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Die Walstatt von Breitenfeld

N Nur ein Schatten schwebt über der Stadt, wie ein boshaftes Angebinde, welches eine böse Fee in ihre Wiege gelegt hat. Wie friedlich und lachend sie im Lande liegt, sie gilt den Gewaltigen des Kriegs für einen angenehmen Ort, um ihre greulichen Zwiste dabei auszukämpfen. Jeder deutsche Krieg faßt sie mit eiserner Hand.« So charakterisierte einst Gustav Freytag unsere Stadt. Und er hat leider nur zu recht. Allein seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts haben, abgesehen von kleineren Gefechten, fünf Hauptschlachten unter den Mauern Leipzigs stattgefunden: die beiden Schlachten bei Breitenfeld am 17. September 1631 und am 2. November 1642, die Schlacht bei Lützen am 16. November 1632, die Schlacht bei Großgörschen am 2. Mai 1813 und endlich die Völkerschlacht am 16./18. Oktober des selben Jahres.

Schlachtfelder zu besuchen ist nicht jedermanns Sache. Für viele hat der Gedanke an Kampf und Blutvergießen etwas so peinliches, daß sie sich überhaupt nicht dazu entschließen können, ein paar Stunden auf den Besuch und die Besichtigung einer Stätte zu verwenden, an der einst die eisernen Würfel der Weltgeschichte gerollt sind und über das Wohl und Wehe von Herrschern und Beherrschten, ja, was vielleicht wichtiger ist, über den Fortgang oder den Rückschritt der Kultur entschieden haben. Bei weitem die meisten Menschen huldigen jedoch der irrigen Ansicht, daß auf einem Schlachtfelde für den Laien nichts zu sehen sei, und daß es zum mindesten einer gründlichen strategischen Vorbildung bedürfe, um sich von dem Gange kriegerischer Ereignisse Rechenschaft geben zu können.

Aber gesetzt auch, dies sei wirklich so schwer, wie es anfangs den Anschein hat, so würden doch schon die Lage und die Ausdehnung eines Schlachtfeldes und die Beschaffenheit des Geländes so viele Schlüsse aus die Art der Aufstellung und Bewegung der Truppen und die notwendigen Folgen bestimmter Aktionen gestatten, daß der Besucher selbst bei nur oberflächlicher Kenntnis der historischen Vorgänge ein Interesse an der Lokalität gewinnen muß und endlich gar ein Fünkchen Feldherrngeist in sich erwachen spürt. Erwägen wir überdies die Übersichtlichkeit unserer Leipziger Schlachtfelder und bedenken wir endlich, daß zur Zeit des dreißigjährigen Krieges die Schlachten einen wesentlich einfacheren Verlauf nahmen als bei den Feldzügen der Neuzeit, so glauben wir genug getan zu haben, um den Versuch, unsern Lesern ein Panorama der ersten Schlacht bei Breitenfeld vor Augen zu führen, vor ihnen und uns hinreichend zu rechtfertigen. Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Vorgeschichte der Schlacht vom 17. September 1631!

