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Wol schon dreißig Jahre mochte Pater Vincente alt sein, er besaß aber noch alles von der weichen Jünglingsschönheit des Antinous. Seine Augen waren sanft braun. Die Farbe seines Antlitzes, und nicht ganz vom Widerschein der Strahlen des orangegelb über dem Albanergebirge herausgetretenen Mondes, war beinahe gelblich. Das kurzgeschnittene und grell die so schöngeformten kleinen Ohren freilassende Haar war dunkelschwarz. Der braune, von der Kapuze jetzt bedeckte Nacken schweifte sich sanftgebogen. Sein Mund war etwas aufgeworfen und wie zum Genuß des Lebens bestimmt. Die hohle Wange stand in Verbindung mit sanften Erhöhungen an den Winkeln der Lippen. Seine Gestalt hatte etwas Aetherisches; sie schien in den Lüften zu schweben, wie dies einst dem heiligen Franciscus in Wirklichkeit geschehen sein soll. Viele, die ihn kannten, prophezeiten auf sein Haupt – noch einst die dreifache Krone – wie man in der katholischen Christenheit jedem Leviten thut, der sich durch gottseligen Sinn auszeichnet.
Die beiden Deutschen gingen hinter dem Italiener, wie seine Diener. Doch wollte Vincente nur deren Führer sein. Hubertus ließ sich auch hier nichts von seinem bestimmten, festen, 21 muntern Naturell nehmen. Was ihm nur durch den Sinn kam, plauderte er aus. Die Bäume am Wege nannte er alte Bekannte aus Indien; die Düfte, die von den botanischen Gärten herüberkamen, analysirte er nach den Pflanzen, denen sie angehörten; den schmetternden Nachtigallen paßte er stillstehend auf; dem Monde drohte er, ihn, wenn er noch größer und ganz wie in Java würde, vor Freude in den Sack zu stecken. Alles das, sagte er, ist hier darum so prächtig, weil es ohne Schlangen und Tiger ist –!
Die Heiterkeit des wunderlichen Alten hatte seinen Leidensgefährten schon seit Jahren aufgerichtet. Sebastus nannte ihn schon zu Kloster Himmelpfort den zweiten Philippus Neri. Philippus Neri war jener »kurzangebundene, humoristische«, römische Heilige, von welchem Goethe in seiner italienischen Reise erzählt. Könnte ich Ihnen den Schamanen und indischen Gaukler austreiben, sagte Sebastus schon oft, Ihre Wunderkraft und Heiligsprechung wäre verbürgt! Philippus Neri legte sich auf das Studium, den Menschen manchmal so unausstehlich zu werden als möglich. So auch Sie! Es gelang Ihrem heiligen Vorbild freilich nicht immer so ganz, wie Ihnen! Je mehr Philippus Neri verletzte, desto mehr liebte man ihn. Ja sogar die Thiere liefen ihm nach. Hunde zu tragen – das war sonst eine Strafe der Verbrecher; Philippus trug sich immer mit ihnen und duldete den Spott der römischen Jugend. In die Kirchen ging er und unterbrach die römischen Fénélons und Bourdalones seiner Zeit gerade an ihren blumenreichsten Stellen. Er wollte ihre Demuth prüfen, ob die geistreichen Rhetoriker da ebenso gelassen blieben, wie sie ihren Zuhörern in jeder Lage gelassen zu sein anempfahlen. Erschien ihm die allerseligste Jungfrau, so spie er sie an, und siehe da! es war richtig eine Teufelslarve. Er sagte: Ihm müßte dergleichen noch viel herrlicher erscheinen –! Die 22 »Vernunft« in unserer Heiligengeschichte ist noch gar nicht genug geschildert worden –!
So sprach Klingsohr zu Himmelpfort – Fast hätte er sich auch in Rom veranlaßt fühlen dürfen, wieder an diese alten Vergleichungen zu erinnern. Vor Aufregung sprach Hubertus den ganzen Weg bis zum Ponte Sisto, der die Wanderer über die Tiber führte, bunt alles durcheinander. Er wagte sich sogar an den Pater Vincente mit der italienischen Frage, nicht etwa wo das Capitol oder das Coliseum oder die übrigen Klöster des heiligen Franciscus lägen, sondern wo er die päpstliche Reiterkaserne finden könnte.
Pater Vincente zeigte weit weg über die Tiber zur Peterskuppel hin und sprach von einer dort befindlichen Porta Cavallaggieri.
Nun ereiferte sich Hubertus über den Mangel an Briefkästen. Und daß auch die Hauptpost nicht einmal des Nachts einen Briefkasten offen halte. wie ihm Pater Vincente versicherte! Er rügte dies ebenso, wie der heilige Philippus Neri mit den Institutionen von fünfzehn Päpsten, die er erlebt hatte, in stetem demokratischen Hader gelegen haben soll und noch wenige Jahre vor seinem Tode und schon im Geruch der Heiligkeit nahe daran war, statt in allerlei römischen Winkeln als »heiliger Diogenes in der Tonne« zu leben, als Staatsgefangener auf die Engelsburg zu kommen.
Als Hubertus die Unmöglichkeit, den Brief abzugeben, in deutscher Sprache beklagte, mußte er erleben, daß sich Pater Vincente umwandte und mit gebrochenem Deutsch einfiel: Wisset Ihr denn nicht, daß Ihr keinen Briefwechsel führen dürft. Laßt mich nicht zum Beschützer einer unerlaubten Handlung werden –!
