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Mit fester Hand lehnte Benno die hohe Thür an und bedeutete die Dienerin, sie beide allein zu lassen. Ein spärliches Licht fiel in den weiten hohen Raum durch einen einzigen geöffneten Fensterladen.
Die Herzogin trat näher und sah auf die Todte, von deren Antlitz Benno ein leichtes Tuch wegnahm.
Welch schmerzlicher Anblick –! hörte er die Mutter leise sprechen. Wie jung und wie schön –!
Fünfundzwanzig Jahre –! hauchte Benno, gleichsam die Voraussetzung noch größerer Jugendlichkeit verbessernd.
Fünfundzwanzig Jahre schon –? sagte die Herzogin. In der That, das sieht man am Mund und an der Stirn. Großer Gott, die Stirn blutet noch! Warum mußte sie auch unserer wilden Olympia begegnen! Ihr Roß scheute. Daher dies Unglück. Glauben Sie auch, daß die Gräfin die Schuld trägt?
Benno hätte sagen mögen: Oder – Ich –! denn um meinetwillen kam wol Olympia! . . . Eine elektrische Kraft gab ihm den Muth, zu erwidern: Das Leben ist eine Kette von Ursachen und Wirkungen. Auf die Art geben wir uns einander alle den Tod! Auch ohne die Gräfin würde diese Arme hier liegen!
In der That? Aber der Graf betet sie doch an? fragte die Herzogin.
16 Seine Liebe war ein schöner Traum! Vor einigen Stunden sagte er ihr, daß sie erwachen müßte.
Ich verstehe –! sprach die Herzogin seufzend. Armes Kind und du wolltest kein Erwachen! Wen heirathet der Graf?
Eine Gräfin Paula von Dorste-Camphausen, Nichte des Kronsyndikus von Wittekind-Neuhof!
Die Herzogin zuckte auf, erhob sich, sah geisterhaft um sich, betrachtete Benno, dann athmete sie tief und schwer und beugte wieder das Haupt.
Benno hatte nicht die Grausamkeit gehabt, den Namen seines Vaters zu scharf zu betonen. Er knüpfte gleichsam nur an die Erwähnungen von vorhin an.
Sie kannten – diesen Syndikus der Krone? sprach die Herzogin und rang nach Gleichgültigkeit.
Benno erwiderte: Ich sah ihn nur auf der Bahre, als man ihn in die Gruft seiner Väter senkte –! Da lag er – ganz ebenso, wie hier –! Er hielt inne, um nicht zu viel zu sagen.
Eine lange Pause trat jetzt ein und schon wollte sich die Herzogin, die das Bedürfniß zu haben schien, sich im Wagen von Benno über jene Familie, der sie so nahe stand, mehr erzählen zu lassen, zur Thür wenden. Jetzt oder nie! riefen Benno's innere Stimmen und so wagte er das Wort: »Seine Tochter« – das er nicht ausgesprochen, zu umschreiben. Ich denke mir, sagte er, daß der Kronsyndikus in seiner Jugend Aehnlichkeit mit den Gesichtszügen dieser Unglücklichen dort hatte. Sehen Sie nur diese Stirn! Tritt sie nicht ganz so – trotzig hervor, wie – bei – jenem – Tyrannen?
Das Antlitz der Herzogin vibrirte. Sie horchte der seltsamen Vergleichung hoch auf.
Benno, dem Himmel über seine Gewandtheit dankend, sich in der Sprache seiner Mutter ohne Hinderniß ausdrücken zu 17 können, fuhr fort: Sehen Sie, da liegt noch die Schere, womit der Arzt die Haare von der Wunde wegschneiden ließ. Die schönen Haare –! Ich nehme diese Locken zu deinem Angedenken mit, arme – arme – Schwester!
Diese Anrede wurde, wenn auch mit zitterndem Herzen doch fest gesprochen und die Herzogin fuhr zurück; sie mußte glauben, den jungen Mann plötzlich von Irrsinn befallen zu sehen. Ernstlich suchte sie jetzt die Thür.
Ich nenne dich Schwester! rief Benno noch lauter und deutlicher und bannte damit den Schritt der Entfliehenden. Finden Sie nicht, Herzogin, daß ich ganz auch die Züge der Unglücklichen habe?
Die Herzogin blieb wie auf der Flucht. Sie glaubte einen Narren reden zu hören. Dennoch verglich sie seine Züge und die der Todten.
Nicht ohne Grund sprach ich von dieser Aehnlichkeit mit dem Kronsyndikus – Denn, Herzogin, ich selbst bin mit dem Kronsyndikus verwandt!
Die Herzogin konnte nicht mehr von der Stelle.
Asselyn! sprach Benno. Hörten Sie denn niemals diesen Namen?
Die Herzogin besann sich, biß krampfhaft auf ihre Lippen und starrte Benno an.
Es gab doch einen Freund des Kronsyndikus – Einen Abbate – Francesco! Kannten Sie den Abbate Francesco nicht –?
Die Herzogin machte eine Bewegung, als hätte sie der Stich einer Schlange getroffen. Ist das – Ihre Familie –? sagte sie mit lauerndem Blick. Als Benno schwieg, wollte sie, von einem furchtbaren Gedanken des Mistrauens beschlichen, den unheimlichen Saal verlassen. Sie sah sich um . . . Sie schien sich noch auf einen andern Priester als Abbate Francesco zu besinnen, vielleicht auf den Pater Stanislaus – Sie sprach: Graf 18 Salem-Camphausen – sagten Sie vorhin –? Aber gehen wir! lächelte sie dann und nahm gleichsam die Frage wieder zurück.
Vergebung, Herzogin! sprach fester und fester auftretend Benno. Noch kann ich mich von hier nicht trennen! Dies Blut ist mein eigenes! Ein Geheimniß, Herzogin –! Sie werden mich nicht für wahnsinnig halten! Ich suche eine Schwester! Ich glaube sie in dieser Unglücklichen gefunden zu haben! Still, still! Unter uns! . . . Noch einmal, finden Sie nicht, daß wir uns ähnlich sehen?
Die Herzogin bebte wieder zurück über den Ausdruck in den Zügen des jungen Mannes.
Arme Schwester! fuhr Benno fort. Dein Schutzgeist geleitet dich zum Paradiese mit trauernder Miene. Sie wird Einlaß finden, Herzogin, nicht wahr? Denn ich und meine arme Schwester, wir beide haben eine Mutter, die uns verlassen konnte! Eine Mutter ist die Vorsehung ihrer Kinder – Sie haben recht, was sagten Sie eben? Eine Mutter kann in ihrem Kinde den Vater hassen –? War es nicht das? . . . Nicht alle sind so groß oder ruchlos, wie Ihr Cardinal Ceccone, der in seinem Kinde – die Mutter zum zweiten male liebt!
Jetzt hatten sich Benno's Züge wirklich verzerrt. Aber die Herzogin, die, um zu entfliehen, an der Thür gestanden hatte, drückte diese jetzt nur noch fester zu. Sie fürchtete diese Züge nicht mehr, sondern blieb wie trotzend stehen.
Vergeben Sie, Herzogin! fuhr Benno fort. Wir wollen die Ruhe meiner Schwester nicht stören. Aber mein Geheimniß! Nicht wahr, ein Geheimniß für Sie und mich? Auch ich glaubte von Zigeunern herzustammen, wie diese Arme – wenigstens aus Spanien glaubte ich zu kommen. Ich entsinne mich einer Frau, einer jungen schönen Frau, die mich zuweilen – ich konnte nur ein Kind von drei bis vier Jahren sein – holdselig anlächelte, 19 zuweilen auch wol eine Thräne auf mich fallen ließ – oder es konnten wol auch am Kindesauge nur ihre Diamanten haften geblieben sein. Herzogin, da erfuhr ich plötzlich, daß ich eine Schwester habe! Sie ist geboren mitten auf der Landstraße – Mitten unter den Schrecken des Kriegs, auf der Flucht – Vor fünfundzwanzig Jahren – Von einer Mutter, die eine Italienerin – eine Sängerin war. Sie hieß –
Basta cosi! schrie die Herzogin mit dem Tone der Furie. Sie lief auf Benno zu, ergriff seine Hand, sah sich wild um, richtete ihre beiden, noch der höchsten Glut fähigen Augen auf nur drei Zoll Nähe dicht gegen die seinigen und starrte ihn wie die Erinnye an. Schurke, der du bist! fuhr sie fort. Nachfolger des Paters Stanislaus! Nun weiß ich alles! Hier, hier in diesem Hause wohnte Pater Stanislaus, Wenzel von Terschka! Sollst du es besser machen, als der undankbare Teufel, der dem Al Gesù seinen Spaß verdorben hat –?
Mutter –! rief Benno auf dies entsetzliche Wort aus der tiefsten Tiefe des Schmerzes, des Mitleids, der Liebe und des Erstaunens hervor. Mutter, was redest du –!
Sein Ton war so zart, so innig, daß solche Worte von keinem Betrüger kommen konnten. Jetzt starrte ihn die Gefolterte an. Die verzerrten Züge ihres Antlitzes milderten sich, das Auge, immer sich einbohrend in die Augen Benno's, verlor seine stechende Schärfe, immer schwankender wurde ihre Haltung, die Hände suchten einen Halt, sie sank – Benno stürzte auf sie zu und überwunden lag sie in seinen Armen.
