Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VI. Buch
Karl Gutzkow

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96 5.

Schnuphase hatte den Mentor gefunden, den seine Töchter mit Verzweiflung vermißten, als sie hörten, Herr Lengenich würde den Papa nur bis zum Schloß Johannisberg begleiten können. Sie wußten, wie der »Vöter« bei seiner enthusiastischen Gemüthsart in freier Luft, beim Anblick der hohen »Döme«, »Döms–tifte«, »Köpöllen«, Kerzen, Schenken aus sich »herauszugehen«pflegte. Erst in Wien selbst war Aussicht vorhanden, daß durch seine mitgenommenen Empfehlungen die leichte Erregbarkeit des Reisenden in eine geregelte Ueberwachung kam. Schon von Frankfurt am Main aus gab Schnuphase seinen Töchtern Kunde von dem Glück, in Herrn »Börön« von Asselyn einen Begleiter gefunden zu haben.

Es war ein Glück, das Benno theuer zu bezahlen hatte, denn Schnuphase heftete sich an ihn wie eine Klette. Und auf jeden Fall hatte Schnuphase an den großen Staatsmann wirklich – einen Auftrag. Worin – errieth Benno nicht. Schnuphase, der ihn bis in das Innerste seines Busens, bis auf alle geheimen Medaillen und Amulete, die er unter dem bloßen Hemde trug, sehen ließ, vermaß sich hoch und theuer, hierüber müsse er schweigen – er hätte sich und seinem Schutzpatron drei heilige Eide abgelegt – doch würde er bei dem großen Staatsmann für Herrn von 97 Asselyn sprechen, falls er die Bekanntschaft desselben wünschte; er würde ihn einführen, ja, wenn er wollte, zu seinem »Mitbevöllmächtigten« machen.

Anfangs wollte Benno im Scherz zustimmen. Er erschrak jedoch bei dem Gedanken, daß möglicherweise Schnuphase wirklich in politischen Aufträgen reiste. Er konnte immer noch nicht auf den Grund kommen, ob es sich um den Weinkeller oder um die Staatskanzlei handelte. Schnuphase bat seinen jungen Freund und »Gönner«, seinen »Chöröcter« nicht zu compromittiren und ihn nicht zu reizen, seine Geheimnisse zu »össenbören«. Im übrigen ließ sich der kühnste aller Emissäre, wenn er ein solcher war, in seiner ganzen Auffassung der Zeit und der schwebenden Fragen ohne alle Rücksicht gehen. Er hatte zwei Brieftaschen, die er bei jedem Stundenschlag zog. Eine schien besonders mysteriösen Inhalts. Sie hing jedoch nur, wie Benno allmählich bemerkte, mit den Tageszeiten, allerlei Rosenkranzverpflichtungen und den dadurch gewonnenen Ablässen zusammen.

Gern hätte Schnuphase von Würzburg nach dem Würtembergischen hinübergeschwenkt. Bei Ellwangen lag die uralte Kirche der vierzehn Nothhelfer. Nur durch das Verlangen, beobachten zu können, wie ihm das bairische Bier bekommen würde, vermochte ihn Benno zu einem schnelleren Betreten Altbaierns.

Das thurmreiche Augsburg konnte nicht unberührt bleiben. Mit Sehnsucht blickte Schnuphase, der nie unterließ, auch in seinem Geschäft als »Reisender« zu wirken und bei allen Sakristeien anzuklopfen, auf die fern aufragenden Voralpen, wo die hochheiligen Wallfahrtsorte Andechs und Altötting lagen.

Zwischen Augsburg und München erfuhr Benno zwar noch immer nichts von Schnuphase's diplomatischer »Mission«, aber von einigen geistlichen Partieen derselben lüfteten sich allmählich die Schleier. Schnuphase hatte Commissionen aus Belgien und 98 Paris. Er brachte Medaillen, Wunderwässer und Rosenkränze in allen Formaten, wie sie nur die neue geistliche Thätigkeit von Rom und Paris aus segnen und mit jenseitigen Wohlthaten erkräftigen ließ. Schnuphase war Mitglied »fast zu vieler« Vereine, wie er selbst sagte, und suchte Benno für den Eintritt wenigstens in einige zu interessiren. Mit dem Flüsterwort: Ich bin Rath eines Rosengartens! erklärte er Benno den »marianischen Bund«. Diese Erzbruderschaft will den Rosenkranz als ein Lebendiges, in den Personen Vertretenes darstellen. 15 Personen stellen eine Rose vor; 11 Rosen, also 165 Personen einen Rosenstock und 15 blühende Rosenstöcke einen Rosengarten. Schnuphase beaufsichtigte demnach einen Rosengarten von 2475 Personen oder, wie von ihm im Styl der Andacht berichtet wurde, »von reuevollen und demüthigen Seelen«. Die von den Mitgliedern gewonnenen Ablässe sind seltsamerweise solidarisch und kommen nicht aus dem Verdienst des Einzelnen, sondern aus dem der Gesammtheit! Man loost sie aus, sodaß die Hoffnung, eine Seele gewänne durch die Verpflichtung zu dieser Erzbruderschaft einen Ablaß von hundert Tagen oder eine Verkürzung der Pein im Fegfeuer etwa von hundert Jahren, sich nicht auf das eigene Verdienst, sondern immer nur auf das Verdienst eines – Mit-Rosenblatts begründet. Von dieser liebeseligsten aller Gemeinschaften konnte Schnuphase nicht reden, ohne daß auch die Rosen seines Antlitzes in ihren glühendsten Farben spielten.

In München lebte Benno den Eindrücken der Kunst. Plötzlich traf ihn da in einem Kaffeehause beim Lesen einer Zeitung die Nachricht, daß in Wien eine Menge Römer, auch ein Principe Rucca angekommen wäre – in Begleitung der Gräfin »Olympia Maldachini«, seiner Verlobten, und der »Herzogin von Amarillas«.

Er sprang vom Tische auf. So nahe rückte ihm schon die 99 Entscheidung! Aber die Mutter – folgte dem Cardinal! Da rief es in seinem Innern: Du wirst diese Menschen in glänzendsten Carrossen an dir vorüberfahren sehen und wirst vor ihnen entfliehen müssen! Wie kannst du in solcher Nähe nur einen Tag bleiben! So grübelte er verzweifelnd und doch wieder hochgehoben. Das Schicksal kommt dir entgegen! rief er. Es ließ ihn jetzt nicht mehr unter den Bildern, Statuen, Baumonumenten verweilen und kaum noch unter den – Lächerlichkeiten Schnuphase's.

