Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VI. Buch
Karl Gutzkow

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89 11.

Glocken riefen nicht zu den Hochämtern, die in »Maria zur Stiegen« zum Gedächtniß Angiolina's gehalten wurden. Auch die mächtige Orgel brauste, als ihre Seele der Gnade und Verzeihung des Himmels empfohlen wurde, nicht vom Chore. Sind schon an sich diese Trauermetten, denen, wenn sie vor einem kleinen dunkeln Nebenaltar abgehalten werden, nur Anverwandte beiwohnen, still und geheimnißvoll, so trat hier noch die Rüge des geistlichen Gerichts ein. Kaum, daß die Austheilung jener kleinen Zettel gestattet wurde, die in katholischen Landen den Vorübergehenden mit einem Liebesblick in die Hand gesteckt werden, um sie aufzufordern, für die abgeschiedene, wenn ihnen auch völlig unbekannte Seele ein gedrucktes Gebet zu lesen. Therese Kuchelmeister hatte diese Zettel sorgsam ausgewählt, hundert Exemplare eines für diese Fälle in den Kunstläden vorräthigen kleinen Bildes, drei Cherubim darstellend, von denen der eine das Jesuskind mit der Friedenspalme trägt, die beiden andern ein Kreuz und eine Dornenkrone – das Jesuskind lächelt, die drei Engel weinen – Auf der Rückseite ließ sie aufdrucken: »O Erschaffer und Erlöser aller Gläubigen, verleihe der dahingeschiedenen Seele deiner Dienerin Angiolina Pötzl vollkommene Verzeihung und Nachlassung aller Sünden, damit sie, von den Schmerzen des Fegfeuers befreit, dich als ihr letztes Ziel anschauen, lieben und 90 in alle Ewigkeit loben und preisen möge!« . . . Aber kaum wurde nur diese Aufforderung gestattet. Von dem feierlichen Requiem, Melodie von Biancchi, Instrumentation von Dalschefski, einer Production, die sich ein Gesangverein mit Hinzuziehung Theresens und Jenny's auszuführen erboten hatte, war keine Rede.

Unter großem Menschenzulauf hatte das Begräbniß auf dem stillen Friedhof bei Dorf Salem stattgefunden. Hier war es, wo sich Therese, einen Korb voll Blumen in der Hand, über den Sarg warf und ihrem Schmerz in Worten Luft machte, die niemanden störten, wenn sie auch nicht von Seraphschwingen und Cherubsarmen sprachen, sondern einfach lauteten: Hier ist's nun aus, du armer Narr. Bist auf Erden viel gehanselt worden. Aber der gute Gott da oben wird schon wissen, wo er auch für dich noch ein Platzl hat –! . . . Therese Kuchelmeister überwachte alle die, welche sich bei den in der Stadt gehaltenen zwölf Seelenmessen einfanden oder einzufinden versäumten. Luigi Biancchi kam nur einmal und erntete dafür die Bezeichnung eines »Ungeheuers« von Undankbarkeit, da Angiolina die Musik der Italiener liebte. Dafür mußte Dalschefski, den die Nichtaufführung des Requiems wegen der in diesen Tagen außerordentlichen Erregung Biancchi's, der dadurch eine Zerstreuung würde gehabt haben, doppelt verdroß, täglich anwesend sein. Auch Herr von Pötzl versäumte nicht, seine Schuldigkeit zu thun; zu dem Ruf, den er anstrebte, gehörte die strengste Unterwerfung unter alles, was Gefühl und Gemüth mit sich bringen. Nicht auffallend war die jedesmalige Anfahrt eines vornehmen Wagens, aus dem die ersten drei male zwei Damen in tiefster Trauer stiegen und der Messe beiwohnten – die kleinste Schuldigkeit der »Mörderin«! wie Therese sagte. Zuletzt kam nur noch die ältere Dame allein und fehlte dann nie.

Erst am Tage nach dem Begräbniß traf des Grafen Hugo Mutter ein. Sie war auf ihrer Rückreise aufgehalten worden. 91 Sie hatte in Nürnberg einer Versammlung der dortigen Bibelgesellschaft beiwohnen wollen.

