Der Zauberer von Rom / II. Buch
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148 7.

Die Straßen zu Kocher am Fall sind ganz so gebaut, wie das Mittelalter überall baute. Häuserzeilen, die nicht geradeaus laufen, sondern die den Wind überzwerg durch Winkel und Einbiegungen behaglich abfangen. Da ein kleiner schiefer Platz mit einem Brunnen – dort eine Sackgasse, die in einer in Sandstein gehauenen alten Kreuzabnahme endet. Zwischendurch stürzt und wogt und wallt der »Fall«, ein wilder Bergstrom von mäßiger Breite, der das Städtchen in zwei Theile schneidet. ohne daß man zuweilen die Brücken bemerkt, auf denen man bereits steht. Der Fall ist hier und da überbaut und schießt durch Färbereien oder unter einer donnernden Mühle dahin, man sieht ihn nicht. Am untersten Ende der Stadt liegt an ihm ein Judenviertel. In Kocher am Fall gibt es eine starke Judengemeinde, die schwunghaften Handel treibt, vorzugsweise mit Vieh und dessen Abfällen. Aber auch Hausirer gab es genug in ihr und Fruchtmakler, die Geschäfte auf zwanzig Meilen Weges und weit über die Residenz des Kirchenfürsten hinaus machten. Herr Löb Seligmann von Kocher am Fall war sogar einer der berühmtesten Gütermakler.

Zwei so stattliche Kirchen, wie der uralte Dom von St.-Zeno und die Stadtkirche, reichten vollkommen für die christliche Bewohnerschaft aus. Es waren jedoch noch fünf bis sechs andere 149 Kirchen vorhanden. Sie wurden zu Vorrathshäusern für Militär- und Verwaltungszwecke benutzt. Eine der kleinern, die Minoritenkirche, gehörte den Protestanten, die nur in geringer Zahl in Kocher am Fall wohnten, in geringerer noch als die Juden. Eben sprach jemand aus der Conferenz, als der Dechant eintrat, die Worte: Und dennoch, dennoch hat die hiesige kleine Gemeinde von noch nicht hundert Lutherseelen einen Geistlichen, der besser dotirt ist als der Kaplan in der Stadtkirche, der neben seinem schweren Amte auch noch den Kirchendienst in den Dörfern und in der Umgegend zu versehen hat!