Schnuphase war ganz der Vertreter der Lehre, daß die katholische Kirche die heiterste Lust am Dasein segne und heilige. Wie gute Geschäfte er machte –! Wie kunstkennerisch er vom Bier zu reden begann, obgleich nächtlich ihm der Schlagfluß drohte –! Wie viel Verbindungen er knüpfte heiterster Art –! Beim »Pschorr«, beim »Hackerbräu« endete, was im St.-Peter, der ältesten Kirche der schönen Stadt, begonnen hatte. Der mächtigsten Bruderschaft »Maria-Hilf« gehörte Jean Baptist Maria bereits in ihrer belgischen Verzweigung an. Wie heimisch war ihm nun das Gefühl, den münchener St.-Peter zu betreten, diese Kirche, von deren Kanzel herab 1683 jene Bitten an die Gottgebärerin ertönten, die nächst Sobieski's Säbel allein die Türken von Wien entfernt haben sollen. Sie wurden Anlaß zu unserer deutschen »Maria vom Siege« – wie die Schlacht von Lepanto mit Don Juan d'Austria's Sieg einst zur italienischen. Kam außer dem Anblick von zahllosen Kerzen an diesem hochberühmten »privilegirten« Altar von St.-Peter (einen »privilegirten« Altar zu sehen, ist einem gläubigen Gemüth ein Genuß, wie der Anblick einer classischen Stelle Italiens euch Weltlichen!) Schnuphasen ein weltlicher Gedanke, so war es der: Der Verein »Maria-Hilf« ist recht eigentlich für eine Stadt der Maler gemacht, denn jedes Mitglied desselben muß bei seinem Eintritt geloben, im Hause ein Bild der allerseligsten Jungfrau zu besitzen.

100 In Regensburg, wohin Benno seinen Gefährten mühsamer und mühsamer nachgeschleppt und wohin zuletzt rascher aufzubrechen den letztern nur die Angst getrieben hatte, es könnte seine auf dem Donau-Main-Kanal dorthin nachdirigirte Bagage und vorzugsweise die geheimnißvolle Kiste verloren gegangen sein, bestiegen beide das Dampfboot. Das war dann eine herrliche Donaufahrt. Die Passagiere: Soldat, Bauer, Bürger, wiener Bürger, Baron, österreichischer Baron, Geistliche, Passauerinnen – die mit ihren Augen die »pössauer Kunst« üben! sagte Schnuphase –, Linzerinnen, hübsche, »etwas gör zu blösse« junge Mädchen mit großen goldenen Helmen auf dem Kopf – »die mit russischen ›Herrschöften‹ scheinen gereist zu sein!« – sein Schmunzeln wurde nun unbefangener. Ein Gemisch war es, das sich an Buntheit sicher noch vermehrt hätte, wäre nicht außerdem noch nach Wien die »Ordinari« gegangen, ein großes Floß, das vielleicht Thiebold, als Holzhändler, aus Esprit de corps und »einmal zur Abwechselung« als Reise-Gelegenheit vorgezogen hätte.

Hinter Passau folgte die Revision der Pässe, die Identificirung der Personen. Schnuphase erhob sich so eifrig von der ersten »Vöslauer«, einer österreichischen Weinsorte, die er vorzugsweise zu studiren begehrte, und reichte seinen Paß so kühn über die Häupter aller Handwerksbursche hinweg, daß ihm Benno sagte: Aber machen Sie sich durch übermäßige Loyalität doch nicht verdächtig! Die Gepäckrevision vermehrte nur Benno's Staunen über Schnuphase's »Mission«. Die Mauthbeamten lasen gewisse, ihnen vom Stadtrath dargereichte Zettel, griffen ehrerbietigst an ihre Mützen und ließen alles ununtersucht. Die geheimnißvolle Kiste, das sah er bei dieser Procedur, war mit Wappensiegeln verschlossen.

Benno's Gemüth wandte sich jedoch wieder innenwärts und gerieth in immer tiefere Spannung – abwechselnd bald der Freude, bald der Trauer. In die hellgrünen Wellen sah er, wie 101 in einen Krystallspiegel mit magischen Bildern. Er verglich, was ihm wohler gethan: Sein alter Irrthum oder jetzt die Wahrheit! Auch Armgart's Bild verfolgte ihn und mehrte seinen Kummer. Die grünen Berge, die den Strom verengten, konnte er nicht sehen, ohne sich auf ihren Spitzen Armgart zu denken. Welch neue Erscheinungen standen ihm bevor –! Wie sollte er sich ihnen nähern –! Unter welchen Veranlassungen –! Er sah voraus, daß er, wie sein Bruder es sogleich gesagt hatte, vorziehen würde zu bleiben, was er bisher gewesen.

In scharfen Contouren lagen die schon von frischgefallenem Schnee glänzenden steirischen Alpen vor seinem wehmuthumflorten Auge. Die an den Ufern des buchten- und windungsreichen Stromes liegenden Städte schimmerten in heller Pracht mit ihren über und über weißgetünchten Häusern und Kirchen. Linz war erreicht. Ein kurzes Nachtlager folgte. Dann wurden die »Wirbel und Strudel« befahren, die mehr zu reden als zu befürchten gaben. »Auen« und Inseln, die mitten in der Strömung auftauchten, erinnerten an die »Weerthe« des geliebten heimatlichen Stromes – an »Lindenwerth«. Mit schmerzlichem Sinnen gedachte er des vorjährigen Herbstes und der verklungenen Hoffnungen desselben. Eine verlorene Liebe ist wie eine zerstoßene Perle, die den Becher eines ganzen Lebens würzt – wie ein Tropfen zerflossenen Goldes, womit ein Maler auf der Palette seine sämmtlichen Farben mischt!

Je näher man Wien kam, desto feierlicher und geheimnißvoller erschien ihm alles. Mit einem Herzen voll Glück, hätte sich ihm manches zugänglicher und verständlicher gemacht. Ohnehin weckt das Schöne vielen Gemüthern nur Trauer. Schön war hier alles! Auch hier ragten hohe Bergkanten, wie Geierfels und Hüneneck, schroff empor. Auch hier blinkten im wilden Gestrüpp der Büsche, im Geröll zerbröckelnder Burgmauern die 102 Edelsteine der Sagen aus alten Zeiten. Auch hier konnte auf Burgaltanen das Auge noch einen fern im Winde wehenden Schleier und das Winken eines Gefangenen sehen mit der bunten Schärpe aus der Hand der Geliebten. Hohe Schlösser, wie Schloß Neuhof, seines Vaters stolzer, erinnerungsdüsterer Stammsitz, ragten auf. Meist bargen sie Chorherren und Mönche. Bonaventura, wußte er, hatte Verehrung vor ihnen, weil ihre Bewohner, Benedictiner, den Wissenschaften obliegen. Oft im Frühjahr, nach dem Kampf mit Rother, äußerte er den Wunsch, sich hierher oder in die alten Klosterbibliotheken der Schweiz flüchten zu dürfen. In einzelnen Booten und auf Flößen sah man Processionen, die nach »Maria-Taferl« wallfahrteten.

Viele von den Pavillon-Passagieren kamen erst jetzt aus den Bädern zurück. Es fanden Erkennungen und Begrüßungen statt, auch Misverständnisse und in ihrem Gefolge Entschuldigungen. Eine Unterhaltung boten vier in Linz auf Verdeck genommene kleine Wägen, deren Inhalt aus Löwen und Tigern bestand, Nachzüglern einer in Wien schon befindlichen Menagerie. Ein Witzbold erklärte die Gefangenschaft des Richard Löwenherz auf dem gegenüberliegenden Dürrenstein mit den Worten: »Aber erlaubens, wann auch so ein Engländer mit einem Löwen statt 'nem Pudel reist, da hat der Herzog Leopold von Oesterreich dazumal alle Ursach' gehabt, den Mann einstecken zu lassen!«

Schnuphase war wie im Vorhof des Paradieses. In Linz schon traf er den Geschäftsfreund, an welchen er doch erst für Wien empfohlen war, den Mitbesitzer der Paramentenhandlung »Pelikan & Tuckmandl« auf der Currentgasse. Herr Calasantius Pelikan kam ihm schon bis Linz entgegen! Das war doch Gemüth und Gastfreundschaft! Der kleine, dicke, entschieden auftretende Mann mit pechschwarzen, fast zottigen Augenbraunen, Ringen an den Fingern, in grünem Frack, rothem 103 Halstuch, gelber Weste, dem lustigsten Farbencontrast, behandelte das Erdenleben wie einen ewigen Fasching.

