Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VI. Buch
Karl Gutzkow

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147 7.

Von einem schönen Spätherbstmorgen wurde Benno schon so heiter und sonnig auf seinem Lager angelacht, als wollte der Himmel zu ihm sagen: Muth! Muth! Nur jetzt nicht gewichen –!

Benno frühstückte auf seinem Zimmer mit dem guten Chorherrn, der bei ihm anklopfte und sich seines Gastfreunds gestrige Erlebnisse erzählen ließ. Zur Fahrt nach dem Schlosse Salem bestellte dann der freundliche Wirth einen Einspänner. Punkt neun Uhr sollte dieser vor der Pforte des geistlichen Hauses warten. Aber wie nun um elf? Wie das Rendezvous im »Palatinus?« fragte der Chorherr neckend.

Benno berichtete vom dritten Begegnen im Theater. Er nannte den Namen der Herzogin von Amarillas, über die der Chorherr nichts Näheres wußte. Sie müssen Ihrer Eroberung ein Lebenszeichen geben, sagte er, sonst kommt sie hier noch am geistlichen Hause vorgefahren!

Benno wollte im Vorüberfahren am »Palatinus« seine Karte abgeben.

Mit einer bessern Entschuldigung! Das versteht sich! Ei, wer die Erlaubniß hat, die Romantik des Lebens zu genießen –!

Benno erzählte träumerisch lächelnd vom Abend bei den Zickeles und schilderte den eigenthümlichen Gegensatz so heiterer und 148 rangirter Zustände zu der Lage, in der er den Grafen Hugo anzutreffen erwarten durfte. Auch diesen Beziehungen, die allerdings eine Schilderung der Macht der Börse veranlaßten, stand der Chorherr zu fern.

Als Benno andeutete, daß ihm durch alles, was er hier in Wien und überhaupt in Oesterreich sähe und hörte, ein eigenthümlicher Ton der Trauer mitten durch die Freude zu gehen schiene, eine Verstimmung, ein Mangel an Selbstvertrauen und Vertrauen auch zu andern, bald eine excentrische Hingebung, bald ein geheimer Krieg aller gegen alle, kurz eine völlig atomistische Zerbröckelung des herrlichen großen Ganzen – da sagte der Chorherr, aufs äußerste erregt und vom gemeinschaftlich genossenen Frühstück aufstehend: Das bricht mir ja eben das Herz! Das erkennen Sie also doch schon, daß, wenn auch unsere Machthaber nichts lieber wünschen, als die Bestätigung des Rufes, in welchem wir als ein Volk von Phäaken stehen, lebend nur dem immerfort sich drehenden Bratspieß, daß, sag' ich, dieser Vergnügungstaumel, in den sich unsere Bevölkerung zu stürzen liebt, doch um so herbere Aschermittwochsstimmungen zurückläßt? Aus all dieser Lustigkeit hörten Sie schon heraus: Wien ist krank! Mein junger Freund, ganz Oesterreich ist es! Der Wahrheitstrieb, der tief in meinem Volk begründet ist, findet keine Befriedigung. So verwandelt er sich in Mistrauen, in kühle Prüfung, zuweilen leidenschaftlich hervorbrechende Begeisterung und wieder ebenso rasch kommende Ironisirung seiner selbst. Die einen macht ein solches Wesen schlecht, die andern melancholisch. Was soll einst daraus werden! Die Masse ist gut, gemüthvoll, gerechtigkeitsliebend, aber von einer beängstigenden Unbildung und Maßlosigkeit. Die Vorstädte werden an sich noch wie von den Anschauungen der alten Frauen regiert, die an den Straßenecken die Gemüse verkaufen. Ein Schrecken vor Kometen oder vor dem möglicherweise alle Tage 149 wiederkehrenden »Türken« oder vor dem Staatsbankerott ist die feststehende Stimmung des allgemeinen Volksgeistes. Nun dieser Drang nach Oeffentlichkeit, nach Auszeichnung! Alles was in den Polen, Ungarn, Böhmen, Italienern, namentlich aber in der lebendigsten aller Nationen, in – dem todten Israel lebt, impft sich unserm Volk hier auf! Herrlich, wenn alles einen würdigen Gegenstand fände! Dafür aber die strengste Censur, die Verfolgung der Meinungen, die Unterdrückung der Lehrfreiheit und die immer enger und enger sich ziehende jesuitische Verstrickung! Kirche und Schule, Wissenschaft und Kunst, alles soll vom »josephinischen« Geist gereinigt werden. Einsehend, daß es unmöglich ist, das Licht, das man fürchtet, in Säcken und dunkeln Kutten aufzufangen, arbeitet man jetzt an einem andern System der Bekämpfung des Neuen. Man erbaut dem Josephinismus Gegengebäude. Man hört die Rathschläge aus dem Al Gesù in Rom. Und dem allem stimmt die öffentlich geheuchelte Loyalität gleichsam zu und doch – im tiefsten Grunde – ist's nichts als Lüge –! Mein herrliches Oesterreich geht auch an der Lüge zu Grunde!

Die magern Hände des Greises zitterten. Sie krümmten sich sogar. Sein Auge blickte umflort. Er mußte Schritte im Zimmer auf und nieder thun, bis sich sein Blut beruhigte.

Ein Hausdiener brachte einen Brief, den gestern Abend unten in seiner Wohnung ein fremder Herr bei ihm geschrieben, versiegelt und an Herrn von Asselyn adressirt hatte. Er war von Schnuphase. Benno mochte ihn nicht lesen.

Als sie beide wieder allein waren, nahm der Chorherr die Gedankenreihen, die ihn so tief erschütterten, wieder auf. Unsere gegenwärtigen Regenten – sind gegen die Jesuiten! Warum? Regenten wollen keine Theilung ihrer Macht. Aber die dunkle römische Strömung ist zu groß. Sie kommt zu stark und von 150 hoch oben her. Immer größer wird die Zahl der mittelalterlichen Fanatiker, die das, was Gentz nur vom Standpunkt der bloßen Staatsraison leicht und heiter hinwarf, mit feierlicher Salbung ausführen. Damit das germanische Element in Deutschland nicht ganz an Preußen übergeht, muß, das ist die jesuitische Parole, der Protestantismus in sich selbst verwirrt, verdunkelt, zum Bundesgenossen Roms gemacht werden. Alle Richtungen, die im Denken und Empfinden der Zeit irgendeine Verbindung mit dem Mittelalter zulassen, sollen von jetzt an nur noch allein gepflegt und ausgezeichnet werden. Ich habe das Gefühl einer bangen Zukunft!

Der sich bei solchen Erörterungen natürlich aufdrängende Gedanke an den großen Staatskanzler bestimmte denn doch Benno, den Brief Schnuphase's nun zu erbrechen. Er las: »Hochwohldieselben nicht zu Hause getroffen, zu haben beklage schmerzlichst, bitte inständigst, jedoch Hochdero ergebensten Diener in dieser großen Stadt, nicht verlassen zu wollen sondern, ihm hülfeflehend die Ehre zu geben für übermorgen anberaumter Hoher Audienz bei seiner Durchlauchtigsten Staatskanzler Hochdero ergebensten Diener begleiten zu wollen, da meine Angst vor den vorhabenden Mittheilungen alles, übersteigt was in solcher Lage jemals, empfunden zu haben entsinnen kann. Hochdero gehorsamst Schnuphase, Stadtrath. Adresse: Pelikan & Tuckmandl, Currentgasse. In Eile.« Benno, dem die Zumuthung, einem Schnuphase secundiren zu sollen, wenig schmeichelhaft war, zerriß den Brief, warf ihn in einen Papierkorb und schwieg von dem Inhalt auch dem Chorherrn.

Feierlich zündete Letzterer eine Kerze an und sagte: Briefe, die man nicht aufbewahren will, muß man bei uns verbrennen!

Eine lange Pause folgte, während welcher der Chorherr feierlich die Stückchen Papier verbrannte. Rauchen Sie jetzt eine Cigarre! sagte er mit weicher Stimme. Sie sind jung! Und kommen Sie nicht zu spät zurück!