Eine Weile währte es, bis sie sich aus einer Ohnmacht erholt hatte. Benno lüftete ihren Hut, der dann sofort zur Erde fiel. Das Haar verdeckte ein Netzwerk, worunter ein ehrwürdiges Grau schimmerte. Erst allmählich gewann sie Sprache 20 und hauchte, zu ihm aufblickend und obwol schon tief noch zweifelnd, doch schon mit Zartheit: Ce – sa – re –?
Julius Cäsar –! bestätigte Benno, richtete die Augen auf die Leiche und sagte: Und diese nannte man Angiolina –! Wir sind beide deine Kinder!
Wie irr erhoben sich die Augen der Mutter bald auf Benno, bald auf die Leiche, bald gen Himmel. So währte es eine Weile. Dann gingen die Blicke nur noch vom Sohn zur Tochter und gleichsam vom Tode wieder zum Leben hinüber. Endlich riß sie sich wild los und rief: Licht! Licht! Die Fenster auf! Ich muß meine Kinder sehen! Meines Mörders Kinder! Ha! Ha ha! – Wach auf, wach auf, Mädchen! Ich kenne dich ja noch nicht –!
Benno gewann zuerst die Fassung wieder. Man hörte Geräusch, Schritte eines Kommenden. Es klopfte leise. Es war der Graf, dem das lange Verweilen und das bei der Leiche entstandene laute Sprechen hatte auffallen müssen. Die Herzogin lag ausgestreckt über der Leiche, verbarg ihr Haupt und war selbst wie entseelt.
Der Graf durfte diesen Ausdruck weiblicher Theilnahme an einer Südländerin natürlich finden und folgte Benno harmlos, der ihn mit äußerster Beherrschung seiner selbst aus dem Saale zog.
Die Herzogin blieb allein zurück. Sie sah um sich, tastete hin und her, stürzte auf die Leiche, riß sich wieder auf, nahm den ihr entfallenen Hut, drückte ihn auf das Haar, das sie erst hatte zerwühlen wollen. Dann nahm sie mit irrer Geberde die abgeschnittenen blutigen Locken Angiolinens und verbarg sie so schnell, als wenn sie einen Diebstahl beginge. Nun preßte sie wieder einen Kuß auf die Lippen der Todten, dann wandte sie sich und wollte wieder zurück.
Der Graf stand inzwischen wieder in der Thür.
Wir verweilten lange bei dem lieblichen Engel – sprach sie jetzt in kurzen Sätzen. Segne Sie – Gott, Herr Graf, für die 21 Liebe, die Sie ihr schenkten –! Es gibt nur Eine Liebe – mag sie Namen haben, welche sie wolle!
Benno nahm, da sie zusammenzusinken drohte, ihren Arm, obgleich ihm der seinige selbst zitterte.
Der Graf dankte für so viel Theilnahme und begleitete beide bis an die weißschimmernde Stiege, rieth freundlich zur Vorsicht, empfahl Benno seine vorhin ausgesprochene Bitte und nahm zum zweiten mal von einem Beileid Abschied, das alles das zu erkennen und anzuerkennen schien, was jetzt in ihm vorgehen mußte.
Ohnmächtig sinkend, ja stürzend schwankte die Herzogin die gebrechliche Stiege hinunter. Unten standen zwei Diener. Der Schlag des vierspännigen Wagens flog auf. Benno folgte der zusammengebrochenen Frau, indem er sie mehr trug, als führte. Sie sank in ihren Sitz. Er selbst stieg ihr nach.
Der Schmerz der Herzogin konnte allen erklärt erscheinen aus dem im Saale empfangenen, an das gemeinsame Menschenloos erinnernden Anblick. Die vier Rosse zogen an. Pfeilgeschwind flogen sie dahin.
Cielo –! Destino –! Manda mi la morte –! Mit diesen Worten brachen die Empfindungen der Herzogin aus. Benno ergriff ihre Hände. Es war wie eine zweite Geburtsstunde, die sie erlebte. Ihre Zähne klapperten.
Allmählich schlug sie die Augen auf, betrachtete Benno und wollte mit der Geberde einer Fieberkranken die mitgenommenen blutigen Locken küssen.
Benno riß diese fort und umschlang die Mutter mit seinen Armen.
Wieder versank sie in Ohnmacht und fieberte laut.
In dem weichgepolsterten Wagen ging es auf der Landstraße eine Weile dahin wie in einem lautlosen Zimmer. Als der Wagen dann eine kleine Höhe bergan fahren mußte und es nun 22 langsamer ging, schlug die Herzogin die Augen auf, rang die Hände, riß Benno an ihr Herz und küßte ihn. Du bist es! rief sie. Wüßte es doch alle Welt! setzte sie hinzu.
Mutter –! lehnte Benno einen Wunsch ab, der fast wie eine Besorgniß klang.
Wer weiß es noch sonst? fragte sie.
Ich in dieser Stadt allein! antwortete Benno. Er deutete auf sein Herz.
Meine Ahnung ist erfüllt! sprach sie. Mit bangem Herzen bin ich nach diesem Lande gekommen. Ich ahnte, daß ich alles das erleben würde!
Nicht aber in dieser Form! klagte Benno das Geschick an. Nicht mit solcher Grausamkeit! Das Leben im Tode zu finden! Und gewiß, du zürnst mir?
Sie schüttelte den Kopf. Niemand weiß es? fragte sie wiederholt und zweifelnd.
Vier fremde Priester, bestätigte Benno; dann ich und mein Bruder – der Präsident von Wittekind – aber Friedrich ist mein Freund und jetzt auch der deine.
Sie fand sich langsam zurecht und begann: Aber wer weiß, ob ich deine Stimme gehört hätte, wäre sie nicht unterstützt gewesen vom Schweigen einer Todten – Angiolina –! . . . Ja, ich hatte mich mit Haß gerüstet, mein Sohn. Hätte es Gott nicht so verhängt, daß ich meine Kinder so – so wiedergesehen – wer weiß –! . . . Angiolina –! Sie war – eine – Verlorene –!
Benno unterbrach diese Gedankenreihen und fragte im Tone eines liebevollen Vorwurfs: Selbst auf deine Kinder wolltest du den Haß werfen?
Ja, mein Sohn! bestätigte die Frau, deren Lippen noch immer wie vor Fieberfrost auf und zu gingen. Dann fuhr sie, an 23 Angiolinens Verirrung anknüpfend, fort: Es liegt eine wunderbare Macht in dem Gesetz! Dennoch kann sich eine Frau von ihm verirren und vergißt alles. wird sie nur geliebt, Urtheil der Welt und künftiges Gericht. Täuscht sie aber der, um den sie alle Vorwürfe der Welt ertrug und alle Sünden beging, so welkt ihr jeder Baum und jede Farbe verbleicht ihr. Ja schon damals haßte ich dich ebenso, wie ich dich, als du noch unter meinem Herzen ruhtest, geliebt habe. Ich schleuderte – Angiolinen – wie eine Last von mir. Ihm zu Füßen –! Da hast du, was dein ist, Schurke! Ich sah mein Kind nur einmal – als es ins Leben trat. Das wird vor Gott ein Verbrechen sein – aber er strafte mich schon jetzt durch das Verhängniß, daß ich so mein Kind wiedersehen mußte –! Sie versank in Thränen und küßte die blutigen Locken.
Sei versöhnt! sprach Benno mit Milde und wie einer, der, an ein mühevolles Ziel glücklich angelangt, erschöpft zusammenbricht.
Dir bin ich es, mein Sohn! wandte sich ihm die stolze Frau zu, jetzt, wie um ihn zu ermuthigen und mit zärtlichstem Tone, wie eine Braut so weich – Aber Medea – erhob sie sich wieder – Medea schlachtete dem treulosen Vater – ihre Kinder! Nein, nein! beschwichtigte sie gleichsam. Wie kommt das alles – daß du hier bist? Suchtest du mich? Woher weißt du deinen Ursprung?
Benno sammelte sowol sich wie die Mutter am zweckmäßigsten durch die vollständige Erzählung der ihm allmählich gewordenen Enthüllungen. Er schloß seine kurzgefaßten Mittheilungen mit dem Wort: Die Kirche anerkennt jedenfalls deine Ehe –!
Sprich das nicht aus! entgegnete sie. Meine Feinde haben mir mit lächelnder Miene dieselbe Andeutung gegeben . . . Meinen Frevel, die Hand des Herzogs von Amarillas zu nehmen, die 24 ich nahm aus Stolz und Scham über mich selbst. verzeiht das Gesetz; denn ich kannte die Lehre der Kirche nicht. Ich wußte ja, daß mich dein Vater betrogen hatte und war frei.
Wann erfuhrst du das –?
Als ich einige Laute dieser eurer rauhen Sprache erlernt hatte, dieser Sprache, die du nur schön sprichst, mein Sohn! Als ich ein Flüstern zu verstehen anfing, wenn Wittekind mit seinen Freunden zusammen war, ich auf meine Anerkennung drängte und in meine Pflichten nach Kassel nicht mehr zurückkehren zu wollen erklärte, so oft ich auf Neuhof war. Ich erlebte die Grausamkeit des Mannes – O mein Cäsar – hast du etwas in deinen Zügen von diesem Tyrannen –? Jesus ja, ganz bist du sein Bild –!
Nicht im Herzen! sagte Benno, schlug die Augen nieder und zog die Mutter an sich.
