Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VI. Buch
Karl Gutzkow

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Dreizehntes Bändchen.

1 Sechstes Buch.

3 1.

Wer konnte sonst die Namen Oesterreich und Wien nennen hören und vernahm nicht sofort Musik! Auch jetzt noch, wenn dich mit Windesflügeln von der Elbe bis an die Donau das Dampfroß in einem einzigen Tage geführt hat, grüßen den haltenden Zug mitten auf der Heide, selbst bei Nacht, zwei Stationen vor der Ankunft in Wien, Clarinette und Geige. Der Sturmwind fegt den Herbstregen an die Fenster der Waggons. Du blickst durch die beschlagenen Scheiben – nichts, als öde gespenstische Nacht vor dem Auge – und doch empfängt dich Jubel und Lust –! Dazu denn vielleicht ein seltsames Bild: Auf einen Stab gestützt, am Rand des Erdwalls, starrt ein Schäfer im zottigen Lammfell auf den haltenden Zug – ein Wanderhirt, der aus Ungarn kommt und mit seiner nächtlich rastenden Heerde weiter zieht –! Es ist ein Bild der österreichischen Geschichte. Einsame Nachtträume der Völker, sich still am Wege nach Erfüllung sehnend – unter lachender Lust und Freude.

Auch am Donaustrand – wispert es gleichfalls leise, leise um die alten Ritterburgen. Klagelaute um versunkene Banner und Kronen –! Was liegt nicht im feuchten Schose der Donau begraben! Was konnte sich auch da nicht melden zur Wiederaufstehung unter dem nächtlichen Sternenhimmel! Ist es doch hier oft, als 4 wenn auf den düstern Bergwänden ringsum die Geisterjungfrauen geheimnißvoll begännen ihre Harfen zu schlagen!

Von Tirol und Salzburg, aus den sagenhaften Schluchten des Untersbergs und von den echoreichen grünen Bergseen Steiermarks her ist es die Zither, die überall erschallt. Dies liebliche Instrument könnte Sancta-Cäcilia statt der Orgel erfunden haben! Kennst du es nur aus dem lampendunstigen und cigarrendurchqualmten Keller der leipziger Messe, kennst du es nur aus dem Concert aufgeputzter Jodeltiroler? Aber auch da wird die Zither dich gerührt haben – so, daß du den Genius Oesterreichs hättest fragen mögen:

Was lachst du so traurig, was weinst du so froh?

Wenn die bebende Zithersaite unter kraftvollem Finger ihre Schwingungen beginnt, der Ton, immer gebrochen, immer in der Geburt des Halls halberstorben schon und doch neugefaßt vom kunstgeübten Finger, neubelebt, aus lauter kleinen zitternden Tremolos Riesenfermaten hält, sich festklammert, gleich einem Knaben, der nicht ruht, den höchsten Ast eines Blütenbaums zu erklimmen – auf der höchsten Höhe, in die uns die Töne der Alpenzither schwingen können, angelangt, welch ein Blick dann auf die Thäler der Erde! Du siehst deine Jugend, den grünen Plan deiner Kindheit, athmest auch im Herzen die reinste Alpenluft! Selbst unter dem »Soll und Haben« Leipzigs, unter dem Strumpf- und langen und kurzen Waarenhandel seiner Messe, konntest du in »Auerbach's Keller« die Thränen nicht zurückhalten, wenn das »berühmte« Tirolerquartett – nicht etwa singt – das schenke ihm die Muse! – nur die Zither schlägt. Die Spielerin sammelt mit dem Notenblatt. Im koketten Brustlatz, mit dem spitzen Hut – ein unschönes Mannweib. Aber – sie spielte dir auf der Zither – Oesterreich! Sie spielte ein Ahnen, Suchen, Sehnen nach unbestimmten, dem Land und Volk selbst nicht 5 deutlich gegenwärtigen Zielen. Sie spielte das Wittern einer Geisterlust, das Morgengrauen schönerer Hoffnungen! Sie spielte die Freude, die sich selbst nicht vertraut, und ein Leid, das dem Schöpfer zürnen möchte, weil er die Erde bei alledem und alledem – so schön erschuf –! Musik ist der erste Gruß in Oesterreich.

Auch in Wien!