151 Benno drückte dem Gehenden die Hand. Es war ihm bei dem trefflichen Mann so wohl geworden, als wohnte er beim Onkel in der Dechanei.

Auf eine seiner Visitenkarten schrieb er in italienischer Sprache: »– bedauert, für heute verhindert zu sein, sich persönlich nach dem Befinden Sr. Hoheit zu erkundigen«. Es waren diese Worte für den Principe Rucca bestimmt – Buchstaben, die sich von seinem Herzen, von seiner Hand so langsam losrangen, wie ein Fürst die Bestätigung eines Todesurtheils schreiben mag.

Dann nahm er die ihm von Nück übergebenen Papiere, schloß sie in ein größeres Portefeuille, nahm einen warmen Oberrock, verließ sein Zimmer und bestieg den kleinen Wagen, der am Hause harrte. Am Palast des römischen Botschafters fuhr er vorüber, wie vor einem geheimnißvollen Cocon, in den eine Raupe sich gehüllt hat, die für ihn zum bunten Schmetterling werden sollte. Am »Palatinus« hielt er. Die Vorhänge an den Fenstern des ersten Stocks hingen noch hernieder. Er sah schon wieder einen Troß von Menschen im Portal stehen; auch den Mohren des Prinzen Rucca.

Benno übergab aus dem Wagen dem Portier seine Karte. Die Hand zuckte. Er erschien sich jener Apollin, an welchen Olympia als Kind hinaufsprang, um ihn – zu zertrümmern –! Eine heiße Glut durchloderte ihn, wenn er dachte: Sie erwartet dich um elf in den Zimmern ihres Verlobten, findet deine Karte – Auch die Mutter nimmt diese Karte in die Hand, liest deinen Namen – Ceccone kommt hinzu –! Morgen wird man dich auf diese Art erwarten, du wirst in Kreise gezogen, wo Verführung dich umgaukelt, wo jeder Schritt für dein Herz und dein Urtheil zur Fußangel werden kann! Wirst du in solcher Lage, mit allen daraus entspringenden Verbindlichkeiten der – Verstellung, ausharren können? Da war es ihm, als riefe es um ihn her: Fliehe! Jetzt! Jetzt! Noch ist es Zeit –!

152 Das Rößlein schwenkte. Munterer sprang es dahin in eine ruhigere Seitenstraße. In der Nähe eines seltsam gebauten Hauses, dessen Fenster den Schießscharten von Kasematten glichen und die, wie der Kutscher erläuterte, einem Franciscanerkloster angehörten, lag ein altes Haus, am Portal mit dem Bild eines Heiligen und einer ewigen Lampe. Er fragte nach der Currentgasse. Die lag in einem andern Theile der Stadt. Wie werth war ihm die Erinnerung an die freimüthige, herzige Therese! Sie die Freundin seiner verlorenen Schwester –! Gräber! Gräber –! rief es in seinem Innern. Warum öffnest du sie! Fliehe! Fliehe! Noch ist es Zeit! rief es auch hier um ihn her.

Durch ein kleines Thor auf das Glacis gekommen, fuhr er am Kloster der Hospitaliterinnen vorüber, wo die Aebtissin, Schwester Scholastika, die geborene Tüngel-Heide, schon hätte einen Besuch von ihm empfangen haben sollen. Er widmete ihr einstweilen einen Sehnsuchtsgedanken an die ferne Armgart.

Immer einsamer und einsamer wurden die Straße. Zuletzt gab es nur noch alleingelegene Häuser mit Gärten und Feldern, Fabrikgebäude mit hohen und rauchenden Schornsteinen. Endlich war die Landstraße erreicht und der ganze Vollgenuß gewährt einer ungehindert eingeathmeten kräftigenden Herbstluft. Benno saß im warmen Oberrock bei offenem Verdeck.

Bald bog der Wagen von der Hauptlandstraße ab. Kleine Ortschaften, wo gerade Markt gehalten wurde, boten den buntesten Anblick. Der Himmel blieb sonnig und dunkelblau; nur an den Rändern des Horizonts, den die sanften Bergeshöhen abgrenzten, schimmerten die bunten Irisfarben des Herbstes, rosa, gelb, violett.

Der Kutscher sah Benno's Wohlgefallen an so schöner Umgebung und rieth ihm zuweilen, zu Fuß einen kürzern Weg durch eine Waldpartie zu nehmen, während er selbst die sich windende Landstraße fuhr. Aber durch die Eichen- und Buchenhaine war 153 nicht gut hindurchzukommen vor all dem Laub, das schon gefallen war. Nur die grünen Tannenbestände hier und da ließen den Rath befolgen. An manchen Durchblicken sah Benno weißschimmernde Klöster und Schlösser. Fernsichten boten sich, bald zu einem schroffen Aufgang zu höhern Felsgesteinen, bald zur weiten, vom Pflug wieder neugeackerten, dunkelschwarzen Ebene. Armgart – Bonaventura – Paula – Angiolina – die Mutter – selbst Olympia schritten im Geiste immer mit ihm.

Endlich wurden die Aussichten begrenzter. Die Hügelreihen zogen sich enger zusammen. Der Kutscher deutete auf den Ausgang eines waldbewachsenen Grundes als den Anfang des zum Schloß Salem gehörenden Parks. Nach einer längern Fahrt zwischen rings sich thürmenden epheu- und moosbewachsenen, von kleinen behenden Cascaden überrieselten Felsen sah man den Weg sich öffnen und an der Abdachung der sich in eine neue große Ebene niedersenkenden Berglehnen eine hellschimmernde, in neuerm Geschmack angelegte Besitzung, welcher man von fern noch nicht anmerkte, wie sie aus einem alten Renaissanceschloß entstanden war. Alte Thürme waren im englischen Castellstil neu ergänzt. Balcone, Erker, gewölbte, mit Epheu und wildem Wein umzogene Fenster ließen sich schon aus der Ferne erkennen. Eine Altane bot ohne Zweifel einen Blick weit hinaus bis zur Donau. Offene Galerieen, sonst gewiß mit Blumen besetzt, zogen sich um die Eckthürme hin.

In nächster Nähe gewann alles jetzt ein gepflegteres Ansehen. Die Straße verlor sich fast unmerklich in einen Park voll kleiner Pavillons, Tempel, Ruhebänke neben stürzenden Wassern; da und dort zeigte sich wieder eine freie, noch smaragdgrüne Waldstelle, wo man hätte Rehe suchen mögen.

Schon fuhr der kleine Wagen in den gekieselten Gleisen der Parkwege. Die Fußwege nebenan waren sauber geharkt. Sie 154 schlängelten sich terrassenhaft niederwärts bis zum Schlosse, das sich bei größerer Annäherung immer stattlicher entfaltete und nun auch seine Nebengebäude, einen großen geräumigen Hof zeigte, den ein eisernes Gitter und in dessen Mitte ein hohes, mit dem Camphausen'schen Wappen geschmücktes Portal vom Park trennte, während die Fahrgeleise am Portal vorüber weiter gingen und auf einer andern Seite auf die allgemeine Landstraße wieder zurückführten.

So in der Nähe nun zu sein von all dem seither erzählten, vorgestellten, gefürchteten Leben einer fremden hochwichtigen Existenz, mit allen eigenbedingten Lagen derselben, den eigengeschaffenen und wieder für andere maßgebenden Zuständen – gewährte schon an sich eine ergreifende Stimmung. Wie viel mehr noch das Gefühl: Hier weilt dir nun eine Schwester, die du nie gesehen, ohne Zweifel nie auch anerkennen wirst! Hat Terschka wirklich Wort gehalten und geschwiegen? Unwillkürlich kam ihm die Erinnerung an den Park des unheimlichen Vaters auf Schloß Neuhof. Daun raffte er sich auf. Und doch suchte er wieder durch die laublosen Bäume hindurch nur ein abgesondertes Gebäude, das Casino genannt, wo, wie schon in Kocher vom Onkel Dechanten erzählt wurde, seine Schwester für sich allein wohnen sollte. Er sagte sich: Du bist ganz – wie Bonaventura mit den Bürden seiner Beichten! Wenn du deine Schwester sähest – würdest du kalt und fremd erscheinen müssen! Auch daß vielleicht der Graf das Opfer eines Betrugs durch eine falsche Urkunde ist, darf kein Gedanke sein, der irgendwie dich hier anwandelt –!

