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Daß eine Stadt, die urkundlich schon im 11. Jahrhundert als solche erwähnt wird, und die sich schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts zweier großer Märkte rühmen durfte, heute keinen einzigen Profanbau aufweist, dessen Entstehung weiter als bis zum Jahre 1500 zurückzudatieren wäre, erscheint, namentlich wenn man süddeutsche und rheinische Städte oder die alten Handelsplätze an der Küste der Nord- und Ostsee zum Vergleiche heranzieht, verwunderlich. In der vom Papst Alexander V. ausgestellten Stiftungsbulle der Universität von 1409 wird »Lipzk« ein volkreicher und geräumiger Ort genannt, seine Einwohner werden als artige und gesittete Leute bezeichnet. Aber dieser Ort bestand, wie alle Niederlassungen slavischen Ursprungs, zu Anfang, ja bis in das 15. Jahrhundert hinein, ausschließlich aus strohgedeckten Holz- und Lehmhütten, die häufig genug einem Brande zum Opfer fielen, so zum Beispiel im Jahre 1420, wo eine Feuersbrunst 400 solcher Häuser zerstörte. Endlich ist der slavische Kern der alten Stadt nicht innerhalb des heutigen Promenadengürtels, sondern am Zusammenflüsse der Parthe und der Pleiße zu suchen, von hier aus dehnte sich die Ansiedelung bis in die Gegend des Naundörfchens aus. Im Namen der »Alten Burg« an der heutigen Lortzingstraße hat sich noch eine Erinnerung an den ältesten befestigten Punkt des alten Lipzk erhalten. In dieser Gegend blieb die slavische Urbevölkerung auch noch wohnen, als die deutschen Eroberer zur Gründung einer neuen Stadt – etwa da, wo sich heute Ritterstraße, Nicolaistraße und Neumarkt befinden – schritten und von hier langsam westwärts vorrückten. Ziemlich isoliert lagen die drei vom Markgrafen Dietrich erbauten Zwingburgen und das von ihm im Jahre 1222 gegründete Thomaskloster, und erst, als nach seinem Tode zwei der Burgen niedergelegt und ihre Stätten den Dominikaner- und den Barfüßermönchen zur Benutzung überwiesen wurden, kristallisierten sich um die Klosterbauten neue Stadtteile an. An Stelle der Hain-, Katharinen- und Petersstraße fanden sich bis um die Mitte des 13. Jahrhunderts noch Waldungen und Sümpfe. Erst die Anlage des Marktes im Jahre 1240 scheint für die Weiterentwickelung der Stadt von entscheidender Bedeutung gewesen zu sein und den Grundplan des heutigen Weichbildes endgiltig fixiert zu haben. Am spätesten von den Regionen der jetzigen Altstadt wurde der Brühl bebaut; noch zur Zeit des dreißigjährigen Krieges war hier ein Sumpf, an dessen Rande vereinzelte Hütten, die Behausungen der wenigen, in Leipzig ansässigen Juden, standen.
Der älteste Leipziger Profanbau, von dem noch bedeutendere Teile bis auf unsere Tage gekommen sind, ist das in den Jahren 1503 bis 15 erbaute Rothe Kolleg. Die der Ritterstraße zugewandte Seite ist vor wenigen Jahren in einem reicheren gotischen Stile neu ausgeführt worden; die Fassade nach der Goethestraße wurde schon einmal im Jahre 1797 restauriert und galt damals als ein besonderer Schmuck des Grimmaischen Zwingers. Ein Jahrhundert später freilich wollte sie sich mit ihren nüchternen großen Wandflächen, den kleinen Fenstern und den schlichten hölzernen Altan – Geländern nicht mehr recht in die buntere Architektur des Straßenbildes einfügen, und so wurde sie denn zu Beginn des neuen Säkulums niedergerissen und durch eine Prachtfassade in streng gotischem, wenn auch den Bedürfnissen der Gegenwart durchaus angepaßtem Stile und aus edlerm Materiale ersetzt. Der Grundcharakter des Gebäudes ist beibehalten worden; wie damals, so treten auch heute zwei der von drei Giebelbauten durchbrochenen obern Geschosse jedesmal um einige Meter zurück, die mit Maßwerk reich geschmückte Türumrahmung setzt sich bis zur halben Höhe des Gebäudes in einen turmartigen Vorbau fort, der Mittelgiebel zeigt wieder das alte Universitätswappen, und das laubenartige Altangeländer des obersten Stockwerks ist wiederum in derber Holzschnitzerei