Die betroffenen Mönche erfuhren zum ersten mal, daß Pater Vincente soviel Kenntnisse in den Sprachen besaß. Sie mußten 23 ihren Unterhaltungen einen Dämpfer auflegen. Hubertus murmelte, verdrießlich über soviel Loyalität: Sind wir denn wirklich im Lande der Mörder und der Räuber? So kam Hubertus allmählich in die andächtig und feierlich gehobene Stimmung Klingsohr's, um dessen Geist nur noch die Volksstürme der Gracchen rauschten, die feierlichen Gesänge der ersten Katakombenkirchen.
Die Wanderer hatten die innere Stadt betreten, die in ihren lebhaftesten Theilen jeder andern südlichen gleicht und außer den an den Häusern zahlreich angebrachten Balconen nichts Auffallendes hat. Die »ewige Stadt« zeichnet sich, selbst am Tage, durch ihre Schweigsamkeit aus, die nicht zu der lärmenden Weise Südeuropas stimmt. Die Herrschaft der Priester bedingt den Ton der Ehrfurcht und Zurückhaltung. Beim ersten Betreten macht Rom einen Eindruck, wie Venedig auf den Lagunen – lautlos gleiten die Gondeln über die dunkle Flut. Hier war nun noch die Nacht hereingebrochen und vollends still lagen die so engen, den erwerbenden Klassen angehörenden Straßen und kleinen Plätze. Dunkle Schatten hüllten die verschlossenen Häuser ein. Nur da und dort brach der goldene Strahl des Mondes hervor und gab den schmuzigen Eckgiebeln, den verschwärzten Balconen, den hochragenden Schornsteinen eine verklärende Beleuchtung. Nur die vielen Fontainen Roms belebten die Stille. Fiel der Mond auf die Strahlen und auf die Bassins, in die jene herniederglitten, so glaubte man Büschel von Gold- und Silberperlen zu sehen. Oeffnete sich ein größerer Platz und zeigte eines der hohen Staatsgebäude, eine der Kirchen oder einen der in dieser Gegend seltenern Paläste, so sah man die Giebel, Thürme und Kuppeln in um so magischerem Lichte, als die Dunkelheit der Schatten daneben den Glanz derselben erhöhte. Dazwischen durfte das Auge dann und wann glauben, 24 Schneeflocken auf den Höhen zu sehen. Das war, ahnungsreich aufblitzend, weißester, zum Häuserbau verwandter Marmor.
Klingsohr sah, wie zum zweiten mal geboren, um sich. Die Erinnerungen umkrallten ihn riesig, als Pater Vincente, der sein hartes Wort wieder gut machen zu wollen schien, Erläuterungen zu geben begann. Da sagte der sanfte Führer, unter anderm auch auf ein wüstes Gewirr von Häusern zur Linken zeigend: Il Ghetto –!
Der Ghetto der Juden! Die »Rumpelgasse« von Rom! Ob wol auch hier, wo so mächtig eine Nachtigall schlug und die Fontana Tartarughe so traulich plätscherte und am Mauerwerk wie verstohlen eine schwarze Cypresse vorlugte, ob wol auch hier ein Veilchen Igelsheimer leben mochte –? Ob wol auch hier die nächtliche Vertauschung einer Mönchskutte möglich war gegen einen Ueberrock, worin ein toller Mönch in die Theater Roms lief? Lucinde huschte für Klingsohr schon lange, lange am Wege dahin. Schon so manchen schönen Kopf gab es, der mit aufgelöstem Haare an einem Fenster sichtbar wurde, ein Mädchen, das schelmisch eben noch einmal den Mond anguckte und dann erst zur Ruhe gehen wollte. Da tönte eine Guitarre – mitten hinein in das Jauchzen aus einer Schenke – in das Schreien beim Morraspiel! Jesus, mein Feldherr! mußte schon der ewige Fahnenflüchtling rufen – in jeder schönen Situation begleitete ihn ohnehin Lucindens Gestalt. Wie der Brief zeigte, den er in seiner Kutte trug, war er durch die trübste Lebenserfahrung schon so tief gedemüthigt, daß er zu der ihm sonst nicht eigenen Kunst der Verstellung griff.
Im Wandeln gedachte Klingsohr: Wie oft hatte nicht Lucinde, wenn sie Jérôme von Wittekind im Latein unterrichtete, von Rom gesprochen und ihm, was sie gelernt, wiedererzählt bei ihren Stelldicheins hinter dem Pavillon unter den alten Ulmen 25 auf Schloß Neuhof selbst und noch in Kiel –! Im Profeßhause der Jesuiten hatte sie dem Gefangenen Bilder einer größern Wirksamkeit vorgegaukelt, deren Fernsichten bis nach Rom gingen –! Wo mochte sie jetzt weilen, sie, die in ihren, im Kloster Himmelpfort bekannt gewordenen, von der Regierung veröffentlichten Briefen an Beda Hunnius nicht selten ihr Lebenssymbol wiederholt hatte: An der Schwelle der Peterskirche möcht' ich sterben –! Was mit ihr Hubertus alles in Witoborn vorgehabt, hatte Sebastus nicht von letzterm ganz erfahren können.
Pater Vincente blieb freundlich und milde. Schritt doch auch er mit der mächtigsten, jetzt gewiß auch ihm wieder aufwachenden Poesie im Herzen dahin. Klingsohr hatte das Erlebniß vom Kuß in der Beichte gehört. Er selbst kannte diese Schemen, die den heiligen Antonius peinigten. Und diese Luftspiegelung der erregten Sinne, wofür der schöne Jüngling und Mann dort fünf Jahre hatte büßen wollen, heute vermählte sie sich! Er bettelte an ihrer Thür –! Da war ja die ganze Welt Heinrich Heine's, die ihn einst so umfangen gehalten –
Das kommt, weil man »Madame« tituliret Mein süßes Liebchen –! |
Jesus hilf! rief es in Klingsohr's Seele.