Eines Tages warf er mich in einen Kerker! fuhr sie fort. Er ließ mich hungern. Ich schrie um Hülfe. Zuletzt konnt' ich nicht mehr. Er kam in die unterirdischen Gewölbe und kniete an meiner Thür und weinte –! Ja Cäsar, er konnte bestrickend sein, wenn er wollte und Nachsicht bedurfte wie ein Kind. Das geschah zweimal – Ich saß in den untersten Gewölben und fror und hungerte – ich, sein rechtmäßiges Weib – wie ich damals noch – und freilich nur noch das erste mal glauben durfte . . . Mich bewachte ein Teufel von einem Weibe –!
Brigitte von Gülpen! ergänzte Benno. Sie strafte der Himmel! Sie ist ermordet worden.
Gott wird ihrem Mörder zum Paradiese verhelfen! Brigida hieß sie –! Ja! Ich vergesse den Ton nicht, wenn sie sich meldete und ich rief: Wer da! Sie spitzte dann den Mund und lockte mich: Täubchen! Sie hätte mich würgen können – wie eine Taube!
25 Sie selbst starb ganz so, sagte Benno und erzählte den Tod der »Hauptmännin«. Dann fuhr er fort: Aber sie hatte eine Schwester – Petronella hieß sie – Ihr dank' ich mein Leben, meine Pflege, meine Erziehung. Meinem Onkel, dem Abbate Francesco, verdank' ich meinen Namen. Ich hieß der Sohn seines Bruders. Vor der Welt heiß' ich Benno von Asselyn.
Julius Cäsar von Wittekind heißt du –! Und nach mir auch noch Montalto –! So verbesserte sie stolz und fuhr in den sie erleichternden Erinnerungen fort: War ich ermüdet und kraftlos und verhallte ohnmächtig an den Wänden meine Stimme, so kam dein Vater und beschwor mich, ihm zu vertrauen. Er wehklagte, er könnte mich noch nicht anerkennen. Er verlöre die Hälfte seines Vermögens. Auf seinem Witthum beruhte seine ganze Kraft und mit der zweiten Heirath würde er der Sklave seiner Kinder werden. Er nannte Namen, die ich bald vergaß, Verhältnisse, die meine Begriffe überstiegen. Er bat, er flehte hinter dem Gitter, wo mich der Nichtswürdige gefangen hielt. Er kniete nieder, schilderte mir eine glänzende Zukunft –! Ich ließ mich bethören und versprach zu schweigen und nachzugeben. O diese Augenblicke, wenn er den Schlüssel zog, wenn er meine Schwüre hören wollte, daß ich ihm verziehe, erst mir ein Pistol entgegenhielt und mich doch dann wieder mit Küssen verlocken wollte, die er durch das Gitter mir bot – Was hab' ich gelitten, mein Sohn –!
Benno umarmte sie, streichelte ihre Wange, küßte ihre Hände. Von dem Vater sagte er: Er starb im Wahnsinn! Er starb – ein Geächteter, wie zur Sühne solcher Frevel. Einen seiner frühern Freunde hat er erstochen –
Dessen war er fähig! Wär' es nur einer von denen gewesen, die mich betrogen in der Kapelle zu Altenkirchen! Und doch, sagst du, wurde einer von ihnen dein zweiter Vater? Lebt noch 26 der Abbate? Ich glaubte, gerade der wäre bestimmt gewesen zur ewigen Verdammniß! Gerade er machte, und wie aus Achtung vor mir, den Ministranten – er, ein Priester! Als wir ins Schloß zurückkehrten nach der Trauung, sagte ich ihm noch Dank für die Ehre, die er mir gewährt hätte! Als er dafür meine Hand küßte, zitterte freilich die seinige. Der falsche Priester aber war ein Jude – Jahrelang noch betrog er mich – Auch in der großen Kathedrale von – wie hieß der Ort – Witoborn – Er las die Messe. Ich wußte damals nicht, daß es seine erste war! Später erst erfuhr ich's, als ich anfing, mich heimlich nach ihm zu erkundigen. Kurz vor der Flucht des Hofes von Kassel, längst schon in Angst um Wittekind's kaltes Benehmen, in Hoffnung mit Angiolinen, in Angst vor den wilden Kosackenhorden, die schon bis dicht an die Thore schwärmten, nach der großen Schlacht bei – Leipzig, sagte mir's Wittekind ins Gesicht, daß er mein Bleiben nicht länger dulden würde und daß ich gar nicht sein Weib wäre. Trommelwirbel fielen in diese Worte. Die Glocken läuteten Sturm – Feuer! rief es in den Gassen. Schon brannt' es in den nächsten Dörfern. Besinnungslos folgt' ich der allgemeinen Flucht. In der unglücklichen Lage eines Weibes, das die Zwecke der Schöpfung erfüllen soll, ward ich von den Angehörigen der Operntruppe, zu welcher ich gehörte, fortgerissen. Schon am Abend, in einer Scheune, auf dem Wagen eines Kunstfeuerwerkers unsers Ballets, kam ich nieder. Ich raffte am andern Morgen den letzten Rest meiner Kräfte zusammen, stoße das Kind, wie alles um mich her, von mir – Die Gesellschaft wird von den Vorposten der Russen auseinander gesprengt – Ich gelte für eine Todte – So kam ich auf einem Bauerwagen nach Frankreich, verfolgt von den uns überall höhnend zugerufenen Worten: Das ist der Hof des Königs Hieronymus! Ich verfiel in eine lange Krankheit, nach 27 der ich mich erst allmählich auf alles besinnen konnte, was mit mir geschehen war.
Arme Mutter –! sprach Benno und suchte sie zu beruhigen.
Aber die Sprecherin war in mächtigster Erregung und fuhr fort: Der Krieg kam näher und näher. Ich benutzte meine ersten wiedererlangten Kräfte, um an Wittekind zu schreiben; auch an den Bischof von Witoborn, dem ich jedoch alles so mitzutheilen, wie es war, noch Anstand nahm; in eben solcher Zurückhaltung auch noch an die Behörden. Aber letztere wurden überall eben neu eingesetzt. Wittekind antwortete nicht. Die Scham und die Verzweiflung über meinen eigenen Unverstand, meine grenzenlose Dummheit, die ich bewiesen hatte, waren größer noch, als mein Rachegefühl. Ich suchte mich der Welt zu verbergen und verrieth niemanden, was mir geschehen war. Meine nächsten Vertrauten und Umgebungen wurden durch die Zeitumstände von mir gerissen. Nachrichten über ein Bauerhaus einzuziehen, wo du, mein Sohn, lebtest, wurde unmöglich – Von Angiolina hört' ich nichts mehr – Die Welt war nur vom Lärm und Jammer des Krieges erfüllt. So bracht' ich einige Monate in dem damals selbst verzweifelnden, unheimlichen Paris zu. Da lernte mich der Herzog von Amarillas, Marquis Don Albufera de Heñares, kennen – Die Mutter hielt inne, um neue Kraft zu schöpfen . . .
Benno bat sie, sich zu schonen. Bei dem Wort, das er aussprechen wollte: Er würde sie ja nun oft sehen können! stockte er. Wir sehen uns in Rom! verbesserte er sich.
Nein, schon hier! wollte sie mit überwallendem Gefühl ausrufen; doch auch sie unterbrach sich und gestand, ihre Stimme dämpfend: Meine Lage ist – nicht so – wie ich wünschen möchte!
Benno sah, daß in Wien seine Aufgabe erfüllt war. Was sollte er noch hier? Sollte er wie Hamlet einen ungeheuern 28 Schmerz im Busen tragen und ihn im Gesellschaftsleben vertändeln – in einem Liebesroman mit Olympien?
Die Herzogin fuhr fort: Die Feinde hatten Paris genommen. Ein Flüchtling vor Napoleon, kehrte der Herzog mit dem vertriebenen Ferdinand VII. nach Spanien zurück. Er kam aus England und erkrankte in Paris. Hier wohnte er in einem Hause mit mir. Der Streit unserer Meinungen hinderte nicht die Annäherung der Sympathieen. Der Herzog war alt und gebrechlich. Seine verarmte Lage rührte mich. Ich fing wieder an zu singen und theilte mit ihm, was ich hatte. Dennoch war, was ich that, nur Rache an Wittekind –! Er hatte mich endlich mit Geldmitteln bedacht und seinen höhnischen Spott und eine teuflische Bitte um Verzeihung hinzugefügt – Es war Rache, daß ich ihm als »Herzogin« antwortete und ihm ebenso höhnisch, wie er geschrieben, »seine« Kinder empfahl, für die er zu sorgen gelobte, denen ich aber – Gott wolle mir verzeihen! – wie allem fluchte, was mich an ihn erinnern konnte.
Benno erkannte die psychologische Möglichkeit.
Nach einer starren Betrachtung der blutigen Locken Angiolinens fuhr die Mutter fort: Ich reiste nach Madrid. Der Herzog, mein Gemahl, hatte eine Stellung am restaurirten Thron der Bourbonen erhalten. Bald jedoch kehrte Napoleon von Elba zurück; auch in Madrid erhob sich die Revolution. Der Herzog erlag den Anstrengungen einer Flucht vor der Cortesregierung nach Portugal und starb. Wieder stand ich allein, wieder ohne Schutz und Lebenshalt; jetzt bereuend, daß ich mich selbst so rasch zu dieser Veränderung meiner Ansprüche auf Wittekind hatte bestimmen können –! Ich reiste nach Rom. Von dort begann ich in meiner ersten Verzweiflung, mit Schloß Neuhof zu correspondiren und einlenkende Schritte zu thun. Als diese zu nichts führten, drohte ich. Man schrieb mir oder ließ mir 29 schreiben. Ich empfing einiges Geld, im übrigen nur die alten höhnischen und bäurischen Scherze und Bitten um Verzeihung. Las ich diese Briefe, so hörte ich das wiehernde Gelächter, das dein Vater zuweilen ausstoßen konnte, sogar ein Gelächter für sich ganz allein –! Dann jubelte er über seinen Verstand und über die Dummheit der ganzen Welt.