Seit der letzten entscheidenden Waffentat der Kaiserlichen, der Erstürmung Magdeburgs (20. Mai 1631), hatte Gustav Adolf sich darauf beschränkt, in den Gegenden östlich von der Elbe festen Fuß zu fassen. Er hatte das ganze Gebiet zwischen der Warte, der unteren Oder, der Havel und der Elbe von Feinden gesäubert und sich durch die Befestigung von Rathenow, Brandenburg und Havelberg einen gesicherten Stützpunkt für einen Einfall ins Wesergebiet geschaffen. Um weitere Erfolge der schwedischen Waffen in Norddeutschland möglichst zu verhindern, versuchte Tilly den Kurfürsten von Sachsen durch Drohungen auf seine Seite zu bringen, wodurch er zugleich dessen reiche Mittel zur Verfügung zu erhalten und für das kaiserliche Heer Kriegssteuern, Lieferungen und Durchmärsche zu erzwingen gedachte. Aber der Kurfürst lehnte diese Zumutung ab, indem er sich auf die Reichsverfassung berief. Da schickte sich Tilly an, ihn mit Waffengewalt zu unterwerfen, nahm Halle, Eisleben, Merseburg, Naumburg, Zeitz und andere Orte und erpreßte von dem eroberten Lande hohe Kontributionen. Nun suchte der Kurfürst Rettung bei Gustav Adolf, der ihm aber nicht ohne Mißtrauen begegnete und den Abschluß eines Bündnisses anfangs von der Erfüllung der härtesten Bedingungen abhängig machte, schließlich jedoch von allen Forderungen abstand. Gustav Adolf überschritt darauf bei Wittenberg die Elbe und vereinigte sich am 14. September bei Düben mit der 20 000 Mann starken kursächsischen Armee. Auf das stürmische Zureden des Kurfürsten entschloß er sich dazu, eine Schlacht zu wagen, obwohl von einem unglücklichen Ausgange für Sachsen und Brandenburg das schlimmste zu erwarten stand. Am selben Tage zog Tilly von Süden heran, beschoß und nahm Leipzig und rückte den Verbündeten langsam entgegen. Am Abend des 16. September nahm er mit seiner 40 000 Mann starken Armee auf den Höhen zwischen Breitenfeld, Lindenthal und Groß-Wiederitzsch Aufstellung. So brach der 17. September an.

Ein köstlicher Spätsommertag. Die Sonne scheint warm und hell und der Südwestwind weht so frisch über die Brachäcker und Stoppelfelder, daß der Staub, der sich bei jedem Fußtritt und Aufschlag in die Luft erhebt, als weiße Wolke über die Ebene dahinzieht. Seit dem Morgengrauen stehen die Kaiserlichen in Schlachtordnung, auf dem rechten Flügel, der sich fast bis Seehausen erstreckt, bayrische Kavallerieregimenter, auf dem linken, der die Delitzscher Landstraße etwa in der Mitte zwischen Klein-Wiederitzsch und Schladitz berührt, Pappenheim mit seinen Kürassieren. Hier wird der Beginn des Kampfes ohne Frage mit der größten Ungeduld erwartet. Die schweren Rüstungen drücken Mann und Roß, und unter den Stahlhelmen mit den wehenden Straußfedern perlt der Schweiß, wenn auch die Visiere noch nicht geschlossen sind.

Am ungeduldigsten ist Graf Pappenheim selbst, trotz seiner Jugend – er zählt erst siebenunddreißig Jahre – einer der berühmtesten Reiterführer seiner Zeit. Schon vor elf Jahren hat er an der Spitze der bayrischen Kavallerie beim Weißen Berge wunder der Tapferkeit verrichtet, bis er aus zwanzig Wunden blutend für tot auf der Walstatt liegen blieb. Seit kurzem zum General der Kavallerie ernannt, lechzt er danach, dem bei Magdeburg errungenen Ruhmeskranze neue Lorbeeren hinzuzufügen. In der Mitte, etwa zwischen dem Verbindungswege Podelwitz – Klein-Wiederitzsch und der Landstraße nach Düben, gerade dort, wo diese am sogenannten Galgenberge die höchste Erhebung über das umliegende Gelände erreicht – heute befindet sich rechts und links davon eine Sandgrube – stehen in zwei langen Treffen die Kerntruppen, die nie besiegte Elite der kaiserlichen Armee. Dort, wo vor dem ersten Treffen die Geschütze aufgefahren sind, tummelt der Generalissimus Tilly sein kleines mausegraues Pferd, wie ein Jüngling sitzt der Zweiundsiebzigjährige im Sattel, er ist hager von Statur und nichts als das goldne Vließ auf seiner Brust verrät die Bedeutung dieses Mannes, der dürftiger gekleidet ist als der letzte Troßknecht seiner Armee. Aber aus den tiefen Augenhöhlen schießen unter buschigen Brauen Blicke hervor, vor denen erprobte Krieger zittern, Blicke, in denen der Ausdruck eiserner Strenge und fanatischer Begeisterung liegt. Er weiß, wofür er kämpft, ihn lockt nicht Ruhm und Beute, er geizt nicht nach dem Danke seines Kaisers, er fühlt sich vom Himmel selbst berufen, die schwedischen Ketzer zu vernichten.