Pater Vincente deutete auf eine Durchsicht über die Tiber, die sich noch einmal rechts öffnete, und auf einen jenseits in den blauen Lüften schwebenden fernen Punkt und sprach: Das da ist das Asyl der Pilger! Eine fromme Stiftung des heiligen Philippus Neri –!
Hubertus lachte über die zufällige Begegnung mit diesem Namen und drückte seine schwarzen funkelnden Augen spähend zusammen, hob dann die Kapuze in die Höhe und sah die durchaus achtbaren Erinnerungen an einen Mann, mit dem er Aehnlichkeit haben sollte. Ganz im Neri'schen Geist sprach er in seinem 26 holländischem Deutsch durcheinander und ganz so rasch, als wenn Pater Vincente hätte folgen können: Das Haus sieht groß genug aus, um den Seckel der Wirthe zu füllen! Ja – wer Gott liebt, dem müssen alle Dinge zum Besten dienen – namentlich die Wohlthaten, die er spendet! Pater, wo wir auch in Italien hingehört haben, die Bettler, die Armen, die Pilger, die Wallfahrer bringen den Stiftern erst recht das Geld ein! Wie das? Wir zogen mit Wallern, klopften an alle Pilgerasyle und bekamen ein Essen, schlecht genug – um sich davon abzuwenden! Oberalmoseniere und Spitalprioren aber sahen wir in Kutschen an uns vorüberfahren. Im Walde gab es besseres Laub zum Schlafen, als in solchen Pilgerbetten, und in Turin und in Parma flohen die Wallfahrer vor allen heiligen Asylen, weil sie, todmüde eben angekommen, gleich eine Procession durch die Stadt machen müssen, ehe sie zu essen kriegen. Herrgott, wer vollends, wie wir, die Sehnsucht hat, näher einmal eine hübsche Stadt zu betrachten, eine Stadt, die man mit müden Füßen endlich erreicht hat, dem schließen sie die Pforte vor der Nase zu, wenn er sich auch nur einmal fünf Minuten an einem gnadenreichen Altar verspätete – Campirt draußen! heißt's. Da war's, wo wir auf die Art den deutschen Pilger kennen lernten – Woher kam er doch? Von Castellungo! Der alte Naseweis und Ketzer! Aber es war ein redlicher Mann. Es steht geschrieben, sagte er uns: Nächst dem Gebet eines Heiligen ist nichts vor Gott wirksamer, als das Gebet eines Wallfahrers! Freilich war es Spott. Ein andrer Pilger war bereits dreißig Jahre auf dem Wege nach Jerusalem und immer – bei Montefiascone, wo der gute Wein wächst, blieb er liegen und kehrte wieder um – Est! Est! sagte der deutsche Pilger. Sie, Pater Sebastus, wußten ein deutsches Lied darauf, das der andre dann auch kannte. Widrige Winde machten nach 27 Jerusalem die Schiffahrt gefährlich! sagte der dicke Pilger nach Montefiascone schon seit dreißig Jahren. Der Schelm lebte von Hühnern und Gänsen – die man dem ewigen Kreuzfahrer nach dem heiligen Est! Est! gewiß nicht freiwillig gab! Was zum Forttragen zu schwer war, half ihm ein dritter frommer Bruder verzehren, der eine Kette an den Füßen durch Spanien, Frankreich und Italien schleppte. Nicht daß er von den Galeeren kam – er sagt' es wenigstens nicht – er kam aus Marokko, wo er der Sklaverei entronnen war; jetzt trug er das Stück Kette ordentlich wie einen Orden; Heiland, das Italien ist buntes Land! Haben die Leute nicht falsche Briefe mit großen Siegeln, wie nur echte Siegel aussehen können! Und wußten sie nicht alle Gebete, die den Seelen der frommen Stifter von Pilgerasylen im Himmel zugute kommen –! Dort drüben also auch? Wird's besser da hergehen? Der heilige Philippus hat glücklicherweise das Gebet solcher verdächtigen Kreuzfahrer und erlösten Christensklaven nicht nöthig. Manchmal muß ich dem deutschen Ketzer in seinen Zweifeln an allem von Herzen Recht geben! Wo mag der Alte im Bart hingekommen sein –? Ich ziehe in die Katakomben! sagte er. Es klang wie Kyrie Eleyson!
Der »heilige Mynheer«. wie nicht minder Hubertus von Sebastus zuweilen genannt wurde, setzte beim Pater Vincente eine zu große Vollkommenheit in einer Sprache voraus, die ohnehin Hubertus selbst nur mit vielen Freiheiten sprach. Sein Ausfall auf die Wohlthätigkeitsanstalten der Kirche, die prunkend in den Schriften so vieler von Rom Verzauberten verzeichnet stehen, auf die mangelhafte Polizeiverwaltung, das ungeregelte Paßwesen bei Vagabunden – nur die ehrlichen Leute werden damit geplagt – erntete aus dem Munde des unter wehmüthigen Gedanken an die Hochzeit Olympia's still dahinschreitenden 28 Priesters nur die einzige Erwiderung: Si! Si! Dann verwies er sogleich auf neue, ihnen entgegentretende Eindrücke mit den Worten: Quest' un' teatro antico. Il teatro di Marcello –!