Das wandte sich traurig genug! sagte Benno. Er selbst starb in völligem Irrsinn. Jérôme, sein zweiter, gleichfalls geisteskranker Sohn, starb im Duell. Auch Friedrich, der Erbe, ist nicht glücklich. Doch bin ich mit Friedrich einverstanden und befreundet. Er kennt meine Reise hierher und billigt die Begegnung mit dir. Befiehl du selbst! Er ordnet sich allen deinen Wünschen unter!
Die Herzogin horchte aufmerksam und überlegte. Sie schien das Fortwalten des Geheimnisses vorzuziehen. Wenigstens sagte sie: Mein Sohn! Ich bin die Tochter eines Marchese im Ravennatischen, der sein Vermögen verlor. Ich mußte früh an die Verwerthung eines Talents denken, das mich und die Meinigen ernährte. So legte ich den Namen der Marchesina von Montalto ab und nannte mich Fulvia Maldachini. Von Rom kam ich erst nach Parma. Von dort nach Mailand, von Mailand nach Paris, von Paris nach Kassel. Ich kannte diese ganze dortige fremde Welt nicht und verachtete sie. Meine einzige Umgebung war eine alte Römerin, die mich singen gelehrt hat. Sie war halb erblindet, erschien aber durch ihre Manieren geeignet, meine Duenna vorzustellen. Auch sie verstand die Welt nicht, wo wir mit Anstand lebten. Ich genoß die größten Auszeichnungen und hatte selbst die List des Königs zu fürchten. Ich war tugendhaft, mein Sohn! Ich rühme mich nicht, ich war es vielleicht nur – aus Stolz. Den Freiherrn erhörte ich erst, als er mir die heimliche Ehe anbot und ich sie vor Gott, 30 einem Pfarrer oder dessen Substituten und mehr als zwei Zeugen, die hingereicht hätten, richtig geschlossen glaubte. Meine Entbindung von dir fiel in die Zeit der Ferien an unserer Bühne. Ich genas in einer der kleinen Meyereien, die zu den Besitzungen deines Vaters gehörten. Eine Bäuerin nährte dich. Noch war deine Geburt eines Familienstatuts wegen zu verbergen, aber du hattest meine ganze Liebe. Nie konnte ich dich in den schmuzigen Umgebungen wie ein Bauernkind sehen, ohne mit deinem Vater sofort die ernstesten Kämpfe über die endliche Enthüllung unsers Geheimnisses zu beginnen. Anfangs erfolgten die Beschwichtigungen in Güte. Die spätere Wendung erzählte ich dir schon. Wäre ich nicht von den Pflichten meines Berufs, den ich liebte und den ich so viele Meilen von Neuhof entfernt ausübte, gebunden gewesen, ich hätte so lange mein Geheimniß nicht bewahren können. Als ich endlich den Betrug durchschaute, übertrug ich meinen Haß auch auf meine Kinder. Und ich sag' es dir, Cäsar, ich würde dich und Angiolina nie anerkannt haben ohne diese heutige Wendung des Geschicks, die mir so schreckhaft sagte: Der Mensch lasse die Rache dem Himmel –! Oft befiel mich melancholische Sehnsucht nach den beiden Wesen, die ich unterm Herzen getragen. Einmal – ja, da war ich nahe daran, mich zu entdecken, als jener Pater Stanislaus –
Wenzel von Terschka –?
Du kennst ihn also! Als dieser Pater nach Deutschland reiste und sich mir empfahl. Ich lebte jedoch schon damals in Verhältnissen, die mir die Festhaltung meiner Stellung als Herzogin von Amarillas zur unbedingten Pflicht machten. Und noch jetzt – mein Sohn – – Die Erzählerin stockte und wandte sich ab.
Benno glaubte eine Beschämung zu sehen, die Anstand zu nehmen schien, von Cardinal Ceccone, als ihrer dritten Verbindung, zu sprechen. Ein unendliches Weh legte sich auf sein Herz.
31 Mein Sohn, sprach die Herzogin, seine Gedanken errathend, wenn Cardinal Ceccone in allem so heilig wäre, wie in seinem Verhältniß zu mir, so würde man ihn nach seinem Tode kanonisiren dürfen. Eher kannst du in Rom hören, daß – Ceccone, wie Papst Alexander Borgia, seine eigene Tochter liebt, als das Wort, die Herzogin von Amarillas stünde in einer nähern Verbindung mit ihm, als der, die – Duenna seiner »Nichte« zu sein! Ach, mein Sohn, du siehst mich hier mit vier Pferden fahren, Bediente umringen mich, ein römischer Principe reicht mir den Arm, um mich in die kaiserlichen Theater zu führen, in die Loge des mächtigsten Staatsmannes – ich bin nichts als eine Gouvernante!
Benno ergriff gerührt die Hand der Mutter und sah in ihre umflorten Augen.
Unter unsern Cardinälen, fuhr sie mit schmerzlichem Lächeln fort, gibt es einige, die es verdienen, Muster der Christenheit genannt zu werden. Ihre Zahl ist nicht groß. Die übrigen theilen sich in zwei Klassen. In solche, von denen die Gelübde aus Indolenz gehalten worden, und in solche, welche die Natur nicht betrügen können. Alle aber, selbst die letztern, bewahren den Anstand. Saltem caute! ist unsere römische Devise. Um die immer prüfend und lauernd auf sie gerichteten Blicke der Menschen, namentlich der Priester, zu zerstreuen, zeigen sich die Cardinäle absichtlich ganz weltlich, leichtsinnig, gesellschaftsbedürftig und darum doch nicht anstößig. Das ist, wie die Frauen im Cicisbeat einen Deckmantel für eine in ganz anderer Sphäre versteckte Leidenschaft haben. Jeder Gatte läßt seine Gemahlin ruhig mit dem Cicisbeo gehen. Dieser ist der Freund des Hauses, der Freund des Mannes, der Beschützer der Frau, deren anderweitige Verhältnisse am wenigsten der Cicisbeo kennt. So haben auch die Cardinäle ein Haus, an das sie attachirt sind, wo sie 32 Audienzen geben, wo sie sich ausruhen, Whist spielen und wirklich, wenn auch mit den leichtesten Formen, doch die Tugend und Entsagung selbst sind. Das weiß in Rom jedermann. Cardinal Ceccone kann sich nach seinen Arbeiten in der Sacra Consulta nirgends anderswo erholen, als bei der Herzogin von Amarillas und bei dieser würde es hergehen so still und so fromm, wie im Kloster von Camalduli, wenn sich nicht Olympia mit den Jahren immer gefahrvoller entwickelt hätte – Cäsar! unterbrach sich hier die Sprecherin und betrachtete Benno mit einer Mischung von Staunen und Schrecken – wie war es nur möglich, daß gerade du, du mein Sohn, Cäsar von Wittekind, es sein mußtest, der – Doch nein! fuhr sie plötzlich auf. Fliehe Olympia! Was sie liebt, zerreißt sie!
Benno gerieth in die größte Verwirrung. Seine Ueberzeugung, daß er nichts mehr seit dieser Stunde in Wien zu vollbringen oder abzuwarten hätte, mehrte sich.
Die Mutter fuhr fort: Ich bin nicht die einzige Herzogin, lieber Sohn, die in Roms dunkelsten Gassen wohnt und nur – in den Kirchen, deren wir zu diesem Zweck Gott sei Dank genug haben, von einem ihrem Stand gebührenden Glanze umgeben ist. Man ist arm, aber vom Mund darbt man sich den Miethwagen ab, der uns des Abends eine Stunde auf den Corso führt. Sonst geht man des Tages zu Fuß. Ein Schleier genügt; nicht einmal ein Bedienter ist nothwendig. Alle hundert Schritt liegt eine schöne geräumige Kirche, gebaut aus Marmor, mit stillen Kapellen, dunkeln Ecken, da eine Lampe, hier für die Füße ein Schemel, ein Bild von Domenichino, eine Sculptur von Michel Angelo – So kann man schon eine Stunde lang verträumen, ein Leben der Armuth anständig verschleiern. Du wirst das sehen, wenn du in Rom bist! Du gehst doch Rom? . . . O wohl, wohl! Du mußt es! Oder was – was glaubst du, mein Sohn?
33 Benno hatte die Miene gemacht zu fragen, ob sie es nicht wünsche. Er sah, wie seine Begegnung sie bei alledem zu stören anfing.