Schnuphase zog Benno in die Besiegelungen der Freundschaft mit diesem Herrn Pelikan hinein. Der »für die Ewigkeit« geschlossene Bund gab den Mittelpunkt der ganzen Schiffsconversation. Im Bewußtsein seiner vertraulichen Beziehung zu dem zweitersten Manne dieses großen Staates ergab sich Schnuphase der sorglosesten Sicherheit. Er sah im Geist schon den Stephansthurm umringelt von oben bis unten mit »Praterwürsteln«. Im »Sperl« hatte er durch Herrn Pelikan einen so gut wie schon »belegten« Eckplatz und in »Dommayer's Casino« in »Hietzing« wurden durch ihn und alle, die mit ihnen speisten, bereits die »Backhändln« rar. An der Schiffs-Table-d'hôte that er es nun auch unter Champagner nicht mehr und nur immer hinterrücks mußte Benno an seinem Sommerrockärmel zupfen, um ihn zu bewegen, gegen seine Tischnachbarn den großen Allmächtigen aus dem Spiele zu lassen, den er schon halb seinen besten Freund nannte.

Schnuphase's eigenthümliche »S–pröche« nannte Herr Calasantius Pelikan zum tiefsten Schmerz des Stadtraths: »Preußisch!« Nach dem Diner schmollte Schnuphase ganz kokett über diese Aeußerung. Er wollte gern etwas schlummern – darum blinzelten die Aeuglein so liebevoll und schäkernd. Nach einer halben Stunde aber schon hatte er es auf die »Donauweibln« abgesehen. Er begab sich schwankenden Fußes auf den dritten Platz und band dicht neben den reißenden Thieren ein Gespräch mit jenen blassen volksthümlichen Linzerinnen in ihren goldenen Helmen an, sie fragend, ob sie keine Furcht hätten da vor denen Löwen und »Pönthern« und »Hyönen« oder, wie sich der ebenfalls schmunzelnd hinter ihm hertrottelnde Calasantius ausdrückte: »vor oall den talketen Koatzen?« Zuletzt verfügten sich beide ernstlich zur Ruhe.

104 Immer fester und enger schlang sich das Band der neuen Eindrücke um Benno. Eine »Musikbanda« kam aufs Schiff und spielte. Bei einer Frage um den Grafen Hugo von Salem-Camphausen verwickelte sich Benno in Gespräche mit einigen Offizieren. Seines fesselnden Eindrucks wegen gab man ihm mehr als gern Gehör und orientirte ihn in jeder Weise. Benno studirte dabei das eigenthümliche, zwischen Französisch und Wienerisch gehaltene »Plauschen« der österreichischen Aristokratie. Früher schon einmal hat der Erzähler dieser Geschichten das Wesen der meisten Menschen nach dem Durchtönen der am häufigsten von ihnen gebrauchten Vocale unterscheiden wollen. Demnach sind die Menschen entweder in A gesetzt (sie sind würdevoll und gleichmäßig), oder in I (sie sind verwundert und fröhlich), oder in O (Hypochonder), oder in U (Mystiker), oder in E (Tadelnde, Nergelnde, Mäkelnde). Die österreichische Aristokratie ist in E gesetzt. Sie tadelt und kritisirt in einem fort. Benno blickte in eine seltsame Welt, die ebensoviel Selbstbewußtsein, wie plötzlich mitunter einen Mangel jeder positiven Unterlage offenbarte. Selbst die allgemeine Heiterkeit und Lust schien sich zuweilen in eine Maske zu verwandeln.

Als Schnuphase noch in der Kajüte schnarchte, erwies sich Herr Calasantius, der zeitiger zum Bewußtsein zurückgekehrt war, als ein Mann von Gefälligkeit. Herr Pelikan war ein »nach Wien geheiratheter« Böhme. Er hatte gehört, Benno würde in einem geistlichen Hause auf der Freyung wohnen und stellte demzufolge seinen Paramentenhändler heraus. Der Onkel Dechant hatte Benno an einen alten Freund und Correspondenten, den ehemaligen Chorherrn der Prämonstratenser, Herrn Pater Grödner, empfohlen, einen Gelehrten, der an öffentlichen Anstalten Unterricht gab. Herr Calasantius Pelikan beschrieb diesen Mann und sein Haus nach genauester Bekanntschaft. Von seiner eigenen 105 Niederlassung in der Currentgasse erzählte er, sie läge in der Nähe jener Behausung, wo einst die allerseligste Jungfrau dem heiligen Stanislaus von Kostka erschien und ihm das Jesuskind zum Spielen auf die Bettdecke setzte. Bei ihm würde der Herr Stadtrath wohnen. Sein Schwager, Herr Nepomuk Tuckmandl, wäre der Herbergsvater der Goldsticker, bewahre die Innungslade und ginge bei den Processionen voran. Alles das würde jetzt wieder »so schön und neu« aufgerichtet und der Herr Stadtrath würde, im Vertrauen gesagt, »unter hoher Protection«, einen »christlichen Gesellenverein« einrichten, was bei dem »Geist der Zeit« allerdings einige »Schwürigkeiten« haben würde.

Auf jedes Uebermaß der Freude folgt Ernüchterung. Schnuphase hatte nach dem Erwachen besorgliche »Zus–tände« – Nachwehen, Beklemmungen. Die bald erreichte große Stadt fiel ihm schwer aufs Herz. Er beschwor Benno, ihn in dem Gewirr nicht zu verlassen. Auch seine »Mission« flößte ihm Besorgnisse ein. Er wiederholte in allem Ernst, daß er die »Audienz« lieber anträte mit »Unters–tützung« eines »gewöndteren Rödners«. Könnt' ich mich Ihnen doch nur ganz »öffenbören« – hauchte er in allem Ernste.

Nach Ihrer vornehmen Kiste zu schließen, sagte Benno, vermuth' ich, daß es, um in der ehrenvollen Eigenschaft Ihres Mitbeauftragten zu erscheinen, der Protection des fürstlichen Kellermeisters bedarf!

Schnuphase seufzte auf, gleichsam wie unter einer schweren Last.

Es war schon dunkel, als endlich Nußdorf erreicht war. Die Mauth ist ein chemisches Reagens, das alle Verbindungen löst. Jeder muß an sich selbst denken. So fuhr Benno in die innere Stadt allein.

Der Chorherr der aufgehobenen Prämonstratenser, Herr Pater 106 Grödner, war vollkommen unterrichtet und nahm ihn freundlich, wenn auch etwas befangen, in einem großen geistlichen Hause auf. Der Onkel Dechant hatte ihm vorausgesagt: Pater Grödner ist ein Hypochonder, wie im Grund ganz Wien deshalb nur ausgelassen lustig ist, um seine plötzlichen Anfälle von Hypochondrie vergessen zu können. Benno erhielt einige, ihm allein angehörende Zimmer.