Im grasbewachsenen, gepflasterten Schloßhof war es, wie noch zur Mehrung seiner märchenhaft träumerischen Stimmung, menschenleer. Nur ein einziges Roß sah er, das gesattelt an einen eisernen Candelaber gebunden stand, deren vier eine Rampe schmückten, welche die große Auffahrt bildete. Zu diesem Roß trat durch die Thür eines Seitengebäudes, die zum Stalle zu führen schien, endlich in sorgloser Haltung ein Reitknecht, den die Ankunft des Einspänners nicht störte.

Inzwischen war Benno dicht an die Rampe gefahren. Jetzt erst sah er, der Sattel des Pferdes war ein Damensattel. Ohne Zweifel war das Thier für seine Schwester bestimmt. Nun mit dem beklommensten Herzen, jeden Augenblick gewärtig, ihr als Bote ihres Sturzes oder wenigstens ihrer künftigen äußerlichen Verleugnung zu begegnen, sah er dem Reitknecht zu, der den Sattel fester schnürte und, während der Kutscher schon sein Roß ausschirrte, auf einen Diener deutete, der aus der hohen, von der Rampe zum Schloß führenden Glasthür mit eilendem Schritt heraustrat.

Auch dieser ging wie der Reitknecht in den »altfränkischen« Dorste'schen Farben, grün und gelb, doch in geschmackvollerer Vertheilung, als in Westerhof. Die Halbröcke waren von mattgelbem Tuch, kleine Verzierungen daran grün. Eine weiße Weste, kurze schwarze Beinkleider und Strümpfe stimmten zu den artigen Manieren des von der Rampe Herabkommenden, der ein Kammerdiener zu sein schien.

Offenbar war dieser Mann in großer Verlegenheit. Er wußte, daß Benno erwartet wurde, und entschuldigte den Grafen, der noch eine Abhaltung hätte. Dann nahm er mit freundlicher Geschäftigkeit das große Portefeuille Benno's entgegen und lud den Gast ein, sich's so lange in einem Zimmer, das er ihm anweisen wollte, bequem zu machen.

All diese Worte hörte Benno kaum; denn an einem der hohen Fenster des obern Stocks, hinter den blutrothen wilden Weinblättern, die noch nicht ganz von ihrer üppigen Ausbreitung welk herniedergefallen waren, lüftete sich eben eine weiße Gardine und 156 ein Frauenkopf sah heraus. Nur ein Moment war's. Sogleich fiel die Gardine wieder zu. Es war ein Kopf, ähnlich dem Lucindens und – seinem eigenen, nur jugendlicher, aber von einem Ausdruck der äußersten Angst entstellt – Benno konnte annehmen, der Graf befand sich noch in einem Tête-à-Tête der größten Aufregung.

Mit dem Gefühl, jedes Auge, das hier auf ihn falle, müßte ihn anstarren um seiner Aehnlichkeit willen mit Angiolina, folgte er, kaum sich aufrecht haltend in seiner Betäubung, dem Diener, dessen ganzes Benehmen die Furcht ausdrückte, es könnte der sehnsüchtig erwartete junge Rechtsgelehrte der Schallweite der obern Zimmer zu nahe kommen. Von einem runden Eingangsvestibül führte er ihn sogleich in die entgegengesetzte Richtung, schloß sogar Fenster und Thüren, die er offen fand, als könnte noch ein anderer Schall hereindringen, als derjenige, der jetzt von den Gesprächen des Kutschers mit dem Reitknecht und dem Unterbringen seines Gefährtes im gräflichen Stall kam.

Endlich kamen sie in Zimmer, die nach dem Garten hinausgingen und die Wohnzimmer des Grafen selbst schienen. Der Garten war hier nur ein im Charakter etwas veränderter Theil des Parks. Die allgemeine Fahrstraße umschlängelte das Schloß und lag, kaum hundert Schritte weiter, wiederum dem Blicke offen. Die Zimmer, die sie durchschritten, gingen bis in den alten Bau hinein, einen Thurm, von wo eine noch von welken Blumen umrankte Wendeltreppe in den Garten hinabführte.

Das Zimmer des Grafen war düster, sonst höchst traulich. Von oben her wurde es beschattet vom Dach der großen Altane des ersten Stocks, die man in der Ferne gesehen hatte, auch von einer Fülle von Epheu, der von außen theilweise in das Zimmer hereingewachsen schien. Es liegt ein eigener Reiz in dem Betreten eines zum ganzen und vollen Ausleben eines fremden Ichs bestimmten Zimmers. Offenbar hatte der Graf sein Ausbleiben 157 dadurch mildern wollen, daß er Benno sogleich in die Räume führen ließ, die er selbst bewohnte. Der Duft der besten Cigarren kam wie aus eben erst verronnenen blauen Wölkchen. In der Mitte des Zimmers lag auf einem großen runden, zierlich ausgelegten Nußbaumtisch eine Auswahl von bunten türkischen und ungarischen Pfeifen. Cigarrenkisten aus der Havana waren noch nicht lange geöffnet. Gelber türkischer Taback lag in einer antiken Schale von Metall. Das sich dem mittelalterlichen Geschmack nähernde Zimmer war hochgewölbt. An den Wänden hingen türkische Waffen, Roßschweife sogar, Gemshörner, Alpenhüte, geschmückt mit Gemsbärten. Dunkelbraune Schränke, gothisch geformt, standen theilweise offen und zeigten goldenen und silbernen Militärschmuck, Säbel, Pistolen, Jagdflinten. An den Fenstern waren Glasmalereien angebracht; der Fußboden, vor dem Schreibtisch mit einer großen Tigerdecke belegt, war parquetirt in schönen symmetrischen Figuren. Neben dem modernen gußeisernen Ofen stand ein vollständiger Ritterharnisch von blankpolirtem Stahl. Auf einer hängenden Etagère blinkten Trinkkannen, Krüge mit eingebrannten Sinnsprüchen, Becher aus Horn mit silbernen Griffen. Der Schreibtisch stand frei, wohlgeordnet und bedeckt mit bunterlei Nippsachen. Federn lagen, noch glänzend von frisch getrockneter Dinte, auf grünem querübergespannten Tuche. Hinter dem Schreibtisch standen in einem dunkeln Winkel, zu Fuß eines Porträts, das einen General und ohne Zweifel den durch einen Sturz vom Pferde verunglückten Vater des Grafen darstellte, Hellebarden, Streitkolben, Morgensterne. Ein kleiner Schrank enthielt eine Bibliothek von schöngebundenen Büchern, militärischen und landwirthschaftlichen Inhalts. Eine altmodische Wanduhr mit hörbarem Pendelschlag erschien wie der Pulsschlag des stillen und doch so lebendigen Zimmers selbst. Hier hatte Terschka gewaltet! Hier Angiolina! Benno's Blick fiel auf eine Console zwischen den 158 beiden Fenstern, wo im Dunkeln eine Alpenzither lag und auf dieser – ein weiblicher Strohhut.

Schon eine Viertelstunde mochte vergangen sein,. da kam der Kammerdiener zurück und entschuldigte den Grafen aufs neue. Er wäre zwar im Schlosse, bäte aber den Herrn Baron aufs inständigste, ihm wegen seines Ausbleibens nicht zu zürnen.

Benno sah aus den Zügen des Alten, welche Probe eben sein Herr zu bestehen hatte. Er las einen Kampf der Liebe und Leidenschaft aus ihnen. Er las aus ihnen Schmerz, Verzweiflung, Drohungen. Er mußte krampfhaft seinen Hut festhalten, um nicht das Zittern seiner Hände zu verrathen.