Die große Hauptstadt ist endlich erreicht, die bremer »echte« Havañacigarre glücklich eingeschmuggelt. Der Venusberg ist geöffnet. Tannhäuser zieht den schwarzen Frack an und die gefirnißten Tanzstiefel und vertanzt sich – das gebrochene Herz! Strauß und Lanner! Sie geben schon lange Trost für die »Zerrissenheit« – selbst im Alpengemüth, für den »Weltschmerz« – selbst im Pusztensohne. Denn hört nur diese Tänze! In ihnen liegt ein Dämon. Wie mit Kirchenglocken fangen sie an, sanft und feierlich, im Adagio eines Meßganges. Sittsamer, concordatsmäßiger Niederschlag der Augen! Geradeswegs, denkt man, führt das nach Mariazell oder Loretto –! Plötzlich aber wirft der kaum geordnete Nonnenzug die Kapuzen ab. Nun hüpft die Freude – erst wie ein Füllen lustig über den Klee. Erst nur noch – ein fußtrillerndes Ausschlagen des Uebermuths. Erst nur noch ein Kopfüber der Fröhlichkeit, ein Humor, der uns neckt, wie Harlekin Colombinen, nur spaßelt, thaddädelt – alles so, wie es sich nach dem genommenen Ablaßzettel im einleitenden Adagio bald wieder vergeben läßt. Dann aber wird der Humor zur Selbstironie. Der Walzer cancant, die Grazie tanzt, wie in Paris, mit Formen der Epilepsie, die Melodie geht rückwärts, läßt sich die Augen verbinden, tanzt unter Eiern, schiebt auf dem Seil einen Karren zum Thurm hinauf, geht auf beiden Händen, dreht den Kopf überm Rumpf herum und sagt dem Rücken »guten Tag« – Halt! springt die Sittenpolizei dazwischen – Metternich's Censur und 6 Moral regieren noch in den von uns geschilderten Tagen – und der Dämon duckt unter, wird sogleich wieder ein Kind, das unter Blumen spielt, das nur nach Schmetterlingen hascht oder vor einer Hummel entflieht – Und vor welcher Hummel! Brummelt das spaßig, taumlig, torklich! Baßgeige, wohin rennst du? Baßgeige, bist du betrunken? Entflieht! Entflieht! Aber Staberl spannt seinen Regenschirm auf – Haltet! Das gibt Sturm! – Wo führt's dich hin? Zum »Stuwer?« – Sind das Pot-à-Feu's? Döbler'sche Sträußchen? Sternschnuppen? – Wohinaus denn? – Grad' ins Firmament! In die Milchstraße! Die ist aber von Würsteln und Kringeln behangen! In einen Kometenschweif geht's von feurigen Nasen! Ein einziger Strohhalm ist die schwindelnde Brücke über einen unermeßlichen Abgrund, worüber alle Walzenden zugleich hinweg müssen. Heiliger Nepomuck, hilf! Alle fassen einander an, klammern sich einer an des andern Rockschoß. Strauß nimmt den Fidibus, steckt noch dazu diesen Strohhalm über das Weltgebäude hinweg in Brand und nun müssen die Paare hinüber. Die Glöckchen, die klingen, die Geigen, die quinkeln über den äußersten Steg hinweg, die Pickelflöte, die lacht. Das gibt ein Unglück! Aber – der Maestro bringt sie alle wieder wohlbehalten in seine Schlußcoda zurück. Baß, Trommel, Posaune finden sich in harmonischer Vereinigung bei den letzten Takten wieder zusammen. Alles bricht in pyramidalen Jubel, »Fanatismo« aus. Der taktirende Maestro verbeugt sich gelassen, »der Tanz ein Leben« oder»das Leben ein Tanz«, ein Fiebertraum, ist vorüber und nebenan – sind die Tische gedeckt für die harmlosesten Bedingungen des irdischen Daseins – »Backhänerln«, »Roßbrateln«, »Beflamoths«, »lämmerne Hafen«, »Engländer« und alle nur erdenklichen Nationalgerichte der classischen Küche Oesterreichs.

So war das Gewirr, in das auch Benno eintrat. So übertäubt – im Spätherbst, beim Blätterfall und bei häufigen, noch 7 warmen Regenschauern schon an die bevorstehenden Freuden des Winters erinnert – irrt er durch die Straßen Wiens – verfolgt von bunten Anschlagzetteln, Aufforderungen zu Lust und Freude. Eben sehen wir ihn in die stolze Herrengasse eintreten.

