Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VII. Buch
Karl Gutzkow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

76 8.

Als Olympia doch noch nach Mitternacht von Rom zurückgekommen war und sie ihm in der Frühe beim Wandeln im Garten begegnete – immer Thiebold in der Nähe und heute, komisch genug, mit dem Begießen von Blumen beschäftigt – sah Benno wol ein, daß auf die Länge des Freundes Beistand nicht mehr vorhalten konnte. Mit der Gießkanne und ähnlichen Hülfsmitteln konnte er nicht überall hin folgen. Olympia wollte heute sogar ihre Schmähungen über Lucinden Benno nur allein anvertrauen.

Menschen wie Thiebold können für den Umgang unentbehrlich werden; doch erfüllen sie nicht die Phantasie. Sie lassen sich als Freunde und als Gatten, weniger als Liebhaber denken. Benno erhielt wieder seinen vollen Platz in Olympiens Herzen und die Stunde rückte näher und näher, wo die zunehmende Vertraulichkeit um so mehr eine schwindelnde Höhe erreichen mußte, als sein »bester Freund« Ercolano plötzlich schüchtern und verlegen zu werden anfing. Die Mutter hatte in der That seine Eifersucht mächtig angeregt. Das Wohnen auf seiner Villa hatte sie einen lächerlichen Beweis von Schwäche genannt. Olympia trotzte der Anmuthung, die deutschen Freunde aus ihrer Nähe entfernen zu sollen. Darüber ging Ercolano wie in der Irre.

77 Thiebold war bald nur noch der Vertraute ihres Geheimisses mit Benno. Er wurde nichts als eine »schöne Eigenschaft« seines Freundes mehr. Thiebold übernahm die Commissionen ihrer Launen, wofür sie den Angebeteten selbst zu hoch hielt. Thiebold mußte »das Verhältniß zum Cardinal Ambrosi« lösen, d. h. die letzten Aufmerksamkeiten und Geschenke überbringen, die für dessen Einrichtung noch bestimmt waren. Sonst aber ärgerte sie sich schon lange über Thiebold's Allgegenwart. Bald hatte der Unbequeme gerade an derselben Stelle, wo von ihr niemand anders als Benno erwartet wurde, seine Brillantnadel, bald sein Portefeuille verloren; er suchte und fand den Freund immer an einer Stelle, wo sie mit Benno allein zu sein gehofft. Wenn sie geneigt wurde, beide aus dem Pavillon der Villa Torresani nach einer ihr noch bequemeren Besitzung des Cardinals umzulogiren, so war es, weil Thiebold Benno's Schatten blieb.

In Rom spielte selbst im Sommer eine Operntruppe. Olympia besuchte diese Vorstellungen wieder. Das Sitzen in den Logen bot Zerstreuung, Gelegenheit zu koketter Unterhaltung, neckendem Fächerspiel, zum Hin- und Herfahren, Abholen, Sichbegleitenlassen, Verfehlen u. s. w. Da die Freunde trotz der Schönheiten des Landlebens von den Merkwürdigkeiten Roms gefesselt sein mußten und manchen Tag in der Stadt blieben, so wollte die junge Fürstin zu gleicher Zeit mit Villa Torresani auch die »Brezel« an der Porta Laterana bewohnen. Die Aeltern waren entschieden dagegen und beriefen sich auf die Ehepacten, die jeden Punkt der Vergünstigungen bezeichneten. Sie verlangten, daß ihre Schwiegertochter die Villa Torresani bis zu einem bestimmten Tage nicht verließ. Manchen Menschen, sagte Lucinde zu Thiebold, der diesen Streit vermitteln sollte, ist es Bedürfniß, sich zu ärgern. Wenn die Fürstin ihre Tochter in ihrer Nähe entbehren sollte, entgeht ihr ein Motiv der Aufregung. 78 Die Mutter ist so gut gewachsen, daß sie sich gern ihrer Schwiegertochter als Folie bedient. Wir Frauen heben ja nicht den Arm auf, ohne zu berechnen, wie unser herabströmendes Blut ihn weißer machen muß! Bester Herr de Jonge, heirathen Sie niemals!

Vierzehn Tage – drei Wochen gingen in dieser Weise vorüber. Zum Glück hatte man Anzeichen, daß die Nachricht einer Insurrection jeden Augenblick von der Küste des Adriatischen Meers kommen mußte. Kuriere gingen und kamen; die bewaffnete Macht war aufgeboten, vervollständigt, marschfertig. Die Consulta hielt täglich Sitzungen. Der Verkehr mit den auswärtigen Gesandten nahm Ceccone's ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Von Angst und Sorgen sah er in der That niedergedrückt aus.