Abwechselnd mit den Pfarrern von Blick, Hilkum und den Mönchen zu Gottesthal! hätte der Dechant gleich hinzusetzen mögen, um eine der seit jenen Tagen immer mehr in Umlauf kommenden Tendenzunwahrheiten zu berichtigen. Doch fürchtete er, seinen Amtsbrüdern die Phantasiegebilde zu zerstören, die vor ihnen im Qualm ihrer Tabackspfeifen bunt und wirr genug jetzt auf- und niederzogen. Immer traf ihn beim Eintreten in den großen Schulsaal – die glückliche Jugend hatte heute frei – sogleich der ihm besonders unangenehme Blick des an der Spitze der zusammengerückten Schultische sitzenden Beda Hunnius, dieser doppelsichtige Blick, ein der wahren Gesinnung des Mannes gegen ihn entsprechender. Der kurze, gedrungene, breitschulterige Herr Stadtpfarrer schriftstellerte. Er redigirte den »Kirchenboten«, theologisch und poetisch. Der Dechant konnte den Mann nie sehen, ohne noch an einen andern Beda Hunnius zu denken, der im Augenblick nur nicht gegenwärtig war. Beda Hunnius, den er vor sich sah, und der, den er gedruckt kannte, der, auf den er, wie er sagte, abonnirt war, waren dieselben Menschen und doch zwei ganz unvereinbare Gegensätze. Der Dechant wußte, daß bei seinen Amtsbrüdern das Schriftstellern sowol überhaupt aus der Leichtigkeit entsteht, 150 Erbauungsbücher zu schreiben, die immer gut verkauft werden, wie im Besondern aus einer heftigen Mittheilungslust, die durch den polemischen Eifer geschürt wird. Auch das Gefühl der Einsamkeit ließ Franz von Asselyn als die eigentliche Muse des katholischen Geistlichen duldend und gern gelten. Obgleich ihn sein Amt mehr in Anspruch nimmt als den protestantischen Pfarrer, fehlt doch die Familie, ihre Zerstreuung, ihre Sorge! Einsamkeit ertragen können ist eine hohe Kunst! Sie ist der wonnevollste Genuß, ja der Luxus des Denkers! Für den mittelmäßigen Kopf ist sie eine Qual. In trüben Winterabenden, wo der katholische Geistliche auf dem Dorfe niemand zum nähern Umgang hat, unterhält ihn die Feder, die Druckerschwärze, die Beziehung zur Literatur, der Antheil an ihren Händeln. Schreiben darf er nichts, was nicht im Sinne seines großen Ganzen ist, und so hilft sich die trübe Laune durch Abfassung von Predigten, Gebeten, polemischen Ausfällen; sie schreibt und eifert sich in allerlei mehr oder minder wohlthuenden Lärm hinein. Der Dechant wußte, daß, wenn die niedere Geistlichkeit aus dem Bauernstande hervorgeht, das geistliche Convict ihm eine abschleifende Berührung mit der Welt nicht gewährt. Beda Hunnius, von Geburt ein Bauernsohn, unterstützt durch Stipendien, auf besondere Empfehlung in dem Convict jener Stadt gebildet, wo ihm mit Bonaventura von Asselyn und Joseph Niggl zugleich die Weihen ertheilt wurden, hätte immerhin nach seiner Meinung stürmen und lärmen mögen, soviel er wollte: aber er dichtete auch! Er dichtete in einer überschwenglichen Manier, die der des Mimen gleicht, der eben hinter den Coulissen ein Seidel Bier getrunken haben kann und dann hinaustritt und von dem »Duft der Palmen« spricht, von der »Götter altem Heiligthume«, »der ewigen Roma Majestät« u. s. w. »Jerichorosen« hießen Beda Hunnius' poetische Erstlinge, »Lacrymae Christi« seine zweite Sammlung. Es folgte 151 eine dritte und vierte und immer wurde der Dechant an sich selbst irre, wenn er seinen Collegen sah, wie der mit pfundschweren Schmierstiefeln durch die Straßen von Kocher schritt, oder ihn hörte, wie er mit der gewaltigen Hand auf das Kanzelpult schlug, sich an seine Zuhörer z. B. mit den Worten wendend: »Um ein für allemal euer Nasenschneuzen während meiner Worte abzuschaffen, behaltet ihr euer Sacktuch so lange in der Tasche, bis ich sage: Putzt jetzt eure Nasen!« – und dann von derselben Hand, von demselben Munde eine zarte »Purpurviole« auf das Grab eines Märtyrers niedergelegt in Tönen und in Weisen der Ueberschwenglichkeit! In Beda Hunnius steckten ihm zwei Menschen.

Dennoch würde der Dechant, eingedenk seiner Siriusreligion, auch das ertragen und gelächelt haben, selbst über die unablässige geheime Polemik im »Kirchenboten« gegen ihn selbst, gegen seine »gesinnungslose« und »weltverdorbene« Richtung – vor allzu bösen Umtrieben schützten ihn die reichen Geldspenden, die man in der Dechanei für alles und jedes, selbst »zum Ankauf von Kohlen zu Scheiterhaufen«, wie er sagte, zu jeder Zeit erhalten konnte – aber bei den Conferenzen, die Hunnius eingeführt hatte, konnte er auch oft gar zu verdrießlich werden über die vielen Erdenschlacken des Himmlischen, über den Sauerkrautsduft auch sogar der Seraphskost, und noch auf der letzten Conferenz vor sechs Wochen hatte er wie ein Zelot gesprochen: Wo ist euch je das Rauchen gestattet worden? Auf welchem Concil? Durch welchen Apostel, Märtyrer oder Bekenner? Es war nicht Scherz, wenn er auch heute wieder beim Eintreten in die schon mit dichten Dünsten und Nebeln gefüllte Schulstube den sich theilweise Erhebenden entgegenrief: Meine Herren! Der Geist heißt doch, wie Sie besser wissen als ich, auf hebräisch Ruach und Sie machen regelmäßig, wenn Sie zusammensitzen, Rauch daraus.

152 Auf den Schulbänken und die Schulsitze entlang lächelten zwar über zwanzig Geistliche, aber sie blieben bei ihren langen und kurzen Pfeifen und die jüngern sogar bei ihren Cigarren.

Völker und Geistliche, die den Wein genießen dürfen, fuhr der Dechant sich setzend und brummend fort, sollten den Tabak den türkischen Derwischen überlassen. Er suchte sich einen Platz am Fenster und lehnte den Wein ab, den man schon wieder nach dem bereits genossenen Kaffee trank. Jeder der Herren hatte vor sich ein Glas mit funkelndem Rebengolde stehen.