Fußgänger umdrängen ihn, Wagen rollen, Rosse sprengen dahin. Nur immer Achtung! Ausweichen! Ausweichen! Auch den von den Regenschirmen niedergießenden Fluten.

Einige Minuten verlieren wir den trotz seiner Aufregung bleichen jungen Mann, mit seinem regenfeuchten, schwarzen Bärtchen, im triefenden, damals neuerfundenen Macintosh, doch vor Wirrwarr um sich her und in sich selbst – ohne Regenschirm, aus den Augen.

Bald aber tritt er aus einem hohen, mit Karyatiden geschmückten vornehmen Palast wieder hervor. Er sinnt: Wohin? Zur Linken auf die Schottenbastei hinaus? Auf die Freyung hinüber zu einem guten Chorherrn, bei dem er wohnt? Zu den Zickeles, an die er empfohlen und von denen er für jeden Abend eingeladen ist? Oder noch in irgendein Theater? Das Burgtheater soll – in der Nähe sein. Da ruft ihn der Portier zurück. Verzeihen's! Den Dreimaster lüftend, fragt er: Waren's Herr Baron von Asselyn?

Mein Name!

Benno von Asselyn war schon zweimal unter dem hohen Portal des gräflich Salem-Camphausen'schen Palais, hatte schon zweimal mit dem Hüter des Eingangs über die bedauerliche Nichtanwesenheit des Grafen gesprochen. Diese Leute haben nur ein Gedächtniß für empfangene Trinkgelder.

Ein Brief für Euer Gnaden vom Herrn Grafen Erlaucht sollte eben zum Herrn Baron hinübergetragen werden –!

Der Brief lag auf dem Sims des kleinen Guckfensterchens der Portierstube. Benno nahm ihn an sich. In der Auffahrt des Palais brannte hochoben eine düstere Lampe. Der Portier deutete 8 auf sein Stübchen und ein dort befindliches Licht, das zwar auch keine Millykerze war, doch reichte es hin für die kurze Lectüre. Eine Secunde und Benno hatte gelesen, daß ihn Graf Hugo morgen zum Frühstück auf seinem Schlosse Salem erwarte.

Jetzt sah der Portier dem schlanken jungen Manne voll Spannung nach. Die Bedienung eines großen Hauses hat ein scharfes Ohr und Auge für die innern Angelegenheiten ihrer Herrschaft. Hängt Der mit unser Aller Schicksal zusammen –? mochte er denken und sah lange hinter ihm her, sah, wie der junge Mann dahinschoß und so in Gedanken. daß er noch nichts vom Regen zu merken schien.

Benno hatte sich rechts gewandt, ging, auf die morgende kleine Reise gespannt, und fühlte nun endlich wol an seinem Hut und seinen Stiefeln, daß es Zeit war irgendwo unterzutreten. Er stand am Burgthor und las an einer vom Thor geschützten Wand: »K. K. Hofburgtheater. Hamlet, Prinz von Dänemark.« Er trat in das nahe kaiserliche Theater.

Ein labyrinthisches, von kleinen Winkelgängen durchkreuztes Gebäude nahm ihn auf. Schwer fand er sich zurecht bis zur »Kassa«. Noch war diese offen, aber kein Billet mehr zu haben. In Oesterreich gewöhnt man sich – mit Unrecht – nur an diejenigen Unmöglichkeiten zu glauben, die sich auch dem Klang des Silbers gegenüber nicht wegräumen lassen. Benno's Zweifel fanden kein Gehör. Er verließ ohne Billet die »Kassa« und verwirrte sich in den Gängen.

Ein gefälliger Herr, der sich verspätet zu haben schien und hinter ihm herging, wies ihn zurecht. Der Ausgänge schien es mehr zu geben. Der freundliche Herr ließ es sogar geschehen, daß Benno in eine Wachtstube gerieth. Grenadiere spielten hier Karten und dennoch huschten Damen in eleganten Kleidern hindurch, ja Benno stand sogar plötzlich zweien Gestalten gegenüber, 9 die jedenfalls zum Gefolge des Königs Claudius von Dänemark auf der Bühne gehörten.

