Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VII. Buch
Karl Gutzkow

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42 7.

Die Wirkung einer Karte, worauf zu lesen stand: »Monsieur Thiebold de Jonge, recommandé par le Baron Benno d'Asselyn« war auf Villa Torresani außerordentlich.

Sie fiel in die Siestenstunde, wo die junge Fürstin Rucca bei herabgelassenen Jalousieen auf schwellenden Polstern ausgestreckt lag und vielleicht in Liebesschauern vom schönen Cardinal Ambrosi träumte. Sie fuhr empor. Halbentkleidet hatte sie auf einem Ruhebett ausgestreckt gelegen. Dicht war sie gegen die bösen, stechenden »Zanzari« in Musselinvorhänge eingehüllt. Mit halbschlafendem Brüten hatte sie ein Deckenbild des Bettes, eine Amorettenscene von Albani angestarrt.

Villa Torresani war der Mittelpunkt einer durch Kunst und Natur zum reizendsten Aufenthalt bestimmten Schöpfung. Sie lag auf Bergabhängen hingehaucht wie im tändelnden Musenspiel. Alles an ihr war leicht, zierlich und gleichsam ohne Mühe geschaffen. Die Treppenaufgänge waren in ihren Geländern mit zierlichster Symmetrie durchbrochen, auf ihren Wangen mit Statuen, Aloë- und Cactustöpfen geschmückt. Wo sich bei jeder neuen Etage die Treppe zwiefach theilte, plätscherten Springbrunnen oder muschelblasende Tritonen. Oben auf der gekieselten Plateforme erhob sich ein Bau voll Pracht und Schönheit, in zwei Stockwerken, verschwenderisch geziert von Säulen, Nischen, 43 Statuen, abgeschlossen hoch oben von einer Attika, deren vier Ecken freischwebende Marmorbilder begrenzten. Eine silberweiße Herrlichkeit war es, weithin leuchtend aus einem dunkeln Boschetto von Lorberhecken und urmächtigen Eichen. Hier rauschten die Wasser, dort sangen die Vögel, summten die Käfer. Weit hinaus zur Ebene verfolgte das Auge die gelblichen Fernsichten herbstlicher Stoppelfelder; sie milderten sich durch die quer hindurchlaufenden Weingehänge und die breitastigen, nicht ängstlich beschnittenen Pappeln. In der Ferne erhob sich Rom, die Peterskuppel, sie, der immer hocherhobene Finger, der die Welt aus dem Erdendunst gen Himmel weisen soll. Wer aber schweift hinaus bei so beglückender Nähe –! Hier waltete die Kunst und die in ihren Weihemomenten überraschte Natur. Durch die zur Erde gehenden Fenster des Palastes sah man die an den Capitälen bronzirten schwarzen Marmorsäulen eines großen Speisesaals mit dem weißschwarzen Marmorgetäfel des Fußbodens. Nach hinten empfingen die Schlaf- und Siestenzimmer die Kühle einer angrenzenden Cypressengruppe, den Duft des zur Berglehne reichenden Blumengartens, wo die Pflanzen eines noch tieferen Südens im Winter durch Glasdächer geschützt wurden. Dort reiften Bananen. Dicht am Fenster, wo Olympia schlief, hauchte eine Gruppe Gardenien aus ihren weißen, mächtigen Blütentrichtern und aus der wollüstig feuchten Wärme einer fortdauernd in ihrem Erdreich zu erneuernden Berieselung einen Duft aus, gegen den der Duft der Rose verschwand.

Olympia lachte im Halbschlaf – Sie lachte sogar des Cardinals Ambrosi, der sich ihren Sorgen für eine seiner würdige Einrichtung durch den eifersüchtigen Fefelotti hatte entziehen müssen. Dann erschrak sie, weil den – Cardinal-Conservator der Reliquien nichts als Todtenschädel umgaben. Durch eine nahe liegende Ideenverbindung kam sie auf den deutschen Mönch 44 Hubertus und Grizzifalcone. Sie warf sich auf die andere Seite und wieder lachte sie ihrer Schwiegermutter, die sie fortwährend hofmeistern wollte. Sie lachte Lucindens, des Cardinals und der Herzogin von Amarillas.

Da eben erscholl das Klopfen des betreßten Dieners – Da kam die Karte. Drei, vier Klingeln gingen durcheinander, als sie die Karte gelesen hatte. Portier, Diener, Kammerzofe – wem hatte sie nicht alles Befehle zu ertheilen! »Recommandé par le Baron d'Asselyn –!«

Die Fürstin, außer sich, weckte ihren nebenan schnarchenden Ercolano. Für diesen war sogar ein Brief von Signor d'Asselyno durch den draußen harrenden mit Extrapost vorgefahrenen Monsieur Thiebold de Jonge selbst überbracht worden.

Jetzt herrschte sie dem schlaftrunkenen Gatten zu, er sollte den Fremdling so lange unterhalten, bis sie sich in Toilette geworfen hätte. Den Brief nahm sie selbst und erbrach ihn sofort. Benno von Asselyn beklagte in diesem Briefe sein bisheriges Loos, das ihn in der Welt hin- und herzureisen gezwungen und erst jetzt nach Rom zurückgeführt hätte. In acht Tagen spätestens würde er dem Fürsten seine Glückwünsche und der Fürstin sich selbst zu Füßen legen! »Zu Füßen –!« So schallen auf der Insel Ceylon plötzlich wunderbare Klänge aus der Luft. So richtet sich die Blume auf, die nach langer Dürre ein stürzender Regen erfrischt. Olympia flog – wie eine Mänade in ihre Garderobe.

Thiebold de Jonge hatte indessen in einer Empfangsrotunde Gelegenheit, die Geschichte der alten Kunst zu studiren. Neun Marmorstatuen, geschmackvoll in Nischen angebracht, zierten dieselbe; sie sowol wie der Mosaikfußboden gehörten dem wirklichen Alterthum an. Das alte Rom war hier noch nicht untergegangen.

Später hat es Thiebold oft erzählt, wie bei ihm der erste Anblick der »kleinen Heuschrecke«, die nach einer halben Stunde 45 in gelbnaturseidenen, mit grünen Blättern und bunten Blüten bedruckten Gewändern hereinrauschte, Lexikon, Grammatik, Alberti's Complimentirbuch in vollständige Verwirrung brachte. Die »gelbe Hexe« wäre viel, viel anziehender gewesen, als er erwartet.

Dennoch mußte er sich früh erholt haben. Er »reussirte« schon beim ersten Gruße. Benno hätte sich getrost noch acht Tage in Rom können versteckt halten. Thiebold beschäftigte den Fürsten und die Fürstin schon am ersten Tag mit all den Erfolgen, die wir als die gewöhnliche Belohnung seiner geselligen Talente kennen. Sogar ein Begrüßen der Villa Tibur wurde ihm am ersten Tage nicht ermöglicht. Das Französische unterstützte die Verständigung. Olympia und Ercolano ließen den liebenswürdigen »Baron« de Jonge nicht wieder frei.

Der Brief, die Ankunft Thiebold's hatten sich verspätet. Folglich mußte Benno schon am Tag nach dem Siestentraum erscheinen. Ercolano holte ihn selbst wie im Triumph aus Rom ab. Der junge Römer hatte hier nun den Mann, der es möglich machte, die an einen bekannten Vorfall mit König Pyrrhus von Epirus erinnernde Geschichte von seinem »Kampf mit einem Elefanten« zu wiederholen. »Dies ist der Herr, der mich damals in Wien –«. Ercolano erdrückte Benno mit seinen Umarmungen. Und siehe da! Als Benno auf Villa Torresani ankam, hatten sich – Thiebold und Olympia gerade schon bei einem Ausflug in den Gebirgen verspätet.

Es konnte kein Wunder nehmen, daß in drei Tagen Thiebold und Benno auf der Villa Torresani selbst wohnten. Im Garten gab es mehrere, die reizendste Aussicht gewährende Pavillons. Diese allerliebsten kleinen Häuschen mit den grünen Jalousieen! hatte Thiebold seltsam kokettirend zur Fürstin gesagt und sogleich wurde eines aufgeschlossen. Es war die Zeit, wo alles auf dem 46 Lande lebte. Was wollen Sie in Rom, was in Tivoli! – wo die Freunde sich eingerichtet hatten im Gasthof zur Sibylle – Sie wohnen bei uns! jubelte Ercolano. Lucinde wohnte tausend Schritte weiter an den Wasserstürzen Tivolis. Weder Benno noch Thiebold hatten sie begrüßt und schon wohnten sie in dem Pavillon der Villa Torresani. Sonst sind die Italiener nicht gastfrei. Hier aber traten Gründe ein, bestimmend genug, um diese beiden jungen Fremdlinge nicht wieder frei zu lassen. Schon das erste Zusammentreffen des Besuchs mit einer Visite der Schwiegermutter, das Hinzukommen anderer Nachbarschaften entschied dafür, denn alle sagten: Diese beiden Deutschen werden die Löwen der römischen Gesellschaft!