Da Benno eine Erfrischung zu nehmen ablehnte, wollte wenigstens der Diener zu seiner Unterhaltung zurückbleiben. Er rückte einen beweglichen Lehnstuhl dem Fenster näher, um Benno die Aussicht zu deuten. Er nannte die Klöster, die Kirchen, die Dörfer, beschrieb den Lauf der Donau, die wie ein Flechtwerk silberner Bänder in dem fast überall neugepflügten dunkelschwarzen Erdreich glänzte. Leise nahm er zugleich den Strohhut von der Zither, wollte ihn verstecken, besann sich jedoch, daß gerade dies Wegnehmen erst recht darauf aufmerksam machte, und legte ihn wieder leise auf die Saiten, die nun – wie Geisteraccorde klangen.

Laß mich weinen, laß mich klagen!
Frage nicht, warum ich's muß!
Ist es nicht der Götter Schluß:
Leben steigt aus Sarkophagen
Seit des Lebens ersten Tagen!

So klang es in einem Liede Bonaventura's, das wehmuthsvoll in Benno nachtönte.

Der Diener horchte plötzlich auf. Er schien etwas zu hören, was Benno entging. Besorgt begab er sich in die offenen Vorzimmer und zog die Thüren, die vorher offen gestanden, sorgsam hinter sich zu.

159 Benno war keine sentimentale Natur. Die Ironie pflegte die Regungen seines Herzens bald hinwegzutändeln. Hier aber kam ihm nichts mehr vom gewohnten Humor zu Hülfe. Er fühlte die Rechte des Menschenherzens im Leid seiner Schwester. Armes Kind –! . . . Aber – auch du – arme, arme Paula –! seufzte er.

Benno nahm nun selbst den Hut von der Zither. Schwarze Sammetbänder glitten über seine zitternde Hand. Auf der Spitze des Huts waren fünf Sternchen von schwarzem Sammet befestigt. Noch duftete der Hut von Angiolinens Haar.

Da hörte er Thüren schlagen. Er legte den Hut auf die Zither zurück. Es war ihm, als müßte Angiolina hereingestürmt kommen und ihren Hut selbst holen.

Ein Gefühl, sie zurückzuhalten und sie, die eben alles verlor, mit dem Schwesternamen zu begrüßen, überwältigte ihn einen Augenblick. Wer denkt sich nicht zuweilen eine That des Heroismus, die, im Urrecht des Genius begründet, alle Schranken der Rücksicht durchbricht, eine That, die denn doch wol die ordnende Weltseele ebenso gut, wie jede andere, wieder mit dem Hergebrachten würde zu vermitteln wissen –! Schon mußte er sich halten – wie jemand, der zu dicht an einen ungeahnten Abgrund gerathen und statt jählings hinunterzustürzen, lieber mit muthigem Entschluß den furchtbaren Sprung selbst wagt.

Da hörte er vom Garten her den Hufschlag eines Rosses, hörte im regen und nebelfeuchten Kiese den gleichmäßigen Schritt eines Galoppirenden. Jetzt schwenkte das Roß. Es war jenes von vorhin im Schloßhofe. Es schwenkte vom alten Gemäuer zur Rechten her und sauste dahin über die sich abdachende Straße quer am Schlosse vorüber. Darauf saß eine Reiterin. Nur Angiolina konnte es sein. Im dunkelwallenden Kleid saß sie hoch im Sattel. Ja, als sie an der Front der Schloßfenster vorüber mußte, schien sie aus dem Sattel sich zu erheben. Sie sank wieder zurück. Ein 160 Hut mit blauem Schleier schlug hinten über und fiel ihr in den Nacken. Ein schöner Kopf, todtenbleich, mit dunkelschwarzem Haar und lichtverklärt vom durchsichtigen Aether sich abzeichnend! Das Roß war wie im Fluge. Die linke Hand hielt die Zügel, die rechte riß den Hut ganz vom Haupte. Nun ragte die Gestalt empor, schlank und luftig schwebend. Die Hüfte war zum Umspannen. Benno suchte das Auge. Sie schien es zuzudrücken. Es war, als wollte sie nichts mehr von dieser Welt erkennen! Immer weiter und weiter schlängelten sich die Windungen des Weges. Das Roß schwenkte wieder. Sie selbst schien wie von einer Schaukel gehoben. Nun verlor sie sich hinter den Büschen. Wieder tauchte sie dann auf . . . Ein Bangen ergriff Benno bei ihrem, immer mehr sich verlierenden, zwischen den Büschen bald offenen, bald von ihnen gedeckten Anblick. Wo raste sie so hinaus –? . . .

Oder – Wie ist das? Kehrt sie zurück? Ist sie nicht schon wieder in der Nähe? . . . Nein! Neuer Rosseshuf erklingt. Der Reiter sind aber mehrere. Auch sie biegen von der Rechten her ums Schloß . . . Eine Cavalcade ist's von mehreren Herren – und unter ihnen eine Dame, Olympia! Ist's möglich! Dieselben Begleiter, wie gestern. Dieselbe kleine Gestalt, über und über heute in hellblauem Sammet, mit Verzierungen von gelber Seide – Ein schwarzer Chapeau-Mousquetaire, im grellsten Geschmack des Südens mit Goldtressen geschmückt – Phantastischer Carnevalsanblick! Auch sie jagt dahin und erhebt sich ebenso beim Blick auf das Schloß. Sie erkennt Benno –! Ihr Roß schwenkt . . . Wild stieben die Reiter um sie her . . . Eine neue Schwenkung . . . Jetzt ist Olympia eingeschlossen von ihren Begleitern und auch sie verschwindet allmählich.

Benno stand besinnungslos. Er sah die Wirkung – seiner Karte. Ohne Zweifel hatte man seine Wohnung erforscht, seinen Ausflug erfahren, die Richtung erkundschaftet und war ihm gefolgt. 161 Wieder die Statue des Apollin – jetzt von einem Panther umkrallt! So etwa wirkte auf ihn diese Erfahrung. Mit solcher Wildheit sich geliebt zu sehen – muß vielleicht den Tod versüßen!

Da gingen die Thüren und der Diener kam eilends zu dem völlig Besinnungslosen. Eben kommen Se. Erlaucht! sagte er. Seine Worte erklangen wie der Ton der Erlösung und glücklichen Hoffnung.

Die Erscheinung, daß Herrschaften von Wien her oder aus der Umgegend die Durchfahrt durch den Park und an Schloß Salem vorüber benutzten, schien eine häufig vorkommende zu sein. Der Diener wenigstens achtete nicht darauf.

Schon im Vorzimmer sprach eine hellkräftige Stimme mit der dem Weltgebildeten geläufigen Fassung eine Entschuldigung für das lange Ausbleiben.

Graf Hugo trat ein. Es war eine schöne männliche Erscheinung. Hochgewachsen, wie seine Mutter Erdmuthe. Das Haar braun, lockig; hie und da an Stirn und Schläfen dünn; Lippen und Kinn trugen desto voller den Bart. Die Augen waren blau. Der erste Eindruck blieb vor den Bewegungen der Höflichkeit und einer nur mühsam verborgenen Erregung unbestimmt und gab sich fast zu lebhaft. Der Graf trug ein kurzes, militärisches, weißes Hauscollet mit einer leichten Paspoilirung von Rosaschnüren an der Brust, an den Achseln und Aermeln, lange, eng anliegende blaue Beinkleider, unten mit einem Besatz von glänzend lackirtem schwarzen Leder, das gegen die Hausstiefel mit bunter russischer Lederstickerei grell abstach.