Wie beim herannahenden Sturm jede Hand ihr Haus verschließt und den Gefahren der Zerstörung vorzubeugen sucht, zeigte sich auch jetzt in den Umgebungen dieser Machthaber mehr politisches Leben, als sonst. Mancher Mund sprach sogar bereit und frei. Manche geheime Hoffnung sah eine Erfüllung voraus und verrieth vorschnell ihre Freude. Jene große Mehrzahl von Menschen, die als Ballast nur den ruhigeren Gang der Fahrt entscheidet, gleichviel unter welcher Flagge ihre Fahrzeuge segeln, warf sich hin und her. Vorahnend machte sie gleichsam nur ihr Gepäck leichter, um bequemer von einem Lager ins andere überlaufen zu können. Wie richtig hatten diese Bandiera die Italiener beurtheilt! sagte sich Benno. Der Erfolg ist hier alles! Der Muth zu einer That entscheidet ihre sittliche Berechtigung!

Nur in der Priestersphäre waltete unerschütterliche Zuversicht. Dort stand es fest, daß ein Kampf mit dem Interesse »Gottes« Jeden zerschmettern müsse – »Selbst die Pforten der Hölle werden dich nicht überwinden!« lautete der tägliche, seit dreihundert 79 Jahren im Mund der Katholiken übliche Refrain, der auch hier über das Antlitz der jungen und alten Prälatur einen lächelnden Sonnenschein verbreitete. Den »bösen Mächten« gehört ja die Welt, dem Zufall, der Intrigue, der Selbstverstrickung alles Guten – Wie kann – gesetzt die Revolution wäre das Gute – »in dieser Welt das Gute siegen!« Das hatte Lucinde ganz im Geiste der Jesuiten gesagt.

Unter den Freigesinnten gab es zwei Richtungen, die sich mit Schärfe bekämpften. Für die ausführlichere Begründung ihrer Ansichten fanden sich in England, in Frankreich, in der Schweiz und auf den Inseln um Italien Gelegenheiten zum Druckenlassen. Die eine Partei wollte ein einiges Italien, an dessen Spitze der Heilige Vater als wahrer Friedensfürst und Verbreiter aller Segnungen stehen sollte, welche durch die Christuslehre dem Menschen verbürgt und nur noch nicht genugsam anerkannt sind. Die andere sah im apostolischen Stuhl die gefährlichste Anlehnung der Despotie, verwies den Papst aus den Reihen der Souveräne, ließ ihm nur allein noch die Bedeutung, Pfarrer einer Metropolitankirche der Christenheit, der Peterskirche, zu heißen und nahm seinen irdischen Besitz in die allgemeine Verwaltung eines republikanisch regierten Italiens hinüber. Freiheit von Oesterreich wollten beide Parteien. Die Souveräne und Würdenträger der Hierarchie waren auf die Hülfe dieses Staates angewiesen; die Väter der Gesellschaft Jesu machten die Vermittler zwischen Wien und allen denen, deren Besitz in Italien bedroht war. Da die Jesuiten dem Staatskanzler zu wesentliche Dinge überwachten, da sie ihm zu viel Dämonen der Weltverwirrung mit gebundenen Händen überlieferten, so hatte er sich wohl gewöhnen müssen, sie zu schonen und ihnen über seine eigene Macht hinaus den Paß zu gewähren, den sie gewinnen wollten für die ganze Welt. Das übrige Deutschland, selbst im Norden, gehörte schon den 80 Jesuiten. Der Kirchenfürst war freigegeben worden. Der Protestantismus schien alles Ernstes zur Unterwerfung wieder unter Rom durch die Innere Mission und die Wiederaufnahme der Romantik vorbereitet zu werden.