Beda Hunnius nahm die schon im vollen Gange befindliche Debatte des Tages wieder auf. Er billigte die Vorsicht eines Redners, der eben angerathen hatte, nicht blind in das Messer der Bureaukratie zu laufen. Aber, setzte er auf den Tisch schlagend hinzu, die Zeit rückt immer näher, wo wir mit allem, und wär's mit Freiheit und Leben, für unsere Mutter, die Kirche, werden einstehen müssen! Da – er zeigte auf den Franciscanermönch –, da der ehrwürdige Frater Sebastus berichtet uns, daß in der Residenz des hochwürdigsten Kirchenfürsten die Dinge immer mehr auf die Spitze getrieben werden – ja auf die Spitze der Bajonnete!

Von draußen hörte man das Klingeln der Ladestöcke; der Dechant öffnete sich das Fenster, an dem er saß. Ihr junges Volk! sprach er murmelnd vor sich hin und drückte ein Sammetkäppchen auf sein Silberhaar. Wer in Zeiten gelebt hat, wo wirklich die Bajonnete herrschten –!

Beda Hunnius ließ sich nicht stören. Er gab die damals allbeliebte Schilderung der geistlichen Zustände des unter protestantischen Sceptern schmachtenden katholischen Deutschland. Er sah das Volk Gottes in der babylonischen Gefangenschaft. Er sah vollends auf dem Throne, unter dessen Gewalt sie durch eine »Laune der Geschichte« hier leben müßten, einen assyrischen 153 König. Ist es nicht, rief er und sah dabei zuweilen auf ein Papier, wo er sich den Gedankengang aufgeschrieben, als wenn wir die Worte Actorum 7, 43 hörten: »Ich will euch wegwerfen jenseit Babylonien!« Meine Freunde, noch über Babylonien hinaus! Ist das nicht das schwerste Elend unsers Fluches! Noch über Babylonien hinaus! Denkt das Herz nicht mit Schaudern an Rußland? Wie in Rußland steht es schon mit unserm Cultus, unserer Selbstregierung! Nicht genug, daß die Kirche ihres jahrtausendjährigen Schmuckes beraubt worden ist, daß man die Pfründen und Stifte einzog, die Bisthümer plünderte, die Klöster aufhob, den Schulen, unsern niedern und höhern, die alte Form nicht nur, sondern die ganze Existenz nahm: selbst bis in das innerste Leben unsers Glaubens dringt die Tyrannei des weltlichen Arms! Wo ist noch irgend, außer im Beichtstuhl, ein freier Verkehr des Seelenhirten mit seiner Gemeinde möglich! Wo ein ungehinderter Verkehr des Unterhirten mit dem Oberhirten! Wo kann sich ein Wunsch, eine Bitte, eine Mahnung aussprechen innerhalb unserer eigenen Angelegenheiten, ohne daß nicht die weltlichen Räthe, deren Mehrzahl unserer Kirche nicht angehört, ihr Ohr hinhalten und die letzte Entscheidung geben! Wir sind Fremdlinge im eigenen Lande, Parias, die der Botmäßigkeit herrschender Rajahs unterworfen sind! Und womit herrschen sie? Mit unserm eigenen Geld und Blut, mit den Besitzthümern der Kirche, die sie säcularisirten, mit dem Schweiß unserer Arbeit, mit dem Erwerb unserer Hände, mit den Steuern, die wir reichlicher zu zahlen haben als die Provinzen, die man im Osten bevorzugt! Darf es mitten in unsern Landen eine Universität geben, wo nicht alle Wissenschaften, die sie lehrt, in unserm Glauben wurzeln? Darf eine Philosophie gelehrt werden, die Rom verworfen hat? Darf noch länger ein hundert Meilen von uns entlegenes Ministerium, in 154 dem nur ein einziger, mit Titeln und Orden verführter Rath unsers Glaubens sitzt, unsere Lebensfragen ordnen und entscheiden? Soll für die Besetzung der Stellen der Bischof kaum ein Vorschlagsrecht ausüben und die Bureaukratie den Ausschlag geben? Soll jedes schadhafte Dach, das über dem Hochheiligsten auszubessern ist, jedes nothwendige neue Meßgewand, jeder außergewöhnliche Schmuck eines mit besonderer Vorliebe gerade an diesem Ort und gerade auf jene heilige Erinnerung gerichteten Festes einer weltlichen Bewilligung bedürfen? Soll sich keine Fahne mehr mit dem hochheiligsten Bilde der gnadenreichen Gottesgebärerin in einer Procession entfalten dürfen, ohne daß diese Gensdarmen dem Priester, der mit seinen frommen Seelen über die thauigen Wiesen zu einem Gnadenorte wallfahrtet, seinen Erlaubnißschein abverlangen, wie einem reisenden Handwerksburschen sein Wanderbuch? Sollen diese ehernen Zungen, die in den Lüften die Lebenden rufen, die Todten beklagen, den Blitzen Halt gebieten, nicht reden dürfen, wenn die Lust und Wonne unsers hochheiligsten Kirchenjahrs, die weihevolle Erinnerungsfreude, der heilige Bußdrang, die Märtyrerandacht und das Bittgebet gläubiger Seelen Gleichgestimmte in die heiligen Kirchenhallen ruft? Soll uns der Wein zugemessen werden und geaicht die heilige Kanne, soll das Brot des ewigen Lebens halbirt und zerschnitten werden wie das Brot in den Kasernen? Soll das von dem Hochheiligsten tröpfelnde Wachs gesammelt werden, wie von den Bedienten geiziger Herrschaften das Wachs gesammelt werden muß nach den Orgien, so sie mit Tanz und Musik feiern? O daß das Maß unserer Leiden noch immer nicht voll ist zum Ueberfließen für die Feigheit und Muthlosigkeit dieser Zeiten! Wir haben als Kirchenfürsten einen Geharnischten des Herrn, einen Michael im Panzerkleide unter dem Pallium der höchsten Kirchenwürde, einen Streiter, der die Mitra trägt wie den dreimal umbuschten Helm 155 eines Gottfried von Bouillon! Und mehr! Rom, das endlich den Muth wiedergewonnen, sich von einer langen Ohnmacht und aus dem Stande der Erniedrigung aufzuringen zu seiner großen Stellung, wieder mitzureden im Rath der Großen mit blitzendem Bannstrahl und donnernder Bulle, Rom hat ihn gesegnet, diesen Streiter des Herrn, hat ihm das rothe Kreuz des Gotteskampfes auf die Schulter geheftet – Und doch –! Wie zaghaft ist bei alledem der Beistand, den er sogar unter uns selbst findet! Wie angstvoll noch unser Umblick auf diesen Heerbann der Hof. und Land- und Steuer- und Kriegs- und Staats- und Regierungs- und Kirchenräthe! O daß die Stunde uns gerüstet finden möge, die Stunde der Entscheidung! Sie wird hereinbrechen wie ein Dieb in der Nacht, wie ein Weib die Wehmutter ruft, wie die zum Tod Erkrankte den Priester – ungeahnt, unerwartet! Unser frommer Bruder da berichtet, daß die Frage der gemischten Ehen für unsern gottseligen Kirchenfürsten bald bis an Ketten und Banden streift!