So spät es war, eilte er noch denselben Abend ins Freie. Das Gefühl: Hier leben dir eine Mutter und eine Schwester! Zwei Wesen, die sich selbst nicht kennen, die sich auch wol kaum finden werden, wenn ich sie nicht vereinige! drohte ihm die Brust zu zersprengen. Jede weibliche Gestalt, die er an sich vorübergehen sah, betrachtete er mit prüfendem Auge. Von Angiolinen hatte er gehört, daß sie Lucinden ähneln sollte.

So schritt er planlos dahin und athmete ebenso das allgemeine Leben der großen Stadt ein, wie vorahnend und vorempfindend schon das Geheimleben, das gerade nur für ihn diese Steinkolosse bargen. Erst ein Regenschauer führte ihn nach Hause zurück. Da ihn der alte Chorherr in nichts stören wollte, fand er ein Nachtmahl für sich allein bereitet.

Am folgenden Morgen war das Wetter wunderschön. Es hatte die Nacht hindurch geregnet. Eine laue Luft wehte, wie im Frühling. Sein Wirth war bereits etwas freundlicher geworden. Der lange hagere Herr, der bejahrter war, als er aussah, lud ihn zu einer Spazierfahrt ein, sogar zum »Speisen« in Hietzing. Auch vom Dechanten, von Monika, von der Seherin von Westerhof wollte er hören. Auch mit der Aebtissin der Hospitaliterinnen, bei welcher Monika so lange Jahre klösterlich gelebt hatte, mit Schwester Scholastika war er bekannt. Selbst von Bonaventura hatte er schon gehört. Bald sprach er vom Cardinal Ceccone. Dieser wohnte ganz nahebei. 107 Benno wollte so schnell als möglich die Depeschen an den Cardinal und den Staatskanzler abgeben. Der Chorherr schlug, um alle diese Commissionen mit Bequemlichkeit auszurichten, einen Fiaker vor, den man nehmen wollte. Er gehörte, nach Aufhebung seines Klosters, schon seit Jahren einer höhern Studienanstalt an, die gerade jetzt Herbstferien hatte. Alle Erläuterungen, die er gab, begleitete er mit einem eigenthümlich seufzenden Lächeln. Er sprach nicht drei Worte, ohne sich selbst zu ironisiren.

Als der Chorherr einen Fiaker bedungen hatte, fuhren sie erst bei Ceccone in einem nahen und bescheidenen Palais an. Benno gab nur einfach die von der Stellvertretung des Kirchenfürsten ihm übergebenen Briefe ab. Ihre Adresse ist nicht nöthig! sagte der Chorherr mit trockener Ironie. Wo Sie wohnen, das weiß heute früh schon jeder – Polizeivertraute.

Auf der Herrengasse vor dem Palais des Grafen Salem-Camphausen ertheilte ein Portier in den Camphausen'schen Farben den Bescheid, daß die Frau Gräfin verreist und der Herr Graf auf Schloß Salem wäre. Benno übergab ein an den Grafen gerichtetes Billet, das er für diesen Fall bereit gehalten hatte. Sie bringen dieser Familie die Erlösung, sagte der Chorherr, und müssen noch erst selbst anklopfen! Gerade wie in der Pastoraltheologie –!

Noch ehe Benno aus seinem Nachsinnen erwacht war, hielt schon der Wagen vor der Staatskanzlei. Auch hier stiegen beide aus und übergaben dem Portier die Briefschaften. Pressant! sagte der Chorherr zum Portier. Se. Durchlaucht lesen die Briefe lieber des Morgens, als des Abends –! Der Portier hatte ihm die Briefe mit zu viel Gleichmuth in seine Loge gelegt.

Daß doch die Briefposten selbst für die Staatsmänner nicht sicher sind! sagte der Chorherr beim Einsteigen. Ich glaube, es kommt daher, weil die Staatsmänner ein schlecht Gewissen haben und 108 die Behandlung der Brieffelleisen kennen. Wenn Sie Geheimnisse haben, Bester, so nehmen Sie nur ja erst Oblaten und dann Siegelwachs! In solchem Fall muß wenigstens das Couvert abgerissen und aufrichtig darauf geschrieben werden: »Mangelhaft verschlossen!«

Seine Empfehlungen an ein Haus Zickeles abzugeben wollte Benno noch aufschieben.

Haben Sie noch sonst eine Commission in der Stadt? fragte der Chorherr.

Benno kämpfte mit sich, die Namen Angiolina Pötzl und Herzogin von Amarillas zu nennen.

Er unterdrückte den Reiz und gab gern seine Zustimmung, als der Chorherr vorschlug, den Wagen nun zum Burgthor hinausfahren zu lassen.

Die Unterhaltung konnte nur Erläuterung zu den bunten, mannichfach wechselnden Eindrücken der Fahrt sein. Maria-Treu das! sagte der Chorherr, auf eine Kirche deutend. Wir haben Maria-Stiegen – gehört nunmehro den Jesuiten! Maria-Treu – gehört den Piaristen – la même chose –! Maria-Schnee – gehört den Italienern. In Rom zählt' ich fünfundzwanzig Marienkirchen – ich war in Rom – Ei, da sehen Sie! Auf dem Gebirg ist die Nacht schon Schnee gefallen! Da hinunter zu, wo Schloß Salem liegt! . . . Kennen Sie die Sage von Maria zum Schnee? Einige hundert Jahre nach dem Tod unsers Herrn und Erlösers wußte ein reicher Römer keinen Platz, wo er eine Kirche bauen sollte. Die Gottesmutter erschien ihm und zeigte ihm den esquilinischen Hügel, wo die Nacht Schnee gefallen war. Es ist ein ganz sinniger Zug, daß man den Italienern auch hier die Kirche »Maria-Schnee« gegeben hat! Maria-Schnee ist das Symbol von Rom in seinem Verhältniß zu Deutschland –!

109 Benno konnte sich allmählich denken, daß die Freundschaft des Onkel Dechanten für diesen Chorherrn wohlbegründet war. Doch mochte er sich nicht von selbst in die Innenwelt des aufgeklärten Mannes drängen.

Bei dem zu Hietzing in einem besondern Cabinet eingenommenen Mahle ergab es sich, daß der Chorherr jene sich auf sich selbst stützende Kraft des reichen Klosterlebens alten Styls repräsentirte. Ein lebhaftes Unabhängigkeitsgefühl trat immer mehr zu Tage. Und beim Wein löste sich vollends die Zurückhaltung des unterrichteten und höchst scharf urtheilenden Mannes. Der Chorherr war ein Bürgerssohn aus dem Salzburgischen, hatte Reisen gemacht, gelehrte Werke herausgegeben und stand seit der Aufhebung seines Prämonstratenserstifts nur noch im losen Zusammenhang mit dem Klerus. Immer heiterer und heiterer wurde er. Das ganze gleichsam zurückgetretene Liebesgefühl und Liebesbedürfniß des katholischen Priesters, das sich bei würdigen Naturen in einem nicht zu misdeutenden Bedürfniß auch nach männlicher Freundschaft und namentlich zu Jünglingen ausspricht – wodurch gutgeartete und geistbegabte katholische Priesternaturen eine seltene Befähigung zur Erziehung gewinnen – kam auch bei dem bisher so trockenen alten Herrn ganz zum Vorschein. Er konnte die Hand des jungen Mannes wie ein Verliebter drücken.

