea's von Toboso.«

»Nicht so ganz, gnädiger Herr,« entgegnete der Schreiber, nachdem er eine Zeit lang fast betrübt lächelnd vor sich nieder geschaut. »Was hülfe in unserer Zeit die Rozinante? was Schild, Lanze und selbst die Kopfbedeckung des Don Quixote, wenn es auch in Wahrheit der Helm Mambrin's und nicht jene Barbierschüssel gewesen wäre? – Letzteres kann man leider als begründet annehmen. Aber die Frage, die mir Euer Erlaucht jetzt im Scherze stellte, wäre für mich allerdings einer ernsten Beantwortung werth. War Don Quixote, der sinnreiche Junker, wirklich jener Ritter, wie ihn das erhabene Buch des Cervantes darstellt, oder wollte der Dichter mit seiner göttlichen Schöpfung einen Mann bezeichnen, der sinnbildlich mit eingelegter Lanze und geschwungenem Schwerte auf die Lächerlichkeiten der Menschen eindringt, gegen die Windmühlen ihres Hochmuthes anrennt, die Schafheerden ihrer falschen Demuth aus einander sprengt, – Jemand, der den heiligen Gedanken an eine unerreichbare Dulcinea von Toboso im Busen trägt, für die er kämpft und leidet?«

Dies hatte Herr Larioz mit großer Bewegung gesprochen, wobei er aufwärts blickte und – wie er gern zu thun pflegte – sein langes spanisches Rohr wie ein entblößtes Schwert auf den Schenkel stützte. Sein Gesicht hatte in diesem Augenblicke etwas so Feierliches, ja, Erhabenes, daß ihm der Graf mit großer Theilnahme zuschaute und, da er das Außergewöhnliche von jeher geliebt hatte, eine plötzliche Neigung zu dem eigenthümlichen Spanier empfand. Um ihn nicht zu unterbrechen, nickte er zustimmend mit dem Kopfe, weßhalb der Andere fortfuhr: »Wenn also der Dichter die Absicht hatte, in dem Don Quixote für sein Zeitalter eine Figur zu schaffen, die er ausziehen ließ in die Welt, um durch sie die Lächerlichkeiten und Laster seiner Nebenmenschen zu geißeln, warum sollte es nicht ein ersprießliches Werk sein, auch heute nochmals die Rozinante zu besteigen, sich mit Schwert und Schild zu bewaffnen und den Erbärmlichkeiten der Menschen das Visir zu öffnen, nachdem man sie siegreich vor sich niedergeworfen? – Ach, welch schöne Bestimmung, welch herrliches Loos! Oder wäre ein solcher Don Quixote heute nicht mehr nöthig, hat sich das Menschengeschlecht gebessert, ist Unredlichkeit aller Art, Lug, Trug und Heuchelei nicht mehr zu finden? Lohnt es sich nicht mehr der Mühe, auf dem Heerwege zu stehen oder an der Straßenecke, der gekränkten Unschuld und Tugend zum Schutz, dem verfolgenden Laster zum Schrecken? Wäre es nicht dankenswerth, jenen Intriguen nachzuschleichen, welche den gesunden, kräftigen Menschen wie eine Schlange langsam umgarnen, seine Bewegungen lähmen und ihn endlich zu Grunde richten? – Freilich wäre es ein Leben des Kampfes, auch wohl zuweilen der Niederlage, aber gewiß würdig, für spätere Geschlechter in Büchern aufbewahrt zu werden.«

Graf Helfenberg hatte dem erregten Redner mit größter Theilnahme zugehört; er begriff dessen Absicht, und wenn er auch über dieselbe den Kopf hätte schütteln mögen, so konnte er doch nicht anders als die Begeisterung ehren, mit welcher Jener seine seltsamen Ansichten vortrug. – »Das hieße ja,« sagte er nach einem kleinen Nachsinnen, »fast der ganzen Welt den Fehdehandschuh hinwerfen, das wäre ein Unternehmen, wo auf Dank nicht zu rechnen, häufige Niederlagen dagegen voraussichtlich wären.«