Der fremde Herr sah Benno's Erstaunen und sagte zu ihm lächelnd: Ei, Sie sind fremd, mein Herr –? Schon zog er die Dose gegen den bekannten Kasernen- und Wachtstubengeruch. Nicht wahr, das erinnert Sie an eine Dorfkomödie? fuhr er fort. Aber es thut mir halt leid, daß Sie vielleicht mit diesem Eindruck weiter reisen! Sie haben kein Billet gefunden. Wenn ich Ihnen einen Platz in meiner Loge – Bitte! In allem Ernst! Meine Loge liegt zwar nur im dritten Stock. Despectirlich ist das jedoch keineswegs, lieber Herr! Ohne Spaß! Ich mache mir sehr ein Vergnügen daraus! Kommen Sie nur –! Das gemüthliche Air des feinen Herrn war so einnehmend, daß Benno in der That, nach einigem Zögern, aber auch fernerem Zureden, folgte. Ich gehe halt voran! sagte sein Führer und plauderte im Gehen: Gelt, Sie denken hier an eine mögliche Feuersbrunst –? Er deutete auf die Enge der Logentreppen. Man ging in die Stockwerke hinauf, wie auf einer Wendeltreppe zu einem Thurm. In seltsamem Contrast zu dieser Aermlichkeit standen die reichgallonirten Diener mit ihren Servirbretern, auf denen sie »G'frornes« trugen.

Benno entschuldigte sich unausgesetzt über seine Dreistigkeit und schüttelte seinen Hut und seinen Macintosh.

Im Gegentheil! erwiderte sein freundlicher Protector und ordnete inzwischen gleichfalls seine Toilette, mit einem Kämmchen sein weißes, krauses Haar. Die Dreistigkeit ist halt auf meiner Seite! Schauen's nur, jetzt muß ich Sie auf meine beiden Plätze sogar durchs Paradies führen. Aber zur Linken haben's dennoch einen kaiserlichen Hofrath und zur Rechten einen Millionär von der haute finance! Die Logen sind bis in den Kronleuchter hinauf schon auf Jahre voraus gesucht. Und wie ist 10 das heute wieder überfüllt! Immer so bei denen classischen Stücken jetzt und besonders wann im Kärthnerthor eine durchgefallene deutsche Oper wiederholt wird –!

Durch die dichtgedrängte Galerie machte der Logenschließer dem gesprächigen, bald gemüthlichen, bald satirischen Herrn Platz und nahm den nassen Macintosh, unter welchem sich Benno im Frack befand. Fast in der Nähe des Kronleuchters lag die Loge des freundlichen Führers.

Die Ränge waren eben nicht zu stark besetzt. Desto voller war es unten. Kopf an Kopf gedrängt in einem langen düstern Saale, dessen Bauart mehr zum Hören, als zum Sehen des auf einer schmalen Scene Dargestellten bestimmt schien. Eben sprach der Darsteller des Hamlet eine der längern wirksamen Reden in melodischem Tonfall, mit ebenso viel Kraft wie Anmuth. Befangen suchte sich Benno in seine so schnell und überraschend ihm gekommene Situation zu finden. Sehen konnte er allerdings vom Spiel so gut wie nichts. Er mußte sich an die Worte halten und an seines Begleiters Erläuterungen, die von einem: Guten Abend! hier, von einem: Küß' die Hand! dorthin unterbrochen wurden.

Die Beschwörungsscene war im Gange. »Schwört auf mein Schwert!« sprach Hamlet, der mit hinreißendem, vielleicht mit zu vielem Feuer gespielt wurde.

Im Saal war alles todtenstill. Man hörte das dumpf aus der Erde kommende: »Schwört!« des Geistes. Aber alles das hinderte ebenso wenig den Protector Benno's wie die Umgebungen. dazwischen immerfort leise zu kritisiren oder nur gemüthlich zu»plauschen«.

Schau, schau! sagte ersterer. Das schreibt sich gewiß unser Herr Professor da auf. »Schwört auf mein Schwert!« Gelt, mein lieber Professor, das ist für ein italienisches Ohr rein 11 kalmückisch – »Schwört auf mein Schwert!« Ich muß aber auch sagen, was da wieder der Deinhardstein für eine Ueberetzung genommen hat! Oder soll's ausdrücklich ein Wortwitz à la Saphir – Ei guten Abend, Resi! Ei, küß' die Hand! Wie kommt denn heute der Professor in Ihre Begleitung – Protegirt er auch den Herrn – Wie heißt gleich der neue »Debutant«, den die Kaiserin protegirt? Kein Zettel da? Die Unordnung aber in denen Logen greift immer mehr um sich –! Warum ist halt kein Zettel da?