In einer etwas lauten Sprechweise wienerischen Tonfalls entschuldigte er sich, daß ihn Geschäfte abgehalten hätten, früher zu kommen und auch – sich in eine vollständigere Toilette zu werfen. Alles das kam, als hätte er eben nur eine Abhaltung gehabt in seinen Ställen oder sonst bei einem Lieblingsgeschäft, das 162 abgewartet sein wollte. Der Uebergang zum Rauchen, das Nöthigen auf ein dunkel gestelltes, ganz in der Ecke hinter dem Schreibtisch befindliches Kanapee, alles war so leicht, so im Ton der harmlosesten Zuvorkommenheit, daß kein anderer gemerkt haben würde, wie dennoch die Art, als er in die Kissen zurücksank und von seinen Wangen die leichte Röthe der ersten Begrüßung verschwand, die äußerste Erschöpfung nach einer aufregenden Scene ausdrückte. Im forschenden Blick auf Benno lag der völligste Ausdruck der Unbefangenheit über dessen Beziehung zu Angiolina. Auch kein Stutzen etwa über eine Aehnlichkeit. Noch blieb alles ungeordnet, abgerissen, was der Graf über Benno's Aufträge sprach.

Dieser sammelte sich selbst erst durch das Aufschließen seines Portefeuille. Die Eindrücke stürmten zu mächtig auf ihn ein! Die Verlegenheit des Grafen wurde übertroffen von seiner eigenen. Allmählich begann er: Herr Graf, da ich die Ehre habe – Frau Gräfin Mutter zu kennen und – den Bewohnern von Schloß Westerhof durch lange Jahre nahe stehe, so hab' ich gern – bei Veranlassung einer Reise nach dem Süden, die Aufträge übernommen, die mir Herr – Dominicus Nück ertheilt hat. Ich soll Ihnen – vorlegen, was die Agnaten der Dorstes, die Landschaft, die witoborner Curie zuvor gesichert wünschen müssen, ehe die Vermählung zwischen Ihnen und – Comtesse – Paula zu Stande kommt – worüber Sie wahrscheinlich schon die directe Entscheidung durch Ihre Frau Mutter erhalten haben.

Kein Wort hab' ich erhalten –! sagte Graf Hugo, immer noch wie scherzend. Er versuchte, eine Cigarre anzündend, den Ton der Leichtigkeit beizubehalten. Kein Wort, wiederholte er, das entscheidend wäre –! Die Mutter kommt in diesen Tagen zurück – Sie kann schon heute da sein – Da werden wir ja – denk' ich, das Nähere hören!

163 Ich zweifle nicht, daß Frau Gräfin-Mutter die Nachricht von Comtesse Paula's Einwilligung bringen wird – Ich wünsche Ihnen Glück zur Verbindung mit einem der edelsten Wesen der Welt!

Graf Hugo schwieg. Die Cigarre, die nicht recht brennen wollte, fortlegend, sagte er: Sie bringt mir ein großes Opfer –!

Es währte eine Weile, bis er, während er die Hand aufstützte, fortfuhr: Ich bin davon beschämt – Herr von Asselyn, das alles sind sehr traurige Nothwendigkeiten! Sie werden ja unterrichtet sein – wie das schon seit Jahren – – Mit diesem Worte stockte seine Rede.

Benno sah, wie sich die hochgewölbte, männlichstarke Brust hob und senkte.

Man sollte – sagte der Graf, wiederum nach einem möglichst heitern Tone ringend – man sollte eigentlich nie großmüthig sein! Es war seit Jahrzehnden in unserer Familie die stehende und in Briefen, ja gerichtlichen Erklärungen, sogar in testamentarischen Verfügungen meines Vaters ausgesprochene Redensart: Allerdings wenn sich die Urkunde fände –! Nun ist sie da und alle unsere Bravaden werden beim Wort genommen. Soll ich wieder aufs neue processiren? Soll ich die Urkunde anzweifeln? Die Verbindlichkeit des Katholicismus, als eine gefälschte, leugnen? Ihr Staat duldet bei Testamenten keine Religionsverbindlichkeiten! Das weiß ich vollkommen. Ich würde selbst einem Gegner, wie Nück gegenüber, gewinnen. Aber erst nach zehn Jahren –! Diese Zustände einer Proceßführung sind nicht mehr zu ertragen!

Als Benno zustimmend schwieg, fuhr der Graf fort: Die Leute sagen, die Urkunde wäre ein Extrastück unsres Terschka und befohlen aus Rom. Aufrichtig, ich glaubte es erst auch, jetzt nicht mehr. Der arme Schelm hat uns alle betrügen müssen, das ist wahr! Aber hierin ist er unschuldig. Meine Mutter hat ernste Scenen mit ihm gehabt. Ich will hoffen, daß ihm England den »neuen 164 Menschen« anzieht, der, wie Sie wissen, zur geistlichen Garderobe meiner guten Mutter gehört. Die Arme! Ihr Eifer, ihre Bemühung rühren mich. Ich will alles thun, was der Mama auf ihre alten Tage Beruhigung gewährt.

Benno breitete seine Papiere aus und horchte den Worten, die im Sinne, nicht im Tone herzlos klangen, horchte um Terschka's willen, dem das Zugeständniß der Verschwiegenheit und einer in der That geübten Discretion machen zu müssen ihn beinahe schmerzte.

Meine Religion ist in diesem Lande sehr schwierig gestellt, fuhr der Graf, in den Papieren blätternd, fort. Ich fürchte, Gräfin Paula wird in diesem Punkt bei mir am meisten Anstoß nehmen! Zumal bei ihrer übergeistigten Richtung. Ich hoffe, Ihre Papiere enthalten nichts von einer Bedingung, mir erst durch eine Conversion die Gemeinschaft – auch des Himmels mit ihr sichern zu sollen?

Benno bestätigte diese Voraussetzung und berichtete, daß die Vorbehalte lediglich auf Besitzfragen gingen.

Der Graf erklärte, das alles, was er da fände, schon mit wiener Advocaten besprochen zu haben und sagte, die Papiere zurücklegend: Am liebsten fänd' ich in diesen Papieren ein Bild der Gräfin! Wie ist es jetzt mit ihrer Krankheit? Meine Mutter schreibt nichts darüber. Wahrlich, ich gestehe, ich würde verzweifeln, wenn sich diese Dinge hier so fortsetzten, wie in Westerhof –

Man sagt, die Ehe hebt einen solchen Zustand auf! entgegnete Benno.

Graf Hugo erhob sich, sah zum Fenster hinaus und sagte mit einer Schüchternheit, die an einem Mann, der die Gesetze des Lebens so leicht zu nehmen schien, kaum zu erwarten war: Die Ehe! Eine Ehe, wie sie eben in unsern 165 Standesverhältnissen so oft geschlossen wird –! Und ich soll nach Westerhof dann kommen! Ich bin es kaum im Stande – so – fürcht' ich mich –

Benno ehrte diese Ausbrüche des ringenden Ehrgeizes und vielleicht eines liebenden Herzens durch Schweigen.

Ich weiß es sehr wohl, fuhr der Graf fort, wir Männer bringen mit unserm Herzen viel zu Stande. Wir können aus unserer Liebe nicht das nur einmal vorhandene Kleinod machen, das eben die Frauen darin sehen wollen!

Nach diesen, mit einem leichten Seufzer und einem schärfern Fixiren Benno's begleiteten Worten verlor sich des Grafen Blick wie innenwärts. Er stand am Fenster, strich sich sein Haar, nahm mechanisch von der Console ein kleines Fernrohr, wie es Offiziere beim Felddienst führen, und sah in die Ebene hinaus. Es waren Bewegungen, die der Zerstreuung angehörten.

Benno lenkte zu den Papieren zurück, die er in der Hand behalten hatte.

Plötzlich blickte der Graf starr durch sein Perspectiv, das er zu verlängern anfing.

Einzelheiten dessen, was den Grafen beim Sehen in die Ferne zu interessiren schien, konnte Benno bei einer ohne Zweifel großen Entfernung nicht unterscheiden, aber gewiß waren es die Gruppen der Reitenden. Der Graf erblaßte, reichte Benno das Glas und sagte: Was sehen Sie, Baron?