Herr Larioz fuhr mit der Hand über das Gesicht und blickte wie erstaunt um sich, als er sah, wo und vor wem er seine sonderbaren Theorien aus einander gesetzt; er hatte, wie er zuweilen zu thun pflegte, sich so in seine Phantasieen vertieft, daß ihm das, was er gesagt, wie ein lautes Selbstgespräch vorgekommen war. Er hätte sich ein wenig geschämt, wenn ihm nicht die Worte seines Gegenüber bewiesen, daß der Graf seinen Phantasien nicht nur gefolgt, sondern sie auch theilweise aufgenommen habe. Der Schreiber ließ seinen Stock langsam auf den Boden niedergleiten, senke den Kopf ein wenig und sagte nach einer Pause im gewöhnlichen Tone: »Verzeihung, gnädiger Herr, daß mich die Erinnerung an meine Heimat, an meine Jugendzeit, an jene in ihrer Einsamkeit so poetischen Flächen der Mancha fortrissen, Ihnen von meinen Ideen zu sprechen, die ich sonst fest in mir zu verschließen pflege. O, ich weiß es wohl, daß sie unausführbar sind, wenigstens für mich; ich fühle wohl, was Euer Erlaucht eben gesagt, daß, sich so um das Treiben der Menschen bekümmern, der ganzen Welt den Fehdehandschuh hinwerfen hieße. Und wer könnte das thun? Nur ein selbstständiger, mächtiger Mensch, nicht ein armer Schreiber wie ich.«

Diese letzten Worte begleitete Herr Larioz mit einem bitteren Lächeln, worauf der junge Graf kopfschüttelnd entgegnete: »Auch der Mächtigste auf Erden müßte an dieser Aufgabe zu Grunde gehen; auch ein König, ein Kaiser hat nicht die Macht, allen Trug, alle Heuchelei aufzudecken, er ist nicht immer selbstständig genug, seinem ersten Minister zu sagen: ich könnte Ihnen beweisen, daß Sie anders denken, als Sie so eben gesprochen. Er kann der Folgen wegen manche Intrigue nicht augenblicklich zerreißen, die er nicht nur entstehen steht, sondern von der er auch fühlt; daß sie langsam seine Hände umgarnt.«

»Ein Mächtiger, ein König könnte das allerdings nicht,« versetzte eifrig Herr Larioz. »Zu großen Dingen wählt ja der Himmel so oft geringe, schwache Werkzeuge. O, mir wäre es eine Wonne,« setzte er mit einem träumerischen Lächeln hinzu, »mich so in den Kampf zu stürzen, gute glorreiche Thaten zu vollbringen, wenn es mir auch am Ende wie dem edlen Don Quixote erginge, wenn ich auch zu Boden geworfen würde! – Ja, wie er würde ich mit dem letzten Hauche des Mundes meine Idee vertheidigen und sprechen: Freilich bin ich der unglücklichste Ritter, aber Dulcinea ist das schönste Weib der Erde. – Stoß zu mit der Lanze, Ritter!«