Für Benno mußten diese Absprünge des Tons vom zartesten Gemüth bis zur schärfsten Ironie, jetzt an den Logenschließer zur entschiedensten Grobheit, höchst charakteristisch sein. In einem und demselben »Geplausch« wurde der Logenschließer herabgeputzt, ein junges, heiteres Mädchen, das vor ihm saß, galant angeredet, eine höchst steife, lange Figur, die in einer weißen Halsbinde neben diesem saß, ironisirt, der fremde junge Mann über Spiel und Lokalität unterrichtet, die Darstellung beurtheilt, alles mit derselben Lebhaftigkeit und den leichtesten Uebergängen eines Seelenzustandes in den andern – bald Gefrierpunkt der Kritik, bald Siedepunkt des Enthusiasmus – ja obenein noch die Dose gezogen und geschnupft und Benno nach dem wievielten Tag seines Aufenthalts gefragt, auch auf die Theuerung in Wien hingewiesen und bei alledem noch in dieser Loge und in jener eine bedeutende Persönlichkeit lorgnettirt.

Die Ringsumsitzenden hatten im Grunde alle dieselbe Manier. Wenigstens fanden sie diese quecksilberne Beweglichkeit, dies Abspringen von der Hitze im Saal auf das heute »ein Bissel« mangelnde Feuer im Spiel »der Uebrigen«, von der brillanten »Toilett'« dieser und jener Fürstin auf die »schauerlich« schlechte und abgenutzte Decoration in der Scene ganz in der Ordnung. Und trotzdem, wenn auch noch soviel kritisirt und »mechant« 12 gefunden wurde, bei einem: Bravo! stürmte sich, urplötzlich entbrennend, ein förmliches Liebesfeuer von Enthusiasmus aus. Und dennoch wieder, unmittelbar darauf erfolgend, über dies und das ein leises: »Unter aller Würde –!«

Benno sah, daß diese Art sich zu geben aus dem Gemeingefühl einer Stadt entspringt, deren Bewohner sich gleichsam zu einer einzigen großen Familie bekennen. Die Worte »Herz«, »G'fühl«, »G'müth« wurden sowol hier, wie auf den Bretern, gehandhabt wie eine Prise Schnupftaback. Die schwungvolle Darstellung des Hamlet ausgenommen, war die Vorstellung weit mehr im Geiste Iffland's, als Shakspeare's. »Vater«, »Mutter«, diese Worte wurden mit einer besonders biedern Treuherzigkeit betont. An seinem Protector fiel Benno auf, wie er ihn, trotz seiner kindlichen Harmlosigkeit, doch ab und zu scharf beobachtete. Sogar eine klug lauernde Kälte lag im Blick der kleinen glänzenden, mit höchst scharfen grauen Brauen überwölbten Augen.

Ein Zwischenact trat ein, den eine würdige Musik belebte. Benno konnte sich jetzt in seinen nähern und entferntern Umgebungen zurecht finden. Er selbst fiel auf. Nach seiner schlanken edeln Gestalt, nach seinem feinen Lächeln und anziehenden Gesichtszügen sogar einigen Entfernteren. Nach seiner fremdartigen Aussprache allen Nähersitzenden. Die an ihn gerichteten Plaudereien seines Protectors veranlaßten die vor ihm Befindlichen, sich öfters nach ihm umzusehen. Nur dem Italiener wurde das Umsehen schwer. Entweder war sein Nacken zu steif oder nur seine weiße Halsbinde. Flüchtig nur erhaschte Benno ein gelbes, von Blatternarben entstelltes Antlitz. Um so lieblicher hob sich der schelmische Mädchenkopf, die Resi, wie sie sein Protector nannte, von dem Italiener ab. Es war eine muntere Brünette, nicht mehr »zu jung«, die sich unausgesetzt mit ihrem Nachbar halb italienisch, halb deutsch neckte. Auch zu diesen 13 Spöttereien blieb der Italiener kalt. Seine Gesichtsformen schienen mit einer Pergamenthaut überzogen zu sein, die sich auch in dem Fall nicht veränderte, daß er etwas sprach, was die Andern lachen machte. Resi stritt mit ihm über den Charakter der Deutschen und nannte Hamlet einen »Dänen«, auf den die Malicen ihres Nachbars nicht im mindesten paßten. – Ma questo strofinaccio ha frequentato una universitâ tedescha! sagte der Italiener.