Die Kirchen, fuhr die Herzogin nach einigen zärtlichen Blicken fort, die Kirchen in Rom sind zum Beten da; aber sie verbinden zugleich den Zweck, eine Promenade zu sein, die zu betreten nichts kostet. Ich hörte, wie ein Attaché der Gesandtschaft des Königs von Preußen, der erst einige Tage in Rom war, außer sich gerieth, als erzählt wurde: Ich besuche den Carcer Mamertinus beim Capitol, die Kapelle, die über dem Gefängniß erbaut ist, wo St.-Peter vor seiner Hinrichtung gefangen saß; ein Geistlicher tritt herein, kniet vor einem Betpult nieder, wendet das Antlitz zum Altar, zieht, ehe er betet, sein Taschentuch, seine Dose, nimmt eine Prise und dann erst faltet er die Hände!Factische Reiseerinnerung. Dies Bild brachte den Lutheraner außer sich, beleidigte jedoch keinen der anwesenden Römer. Es war ein heißer Tag; der arme Dorfpfarrer, der die Merkwürdigkeiten der Stadt ansah, wollte sich ausruhen und benutzte die kühle Kapelle San-Pietro in carcere. Daß man sich an einem solchen Ort mit der Geberde des Betens ausruht, bringt die Rücksicht auf den Ort und auf diejenigen mit sich, die hier ringsherum vielleicht wirklich beten. Die Kirchen Roms sind nicht Kirchen allein, sondern die ehemaligen Thermen der Kaiser. Sie sind die Gärten und Promenaden der Stadt, die allen gehören, den Armen und den Reichen, den Königen und den Bettlern! Ist denn nicht eben das die Religion, was alle gleich macht? Wer gefallen ist, Könige, die ihre Krone verloren, können keine bequemere Stadt der Welt finden, als Rom. Für die, welche alten Glanz vergessen und doch ohne Demüthigung leben wollen, ist Rom die Stadt der Städte!
34 Diese Aeußerungen einer Frau, die in so unmittelbarer Nähe der Tonangeber der Christenheit lebte, mußten in Benno's Innern wol die Frage wecken: Wie stehen ihre Ueberzeugungen im Verhältniß zur Kirche und zum Zweck der Sendung des Cardinals? Für jetzt jedoch überwog noch das Interesse am Persönlichen.
Sechs bis sieben Jahre, fuhr die Mutter fort, kämpfte ich beständig mit mir, welche Entschließungen ich fassen sollte. Ich war nicht mehr jung, meine Schönheit, wenn ich sie je besessen, war verblüht; ich zog niemanden mehr an, als dann und wann einige Priester, die bald wegblieben, als ich ihnen keine Tafel mehr serviren konnte. Zur Devotion hatte ich kein Talent. Im Singen zu unterrichten widersprach meinem Stolz. Ich processirte mit den Gerichten Spaniens; die Revolutionen und die Cortes wiesen mich ab. Wittekind erlebte in meiner Verzweiflung einige mal die Drohung, daß ich nach Deutschland kommen und gegen ihn die Gerichte anrufen würde. Ich ging so weit, mich über die Gesetze wegen unwissentlicher Bigamie zu unterrichten. Ich überzeugte mich, daß meine Ehe nach kanonischen Regeln anerkannt werden konnte. Dann aber hatte ich in Bigamie gelebt und mußte erst wieder von dieser Sünde befreit werden –! Das ist das besonders Schmerzliche am Unglück, daß es zuletzt feige macht! Es verwirrt uns sogar und läßt uns ganz dumme, oft unwürdige Maßregeln ergreifen. Ich fand aber wirklich da Hülfe, wo ich nimmermehr geglaubt hätte, daß ich sie suchen würde.
Benno horchte voll äußerster Spannung.
Jenseit der Tiber wohnen in Rom jene Volksklassen, die sich noch eine gewisse Natürlichkeit, soweit sie bei römischer Unfreiheit möglich ist, bewahrt haben; Handwerker, die größerer, lichterer Räume bedürfen, als sie die innere Stadt diesseit der 35 Tiber bietet. In Trastevere wohnte ein Metzger, von dem ich mir zuweilen den Luxus gestattete ein besseres Stück Fleisch, ein junges Lamm für die Küche zu bestellen. Noch lebte meine alte Marietta Zurboni, die mich so lange Jahre begleitet hatte. Nun war sie ganz blind geworden; ich gönnte ihr zuweilen Festtage in Wirklichkeit, nicht blos die, welche im Kalender stehen – Was ich da alles zusammenrede –! . . . In diesem Augenblick unterbrach sich die Herzogin und starrte in die Ferne und auf die noch nicht erreichte Stadt.
Benno erkannte, daß so die Mutter plötzlich wieder der Schmerz um die Todte ergriff, die nun schon in Entfernung einer Meile zurückgeblieben war. Sie hielt beide Hände nach der Gegend hin, wo Schloß Salem lag, und machte eine Geberde der Bitte um Verzeihung. Sie küßte wieder die blutigen Haare.
Benno beruhigte sie.
Eines Tages, fuhr sie nach einem kurzen Weinen fort, hatte ich mich von Kirche zu Kirche bis Santa-Cecilia gebetet – dies war die einzige Art, wie ich als Herzogin ohne Equipage vegetiren konnte – Ich that, als könnte ich, da ich doch einmal in Meister Pascarello's Nähe war, bei dieser Gelegenheit, obgleich ich den Titel einer Herzogin führte, auch wol mein Osterlamm selbst bestellen. »Hoheit«, sagte er, »warum sind Sie aus Ihrer Andacht nicht zehn Minuten früher erwacht! Soeben hatte ich noch fünf Lämmchen, weiß wie Schnee, so unschuldig, daß sie die heilige Agnes mit in den Himmel hätte nehmen können –!« Ich bedauerte. »Hätt' ich nur diese Ehre geahnt!« fuhr er fort. »Aber, den Heiligen sei Dank, die Kleinen kommen wenigstens in gute Hände! Gott segne sie, daß ihre Wolle dem Pascarello Ehre macht!« Wer erhielt sie denn? fragte ich. Der ehrliche Metzger zeigte über die Tiber hinweg und sprach: »Wenn die Thierchen 36 gebraten werden, Hoheit, einen solchen vornehmen Rost haben Sie doch nicht! Ich glaube fast, der des heiligen Laurentius wird dazu genommen!« Ich ahnte eine Bestimmung für die Kirche und Meister Pascarello erzählte mir noch eine Geschichte, die jedermann weiß. Im Kloster der Nonnen, die man die »Lebendigbegrabenen« nennt, werden die Lämmer gezogen, aus deren Wolle die weißen, drei Finger breiten Schulterbinden, Pallien genannt, gefertigt werden, die Rom jedem neuernannten Bischof der Christenheit zuschickt – die Achselklappen zu den Uniformen der großen römischen Armee! Die Lämmer können ihre zarteste Wolle nur jung liefern, werden gleich nach der Schur geschlachtet und mit dem Fleische bewirthet dann der Heilige Vater jährlich die zwölf Apostel, deren Füße er wäscht; es sind Arme, die zu dieser Ehre schon lange aus einer Liste verzeichnet stehen und sich vierzehn Tage lang schon täglich selbst die Füße gewaschen haben müssen. »In dem Kloster«, sagte Meister Pascarello, »muß ein Wolf hausen oder eine Wölfin« – verbesserte er sich –; »denn ich habe die Ehre, des Jahres viel Lämmer dorthin zu liefern, mehr als in einem Jahr Bischöfe der Christenheit sterben und neue gewählt werden!« Seltsam! sagte ich gleichgültig und – betete mich wieder in meine dunkle Gasse bei Piazza Navona zurück, wo ich wohnte. Ich erzählte diesen Vorfall einem Prälaten, der mich oft besuchte, obgleich ich ihn nicht leiden mochte seines giftigen und intriguanten Wesens wegen. Leider hatt' ich ihm schon mehr von meinen Lebensverhältnissen anvertraut, als ich hätte thun sollen. Dies ist der jetzige Cardinal Fefelotti, wie man weiß der Feind Ceccone's.
Benno hatte heute diesen Namen als den jetzigen Nachbar des Grafen Hugo in Castellungo nennen hören. Er wußte auch, daß Olympia's Mutter im Kloster der »Lebendigbegrabenen« 37 lebte. Er fürchtete die Aufregung der Mutter und sagte: Laß es! Du wirst mir noch oft erzählen können.
Eine solche Stunde kommt uns nicht so bald! erwiderte sie seufzend.
In Rom! Ich verlasse Wien! sagte er.
Nein! rief die Mutter leidenschaftlich, umschlang und küßte ihn.
Ich gehe nach Rom! Heute noch!
Cäsar –! rief die Herzogin wie im Ausbruch des äußersten Schmerzes und doch zugleich mit mächtiger Freude. Nach einiger Sammlung fuhr sie fort: Fefelotti machte eine schlaue Miene und sagte: »Daraus erkenne ich ja die Wahrheit eines Gerüchtes! Monsignore Tiburzio könnte, mein' ich, von dieser kleinen Wölfin leicht seinen Cardinalshut zerrissen bekommen.« »Sie wissen«, setzte er hinzu, »daß Tiburzio im nächsten Conclave den Purpur erhalten wird.« Die Züge Fefelotti's verzerrten sich häßlicher noch, als sie schon von Natur sind. Ich sah, daß er über einen Plan brütete. Ceccone war schon damals der mächtigste Mann in Rom. Er hatte die Revolution gebändigt, die Carbonari verbannt, eingekerkert oder hingerichtet! Man wußte, daß eine Römerin, Lucrezia Biancchi, ihn hatte ermorden wollen.
Olympia ist das Kind einer neuen Judith! sagte Benno.