Thiebold's Kunst, die Menschen und Verhältnisse in Verwirrung zu bringen, ohne die erstern übermäßig zu reizen und die letztern zu unglücklich ausgehen zu lassen, bewährte sich auf eine bestrickende Art. Benno konnte in der That einige Tage zweifelhaft sein, ob nicht Thiebold den Sieg davontrug. Thiebold hatte sogar den Muth, des Abends sentimental zu werden. Beim Anblick der Wirkungen, die er damit auf die junge Fürstin machte, erleichterte sich ihm die anfangs beklommene Brust, erheiterte sich sein Rundblick auf die Verhältnisse, in die ihn die Sorge um zwei Freunde Benno's, die dem Tode bestimmt waren, wider alle Neigung gezwängt hatten. Benno, dem noch immer die Fürstin gleichsam schmollte, blieb ernst und düster.

Nun haben wir's, sagte Thiebold, als Benno das reizende Gartenhaus mit seiner Aussicht auf das vom Kaiser Hadrian »Tempe« genannte glückselige Thal mit ihm bezogen hatte und voll Verdruß die glänzende Einrichtung, die bronzirten Sessel, die Sammetkissen, die Verschwendung an Marmor und Krystall sah, nun werden Sie ohne allen Zweifel eifersüchtig auf mich!

47 Wir streiten uns, entgegnete Benno, wie zwei Fechter, die zum Tode bestimmt sind! Auf dem Programm der Niedermetzelungen geschieht dem einen weniger Ehre, als dem andern! Bin ich etwa darum – traurig?

War allerdings Olympia, als sie mit Benno zum ersten male allein war und von Wien zu reden begann, erblaßt und hatte zitternd, keines Wortes mächtig, das Zimmer verlassen und gab sie sich auch, um nur Fassung zu gewinnen, den Schein mit ihm zu schmollen, so war dies eben nur Schein und Täuschung. Bald stand sie auf dem Gipfel alles Erdenglücks. Sie ritt, sie fuhr, wie in ihrer fröhlichsten Zeit. Thiebold machte sich noch nebenbei zu ihrem dienenden Cavalier und sie ließ sich's mit beiden gefallen. Thiebold plauderte amusant, war immer lebhaft und gefällig – immer »präsent« – so wollen es die Frauen –! Sie konnte vollkommen mit zwei solchen jungen Männern zu gleicher Zeit fertig werden. Thiebold hatte Recht, wenn er sagte: Ihr Embarras de richesses verassecurirt unsre Tugend!

An lange Einsamkeit und an ein ungestörtes Begegnen war dabei wenig zu denken. Die Fürstin war eine Neuvermählte, Ercolano rauchte nicht eine Cigarre ohne sie, trank nicht ein Glas deutscher »Birra« ohne Benno und sein Leben bestand aus Trinken und Rauchen. Reiter und Fuhrwerke belagerten die Thore der Villa Torresani. Zankte auch wol der alte Fürst, der aus der Stadt ab und zu kam, über einen Landaufenthalt, der so gänzlich seinen Zweck zu sparen verfehlte, so war nun einmal Olympia die Nichte des regierenden Cardinals und hatte als solche den Zustrom der Fremden und Einheimischen. Da gab es Monsignori, die Carrière machen wollten; Aebte, Bischöfe kamen von nah und von fern; Fefelotti sogar ordnete sich Ceccone's gesellschaftlicher Stellung unter. Fremde kamen, die aus Kunstinteresse, andere, die aus Frömmigkeit, die meisten, die aus 48 Geselligkeitstrieb nach Rom wallfahrteten. Das Princip der römischen Aristokratie, so unzugänglich wie möglich zu sein, ließ sich hier nicht durchführen. Olympia wollte nicht aufhören, die Beherrscherin Roms zu bleiben.

Und wie war die Zeit bewegt! Kuriere kamen und gingen. Außerordentliche Botschafter von Neapel, Florenz und Modena gab es zu empfangen. Schon hörte man von Verhaftungen in Rom; von Aufhebung einzelner »Logen«. Die Gefängnisse der Engelsburg und des Carcere nuovo füllten sich so, daß die Gefangenen des Nachts, mit starken Escorten, nach Civita-Vecchia und Terracina geschickt werden mußten. Von ungewöhnlichen Streifcolonnen hörte man, die durch die Gebirge zogen. Die Marine Neapels, Sardiniens, Oesterreichs kreuzte in den Gewässern fern von Genua, um Sicilien herum und im Adriatischen Meere. Schon wurden allgemein die Brüder Bandiera als Anführer von Trupps genannt, die demnächst an verschiedenen Stellen Italiens landen würden.

Ceccone, der Benno sehr artig begrüßt und dem devoteren Gefährten Thiebold die Hand zum Kusse dargereicht hatte, war, das beobachteten beide, in äußerster Aufregung. Seine Kutsche fuhr hin und her. Sie wurde regelmäßig von zwölf Berittenen der Nobelgarde begleitet, wenn er nach Castel Gandolfo fuhr, wo der Heilige Vater eingeschlossen lebte und mismuthig über sein Körperleiden die Bullen, Breves und Allocutionen unterschrieb, die man ihm aus den verschiedenen Collegien seiner Weltregierung überbrachte. Bücher wurden verboten, Excommunicationen ausgesprochen. Wächter der Kircheninteressen gab es genug, wenn auch der Hohepriester selbst nichts las, als medicinische Schriften, nichts hören wollte, als ärztliche Consultationen. Seine Hoffnung war damals, wie bekannt, ein deutscher Arzt geworden.

Olympia hatte in der That jetzt keine geringe Abneigung 49 gegen die »Erhebung Italiens«. Sie räderte und köpfte – »Ein paar Handschuhe monatlich – Ein Bedienter nur – Und deine Hemden selbst flicken –«? Mazzini, Guerazzi, Wenzel von Terschka – jeden erwartete, wenn man seiner habhaft werden konnte, ein eigener Galgen. Bekanntlich unterschreibt der Heilige Vater die Todesurtheile nicht selbst; man überreicht sie ihm und wenn er dagegen nichts einwendet, so hat die Gerechtigkeit ihren Lauf. Man kann die Religion der Milde nicht milder betrügen! sagte Benno.

Als Benno zum ersten mal mit Ceccone beim jungen Rucca dinirte, bedurfte er der ganzen Erinnerung an die Verstellungskunst – des ihm schon einmal in seinem Leid aufgegangenen Hamlet. Er gab jede Auskunft, die der geschmeidige Priester zu hören wünschte. Er widersprach keinem Urtheil, das sich an dieser Stelle nicht berichtigen ließ. Er hörte nur mit Schrecken: Wir wissen alles! Wir sind unterrichtet über die Personen! Wir kennen die Orte –! Wir wissen, wo die Fackel der Empörung zuerst auflodern soll! Zwanzig Mitglieder der »Junta der Wissenden« haben auf die Hostie geschworen, mich binnen einem Jahre zu tödten –! Ich weiß, daß geloost worden ist! Ich weiß, daß in Rom ein Mann, in meiner unmittelbaren Nähe leben soll, der die Aufgabe hat, mich zu ermorden! Nun wohlan! Ich will es aufgeben zu forschen – sonst mistrau' ich noch jedem, der mich grüßt, jedem, der in die Nähe meines Athems kommt!

Eben war bei Tisch gesprochen worden von einigen Königsmördern, die kurz hintereinander in Frankreich guillotinirt worden. Benno horchte, ob bei allen diesen Schilderungen ein Advocat Clemente Bertinazzi würde genannt werden, der ihm als Mittelpunkt der Verschwörer in Rom bezeichnet war und der ihn sogar selbst erwarten durfte. Er erblaßte, als Cola Rienzi 50 genannt, Rienzi's Haus am Tigerstrand geschildert wurde – Bertinazzi wohnte dicht in der Nähe desselben. Niemand jedoch sprach von Bertinazzi.

Benno bedurfte der neuen Anmahnung seiner Mutter, um in dieser peinlichen Lage harmlos und unbefangen zu bleiben. Nur endlich zu Lucinden zu gehen, beschwor sie ihn. Immer noch war er nicht auf die Villa Tibur gekommen. Die Schwiegermutter Olympiens war wieder einmal mit ihrer Tochter in Streit – Lucinde sollte »Farbe halten« und nicht auf Villa Torresani erscheinen. Das verlangte die alte Fürstin. Und die junge verlangte von ihren Hausgenossen das Gleiche. Ceccone emancipirte sich. Das sahen Benno und Thiebold mit Erstaunen – Nach den Diners fuhr Ceccone auf Villa Tibur. Die Voraussetzung, daß dennoch Graf Sarzana dieser Donna Lucinde in redlichster Absicht den Hof machte, hörte Benno in der That. Diesen Cavalier hatte er noch nicht gesehen; aber genug beobachtete er schon die Art, wie in Italien die Ehe geschlossen wird und sich um ihrer Unauflöslichkeit willen mit allen Verirrungen der Leidenschaft verträgt. Lucinde – eine Gräfin! Er konnte sich die Wirkung dieser Nachricht in Witoborn, Kocher am Fall und in der Residenz des endlich freigegebenen Kirchenfürsten vergegenwärtigen.