Selbst die Erwähnung Castellungos schien der Pater Vincente überhört und nichts von dem über den Pilger Gesagten verstanden zu haben. Und dieser Pilger war doch nur Frâ Federigo, sein Lehrer im Deutschen, jener Mächtige, vor dessen Ansichten er einst geflohen war und der auch bereits den Bruder Hubertus zu seinen Anschauungen hinübergezogen zu haben schien. Von alledem hörte Sebastus nichts. Nur einen im Schatten liegenden antiken Trümmerbau starrte er an.
Inzwischen war es lebhafter geworden. Einzelne vergoldete Kutschen mit prächtigen Livreen jagten vorüber; die Pferde waren mit hängenden rothen Troddeln am Ohr und mit bunten Geschirren aufgeputzt. Da ließ sich an die Rennbahn der Alten denken und Sebastus, als er vom Marcellustheater hörte, gedachte seiner alten gelehrten Zeit in Göttingen, dann auch – in seltsamer Ideenverbindung – des von Doctor Püttmeyer verherrlichten »Quincunx« – des Schenkenzeichens; denn hier mußte die »Goethe-Kneipe« in der Nähe liegen, Goethe's Campanella, jetzt nur noch berühmt durch ihr Fremdenbuch und ihren schlechten Wein. Die Trümmer des Marcellustheaters waren in Hütten und Paläste verbaut. Dicht in der Nähe lag der Palast der Beatrice Cenci. Auf alles das besann sich Klingsohr aus seiner alten »classischen Zeit«.
Aber auch die »romantische« wirkte mächtig! Schon begegnete man, während sich das Straßenleben mehrte, andern Mönchen, die gleichfalls mit Körben und Säcken zur Porta Laterana liefen – Kapuzinern in langen Bärten, Franciscanern aller Grade, Augustinern, Karmelitern; selbst die vornehmen 29 Dominicaner erinnerten sich, daß sie das Gelübde der Armuth abgelegt hatten – auch sie schickten ihre »Brüder« auf die Hochzeit der »Nichte« des Cardinals. Kein Trupp stand dabei dem andern Rede. Kein etwaiges Lächeln hatten sie, keines, das die phantastischen Gestalten als in einer tollen Mummerei begriffen und sich (Augur augurem!) erkennend darstellte. Nur der Gewinnsucht galt ihre Eile, dem Vorsprung, den ein Kloster vor dem andern suchte. Die beiden Deutschen sahen ihre Mitstreiter im römischen Lager! Welche Welt! Bei alledem war es interessant, hier noch Leben und Bewegen zu finden. Da wurde noch gekocht und geschmort auf offener Straße. Melonen wurden noch ausgeschrieen, Citronenwasser, frische Kirschen. Klangen nicht sogar Geigentöne? Lachte nicht ein Policinell im Kasten? Alles das heute – in der Hochzeitsnacht Olympiens! Roms Saturnalien!
Noch hastete Sebastus' Phantasie, wie es in Rom jedem geht, bald an Goethe, bald an Winckelmann, bald an Ovid, an Horaz, die den Marcellus besungen haben, den Neffen des Kaisers Augustus, dem da dies Theater gewidmet war, da erscholl plötzlich ein fernes Klagegeheul und ein hundertstimmiges Miserere. Es kam, wie Pater Vincente erläuterte, von der »Bruderschaft des Todes«, den Begleitern der Leichen, die in Rom bei Nacht begraben werden.
In wilder Hast, als wenn der Todte die Pest verbreitete oder als wenn Christen einen eben gerichteten Märtyrer in die vor den Thoren gelegenen heimlichen Begräbnißstätten flüchteten, trugen Männer in langen, schwarzen oder weißen, über den Kopf gezogenen Kutten, die nur den Augen zum Sehen zwei kleine Lücken ließen, wie Gespenster einen Sarg dahin. Andere schwangen Fackeln dazu. Neben den Fackeln liefen Bursche und sammelten in Schalen das tröpfelnde Wachs, das sich noch 30 gebrauchen ließ. Schnuphase hätte sich, wie alle, niedergeworfen – schon vor solcher heiligen Sparsamkeit! Mönche und Bruderschaften, einen Priester mit seinem Akoluthen und Meßknaben umringend, sangen: Miserere! in nicht endender Litanei. Vor dem klingelbegleiteten Sanctissimum, das der Priester hoch in den Fackelqualm emporhielt, warf sich dann alles nieder. Immer weiter aber, weiter wie auf rasender Flucht, ging der Zug dahin. Pater Vincente sagte, das geschähe, um die Leiche in eine Kirche jenseit der Tiber zu stellen, von wo sie erst der gewöhnliche Leichenwagen abholt. Der Todtenkopf des »Bruder Abtödter« vergegenwärtigte volles, blühendes Leben gegenüber dem Bilde, daß unter allen diesen weißen und schwarzen Kutten und Kapuzen nur Skelette zu wandeln schienen. Aus den kleinen Oeffnungen vor den Augen dieser Männer glühte es wie mit leuchtenden Kohlen.
Nehmen wir den Weg über das Capitol! sagte Pater Vincente, als sich die Mönche mit den andern wieder erhoben hatten und der wilde Zug vorüber war. Ihn schien er nicht erschüttert, nicht so zur Eile gedrängt zu haben, wie den Pater Sebastus. Zur Eile –! Musterte vielleicht eben die »Braut von Rom«, wie ein Schmeichler die junge Fürstin heute besungen hatte, oder der Cardinal oder die Herzogin von Amarillas die Reihen der Mendicanten, die an der Pforte der Villa Rucca standen – er war dessen gewiß, daß San-Pietro in Montorio vor allen andern Klöstern bedacht werden würde! Olympia zeichnete sein Kloster reuevoll aus. Ihn erwartete, das sagte man seit einiger Zeit, in der That der Hut des Cardinalats!