Unterwegs schon hatte sie den Tod Angiolinens erfahren. Ihre Liebe zum Sohne ging so weit, daß sie diesen Verlust wie ihren eigenen fühlte. Sie sah vorzugsweise nur Hugo's »bei noch so jungen Jahren schon so väterlich empfindendes Herz« betheiligt. Als der stattliche Mann dann an ihrem Halse einen Augenblick festhing und in seinem Auge Thränen blinkten, unterließ ihre Rede nichts, was seinem Schmerz wohlthun konnte. Sie erkundigte sich nach allen nähern Umständen des rührenden Abscheidens, verwies aufs strengste jedem der Diener, der etwa ergänzende Berichte geben wollte, die auf Selbstmord schließen ließen. »Richtet nicht, daß ihr nicht gerichtet werdet.« Dies Wort sprach sie auch später noch mancher vornehmen Dame auf der Herren- und Wallnergasse.

Im Herauskehren ihrer geheimen Gedanken ist gerade die vornehme Welt nicht so behutsam, wie wir glauben. Majestäten, Hoheiten, Excellenzen sprechen, namentlich in Oesterreich, ihre Stimmungen mit derselben Offenheit aus, wie die geringe Welt sie zu verbergen pflegt. Man besprach schon beim ersten Besuch, den die Gräfin in der Runde der hohen Gesellschaft machte, die Angelegenheiten des Grafen, verlangte Nachrichten von der bevorstehenden Heirath, verurtheilte das »horrible Benehmen des Terschka« und gab der stolzen Gräfin Gelegenheit, ihr Wort öfter zu wiederholen: Dieu est le juge véritable –!

Die schnelle Abreise Benno von Asselyn's verdroß die Mutter. Sie wich den Fragen des Sohnes um Paula's Erklärung noch aus. Sie sagte ihm: Du sollst alles hören! Nur erst Sammlung und meine langvermißte Ordnung –!

Inzwischen sprach sie doch schon zu Hugo und den vielen Besuchenden, zu den lutherischen Geistlichen und Glaubensgenossen, 92 die sie sogleich begrüßten, von ihrem Leben bei Lady Elliot, von den Anstrengungen des Papismus, in England wieder Grund und Boden zu fassen, von den englischen Bischöfen, die leider irdische Machthaber geblieben wären und ein Verlangen trügen nach ungeistlichem Einfluß, von einem verblendeten Lehrer in Oxford, Professor Pusey, der ein System aufgestellt hätte, das auf halbem Wege den römischen Irrthümern entgegenkäme. Bei alledem schloß sie ihre Mittheilungen mit der Erklärung: Es ist eine Freude, den Ernst der Engländer zu sehen! Die Frauen sind voll Muth und Charakter; sie beherrschen die Männer, das ist wahr, aber sie beherrschen sie zum Guten –! Wofür sich in dieser Welt das Gefühl der Frauen ausspricht, das kann vielleicht auf einem Irrthum beruhen, aber dieser Irrthum schändet nicht –!

Muthig sprach sie in ihren eigenen Zimmern und bei den ersten, die sie empfing: Seit der Veranstaltung der Jesuiten, meinen Sohn durch Terschka dem Glauben seiner Väter abwendig zu machen, haben wir doppelt Ursache, jeden Schein der Anhänglichkeit an die römische Irrlehre zu vermeiden. Gräfin Paula verlangt glücklicherweise von unserer Seite keine Annahme ihrer Religion – Ja, wandte sie sich zu einem lutherischen Geistlichen, Terschka lag zerknirscht zu meinen Füßen –! Im ersten Augenblick verstand ich nicht, was er mir zu offenbaren hatte. Ich alte Frau zitterte! Auch haß' ich schon an sich die Bezeigung einer Ehrfurcht, die nur Gott gebührt. Ich betete zum Herrn um Kraft, um Terschka's Geständnisse hören zu können, setzte mich nach Fassung ringend in einen Sessel und hörte nun alles, was mit jener an diesem Unglücklichen bekannten anziehenden Beredsamkeit von seinen Lippen floß –! Da konnte ich wol anfangs vor Zorn ausrufen: »Der das Ohr gepflanzet hat, sollte der das nicht hören und strafen!« Nun aber kam von ihm ein tiefreuiges Geständniß, der Entschluß, auf Englands freiem Boden 93 zu bleiben, seine Irrthümer abzuschwören und zu unserm lebendigen Glauben überzutreten. So verherrlicht sich Gott in seinen Verächtern.

Graf Hugo theilte diese andauernde Befangenheit zu Terschka's Gunsten nicht ganz, behielt aber seine Zweifel an Terschka's Aufrichtigkeit für sich. Er war des Streitens über die meisten Dinge, die noch die Vergangenheit berührten, müde.