Das Wunderlichste war der Contrast, in welchem die Rücksichten der Geselligkeit zu den Zerwürfnissen in der Rucca'schen Familie standen. Selbst wenn Ceccone keine Fremden zu bewirthen hatte, keine Prälaten aus der Provinz, keine Gesandten und hohe Reisende, so fehlten doch auf Villa Torresani Ercolano's Freunde nicht, die jeunesse dorée Roms, Aristokraten, deren Leben nur von Liebesabenteuern und von den neuesten Moden erfüllt wurde. Der Baron d'Asselyno und der Marchese de Jonge wurden in alle Geheimnisse dieser Gesellschaftssphäre eingeweiht. Niemand verbreitete mehr Geräusch von seinem Dasein, als die jungen Prälaten. Diese geistlichen Stutzer machten das Glück der Familien zweifelhaft. Der Eine nahm dabei die Miene eines Tartüffe, der Andre die stolze Zuversicht eines künftigen Papstes an. Ehrgeiz und Selbstgefühl drückte jede ihrer Lebensäußerungen aus. Einige Jahre hatten sie in der Gefangenschaft der Jesuiten gelebt, nachdem diese wieder die Leitung der Studien an sich gerissen haben; dann traten sie in die Welt mit all den Ansprüchen, die unter einem Volk voll Ignoranz schon eine geringe Bildung geben darf. Sie standen spät des Morgens auf, machten wie Frauen ihre Toiletten, ließen sich stutzerhaft frisiren, schlugen in ihren Listen nach, wo sie seit lange in diesem oder jenem Hause nicht zum Besuch gewesen – Den Tag über rannten sie müßiggängerisch durch Rom und seine Kirchen. Manche ihrer Liebesabenteuer nahmen sie ernst und führten duftende, nicht selten versificirte Correspondenzen. Alles das verband sich auf das leichteste mit einer ununterbrochenen Ehrfurcht vor diesem Altar, jenem Crucifix, vor jeder geweihten Stelle, welche zu küssen die Sitte 81 verlangte, selbst wenn damit kein besonderer Ablaß verbunden war. Die Religion ist in Rom ein Gesetz der Höflichkeit, wie bei uns das Hutabnehmen und Grüßen vor Hochgestellten oder guten Bekannten.

Nach einer heftigen Scene mit seiner Mutter hatte Ercolano vorgezogen, dem Baron d'Asselyno als Ehrencavalier seiner Gattin eine legitime Stellung zu geben. Das ist in Italien eine sociale Position wie die jedes geschäftlichen Compagnons. Ercolano wollte keinen Bruch. Er war im Stande, außer sich in den Gartenpavillon zu rennen und Benno zu beschwören, »besser« mit seiner Frau zu sein, nachgiebiger, aufmerksamer. Sie drohte, krank zu werden, wenn Benno Zerstreuung, Abwesenheit, Melancholie verrieth und sie vernachlässigte.

Zwei Tage vor dem glänzenden Fest im Braccio nuovo des Vatican war eine große Gesellschaft auf Villa Torresani. Olympia saß in den Reihen ihrer Geladenen und lebte nur für Benno. Ihre Augen sogen sich den seinigen mit dem zärtlichsten Verlangen ein. Die Mutter Ercolano's verließ voll Verdruß darüber sogleich nach Tisch die Villa Torresani. Herzog Pumpeo eilte ihr nach, um sie zu beruhigen. Sogar Thiebold wollte folgen. Er hatte die Absicht, Lucindens Rath zu befolgen und die feindselige Stimmung der alten Fürstin durch ein neues »Opfer seiner Tugend« zu paralysiren. Lucinde hielt ihn jedoch zurück. Der Augenblick war nicht günstig; Herzog Pumpeo galt für einen Raufbold. Sarzana war ebenfalls anwesend und führte Lucinde zu Tisch. Sein Benehmen war lebhafter, denn je. Ausgelassenheit stand ihm aber nicht. Lucinde mußte sagen: Benno überragt alle!

Nach der Tafel besuchte die Gesellschaft eine der großartigsten Trümmerstätten, die zu jener Gegend das Alterthum zurückgelassen hat, die nahe Villa des Kaisers Hadrian. Weitverzweigt ist dieser 82 Riesenbau, den Benno in elegischer Reflexion das Sanssouci jenes alten Kaisers genannt hatte. Thiebold begann, diesen Gedanken seines Freundes in die entsprechenden Einzelheiten zu zerlegen. Er sah die Zimmer, wo Kaiser Hadrian nach Tisch den Kaffee getrunken und junge hoffnungsvolle Dichter und Künstler ermunterte, in ihren Studien fortzufahren. Hier blies Hadrian die Flöte! sagte er. Hier lagen seine Lieblingshunde begraben! Dort spielte er wahrscheinlich Billard! In der That war hier das Leben eines Kaisers jener Universalmonarchie in allen Momenten beisammen. Raths- und Erholungssaal, Bäder, sogar die Kasernen fehlten nicht, in denen die zur Bewachung commandirten Legionen untergebracht wurden. Für allzu heiße Tage schien gesorgt durch einen halbunterirdischen, bedeckten Gang, den einst die kostbarsten Mosaikfußböden, die schönsten Frescobilder und eben jene Statuen geziert hatten, die sich jetzt im Braccio nuovo des Vatican versammelt finden.