Das ist ein merkwürdiger Schwärmer, dachte der Kranke, dem aber die Reden des Schreibers ihrer Eigenthümlichkeit wegen mehr und mehr gefielen. Lag doch, was dieser sagte, so ganz aus dem Kreise des Alltäglichen und gefiel eben deßhalb dem jungen Manne, der von frühester Jugend her das Außergewöhnliche geliebt. Wie war seine Phantasie erregt worden durch die Erzählungen und Schilderungen? durch die Ideen des Spaniers! Wie träumte er sich mit ihm in jenes Leben seltsamen Kampfes, von dem Herr Larioz gesprochen! Ja, er faßte es noch mehr von der ritterlichen Seite auf, er sah die Mauern seines Zimmer schwinden, er schaute vor sich die weite, weite Welt und fühlte sich wieder einmal auf muthigem Pferde, dahin sprengend über die Ebene, mit jenem langen, seltsamen Menschen Abenteuer aufsuchend. Es war ein Augenblick des Wohlbehagens, wie ihn der Kranke seit lange nicht mehr gefühlt; er wollte diesem Gefühle Worte geben, ja, er hatte nicht übel Lust, dem Andern die Hand zu reichen und ihm zu sagen: Gut, wir Beiden wollen der verdorbenen Welt in dieser Art den Krieg erklären. – Angeweht von dem Hauche eines neuen, frischen Lebens, vergaß er auf einen Moment seine tiefen Leiden, wollte hastig von seinem Sitze aufspringen – da erfaßte ihn mitten in dieser heftigen Bewegung sein gewaltiges Elend wieder, seine begeisterten Züge nahmen plötzlich den Ausdruck eines starken Schmerzes an, er biß die Zähne auf einander und sank mit einem leisen Aechzen in den Fauteuil zurück, wo er ein paar Sekunden lang mit geschlossenen Augen wie ohnmächtig lag.

Erschrocken war Herr Larioz aufgesprungen, zu dem Kranken hingeeilt, hatte seine Hand ergriffen und blickte ihm mit tiefem Schmerz in die edlen, bleichen Züge.

Endlich schlug der Graf die Augen wieder auf, und als er sah, wie der Andere so theilnehmend um ihn beschäftigt war, lächelte er und sagte alsdann nach einem liefen Seufzer: »Das war ein böser Anfall. Sehen Sie, mein lieber Don Larioz, es ist nichts mehr mit unserer Weltstürmung; ich wenigstens kann keinen Antheil daran nehmen; mir sind die Hände gebunden.«

»Und mir nicht minder,« erwiderte der Schreiber, indem er sich ehrfurchtsvoll zurückzog. »Aber ich muß Euer Erlaucht um Verzeihung bitten, daß ich Sie durch meine unüberlegten Reden einigermaßen in Aufregung gebracht. Wahrhaftig, es ist selten, daß ich mich so gehen lasse,« fuhr er treuherzig fort, »aber Sie, gnädiger Herr, haben mich durch die Liebenswürdigkeit, mit der Sie mich empfingen, theilweise dazu veranlaßt, und deßhalb werden Sie die Gnade haben, mir zu verzeihen.«

»Davon kann keine Rede sein,« versetzte der Kranke mit etwas matter Stimme; »ich liebe immer noch eine kleine Emotion, wie Sie mir sie eben verschafft, und zum Beweise dafür bitte ich, mich wieder zu besuchen, sobald es Ihre Zeit erlaubt. Um die gleiche Stunde wie heute werde ich für Sie zu Hause sein. – Wir müssen doch sehen,« setzte er lächelnd hinzu, »wie sich Ihre an sich vortrefflichen Theorien mit der Praxis vereinigen lassen.«

Nach diesen Worten machte Graf Helfenberg eine freundliche Bewegung mit der Hand, und als auf den Ton der Klingel, welche auf seinem Tische stand und die er mit einem kleinen silbernen Hammer berührte, der Kammerdiener zwischen den Portieren erschien, um den Schreiber zurückzubegleiten, machte dieser eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung und verließ mit eigenen, angenehmen Gefühlen das selbst bei trübem Herbstwetter so blumenduftende und freundliche Gemach.

Herr Larioz schritt durch die halbdunkeln Zimmer zurück, die breite Treppe hinab, bei den Ritter-Figuren vorbei, die seltsame Mienen zu machen schienen, weil er so lange droben geblieben, und dann durch die Portier-Loge, wo der alte Thürhüter in Wahrheit ein verwundertes Gesicht und eine Verbeugung machte, wie sie bei ihm sonst nur für Leute aus vornehmem Stande gebräuchlich war.

Es schlug zwölf Uhr, als der lange Schreiber durch den weiten Thorbogen auf die Straße trat, und da er sich des zweiten Auftrages seines Prinzipals erinnerte, so wandte er sich nach der Burggasse, um das Geschäft Erdwinkel contra Breiberg so gut wie möglich abzumachen.


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