Stunden vergehen. Schon hat die Sonne ihren höchsten Stand erreicht. Dreimal schon hat man neue Lunten nehmen müssen, deren Brand der frische Wind beschleunigt. Da! drüben auf der Anhöhe zwischen Zschelkau und Göbschelwitz tauchen vereinzelte Reiter auf und verschwinden wieder hinter der langen Wand hoher Erlen, die den Lauf des Loberbaches andeutet. Durch die Reihen der Kaiserlichen geht eine Bewegung. Die Piken, die man in die Erde gebohrt hatte, richten sich wie ein Wald empor. Tilly sprengt vor die Front und zieht vom Leder. Die Generäle, Obristen und Kapitäne folgen seinem Beispiele. Einen Augenblick bleibt alles still, nur vom linken Flügel her vernimmt man das Rasseln der sich schließenden Visiere. Dann schallen Kommandorufe über das Feld: Tut Pulver auf eure Pfannen! Legt eure Muskete auf die Forkett! Gegen den rechten Fuß euren Spieß fället und zieht eure Wehr!

Drüben wirbelt Staub empor, der Feind nähert sich. Deutlich erkennt man das Blau und Gelb der Fahnen und Standarten. Die Masse löst sich in kleinere Abteilungen auf. Der König, der das Zentrum selbst anführt, hat eine Vorliebe für kleine aber desto beweglichere Haufen. Den rechten Flügel, aus ostgotischen Reitern und Musketieren gemischt, kommandiert der erst dreiunddreißigjährige General Banér, ein würdiger Gegner Pappenheims, den er an Ruhe und Besonnenheit sogar noch übertrifft. Auf dem linken Flügel steht Gustav Horn, des Königs Freund und Vertrauter, ein bewährter Feldherr, aber zugleich durch gelehrte Bildung und diplomatische Fähigkeiten ausgezeichnet.

Die Schweden rücken langsam gegen Podelwitz vor; man erkennt die Absicht ihrer Führer, den linken Flügel des Feindes zu umgehen, um diesen aus seiner gegen Sonne und Wind geschützten Stellung zu verdrängen. Hinter den Schweden tauchen neue Kolonnen auf, die sich gleichfalls zu kleinen Abteilungen formieren und links von den Horn'schen Truppen, zwischen der Dübener Straße und dem Dorfe Göbschelwitz, Stellung nehmen. Es sind die kursächsischen Regimenter. Gustav Adolf hat, um in seinen Bewegungen weniger behindert zu sein, angeordnet, daß seine Alliierten für sich allein kämpfen sollten. An ihrer Spitze steht der General v. Arnim, wegen seiner Strenge und Selbstzucht der lutherische Kapuziner genannt, ein Schüler und Freund Wallensteins, der aber augenblicklich auf protestantischer Seite kämpft, weil er mit der Politik des Kaisers nicht einverstanden ist. Neben ihm hält der Kurfürst Johann Georg I. selbst vor der Front beider Armeen ist Artillerie aufgefahren.

Die Schweden und Sachsen rücken näher, aber noch stehen die Kaiserlichen unbeweglich wie eine Mauer. Da läßt Tilly durch drei Kanonenschüsse das Signal zum Angriff geben. Man sieht, wie die Schweden einen Augenblick lang ihr Haupt entblößen. Sie beten. Jetzt geht Pappenheim mit seinen Gepanzerten vor. Wie eine Gewitterwolke stürmt seine Kavallerie über die Ebene dahin, der Hufschlag dröhnt auf dem ausgedörrten Boden, und aus der Staubwolke leuchten Helme und Degenklingen wie Blitze. Aber Banér hat den Angriff erwartet und wirft sich mit seinen ostgotischen Reitern den Kürassieren entgegen. Dem furchtbaren Anprall vermag er jedoch nicht stand zu halten, er weicht zurück, Pappenheim schickt sich an, ihn zu verfolgen, da macht er plötzlich kehrt und bringt den Gegner durch einen glänzend ausgeführten Angriff seinerseits zum Stehen.