Die brennende Frage des Tages war ausgesprochen. Mehrere der Pfeifen gingen aus, andere wurden beiseite gelegt. Der Gegenstand wurde zu ernst. Eine drückende allgemeine Stille war die Folge dieser zuletzt vom Blatt abgelesenen Anrede. Der Sprecher, der sich somit offen als Mitverfasser so vieler damals in Würzburg und Augsburg zuerst auftauchenden Schriften enthüllte, sah sich im Kreise rundum. Seine Augen funkelten, die starken Züge des Antlitzes waren geröthet; die rechte Hand, zur Faust geballt, hatte mehrmals auf den Tisch geschlagen.

Man kann wirklich nichts sehnlicher wünschen, als daß dieser schwierige Gegenstand seine endliche Erledigung finden möge –! sprach eine schüchterne Stimme . . .

Rom hat gesprochen! riefen andere –

156 Aber das Breve muß uns erst durch die Regierung zukommen! erwiderte der factische Verwalter der Dechanatsgeschäfte von St.-Zeno.

Das ist es eben! ertönte es von mehr als einem Drittel der Anwesenden. Auch Ruhigere klagten, daß die Seelsorge in der bittersten Bedrängniß wäre. Der Staat verböte die Weigerung der Einsegnung ohne Vorbehalt der Religion der Kinder und Rom wolle doch diese Weigerung. Schon erhoben sich einzelne und drückten in ihren Mienen den Schmerz aus, daß man nicht zweien Herren zugleich dienen könne.