ausgeführt, aber die breiten Wandflächen sind zum größten Teil den Fenstern geopfert worden, und das Erd- und das Zwischengeschoß zeigen durchweg die moderne Eisen- und Glaskonstruktion, die nur durch vier schlank aufsteigende und sich verjüngende Pilaster auf jeder Seite des Türvorbaus gegliedert wird. Sehr dekorativ sind alle Details gehalten, und die Lauben des obersten Geschosses vermitteln mit den kräftigen Farben ihrer Wandmalerei auf das Glücklichste den Übergang zu dem dunkelroten steilen Ziegeldach. Für uns ist jedoch auch die dem Hofe zugewandte Seite des Hintergebäudes von Interesse, auf die unser Blick fällt, wenn wir von der Ritterstraße aus den Hof betreten. Da präsentiert sich uns das altehrwürdige Gebäude mit seinem ganzen altertümlichen Zauber, der spitzbogigen Pforte, zu der Stufen emporführen, der hohen, von kleinen Fenstern im Übergangsstile durchbrochenen Backsteinwand und den prächtigen gotischen Kreuzgewölben des jetzt als Lederniederlage benutzten Erdgeschosses. Für wie manchen Doktor, Magister und Baccalaureus, der hier sein »Museum« besaß – »mit Gläsern, Büchsen rings umstellt, mit Instrumenten vollgepropft« –, mag dieser düstere Bau eine Welt bedeutet haben, bis der frische Hauch der Renaissance auch in dieses »dumpfe Mauerloch« Sonnenschein und neues Leben trug! Am 6. Juli 1646 wurde in diesem Hause Leibniz geboren, nachmals gleich berühmt als Mathematiker, Jurist, Staatsmann, Theologe und Philosoph. Ist es nicht, als habe der genius loci dieser letzten Heimstätte mittelalterlicher, alle Disziplinen umfassender Gelehrsamkeit dem Kinde das Patengeschenk der Universalität in die Wiege gelegt?
Das älteste Leipziger Privathaus von kunsthistorischem Interesse ist Barthels Hof, einst die »goldene Schlange« genannt, am Eingange der Hainstraße. Es ist in seiner ursprünglichen Anlage etwa zehn Jahre jünger als das Rothe Kolleg. Bei dem vollständigen Umbau im Jahre 1871 wurde die herrliche spätgotische Fassade nach der Innenseite verlegt und dadurch für uns und kommende Generationen gerettet, ein Akt der Pietät, durch den sich der Eigentümer ein Anrecht auf den Dank aller Kunstfreunde erworben hat. Auch hier finden wir die zierlichen Fensterchen mit dem charakteristischen Vorhangbogen, aber zu ihnen gesellt sich als köstlichster Schmuck der Fassade ein reichornamentierter, aus kelchartigem Fuße aufsteigender Erker mit offener Loggia und phantastischen steinernen Wasserspeiern. Neben dem echt gotischen Dekorationsmotiv des aufgeschlagenen mit Schrift bedeckten Buches sehen wir hier auch das alte Wahrzeichen des Hauses, die Schlange. Man muß an einem heißen Sommertage vom Markte aus in den dämmrig kühlen Hof treten, wenn man den intimen Reiz dieses Architekturjuwels auf sich wirken lassen will. Wie aus weiter Ferne dringt der Lärm des Straßenlebens an unser Ohr, selten nur unterbricht der Schritt eines Passanten die traumhafte Stille, die uns hier umgibt. Über die hohen Dächer fällt kaum ein Sonnenstrahl; nur das Erkertürmchen hebt sich, voll beleuchtet, gegen den blauen Himmel oder die weißen Wolken ab. Wenn wir den Hof dann wieder verlassen und den blendend hellen Marktplatz mit seinem Siegesdenkmal, den Droschken und den vorüberhastenden Menschen vor uns sehen, so beschleicht uns die Empfindung, als wären wir eben von einem Ausflug in das ferne Mittelalter in die moderne Welt zurückgekehrt. Ausdrücklich sei hier bemerkt, daß der Durchgang zur Fleischergasse erst einer späteren Zeit seine Entstehung verdankt. Ursprünglich zeigte auch Barthels Hof den Charakter der Abgeschlossenheit alter Patrizierhäuser. Erst als der gesteigerte Meßverkehr die Leipziger Hausbesitzer nötigte oder verlockte, ihre Grundstücke ausgiebiger zu verwerten und auf dem eigenen Grund und Boden gleichsam Geschäftsstraßen nach Art der orientalischen Bazare zu schaffen, wurden auch bei älteren Gebäuden jene Durchgänge gebrochen, die noch heute eine Eigentümlichkeit unserer Stadt sind.