Benno verstand und sprach Italienisch wie seine Muttersprache. Er durfte annehmen, daß der Professor, der den Hamlet seiner Thatlosigkeit wegen einen »Waschlappen« genannt hatte, ein Musiker war. Immer lenkte Resi ihre nun zorniger werdenden Erwiderungen auf das musikalische Gebiet.

Sein Führer, der endlich den Theaterzettel bekommen hatte, las diesen laut vor, lachte dabei über den Streit zwischen Resi und dem Italiener, blinzelte Benno zu und sagte: Der Laërtes – der soll halt engagirt werden! Eine Empfehlung aus München! Der ganze Hof ist deshalb zugegen – Resi, wie kommt's nur, daß heut' der Dalschefski seinen Platz abgetreten hat? – Eine seltene Ehre für die deutsche Kunst, Herr Professor! »Müller« heißt der »Debutant«! Die allerhöchsten Herrschaften sind halt so außerordentlich gnädig! Der Mensch kann aber seine Bein' nit halten –!

Benno würde an dem kleinen Kriege auf den Bänken vor ihm, wo sich auch noch eine ältere Dame und ein anderer Herr befanden, seine harmlose Freude gehabt und sein schmerzlich zerrissenes, hochgespanntes, so zu sagen überbürdetes Gemüth erleichtert haben, wenn nicht im Lauf der Neckereien plötzlich sein Begleiter mit einem Namen wäre angeredet worden, der ihm das Blut erstarren machte. Und mehr noch. Kaum hatte er die Anrede: »Herr von Pötzl« zum zweiten mal vernommen, als auch schon sein Schrecken bis zur Besinnungslosigkeit stieg, denn im weitern 14 Verfolg der wieder neubegonnenen Handlung auf der Bühne reichte ihm sein Führer das von ihm gebrauchte Perspectiv mit den geheimnißvoll geflüsterten Worten: Jetzt aber! Jetzt schauen's – O ich bitt' –! Da – Das ist merkwürdig! Unser Schicksal – ist auch im Hamlet –! Dieser Herr Müller ist gut empfohlen! Nein, schauen's doch, Resi –! Der Herr Staatskanzler ist da! Um ihn – alle die römischen Herrschaften –! Der Principe Rucca! Und die Dame da? Das ist ja wol die Herzogin von Amarillas –?

Benno lehnte das ihm dargereichte Perspectiv ab. Seine Hand zitterte. Sein Athem versagte ihm. Bald richtete er sein Auge starr auf den Träger eines Namens, der – hatte er alles, was sein Dasein betraf, recht erfahren – seiner Schwester Angiolina gehörte, bald auf die ihm noch im fernen Lampen und Lichtdunst verschwimmende Erscheinung – er wußte es, seiner Mutter!

Indessen ging das Spiel weiter. Aber es wogte ein Rauschen und Flüstern durch den Saal. Die eben eingetretenen fremden Herrschaften, die mit dem aus Rom gekommenen Cardinal Ceccone in Verbindung gebracht wurden, erregten das allgemeinste Aufsehen. Es kamen deren immer mehr. Principe Rucca war ein junger Mann im rothen, gestickten Kleide. Auch der Name Maldachini wurde genannt. Alle Gläser richteten sich nach jener Logenreihe und Resi's Frage sogar: Ja, mein Gott, trägt denn der kleine Rothrock nicht gar ein schwarzes Pflaster überm Auge? mehrte Benno's Aufregung. Denn nach einem erst heute früh erlebten Vorfall sah er, daß er mit jenen Personen, die er mit heißester Sehnsucht suchte und – mit Entsetzen und Grauen floh, bereits zusammengetroffen war, ja mit ihnen schon in einer gewissen Verbindung stand.

Zweimal erwiderte er, auf alles Erläutern und Zeigen ferner Umgebungen: Wessen – Loge – ist das?

Des Herrn Staatskanzlers! hieß es.