Bei Klingsohr – war nun freilich die Erinnerung – an Goethe's Campanella dahin! Dieser schreckhafte Leichenzug – und jene Römerin, auf deren Rücken der Dichter des Faust hier einst Hexameter getrommelt zu haben vorgab (Klingsohr 31 wußte, er hatte diese erst in Weimar auf dem Rücken der »Dame Vulpius« getrommelt), paßten wenig zusammen. Memento mori –! Aber auch Goethe hat es erfahren! sagte sich zuletzt Klingsohr, als er sinnend zum Capitol aufstieg. Hier, wo Goethe den Becher der Lebenslust, kurz vorm Scheiden seiner ersten männlichen Kraft, in seinen vierziger Jahren, Einmal noch wie ein Sohn der Griechen getrunken hat, hier mußte er dem einzigen Sohn, dem Sohn jener in römische Reminiscenzen maskirten Thüringerin, an der Pyramide des Cästius, dem Begräbnißplatz der Protestanten, eine wahrere Grabesinschrift setzen! Hier starb Goethe's einziger Sohn. Flüchtig und fast schon in Rhythmen gebracht, zog der Gedanke durch seine Seele:
Wo nur find' ich den Wirth zur Campanella! Der Schenke, Wo ich Falerner gesucht – »Lacrymä Christi« nun fand! Firnen aus Golgatha! Nicht aus den Trauben der Schlacke, Die der Vesuv uns geschenkt, Leidenschaft, wenn sie verglüht! Deutscher Apoll! Hier war's, hier hast du Verse getrommelt Auf der Römerin Leib – schwelgtest in seliger Lust – Und erfuhrest dein Maß! Die Pyramide des Cästius Blieb das Ende vom Lied! Blieb dir der Morgen der Nacht –! Rosen bekränzten ein Haupt und Rosen behüten das Grabmal Deines einzigen Sohns, der dir gestorben in Rom! Wahrheit und Lüge! O wohl, so strafen die mürrischen Götter! Wandle gen Rom, o Mensch! Rom ist der Mensch und die Welt! |
Ein tiefes Schweigen folgte. Glocken hallten von den Thürmen. Man erstieg einen Calvarienberg – Ein solcher ist auf den Stufen zum Capitol geworden! Zur Linken wohnt – der heimatliche Gesandte, auf dessen Autorität hin vor drei Vierteljahren drei Gensdarmen am Ponte Molle auf die deutschen Flüchtlinge gewartet hatten. Zur Rechten liegt – der tarpejische Felsen, der jetzt derselben Krone angehört! Wie schüttelte Sebastus all diesen vaterländischen »Staub« von seinen Füßen! Wie hatte er für ewig dieser »ghibellinischen« Welt entsagt –! Das Capitol! 32 rief er und über seinen Sandalen schmerzte ihm der Fuß, so trotzig stampfte er auf vor dem Wappen seines Landesfürsten.
Da lag ein mittelalterlich Haus vor ihm, die Stätte des gebrochenen Capitols! Einige Brunnenstatuen standen vor ihm und schmückten einen kleinen Platz, wo, vom Mond beleuchtet, auch noch Marcus Aurelius zu Pferde sitzt – Ein Gelehrter, der über dem Studium der Philosophie seine alten Schlachten vergaß! sagte Klingsohr mit Hindeutung auf die ihm nicht kriegerisch erscheinende Haltung des Reiters und auf – »Euern Friedrich, den sogenannten Großen –!«
Jetzt schlug es elf. Bergab ging es auf die Trümmerstätte des alten Forums zu. Ein Leichenfeld –! sprach Pater Vincente. In seinen Erläuterungen ging er nicht über die Zeit des Petrus und Paulus hinaus. Die Gracchen – Cicero –! Das mußte sich Klingsohr erst selbst sprechen. Sein Blick starrte dem Untergang des Erhabensten.
Von den alten Zeiten kannte Hubertus nur so viel, um begreifen zu können, daß hier die begrabene Macht eines alten Volkes lag, das einst die Welt beherrscht hat – zertrümmerte Portale, einsame Säulen, Triumphbögen mit zerbrochenen Statuen. Am Tage bietet es einen wüst erschütternden Anblick, den jedoch jetzt das Zauberlicht des Mondes verklärte. Dort oben auf dem Palatin wohnten die weltgebietenden Cäsaren. Ein magisches Goldnetz hält die grünen Hügel und die Steine umwoben . . . Wie schön alles, wären diese vom Corso herüberrasselnden Wagen, diese lachenden Menschen nicht gewesen, die zu spät zu kommen fürchteten zur Hochzeits-Girandola, die schon durch die Fenster eines am milchblauen Himmel auftauchenden dunklen Gebäudes zu beginnen schien – so oft ein Knabe rief: Eine Leuchtkugel! und damit einen Stern meinte, der durch die Oeffnungen des Coliseums blinkte.