Hunnius ermahnte zum Sitzenbleiben. Daß diese Protestanten, sprach und las er wieder weiter, nicht einsehen, was denn eigentlich an unserm Glauben ist! Herr Gott im Himmel! Es ist ja nicht die Unduldsamkeit, es ist ja nicht die Proselytenmacherei, die uns gebietet, eine Ehe zwischen Rechtgläubigen und Heterodoxen nur dann einzusegnen, wenn ein Versprechen vorangegangen ist, daß die Kinder, gleichviel welches Geschlechts, katholisch werden! Fühlt ihr uns denn nicht die tiefe Verpflichtung nach, die wir haben, gleichsam aus dem katholischen Dasein erst das wirkliche menschliche Leben überhaupt zu machen und das blos natürliche, thierische, irdische, unerlöste, durch Christi und der Märtyrer Blut nicht erkaufte Leben auszuheben! Menschen, was ist denn die Weihe! Fühlt ihr denn nicht, daß in unsern heiligen Handlungen Consequenzen liegen, die, gleichviel ob berechtigt oder nicht, mathematische Beweiskraft für uns haben! Für uns! Gerade für uns! Da unser College Bennrath, unterbrach er sich – er hat einem Protestanten das Begräbniß auf dem Friedhof von Nennhofen verweigert und ihn hierher auf den protestantischen schaffen lassen.

Zu meinem äußersten Entsetzen! warf der Dechanatsverweser dazwischen.

157 Es war aber eine That! rief Hunnius. Eine That, die Bennrath von Nennhofen in das Buch der Bekenner schreibt! Wo ist gesagt, daß eine Ausweisung von der geweihten Erde unserer Kirche nur vom Standpunkt des reinen Menschenthums zu fassen ist? Menschenthum! Seid ihr denn Christen? Nicht einmal Juden sprechen vom Menschenthum! Mensch ist dem Juden Goim, Heide! Auch die Juden leben nur in der Ordnung und Harmonie geoffenbarter Zustände! Ein Gottesacker hat nach unserer Lehre eine Segnung empfangen, die ihn zu einer Gemeinde macht, wo sogar die Todten den Herrn lobpreisen, sogar die Todten im Chore stehen und, wenn nicht früher, doch am Auferstehungstage um einen dann errichteten Altar wandeln werden, an dem ein anderes Bekenntniß nicht theilhaben kann, und mag es selbst ein solches sein, dem nicht die ewige Verdammniß zuzusprechen ist. Wie ist das so leicht gesagt: Intoleranz! Werdet ihr auf euern Bällen Gäste haben wollen, die ihr nicht einladet? Werdet ihr an euern eigenen Altartischen Andersgläubige dulden? Die katholische Kirche will ja nur bei den Todten, wie bei den Lebenden, »unter sich« sein! Oder hört euch die Religion mit dem Begräbniß auf? Sprecht! donnerte Hunnius hinterher, gerade wie in seiner Kirche, wo er selbstverständlich auf ein solches Sprecht! Schweigen voraussetzte.