Thiebold war nicht mehr zurückzuhalten, Lucinden zu besuchen. Er kam von ihr zurück und hatte sie außerordentlich »vornehm« gefunden. Sie gäbe Audienzen wie eine Fürstin. Sie hätte sich höchst bitter über Benno beklagt, der sie nicht zu begrüßen käme. Nur die Nähe eines »Conclaves von Prälaten«, darunter Fefelotti, hätte verhindert, daß er sich darüber vollständig mit seiner»alten Freundin« ausgesprochen – mit ihr, die ihm den Streit über die Kreuzessplitter als Ursache ihrer gegenwärtigen Anwesenheit in Rom von Herzen gedankt hatte.

51 Olympia hörte diesen Bericht voll Neid und sagte grimmig lachend: Benissimo! Die Kammerzofe meiner Schwiegermutter!

Sie aber werden sie nicht sehen! Ich verbiete es Ihnen . . . wandte sie sich zu Benno.

Benno brauchte sich nicht zu verstellen, wenn er seine Geringschätzung Lucindens andeutete. Endlich mahnte aber sogar der Cardinal um den Besuch in Villa Tibur. Olympia hörte diese Flüsterworte und wollte aufs neue widersprechen.

Benno warf ihr einen einzigen Blick zu und sagte: Ich reite morgen hinüber, Eminenz!

Die junge Fürstin sah empor zu ihm, wollte bitter schmählen, dann schlich sie still davon. Welch ein Glück beherrscht zu werden von dem, den man liebt! Wie gern hätte sie so ihr ganzes Leben ihm zu eigen gegeben –!

Der Cardinal sah alles das und verstand es. Er lachte dieser demüthig niedergeschlagenen Augen, mit denen sein Kind, erst zornig aufwallend, sich beherrschte und hinter den Säulen des Eßsaals verschwand. Dergleichen war ihm an Olympien noch nicht vorgekommen.

Am andern Tage fuhr sie dann aber doch mit Thiebold und ihrem Manne nach Rom – eines Modeartikels wegen, sagte sie – Sie zeigte Benno ein gemachtes Schmollen. Als dieser fest blieb und bat, ihm ein Pferd nach Villa Tibur bereit zu halten, weinte sie und zog ihre Fahrt bis zum Abend hinaus. Lucinde schien ihr die Einzige, die ihren beiden Freunden gefährlich werden konnte.

Benno durfte hoffen, Lucinden allein zu finden. Er hatte gehört, daß auch die alte Fürstin in Rom war, wo sie öfter verweilte als auf dem Lande – Pumpeo's wegen – Seine erste Aufwartung hatte ihr Benno schon in Rom gemacht.

Lucinde, die Benno in so vielen sich widersprechenden Situationen, in Demuth und Glück, in Verzweiflung und 52 Uebermuth, schön und häßlich, fromm und heuchlerisch, verführerisch und abstoßend gesehen hatte – Sie jetzt auf solcher Höhe! Ihr sich beugen zu müssen, von ihr durchschaut zu werden, sich und seine Mutter abhängig von ihrer Großmuth, von ihrer Selbstbeherrschung zu wissen – wohl durfte ihn alles das mit Bitterkeit und Mismuth erfüllen.

Er umritt das schon im Abendgold schwimmende Tivoli und suchte dem Bett des Anio von der Seite des rauschenden Sturzes desselben beizukommen. Der Lärm des Städtchens oben, die Schrei-Concerte der Esel, das Lachen und Schwatzen des Volks, das Begegnen der Fremden hätten seiner Stimmung wenig entsprochen. Anfangs mußte er sich vom Rauschen des Wasserfalls in seinen verschiedenen Spaltungen entfernen, dann kam er ihm wieder näher. Vögel flogen über ihn her, wie aufgeschreckt vom Donnerton der stürzenden Gewässer. Sie flogen zur Linken – Unglücksboten, wie er nach antikem Glauben sich sagen durfte beim Anblick des wohlerhaltenen Vestatempels, der oben auf der Höhe schimmerte; auch in Erinnerung an die Sibylle Albunea, die hier einst die Orakel verkündete.

Liegt die Villa Tibur so nahe dem Rauschen des Anio? sprach er zu sich selbst und gedachte – Armgart's, die so einst beim Rauschen der Mühlen von Witoborn Ruhe und ihre Aeltern gefunden hatte.

Die schon dunkle Schlucht mit ihren silbernen Schauterrassen, ihren feuchtkühlen Grotten, ihrem wilden Baum- und Pflanzengewucher blieb zur Rechten. Villa Tibur lag noch höher in die Berge hinauf. Nur wie ein fernes Meeresrauschen, immer gleich, immer rastlos, nie endend als nur durch die einstige Zerstörung dieser Felsen beim Weltgericht – so mußte der Sturz vernommen werden in der kleinen Villa, die sich durch Olivenwälder und Bergzacken endlich unterscheiden ließ.

53 Hoch oben glänzte noch der goldene Sonnenschein, der hier unten im Geklüft bereits fehlte. Die Cypressen an der endlich erreichten Thorpforte standen so ernst, wie nebenan einige Hermen. Ein Reitknecht in Livree war zunächst zur Hand, der schon ein Roß am Zügel hielt. Das Roß des Grafen Sarzana! dachte Benno. In der That war dieser der Herr des Knechtes. Er erwartete ihn, sagte er, jeden Augenblick von oben zurück. Gleich an der Pforte lag ein Wirthschaftsgebäude, wo, wie Benno sah, an Dienern kein Mangel war. Ihnen gab er zur Hut das Pferd aus Ercolano's, des jungen Fürsten, Stall.

Ueber sich schlängelnde und terrassirte Wege ging es aufwärts zur Villa, die sich an Großartigkeit mit Villa Torresani nicht messen konnte. Sie war so klein, daß Lucinde hier höchstens nur zwei Zimmer bewohnen konnte. Schön aber war auch sie, wenn auch alterthümlicher, als die auf der andern Seite des Berges. Die Decke des Vestibüls enthielt Lunettenbilder von ersten Meistern. Der Garten bot Laubengänge und Boskets. Man zeigte einen Gang hinunter, den die Weinrebe aus lieblichen Guirlanden gebildet. Dort sollten Donna Lucinda und Graf Sarzana verweilen. Dieser Gang endete in einem Rundbogen von geschnittenen Myrten.

Hob sich hier vom dunkelgrünen Hintergrund in blendendweißem carrarischen Marmor eine in Schilfblättern kniende Nymphe mit einem Schöpfkrug als eine Erinnerung an die Wasserwelt des fernher rauschenden Anio an sich schon bedeutungsvoll ab, so noch mehr die an das Postament dieser Gruppe gelehnte Gestalt Lucindens. Benno sah, was das Glück vermochte. Lucinde, die in St.-Wolfgang von der alten, über die Alpen ihrem Pflegling, dem Bischof, nicht gefolgten Renate verachtet wurde, von Grützmacher nach einem Steckbrief verglichen, von Tante Gülpen aus der Dechanei verwiesen, Lucinde, die sich in der 54 Residenz des Kirchenfürsten nur durch Nück's Interesse für sie erhalten hatte, die nicht unverdächtig der Theilnahme an einem Verbrechen auf Schloß Westerhof geblieben war (sein Beichtwissen durfte Bonaventura auch an Benno nicht verrathen), sie, die Bonaventura in Männerkleidern nach Wien gefolgt war (so viel hatte Benno von ihm erfahren) sie, ein Kind der Armuth, in ihrer ersten Jugend eine Magd – da stand sie nun – in einem purpurrothen Kaschmirshawl, den sie um beide Arme geschlungen hielt. Ihr weißes Gewand eng sich schmiegend an ihre schlanke Hüfte. Ihr Haar, um den Kopf in Flechten gewunden, war frei. Im starren Auge lag die alte Unheimlichkeit des Blicks, ihre Rache an dieser Welt für etwas, das sie mit näherer Bezeichnung vielleicht selbst nicht angeben konnte. Ihre blinzelnde Augenwimper, ihre leise, zurückhaltende Sprache – letztere schon in der Todtenstille angedeutet, die Benno antraf, obgleich ihr gegenüber auf seinen langen Degen sich stützend Graf Sarzana stand, den bebuschten silbernen Helm in der Hand. Dennoch unterhielten sie sich. Benno konnte den Bewerber erblicken, als sein Fuß schon in die Myrtenrotunde eingetreten war. Vorher stand nur Lucinde seinem Auge ersichtlich – Sie, die Richterin über das Geheimste, was mit seinem Dasein zusammenhing!

Herr von Asselyn! sprach Lucinde Benno dem Grafen vorstellend – ohne einen Schritt weiter zu gehen oder sich in ihrer Stellung zu verändern. Zu Benno sagte sie lächelnd: Kommen Sie also endlich doch noch?