Endlich bot der Abend die stille trauliche Stunde, wo sich die Gräfin über die Ergebnisse ihres Aufenthalts in Westerhof aussprechen konnte. In einem hohen, mit Sesseln überfüllten Rococozimmer hatte das Theewasser auf der Maschine zu sieden begonnen, als die Gräfin begann: Mein Sohn, von Paula von Dorste, diesem seltsamen Wesen, trennt mich allerdings mehr, als ich wünschen möchte –

Graf Hugo's Ahnung von neuen Hindernissen schien bestätigt zu werden.

Ich fand, fuhr die Mutter fort, ein Wesen, das leider nur zu sehr ihrem Ruf entspricht. Als ich Westerhof besuchte, war sogleich die erste Begegnung entscheidend. Die Tante Benigna, dann unsere herrliche, nur zu, zu geisteshelle, mitunter winterlich helle Monika, die dich herzlich grüßen läßt, der Oberst, auch eine treffliche Persönlichkeit, Onkel Levinus, eine gute, nur etwas wunderliche Seele, alle begrüßten mich herzlich und voll Vertrauen – nur Paula war wie die verschüchterte Taube.

Sahst du nie eine ihrer Visionen? fragte Graf Hugo.

Nein! entgegnete die Mutter. Mit meiner Ankunft hörte sofort dieser Spuk auf. Ich kann dir nicht leugnen, daß Paula während der ganzen Zeit meiner Anwesenheit krank im Bette lag. Als ich hören mußte, daß schon allein meine Persönlichkeit, ich selbst es wäre, die ihr Schmerzen verursachte, gerieth ich außer mir. Man nannte eine frühere Erzieherin von ihr, die ebenso 94 auf sie gewirkt haben soll. Die Nähe eines Wesens also, das ihren Irrthümern widerstrebt, verursacht ihr Schmerzen! Zur Linderung ihrer Leiden berief man von Witoborn den Obersten, der mit wenigen Handstrichen sie auf Stunden beruhigen soll –

Graf Hugo stand in großer Erregung auf und machte einige Gänge im Zimmer.

Die Mutter fuhr fort: Glücklicherweise beherrscht das ganze Schloß Monika. Ich schrieb dir schon, die Gute hat den Muth gehabt, ihre Tochter Armgart, von der du meine Schilderungen kennst, nach England zu schicken, um dies liebe Kind aus der düstern, Verstand und Herz vergiftenden Atmosphäre jener Gegend zu entfernen. Besonders aber auch, vertraute sie mir – o wie lieb' ich unsere Monika! – deshalb, um auf Paula Armgart's Einwirkung zu hindern. Denn wunderlich ist auch dies liebliche Kind! Was wir allenfalls erreicht haben, hat allein Monika vollbracht!

»Allenfalls« erreicht –? wiederholte der Graf mit Befremden und Unmuth.

»Alle eure Sorge werfet auf ihn; er wird es wohl machen!« sagte die Mutter. Ich war vierzehn Tage in Westerhof. Comtesse Paula blieb und blieb krank. Ich sah sie nur zweimal in Toilette, einmal bei der ersten Begrüßung, auf welche sofort die Krankheit folgte, und einmal, als die magnetische Behandlung durch den Obersten von besonderer Wirkung gewesen war. Sie ist sehr schön, das kann ich dir sagen –

Bringst du kein Bild von ihr –?

In jener Gegend malt man nur die Heiligen, mein Sohn! Ein Kinderporträt wollt' ich nicht mitbringen, da es nicht mehr ähnlich ist. Sie ist schön, sag' ich dir! Hoch und schlank und in allen Gesichtszügen edel! Augen, Haar, alles von einem lieblichen Reiz! Die Bildung aber tief, tief vernachlässigt! Ja, mein 95 Sohn, das ist entsetzlich –! Aber ihr Charakter ist sanft, leider freilich – auch versteckt und – von jener Zurückhaltung, die, du weißt es ja, mir an allen Katholiken so peinlich ist – Nichts Offenes, nichts Ehrliches gibt es da! Sie versichern dich der größten Freundschaft und du gewinnst kein Vertrauen – Das große Priestergeheimniß hat sie alle mit umstrickt! Man glaubt, sie lebten in dem, was wir sie täglich treiben sehen – aber es umspinnen sie ganz andere Dinge! Paula heilt noch immer und segnet Kissen und Amulete, aber sie sagt, daß sie selbst nicht mehr daran glaube. Die Geistlichkeit wünscht ihre Visionen nicht, da ihre Phantasieen merkwürdigerweise – nicht recht katholisch sein sollen. Monika sagte mir, es gäbe eine Partei, die heimlich dahin wirkte, das sonst so holde Geschöpf für eine Besessene zu erklären! Das ist dort ein Aberglaube –! Unglaublich! Und doch – wenn ich je an die umgehende Macht und die Verschmitztheit des Teufels geglaubt habe, so war mir's manchmal beim Anblick – dieser unsteten, irrenden, versteckten Augen der Comtesse –