Beim Dessert sprach er schon wie ein Vater mit seinem Sohn. Es war ihm nichts fremd von dem, was die Welt bewegte. Nun kam alles heraus. Er las, was nur dem Gebildeten zu kennen geziemt. Und seine Belesenheit und sein Wissen war, auch das blitzte nun auf, wie eine geheime Waffe gegen seinen eigenen Beruf, eine geheime Rüstung für die künftige Zeit. Als Benno die Donaureise beschrieb und mit unverhohlenem Freimuth auf die Zeiten zu sprechen kam, wo, wie einst der 110 Jesuitengeneral zu Terschka geklagt hatte, sieben Achtel der österreichischen Lande protestantisch waren – als er vollends den Bauernaufstand des Stephan Fadinger erwähnte und, bei Gelegenheit der Wohnung Schnuphase's, die Weigerung des frühern luther'schen Hauswirths des heiligen Stanislaus, das Allerheiligste in sein Haus kommen zu lassen – da sagte der Chorherr unerschrocken: Wir werden noch einmal wieder zurückkommen müssen auf das sechzehnte Jahrhundert, mein Lieber! Wir werden noch einmal da anfangen, wo der gute Luther stehen geblieben ist, ehe die Habsucht der sächsischen und hessischen Fürsten den seltenen Mann in Beschlag nahm und ihn selbst die Ausartungen seiner Reform erschreckten! Freilich ist ein Volk, das in einer Wallfahrt ein Gemüthsbedürfniß befriedigt, ein Volk, das sich zu einer Bruderschaft zum »Todesschweiß des Erlösers« wirklich zahlreich einschreiben lassen kann, nicht sofort durch Kant und Hegel für die Aufklärung zu gewinnen. Das Kreuz des Erlösers wird die Reform doch wol immer mittragen müssen!

Benno hörte hier die Ansichten Bonaventura's.

Nach Tisch wandelten beide, jetzt schon innigst vertraut geworden, in dem bereits entlaubten Park von Schönbrunn. Der Chorherr legte seinen Arm in den Arm seines jungen Freundes. Mit dem Blick auf die Außenwelt, mit dem herbstlichen Laub, das der Wind vor ihnen her fegte, kehrte auch die Hypochondrie des Greises zurück. Das herrliche sonnige Wetter hatte die Käfige der kaiserlichen Menagerie geöffnet. Benno folgte dem Zuge der andern Spaziergänger, folgte dem Lachen über die Kunststücke der Affen, dem Brüllen der Löwen, dem Gekrächz der Vögel. Der Chorherr gab nach, obgleich er sagte: Diese Gefangenen machen mir Melancholie! Bestien gehören in die Wüste und der Mensch steht gar zu feige vor so einem Gitter und freut sich, daß er im Sichern ist!

111 Als sie dann im Strom der andern den Behältern näher gekommen waren und vor einem mächtigen Königstiger eine elegante Gesellschaft von Herren und Damen fanden, die mit italienischen Anrufen das unruhig hin- und hergehende, bedenklich schon den Schweif schlagende Thier reizten, sagte der Chorherr: Und das fehlte nun noch! Die feigste Nation von der Welt bekommt hier Courage –! Die Neckenden schienen sämmtlich Italiener zu sein.

Es waren einige Offiziere darunter, die der italienischen Nobelgarde angehörten. Einige andere gehörten zum Civil. Den Mittelpunkt bildete eine einzige, kleine junge Dame, die sich im Necken des Tigers bis zur Ausgelassenheit gefiel. Die schlanke und gestreckte Gestalt des aufgescheuchten Thieres wand sich in gleichmäßigen Schritten bald rechts, bald links. Das grünlich-graue Auge funkelte phosphorartig. Es war auf die leuchtenden Farben des Kleides und vorzugsweise auf die des kleinen Sonnenschirms der jungen Dame gerichtet, die nicht aufhörte, mit einer rauhen, befehlshaberischen Stimme den Tiger anzureden und in steigende Gereiztheit zu versetzen.

Plötzlich fiel der kleine Sonnenschirm in den Behälter des in kurzen Sätzen stöhnenden Thieres, aus dessen Augen helle Funken zu sprühen schienen – Vorboten der ausbrechenden Wuth.

Die italienischen Herren lachten laut auf.

Benno, der dicht dabeistand, hörte vom Chorherrn die verächtlich geflüsterten Schiller'schen Worte:

»Herr Ritter, ist Eure Liebe so heiß,
Wie Ihr mir's schwört zu jeder Stund',
Ei, so hebt mir den Handschuh auf!«

Die sämmtlichen Umstehenden schienen entweder kein Deutsch zu verstehen oder nichts von Schiller's Ballade zu wissen.

Die Italienerin war jedoch von dem eigensinnigen 112 Temperament des Fräuleins Kunigunde im Gedicht. Wie ein verwöhntes Kind beklagte sie ihren »Ombrello« und verlangte ihn zurück.

Die Herren sprachen vom Wärter, den sie rufen wollten.

Um den etwa einen Fuß vom Gitter entfernt liegenden Gegenstand kümmerte sich der Tiger nicht, wie wenn er ihm ja doch gehörte, sondern ging nur nach wie vor schnaubend auf und nieder oder stellte sich zuweilen zum Sprunge. So bot er den Zuschauern alle Veranlassung, ohne Dazwischenkunft des Wärters den Sonnenschirm ruhig liegen zu lassen.

Jetzt erst sah Benno das Antlitz der Kleinen. Sie war äußerlich ein halbes Kind, und doch zeigte sich eine Endschiedenheit der Mienen, die fast erschrecken konnte. Die Haut, an sich zart und pfirsichweich, spielte ins Grüngelbe. Die Augen waren schwarz, die Lippen rubinroth, die Zähne blendendweiß. Das in Flechten unter dem Hute sichtbare Haar hatte ein echt italienisches Blauschwarz. Die Augenbrauen riß die junge Dame hoch auf wie aus Zorn, Verlegenheit und Beschämung. Alle Zähne sah man dann. Ihr Wesen hatte selbst etwas Thierisches.

Am ungeduldigsten und eifrigsten, dem fortwährend um ihren Ombrello klagenden Kinde von kaum zwanzig Jahren eine Beruhigung zu gewähren, zeigte sich ein junger eleganter Mann von derselben Unreife der äußern Erscheinung, doch mit ebenso sichern und lebhaften Manieren. Die Kleine warf dem Dandy in gelben Glacéhandschuhen vor, daß er aus Furcht vor den möglicherweise durchgesteckten Tatzen des Tigers nicht einmal zwei Schritte bis ans Gitter zu gehen wagte.

Die andern Italiener lachten und machten Späße über die Anwendung, die ein bengalischer Tiger von einem mailänder Sonnenschirm machen könnte. Sie wollten, »wie gesagt«, den Wärter rufen.

Die zornige junge Dame war, um den Sonnenschirm herauszuholen, nahe daran, einem der Offiziere den Degen 113 aus der Scheide zu ziehen. Perchè ella ha quello spiedo! sagte sie.

Inzwischen hatte Benno statt des »Bratspießes«, wie die Dame den Offiziersdegen genannt hatte, verkehrt sein leichtes Spazierstöckchen ins Gitter gehalten und mit dem Griff desselben, während die linke Hand den erschrocken nach ihm greifenden Chorherrn zurückhielt, den Sonnenschirm aufgegabelt und herausgezogen. Der Tiger blieb ruhig stehen und hinderte die Procedur nicht.