Alle Welt weiß es jetzt, bestätigte die Mutter; damals aber noch nicht! Der Generalinquisitor Ceccone schlug die Untersuchung des Mordanfalls, den eine junge Wäscherin auf ihn gemacht hatte, nieder und brachte die Mörderin zu den »Lebendigbegrabenen«. Er wußte wohl, was es hier alles zu verbergen galt! Das fanatische Mädchen, das ihre Ehre geopfert hatte, um ihn zu tödten, kam dort nieder. Olympia, ihr Kind, wurde im Kloster vier Jahre alt. Es war ein Kind der Sünde – ein Kind der Lüge, der Wollust, des Mordes! Von solcher Wildheit des Blutes war sie, daß sie, spielend mit jenen kaum geborenen 38 Lämmchen, zuweilen eines erwürgte. Das Opfern dieser Lämmer ist eine heilige Procedur, die am Fest der heiligen Agnese öffentlich vollzogen wird, und an der von ihnen gewonnenen Wolle soll noch jetzt niemand eifriger spinnen, als die schon bei der Geburt ihres Kindes vom nicht abgewarteten Milchfieber irrsinnig gewordene Lucrezia –
Was ist Wahrheit! klagte es tief schmerzlich in Benno's Gemüth. Da steigt ein riesiges Gebäude auf, ein stolzer Dom! Die Pfeiler ragen wie über felsenfestem Grunde! Die Wölbungen sind wie für die Ewigkeit berechnet! In den Rissen wächst, mit buntestem Farbenreiz sie verdeckend, die Flora der Phantasie und des Gemüthes – die heiligste Andacht nimmt diese weißen Pallien mit den vier schwarzen Kreuzen darauf als die Sinnbilder jenes »verlorenen Lammes, das der gute Hirte gesucht« – und wie macht sich das alles in Wirklichkeit! »Rom blüht und gedeiht!« hatte Hammaker auch beim Vorschlag eines neuen »falschen Isidorus« gesagt –
Die Mutter schien diesem schneidenden Contrast nicht nachzufühlen. Die Römer nehmen das, was von ihnen kommt und zu ihnen geht und was bei ihnen die katholische Welt andachtsvoll verehrt, wie ihr tägliches Brot und etwas sich ganz von selbst Verstehendes. Ich gönnte Fefelotti nicht den Triumph seiner Intrigue! fuhr sie fort. In einer jener Anwandlungen von Thatkraft und Muth, die schon längst bei mir fast aufgehört hatten, schrieb ich an Monsignore Ceccone und warnte ihn, auf der Hut zu sein und aus dem Kloster eine gewisse – kleine Wölfin zu entfernen. Die Visitation durfte im Kloster kein Kind dulden! Dann auch warnte ich ihn vor den unbesonnenen Plaudereien Pascarello's in Trastevere. Dabei hatte ich mich genannt und durfte nicht erstaunen, unmittelbar darauf den Besuch des Monsignore selbst zu empfangen. Ich 39 fand in Ceccone einen Mann von hinreißendem Benehmen, angewiesen auf die Gunst der Frauen. Ich für mein Theil fühlte, daß ich nichts mehr für einen solchen Mann besaß, als höchstens etwas Verstand und sein unendlichstes Bedürfniß nach Beistimmung, das die Menschen zuweilen bindet, besonders wenn sie nicht gut sind. Gefällig sein heißt bei vielen, seine Macht zeigen wollen. So entdeckte sich mir Ceccone allmählich ganz, dankte für meine Theilnahme, warnte vor Fefelotti, der seit frühester Jugend und schon von der Schule her sein Feind war, und machte mir den Vorschlag, daß ich einen Palast beziehen möchte, den er für mich miethen wollte, falls ich Olympia zu mir nähme. Noch mehr! Es wäre ihm lieb, sagte er, wenn ich ihr einen Namen, vielleicht einen aus meiner Verwandtschaft gäbe. Ich ging auf diese Vorschläge ein und gab Olympien den Namen, den ich hier in diesem rauhen und grausamen Lande zurückgelassen hatte: Maldachini. Den Grafentitel, den das Kind bekam, bezahlt man in Rom mit baarem Gelde – Principe Rucca's Urgroßvater war vor hundert Jahren Bäcker.
Benno horchte nur.
Meine Lage besserte sich, fuhr die Mutter fort. Sie wurde sogar glänzend. Ceccone sammelte Schätze und hatte eine solche Liebe zu seiner Tochter, daß sie ihm, wenn wir noch in den Zeiten des »großen« Nepotismus lebten, eine Fürstenkrone werth wäre –; die Krone des Prinzen Rucca entspricht nur noch der jetzigen Stellung des römischen Stuhls. Eine Zähmung der jungen Wölfin ist mir aber nicht gelungen. Sie ist eine Blume, die aus Blut emporgesprossen. Ihr Dasein verdankt sie einem Haß, der sich nur in Liebe verstellte – Lucrezia Biancchi hatte die Bekanntschaft im Hause des Inquisitors durch eine Wäscherin, die für ihn arbeitete, gesucht; sie begleitete diese und nahm ihr zuweilen die Uebergabe der Wäsche ab; so begann ein Roman, 40 den sie benutzte, um den Feind der jungen Freiheit Italiens, wie Judith den Holofernes, zu ermorden. Wir haben ein schönes Land, aber–wilde Menschen darin! Noch werden die Zeiten eisern werden!
Benno war zu ergriffen, um von den Brüdern Lucrezia Biancchi's, von den Oheimen der »Gräfin« zu sprechen, von der Nähe des alten Professors Luigi.
Schlimme Stunden werden auch noch für uns kommen, mein Sohn! seufzte die Mutter. Olympia hatte nie einen Wunsch, der unerfüllt blieb! Sie heirathet den Principe nicht, um seine Liebe oder um seinen Namen zu haben, sondern nur, um eine »Frau« zu sein. Erst dadurch gewinnt ein Weib größere Freiheit. Mein Sohn, Rom hat keine Erziehung, keine Bildung – vor allem keine Tugend –! Es hat nur Leidenschaft und Verstellung –! Wir haben die Formen der Devotion, diese vertreten den öffentlichen Anstand; alles Uebrige ist die größere oder geringere Kunst der Verstellung. Tugend ist nur da bei uns anzutreffen, wo sie zugleich die natürliche Empfindung mit hervorruft, oder da, wo sie schon die natürliche Begleiterin von Stolz und Liebe ist. Ein Staat von Priestern, die unter einem unnatürlichen Gesetz leben, kann nichts anderes hervorbringen. Ich habe es einmal erfahren, was ein in Rom entstandener freisinniger Gedanke kosten kann! Ceccone neigt, wie bei Tyrannen und Emporkömmlingen im Alter öfters vorkommt, zu politischen Verbesserungen und ist in seinem innersten Herzen Italiener, ja mehr noch, ein Römer. Sei versichert, Olympia und ich selbst, wir arbeiten auf die künftige Erhöhung Italiens – eine Errungenschaft, die ohne Bruch mit Oesterreich nicht denkbar ist – –
Benno sah sich um. Die Diener hätten hören können. Schon näherte man sich den volkreichen Vorstädten. Seine Besorgniß war jedoch ungegründet. Fefelotti, fuhr die Mutter unerschrocken fort, war inzwischen gleichfalls Cardinal geworden. 41 Er erhob sich wie die Schlange, die ein Fuß nicht ganz zertreten hat. Es war diesen letzten Winter, als gegen mich selbst die Intriguen der immer mächtiger werdenden Jesuiten begannen. Auf der Reise hierher, die schon lange zu Olympiens Ausbildung beschlossen war. sollte ich von einer Anklage begrüßt werden auf das Verbrechen, die Gattin zweier Männer gewesen zu sein. Zum Glück, wie ich da wol sagen kann, starb vorher der Kronsyndikus und das Personal des Processes veränderte sich. Es scheint, daß dein Halbbruder mit Energie verfuhr: entlarvte er doch Terschka, zwang diesen zur Flucht und bestürmte auch den Provinzial der Franciscaner, Pater Maurus bei Witoborn, der von den Jesuiten ins Interesse gezogen war, Abmahnungen nach Rom zu schreiben, die damit endeten, daß wir uns, nicht ohne große Opfer, der Feinde versicherten.
Ceccone versprach dem Al Gesù, in allem dessen Befehlen zu gehorchen –?
Leider! erwiderte die Mutter, setzte dann aber, wie eine Römerin, die nur triumphirt, hinzu: Aber Fefelotti wurde gestürzt und mußte verbannt in ein Erzbisthum gehen! Weit von Rom entfernt, im Piemontesischen, krümmt er sich jetzt, racheschnaubend, doch ohnmächtig. Wir fühlen seine Hand nicht mehr! Warum staunst du?
Benno unterdrückte seine Empfindungen. In solche Umtriebe des Ehrgeizes machtbegehrender Priester mischt sich das Wohl der Staaten, die Freiheit der Völker, die Erleuchtung der Gewissen –! dachte er.