Mutter –! unterbrach Graf Hugo die von ihren in Westerhof empfangenen Eindrücken aufgeregte Greisin.

Sie weiß es selbst nicht! berichtigte die Mutter. Ich will das jungfräuliche Kind nicht anklagen –! fuhr sie im Charakter der heiligen Hildegard fort. Glaubst du aber nicht, daß der Teufel auch die Gestalt der Engel annehmen kann –? Doch – lenkte sie wieder ein, ich klage ja die Comtesse selbst nicht an! Ich theile sogar Monika's Meinung, daß die Ehe das alles ändern wird. Aber ein Ja! ein Nein! von Paula selbst, von diesen halben Menschen, von diesem Levinus, dieser Benigna zu gewinnen, ist unmöglich. Kurz vor dem Tage, wo ich die letzte Entscheidung wünschte, bekam ich endlich ein offenes Wort. Aber – rathe, woher? – Aus London – von Armgart!

Der Graf nahm einen Brief entgegen, welchen die Mutter den 96 ganzen Tag auf ihrem Herzen getragen zu haben schien. Seufzend zog sie ihn hervor und entfaltete ihn mit den Worten: Dieser Brief ist ein trauriger Beleg für die Verstockung der Gemüther, die eine Folge des Papstthums ist!

Graf Hugo nahm den Brief und las ihn, nachdem er die noch unfertige Handschrift hatte belächeln müssen. Sie schien die eines Kindes und stand im vollen Widerspruch mit der Wichtigkeit des Inhalts.

»Liebes Großmütterchen.« schrieb Armgart.

Die Gräfin unterbrach: Ich wiederhole dir, daß dies, ich kann wol sagen, liebenswürdige Kind zwar mit den Engländern und namentlich mit Lady Elliot auf dem gespanntesten Fuße lebt, sich aber an mich, ich kann sagen, wie ein Hündchen angeschlossen hat – Das Wort paßt durchaus! Ist es die hohe Begeisterung, die ich für ihre Aeltern empfinde, namentlich für ihren Vater, den ich fast noch höher stellen muß, als Monika – oder ist es blos meine Reue, daß ich ehemals Terschka's Bewerbung unterstützen konnte? Genug, Armgart liebt mich wie ihre Großmutter, erträgt alle meine Vorwürfe, murrt und knurrt dann wol ein bischen – ist aber gleich wieder gut! Doch lies –!

»Liebes Großmütterchen!« wiederholte der Graf. »Wie sehr ich Dich liebe und wie ungern ich mit Dir streite, weißt Du! Porzia soll Dir –«

Porzia, erläuterte die Mutter, ist in Witoborn geblieben bei jenem Hedemann, der sich mit ihr in einen Briefwechsel einließ, ihr zu meiner Ueberraschung eine italienische Bibel schenkte und sie heirathen wird – Ein Mensch, der mir so gefallen hat, daß ich ihn auf Castellungo besitzen möchte! Frâ Federigo würde seine Freude an ihm haben!

»Porzia soll Dir den Brief nur geben, wenn Du Dich wohl fühlst!« fuhr der Graf zu lesen fort. »Sind dann die Berge 97 und die dunkeln Wälder meiner Heimat um Dich und die guten treuen Menschen, wie es deren in ganz England keine gibt, so verzeihe mir, daß ich, ein Kind, in so ernste Dinge hineinzureden wage. Leider kenne ich ja schon alles, was Gattinnen, Mütter, Mädchen im Leben zu dulden haben. Meine Haare sind mir im Geiste so grau, wie die meiner Mutter! Ja, ich bin weiter, als die jungen Ladies Elliot, die vor jedem Mann noch roth werden – müssen, sage: müssen –! Sie suchen alle erst mit Eifer, was ich bereits aufgegeben habe. Auch Paula sucht nicht mehr für sich allein das Glück. Aber »Klare Rechnung haben macht den Gentleman!« sagt der garstige dicke Koch Deiner Lady, der sie genug betrügt –«

Ich höre die Mutter des Kindes! sprach der Graf, zwar lächelnd, doch durch seine Stimmung geneigt, diese Einleitungen zu überschlagen.