Bennrath von Nennhofen griff aber den Faden auf und führte ihn weiter. Was erleben wir nicht alles in unserer nächsten Nähe! sagte er mit gemäßigterm Tone, aber nicht minder sicher und sogar scharf und schneidend. Ich will davon nicht sprechen, daß nun draußen wieder unsere eigenen Landeskinder und Mitbrüder mit dem bunten Rock, den sie eben tragen, ganz das Kleid ihrer Heimat, ihrer Familie, ihres Glaubens ausziehen und in die Gemeinschaft des großen protestantischen Ganzen treten müssen, ich möchte sagen, wie die Polen, die russisch commandirt werden! 158 Ich sehe diese Offiziere wieder, diese Enckefuß und andere uns wohlbekannte Söhne von Beamten oder Offizieren! Es wird noch die Zeit kommen, wo diese armen Seelen in die ketzerischen Garnisonskirchen commandirt werden, zunächst nur Anstands halber, weil ein Austreten aus Reih und Glied militärisch zu auffallend wäre! Ich sehe sie auf den Bänken, wo ihnen die Divisionsprediger das Licht ihres sogenannten Evangeliums aufstecken werden, diesen Lichtstumpfen, der die in Goldschnitt gebundene neue Agende des Landesvaters beleuchtet! Wo man hinblickt, irgendein Schmerz für unsere liebevolle Mutter, die Kirche! In unserer ganzen Armee gibt es keinen einzigen General unsers Glaubens; ich kenne nur einen einzigen katholischen Obersten, es ist ein englischer hier in unserer Nähe! Zu höhern militärischen Graden gelangen unsere Brüder und Verwandte nicht! Nicht minder in der Bureaukratie! Und welche Macchiavellismen! Weil sie auf unsere menschliche Schwäche rechnen, werden überall gleichsam Preise ausgestellt für die, welche sich gefügig zeigen! Ist eine Pfründe einträglicherer Art erledigt, so läßt man ihre Besetzung monate-, ja jahrelang anstehen, um den Wetteifer dafür zu entzünden, daß man sie sich durch die Gesinnung erobere! Ist es dann wol ein Wunder, daß wir ganz durchwühlt sind von der wie die bunten Adern durch ein Marmelgestein sich hinziehenden Protestantisirung? Die Beamten heirathen unsere Schwestern, Nichten, die Töchter unserer Angehörigen! Wo eine reiche Hand zu vergeben ist, gewinnt sie sich einer von denen da drüben. Selbst in der Residenz des Kirchenfürsten ist der Schwager unsers hochherzigen, scharfsinnigen kanonischen Streiters, des Herrn Dominicus Nück, ein Protestant und wird, wie Bruder Sebastus dort uns berichtet, infolge seiner gemischten Ehe demnächst eine Tochter im hochmögenden Piter Kattendyk'schen Hause bestimmen, protestantisch taufen zu lassen! Ja selbst von dem heiligen Lande Oesterreich, einem Lande, das 159 mehr als Würtemberg verdient sich Gottes Augapfel zu nennen, muß unserer rechtgläubigsten Provinz drüben das Geschick drohen, die reichsten Länder, die Besitzungen der Dorste-Camphausen, an die protestantische Linie der Salem-Camphausen übergehen zu sehen! Was bleibt uns übrig? Gewalt gegen Gewalt!

Dies Wort lehnte man ab. Ein Kaplan warf ein: Unsere Gewalt ist nur das Wort!

Das Wort war bei Gott und Gott ist das Wort! rief Hunnius. Es ist der Geist, die Gesinnung und deren öffentliche Bewähr! Erheben wir uns aus unserer Schlaffheit! Ziehen wir an den Harnisch des Glaubens! Seien wir gerüstet und verschmähen wir selbst die kleinere Waffe nicht! Bedrängte Belagerte greifen zu allem, was helfen kann! Ich empfehle Ihnen jetzt die Vorschläge, die Frater Sebastus uns aus den nähern Umgebungen des Kirchenfürsten bringt!

Nur diejenigen beobachteten unausgesetzt den schweigsamen Franciscanermönch, die mit ihm heute noch nicht an der Tafel des Dechanten zusammengetroffen waren. Er ergriff auch jetzt noch nicht das Wort, sondern hielt den geschorenen röthlichen, wunderlich geformten, mit Schrammen und Narben bedeckten Kopf in die Hand gestützt und ließ vorläufig nur seine eigenthümlich hellen, fast schwimmenden Augen, dann einige Zettel sprechen, die herumgingen und die Mittel enthielten, die man anwenden sollte, um den kirchlichen Oppositionsgeist zu mehren. Vorzugsweise wurde die schon vor Ankunft des Dechanten besprochene Stiftung einer neuen Bruder- und Schwesterschaft des Athanasiusvereins und gerade zur Erinnerung an einen um den Glauben bedrängten, flüchtigen, verfolgten, hier zu Lande liebevoll aufgenommenen Kirchenlehrer wieder aufgenommen. Die Regierung hatte schon lange ein mistrauisches und abgeneigtes Auge gerichtet auf die große Zahl geistlicher Vereine, die scheinbar nur 160 dem gottseligen Leben und einer gegenseitigen sittlichen Aufsicht gewidmet waren, mehr aber noch eine Organisation des Zusammenhangs auch für oppositionelle Zwecke wurden. Es ließ sich voraussehen, daß dieser neue Athanasiusverein von obenher den entschiedensten Anstand finden mußte.