Mit dem geläufigsten Italienisch übergab Benno der ihm überrascht ins Antlitz sehenden Dame den Schirm: Anche le fiere del deserto cognoscono la civiltà, que si deve alle signore –!

Grazie, Signore! sagte die junge Dame mit plötzlich veränderter, nun hold süßer Stimme.

In diesem Dank, in dieser leichten Verbeugung lag eine Anmuth, die selbst den Chorherrn bestimmte zu sagen: Der Blick war freilich werth, die »Artigkeit der Wüstenthiere auch gegen Damen« zu riskiren! Aber ein merkwürdiges Gesicht das! Ich möchte sagen die Schönheit der Häßlichkeit – Eine Stumpfnase, eine gewölbte Stirn, ein mürrisch hängender Mund, alles in Brillantfeuer verwandelt durch ein einziges Lächeln!

Benno fiel Lucinde ein. Lucinde war schöner, edler gewachsen: bei ihrer gemeinschaftlichen Fahrt von St.-Wolfgang nach Kocher am Fall im vorigen Jahre hatte sie so im Wagen neben ihm gesessen, so von phantastischen Schlössern geträumt, ganz eine Weile mit diesen verklärt bestrickenden, koketten Augen.

Die Italiener waren inzwischen verschwunden und hatten sich wahrscheinlich zu »Dommayer's« begeben. Benno und der Chorherr fanden ihren Wagen am Eingangsportal des Schlosses. Ersterer sagte: Diese italienischen Nobili, die hier die Politik zu einer Garde vereinigt, kommen mir, im umgekehrten Verhältniß, vor wie die Heerführer der alten Deutschen, die bei den Römern als Geiseln´114 lebten. Sie sollen die deutsche Weise annehmen und in Mailand keine Verschwörungen machen. Es wird damit werden, wie mit dem Arminius. Der lernte auch in Rom die Handgriffe der römischen Kriegskunst und schlug damit die Römer! Vom Schwert dieser Italiener droht uns allerdings wenig Gefahr; aber den Dolch haben sie – das Gift und – Rom! Doch – was thu' ich – hüten Sie sich ja, hier von Politik zu sprechen! Das Spionirsystem erstreckt sich bis ins Innerste der Familien. Was die Polizei nicht thut, thut die Loyalität von selbst. Die Sucht nach Auszeichnungen und Anerkennungen ist so groß, daß Menschen hier auf die gemüthlichste Weise mit Ihnen scherzen können und Sie dennoch denunciren – aus »Patriotismus«! Wer weiß, ob Sie vor mir selbst sicher sind!

Benno ergriff lächelnd den Arm des lieben Greises und drückte ihn an seine Brust. Auf seine Aeußerung, daß Rom denn doch wol ein treuer Verbündeter des Kaiserstaats wäre, erwiderte der Chorherr: Man glaubte eine Zeit lang, Cardinal Ceccone würde seine Macht verlieren. Seine Gegner im Vatican, besonders Fefelotti, triumphirten schon. Jetzt scheint es, hat er mit den Jesuiten ein Compromiß geschlossen und hält jetzt wieder alle Bannstrahlen in der Hand. Sein Auftreten bei uns ist bedeutungsvoll. Nunmehr scheint alles, was man für die innere Reform unserer Kirche gehofft hatte, verloren zu sein. Die unglückselige Manie der Fürsten und Staatsmänner, Eine Gefahr nur, die der Revolution, zu sehen. Sie macht sie wider Willen zu Beförderern des Aberglaubens und der Hierarchie. Der Staatskanzler selbst haßt die Jesuiten; aber sie nehmen seine Devise an und sagen: Nous sommes conservateurs comme vous! Was will er machen! Dafür, daß wir den Jesuiten Deutschland geben, erbieten sich die Jesuiten an, Oesterreich Italien zu lassen. Doch in diesen italienischen Köpfen ist es selbst unter dem Purpurhut 115 nicht geheuer, und sie betrügen uns alle, wenn ihre Eitelkeit einen Schein von Selbständigkeit erringen kann.

Benno, Ceccone's Stellung und die Zähmungsmittel der Jesuiten aus seinem eigenen Dasein kennend, fragte schüchtern nach dem Cardinal und ob sein Gönner ihn gesehen hätte. Er wagte noch nicht, tiefer zu dringen.

Hier sah ich ihn noch nicht! erwiderte der Chorherr. Aber vor Jahren in Rom. Ich machte eine Reise dorthin zu einer Zeit, wo unser Deutschland noch wenig erst von der römischen Curie beachtet wurde. Wie unschuldig nimmt sich unser deutsches Kirchlein Maria dell' Anima in Rom aus –! Die Franzosen und die Spanier haben sich dagegen seit Jahrhunderten wahrhaft königlich in Rom zu vertreten gewußt. Unser Kirchlein hat noch etwas vom welschtirolerischen Geschmack. Es macht den Eindruck des ehrlichsten und aufrichtigsten aller Gotteshäuser in Rom. Auf die Phantasie wirkt's nit, das ist wahr; nur ein reines Herz und einen rechten Drang zum Beten muß man mitbringen, um sich in dem Raume zu gefallen. Ja wovon – Vom Ceccone sprach ich! Den sah ich öfters. Ihn und die meisten Cardinäle. Man muß sagen, diese Monsignori sind Menschen, für die Gott ein eigenes Paradies und eine eigene Hölle muß erschaffen haben. Sie scheinen noch alle wie aus dem Stamm des Cäsar Augustus zu sein. Quos ego! und das tyrannische Wort doch nur so mit einem smorzando ausgesprochen – ganz nur so hingelächelt! Neptun's Dreizack geschwungen mit weißen Ballhandschuhen – womit Sie auch immer Se. Heiligkeit werden bekleidet sehen! Sie wollen doch wol nach Rom? Immer hat der Heilige Vater, auch wenn er die Völker segnet, weiße Handschuhe an –! Ja diese Cardinäle –! Wie gesagt, bei denen wird das Unmögliche möglich mit – kopfabschneiderischer Grazie! Nur allein die Art, wie diese Ceremonienmeister des Himmels über 116 die Marmorböden hinwegschreiten oder wie sie die Messe lesen, falls sie die vollständigen Weihen haben – 's »laßt« sich nicht beschreiben.

Benno war in stetem Bangen um die endliche Erwähnung seiner Mutter. Doch blieb die Erörterung weiblicher Beziehungen des römischen Klerus aus.

Der Chorherr ließ in der Stadt vor dem Bankierhause Marcus Zickeles halten. Es war die Mittags- und Börsenzeit. Niemand zugegen als ein Buchhalter, dem er seine Creditive überreichte. Am Abend besuchte er das Kärntnerthortheater, wohin ihn der Chorherr nicht begleitete.

Von der Herzogin von Amarillas erfuhr Benno durch Erkundigungen, daß sie im »Palatinus« wohnte. Mit klopfendem Herzen näherte er sich diesem Gasthof, sah das Eingangsthor mit Dienern in prächtigen Livreen besetzt, hörte italienisch sprechen. Von einem Mohren hieß es, er gehöre dem Principe Rucca. Mit der sogenannten »Gemüthlichkeit« der Wiener stand die kurze Art, wie er auf seine Fragen da und dort Auskunft ertheilt bekam, nicht eben im Einklang.