Auch Auerbachs Hof, das berühmteste Bürgerhaus Leipzigs, dürfte seinen Ausgang nach dem Neumarkte erst in verhältnismäßig neuerer Zeit erhalten haben. Die Geschichte des 1530 bis 1538 erbauten Hauses ist so allgemein bekannt, daß wir uns die Aufzählung der Daten getrost versagen können. Für den Kunstfreund bietet der Hof in seinem jetzigen Zustande außer den schönen gotischen Kellergewölben so gut wie nichts. Aber welche Fülle von Erinnerungen strömt hier dem Kulturhistoriker und Literaturkenner entgegen! Es gibt vielleicht kein zweites Haus auf der Welt, das so andauernd Gedanken und Phantasie der Menschen beschäftigt hat, wie dieses. Fast drei Jahrhunderte lang richteten sich nach diesem Hofe die Wünsche und Hoffnungen der ganzen eleganten Frauenwelt, denn hier fand sich alljährlich zweimal auf engem Raume das Kostbarste zusammen, was die Kaufleute Nürnbergs, Augsburgs und Frankfurts, ja was die Manufakturen von Paris, Antwerpen und Venedig an Juwelen, Goldschmuck, Seidenstoffen und Spitzen auf den Markt zu bringen hatten. Die Pracht und der Reichtum der in den hundert Gewölben und den zahlreichen Holzbuden dieses Hofes angehäuften Schätze waren sprichwörtlich; gelehrte Poeten verschmähten nicht, Auerbachs oder »Aurbachs« Hof mit sinniger Anspielung auf aurum als ein Dorado oder Golkonda Deutschlands zu besingen, und gekrönte Häupter ließen es sich nicht nehmen, eigens nach Leipzig zu reisen, um hier für die Damen ihres Herzens Geschenke einzukaufen. Aber das ist längst vorüber, Pretiosen sucht man in Auerbachs Hof heute umsonst, und das Leben, das sich jetzt noch in jeder Messe an einigen wenigen Tagen in und zwischen den alten Gewölben entfaltet, ist nur ein Schattenbild des bunten Treibens von damals. Musterlager billiger keramischer Erzeugnisse, durch die Bezeichnung »Meßartikel« hinreichend gekennzeichnet – sic transit gloria mundi!
Als Goethe als junger Studiosus nach Leipzig kam, war die eigentliche Glanzzeit der Messen vorüber. Die Welt war sparsamer geworden, und auch unter den regierenden Häuptern, die unsere Stadt gelegentlich besuchten, werden sich nicht allzuviele befunden haben, die für irgend ein schimmerndes Nichts eine größere Summe übrig gehabt hätten. Vielleicht wäre heute Auerbachs Hof längst vergessen, wenn nicht der junge Studiosus, der sich damals unbeachtet unter Käufer und Verkäufer mischte und hier und da vielleicht einmal in den gewölbten Keller hinabstieg, um einer Flasche Rheinwein den Hals zu brechen, berufen gewesen wäre, dem alten Hause neuen Glanz zu verleihen. Wohl hatten schon die alten Volksbücher und Puppenspiele »von Doktor Johann Fausten, dem vielbeschreyten Schwarzkünstler«, die Stätte als Schauplatz einer Hauptszene der Faustgeschichte bezeichnet, aber es waren eben nur Volksbücher und Puppenspiele, die kaum den Kreisen bekannt gewesen sein dürften, für die Auerbachs Hof bis dahin Interesse gehabt hatte. Aber jene Volksbücher hatten in ihrer rauhen Hülle ein köstliches poetisches Samenkorn geborgen, das der junge Student als wertvollsten Gewinn seiner Leipziger Zeit mit sich von dannen nahm und das er ein ganzes langes Menschenleben hindurch in seinem Dichtergarten hegte und pflegte, bis es keimte und sproß und zu dem Riesenbaume seiner Fausttragödie emporwuchs, vor dem wir heute bewundernd stehen. So sind Auerbachs Hof und Keller zum zweitenmale der Kulturmenschheit bekannt und vertraut geworden, und der Glanz, den des Dichters Wort um diese Stätte gewoben hat, ist heller und dauernder als der Schimmer, den Gold und Juwelen hier einst ausstrahlten.