15 Doch auch die Logen neben dieser hatten sich inzwischen gefüllt. Benno kämpfte mit sich, ob er bis zu Ende bleiben sollte. Hamlet's Lage wurde seine eigene. Auch mit ihm sprachen ja Geister, die außer ihm hier niemand sah! Auch ihm sträubten ihre Enthüllungen das Haar zu Berge; auch ihn hätten sie wach rufen sollen zu Thaten der Sühne und Gerechtigkeit! Aber ebenfalls auch ihm lähmten hundert Erwägungen den Arm. Den kann Wahnwitz ergreifen, das fühlte er jetzt, der ein Ungeheueres machtlos im Busen bergen soll! Auflodern, allen zurufen hätte er mögen: Das dort ist meine Mutter –! Er hätte seinen Nachbar anrufen mögen: Wie trägst du den Namen meiner Schwester –? Auch Ophelia, angeredet von Hamlet mit dem vom Darsteller unendlich schön gesprochenen Abschiedswort: »Geh' in ein Kloster!« verwandelte sich ihm in die Trägerin seiner eigenen Leiden. Daß man dann sagte, die Gräfin Olympia Maldachini sähe so keck um sich wie in einem Ballsaal, ließ ihn vollends erbeben. Denn auch sie kannte er schon! Sie schon ihn! Die Loge war zu entfernt für sein Auge ohne Bewaffnung durch ein geschärftes Glas. Dennoch bog er sich schwindelnd über, um zu sehen, um nur – starren zu können.

Wieder war inzwischen der Vorhang gefallen. Wieder begann eine Zwischenmusik. Der Professor, der inzwischen ebenfalls in große Aufregung gerathen war, erklärte, eben dieser »Römer« wegen hätte er den Platz des Professors Dalschefski übernommen. Er zankte mit Theresen. Er war aufgestanden und sprach jetzt mit höchster Lebendigkeit seiner bisher so starr gewesenen Gesichtszüge die italienischen Worte: Ja! Das sind sie –! Die Herzogin kenn' ich nicht – Aber sehen Sie nur den Grasaffen, den Rucca! . . . Und das, das ist die kleine Gräfin Olympia –! Corpo di Bacco! Als zehnjähriges Kind schon hatte sich der Fratz in einen Apollino im Braccio nuovo verliebt, verlangte 16 vom Cardinal Ceccone, von ihrem – Onkel, ihm einen Kuß geben zu dürfen, springt an dem jungen marmornen Gott hinauf, umschlingt ihn und beide stürzen vom Postament herunter – Thorwaldsen hat ihn restauriren müssen. Und ein ander mal – ha, da hat – diese Olympia – –

Ich muß aber bitten! Schweigen Sie jetzt! unterbrach ihn Resi entrüstet. Die Dame hat bis an ihren Platz Ihre Verleumdungen gehört! Eben richtet sie das Lorgnon auf Sie! Wahrhaftig! Herr von Pötzl, schauen's doch nur! Das ist ja prächtig! Sie ruft Den mit dem schwarzen Pflaster, auch die Herzogin und die sämmtlichen Cavalieri und zeigt hieher – geben Sie Acht, Professor, Sie müssen ihr Revanche geben, Sie unverbesserlicher Carbonaro!

Herr von Pötzl bestätigte alles, staunte und lachte übermäßig.

Benno aber stand, als schwebte er, ein Fieberkranker, in den Lüften.

Nein, ist die ungenirt! sprach alles ringsum durcheinander. Wie in Neapel!

Sie grüßt halt wirklich hier herauf! lachte Herr von Pötzl. In der That bestätigten alle, durch ihre Lorgnons blickend, daß die Kleine mit dem Diamantendiadem zu ihrer Loge herauflache. Sie ergriffe eben das Taschentuch und winke herüber, ergänzte Resi.

Wem gilt denn das –? sagte Herr von Pötzl hocherstaunt und schaute sich überall um und fixirte endlich den »Fremden« neben sich, seinen Protégé.

Benno stand, keiner Besinnung fähig, todtenbleich. Eben streckte er noch die Hand vor, um das ihm dargereichte Perspectiv zu ergreifen, da blieben ihm die Finger wie gelähmt hängen. Er sank bewußtlos auf seinen Sessel zurück.

Sie sind unwohl! rief Herr von Pötzl erschrocken. Ein Glas Wasser! Bitte! Oder kommen Sie halt an die frische Luft –!

17 Benno erhob sich allmählich, lehnte aber alle Hülfe ab. Das Spiel auf der Bühne begann wieder. Er wandte sich zum Gehen.

Ja, gehen Sie halt lieber, mein bester Herr! sagte Herr von Pötzl ängstlich besorgt. Der Dunst der Lampen hier oben ist auch heut fürchterlich.

Benno wollte ablehnen. Während alles rings voll Theilnahme aufstand, führte ihn Herr von Pötzl selbst durch die Sitzreihen der Galerie und auf den Corridor hinaus.

Es war der zweite Tag, den Benno in Wien verbracht.


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