Der Dechant hörte allem, was zur Durchsetzung dieser wichtigen Angelegenheit in hiesiger Gegend nun beschlossen werden sollte, nur seufzend zu und war um so mehr zerstreut, als er nur immer offen vor sich ausgebreitet seine Brieftasche liegen hatte, die er an solchen Conferenztagen schon früh morgens mit Fünf- und Zehnthalerscheinen zu füllen pflegte, um nur immer schnell durch seine Spenden zu den Gemeinzwecken sich vom Reden oder ausdrücklichen Beistimmen loszukaufen. Er hatte diese Klagen schon so oft gehört! Er hatte sie so oft gelesen! Er war auf zehn Exemplare des »Kirchenboten« abonnirt! Er kannte diese immer gleiche Rhetorik der Römlinge! Er kannte den Inhalt dieser verbotenen Broschüren und las sie nicht mehr. Von allem, was man an Thatsachen vorbrachte, gab er die Hälfte allerdings zu, aber die Erledigung der andern schien ihm ganz an einer andern Stelle zu liegen als im fernen Rom. Heute, als man nun sogar von fehlenden katholischen Obersten sprach, mußte er doch auflachen und sagen: Aber ihr wunderlichen Leute! Ihr überlegt gar nicht, ob in unsern katholischen Adels- und Bürgerfamilien überhaupt das Bedürfniß da ist nach einer öffentlichen Bewähr, das Bedürfniß des Emporsteigens nach Ehrenstellen und Auszeichnungen! Wo ich noch hinsah, und ich habe die Jahre, hingesehen zu haben, haben wir hier zu Lande und drüben unsere eigene Art, uns das Leben zu gestalten! Am liebsten hocken wir auf unserer Hufe und suchen das gar nicht, was wir demgemäß auch nicht finden können.

Wenn ihn Hunnius widerlegen wollte, so störte diesen jetzt 1610 das allgemeine Aufstehen aller, um die Zeichnung zu sehen, nach welcher zehntausend zinnerne Medaillen gegossen werden sollten. Der Mönch hatte die Zeichnung mitgebracht: Maria mit dem Kinde öffnet ein Gitter, hinter dem ein Bischof, es sollte Athanasius sein, gefangen sitzt. Der Mönch war dabei aufgestanden und zeigte sich von einem langen, magern Wuchse. Die braune Kutte, festgehalten von der weißen Gürtelschnur, ging bis zu den nackten, nur von einer Sandale geschützten Füßen. Es war viel, daß der Mönch sich jetzt zu einigen Erläuterungen herbeiließ. Er hatte bisher ab und zu nur seinem Glase zugesprochen, hatte – man durfte billigerweise erstaunen – eine Cigarre nach der andern von einem vor ihm stehenden Teller, der deren eine Anzahl enthielt, weggeraucht und immer geschwiegen. Dies Schweigen war gebieterisch. Es sagte zu denen, die da sprachen, fast soviel als: Entwickelt euch! Steckt getrost eure kleinen Lichter auf, bis dann endlich ich kommen werde!

Der Mönch mochte etwas mehr oder weniger als dreißig Jahre zählen. Je länger er saß, rauchte oder trank, desto blasser wurde er. Alle wußten, daß er ein Convertit war, eine hohe Bildung genossen hatte, mit Feuer und Geist schriftstellerte und in der Residenz des Kirchenfürsten seit kurzem zu hoher Anerkennung gekommen war. Wenn die weißen länglichen Finger der magern Hand zuweilen auf dem Tische leise trommelten, so war es wie im Takt zu einem inwendigen Rhythmus seiner Gedanken, die laut gesprochen ohne Zweifel bedeutsam gewesen wären. Als er jetzt mit einer eigenthümlich leisen, fast heisern, doch außerordentlich sichern Stimme zu sprechen anfing, gebot Hunnius allgemeine Ruhe. Jeder setzte sich, und selbst der Dechant war gefesselt von einer Weise, die ihm bei der Redseligkeit seiner übrigen Gäste heute an seiner Tafel weniger aufgefallen war.

162 Einige Mitglieder unsers hochwürdigsten Domkapitels, begann fast silbenzählend Frater Sebastus, wohnten kürzlich einer Vorlesung bei, die von einem der auf der nahe gelegenen Universität angestellten und zu diesem Zweck herübergekommenen jüngern Professoren vor einem gemischten Kreise der Residenz des Kirchenfürsten gehalten wurde.

Der Mönch pausirte. Er zerdrückte die Asche seiner Cigarre und legte diese fort.