Am folgenden Morgen sprach der Chorherr seine Verwunderung aus, daß noch kein Lebenszeichen von der Nuntiatur und von der Staatskanzlei gekommen war.

Benno erwiderte: Wie wäre das auch möglich! Ich brachte keine Empfehlungsbriefe. Man erwartet mich hier nur in der Herrengasse. Wie weit liegt Schloß Salem?

Mindestens vier Stunden! sagte der Chorherr und lud Benno zur Besichtigung der Gemäldegalerie im Belvedere und dann zu einem Spaziergang im Prater ein. Die Urtheile des Chorherrn über die Schätze der kaiserlichen Bildergalerie waren treffend und zeigten ein Bindeglied mehr zwischen ihm und dem Onkel Dechanten. Wie warm und lebendig wurde er, im Gegensatz zu 117 »Maria vom Schnee«, über Rafael's »Maria im Grünen«! Wie still und ruhig das alles ist! sagte er im Anschauen. Noch spielen die Kinder mit dem Kreuz, das sie künftig tragen sollen –! Und fast hastig führte er Benno zu Carlo Dolce's Bild: »Die Wahrheit« – analysirte es und sah sich scherzend dann mit den Worten um: Warum nur auch ein solches Bild – noch nicht verboten ist!

Beim Verlassen der nur flüchtig durchwanderten Säle zeigte der Chorherr eine italienische Villa mit noch grünem Rasen. Der Sommeraufenthalt des Staatskanzlers! erklärte er. Zum Prater wurde dann ein Fiaker genommen.

Als sie den schon ziemlich laublosen großen Park erreicht hatten, stiegen sie aus. Da rief der Chorherr plötzlich: Schauen Sie dort. Ist das nicht Ihre gestrige Dame?

Eine Cavalcade von Reitern sprengte durch die Allee. In ihrer Mitte eine Reiterin, eine winzig kleine Gestalt, auf deren Identität mit der gestrigen Tigerbekanntschaft der Chorherr nur der Offiziere wegen schloß, die wieder zur italienischen Garde gehörten. Sie ritten zu schnell vorüber, um alle, selbst die Dame, erkennen zu können.

Inzwischen gingen sie weiter. Der Chorherr nannte den Prater öde und langweilig geworden. Nur die Abendsonne, sagte er, macht ihn noch manchmal schön, wenn man so hinschlendert und sein Tagewerk vollbracht hat. Dann freilich kommt die Schönheit – wie so oft – auch mit aus unserm Gemüth –!

Nach einer halben Stunde kamen sie zu dem im Prater befindlichen »Hamburger Berg«, seinen Schaustellungen und Sehenswürdigkeiten. Eine Menagerie kündigte sich durch ihre ausgehängten Bilder, Papagaien und Affen an.

Zieht Sie schon wieder so ein Spectaculum? sagte der Chorherr, als Benno einer dicken, vor rothen Vorhängen sitzenden Dame 118 zunickte, die auf dem Donaudampfboot ihre verspäteten Käfige begleitet hatte.

Benno berichtete nun von seiner Dampfbootfahrt.

Da unterbrach ihn der Chorherr und zeigte auf die in der Nähe stehenden dampfenden Rosse der vorhin gesehenen Cavalcade. Die Italienerin wird schon wieder vor den Käfigen der wilden Thiere stehen! sagte der Chorherr und rief aufhorchend: Jetzt! . . . Hören Sie!

In der That hörte man drinnen eine laute Stimme italienisch rufen. Mitten durch das kurz ausgestoßene, hustende Brüllen eines gereizten Thieres vernahmen sie die Worte: Eh! Tu! Muove ti! Dormi? Non essere si pigra –!

Diese aufstachelnden Worte, so unweiblich dabei die Situation sein mochte, übten auf Benno sowol wie auf den Chorherrn so viel Reiz, daß sie die Bude betraten. In der That waren es die Italiener von gestern. »Der weibliche Zwerg«, wie der Chorherr übertreibend die Italienerin nannte, stand diesmal mit der Reitgerte vor dem Käfig einer jungen Löwin und reizte sie zu einer solchen Wuth, daß schon der Aufwärter herbeilief und dringend um Mäßigung bat.

Benno sah voll Staunen dem wilden Spiel der Italienerin zu. Die junge Löwin sprang bald an die Gitterstangen, bald rannte sie im Kreise und stieß Töne aus, die wie aus dem Widerhall einer mächtigen Felsenhöhle kamen. Im schwarzen Tuchrock, mit der linken Hand die lange Schleppe haltend, stand das kleine Wesen von gestern, dessen Kopf wenig über die Stellage, worauf der Käfig ruhte, hinausragte, und schlug mit der Reitgerte bald nach links, bald nach rechts in die Stäbe hinein. Wieder lachten die Herren und bedeuteten den Wärter, er möge der Signora »nicht ihr Vergnügen rauben«.

Von fernher lauschte die geputzte »Merchand' mod'«, wie sie 119 auf dem Dampfschiff geheißen hatte, eine Holländerin, an dem rothen Vorhang. Schon wurde von ihr ein junger Mann, ihr Begleiter, angerufen, er solle sich ins Mittel legen, als die Italienerin von ihrem Uebermuth plötzlich abließ. Sie hatte Benno erblickt. Mit kalter Ruhe stand sie noch eben vor dem Käfig und trieb ihr Spiel – jetzt war sie wie entwaffnet. Ein rosiger Hauch der Freude überflog sie. Mit dem Schein der mädchenhaftesten Schüchternheit senkten sich die langen blauschwarzen Augenwimpern. Mit schneller Fassung und sofort ihre Stimme mildernd sagte sie zu Benno: Ecco il domatore delle bestie feroci –!

Benno erwiderte – halb nur für sich –: Ecco la Romana –!...

Perchè Romana fragte sie, scharf aufhorchend.

Benno hatte »Romana« betont.

Una lupa e stata la nutrice di Romolo! sagte er, sprach jedoch wiederum wie nur zu ihr allein.

Ohne sich von der Voraussetzung, daß auch sie von einer Wölfin könnte genährt worden sein, getroffen zu fühlen, schloß sie sich Benno an zum Weiterwandeln. Sie gingen die Käfige entlang. All ihre Aufmerksamkeit für die wilden Thiere war dahin. Sie wollte nur Benno festhalten, nur mit diesem Fremden sprechen. Ehrerbietig grüßte sie seinen Begleiter, den sie am langen Oberrock als Priester erkannte. Kennen Sie Rom? begann sie, noch über und über erglüht.

Ich bin im Begriff, es kennen zu lernen –! sagte Benno.

Sie reisen nach Rom –?! . . . Ein Ausdruck der lebhaftesten Freude kämpfte in ihren Mienen mit der Verlegenheit, die Wirkung zu verrathen, die ihr schon seit gestern der junge anziehende Fremdling gemacht hatte.