Hier nun war es, wo sich plötzlich die Gesellschaft in den Gängen verirrte und beim Lachen über die Vergleichungen des Marchese de Jonge, der eine ganz neue Art von Alterthumskunde lehrte, auseinander kam. In einem Seitenraum dieser Gänge blieb Benno mit Olympia allein zurück. Thiebold's Stimme klang in weiter Ferne; kein Fußtritt wurde noch hörbar. Der Augenblick, den Benno immer noch verstanden hatte, nur durchaus flüchtig andauern zu lassen, der entscheidende, den seine eigene Selbstbeherrschung immer noch vermieden und Thiebold's List durchkreuzt hatte, schien heute gekommen zu sein. Jetzt, wo es vielleicht nur noch acht Tage währte, daß die siegreiche oder gescheiterte Unternehmung der Gebrüder Bandiera dieser falschen Position des Herzens und der Gesinnung ein Ende machte.

Olympia hielt Benno zurück und sagte mit einer einzigen Geberde, die einem Strom begeisterter Worte gleichkam. Wir – sind 83 – allein –! Und ihr Flammenblick schien diese Trümmerwelt wieder zu beleben. Die verwitterten Moose und Schnecken an den feuchten Wänden verschwanden. Die hier und da noch erkennbaren Farben der alten Wandgemälde glühten zu Bildern der Mythenwelt auf. Amor und Psyche, Venus und Adonis schwebten daher. Selbst der Fußboden belebte sich zum kunstvollsten Mosaik. Wohl konnten der beglückten Phantasie noch die goldenen Armsessel vor Augen stehen, vor denen einst die schöngefleckten Felle der Leoparden und Tiger gebreitet lagen.

Benno mußte seinen Arm um die luftige Gestalt winden, mußte ihre Linke, eine Kinderhand, weich wie Flaum, an sich ziehen und sie küssen. Die junge Frau blickte zu ihm auf mit jenem Ausdruck der Liebe, der in der That ihre Züge verschönte. Ihr Mund zitterte; ihre Augen waren von einem so hellen Glanz, als spiegelten sich die Bilder, die sie aufnahmen, in einer reineren Seele. Mit weicher zitternder Stimme, die ihre Worte wie aus einem für die Welt ganz an ihr fremden Register der Stimme ertönen ließ, hauchte sie: Ja, ich sollte dich hassen, du Treuloser! Wüßtest du – was ich alles um dich gelitten habe – um dich für Thorheiten beging. Rom, die Welt hätt' ich zerstören mögen und am meisten mich selbst!

Benno hatte schon allerlei zu seiner Entschuldigung gesagt. Auch wollte sie jetzt nichts mehr vom Vergangenen hören. Ihre Lippen wollten keine Worte. Sie verlangten nur die Berührung der seinigen. Die blendend weißen Zahnreihen blieben wie einer Erstarrten geöffnet stehen. Liebe verklärte jede Fiber ihres Körpers, wurde das Athmen der Brust, das ersterbende Wort ihres Mundes – Das Geheimniß der Welt war Liebe, Religion war Liebe, Leben Liebe. Sie senkte die langen Wimpern über die in träumerisches Vergessen verschwimmenden, ihren 84 Stern ganz innenwärts und hoch hinauf einziehenden Augen. Leicht lag sie ihm im Arm wie eine Feder.

Benno, kaum noch seiner Sinne mächtig, zuckte absichtlich wie über eine Störung. Da die Fürstin nur in den Bewegungen des Geliebten lebte, machte sie die gleiche Geberde. Jeder Zug der Schönheit verschwand auf eine Secunde. Das Ohr spitzte sich. Das Auge blickte groß und starr.