33 Das Coliseum dann selbst! Immer noch war es nicht erreicht. Sebastus hätte wünschen mögen, hier niemand zu sehen und zu hören und in diesem mächtigen Raume nur allein zu wandeln – allein mit Livius und Niebuhr –! Da lag dann wieder ein Tempel, dort eine Basilika – Wie mochte es hier einst gesummt haben, als die Comitien des Volks versammelt waren und die Consuln Roms gewählt wurden! Wohin entläßt uns dies Thor? flüsterte er. Ist es nicht der Triumphbogen des Titus, als er Jerusalem zerstört hatte? Sein »Credat Judaeus Apella!« fiel ihm ein. Der »Virtuose im Glauben« – hatte hier keinen Zweifel zu hegen nöthig. Gleich an der Wand des Thors sah er den siebenarmigen Leuchter, den Tisch, die Schaubrote, die Jubeljahrposaunen, die Bundeslade. Die erhabene Stelle war's, wo sich Jupiter und Jehovah so nahe berührten –! Aber – kein Jude geht gern unter diesem Bogen hinweg, kein Jude blickt gern auf jenes Riesengebäude, das dreißigtausend gefangene Juden gebaut haben sollen. Was Vincente so und ähnlich erläuterte, wußte Klingsohr alles. Kaum gedachte er dann Löb Seligmann's, dessen physische Kraft zum Streichen der Ziegel für diesen Riesenbau in keinem Verhältniß gestanden haben würde – als er auch Veilchen's gedenken mußte. Diese hatte ihm einst bei seinen Besuchen in der Rumpelgasse gesagt: »Sie sind ein Mensch der Selbstqual, der Reue, des Gewissens – ewig wird's Ihnen gehen, wie's dem Kaiser Titus ging, als er Jerusalem zerstört hatte! Da ist Titus zu Wasser gegangen mit seiner siegreichen Armee und ein Sturm zog herauf und die gefangenen Juden triumphirten, weil sie dachten, Gott hätte seine Rache auf das Meer aufgespart. Und Titus bekam Angst, spottete und sprach: Zu Land ist Adonai schwach, aber zu Wasser kommt er, scheint es, dem Neptunus beinahe gleich! Wahrlich, spottete er, Adonai hat die Sündflut befohlen, er hat 34 die Aegypter im Rothen Meer ersäuft, er hat den Sissera am Strome Kischon geschlagen, er wird auch für Jerusalem seine Rache nehmen auf dem Mittelländischen Meer! Da ist aber gekommen eine Stimme aus dem Himmel und hat dem Spötter gerufen: Titus, Titus, ich habe Jerusalem untergehen lassen wegen seiner Gottlosigkeit! Weil du aber meiner Langmuth spottest, so sollst auch du meine Macht kennen lernen, aber – zu Lande! Da ward das Meer stille und Titus betrat unter dem Jauchzen des Volks das feste Land. Wie er nun recht von Herzen über den Judengott lachte, flog ihm in die Nase eine Mücke, wie sie nur auf dem Lande vorkommt, und bohrte sich tief in sein Gehirn. Sieben Jahre hat davon Titus die schrecklichsten Schmerzen gehabt, denn die Mücke starb nicht, sondern sie wurde immer größer und sie summte bei Tag und bei Nacht. Einst ging er bei einem Schmied vorüber. Bei den Amboßschlägen hörte die Mücke zu summen auf. Da stellte sich Titus dreißig Tage an den Amboß und die Mücke schwieg. Am einunddreißigsten fing sie wieder zu summen an; sie hatte sich an den Hammerschlag gewöhnt und Titus mußte sterben. Als sie sein Gehirn aufmachten, kam ein Thier zum Vorschein, so groß wie ein Vogel. Der Mund war von Kupfer und die Füße waren von Eisen – – Nun, schloß die Spinozistin, daß Sie sind katholisch und ein Mönch geworden, Herr Pater, das ist bei Ihnen die Schmiede gewesen und die Mücke ist nun auch vielleicht dreißig Tage still; aber ich will nicht wünschen, daß sie am einunddreißigsten wieder lebendig wird –!«
Wie wurde sie aber schon so oft lebendig. Schon damals wurde sie's beim Schweigen, jener vom Kirchenfürst dem Pater auferlegten Buße, beim Begegnen Lucindens in der Kathedrale –! Nun wieder all dies Große und Majestätische Roms. Und wenn auch Klingsohr damals bei Veilchen den Witz machte: 35 »Jehovah rächte sich an den Römern allerdings zu Wasser – und zwar durch die Taufe –! und dabei feierlich blieb, wie summte ihm die Mücke jetzt und wisperte: Ist Golgatha die Welt? Haben die alten Götter wirklich keine Rechte mehr –? Hier nicht mehr? Klingsohr schritt dahin, so trotzig fast, wie einst in Göttingen, wenn er von hundert Büchern, »die er schreiben wollte«, die Titel auf den Lippen führte.
Pater Vincente, in dessen Seele es still und ruhig schien, lenkte zum Coliseum ein. Er betrat es, den fremden armen Gefangenen zu Liebe. Wäre nicht die Nacht so hell und belebt gewesen, so würde dies mächtige Rund den Eindruck eines Schlupfwinkels für Räuber gemacht haben. Es liegt einsam – umwuchert von wildwachsenden Büschen, die aus den Fenstern hervorbrechen; seit tausend Jahren hat die Vegetation in allen Stockwerken bis zur obersten Galerie Platz gegriffen. Die Bogengewölbe, die geborstenen Säulen, die zertrümmerten Rundmauern waren im Mondlicht wie die Erscheinung eines Traums. Von Lust und Licht gewoben, schien dies Bild eine märchenhafte Täuschung.