Sie hatte den Ankommenden schon beim Absteigen vom Pferde gesehen und längst ihrem Blute Ruhe geboten.

Graf Sarzana hatte sich eben entfernen wollen.

Benno betrachtete Lucinden, die so ruhig that, als hätte sie ihn erst gestern zum letzten mal gesehen, betrachtete den Cavalier, 55 der in so seltsamer Umstrickung lebte. Er mußte es bei Beiden mit dem größtem Befremden thun. Graf Sarzana war ein Mann zwischen den Dreißigen und Vierzigen. Seine Augen ruhten auf Benno mehr finster, als freundlich.

Er verneigte leicht sein Haupt und sagte, daß er schon von Signore d'Asselyno gehört hätte. Auf den nahe liegenden Besitzungen des Cardinals hatte Benno Verwandte des Grafen gesprochen, die da und dort die Oekonomie verwalteten.

Ein Brautpaar konnte Benno kaum zu sehen glauben. Die Kälte und Ruhe Lucindens war der Ausdruck der höchsten Abspannung. Graf Sarzana schien aufgeregter, wenigstens stand ein unausgesetztes Streichen der Haare seines Helms mit seiner scheinbaren Ruhe im Widerspruch. Unwillkürlich bot sich für Benno die Vergleichung mit Paula und dem Grafen Hugo. Wie anders aber dies Gegenbild!

Der Abschied des Grafen verzögerte sich. Benno's scharfes Auge glaubte einen gemachten Zug von Verachtung vor dem sich Empfehlenden aus Lucindens Lippen zu sehen; sie wollte wol nur damit an ihre Liebe für Bonaventura erinnert haben. Aber auch der Graf schien nur eine eingelernte Rolle zu spielen. Zwar blieb er artig und plauderte noch einige Dinge, die einen Fremden interessiren durften. Die Stunden, wo der Heilige Vater seine Segnungen ertheilt, sind jedem Fremden in Rom von Wichtigkeit; sie sind das, was anderswo die Wachparaden und Manöver. Einige Paläste, einige Sammlungen sind schwer zugänglich. Graf Sarzana's Erbieten zur Vermittelung war freundlich. Auch unterrichtet schien er und behauptete Sammler zu sein. Er bewunderte, wie beide Deutsche sich in die italienische Art gefunden hätten, rühmte die deutschen Schulen und schien vorauszusetzen, daß Lucinde eine Erziehung genossen hätte, die ihr die Kenntniß des Lateinischen schon durch die Fürsorge 56 des Staats verschafft hätte. In allem, was er sprach, lag ein Anflug von Ironie.

Graf Sarzana hatte auf ein Convolut von Papieren gedeutet, das auf einer Bank lag. Das sind deutsche Acten! sagte Lucinde und fuhr fort: Der Graf thut, als wenn ich so frischweg die Gedichte lesen könnte, die drüben auf den Wasserfall da Catull gemacht hat! Ich verstehe das Breviarium – Das ist alles!

Der Graf that, als hinderte ihn am Gehen eine Zärtlichkeit, die Benno für gemacht halten mußte. Er wollte Lucinden die Hand küssen, die diese ihm mit Koketterie entzog. Ihre Reserve hatte von je etwas Anlockendes. Der Graf hörte in der Ferne das Stampfen und Wiehern seines neapolitanischen schönen Rosses und konnte nicht fortkommen. Unter anderm sprach er von einem Fest, das der Heilige Vater noch dem jungen Rucca'schen Ehepaar nachträglich zu Ehren geben wollte. Es war eine Gunstbezeigung, die nicht zu selten ertheilt wird, ein Mahl im Braccio nuovo des Vatican. Die dort ausgestellten Meisterwerke der alten Bildhauerkunst werden dann im Glanz der festlichsten Beleuchtung gesehen. Lucinde kannte diese Wirkung noch nicht und bedauerte, daß nur Eine Dame, welche dann die Honneurs macht, dabei anwesend sein durfte – diesmal Olympia selbst. Der Vatican, bestätigte Graf Sarzana, gilt allerdings für ein Kloster. Lucinde kannte viel Ausnahmen von den Regeln der Klöster. Ihr Lächeln konnte beim Nennen der im Braccio nuovo aufgestellten Sculpturen dem Vorfall mit dem von Thorwaldsen restaurirten Apollin gelten. Sie that, als sähe sie ganz die Furcht, die Benno schon in Wien hatte, für die junge Fürstin das zu werden, was dem Uebermuth des Kindes jene Statue gewesen. Ihr Blick blieb forschend. Inzwischen zeigte sich der Graf unterrichtet über die Meister und die Schulen, denen jene Bildwerke zugeschrieben werden.

57 Endlich ging er und bald hörte man nur noch das Klirren seiner Sporen, bald nur noch den Hufschlag seines dahinsprengenden Rosses.

Nun, endlich! Kommen Sie! sagte Lucinde. Wir haben dort einen bequemeren Platz und ich bin ermüdet –! Sie deutete an, daß sie den Grafen nicht im mindesten liebte und nur von seiner Bewerbung fatiguirt wäre.

Mit einigen Schritten befand man sich in einem ringsgeschlossenen traulichen und völlig einsamen Bosket, wo mehrere gußeiserne Sessel standen. So finden wir uns wieder! . . . sprach sie jetzt. Und ich sehe schon – Sie kommen voll Zorn auf mich! Hat mich die Herzogin so verklagt?

Im Gegentheil, erwiderte Benno, des Mädchens, ihrer Umgebung, ihrer Haltung staunend; meine Mutter rieth mir, mit Ihnen Frieden zu schließen! Sie wissen, ich habe das immer als das beste Mittel erkannt – mit Ihnen auszukommen.

Ein Lachen deutete an, daß sie sich nicht verletzt fühlen wollte. Nun, nun, sagte sie, wundern Sie sich nur erst recht aus! Ja, das ist hier Italien, das ist Rom, die Villa des Mäcenas drüben – das hier Villa Tibur! Nicht wahr, wer das alles von Ihrem und unserm Leben geahnt hätte, als ich unreifes Kind auf Schloß Neuhof lebte, unter Männern voll Grausamkeit und Tücke, von denen der allerärgste Ihr Vater war! Der beste von allen – war mein guter, närrischer Jérôme. Ihr – Bruder! Seltsam! Ich hatte dort schon Träume, die mir alles zeigten, was seither eingetroffen ist. Ich sah Ihre Mutter – wie oft! – in den Kellern des Schlosses. Ich sah die alte Hauptmännin Buschbeck mit der Giftschale in der Hand. Ich sah das Dasein Ihrer Mutter in den Visionen Ihres Vaters. Wie ich Ihnen dann zum ersten mal an der Maximinuskapelle begegnete! Wissen Sie noch? Sie trugen den rothen 58 Militärkragen jener blonden, hellblauäugigen Sandlandsklugheit, der Sie Gott sei Dank! Valet gesagt haben. Frau von Gülpen ahnte schon meine Mitwissenschaft an so manchem und wies mich deshalb aus der Dechanei. Wie ich diese stille Stätte des Friedens und der Hoffnung verlassen mußte, brach mir das Herz! Denn ach! Ihr Onkel war so gut. Und Ihnen ist er der Retter Ihres Lebens geworden! Nun, ich liebe, im Vertrauen gesagt, die Reue nicht, ganz wie die Spinozisten – alle Magdalenenbilder sind mir schrecklich – aber schön und ein ganzes Leben verklärend war Ihres Pflegvaters Reue über einen schlimmen Antheil, den er doch wol auch an Ihrem Dasein hatte – denn der Kronsyndikus war sein intimster Freund! Wie geht es dem Dechanten?

Er freut sich jeder frohen Botschaft aus Italien.

Grüßen Sie ihn von mir! »Frohe Botschaft aus Italien!« Kämen ihrer nur mehr! . . . Ich fürchte, ihr, ihr gerade siedet und kocht ihm nichts, was ihn laben wird. Euer Bischof bringt ein Ungestüm von jenseits der Berge, das diesseits nicht am Platze ist. Wer ist denn nur jener Eremit, um den er sich noch ins Verderben stürzen wird? Ein Deutscher! Erinnern Sie sich Ihrer Scherze mit dem Gipsfigurenhändler, als wir über den St.-Wolfgangsberg keuchten? Halt! unterbrach sie sich plötzlich . . . Ich vergaß die Papiere, wo wir standen. Holen Sie sie mir!

Benno folgte, wie von einem mächtigen Willen regiert. Er hörte und hörte nur. Ueber den Eremiten hatte sie harmlos und so zu sagen waffenlos gesprochen. Nach wenigen Schritten war Benno zurückgekehrt und gab Lucinden ein Pack sauberer Velinpapierbogen, die deutsche Scripturen enthielten.

Sie war aufgestanden und setzte sich wieder. Sie ahnen wol nicht, was diese Papiere enthalten! – sprach sie, das Convolut neben sich legend. Sie verwies ihn auf den nächsten Stuhl.