Doch blieb alles still. Nur über die feuchten Mauertrümmer sickerte draußen ein Wässerchen. Und im Nu, wie von unsichtbarer Musik regiert, verwandelten sich ihre Züge zur seligsten Harmonie. Ihr Sein war nur Eine Hingebung, Eine Hoffnung. Die zartesten Sylphenglieder schwebten in Benno's Armen. Er hätte sie aufheben können; wie ein Kind würde sie sich mit den Armen um seinen Nacken festgehalten haben. Auf diesen ihren entblößten Armen schimmerte ein großmächtiges goldenes Armband – eine einzige Spange nur, von unverhältnißmäßiger Größe. Das Gold blitzte in Benno's Augen. Er küßte den Arm um dieses goldenen Glanzes willen, der wie ein Zauber auf ihn wirkte. Seine Knie wankten. Erst jetzt war er in gleicher Höhe mit ihr. Er verlor die Besinnung.

Olympia war es, die sein glühendes Antlitz mit Küssen bedeckte. Sie nannte ihn Verräther! Treuloser! Geliebter! Sie versicherte, ihn nicht mehr lassen zu können, ihn bis in den Tod lieben zu müssen – Benno! sagte sie dann, fast die Buchstaben zählend, und nichts anderes weiter sprach sie.

Aber dennoch will das Glück seinen vollen Ausdruck haben. Diese Statuen, die hier einst standen, rief sie endlich, kann ich nicht mehr anrufen, Zeugen unserer Liebe und Hörer unserer Schwüre zu sein! Vernimm, mein Freund! Im Braccio nuovo bin ich auf dem Fest des Heiligen Vaters! Ich bin von den Frauen nur allein dort! Nur bis elf Uhr darf im Vatican 85 der Fuß eines Weibes verweilen! Die Männer werden sich so zeitig nicht vom Bacchanal Sr. Heiligkeit trennen wollen! Geliebter, mein Auge sieht dich auf dem Fest in allem, was die Statuen Schönes bieten. Antinous, Apollo, das bist du! Das genügt – gehe du selbst nicht auf das Fest! Sei aber um die elfte Stunde an Villa Rucca, wo ich übernachten will! Dort, an der Stelle, wo Pasqualetto Lucinden und die Herzogin entführen wollte, ist ein leicht zu gewinnender Eingang in die Villa. Ersteige die Mauer! Du kennst die Stelle an der Veranda. Dorthin begeb' ich mich, wenn ich vom Fest zurückgekommen bin. Ich werde vorschützen, im Garten noch frische Luft schöpfen zu wollen und find' ich dann dich – so bleibst du in meinen Armen – Schwöre mir's, daß du kommst! Zwei Nächte noch bis dahin – Schwöre!

So einst lag Armgart an Benno's Brust – Sie »das Vögelchen« in seiner Hand, wie er sie damals genannt. Die Genien senkten die Fackeln. Keine Störung, keine Hülfe kam. Feuer loderte durch Benno's Adern; die Berührung hatte die Glieder seines Körpers mit elektrischen Strömen erfüllt. Auf der Lippe brannte ihm der Ausruf: Ich komme! Nur Olympia's Lippen hinderten ihn, ihn wirklich auszusprechen.

Da zuckte sie aber plötzlich selbst auf. Diesmal war es nicht der sickernde Tropfenfall am moosbewachsenen Gestein, es war der Fuß eines eilend Daherschreitenden. Ich komme! war noch nicht ausgesprochen. Die Fürstin nahm jedoch ihr Ja! aus seinen Augen und von seinen Lippen. Die Störung verdroß sie nicht mehr. Das junge Paar fuhr auseinander und gab sich die Miene, als wär' es hier nur aufgehalten worden von gleichgültiger Absicht. Benno ließ die Fürstin frei, trat seitwärts, suchte etwas Blinkendes unter den Steintrümmern an der 86 Bogenlichtung des Gemäuers. Die Fürstin that, als wartete sie nur auf ihn, um weiter vorwärts zu schreiten.

Der Zeuge, der sie überraschte, war Lucinde. Da ihr Antlitz glühte, so war sie rasch gegangen. Als sie sah, daß sie das Paar zu stören fürchten mußte, kam sie wie auf einer harmlosen Promenade und that, als suchte auch sie nur, selbst eine Verirrte, auf diesem Weg zur übrigen Gesellschaft zurückzukommen. Sie leuchtete im festlichen Glanz. Ein leichter Sommerhut mit kleinen Federn schwebte lose auf ihrem gescheitelten Haar. Ueber dem hellfarbigen seidenen Kleid trug sie einen großen breitgewebten Shawl von phantastisch bunten, grünen, rothen und gelben Querstreifen. Indem sie scheinbar ruhig die Hände übereinander legte, schlugen die beiden Flügel dieses Shawls zusammen und machten den Eindruck einer Erscheinung aus der Zigeuner- oder Zauberwelt.