Benno sah zwei Reiterinnen, Angiolina und Olympia, im Wettlauf. Die Offiziere schienen beide umringt zu haben. Selbst bei der großen Entfernung war die Schnelle des Ritts ersichtlich; es mußte wie im Sturm dahingehen.

Wer sind denn diese Unverschämten –! rief der Graf mit ausbrechendem Zorn, sah sich nach dem Klingelzug um, nahm schnell das Glas zurück und starrte wieder hinaus. Sie umringen sie 166 ja mit Gewalt! sprach er mit erstickter Stimme. Sie will von ihnen los!

Benno nannte den Namen der Italienerin. Es sind Offiziere der italienischen Garde! setzte der Graf hinzu. Graf Zerbelloni scheint's, Marchese Melzi –! Zornfunkelnd sprühte des Grafen Auge. Er sah sich um, als suchte er Waffen. Dann bekämpfte er sich und trat vom Fenster zurück. Der Wald unten verbirgt sie jetzt! sagte er.

Benno ergriff noch einmal das Glas. Man sah nichts mehr.

Ich kann mich auch geirrt haben – sprach der Graf jetzt erschöpft und glaubte den Beruhigungen, die Benno gab.

Nach einer Weile, wo Benno die wildesten Kämpfe des eigenen Herzens zu bestehen hatte und doch auch die des Grafen mitfühlte, brach dieser, anfangs mit nur leiser, allmählich aber lauter, weicher und wohlklingender Stimme, in die Worte aus: O mein bester Herr von Asselyn! Was ist das doch für ein Menschenleben –! Terschka's Maxime, wenn sich der arme Teufel zuweilen so ängstlich umsah – ich habe für den leichtsinnigen und zuweilen recht durchtriebenen Menschen doch mehr Mitleid als Verachtung – war die: Wir können zu jeder Stunde annehmen, daß alles, was wir unser tiefstes Geheimniß glauben, jedermann bekannt ist –! Lieben Sie à la Egmont ein Mädchen in der Vorstadt und glauben noch so unbemerkt zu sein, wenn Sie zu ihr gehen – man hat Sie doch gesehen! So will ich auch gar keinen Anstand nehmen, Ihnen zu bestätigen, was Sie ohne Zweifel selbst schon beobachteten, daß ich soeben die furchtbarste Scene meines Lebens durchgemacht habe –! Ayez pitié de moi! Vous en dévinez la cause! Damit sank der Graf auf sein dunkles Kanapee, legte einen Fuß auf die Polsterung und bot ein Bild der tiefsten Erschöpfung. Die lange Verstellung rächte sich. Seine Kraft war dahin. Ganz leise flüsterte 167 er allmählich, wie um Benno – zu zerstreuen: Das da ist mein Vater! Als ich seinen Tod erfuhr, war ich noch ein Knabe! . . .

Benno bat, sich nicht aufzuregen und sich um ihn keinen Zwang anzuthun. Er schlug vor, er wolle sich einstweilen in den Park begeben.

Nein, nein! sagte der Graf. Nur das Geheimthun erschöpft – Nun wird es schon gehen!

Benno sah den ganzen Ausbruch der Liebe zu einem Wesen, das so eng mit seinem eigenen Dasein verbunden war. Ihm selbst verhängte ja das Schicksal nichts Geringeres als dem Leidenden, der sich wenigstens aussprechen durfte!

Ich versichere Sie, fuhr der Graf fort, ich habe den heiligsten Willen, fest und standhaft zu bleiben. Ich sagte ihr soeben: Die Stunde ist gekommen, die über mein Leben entscheidet! Ich gewinne die Hand einer Heiligen und kenne das Opfer, das mir und dem gemeinschaftlichen Stammnamen gebracht wird – Wir müssen uns trennen! Ich sagte ihr: Ich habe dich als halbes Zigeunerkind einst in Zara gefunden – In Zara, wo ich die Pfeifen da kaufte und die Waffen an der Grenze erbeutete von den Bosniern . . . Ja, Baron, in Zara sah ich das kleine Mädchen hoch zu Rosse stehen. Es war allerliebst! Wenn Angiolina durch die bunten Reifen, mit und ohne Sattel, gesprungen war und nur Ein einziger Sprung war misglückt, so schüttelte sie den Kopf zu allen Beifallszeichen und rief: Niente! Niente! Ich hab' es schlecht gemacht! Es war eine italienische Truppe . . .

Benno wandte sein Auge ab, das sich mit Thränen füllte.

Die Unterhaltung in Zara, fuhr der Graf fort, dauerte vierzehn Tage. Die Gesellschaft wollte abreisen und wir Offiziere hatten an dem Kinde eine solche Freude, daß ich meinen Kameraden den Vorschlag machte: Kaufen wir's dem Führer ab! Wir wollen's erziehen lassen! Die Kameraden wollten nicht. 168 Da that ich's für mich allein. Die Gesellschaft war klein und der Director machte schlechte Geschäfte – er ließ mir Angiolinen für zweihundertfünfzig Gulden.

Oeffnet euch, ihr Vorhänge des Himmels, daß ich meine Hände ausbreite zur Anklage eines Vaters, dessen Unthaten solche Opfer forderten! rief es in Benno's Innern. Er konnte nur leise fragen: Wem gehörte das Kind?

Es war wild aufgewachsen. Der Director wird's gestohlen haben, wie diese Leute thun. Später haben wir nachgeforscht und kamen bis ins »Reich« hinein. Eine italienische Familie, die am kasseler Hof, unter Jérôme, bei der Oper mit der Feuerwerkerei beauftragt war, hatte das Kind bei sich. War's ein Kind dieser Italiener? ich weiß es nicht. Der Krieg hetzte damals alles durcheinander. Angiolina war elf Jahre, als ich sie mitnahm und aus Vorsicht noch einmal taufen ließ. Ich gab sie einem gewissen Pötzl in Wien zur Erziehung. Nicht wegen seiner – sondern wegen seiner Frau, die eine gute Haut war. Da ist das Mädchen erzogen worden. Es war eine Pracht, wie sie heranwuchs, sich bildete und keinen gewöhnlichen Geist besaß. Ich ließ ihr die Sprachen und etwas Musik beibringen. Das alles hab' ich im reinsten Sinn gethan. Später freilich –

Benno schwieg, von innigstem Herzen zustimmend.

Nachdem, fuhr, sich selbst die Brust erleichternd, der Graf fort, kam Terschka in meine Nähe . . . Ich kann nicht sagen, ist's Zufall, weil damals das Mädchen die liebreizendste Erscheinung wurde, oder eine Folge der Eifersucht, weil Terschka ein Auge auf sie warf –

Der Jesuit –? warf Benno ein.

En vacances! sagte der Graf bitter lächelnd. Aber sagen Sie das hier ja zu niemand anders, als zu mir! Die hiesige Gesellschaft erklärt Terschka für einen Abenteurer und Betrüger 169 und erklärt seinen geistlichen Stand für eine Posse. Verlassen Sie sich aber, die Jesuiten hatten ihn abgeschickt, mich katholisch zu machen. Und er hat gut angefangen! Wär' ich ihm in allem gefolgt, so säß' ich jetzt, bei achtunddreißig Jahren, mit beständigem Frieren und versucht' es vielleicht, ob mich nicht ein Ordenshabit erwärmte! . . . Eine Frage im Vertrauen, Herr von Asselyn! Ich hab' gehört, Ihr Herr Oberprocurator Nück litte – an einem curiosen Spleen – an der Hängemanie – ist das wahr?

Man sagt es – bestätigte Benno.