Aber sicher, fest und natürlich widerhallten Schritt und Gespräch unter der Bogenwölbung des Eingangs; nur zu deutlich sah man drinnen die Sitze, von denen herab einst Tausende auf Menschenkämpfe blickten mit jenen Thieren der Wüste, die dort hinter den eisernen Gittern geborgen und durch Hunger zur Wuth gereizt wurden. In der Mitte steht zur Entsühnung der Erinnerungen an den tiefsten Verfall der Menschheit ein kleines Kreuz. Rundum ziehen sich die Bilder – eines Stationswegs! Eine Heiligung, die edler gedacht als ausgeführt ist – Das sagte selbst Pater Vincente, der niederkniete und einen mit einem Kreuz bezeichneten Stein küßte, auf welchem Hubertus mühsam 36 die Worte entzifferte: »Wer – dies Kreuz – küßt, hat auf ein Jahr und vierzig Tage – Ablaß!«
Hubertus folgte dem Beispiel des frommen Paters. Natürlich mußte es Sebastus gleichfalls thun, so wenig auch die Hoffnung, vierhundert Tage im Fegfeuer Linderung zu gewinnen, in diesem Augenblick seiner Stimmung entsprach. Die Mücke des Titus schwieg nicht mehr –! Er stand nicht mehr an der Schmiede –! Es ergriffen ihn die Schauer der Vergangenheit. Wenn er auch nur des heiligen Augustinus gedachte, der hier im Coliseum seinen Freund Alypius von seiner Leidenschaft für Gladiatorenkämpfe durch einen plötzlichen Schauer vor dem strömenden Blute der sich Mordenden geheilt sah, so mußten ihm wol seine hohlen großen Augen rollen und Gedanken kommen, wie der, den er auch aussprach: Hier dies armselige kleine Kreuz? Hier hätte Michel Angelo einen seiner Giganten herstellen sollen! So groß, so hoch, wie der Koloß von Rhodus war! Bis an die obersten Sitze hätte der Blick – etwa eines Daniel reichen müssen, zu dessen Füßen sich die besänftigten Löwen schmiegten! Niederbohren mußte der Prophet mit dem Busch seiner Augenbrauen die wilden Thiere auf dem blutigen Sande um sich her und – die Thiere in den Herzen dieser Zuschauer –! Oder Marcus der Evangelist hätte, die Bibel emporhaltend, hier wie ein Geisterbeschwörer stehen müssen, neben ihm sein aufhorchender Löwe, dieser gleichfalls gebändigt, gleichfalls in die Falten seines Gewandes scheu sich schmiegend und den Bestien der alten blutigen Bestimmung dieses Raumes unähnlich. Was soll dies kleine Kreuz –!
Hier möcht' ich im Chor singen! sagte Hubertus und probirte seine Stimme so laut, daß es weit dahinschallte.
Pater Vincente verstand sein deutsch gesprochenes Wort, nickte und entgegnete, dies geschähe ja hier alle Freitage – von den 37 Kapuzinern. Zu gleicher Zeit zeigte er auf die Fenster hinauf mit dem vom Nachtwind leise bewegten wildwuchernden Gebüsch, auf den Mond, der hinter den Oeffnungen bald hervorblitzte, bald sich versteckte und dann sie selbst in der Mitte des riesigen Baues beleuchtete, daß sie darin Schatten warfen wie – »kleine bucklige Gnomen«, sagte Sebastus und gab mit diesem Vergleich eine von ihrem Führer wol kaum verstandene – ironische Antwort auf dessen Erklärung.
Die Wanderer wandten sich der Eingangswölbung zu. Klingsohr fand sich allmählich zurück in seine Gegenwart; sie näherten sich heiligen Stätten. Sie bestiegen einen aufwärts gehenden Weg und kamen in eine Art Vorstadt, an deren äußerstem Ende einer der drei Paläste der Stellvertreter Christi liegt, der Lateran. In alten Zeiten als Burg der dreifachen Krone hervorragend vor Quirinal und Vatican, erhält sich jetzt der Lateran in seiner Autorität nur noch durch die Gerechtsame, die nebenan auf der ältesten Pfarrkirche Roms, St.-Johannes, ruhen, auf dem Heiligthum des größten der von Thiebold de Jonge so kritisch beurtheilten Kreuzessplitter, auf jener Platte, worauf einst das Abendmahl eingesetzt wurde, auf dem Heiligthum der hier aufgestellten »Heiligen Treppe«, an deren Fuß Petrus den Herrn verleugnet haben soll. Sonst ist hier alles am Tage so still und öde, wie ein Sonntagsnachmittag in einer kleinen Stadt.