Selbstgerechtigkeit! warf die Mutter ein.

»Daß Ihr Euch der Urkunde unterwerft«, las der Graf weiter, »ist schön von Euch! Terschka rieth Dir noch vorgestern, sie durch einen Proceß anzuzweifeln. Das konnte nur ein ehemaliger Jesuit rathen! Das ist das Schlechte an den Jesuiten, daß sie gerade so klug und pfiffig sein wollen, wie doch nur die Zweifler sind. Glaube mir, unser himmlischer Vater hat auch für den katholischen Glauben vielerlei Wohnungen. Katholisch und katholisch ist ein Unterschied! Wir Rechtgläubige seufzen genug über viele unserer Priester und möchten sie, besonders wenn sie so recht tabacksschmuzige blaue Sacktücher, grobe Pfundsohlen an den Stiefeln und harte Hände vom Heufahren und Mistabladen haben, fast hätt' ich gesagt prügeln, gerade wie, nach Onkel Levinus, die Russen mit ihren betrunkenen Popen thun. Das wissen wir Katholiken unter uns selbst sehr gut und leiden darunter, bei der Messe sowol wie im Beichtstuhl. Gewisse andere Priester mögen wir Katholiken auch wieder deshalb nicht, weil sie im Gegentheil 98 wie die Tanzmeister sind. Die, welche immer süß den Mund spitzen und die Augen verdrehen und aus dem lieben Herrgott einen Conditor machen, von dem sie bei jedem Besuch Bonbons mitbringen, auch das sind für uns rechtgläubige Christen bloße ›Pfaffen‹ – und zu denen gehören meist die Jesuiten – alle aber auch nicht, Großmütterchen! Dein Fefelotti mag freilich recht schlimm sein –!«

Du weißt, unterbrach die Mutter, wie unsere Bedrängnisse schon anfangen! Ich werde zu Cardinal Ceccone gehen müssen, um das Capitel von Cuneo anzuklagen! Doch – lies weiter!

»Ebenso sagte Terschka, er wollte Beweise beibringen, daß eine gewisse Lucinde Schwarz, im Auftrag Deines ›Doctors aus dem Abgrund‹, an dieser Veranstaltung nicht unbetheiligt gewesen. Ich halte Lucinden allerdings für fähig, Feuer anzulegen – aber es gibt Verbrechen, die so großartig sind, daß sie ehrwürdig werden, zumal wenn sie Gutes stiften und zu unwissentlichen Mitschuldigen Engel haben!«

So vertheidigte die Götzendienerin gegen Lady Elliot auch die gefälschten Rechte des Bischofs von Rom –! warf die Mutter ein.

»Großmütterchen, das hat mir von Dir gefallen«, las Graf Hugo weiter, »daß du dem falschen Heuchler, dem Terschka, endlich einmal über eine Sache unrecht gabst! Der erleuchtete Mann hat ewig bei Dir recht! Ganz vornehm und würdevoll lehntest Du die Zweifel ab und wolltest Dich lieber darein ergeben, daß Paula in ein Kloster und Euer Name und Euere Herrlichkeit zu Grunde ginge, als wieder processiren und die andere Linie ins Zuchthaus schicken, wie Du sagtest. Paula geht aber nicht ins Kloster. Sie schreibt mir, daß ich es übernehmen soll, Dir ihre ganze Meinung zu sagen. So wisse denn: Ja, sie nimmt Deinen Sohn, wenn« . . .

Graf Hugo war an dieser Stelle schon aufgesprungen und 99 hatte den Brief voll Zorn und Abscheu von sich geschleudert. Schon hatte sein Auge die Bedingung gefunden, die jetzt die Mutter las, nachdem sie den Brief an sich genommen.

Das ist es –! seufzte sie und las weiter: »Wenn der liebste Beichtvater ihrer Jugend nach Wien reist, Deinen Sohn persönlich kennen lernt und dann entscheidet, ob sie ihm ohne Gefahr für ihre Seele die Hand reichen kann!«

Der Graf war außer sich und rief: Von Terschka – von hundert Zeugen weiß ich, daß sie diesen Priester liebt. Es ist Bonaventura von Asselyn.