Ich kannte einen dalmatinischen Schiffskapitän, der mich versicherte, das Hängen wäre der schönste Tod – man wüßte das genau in der Türkei, wo die grüne Schnur zu Hause ist. Gerade ebenso wußte Terschka den allmählichen Untergang an Leib und Seele zu einem Genuß und einem Genuß ohne Gewissensbisse zu machen. Daß er sich selbst dabei so erhalten hat, machte sein Mangel an Reue. Nichts ruinirt mehr, als die Reue! sagte er. Terschka's Satz war: Betrachte jeden Menschen wie ein Glas, wo man den Ton sucht – mit einem Instrument sucht, in welchem es wiederklingt! Den Ton forcire dann – bis es bricht! So hast du jeden Menschen gesprengt! Er wußte von jedem seine innerste Natur zu entdecken; nach dieser setzte er sich dann mit ihm und kam auf die Art mit allen aus. Bei mir stützte er sich – beschämend genug für mich! – auf Bagatellen, auf die Pferde – In seiner Jugend muß er, glaub' ich, auch Kunstreiter gewesen sein – Kurz, erst als Terschka sagte: Um Ihrer Frau Mutter willen müssen Sie anfangen, nicht so oft zu den Pötzl's zu gehen – da gerade ging ich alle Tage hin. Das Ende war, daß ich, als die Pflegmutter starb, Angiolinen vom Alten wegnahm, erst so zu sagen ihr Bruder und dann ihr Geliebter wurde. Das ist manches Jahr her und ich kann wol 170 sagen: Diese Liebe hat mich vom Untergang gerettet! Angiolina wurde mein Schutzgeist! . . . Nicht etwa durch Moral, die ist hier nicht am Platz – Im Gegentheil, die Wilde konnte trotzen, ausschlagen, lügen, sich rächen, wie nur einer, der gereizt wird. Doch es gab nur Einen Menschen in der Welt, um den sie das alles that. Der trug einen Helm mit Federn, einen blanken Harnisch, wenn er im Dienst war – und außer Dienst und auf Urlaub, wie jetzt, war er ein Kind, das einen ganzen Tag damit zubringen konnte, für sie Pappkästchen zu machen! Für die Welt freilich existirt dergleichen nicht als poetisch. Die sagt ganz einfach: Graf Camphausen hält sich eine Maitress' –!

Benno warf Blicke in das Leben, wie er sie noch nicht gekannt. Er wagte, sich auf des Grafen Standpunkt zu stellen und sagte: Angiolina wird Ihnen – auch nach der Heirath – unverloren bleiben . . .

Nein! entgegnete der Graf mit Entschiedenheit. Ich habe die Absicht, wenn Comtesse Paula meine Gattin wird, sie anständig zu behandeln. Glauben Sie mir, das Geschick meines Hauses, meines Namens, diese letzte Enttäuschung durch die Urkunde, die ich ohne einen furchtbaren Lärm für die Welt gar nicht abschütteln kann, erschüttern mich zu heftig! Ja, ich war glücklich mit Angiolina, aber ich gefiel mir nicht mehr in diesem Glück. Sie war ein Weib mit allen Schönheiten und allen Untugenden ihres Geschlechts. Großmüthig und rachsüchtig. offen und falsch, alles in Einem Herzen. Zu ertragen war's nur von dem, der für sie die Welt war und – zu dem Kinderspiel die Zeit hatte! Es mußte endlich aufhören –

Benno gedachte bei dieser Schilderung seiner Schwester der Natur ihres gemeinsamen Vaters.

171 Diese Erfahrung mit Terschka, fuhr der Graf fort, hat mich dann auch aufgerüttelt. Ich bin darüber ernst geworden. Ich werde kein Kopfhänger werden und zu sprechen anfangen, wie meine Mutter spricht. Aber ich denke so: Hab' ich die Mittel, die mich aus meiner traurigen, schon vom Vater geerbten Finanzlage befreien, so nehm' ich meinen Abschied. Ich werde bauen, pflanzen, für die Erhaltung meines vielleicht fortblühenden Stammes sorgen! Noch mehr, ich liebe Paula schon im Geist. Sie lächeln? In der That, ich blicke voll Andacht zu ihr hin. Ich bin eifersüchtig – auf das Kloster, das sie wählen wollte, Herr von Asselyn!

Benno stutzte über die Betonung seines Namens. Sie war so scharf, daß sie nur Bonaventura gelten konnte.

Ich sagte Angiolina, fuhr der Graf, diesen Eindruck seiner Worte flüchtig beachtend, fort: Du erhältst deinen Lebensunterhalt, wie es meinem Adoptivkinde gebührt! Du ziehst zu deiner einzigen Freundin, die dir noch geblieben ist – einer gewissen Therese Kuchelmeister – Diese will zur Bühne gehen und wird reisen. Sie nimmt dich mit, das zerstreut. Störe meinen Entschluß nicht, der unwiderruflich ist! Von der Stund' an, wo ich einen Bevollmächtigten erwarte, dessen Vorlagen ich unterschreiben muß, räumst du drüben den Pavillon! Ich sagte ihr das täglich, wiederholte es seit drei Tagen stündlich. Ich bat sie um Hülfe gegen mich selbst, bat sie um ihren Haß, um ihre Verachtung – Sie warf sich vor mir nieder und umschlang meine Kniee. Tödte mich! rief sie noch im letzten Augenblick, vor einer Stunde. Erschieße mich! Sie reichte mir eine Pistole, die sie heimlich geladen hatte und bei sich trug. Ich entriß sie ihr . . . Da rollte Ihr Wägelchen vor und – es war aus. Ich kann es selbst in der Schilderung nicht zum zweiten mal erleben –!

Benno hatte sich dem in das Sopha zurückgesunkenen, die 172 Augen mit der Hand bedeckenden Grafen genähert. Er hatte seine Hand, ob diese gleich selbst zitterte, auf die Schulter des kraftlos Zusammengebrochenen gelegt. So stand er eine Weile, stummberedsamen Antheils, und rang mit den stürmenden Geistern, die aus ihm selbst hervorzubrechen drohten.

Seiner Selbstbeherrschung kam ein Klopfen des Kammerdieners und die Meldung, daß angerichtet wäre, zu Hülfe. Ein Frühstück –! Auch das muß sein! sagte der Graf und erhob sich.

Benno blickte auf die geöffnete Thür ablehnend.

Nein, nein! Kommen Sie –! sagte der Graf und führte Benno.

Der Kammerdiener hielt sich in ehrerbietiger Ferne und schien den Grafen, der jetzt eher ein Gemisch von Gutmüthigkeit und Phlegma bot, nicht im mindesten zu stören, denn im Gehen fuhr dieser fort: Sie ist auf ihrem Pferde, das sie behalten will, nach Wien – Franz hat sie doch wol, wandte er sich zum Kammerdiener, zur rechten Zeit eingeholt?

Am Meilenstein schnitt er ihr den Weg ab! sagte der Diener.

Franz war der Reitknecht von vorhin.

Obgleich Benno voranging, bemerkte er doch, daß der Kammerdiener, hinter ihnen hergehend, nun den Strohhut ergriff und ihn auf dem Rücken haltend mit sich nahm, jedenfalls um aus dem Zimmer seines Herrn alle Erinnerungen an die abgeschlossene Vergangenheit zu entfernen.

Graf Hugo war in dem Grade der Selbstbeherrschung fähig, daß er, trotz seiner Erregung, im Gehen an einen zweiten Diener, der sie in einem, zwei Zimmer weiter gelegenen kleinen Eßsaal empfing, die Frage richtete: Was ist das für eine Livree da draußen –? Diese Frage war mit einem Blick auf den Garten verbunden.

173 Erst jetzt bemerkte Benno, daß ein Wagen mit vier Pferden langsam durch den Park fuhr, mit zwei seltsam costümirten Bedienten auf dem Tritt und einem phantastisch gekleideten Mohren neben dem Kutscher.

Eine fremde Herrschaft aus Italien! sagte der Diener. Eine Dame sitzt im Wagen. Sie gehört zu den Reitern, die noch nicht lange vorbeisprengten! Ein junger Herr ist bei ihr, der ein schwarzes Pflaster an der Stirn trägt.

Principe Rucca – und – unsere Mutter! sagte sich Benno und suchte sich zu halten. Zum Tod erblaßt, ergriff er den Sessel und ließ sich dem Grafen gegenüber nieder.