Von den übrigen im 16. Jahrhundert entstandenen Leipziger Häusern verdient neben der Alten Waage am Markte, in der bis zum Jahre 1712 auch das Postamt untergebracht war, nur der schöne Spätrenaissancebau des Fürstenhauses an der Grimmaischen Straße, ein Werk Lotters des Jüngeren, besondere Erwähnung. Mit seinem hohen Giebel und den beiden reich ornamentierten Erkertürmchen darf das heute noch so schmucke und saubere Gebäude nicht nur für das schönste alte Haus Leipzigs, sondern zugleich auch für eines der bemerkenswertesten Architektur-Denkmäler des ausgehenden 16. Jahrhunderts überhaupt gelten. Im Jahre 1648 gelangte es in den Besitz der Universität, die es anfangs einigen Professoren als Wohnung überließ, später an Kaufleute vermietete. Der dazu gehörige Garten wurde zu einem botanischen Garten umgewandelt, eine Tatsache, die uns mehr als verwunderlich anmuten muß, wenn wir bedenken, daß diesem Grundstück so ziemlich alles fehlte, was eine Pflanze zum Gedeihen braucht. Erst im nächsten Jahrhundert verlegte man den botanischen Garten in die Nähe der »Wasserkunst« an die Pleiße, wo Licht, Luft und Wasser in ausreichendem Maße vorhanden waren, bis die stärkere Bebauung des umliegenden Geländes die Übersiedelung des botanischen Gartens nach seiner jetzigen Stätte notwendig machte. Das Fürstenhaus ist der letzte bedeutendere Bau einer fast hundertjährigen Periode bürgerlichen Wohlstandes und blühender Kultur. Dann folgte, wie fast überall in Deutschland, eine lange Zeit des Stillstandes und des Niederganges, die bis in die letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts andauerte und erst einem wirtschaftlichen Aufschwung wich, als die letzten Folgen des unseligen großen Krieges glücklich überwunden waren.
Dieser rapide Aufschwung fand in unserer Stadt einen noch heute deutlich erkennbaren Ausdruck in den zahlreichen, um diese Zeit entstandenen großartigen Bürgerhäusern, die von nun an für den Charakter Leipzigs bestimmend sind. Sogar Goethe, der doch durch das reiche Frankfurt in seinen Ansprüchen verwöhnt war, rühmt den guten Eindruck, den die Stadt mit »schönen, hohen und unter einander gleichen Gebäuden« auf ihn gemacht habe. »Es ist nicht zu leugnen,« so schreibt er in »Dichtung und Wahrheit«, »daß sie überhaupt, besonders aber in stillen Momenten der Sonn- und Feiertage, etwas Imposantes hat, so wie denn auch im Mondschein die Straßen halb beschattet, halb beleuchtet, mich oft zu nächtlichen Promenaden einluden … Leipzig ruft dem Beschauer keine altertümliche Zeit zurück; es ist eine neue, kurz vergangene, von Handelstätigkeit, Wohlhabenheit, Reichtum zeugende Epoche, die sich uns in diesen Denkmälern ankündigt. Jedoch ganz nach meinem Sinn waren die mir ungeheuer scheinenden Gebäude, die, nach zwei Straßen ihr Gesicht wendend, in großen, himmelhoch umbauten Hofräumen eine bürgerliche Welt umfassend, großen Burgen, ja Halbstädten ähnlich sind.«
Besser als es Goethe mit diesen Worten tut, lassen sich die Leipziger Höfe kaum charakterisieren, wenn wir sie durchwandern und unser Augenmerk auf die verschiedenartigen Warenlager, Läden und Handwerksbetriebe richten, wie sie beispielsweise in »Kochs Hof« vereinigt sind, so scheint uns die Bezeichnung »Halbstadt« auch heute noch durchaus treffend zu sein. In einer solchen Burg oder Halbstadt eine Belagerung aushalten zu müssen, wäre gar kein allzu schlimmes Los. Man hätte das beruhigende Gefühl, alles in nächster Nähe zu haben, was zu des Leibes Notdurft und Nahrung gehört. Und da sich in den Leipziger Höfen das Leben und Treiben zum großen Teile vor den Gewölben in der Öffentlichkeit abspielt, so würde es, wenigstens dem Menschenbeobachter, auch an Unterhaltung nicht fehlen. Schade, einzig schade, daß das Leipzig des 18. Jahrhunderts keinen Goldoni hervorgebracht hat! Er hätte einen solchen Hof sicherlich zum Schauplatze seiner bürgerlichen Komödien gemacht und das ununterbrochene Herüber und Hinüber von einem Gewölbe zum andern, vom Barbier zum Antiquar, vom Gastwirt zum Fleischer, von der Grünkramfrau zum Schuhmacher, vom Goldschmied zum Korbwarenhändler mit gutem Humor und mit all den lustigen Verwechslungen und Mißverständnissen, die sich hier ganz von selbst ergeben, geschildert.