59 Ich höre, Sie und Klingsohr sind die Referenten der Curie in deutschen Angelegenheiten geworden! erwiderte Benno. Wir haben, Sie wissen es wol, jetzt eine Reformation in Deutschland. Sind das die betreffenden Actenstücke?

Sie schüttelte den Kopf, ließ den angeregten Gegenstand fallen und fixirte nur Benno mit prüfenden Blicken. Seltsam! sagte sie. Ihr Haar ist von der Mutter! Die Augen haben Sie vom Vater! Ihr Blut scheint von Natur langsam zu fließen, wie – durch Kunst bei Ihrer Mutter. Ihr Verstand, der ist hitzig, wie beim Kronsyndikus – und wissen Sie, ich hätte Sie schon in St.-Wolfgang mit ruhigem Blut in allerlei Unglück sehen können – Nicht dafür, weil Sie kein Interesse für mich hatten – Armgart hatte es Ihnen schon damals angethan – Nein, Sie trugen den Kopf so schrecklich hoch – um Ihrer Klugheit willen! Das haben Sie ganz von Ihrem Vater. Der konnte auch jedem einen Thaler geben, wer ihn klug nannte. Ich lästere ihn nicht. Mir war der Schreckliche gütig. Nur zuletzt nicht mehr. Hätt' er mich da noch aufrecht gehalten, ich würde nicht so elend in die Welt hinausgefahren sein. Es – ist – nun alles so –

Dafür machen Sie jetzt Ihren Weg! fiel Benno mit Bitterkeit ein. Wann werden Sie Gräfin Sarzana sein?

Sie hörte auf diese Frage nicht, sondern sagte träumerisch: Wenn ich rachsüchtig wäre  –

Manche bezweifeln Ihre Großmuth –

Und wenn ich sie nun nicht hätte, habt ihr mich nicht dahin kommen lassen?

Etwa auch meine arme Mutter?

Der Herzogin, das ist wahr, war ich zu Dank verpflichtet; aber sie war nicht gut gegen mich. Wir Frauen wissen, daß wir Ursache haben, uns im Leben an eine starke Hand zu halten. Nun finde ich hier vielleicht eine solche. Konnt' ich ertragen, daß 60 Ihre Mutter über mich lachte und ihrem Briefwechsel mit Ihnen, den ich voraussetzen durfte, Ihre und des Bischofs Urtheile über mich entnahm und weiter verbreitete. Ich leugne nicht meine Herkunft und meine ehemalige Lage. Ich weiß auch, daß mich im Leben noch niemand gemocht hat, und habe mir längst darüber mein System gemacht. Ich ahne sogar – im Vertrauen – daß auch hier diese Herrlichkeit bald zu Ende sein wird. Aber was ich mir an Unglücksfällen ersparen kann, das will ich denn doch nicht unterlassen haben. Ihrer Mutter, einer höchst gefährlichen, völlig in sich unklaren, halb ehrlichen, halb listigen Frau, einer echten Italienerin, mußt' ich einen Vergleich anbieten. Ich will wünschen, daß sie die Bedingungen ebenso hält, wie ich sie halte. Sie sind mit der jungen Fürstin Rucca intim, fragen Sie sie in einer Schäferstunde, ob ich geplaudert! Selbst über Armgart werden Sie sie nicht unterrichtet finden – Sie Ungetreuer! Was wird Armgart sagen! Nicht nur Sie, sondern auch Herr de Jonge brechen ihr die Treue! Meine Herren, sie erfährt alles! Darauf verlassen Sie sich! Herr von Terschka wird sie von allem in Kenntniß setzen. Apropos, hüten Sie sich doch vor den politischen Grillen Ihrer Mutter –!

Benno mußte anerkennen, daß ein Ton des Wohlwollens durch alle diese Reden klang. Dennoch lag er auf der Folter und hätte mit einem einzigen Wort die Maske seiner Selbstbeherrschung abwerfen mögen.

Werden Sie den Namen Asselyn behalten? fragte Lucinde nach einer Weile.

Benno konnte die quälende Erörterung nicht mehr pariren. Auch sah er, daß sich ihr Sinnen immer mehr und mehr auf den Bischof richtete. Der Name Asselyn –? erwiderte er. Er klingt dem Italiener nicht fremd –

Der Präsident, Ihr Bruder, ist kinderlos – fuhr sie fort – 61 Wenn Sie da – Nein, nein – lassen Sie die Wittekinds aussterben! Bleiben Sie der räthselhafte »Sohn der Spanierin«, der Neffe des guten Dechanten, ein Asselyn! Ich habe mir viel Mühe gegeben, hinter Ihr Geheimniß zu kommen, das ist wahr. Aber es wissen nicht mehr darum, als der Bischof, ich, ohne Zweifel der Dechant und meine alte Freundin, Frau von Gülpen. Aber Thiebold de Jonge scheint eingeweiht. Das ist thöricht! Sie müssen ihn freilich erprobt haben. Ganz so dumm, wie Piter Kattendyk ist er nicht. Sagen Sie, wie können Sie dergleichen Menschen um sich aushalten!

Benno erhob sich und sagte halb scherzend, halb im Ernst: Nun wollen wir von den neuesten mailänder Moden sprechen. Sonst erleben Sie, daß ich Sie auf Pistolen fordere!

Pistolen! sagte sie kopfschüttelnd. Auch das kommt in Italien nicht vor. Wer uns hier beleidigt, fällt durch das Stilet eines Rächers, den man dafür bezahlt. Das ist schrecklich und doch – ist es nicht eine unendliche Wonne, aus den deutschen Verhältnissen erlöst zu sein? Rom hat seine Lügen, seine Schlechtigkeiten – aber dieses Uebermaß von schwatzhafter Tugend, eitler Sittsamkeit, biederer Langeweile von jenseits der Berge gibt es hier nicht. Erzählen Sie mir aber –! Ja wie geht es Nück? Ich weiß durch Herrn de Jonge, daß er ohne seine Frau in Wien ist und noch unentschlossen sein soll, ob er nach dem Orient geht oder nach Rom.

Ein solches unentschlossenes Umherblicken wird seine Halsschmerzen vermehren! sagte Benno lachend.

Sie sind boshaft! Lucinde erröthete und schwieg.

Woher erfuhren Sie die näheren Umstände meines Geheimnisses? begann Benno, der endlich mehr die Oberhand gewann. Gewiß ist vorzugsweise Nück betheiligt?

62 In diesem Augenblick läutete es von Tivoli herüber. Lucinde senkte den Blick und sprach für sich den englischen Gruß.

Benno durfte sich der frommen Sitte nicht entziehen.

Darüber hatte sie Zeit gewonnen und kam auf die verfängliche Frage wegen Nück nicht zurück.

Die Dämmerung war hereingebrochen. Ueber die Höhe des Gebirges sah man Streifen des Mondes schimmern, die bald ihr mildes Licht über die dunkelnde Schlucht verbreiteten.

Läßt mir der Bischof nichts, gar nichts sagen? begann Lucinde.

Nein! erwiderte Benno und sprach der Wahrheit gemäß.

So war es ja immer, sagte sie mit stockender Stimme. Lieblos entzogt ihr mir die rettende Hand! Hinweggeschleudert habt ihr mich wie ein Wesen ohne Bildung! Wie hab' ich gerungen nach euerer Freundschaft, nach euerer Schonung nur! Kalt, grausam habt ihr mich zurückgestoßen! Nun mußt' ich mir freilich selbst helfen. Das ist die größte Feigheit der Männer: Ein Weib um ihrer Thorheit willen leiden sehen und sie dann auf Vernunft und Besinnung verweisen –! Vernunft und Besinnung haben wir ja nicht. Nur in der That, sei's der That der Liebe, sei's dem Rausch des Wahns oder dem Klaggeschrei der Enttäuschung, nur in Handlungen und Zuständen sind wir, was wir sind. Vernunft und Besinnung! Nachdenken und Reflexion! Was soll das uns! . . . Dem Bischof vergebe ich doch nie, was er alles, alles an mir gethan hat –!

Benno wußte kaum, was er einem weiblichen Wesen erwidern sollte, das auf einen katholischen Priester Rechte der Liebe zu haben behauptete. Er begnügte sich, die Wildaufgeregte zu beruhigen mit einem einfachen und ironischen: Sie beteten eben in aller Frömmigkeit Ave Maria – und verlangen doch das Unheiligste! Sie haben nie das Gemüth dieses edelsten der Menschen verstanden.