Der Wagen war jetzt verschwunden. Nur das Knirschen seiner Räder hörte man noch im feuchten Kiese.

Ist Ihnen nicht wohl? fragte der Graf, jetzt erst bemerkend, daß sein Gast kaum die Serviette zu ergreifen im Stande war.

Es ist vorüber – hauchte Benno mit äußerster Anstrengung sich bekämpfend.

Mein Gott! Sie haben so lange gefastet –! entgegnete der Graf und rieth erst zu einem Glase Wein.

Benno lehnte alles ab. Er ergriff den Löffel zur Suppe.

In Gegenwart der Diener ließ sich das begonnene Gespräch zwar nicht ganz wie vorhin fortsetzen, aber es blieb ernst. Man sprach über Wien, Oesterreich, über diejenigen Eindrücke, die jedem Fremden zuerst aufstoßen müßten. Der Graf schilderte die Lage der österreichischen Aristokratie als nicht eben beneidenswerth. Wir leben, sagte er, nach den Ansprüchen, die unser Stand und die Gesellschaft mit sich bringen, daher also in einer fortwährenden Steigerung unserer Bedürfnisse. Indessen verringert sich unser Besitzthum an Werth. Ich kann Ihnen die ersten Herrschaftsbesitzer nennen, denen ein einziges Reh in der Verwaltung ihrer Wälder durchschnittlich fünfhundert Gulden 174 kostet und die von leidlicher Ordnung sprechen, wenn es als um zehn Gulden an einen Wildprethändler verkauft in der Rechnung steht. Das ist die Incongruenz aller unserer Lebensbeziehungen –!

Durch Castellungo gehörte der Graf auch Sardinien an. Er forderte Benno auf, den Besuch Castellungos nicht zu versäumen. Die dabei unvermeidlichen Uebergänge des Gesprächs auf bezügliche Namen und schwebende Interessen, auch auf die Cardinäle Fefelotti und Ceccone, brachten das Gespräch auf Bonaventura. Der Graf blickte nieder und ließ sich erzählen. Man erwartet ihn ja wol auch hier –? fragte er mit einem Ton, der Benno wieder auffallen durfte.

Gegen Ende des einem Diner entsprechenden Frühmahls bemerkte man das längere Ausbleiben der Diener und eine lebhafte Bewegung in den Zimmern. Im schnellsten Trabe wurde auch ein Reiter vom Garten her vernommen. Die Diener blieben zuweilen beim Serviren wie angewurzelt an einer Stelle stehen, warfen sich bedeutsame Blicke zu und schienen etwas aussprechen zu wollen.

Wieder von neuem hörte man Hufschläge. Alles ringsum bekam einen Ausdruck von Unruhe und Störung der bisherigen Ordnung, ohne daß man Ausrufe oder auch nur eine laute Stimme hörte.

Endlich fragte der Graf die am Büffet flüsternden Diener beinahe im Ton des Unwillens: Was gibt es denn?

Da die Diener nicht antworteten, wiederholte er seine Frage und legte, nun schon erblassend, die Serviette nieder. Er schien einer üblen Botschaft gewärtig.

Franz ist zurück – sagte der ältere Diener zögernd.

Der jüngere fügte zagend hinzu: Es hat – ein Unglück gegeben –

175 Der Graf erhob sich. Seine Augen zuckten. Daß es Angiolina war, die ein Unglück getroffen, verstand sich sofort von selbst.

Die Diener sahen zum Fenster hinüber.

Was ist denn?! Ein Sturz vom Pferde?! rief der Graf und wollte Dienstleute rufen. Die kurze Frage kam nur noch halb von seinen Lippen.

Benno war in gleichem Entsetzen aufgesprungen.

Die Diener trugen dem Grafen einen Sessel nach – er hatte zur Thür gehen wollen und war zusammengesunken.

Verwundet doch – nur –? rief Benno, zu seinem Herzen greifend, als bräche es auch ihm.

Die Diener stockten und erklärten gleichzeitig und mit demselben Ton: Ja, aber – lebensgefährlich –!

Sie ist todt –! hauchte der Graf und seine zitternde Stimme setzte hinzu. Ich weiß es! Seine Hände richteten sich wie die eines Irren gen Himmel.

Die Diener bestritten entschieden diese schnelle Annahme. Sie wäre sofort in ihren Pavillon getragen worden – sagten sie. Ein Arzt würde von Franz aus dem nächsten Orte berufen. Auch die fremden Herrschaften, die vorübergeritten, wollten nach einem Stadtarzt schicken –

Diese Elenden sind schuld an ihrem Tod! schrie der Graf auf und eine zuckende Bewegung ergriff seine Hände und Füße. Der Franz –! rief er. Warum folgte ihr Franz nicht schon auf der Stelle von hier –? Seine zornige Rede erstickte im Schmerz. Es war ja nichts mehr zu ändern –! Seine Anklagen verhallten in den beiden Händen, die er vor die weinenden Augen hielt.

Benno glich dem von Schlangen umringelten Laokoon, 176 der Hülfe rufen will für sich selbst und doch den eignen Tod nicht achtet in der Angst um das Geschick seiner Angehörigen.

Sie ritt bergab mit verhängtem Zügel! berichtete der Diener nach Franzens Aussage. Allmählich ging das Pferd langsamer. Sie schien es nicht zu achten. Da stand es ganz still. Sie saß im Sattel wie abwesend. Indeß war Franz unten auf der Landstraße und wartete am Ausgang des Parks beim Meilenstein. Da kommen die Fremden im vollen Trab heruntergeschossen . . . Des Fräuleins Pferd scheut. Sie verliert die Balance, verliert den Steigbügel. Die Reiter, die nicht schuld sind, weil sie selbst im Niederschießen begriffen waren, können nicht innehalten. Des Fräuleins Pferd bäumt sich, geht durch und sogleich querfeldein. Das Fräulein rafft sich wieder auf, kniet mit dem rechten Fuß auf dem Sattel, erhebt sich, steht eine Weile hoch in der Luft und stürzt dann kopfüber. Die Reiter waren bereits oben auf der Landstraße angelangt. Franz mußte nun ins Feld hinein, sprang vom Pferd herunter, fand das Fräulein blutend am Boden und bewußtlos. Die Offiziere, Italiener, kehrten auf seinen Hülferuf um, nahmen sie dann auf, legten sie querüber auf ein Pferd und führten sie langsam, indem einer der Herren ging, zum Casino.

Graf Hugo hatte sich inzwischen schon in einen weißen Mantel geworfen, den die Diener hinten zuschnürten. Seine Hand hatte keine Kraft mehr. Eine militärische Interimsmütze lag auf dem Kopf lose und haltlos. Die Hand der Diener mußte sie erst auf den braunen Scheitel festdrücken.

Schluchzend stützte er sich auf Benno – einen Beistand, der selbst den Tod im Herzen trug. Die Schwester gefunden – so –! Und die Mutter arglos in der Nähe –! . . . Er konnte 177 keinen Gedanken mehr, kaum sich selbst festhalten. Der Graf führte – ihn –!

Den Einspänner Benno's sowie sein eigenes Gefährt, das schon im Hof gerüstet stand, lehnte der Graf ab. Ich fürchte mich vor Pferden –! sagte er heiser und mit erstickter Stimme. Und – wir – kommen – setzte er bitter lächelnd hinzu, auch noch – zeitig genug – zu einer – Todten –!

Allgemein bestritt man die Richtigkeit dieser schnellen Annahme.

Wie ein selbst zum Tod Verwundeter lenkte der Graf vom Vestibüle des Eingangs den schwankenden Schritt zum Garten hin. Hier öffnete sich links eine lange Allee von schon kahlen, wie zu einer unabsehbaren Laube zusammengewachsenen Platanen. Durch ein Meer von raschelndem Herbstlaub schritten die beiden Schmerzerfüllten dahin wie geisterhafte Schatten.


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