Sie wollte Olympien nicht erzürnen, vermied auch die leiseste Spur eines Lächelns und sagte nur athemlos: Ich suchte Sie, Herr von Asselyn. Ich bekam eben vom Cardinal, der sich empfohlen hat, Mittheilungen, die nicht gut sind –

Worüber? fragte Olympia ohne allen Verdruß. Sie bot Benno den Arm, um weiter zu wandeln.

In der Ferne hörte man die Annäherung der Gesellschaft. Lucinde beherrschte ihre Erregung. Konnte sie doch diesen Augenblick der Leidenschaft Olympiens für Benno zu irgendeinem Vortheil benutzen. Ich höre, sagte sie, daß die Gefahren Ihres Vetters, des Bischofs, immer drohender heraufziehen. In der That ist er förmlich nach Rom beordert und befohlen worden.

Was kann ihm geschehen? fragte Olympia, sich an Benno's Arm pressend.

Benno wiederholte, wie mit Beschämung: Der Bischof von Robillante ist nach Rom beordert worden?

87 Ich kann nicht sagen, fuhr Lucinde fort, ob wegen Prüfung des Magnetismus von der Pönitentiarie oder wegen der Dominicaner und seiner Vorwürfe gegen die Gerechtsame der Inquisition.

Der Bischof von Robillante? sagte Olympia leicht und obenhin. Was thut das ihm und was uns! Tod seinen Feinden. Fefelotti soll ihm sein eigenes Erzbisthum abtreten müssen! Das will ich! Ich! Ich! Der Hut des Cardinals soll ihn für jede Kränkung entschädigen. Das will ich! Ich schütze ihn – und seine Freunde!

Sie blickte voll Zärtlichkeit auf Benno.

Lucinde hielt ein Papier in Händen, das sie halb in ihrer Brust verborgen getragen und zaghaft halb hervorgezogen hatte. Es war ein in lateinischer Sprache gedruckter kleiner Zettel. Die an alle Cardinäle vertheilte Anfrage des Domcapitels von Witoborn über den Magnetismus! erklärte Lucinde, als ihr Olympia dies Papier abgenommen hatte.

Benno nahm das Blatt, versprach, es Bonaventura zu senden und fragte, ob es nicht möglich wäre, den Freund nur zu einer schriftlichen Vertheidigung zu veranlassen.

Nein! Nein! Er soll persönlich kommen! sagte Olympia. Er soll seine neuen Würden selbst mit nach Hause tragen! Ein Asselyn und hier Kampf? Divertimento! Wer sind seine Gegner? Und nach einem Augenblick des Nachdenkens sagte sie lachend: Ha, ich besinne mich, die Dominicaner! Wohlan, reisen wir selbst nach Porto d'Ascoli, um den deutschen Mönch und den Pilger zu suchen! Ich weiß, worauf hier alles ankommt.

Olympia kannte die geheimnißvollen Umstände, unter denen Pasqualetto nach Rom gekommen war. Sie kannte das Interesse, das ihr Schwiegervater an dem Vermittler dieses Wagnisses, am Pilger von Loretto hatte. Sie kannte die Botschaft und die Aufträge, welche der deutsche Mönch Hubertus übernommen, 88 kannte die mannichfachen Deutungen, die man jetzt dem spurlosen Verschwinden sowol des Suchenden wie des zu Findenden geben wollte.

Mein Oheim soll alle seine Zweifel lösen! fuhr die Fürstin fort. Noch ist, denk' ich, Cardinal Ceccone, was er war. Man sagt, eine Revolution ist im Anzuge. Nun wohl! Sie wird mit dem Schaffot endigen. Wer will uns hindern, die Gesetze zu handhaben! Ich danke Ihnen, Signora, für Ihre Theilnahme zum Besten der Asselyns. Niemand soll diesem Heiligsten der Priester, der unter meinem Schutze steht, ein Haar krümmen. Nicht das erste mal, daß ich nicht früher von den Fußzehen des Heiligen Vaters aufgestanden bin, bis ich die Gewährung meiner Bitten erhielt – und – die Zahl derer, die nach mir knieen wollten – war nicht klein! Haha!

Das alles, mit dem Ton des größten Uebermuthes gesprochen, klang wie beruhigende Musik. Lucinde fühlte ganz die Erquickung, welche ihr diese Worte geben durften. Auch Benno stellte sich, sie zu fühlen. Olympia weidete sich an den Wirkungen ihrer Macht.