Jetzt greift auch Tilly in den Kampf ein, er wendet sich mit dem Zentrum und dem ganzen rechten Flügel gegen die Sachsen, die auf den Angriff einer solchen Übermacht nicht vorbereitet sind und ins Weichen kommen. Der Kurfürst, der zu seinen erst kürzlich angeworbenen Truppen kein rechtes Vertrauen hat, gibt den Kampf vorzeitig auf und zieht sich über den Loberbach auf Eilenburg zurück. Sein Beispiel wirkt entmutigend, und während die Regimenter im ersten Treffen wie Löwen kämpfen, wenden sich die übrigen zur Flucht. Aber den Kaiserlichen ist es nicht vergönnt, den gewonnenen Vorteil auszunutzen; mit wunderbarer Schnelligkeit schwenkt Horn seinen linken Flügel und fällt ihnen in die Flanke, sogleich durch einen Teil des Zentrums unterstützt, den ihm sein König zur Hilfe schickt.

Inzwischen hat auf der anderen Seite Pappenheim seinen ungestümen Angriff sechsmal wiederholt. Banérs Reiter und Musketiere haben einen schweren Stand. Nun stürmt der Feind zum siebenten Mal auf sie ein, da vernehmen sie hinter sich das Kriegsgeschrei der Ihrigen und sehen, wie Gustav Adolf mit den bewährten schwedischen und finnischen Regimentern zur Unterstützung herbeieilt. Ermutigt durch die Nähe des Königs werfen sie sich mit ihrer letzten Kraft auf die Feinde, diese stutzen, weichen und wenden sich zur Flucht. Banér setzt ihnen nach, bis sie in wirrer Auflösung im Tannenwalde westlich von Breitenfeld Schutz suchen und nach kurzem Verschnaufen weiter bis Halle fliehen. Gustav Adolf vereinigt sich nun mit Horn und drängt mit diesem Tilly bis zum Linkelwalde, dem kleinen Gehölz zwischen Breitenfeld und Seehausen, an dem heute die Bahn vorüberführt, zurück, erbeutet sämtliche Kanonen und richtet sie auf den weichenden Feind. Für diesen gibt es kein Halten mehr; nur fünf wallonische Regimenter setzen sich im Linkelwalde fest und werden bis auf den letzten Mann niedergemacht. Selbst Tilly, der bisher nie Besiegte, kann sich in der allgemeinen Verwirrung nicht mehr halten; ein Rittmeister vom Rheingräflichen Regimente, der längste Offizier der ganzen schwedischen Armee, ist ihm auf den Fersen und schlägt mit dem Kolben seines Pistols unbarmherzig auf den Kopf des alten Feldherrn ein, der ohnehin schon aus drei Schußwunden blutet. Aber Tillys Stunde ist noch nicht gekommen: ein Reiter erkennt die Gefahr, in der der Generalissimus schwebt, und schießt den langen Rittmeister aus dem Sattel.

Die kaiserliche Armee ist völlig vernichtet. Außer den zahllosen verwundeten bedecken 7000 Tote das Schlachtfeld. Tillys ganze Artillerie und Bagage und neunzig Fahnen sind in die Hände des Siegers gefallen. Der König sammelt seine Getreuen, entblößt das Haupt und kniet auf der Walstatt nieder. Gerade als die Sonne untergeht, schallt aus dem Munde vieler Tausende das Lied »Großer Gott, dich loben wir« über die blutgetränkte Ebene dahin.

So endete der Tag, der zu den bedeutsamsten der ganzen deutschen Geschichte gehört. Die Erfolge von zwölf langen Jahren waren für den Kaiser innerhalb weniger Stunden illusorisch geworden.

Ein einfaches Denkmal zwischen Breitenfeld und der Windmühle an der Delitzscher Landstraße meldet dem Wanderer, daß auf diesem heute so friedlichen und blühenden Gelände der Protestantismus siegreich den Verzweiflungskampf um seine Existenz focht. Hie und da hebt sich inmitten der Kornfelder ein Hügel. Der Fremde geht achtlos daran vorüber, aber der Landmann, der durch dieses Gefilde den Pflug führt, weiß, daß diese Hügel die Massengräber tapferer Krieger decken, die hier, fern von der Heimat, den Heldentod starben.

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