63 Ein Gemüth ist's, wie das dieser Bildsäule! sagte Lucinde zornig. Als wenn ein Priester von seinen Gelübden sprechen könnte, der sie doch einer andern gegenüber nicht hält! An jenem Abend auf dem Friedhof von St.-Wolfgang schon, wo wir unter den Gräbern wandelten, funkelten die Sterne herab, als wollten sie sagen: Halte sie doch fest, die Stunde der Versöhnung! Sieh, dies wahnsinnige Weib, so sprachen die Sterne, hat zwei Jahre geschmachtet nach Wiedervereinigung mit dir! Nun kommt sie und pocht voll Hoffnung an deine Hütte! Du – du opferst sie aber schon der alten Magd, die dich bedient! Lachen Sie nicht –! Die Sterne sprachen noch mehr. Sie sagten: Du schmähst ihre Verehrung, die so ganz ohne Interesse, nur ein reines Opfer der Liebe ist! Ich bin um diesen Mann katholisch geworden – ich wäre schon glücklich gewesen, nur dann und wann mit ihm sprechen zu dürfen . . . Daß ich seine Magd hätte sein können, mich wirklich als Bäuerin bei Renate verdingen, davon will ich gar nicht reden. Ich war heimisch in ihm, als ich ihn das erste mal sah. Ich fand einen Menschen wieder, der todt war und in ihm sein Testament zurückgelassen hatte. Schon damals, als Ihr Vetter geweiht wurde, kannte ich seine Zukunft; ich kannte die ganze kommende Zerrissenheit seines Gemüths; wußte, daß er dort enden würde, wo er jetzt steht – an einem furchtbaren Abgrund, den nur noch seine äußere Würde deckt. Ich kannte alles, was ihm über die Leiden dieses Daseins hinweggeholfen hätte. Er verschmähte es! Nun folg' ich dem Ruf in die Dechanei, erlebe die Demüthigung, zum Hause hinausgeworfen zu werden; ich klammere mich an den Saum seines Kleides, an den Teppich der Altäre, die sein Fuß berührt: ich wage mich in die schwierigsten, demüthigendsten Lebensverhältnisse, nur um eine Erhörung meines – um Güte und Vertrauen – Gott, ich sage nicht: um Liebe – verschmachtenden Herzens zu finden. Keine 64 Hülfe! Nichts als die kalte Sprache der Lehre und Ermahnung. Mit der Zeit konnt' ich ihm furchtbar erscheinen, konnte ihm drohen, ich that es auch –! Als ich mich dennoch bekämpfte, dennoch von dem beweinenswerthen, rasenden, wahnsinnigen Gefühl für diesen Mann mich beherrschen lasse, alle meine Waffen senke, find' ich noch immer keine Regung der Versöhnung, kein Wort der Güte, keines des Vertrauens! Noch in Wien stößt er den Nachen zurück, auf dem ich mich zu ihm geflüchtet. Das ist wahr – er nahm mir in Wien eine Bürde ab, die mich zu Tod niederdrückte – aber kaum fließen meine Thränen, so läßt er mich auch wieder hinaus auf die stürmende See in ein Leben, das bisher nur Noth und Demüthigung mir gebracht. Jetzt hab' ich einen kurzen Augenblick des Glücks! Er macht – euch alle schwindeln! Mich nicht! Ich weiß, was ich thue! Ja! Wie eine Bettlerin will ich nicht wieder vor euern Thüren stehen –!

Lucinde war aufgestanden. Benno erbebte vor ihrem Blick. Er fürchtete für Bonaventura's schwierig gewordene Stellung. Sie sind bei alledem dem Bischof werth . . . sagte er und in voller Ueberzeugung.

Sie anerkannte diese Aeußerung, fuhr aber fort: Weil er mich fürchtet! Weil ihr alle mich fürchtet! Ich habe mich freilich rüsten müssen gegen euch! Gesucht hab' ich nichts – ich fand alles von selbst. Auf dem Schlosse Ihrer Väter hab' ich schon als Mädchen von sechzehn Jahren die sibyllinischen Bücher aufgeschlagen gesehen und verstand nur noch nicht die Zeichen, die in ihnen wie durchstochene blutige Herzen funkelten. Jetzt liegt mir jeder Traum der Kindheit offen. Ich verstehe das Wimmern und Seufzen unter den Ulmen des Schloßparks von Neuhof, ich sehe die Verwirrung euerer ganzen Familie und euer – tragisches Ende! Mit dem Bischof hab' ich Mitleid. Er liebt, ein umgekehrter Jupiter, statt eines Weibes eine Wolke. Erzählen 65 Sie mir von Paula! Ich denke, ich verdiene schon, daß Sie sich's etwas kosten lassen, mich ein wenig – zu unterhalten.

Diese Worte waren freundlich. Benno mußte ihr den vorangegangenen Ton des übermüthigen Emporkömmlings vergeben. Sie setzte sich wieder. Benno sollte es ebenfalls thun. Angezogen hatte sie ihn niemals so wie heute. Die Leidenschaft verjüngte Lucinden zu ihrer ersten Jugendschönheit. Ja sie fiel sogar in ihren naiven »Hessenmädchen«-Ton. Also – Paula! Bitte, bitte! . . . Erzählen Sie!

Ich kann Ihnen nur erzählen, sagte Benno, was alle wissen! Ich ehre den Bischof zu sehr, als daß ich ihm durch unberufene Fragen Gelegenheit geben sollte, sich über Gefühle auszusprechen, die ihm schmerzlich sind –

Die Wunde nicht berühren, heilt sie euch! schaltete Lucinde ein.

In den meisten Fällen ist es auch so! Ob beim Bischof und bei Paula – ich weiß es nicht. Ich kann nur berichten, daß dieser Ihnen so undankbar erscheinende Bonaventura an Verklärung und Hoheit der Gesinnung von Tage zu Tage wächst. Er entschwebt dem Irdischen und ich mag ihn durch Fragen nicht niederziehen aus seinen reinen Höhen. So viel aber weiß ich, daß Er es doch war, der Sie vor allen mislichen Folgen Ihrer Verbindung mit Nück geschützt hat. Ich weiß, Graf Hugo gab seine Absicht, die Urkunde anzuzweifeln, erst nach einer langen Unterredung mit dem Bischof auf.

Lucinde horchte.

Sagen Sie selbst, fuhr Benno fort, was hätte den Bischof verhindern können, dem Grafen zu rathen: Handeln Sie getrost nach allem, was Ihnen Terschka mitgetheilt hat! Zu offen lagen aller Welt die räthselhaften Vorgänge des Brandes in Westerhof. War ich doch selbst ein Zeuge derselben. Dieser Bruder 66 Hubertus – der – leider – so räthselhaft auch – jetzt wieder verschollen ist –

Den also ich unter die Räuber und Mörder wahrscheinlich schickte? sagte Lucinde verächtlich.

In der That – überall stellen sich seiner Vernehmung eigenthümliche Hindernisse entgegen! Den Dionysius Schneid hat er gerettet, hat die Hälfte seiner Erbschaft aufgenommen und nach London geschickt, wohin jener Bickert oder Schneid, unzweifelhaft der Brandstifter, über Bremen entkommen sein soll –

Also wer und was schützte mich – – vor dem Zuchthause? unterbrach Lucinde.

Wenigstens vor der Anklagebank schützte Sie Graf Hugo von Salem-Camphausen! Er that dies infolge einer Bürgschaft, die ohne Zweifel für Sie nur der Bischof übernahm. Er mag dem Grafen Dinge über Sie gesagt haben, die Ihnen nicht würden gefallen haben; aber sie bestimmten ihn, sich dem Unvermeidlichen zu fügen. Er hat die Urkunde anerkannt –

Lucinde hätte gern gesagt: So kann also euer edler Bischof wirklich auch – lügen? Sie hörte nur voll Spannung über die Folge von Bekenntnissen, von denen Benno nicht einmal zu wissen schien, daß sie in kirchlicher Form stattgefunden hatten.

Dann, fuhr Benno fort, erfolgte die Verständigung mit Schloß Westerhof.

Worin lag zuletzt für Paula die Bürgschaft des Werthes, den Graf Hugo, nach dem Zeugniß, das ihm der Bischof ausstellen sollte, ihr haben durfte? fragte Lucinde. Die Bedingung, die Paula gestellt haben soll, kannte ja die ganze katholische Welt!

Ich denke zu der Art, sagte Benno, wie Graf Hugo die Ergebnisse der Rücksprache aufnahm, die Bonaventura mit Ihnen gehalten. Beide Charaktere lernten sich zum ersten mal kennen, sprachen sich aus und schätzten sich.

67 Ganz und ohne Rückhalt? zweifelte Lucinde lachend.

Ich traue ihm zu, daß er ehrlich zu Bonaventura sagte: Sie lieben Gräfin Paula!

In der That?

Sie freilich glauben nicht an das Wahre und Gute in der Welt –

Wenigstens nicht an den Sieg des Wahren und Guten . . .

So weiß ich keine andere Erklärung! Der Graf kennt ebenso Paula's Empfindungen für Bonaventura wie Bonaventura's für Paula –! Dieser blieb mit jenem nur einen einzigen Tag auf Schloß Salem allein und die Folge war die Reise des Grafen nach Westerhof.

Eine Andeutung, daß der Graf – katholisch werden wird! sagte Lucinde. Er hat unsere Religion in den Bekenntnissen eines Priesters achten lernen! Was sagt seine Mutter dazu?