Schon war inzwischen der nachgebliebene Rest der Gesellschaft sichtbar geworden. Graf Sarzana kam auf Lucinde fast schmollend zu und erklärte, sie überall gesucht zu haben. Er bot ihr den Arm und entführte sie fast wie mit Eifersucht.

Thiebold bildete den Mittelpunkt der Lustwandelnden. Er war in einem nationalökonomischen Streit mit dem alten Rucca begriffen und zeigte sich als »Marchese« nicht im mindesten befangen, seine Kenntnisse der Holzcultur zu verrathen. Sah er doch nach allen Seiten hin diesen römischen Adel mit Speculationen beschäftigt. Einige der nähern Verwandten Ercolano's, welche die Nacht über auf Villa Torresani bleiben wollten, glichen vollkommen den Zickeles und den Fulds.

89 An ein ungestörtes Alleinsein für den Ablauf des Tags mit Olympien war für Benno glücklicherweise nicht mehr zu denken. Der unheimliche, Benno zuweilen mit zweideutigem Blick fixirende Sarzana war zwar mit Lucinden auf Villa Tibur gefahren, andere fuhren nach Rom, die Nachbarn zerstreuten sich in ihre Villen, aber noch genug blieben zurück, um Olympien in Anspruch zu nehmen, genug, die auch unbefangen darüber plaudern konnten, daß Donna Lucinda und Graf Sarzana sicher in kurzer Zeit durch das Band der Ehe verknüpft sein würden. Schon im Herbst würden sie das kleine Palais bei Piazza Sciarra beziehen, hieß es. Olympia hörte wenig darauf – Sie ließ allen ihr Glück; hatte sie doch ihr eigenes. Jeder Blick aus ihren Augen verwies auf die elfte Stunde nach – noch zwei Sonnenuntergängen. Für Benno waren es die ausgelöschten Fackeln seines Lebens, denen ewige Nacht folgen mußte.

Einen Punkt in sich zu wissen, wo es nicht hell und rein im Gemüth ist, wird dem edeln Sinn zum tiefsten Schmerz. Jeder unbelauschte Gedanke fällt dann in ein Grübeln zurück: Wie kannst du diesen Flecken von dir tilgen! Wie kannst du Ruhe und Zufriedenheit mit dir selbst gewinnen! Jünglinge, Männer können zuweilen in die Lage kommen, an Frauen Empfindungen zu verrathen, die nur formelle Erwiderungen ohne wahre Betheiligung des Herzens sind. Irgendeine Schonung fremder Schwäche galt es da, irgendein mildes Entgegenkommen gegen einen Wahn, der sich so schnell, wie wol die Wahrheitsliebe mochte, nicht im verirrten Frauengemüth heilen ließ. Verstrickt dann zu sein in die Folgen solcher Unwahrheit, die sich das Herz, um seiner thörichten Schwäche willen, vorwerfen muß, leiden zu müssen um etwas, was man in dieser Weise gar nicht empfunden, in dieser Weise gar nicht gewollt hatte, das sind Qualen der Seele, die an ihr brennen können wie das Kleid des Nessus.

90 Nach dieser Scene in den dunkeln Gängen der Villa Hadriani saß Benno am Whisttisch bei den geöffneten Fenstern des schönen Gesellschaftssaals der Villa Torresani. In einem Seitenflügel waren die Zimmer ganz zur nächtlichen Herberge der Verwandten und Gäste bestimmt; eine große Gesellschaft saß noch im Saal bis zur neunten, zehnten Stunde zusammen. Die milden Düfte der Orangenbäume zogen in die Fenster ein. Phalänen mit durchsichtigen Flügeln schwirrten um die Glasglocken zweier hoher bronzener Lampen, die, aus dem Boden zwischen den Säulen sich erhebend, hier einen Atlas vorstellten, der die Weltkugel trägt, dort eine schwebende Eos, die zwei Leuchtgläser auf ihren Fingerspitzen balancirt. Auf schwellenden Ottomanen rings an den Wänden des Saals entlang streckten sich die ermüdeten Schönen, die halbschlafend sich keinen Zwang mehr anlegten. Andere schlürften Sorbet und wehten sich mit ihren Fächern Kühlung, hingegossen an den offenen Fenstern auf niedrigen Sesseln, die kaum einen Fuß hoch über dem Marmorboden sich erhoben. Weich und lind zog die Nachtluft herein. Bis in die Fenster wuchsen die üppigen Beete ausgewählter Pflanzen mit ihren seltsamgestalteten Blütenkelchen, an sich schon Symbolen der Freiheit der Natur, Symbolen des allbindenden allentfesselnden Liebestriebs – wer kann Blüten von Orchideen, Lilien, Nymphäen, Gardenien sehen, ohne an die Mysterien des Lebens erinnert zu werden –! Ein fernes leises Rauschen konnte vom Sturz des Anio kommen – es konnte auch der Sang der Cicaden sein.