In dieser Nacht rauschte hier ein buntes, bewegtes Leben. Alles drängte dem Thore zu, vorüber am Obelisken des Constantin und zur Straße, die hinaus nach Albano führt. Um die Ordnung zu erhalten, sprengte Militär auf und ab. Wagen in grotesker Vergoldung, mit Bedienten, die selten dem neuesten englischen Geschmack, öfter der Rococozeit angehörten, folgten sich einander – jetzt schon in langsamerer Fahrt. Auf den Trottoirs und die langen Mauern der Vorstadtgärten entlang drängten 38 die Bürger in ihren kurzen Jacken und Manchesterhosen, die kurzen Mäntel übergeworfen, weiße Hüte oder bunte Mützen auf den unrasirten braunen Köpfen. Die Frauen befanden sich selten noch in der Tracht der alten Zeit. Englands Baumwolle hat die bunten Nationaltrachten sogar aus Sicilien und Griechenland verjagt; ja schon die gelben Mädchen der Hindus gehen in Kattunröcken unsres Schnitts –! Nur der Kopf bleibt noch zuweilen national. Hier war das dunkelschwarze Haar der Römerinnen schön geflochten, geziert vom bunten Kamm, vom silbernen Pfeil; selbst der Matrone wirres und weißes Haar blieb selten ganz ohne Schmuck. Würde und Selbstbewußtsein liegt im festen Gang aller dieser dicken Krämer und Wurststopfer. Von den ausgelassenen Späßen, mit denen sich bei solchem Anlaß jenseit der Berge die Volksmassen geneckt haben würden, fand sich hier geringe Spur. Kein Anschluß; jeder für sich! Die Erwartung galt der »Girandola«, dem Anblick der geputzten Herrschaften, den ausgeworfenen Zuckerspenden und Schaumünzen. Höflich bog man dem schwarzen Rock des Augustiners aus, der braunen Kapuzinerkutte, der weißen Schnur des Franciscaners, dem grauen des Karmeliters, dem weißen des Dominicaners. Alle diese kamen mit Körben und Säcken, mit riesigen Kannen sogar, ohne die mindeste Rücksicht auf lächerliche Störung ihres sonst so malerischen Effects. Italien hat seine eigne Aesthetik –! Es besitzt Rafael – aber nicht im mindesten erscheint ihm ein Offizier mit einem Regenschirm, ein Dorfpfarrer auf einem Esel oder zwei Reiter zugleich auf Einem Pferde lächerlich.
Dann die herrlichen Gärten –! Leider nur mit hohen Mauern verschlossen, wie in Italien überall. Hängen auch nicht die Jasminkronen, wie hier zuweilen, in die Straße herüber, so erfüllen sie dieselbe doch mit ihrem Duft um so ahnungerweckender. Da und dort zeigt sich denn auch wol in den neidischen Mauern 39 ein kleiner eiserner Ausbruch, durchzogen von blühenden Rosenranken oder purpurrothen Asklepiadeen. Jenseits des Thores schweift frei und ungehindert der Blick auf die im blauen Licht schimmernde Campagna, die Gebirge; zur Rechten liegen nun nur noch Villen und Gärten, die sich an den Garten des Lateran anlehnen. Die fünfte oder sechste darunter ist die heut an einer bunten Illumination weithin schon kenntliche, vom Volk umwogte Villa Rucca.
Vier mit blauen, rothen, gelben, violetten Lampen geschmückte Obelisken bilden die Eckpfeiler am heute geöffneten Eingangsgitter. Die hohe Gartenmauer ist mit einer flimmernden Guirlande von Hunderten kleiner Flammen geziert. Unten im Garten brennt eine riesige Sonne, rings umgeben von den kostbarsten Südpflanzen. Perspectivisch berechnet, am Ende einer schimmernden Ahornallee glänzt ein sichelförmig niedergleitender Wasserfall, hinter dessen krystallnen durchsichtigen Fluten geschäftige Hände die Künste der Sanct-Peterskuppel-Beleuchtung nachahmen, die aus einem auf- und niederschwankenden, beweglichen Lampenständer besteht. Musik hallt aus den beleuchteten Sälen der illuminirten Villa. Dann und wann schießt schon in die magisch blaue, unendlich weiche milde Luft eine Leuchtkugel, ein mit dem Mondlicht wetteifernder Vorbote des Feuerwerks. Das solchen Anregungen des Kommenden aufjauchzende Volk drängt bis an die große Sonne, aber von da ab werden nur noch die Mönche und die Träger von privilegirten Büchsen hindurchgelassen. Todtenbrüder in ihren unheimlichen Hemden fehlen nicht. Man hatte ausgesprengt, Cardinal Ceccone würde heute Gaben im Werth von dreitausend Scudi spenden und die Aeltern des Prinzen Rucca hätten die nämliche Summe zum Ankauf von Tombolascherzen hinzugefügt. Das Gerücht schien sich annähernd zu bestätigen. Ein Harlekin ergötzte das Volk über das Gitter 40 hinweg durch Auswerfen von Münzen. Freilich waren sie nur von gebackenem Zucker, aber bereits war eine Tombola im Gange, bei welcher einige silberne Uhren ausgespielt werden sollten, ohne daß man den Einsatz bezahlte – die Loose wurden über die Köpfe der Zuschauer hinweggeworfen. Alles schlug und balgte sich. Nächst Madonna Maria ist Fortuna die größte Heilige in Rom!
Pater Vincente, Pater Sebastus, Bruder Hubertus wurden durch die von den Soldaten und Gensdarmen gezogene Chaine eingelassen. Man wies sie an ein Seitengebäude, wo vor einer noch geschlossenen Pforte eine förmliche Kirchenversammlung gehalten wurde. Am heiligen Grabe in Jerusalem mag es wol zur Osterzeit so aussehen, wenn sich dort die Mönche aller Orden der Christenheit zusammenfinden und je nach Umständen beten, Tauschhandel treiben oder sich prügeln. Die Türken sollen diesen christlichen »Caricaturen des Heiligsten« mit stillem Lächeln zusehen und abwechselnd bald zum Pfeifenrohr, bald zur Peitsche greifen.
Klingsohr fühlte heute ähnliche Anwandelungen aus Goethe's »west-östlichem Divan«. Er drängte vorwärts und staunte der Wiederkehr seiner alten göttinger Burschenkraft. Hubertus warf schon hier und da einen Kapuziner oder einen Karmeliter aus dem Wege. Als die übrigen Franciscaner den heiligen Pater Vincente sahen, fielen sie ehrfurchtsvoll in den Ruf einiger Stimmen mit ein: Platz dem Sack von San-Pietro in Montorio –!