Die architektonische Bedeutung dieser Höfe, deren Erbauer über den praktischen Bedürfnissen auch das rein Monumentale und Dekorative in der Anlage nicht vergaßen, wird heute kaum noch nach Gebühr gewürdigt. Man denke sich jedoch einmal die vielen modernen Firmenschilder fort, die heute gerade die interessantesten der alten Barockfassaden entstellen, und man wird zugeben müssen, daß sich die meisten der Häuser mit den mächtigen Portalen, den statuengeschmückten Balkons, den von Lambrequins gekrönten Fenstern, den Erkern, den steinernen Guirlanden und dem prächtigen eisernen Gitterwerk höchst vornehm und imposant ausnehmen. Man sieht es diesen Höfen an, daß sie ihre Geschichte haben. Die Namen von manchen, wie z. B. von »Stieglitzens Hof«, von »Hohmanns Hof«, den der von Karl VI. geadelte Kaufherr Peter Hohmann, der Stammvater der Gräfl. Hohenthalschen Familie, im Jahre 1726 erbaute, von »Kochs Hof« (1737) und andern stehen mit goldenen Lettern in den Annalen der Leipziger Messe. Die 1691 erbaute »Große Feuerkugel« darf sich rühmen, von Lessing und Goethe während ihrer Universitätsjahre bewohnt worden zu sein; »Quandts Hof« wird in der Geschichte des deutschen Theaters genannt, weil hier die Neuberin ihre Bühne aufgeschlagen hatte, und an »Dufours Haus« knüpft sich neben der Erinnerung an das hier bis 1790 befindliche »literarische« Richtersche Kaffeehaus das Andenken an eine geheimnisvolle Leipziger Stadtgeschichte, die Verhaftung des berüchtigten Bürgermeisters Romanus, der hier, gerade nach Vollendung seines pompösen Hauses im Jahre 1703, auf Veranlassung der Gräfin Cosel bei Nacht und Nebel aufgegriffen und auf den Königstein gebracht wurde, wo er bis zu seinem 1745 erfolgten Tode Muße hatte, darüber nachzudenken, daß es eine gefährliche Sache ist, gegen die Coeur-Damen großer Herren zu intriguieren.
Kein anderes Haus unserer Stadt hat jedoch eine ähnliche Geschichte wie das »Königshaus« am Markte. Es war nicht nur fast anderthalb Jahrhundert lang das Absteigequartier der sächsischen Herrscher, der Schauplatz zahlreicher kurfürstlicher Hochzeiten – auch der fingierten, mit denen August der Starke nach dem Vorbilde des roi soleil seinen berühmten Meßfesten einen besonderen Reiz zu verleihen wußte, sondern auch die Herberge einer Reihe von gekrönten Häuptern, von denen drei den Zunamen »Der Große« tragen. Kaleidoskopartig ziehen Gestalten und Szenen der Welthistorie vor dem Auge des Geschichtskundigen vorüber, der dieses Haus betrachtet. Im Erker droben stand an einem Nachmittag im Jahre 1689 ein Riese mit flatternden Locken und keck emporgedrehtem Schnurrbart, am breitkrämpigen Hut eine blitzende Agraffe, den pelzverbrämten Rock mit Sternen bedeckt und am breiten Gürtel den krummen Säbel. Er schaute lachend auf den Marktplatz hinab, wo ihm aus zwölf Karthaunen ununterbrochen Salutschüsse entgegendröhnten, und die begeisterte Menge sich im Vivatrufen nicht genug tun konnte. Wieder und immer wieder führte er das Glas zum Munde, bis ihm die Maske abendländischer Gesittung vom Antlitz fiel und unter dem kaiserlichen Gewande der rohe Halbbarbar zum Vorschein kam, den die Welt Peter den Großen nennt.