Trenta due schnarrten die Methusalems der Rucca-Familie beim Spiel. Der Alte selbst war bei seinem Sohn geblieben und nicht nach Villa Tibur gefahren, wo er überhaupt selten nur verweilte, weil er dort nicht morgens zum Auszanken all seine Arbeiter beisammen hatte. Aber auch letztere genossen abendlich 91 ihren Lebenstraum. Einige sangen in schmelzenden Tenortönen: »Amore rè del mondo!« Andere spielten bei Laternenschimmer Morra – leidenschaftlich und wild und wie alles in Italien gleich auf Tod und Leben.

Felicissima notte! sprach endlich gegen halb elf Uhr Olympia zu Benno, als sie Ercolano's Arm entführte. Es klang wie der letzte Gruß – einer Braut vor dem Hochzeitstage.

Gegen Thiebold konnte sich Benno nicht mehr aussprechen. Die Lose waren zu ernst, zu furchtbar bestimmend gefallen. Thiebold sprang dem zum Pavillon Vorauseilenden von der Gesellschaft angeregt und lachend nach.

Benno erzählte, als sie durch den Garten huschten, von Bonaventura's Gefahr, von seiner Berufung vor ein geistliches Gericht, vom Stab, der für immer über Paula's Seelenleben gebrochen werden sollte.

Thiebold fand sich aus seinen römischen Verwickelungen mit Schwierigkeit in die eigentliche Aufgabe der Freunde zurück. Die aus Thiebold's Vaterstadt gekommene, an sich wohlwollende, die Anschuldigungen der Frau von Sicking und des Cajetan Rother sogar zurückweisende Anfrage enthielt Stellen, die in deutscher Uebertragung lautetenDieser Anfrage wörtlich entlehnt.:

»Ist die Person, über welche die Magnetisirte gefragt wird, abwesend, so ist dazu eine Haarlocke von deren Haupte vollkommen hinreichend. Sobald die Haarlocke in ihrer Handfläche ruht, sieht sie schlafend und mit geschlossenen Augen, wo diese Person verweilt und was sie thut –«

Eine Haarlocke! sprach Benno. Schon ergrauten des theuern Freundes Locken . . . Und seine eigenen –? Er sah den 92 Aschenbecher Armgart's, gedachte des Abschieds – des Briefwechsels durch – »ausgetauschtes Blut« –

Thiebold deutete sich Benno's heute so düsteres Leid nur aus Bonaventura's Gefahr und vertröstete, übermüdet von den Huldigungen, die seine Galanterie so vielen Contessinen und Principessen dargebracht hatte – und die wiederum auch ihm zu Theil geworden waren, auf Olympiens und Ceccone's Schutz.

»O so wolle«, übersetzte Benno eine andere Stelle, »eine hohe Curie nach deren Weisheit, zur größern Ehre des Allmächtigen, zur größern Wohlfahrt der Seelen, die unser Heiland so theuer erlöst hat, entscheiden, ob alles das eine göttliche oder nur satanische Einwirkung ist« –

Benno schleuderte das Papier von sich. Die Versicherung Thiebold's, daß Olympia sie alle schützen würde, konnte wenig nachhaltigen Trost gewähren.

Mit größter Spannung sprach Thiebold noch von dem Fest im Braccio nuovo, worauf er sich nicht nur in der Toilette, sondern sogar mit einem Handbuch der Antiquitäten gründlich vorzubereiten gedächte.

Am folgenden Morgen kam wieder ein Brief der Mutter und – unter dem mit verstellter Handschrift geschriebenen Couvert wieder die kurze Anzeige, daß sich Advocat Clemente Bertinazzi aufs neue nach Signore d'Asselyno hatte erkundigen lassen.

Benno kleidete sich rasch an, ließ im Stall des Fürsten ein ihm immer zu Gebot gestelltes Roß satteln, verbarg sich vor jedermann, selbst vor Thiebold, und sprengte sofort und in höchster Eile nach Rom.


 << zurück weiter >>