Die Mutter schwieg eine Weile, faltete den Brief zusammen und beschwichtigte den zornig Auf- und Abgehenden mit dem Wort: Aber sein Verwandter, der junge Benno von Asselyn, hat dir doch wohlgefallen.

Ich habe mich gewöhnen wollen, sprach der Graf, daß meine Gattin das Bild einer andern Neigung im Herzen trägt. Ich würde mich bekämpft haben. War ich doch selbst nicht treu – Aber ich rang danach, treu zu werden. Ich wollte Angiolina entbehren! Der Himmel erleichterte mir diesen Kampf – Und nun soll der Geliebte Paula's mir persönlich gegenübertreten, mich prüfen, erst seine Entscheidung geben? Das ist mein Ruf? So werd' ich in Westerhof beurtheilt? Beurtheilt um ein Verhältniß, das der Himmel auf diese schmerzliche Art löste? Nein! Nun trotz' ich Allem –!

Mein Sohn –!

Ihr Geliebter soll mich – prüfen –!

Es ist ein Priester. mein Sohn, suchte die Mutter zu beruhigen. Einer der besseren. Ich hörte ihn predigen.

Der Graf lehnte jede Beruhigung ab. Das ist die Erklärung, die du von Westerhof mitbringst? fragte der Graf mit Entschiedenheit.

100 Die Mutter zitterte über seine drohenden Mienen. Mit bebenden Lippen sprach sie: Ich zeigte diesen Brief Monika. Diese, wie du, empört darüber, stürmte zu ihrer Schwester Benigna. Benigna zog den Onkel Levinus ins Vertrauen. So traten sie alle drei an Paula's Lager und fragten sie, ob wirklich so ihr Entschluß wäre? Ob sie wirklich so nach London geschrieben hätte? Ja! sagte sie, wandte sich ab, sah an die Wand, wo ihr Crucifix hing und ihr Weihwasserbecken, sprach kein Wort mehr und – mit dieser Entscheidung kehre ich zurück.

Der Graf konnte sich nicht beruhigen. Seine Erinnerung an die Hingebung Angiolinens, sein Stolz, die Erwägung seiner ihn zur Annahme solcher Bedingungen zwingenden Verhältnisse, ja eine Spannung sogar auf Paula, die fast zu einem tiefern Interesse geworden war, alles stürmte zu mächtig auf ihn ein. Er rief aus: So beginne aufs neue der Proceß! Ich zweifle die Urkunde an! Hierbei muß jetzt Terschka helfen.

Mein Heiland –! rief die Mutter entsetzt und mit gefalteten Händen. Darüber gehen wir zu Grunde –! Die Zickeles subhastiren Salem und Castellungo!

Mag es! rief der Graf wild und riß sich los.

Verzweifelnd stand die Mutter und hörte das Verhallen seiner Sporen, das heftige Zufallen der Thüren, die er aufriß. Nicht nach seinen Zimmern ging er. Er wandte sich zur großen Treppe – Sie eilte ihm nach. Er war verschwunden.

In seinen weißen Mantel gehüllt, mit klirrenden Sporen, stürmte Graf Hugo dahin. Sein Innerstes war gelähmt durch jenes tiefe Weh, das sich über unsern ganzen Menschen ausbreitet – wenn wir über uns selbst Rührung empfinden.

Er irrte um die Freyung, wo jener Freund gewohnt, den er so schnell gefunden und so schnell wieder verloren hatte.

101 Er irrte in die Nähe der dunkel gelegenen Kirche, wo die Gedächtnißmetten für Angiolinen gehalten wurden. Er irrte dem Platze zu, wo sich die stolzen Gebäude des Kriegsministeriums erheben und wo er nun sein Abschiedsgesuch zurückzunehmen gedachte. So kam er zuletzt zu den sogenannten »Obern Jesuiten«, zum Haus des heiligen Stanislaus.

Eine Weile stand er trauernd in der dunkeln Gasse. Da hörte er einen getragenen Gesang aus einem hintern Hofe her mit einfacher Klavierbegleitung. Therese Kuchelmeister trug den Professoren Dalschefski und Biancchi ihr nicht zugelassenes, in schneller Begeisterung gemeinschaftlich aus alten Studien zusammengestelltes Requiem vor.

Bei einem sanften Minore, in dem die Worte: Dona eis pacem! erklangen, ließ Therese mit den freudigen und doch in Thränen erstickten Worten: Jesus, der Graf! die Noten fallen.


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