Die Mutter kam aus diese Vorstellungen nicht. Sie berichtete wieder von Olympien und sagte: Ihre ersten Lebensjahre wurde sie im Kloster verborgen gehalten. Das Kloster liegt nicht einsam; man hatte Ursache, das Schreien des Kindes zu unterdrücken. Man unterdrückte es durch Liebkosungen und die 42 Gewähr jedes Wunsches. Ein Nein! gab es bei Nonnen nicht, die über eine Entdeckung zitterten. Daß sie gleich anfangs eine Einzukleidende aufnahmen, welche Mutter wurde, bewirkte die Habgier. Ein Kloster ist bei uns für Wohlthaten und Geschenke, die man ihm spendet, zu allem fähig –! Diese Mönche und Nonnen gewöhnen sich so an die Vortheile, die ihnen die Besitzthümer ihres Klosters gewähren, daß sich dann auch die wunderbarste Einigkeit zwischen allen Bewohnern herstellt, wenn sie nur wissen: Auch du hast Antheil am gemeinsamen Gewinn –! Die Menschen der Entbehrung und Einsamkeit werden so mit der Zeit; sie handeln im Charakter eines Ameisenhaufens, der gewissermaßen nur eine einzige Ameise voll Intelligenz ist. Dann dem Kloster heimlich entführt und in meine Obhut gegeben, erlebte Olympia einige entschiedene Anwandlungen meiner Neigung, ihr eine Erziehung zu geben. Der Erfolg war nicht ermunternd. Lassen Sie das Kind sein, wie es ist! sagte der Cardinal, der halb ein Trajan, halb ein Nero hätte werden können. Nur ein Mensch von starkem Willen lebt siegreich in dieser halben Welt! setzte er hinzu. Oft sah ich in der Galerie Borghese das Bild, das Rafael von Cäsar Borgia gemalt hat; ein Kopf wie ein Räuberhauptmann, voll schreckhafter Männerschönheit! Macchiavelli machte aus ihm das Muster eines echten Fürsten –! So war in seiner Jugend Ceccone und Olympia ähnelt ihm. Sie bekam schon als Kind galante Briefe und Gedichte von denen, die ihren Schutz begehrten –! Sie wählte sich selbst ihre Gesellschaft. Sie ließ in der Campagna Schäferknaben von der Hürde wegnehmen und in prachtvolle Kleider stecken, um mit ihnen zu spielen. Ebenso oft aber auch nahm sie ihre Gunstbezeigungen wieder in schreckhafter Weise zurück. Ich hatte Scenen mit dem Cardinal voll äußerster Aufregung. Dann konnte er grausam genug sein und mir sagen: Madame, Sie 43 sind die Kammerfrau einer Fürstin, weiter nichts! Ich ertrug diese Ausbrüche des Dünkels und der Tyrannei, ich hatte zu viel gelitten und war angekommen an jenem schrecklichen Wendepunkt im Frauenleben, wo der Muth, die Hoffnung versiegt und uns die Angst vor dem Alter ergreift.
Benno drückte der Mutter die Hand und sprach: Trenne dich von dieser Welt und sei – ganz nur mein! Es soll dir nichts fehlen.
Wird das gehen? sagte die Mutter schmerzlich lächelnd und für jetzt noch – ablehnend. Sie küßte seine Stirn. Nein! Es geht in der That nicht! setzte sie den Kopf schüttelnd und träumerisch hinzu.
Warum nicht –? Die Frage lag in Benno's betroffenen Mienen.
Olympia hatte zum Glück die gute Eigenschaft, fuhr die Mutter ausweichend fort, daß zuweilen ihr fester Wille eine edle Sache ergriff. Daß die Sache edel war, hatte dann blos der Zufall gemacht. Sie wählte immer nur diejenigen Standpunkte der Auffassung, die ihr der nächste Anlaß und Einfluß, oft nur eine persönliche Empfehlung boten. So sind alle Vornehmen! Brachte ein Pächter eine Bittschrift und hob ihr den Fächer auf, der ihr gerade entfallen war, so ruhte sie nicht, bis seine Wünsche erfüllt wurden. Ebenso wurde aber auch ihr Haß und ihre Rachsucht durch die größten Kleinigkeiten bestimmt. Sie gab einen jungen Geistlichen, der ihr die Beichte hörte, an mit der Anzeige, daß er sie im Beichtstuhl geküßt hätte.
Benno entsetzte sich.
Es war die frechste Lüge. Sie führte diese mit allem Aufwand von Verstellung durch. Warum? Der junge Priester hatte ihr einige Strafen auferlegt, denen sie sich nicht unterziehen wollte. Dieser Unglückliche verdarb dann sein Schicksal vollends durch die seltsamste Grille von der Welt. Er räumte ein, daß 44 Olympia, damals vierzehn Jahre alt, Recht gehabt hätte –! Es war ein Alcantarinermönch aus dem Norden Italiens, der strengsten Regel der Franciscaner angehörend. Sie hatte ihn eines Tages in der Sixtina gesehen und wollte ihn sofort zum Beichtvater haben. Der Cardinal ließ den Pater Vincente – so hieß er – aussuchen und bestimmte ihn, in Rom zu bleiben. Der junge Pater, von Natur träumerisch, bildschön, hatte durch seinen schweren Orden sozusagen die Kraft der Nerven verloren. Er erröthete bei jedem Wort, das man an ihn richtete. Dennoch wurde er Olympia's Beichtvater und bezog das römische Kloster der Alcantariner. Nach sechs Wochen endete dieser Roman in der erzählten Art. Olympia rächte sich für seine Strenge und wollte ihm nicht länger beichten. Sie log; alles sprach ihn frei. Er jedoch, so scheint es – hatte sich in der That in sie verliebt und gab das als wirklich geschehen zu, was nur das Spiel seiner Phantasie gewesen sein mochte. Er sagte wirklich: Ja, ich habe sie geküßt!Thatsächlich. Der Unglückliche schmachtete fünf Jahre in einer Strafzelle der Alcantariner.
Olympia ist ein Teufel! wallte es in Benno auf. Es auszusprechen verhinderten ihn nur seine durch die Erzählung der Mutter geweckten lebhaften Gedanken an Pater Sebastus und den Bruder »Abtödter«, die auch zu den Alcantarinern nach Rom geflüchtet waren. Lucinde, Bonaventura traten vor sein irrendes Auge.
Die Mutter fuhr fort: Als Pater Vincente eingeräumt hatte, daß er im Beichtstuhl Olympien wirklich geküßt, erschrak sie nun selbst und bereute ihre That. Sie schrie und weinte nun über die furchtbare Strafe, die ihn traf. Sie lief zum Cardinal und warf sich ihm zu Füßen, küßte seine Zehen, was 45 sie als Ausdruck der höchsten Schmeichelei für ihn thut, da sie damit ausdrücken will, daß ihm beim Tod des Papstes die dreifache Krone nicht entgehen könne; sie schwur, sie hätte gelogen und bat um die Freilassung des Priesters. Der Cardinal that alles, was in seinen Kräften stand; Pater Vincente verharrte aber bei seiner Versicherung, er hätte sie geküßt und verdiene seine Strafe. Da war bei seinem General nichts mehr auszurichten und erst vor kurzem kam uns die Kunde von seinem Schicksal in Erinnerung. Es war die Rede davon, daß neben Fefelotti, der sich jetzt auf seinem Erzbisthum Cuneo, auch Coni genannt, befindet, gerade eben das Bisthum Robillante frei geworden war. Man sagte scherzhaft in einer Gesellschaft, daß dem »schlechtesten Christen« eigentlich nur der »beste Christ« gegenüberzustellen wäre. Ceccone hielt den Scherz fest; er dachte an einen Beaufsichtiger Fefelotti's, die andern an einen wirklich heiligen Priester. Der ist nicht zu finden! hieß es allgemein. Olympia besann sich eine Weile und sagte mit blitzenden Augen: Der beste Priester der Welt ist Pater Vincente bei den Alcantarinern! Als man darüber erstaunte, sagte sie: Ich stürzte ihn ins Unglück und er wollte für seinen Gedanken büßen! Macht ihn zum Bischof von Robillante! Man mußte auf den Plan eingehen. Um so mehr, als man erfuhr, daß gerade auch dieser Bischofssitz in Pater Vincente's Heimat liegt. Er ist aus dem Thal von Castellungo gebürtig.
Von Castellungo? unterbrach Benno.
Ein Thal am Fuße des Col de Tende im Piemontesischen –
Das Schloß von Castellungo gehört dem Grafen Hugo, von dem wir eben Abschied nahmen –!
Die Mutter horchte auf und setzte hinzu: Ja, die Gegend ist ketzerisch –!
46 Benno's Gedanken waren auf seinen »besten Priester der Welt« – auf Bonaventura gerichtet.
Pater Vincente, fuhr die Mutter fort, die seines hochgespannten Antheils gerade über diesen Vorfall staunte, hatte eben jetzt seine Schuld gebüßt und war vom General seines Ordens in seinen alten Stand wieder eingesetzt; doch lebte er noch im Alcantarinerkloster. Er schlug die Ehre aus –! Er sagte, gerade vor jenem Thal von Castellungo wäre er einst geflohen –! So ist denn der Sitz noch unerledigt.
Gerade vor jenem Thal – wäre er – geflohen? wiederholte Benno mit gesteigertem Interesse.