Benno schwieg eine Weile. Allerdings wußte er, daß der Graf von der tiefsten Verehrung Bonaventura's seit jener Unterredung erfüllt war. Er wußte, daß die alte Gräfin auf Castellungo sich auf Grund dieser Verehrung zum Bischof von Robillante mit bangem Herzen verhielt und die Freundschaft des Grafen für den Bischof deshalb nur nicht nachdrücklicher bekämpfte, weil dieser ihre Theilnahme für die Waldenser und für den Eremiten Federigo theilte.

Benno erstaunte, daß Lucinde, die alles wußte, was ihn und Bonaventura betraf, nicht in diesem Eremiten den Vater Bonaventura's erkannte. Alle diese Rückhaltsempfindungen verbarg er unter den Worten: Die beste Religion, die wir haben könnten, wäre eine auf die Erkenntniß der tiefsten und edelsten Moglichkeiten und Fähigkeiten unserer Menschenbrust begründete! Liebe, Freundschaft, Vertrauen, alles Edle im Menschenherzen – ich dächte, das ist die einzig wahre Bürgschaft der Gottesnähe!

68 Lucinde zeigte auf den kleinen Vestatempel, der über dem Katarakt auf der Höhe des Gebirges wie ein weißer Nebelring schwebte. Sogar Benno von Asselyn schwärmt! sagte sie. Nein, diese Religion, die Sie da nennen, ist keine! Oft schon hat die Gottheit versucht. ob sie sich im reinen Menschenthum offenbaren könne. Die Götter kamen auf die Erde in allem Reiz menschlicher Phantasie. Da verwilderten sie! Dann kamen sie noch einmal im Reiz des menschlichen Duldens. Auch das – im Vertrauen gesagt – erlag – für den Denker! Die Götter wohnen in jeder Beziehung jenseits dieser Welt!

Es war still ringsum. Das Dunkel mehrte sich. Lucinde warf ihre religiöse Maske ab. Sofort aber, als wenn sie darüber Reue befiel, ergriff sie die Papiere, erhob sich und deutete auf einen Weg zur Villa, wo es heller war. Dabei sprach sie: Sie haben ganz Recht! Paula, Graf Hugo und Bonaventura gehören einer einzigen Kirche an. Doch die Kinder? sagte sie plötzlich, zu den Religionsformen der Erde zurückkehrend und des ihr immer gegenwärtigen Bundes gedenkend, den der heilige Franz von Sales gerade mit einer verheiratheten Frau, mit der Stifterin der Visitandinen geschlossen – Aber sie beantwortete sich selbst ihre Frage. Nein! Nein! Kinder werden nicht kommen! Wenigstens nach dem Urtheil der Aerzte nicht – Die Gräfin hat ihre Visionen noch immer. Sogar jetzt zu Witoborn, wohin sie nach dem wiener Winter mit dem Grafen gereist ist. Die in Salem heftig eingetretene Rückkehr ihrer Visionen, die Aufregung derselben für Wien, das Andrängen der Aerzte, die Neugier der Forscher und Träumer brachten beim Grafen den Entschluß zur Reife, seine Güter um Westerhof zu besuchen. Vielleicht regte sich zu Paula die Sehnsucht nach des Obersten von Hülleshoven magnetischer Hand.

69 Ueberraschend! entgegnete Benno. Die Nachrichten hatten wir noch nicht in Robillante. Woher wissen Sie das alles?

Unwillkürlich fiel sein Blick auf die Papiere, die ihm Lucinde entzog. Seine Neugier mußte sich steigern, als sie fortfuhr: Auch Sie sollten nun doch für immer in Rom bleiben und sich hier nützlich machen! Sie sollten Partei ergreifen. Wem kann das Glück mehr lächeln als Ihnen? Fürchten Sie sich doch nicht so sehr vor einem Roman mit Olympia Rucca! Die Zeiten sind vorüber, wo böse Frauen ihre ausgenutzten Liebhaber vom Thurm zu Nesle stürzten. Jetzt geben sie ihnen Anstellungen und manchmal sogar noch ein hübsches junges Mädchen dazu. Bleiben Sie in Rom! Nehmen Sie hier eine Stelle, die nicht zu gebunden ist! Schon ließ Sie der Staatskanzler, hör' ich, in eine verlockende Zauberlaterne blicken. Für Ihre Heimat haben Sie seit Ihrer Kurierreise den Credit verloren. Auf dem Venetianischen Platz kann ich das große schöne Haus mit dem schwarzgelben Banner nicht ansehen, ohne die Stelle wenigstens eines österreichischen Legationssecretärs an Sie zu vergeben. Rom ist die Welt! Und selbst wenn Sie Rom nur studiren wollten – ich kenne Ihr Verhältniß zu Ihrem Bruder, dem Präsidenten von Wittekind nicht – so brauchen Sie dazu ein Leben. Sie können hier jeden Tag eine andere Inschrift, jeden Tag einen andern Marmorstein vornehmen. Und verstellen Sie sich nicht! Ganz gleichgültig ist Ihnen Olympia nicht. Man flieht nicht so eifrig vor etwas, das man verachtet. Wär' ich ein Mann, mich würd' es vollkommen reizen, diesen Panther zu bändigen. Oder schwärmen Sie in der That noch immer für die lindenwerther – Kindereien?

Da Sie alles wissen, erwiderte Benno mit dem Ausdruck jener Toleranz, die Männer ein für allemal der kecken Rede aus Frauenmund nothgedrungen gewähren müssen, was wissen Sie von Armgart?

70 Von den englischen Cardinälen, entgegnete Lucinde, von jenen beklagenswerthen, die sich alle drei Jahr dem Martyrium aussetzen müssen, sich in England von den Roheiten John Bull's beschimpfen zu lassen, hat Cardinal Talbot Armgart in London gesehen. Bei guter Laune verglich er sie dem Heiland, der als Kind im Tempel predigte. Sie legt die Bibel aus, wie ihre Mutter. Eine englische Krankheit das – nur findet Armgart bisjetzt noch immer das in der Bibel, was die Engländer erst sehen, wenn sie in den Katakomben waren. Wenn sie nicht auf die andern Thorheiten der Engländer einginge, würde man sie kaum dulden. Glücklicherweise reitet sie nicht nur und schießt, sie schwimmt und angelt auch. Sie könnte die Herzogin von Norfolk sein, hör' ich, wenn die Auswahl ihrer Bewerber nicht zu groß wäre. Ob sie für die beiden jungen Männer, die ihr einmal eine Flucht aus der Pension erleichterten, noch die alte Pietät bewahrt, bezweifl' ich fast. Im Bericht des Cardinals erfuhr ich nichts davon. Mit Baron Terschka hat sie sich ausgesöhnt. Ja, ja, auch die Gefühle junger Mädchen wollen ihre Nahrung haben. Thut man durchaus nichts, lieber Herr, um sie an sich zu erinnern, so unterhält solche kleine Koketten mehr noch der Haß, den sie auf manche Menschen werfen, als eine bald verklingende Liebe aus der Pension.

Benno widersprach nicht. Er war in die Erinnerung an sein zu Armgart gesprochenes Wort, sie würde einst noch lange in der Irre gehen und dann voll Wehmuth an ihn zurückdenken – so versunken, daß Lucinde eine Frage wiederholen mußte, die sie an ihn gerichtet hatte: Was halten Sie von Paula's Visionen?

Ich glaube nicht an sie, aber sie können zutreffen, sagte Benno.

Das ist ein Widerspruch!

Niemand kann für gewöhnlich sehen, was die Zukunft erst ins Leben rufen muß. Aber ein Auge wie Paula's blickt von den 71 Verhältnissen, die uns andere zerstreuen, unbeirrt. Wir würden alle ein wenig so zu sagen allwissend sein, schärften wir nur mehr unser inneres Auge, das auch nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen sieht.

Nun – dann hoffen Sie! Paula sieht Armgart in ihren Visionen – immer nur mit Ihnen verbunden! Sie staunen? Ueber diese Papiere? . . . Nun ja freilich, das sind Abschriften der Visionen Paula's. Genau gesammelt seit einer Reihe von Jahren und fortgeführt bis in die neueste Zeit. Ich erwarte schon morgen aus Witoborn eine neue Sendung. Wer sie niederschreibt, weiß ich nicht. Frau von Sicking – oder Norbert Müllenhoff in ihrem Auftrag – möglich. Sie wissen vielleicht nicht, daß Fefelotti die Frage zu entscheiden hat, ob das magnetische Leben innerhalb des Christenthums Berechtigung hat. Ich fürchte, man wird den Magnetismus verwerfen. Die Concilien sprechen nichts davon. Mich ängstigen die Gefahren des Bischofs, wenn ich auch beim Lesen dieser Blätter lachen – freilich auch viel mich ärgern muß. Ich sehe die Zipfelmütze des alten Onkels Levinus und seine gelehrten Forschungen – sehe die Tante Benigna und ihre Schweinemast. Aber auch vieles Andere. Nur seltsam! Die wahren Verhältnisse der Asselyns und Wittekinds, wie ich sie kenne, sind Paula trotz ihrer Allwissenheit unbekannt.