In den letzten Septembertagen des Jahres 1707 zeigten sich in demselben Erker zwei Männer nebeneinander, die sich eben noch mit grimmem Haß bekämpft und nun den Frieden von Altranstädt geschlossen hatten: August der Starke und Karl XII. von Schweden. Auf dem sonst so heiteren Antlitz des Kurfürsten lag ein Schatten des Unmuts und der Bekümmernis. Er hatte die schwedischen Söldnerscharen sein blühendes Land verwüsten sehen und nun mit blutendem Herzen auch noch seinen Ansprüchen auf die so heiß begehrte Krone Polens entsagen müssen. Karls Züge waren nicht minder ernst. Nichts in ihnen verriet die Freude über den eben errungenen Triumph. Ob eine Ahnung ihm damals schon sagte, wie bald sich das Blatt wenden würde?
Dreiundfünfzig Jahre später! Ein Dezembertag. Preußische Grenadiere schultern vor dem Portale ihr Gewehr. Ordonnanzen kommen und sprengen davon, Offiziere gehen aus und ein. Mit finstern, halb ängstlichen, halb grollenden Mienen stehen in einiger Entfernung Leipziger Bürger und schauen neugierig zu den Fenstern empor. Dort oben sitzt ein gebeugter Mann mit stechenden blauen Augen, das Haar zum straffen Zopf gedreht, auf dem abgenutzten Uniformrock als einzigen Schmuck einen silbernen Stern. Um seine schmalen Lippen zuckt's, wie das vor ihm stehende schwarzgekleidete Männchen ihm ruhig in's Antlitz schaut und mit einer linkischen Verbeugung die Worte spricht: »wenn Ihro Majestät uns den Frieden geben wollten! –« Der Mann im Sessel stößt den Krückstock auf den Boden und wirft dem kühnen Sprecher einen flammenden Blick zu. »Kann ich denn?« ruft er aus, »hat Er's denn nicht gehört? Es sind ja drei wider mich!« So schloß die Unterredung Gellerts mit Friedrich dem Großen.
Und wieder dreiundfünfzig Jahre später! Am 19. Oktober 1813, um 8 Uhr morgens. Eine Kanonenkugel hat soeben das Dach des Königshauses durchgeschlagen; vom Grimmaischen Steinweg her schallt immer deutlicher hörbar das Kleingewehrfeuer. Auf dem Markte stehen in Reih und Glied Sachsen und Rheinbundtruppen. Ein Schwarm von Offizieren umlagert das Portal, vor dem ein arabischer Schimmel auf und nieder geführt wird. Auch jetzt richten sich aller Blicke nach dem Erker. Dort stehen zwei Männer und eine Frau in leise geführter Unterhaltung. Das wachsbleiche Antlitz des kleineren der beiden Männer scheint keiner Bewegung fähig zu sein, aber die Hand, die mit schnellem Ruck das seidene Tuch zur Stirn führt und hastig den Schweiß abwischt, verrät, was in diesem Augenblick dort oben vor sich geht. Die drei treten aus dem Erker zurück und erscheinen nach wenigen Minuten unten am Portal. Die Männer schütteln sich die Hand, und der Kleine besteigt den Schimmel. Die sächsischen Garden präsentieren, und der Reiter, um den sich jetzt die (Offiziere in goldstrotzenden Uniformen scharen, lüftet seinen quergestellten Hut und ruft: » Adieu, braves Saxons!« Es war der geschlagene Imperator, der soeben von seinem Bundesgenossen, dem unglücklichen König Friedrich August III., Abschied nahm. Von solchen Bildern und Szenen wissen Leipzigs Häuser zu erzählen.