Durch Pater Vincente selbst erfuhren wir nichts von dieser Weigerung. Nur andere erzählten uns, daß ihm die Ketzer in jenem Thale sein Gewissen verwirrt hatten; vorzugsweise ein gewisser Eremit – ein Deutscher –
Frâ Federigo! rief Benno aus . . . Den Eremiten Federigo kannte er von jenem Nachmittag des vorjährigen Sommers, als er selbst, Hedemann, Lucinde mit dem Gipsfigurenhändler Napoleone Biancchi zusammentrafen und den St.-Wolfgangsberg erstiegen. Daß auch Bonaventura seinen Vater in dem Eremiten von Castellungo vermuthete, konnte er freilich nicht wissen, wenn er auch sonst zu behaupten pflegte, daß Friedrich von Asselyn noch lebte. Die auf Castellungo gedeutete Vision Paula's von diesem Winter war auch ihm wol bekannt geworden; doch war die Deutung, die ihr Bonaventura gegeben, von diesem selbst nicht weiter ausgesprochen worden, schon aus Schmerz um seine, allen Betheiligten, allen Verwandten jetzt wieder so nahegerückte Mutter.
Das träumerisch ausgemalte Bild: der »beste Christ« Bonaventura – Bischof in jenem Thale von Castellungo, wo vielleicht Paula auf dem Schlosse die Herrin und die Gattin des Grafen Hugo wird –! 47 stand in magischem Lichte einen Augenblick vor Benno's Auge. Er sagte: Auch ich weiß einen Priester der Erde, der würdig ist, Fefelotti gegenüberzustehen. Einen Vetter von mir, Bonaventura von Asselyn –
Nenn' ihn Olympien und er hat diesen Bischofssitz –! sagte die Mutter.
Olympien –!
Die Mutter wollte nun beginnen, von Olympiens Leidenschaft und von dem Eindruck, den ihr Benno gemacht hatte, zu berichten; aber ihre Rede verhallte im Lärmen der nun erreichten Stadt. Der Wagen durchflog die volkreichste Vorstadt. Schon die vier Rosse allein und die Räder machten auf dem Straßenpflaster einen Lärm, der jede Verständigung im Wagen unterbrechen mußte.
Der ganze Schmerz, die ganze Freude des Erlebten fiel noch einmal auf die Herzen der beiden so wunderbar Verbundenen. Die Herzogin riß an ihren Kleidern, in denen sie Angiolinens Haar verbarg, und rief: O mein Sohn! Auch ich will nicht mehr leben –! . . . Dann aber zog sie – und fast laut lachend und dann wieder weinend den Sohn an ihre Brust. Erschreckend vor den Blicken von Menschen, die hereinsehen konnten und auch wirklich hereinsahen, faltete sie krampfhaft die Hände gegen den Himmel und betete mit den Geberden einer Verzweifelnden. Das ganze entfesselte Naturell der Südländerin machte sich geltend. Oft schlug sie an die Stirn, als faßte sie nicht, was sie in diesen Stunden alles erlebt hatte.
Als Benno sie zu beruhigen suchte, sagte sie: Der Graf weiß nichts von den Gebräuchen unserer Kirche. Erinnere ihn an die Seelenmetten! Laß sie täglich lesen! Dann sehen wir uns täglich bei diesen Metten und wären wir beide auch nur ganz 48 allein zugegen. Bei den Begegnungen mit Olympia und mit dem Cardinal freilich – unterbrach sie sich –
Mutter! Wenn ich nicht offen deinen Namen bekennen kann, kann ich dir hier – nicht mehr begegnen! sagte Benno.
Cäsar –! Cäsar –!. rief die erregte Frau. Aber ich ahne, fuhr sie fort, du liebst und hast schon dein Herz vergeben – Nein, Olympia ist deiner auch nicht würdig. Ach, wie ist sie häßlich! Oder doch wenigstens da, wo sie haßt. Freilich da, wo sie liebt, kann sie schön sein – Das klingt lächerlich und ist doch wahr – Es darf aber nicht sein!
Benno sah, daß in seiner Mutter Verstand und Gemüth in stetem Kampfe lagen.
Sie sagte: Erweise dem Principe die Aufmerksamkeit, ihm heute zu Ceccone zu folgen! Sei klug, sei vorsichtig mit Olympia! Jeder Widerstand erhöht ihren Eigensinn. Jetzt lad' ich dich übrigens nicht ein, in den Palatinus zu folgen. Nicht wahr? Es war gewagt, daß wir dem »Oheim« nachkamen? Olympia hatte aber keine Ruhe und Principe Rucca deckt die Convenienz. Wir haben tausend Verpflichtungen hier! Auch die, daß wir die Vertreter des Heiligen sind! Ich bin nie beim Cardinal, mein Sohn. Auch Olympia niemals vor andern. Der Cardinal kommt zu uns. Also morgen, mein Sohn! . . . Heute gehst du noch mit dem Principe? So, wie wir fühlen, sehen wir uns beide nur – bei Angiolina's Seelenmetten! Da knieen wir nebeneinander und sprechen, wie und was das Herz sprechen muß! Das ist auch ein Gebet!
Weiter konnte die aufs äußerste erregte Frau im überhasteten, eines ins andere drängenden Strom ihrer Empfindungen und Worte nicht kommen. Schon hielten die in der Stadt zur letzten Anstrengung angestachelten vier Rosse, auf ein Klopfen Benno's am Wagenfenster, in der belebtesten Straße Wiens nicht weit 49 vom »Monte Palatino« – Der Mohr öffnete – Benno stieg aus – mit einem krampfhaften Händedruck – sogar mit einem Gefühl, das beinahe sagen wollte: Doch nicht zum ersten und zum letzten mal –? Doch nicht blos Gruß und Abschied –? So stand er auf der Straße. Der Wagen flog weiter, dem Hotel zu.
Aus dem Traumreich kaum zu ahnender und doch so durchaus wirklicher Erlebnisse kehrte Benno in das rauschende Gewühl einer Stadt zurück, deren Bewohner – mitten unter solchen Verhängnissen des Einzellebens! – nur an den bunten Anschlagzetteln betheiligt schienen, welche, rings zu Vergnügungen einladend, die Straßenecken bedeckten. Erreicht! Erreicht, was du suchtest – und dennoch, dennoch –! hätte er ausrufen mögen unter den tausend Menschen, die um ihn her gingen, fuhren, auf Rossen dahinsprengten. Eine Schwester hatte er gefunden und – sofort verloren –! Und in welcher Art verloren! Eine Mutter hatte er gefunden – aber unter Umständen, die seine Empfindungen hemmten und eine unendliche Bangigkeit in sein Herz drängen mußten! Er durfte diese Mutter bewundern um ihres Geistes willen, ihrer Kraft, selbst ihrer Leidenschaft. Und doch trennte ihn etwas von ihr, das er noch nicht zu nennen, nicht in klare Begriffe zu zerlegen vermochte! War es allem die Italienerin, in deren Denkungsart er sich nicht zu versetzen vermochte? Wie seltsam nur, daß sie entschieden die Fortdauer des Geheimnisses wünschte! Bei näherer Betrachtung zwar konnte er diesen Wunsch an sich nicht übel deuten. Wie war es auch möglich. daß sie durch eine Enthüllung ihrer Vergangenheit und aller Folgen, die von dieser zurückgeblieben, sich selbst und ihn so gänzlich in ihren Lebensstellungen veränderte –! Aber doch – diese schnelle Hülfe, die sie im Verstellen, ja sogar im Listigen fand! Er sollte zu Ceccone, sollte diesem schmeicheln, sollte Freundschaft halten mit dem Principe Rucca und – wol gar auch dessen Vertrauen täuschen! Wenigstens 50 sollte er sich den Launen Olympiens gefangen geben! »Sie ist schön, wenn sie liebt«! Darin mußte er ihr Recht geben. Bei aller Wärme seiner Erinnerungen an Armgart mußte auch er sagen: Ja, wenn sie lächelt, sproßt der Frühling! Er fürchtete sich, ihr wiederzubegegnen. Heute noch solltest du diesen unheimlichen Boden verlassen und entfliehen! sprach er sich. Du kennst deine Mutter – sahst sie –! Jetzt ist es noch nicht möglich, mit ihr im engern Zusammenhang zu leben! Deutete sie nicht selbst an, daß sie Schonung bedürfen – und wenn du sie übtest, sie von deiner Seite anerkennen würde? Deutete sie nicht an, daß ihr die Verbindung Olympiens mit Principe Rucca unerläßlich schien und du – sie nur – störtest –? Benno's Vorstellung, daß er in Wien nicht länger bleiben könnte, nicht die Kraft besitzen würde, eine solche Rolle der Verstellung durchzuführen, bildete sich immer klarer und fester bei ihm aus. Und fände sich vielleicht auch, warf er sich ein, die Kraft, so würde die Lust fehlen, sie zu üben! Die Freude über dich selbst, die Zufriedenheit mit dir würde ausbleiben und dein Stolz würde leiden!
Trauer und Freude, Heimat und Fremde, Tod und Leben im Herzen, ging er der Herrengasse zu, um ins Camphausen'sche Palais die Unglücksbotschaft entweder selbst zuerst zu bringen oder, wenn sie ihm schon vorausgegangen war, sie nach dem schmerzlichsten Augenschein zu bestätigen. Sein Herz blutete und dabei ging Alles so heiter und sorglos an ihm vorüber! Wer las wol von seinen Mienen, was er Grausames erlebt hatte! Sein Innerstes erfüllte sich so mit Wehmuth, daß er sich entschieden und fest sagte: Du vermagst diese Kraft des Versteckens mit einem großen Geschick nicht über dich zu gewinnen – laß alles einen schönen Traum gewesen sein! Fliehe! Reiße dich noch heute los – bis auf künftige Zeit! Der Mutter wird es ebenso sein. Dann in Rom –!