Benno wurde eben von einem der näher gekommenen Diener mit einem Blick befragt, ob sein Pferd in Bereitschaft gehalten werden sollte. Im Wandeln waren sie schon dicht am Pfortenthor angekommen. Reiten Sie jetzt zurück! sagte Lucinde. In Italien ist die Nacht unheimlich.

Und Sie, Sie übersetzen diese Visionen ins Italienische? fragte Benno erstaunt.

Im Auftrag Fefelotti's! bestätigte Lucinde. Fefelotti ist es, der die Kirche regiert.

72 Und glauben Sie nicht, daß man dem Bischof hier die Kerker der Inquisition öffnet und jenen greisen Bewohner des Thals von Castellungo herausgibt?

Das ist nicht möglich – und zwar deshalb nicht, weil man ihn nicht in Gewahrsam hat.

Das glaubt der Bischof nicht.

Es ist aber doch so. Als es hieß, Pasqualetto hätte den Vielbesprochenen in Gestalt eines Pilgers von Loretto gefangen genommen, freuten wir uns des Beweises, den jetzt die Dominicaner nicht mehr zu geben brauchten, indem sie ihre Gefängnisse öffneten. Letzteres thun sie ohnehin nicht. In Rom gewiß nicht, verlassen Sie sich darauf! Hubertus wurde entsandt, den Pilger aufzusuchen. Leider sind seither beide verschwunden. Warnen Sie den Bischof, diesen Streit nicht wieder aufzunehmen! Fordert man ihn vor die Schranken eines geistlichen Gerichts, schlägt man hier in den Archiven nach, wo über Tausende von Seelen der katholischen Welt – Geständnisse und Aufklärungen liegen –

Lucinde hielt inne. Sie konnte nicht wissen, ob nicht in der That die Curie von Witoborn von Leo Perl's Geständnissen damals nach Rom Bericht gemacht hatte.

Daß man die Frage über den Magnetismus anregt, ist mir schon ein Beweis, wie man in unsers Freundes Vergangenheit einzudringen sucht – fuhr sie nach einiger Besinnung fort. Ich wünsche ja aufrichtig, daß Bonaventura hier eine ganz andere Krone als die des Märtyrers trägt! Wäre er darum nach Italien gekommen, um hier – in einem Kloster elend unterzugehen –?

Die Wasser des Anio rauschten so mächtig, daß das Gespräch durch sie übertönt wurde. Beide hatten die Eingangspforte mehrmals umkreist. Das Roß scharrte ungeduldig im Kieselsande.

Es wird zu spät! sagte sie. Ich lade Sie nicht ein, bei mir zu einem Nachtimbiß zu bleiben. Auch ist die Fürstin Ihnen 73 gram. Sie hat ihrem Sohn Vorstellungen gemacht über die Aufführung seiner jungen Frau. Sie verlangt – hören Sie's nur – daß Sie und Thiebold von Villa Torresani wegziehen. Das alles findet sich – besonders wenn Sie der guten Dame selbst ein wenig den Hof machen. Ach, wir haben soviel gemeinschaftliche Sorgen! Warum denn nicht auch Freuden! Glückauf in Rom! Geben Sie mir die Hand! Lassen Sie uns Verbundene bleiben!

Benno reichte die erstarrte, kalte Hand.

Lucinde schied mit einer Miene der Protection, mit wirklicher Theilnahme und – Koketterie. Sie sagte: Versprechen Sie mir, daß Sie auf Villa Torresani nie anders von mir reden, als so, daß ich Männern noch in einer einsamen Abendstunde gefährlich werden könnte – Sie kalter Mensch! – Damit schlug sie nach ihm mit einer Päonienblüte, die sie am Wege abgebrochen hatte und in ihrer gewohnten Weise zu zerzupfen anfing.

Der Diener hatte den Rücken gewendet. Die deutsche Unterredung schützte beide vor dem verfänglichen Inhalt ihrer Worte. Benno schwang sich in den Sattel . . . Lucindens »Auf Wiedersehn!« war wie ein Gruß zu einer Reihe der unterhaltendsten und vertraulichsten Beziehungen auf lange, lange Zeit.

Benno schied halb aufs neue gefesselt, halb in der Hoffnung, binnen wenig Wochen vom giftigen Hauch dieser ganzen Atmosphäre befreit zu sein – Der Weg war dunkel und abschüssig. Er mußte langsam reiten. Hinter der finstern, scheinbar vom Silber des Wassersturzes mehr als vom Mond erleuchteten Schlucht unterhalb Tivolis wurde der Weg breiter. Die Krümmungen des Anio hatten hier Anbau. Zur Linken ragten die Trümmer der zu einer Schmiede gewordenen Villa des Mäcenas mit dem Schimmer der Cascatellen, die aus ihren Fenstern gleiten, und mit Feueressenglut auf. Ringsum war es still, doch nicht 74 einsam. Einzelne Wanderer hielten am Wege inne. Da und dort erhob sich aus den hohen, noch nicht abgeernteten Maisfeldern ein spitzer Hut.

Benno ritt tief in Gedanken verloren. Paula, Bonaventura, alles was ihm theuer war, umschwebte ihn. Welche Welt gestaltete sich in seiner Brust! Welches Chaos rang zum Lichte! Es waren nichts als glühende Tropfen, die Lucinde auf seines Herzens geheimste Stätten hatte fallen lassen.

Allmählich belästigte es Benno, von drei Reitern, in der Tracht römischer Landbesitzer, mit hohen Flinten auf dem Rücken, ledernem Gürtel, Gamaschen bis weit übers Knie, auf unruhigen, ohrspitzenden Maulthieren, fast in die Mitte genommen zu werden. Eben wollte er seinem Roß die Sporen geben, um sich dieser unfreiwilligen Begleitung zu entziehen, als die Reiter innehielten, wie der Blitz abschwenkten und zur Schlucht zurückritten. Hatten sie sich in seiner Person geirrt? Wenige Secunden und Benno begriff, daß ihr Auge und Ohr schärfer als das seinige gewesen. Er hörte den gleichmäßigen Trab bewaffneter Reiter. Bald sah er einen Trupp Carabinieri, denen in einiger Entfernung eine Kutsche folgte.

Es war die Kutsche des Cardinals Ceccone. Benno gab seinem Pferd die Sporen. Windschnell suchte er vorüberzufliegen. Er mußte vor einem zweiten Reitertrupp abschwenken, der die Arrièregarde des Wagens bildete. In die unheimlichsten Gespenster schienen sich ihm jetzt rings die Bäume und Felsen zu verwandeln. Wie von einem Höhnen der Natur verfolgt, sprengte er dahin. So schuldlos ihm sein eigenes Innere erscheinen durfte, immer mehr Schrecken begehrten Einlaß in seine Brust. Ist das Rom, das gelobte Zauberland der Christen –! Ceccone fuhr soeben zu Lucinden, die der Mann im Purpur ohne Zweifel in der Villa allein wußte. Die Unterredung mit ihr hatte Benno's 75 ganzes Interesse gewonnen. Er hatte erkannt, daß Lucinde in der That, wenn der Trieb ihrer Liebe zu Bonaventura sie beseelte, auf Wegen wandeln konnte, wo man ihr die Anerkennung nicht versagen durfte. Nun stürzte wieder alles zusammen. Er sah nur noch das Zweideutige.

Wie glücklich war er, als er die hohen spitzen Aloes und Statuen erblickte, welche die Treppengelände der Villa Torresani zierten, und sich überzeugte, daß in den Sälen kein Licht war. So war Olympia doch noch nicht von Rom zurück. Und sie blieb wol über Nacht dort. Er sprang vom Pferde und flüchtete sich in die Einsamkeit seines Pavillons.

Wer waren die drei Reiter? Schwerlich Räuber. Man kennt dich in den geheimverbundenen Kreisen als einen Freund der Bandiera – du hast die Begrüßungsformeln des »Jungen Italien« und dennoch weilst du in der Nähe eines Mannes, den – Mord und Verrath umschleichen –!

In seiner gewagten Doppelstellung glaubte Benno sich nicht mehr lange halten zu können. Es mußte zu Entscheidungen, zu Entschlüssen fürs Leben kommen.

So suchte er die Ruhe, von der er wußte, daß er sie nicht finden würde. Man brachte ihm noch einen Brief, der während seiner Abwesenheit angekommen war. Die verstellte Handschrift war die seiner Mutter. Die Mutter schrieb, daß sich in seiner Wohnung, dann bei ihr selbst der berühmte Advocat Clemente Bertinazzi hatte erkundigen lassen, ob Herr von Asselyn nicht bald aus dem Gebirge zurückkehrte.

Das war eine Mahnung, der er sich entschließen mußte, Folge zu leisten. Sie konnte gefährliche Folgen nach sich ziehen, wenn er nicht darauf hörte.


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