Noch würde das Gespräch in kurzen Fragen des höchsten 120 Interesses und in ausweichenden Erwiderungen so fortgegangen sein, wenn nicht ein tragikomisches Ereigniß dazwischengetreten wäre. Der elegante junge Mann mit den gelben Glacéhandschuhen von gestern war gleichfalls zugegen und etwas vorausgegangen. Schon befand er sich am Ende der Breterbude, wo ein Elefant auf einer Art kleiner Bühne unter gemalten Draperien eingepfercht stand, an einem seiner mächtigen Füße festgebunden. Das gewaltige Thier stand sonst vor den Zuschauern völlig frei. Ehe sich der junge Mann seines Schicksals versah, hatte der sich schlängelnde Rüssel des Elefanten eine Schwenkung um ihn her gemacht und ihm in dem Augenblick, wo die Offiziere warnend Altezza! riefen, den Hut abgenommen. Die »Altezza«, demnach ein Fürst, stieß einen Schrei: Gesù Maria! aus, taumelte zurück und sank in Ohnmacht.

Die Italienerin stand noch wie von Liebeswonne durchschauert. Sie schien so abwesend, daß sie die Ursache des Rufs nicht verstand und nur den zusammenbrechenden jungen Mann sah, der noch obenein beim Fallen mit den Sporen in seinen Beinkleidern festhakte, an die Breterwand stürzte, die den ersten vom zweiten Platz trennte, und sich die Stirn blutig schlug.

Kaum sah Benno diese unerwartete Wendung eines übertriebenen Schreckens, als er schon hinzusprang und die Altezza auffing. Der Wächter hatte den Hut schon wieder zurückgegeben. Die Begleiter hatten sich geflüchtet. Sie schienen über den Elefanten ebenso erschrocken, wie die Altezza.

Voll Aerger über die störende Scene und im Nu ihren ganzen Gesichtsausdruck verändernd, sagte die Italienerin zu Benno's Begleiter: Sehen Sie da, warum man lieber die Thiere liebt, als die Menschen–! Aqua! Aqua! E una carrozza! rief sie gellend hinterher.

Der Fürst fing an sich zu erholen, versuchte zu lachen und entsetzte sich aufs neue – jetzt über seine blutigen Handschuhe.

121 Benno übergab ihn aus seinen Armen in die seiner Begleiter. Er wagte nicht weiter mitzugehen, als bis an die Vorhänge . . . »Altezza« –! Das Wort hatte ihn erbeben gemacht. Waren nicht seine Mutter und Olympia Maldachini in Begleitung eines italienischen »Principe« Rucca angekommen, eines Verlobten Olympia's –? War dies junge italienische Paar wol gar Rucca und Olympia?

Die Italienerin rief ergrimmt aufs neue: Non viene la carrozza? Fatte subito! Al monte Palatino –!

Palatino! Es war gewiß. »Monte Palatino«! Dann zu Benno rasch sich wendend, warf wie mit Zaubermetamorphose der süßeste und zärtlichste Mund von der Welt ihm ins Ohr die Worte: Besuchen Sie uns – den Principe Rucca –! Vielleicht morgen? Doch – um elf Uhr –!

Als sie dies gesagt, verschwand sie – voraussetzend, daß Benno nicht folgen würde. In ihrem Abschiedsblick lag ein Ausdruck aller Seligkeiten der Erde und des Himmels, ja als wäre Psyche zum ersten mal von Amor überwunden worden . . .

Das ist eine Eroberung! brach der Chorherr aus, als jetzt Benno wie betäubt stehen blieb. Und »Al monte Palationo!« setzte er lachend hinzu. Sie glaubt, der Gasthof zum »Palatinus von Ungarn« hätte seinen Namen von einem der sieben Hügel Roms! So sehen diese Menschen überall nur sich und ihre Anmaßung wieder! Deutschland ist ihnen nichts als eine römische Vorstadt, wo – zuweilen Schnee fällt! Ich zweifle gar nicht, es ist die – Nichte des Cardinals Ceccone, eine Comtesse –

Maldachini! fiel Benno, aus seiner Erstarrung kaum aufathmend, ein.

Eine Verlobte des Prinzen Rucca, den Sie – aus dem Felde geschlagen haben, Bester! Haha! Sie flüsterte Ihnen ja ein förmliches Rendezvous zu! Um elf Uhr! Auf dem Mons 122 Palatinus –! O, der »Palatinus von Ungarn« wird schöner als der Palatinische Berg sein!

Meine Mutter – die Dritte in diesem Bunde! – riefen in Benno's Innern tausend Stimmen. Mit bebendem Herzen und tiefbeklommenen Athems verweilte er noch einige Augenblicke. Dann traten beide gleichfalls hinter den Vorhängen ins Freie hinaus und sahen, wie eben die Herren zu Pferde stiegen und ein herbeifliegender Miethwagen den Principe Rucca und die Italienerin aufnahm.

Benno ließ nur den Chorherrn reden. Er hörte kaum, was dieser von der Weichlichkeit der italienischen Aristokratie sprach, wie er Andeutungen über den Cardinal gab, der nicht einen einzigen Winter ohne seine gewohnten Umgebungen sein könnte, vom Prinzen Rucca erzählte, dessen Urgroßvater ein Bäcker gewesen sein sollte – in Rom wäre alles käuflich, Grafen- und Fürstenhüte – nur die Cardinalshüte stünden noch im Preise.

Im Geplauder Grödner's wurde der Name der Herzogin von Amarillas nicht erwähnt und nur der nähere Zusammenhang Olympia's mit Ceccone »möglicherweise« als der des Kindes zum Vater leise und ironisch angedeutet, aber ohne genauere Kenntniß des wahren Ursprungs, den Benno vollkommner wußte – Benno wußte ihn bis zu dem Namen der Gebrüder Biancchi, deren Schwester Olympia's Mutter war. Luigi Biancchi, einer der Brüder des Napoleone und Marco Biancchi, sollte hier in Wien Musiklehrer sein. Alles das war ihm durch seinen Bruder, den Präsidenten, längst bekannt geworden.

Auch der Chorherr nahm jetzt einen Wagen. In dem Lärm der Stadt verhallte der empfangene Eindruck und die Benno durchzitternde Empfindung: Das Schicksal ruft dich selbst zu deiner Mutter –! Daß er morgen um elf Uhr im Palatinus nach – dem Befinden des Fürsten fragen würde, stand natürlich fest bei ihm.

123 Daheim fand er Karten von Schnuphase; auch von einem Harry Zickeles, der die Einladung zurückgelassen hatte, das Großhandlungshaus Zickeles zu jeder Abendstunde als ein offenes zu betrachten.

Es strömte dann ein anhaltender Regen. Benno verbrachte Stunden der höchsten Aufregung auf seinem Zimmer. Die Aufgabe, die ihm für morgen gestellt war, erforderte geistige Riesenkraft.

Erst gegen Abend ging er aus und gerieth in die Herrengasse. Das dort vom Grafen Hugo empfangene Billet durchkreuzte nun die morgenden Palatinus-Absichten. Er sollte wählen zwischen Mutter und Schwester, wen er zuerst sehen sollte –!

Mit irrendem, hin- und hersinnendem Grübeln kam er in die Vorstellung des »Hamlet«, erlebte, daß Olympia es war, die in der Loge des großen Kanzlers neben seiner Mutter auf ihn ihr Lorgnon gerichtet hielt, ihm auf italienische Art durch das ganze Theater hindurch mit ihrem Taschentuch ein Zeichen des Grußes gab – erlebte, daß auf ihn auch die Mutter das Opernglas richtete – –

Das Versagen seiner Kraft trieb ihn aus dem Theater – in Begleitung eines Mannes, der, um die Wunder, die auf ihn einstürmten, noch zu mehren, den Namen seiner Schwester trug.


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