Der Gegenstand derselben – fuhr er fort – Das zufällige Rücken eines Stuhls schien ihn zu stören. Er sah nach der Gegend des Geräusches und wiederholte, während Hunnius ein scharfes St! wie auf seiner Kanzel beim zu frühen Nasenputzen ertönen ließ: Der Gegenstand derselben war an sich ein unverfänglicher, ließ aber einen historischen Rückblick auf die Kämpfe der Welfen und Ghibellinen zu.

Sebastus stockte von neuem. Aber ein Blick rundum bewies ihm, daß alles jetzt in einer Weise an seinen Lippen hing, wie er dergleichen noch vielleicht von Göttingen, wo er docirt haben sollte, gewohnt war. Der Redner, fuhr er mit immer gleicher Gelassenheit, doch pointirt und fest fort, sprach in einer Stadt, die fast ausschließlich nur unsern Glauben bekennt; und doch hatte er jenen Standpunkt, den die protestantische Wissenschaft mit der ihr eigenen Einseitigkeit für die Würdigung des Mittelalters aufgebracht hat. Alles, was in einem Zusammenhange mit Rom steht, ist nach dieser Lehre Tyrannei und Finsterniß; alles, was dagegen die deutschen Kaiser wollten, ist Vernunft oder Freiheit. Dem anwesenden überwiegenden Theil der Gesellschaft, den Damen, war der von dem Professor entwickelte Gegensatz völlig unbekannt; so dämmern jetzt die Gemüther in ihren wichtigsten Lebensfragen hin! Sie nahmen die Welfen für den unheiligen, teuflischen Gegensatz der Ghibellinen, diese 163 für die lichtreine, sonnenhelle Partei; dort herrschte nur der finstere Ahriman, hier der lichtstrahlende Ormuzd. Mönchthum, Pfafferei, Sonderbündlerei, Hierarchie sind die Kennzeichen der Welfen; Aufklärung, Ordnung, nationale Hoheit und Größe die der Ghibellinen. Rom soll die natürliche Residenz nur der Nachfolger Karl's des Großen und des Julius Cäsar sein. Die Hohenstaufen sollen nichts als nur die Befreiung der Welt von den Anmaßungen der Hierarchie bezweckt haben. Daß die Welfen in Italien vor allem ihr Vaterland vertheidigten, daß sie sich in einzelne Städte und Genossenschaften trennten, um nicht durch die Unterwerfung unter Einen die eigenthümlich bedingte, jahrtausendjährige Freiheit des väterlichen Bodens zu verlieren, daß dabei, wie immer, der Priester der Freund und Beistand des Einzelnen gegen den Druck der Masse blieb, der Priester der Freund und Beistand der bangen Seele gegen die Anfechtungen der Welt, der Priester derjenige, der noch auf dem letzten Gange zum Schaffot den Verbrecher begleitet und wenigstens noch vor Gott, nachdem die bürgerliche Genossenschaft ihn längst ausgestoßen hat, sein Anwalt bleibt, ja daß diese geistliche Hülfe dem Bedrängten auch in den politischen Nöthen beisprang und sich Vaterland, Freiheit und Glaube gegen die Anmaßungen der fremden Eindringlinge hochherzig verbunden hatten – dafür, ich sage dafür hatte der Redner keine andere Ausdrucksform als die bei der jenseitigen Wissenschaft übliche geringschätzende und verdächtigende.

Der Mönch hielt einen Augenblick wieder inne; alles horchte gespannt, selbst der Dechant.

Ruhig und mit sich immer gleichbleibender Stimme fuhr der Franciscaner fort: Gut! Die Vorlesung lenkte wieder ein, kam auf Unverfängliches, war vorüber. Die Offiziere, Beamten, Damen waren entzückt. Doch zugleich entstand um die Herren 164 vom Kapitel, die sich sogleich entfernt hatten, ein von Vorwürfen und Ausbrüchen des Unwillens gemischtes Murmeln. Die Veranstalter dieser Vorlesung wurden von gesinnungsvollen Personen zur Rede gestellt und ohne Zweifel wäre es, wie billig, zu Erörterungen gekommen, welche die gedankenlose Nachahmung solcher inhaltleeren norddeutschen Residenzgenüsse verdient hätte, wäre nicht der Gegendruck der Anwesenheit unserer weltlichen Oberbehörden und der hohen Militärs zu stark gewesen. In einigen Abendcirkeln, zu denen ich zugelassen zu werden mir zur besondern Ehre rechnen darf, kam die strenge Unterscheidung, welche die Geschichte zwischen Welfen und Ghibellinen aufgestellt hat, zur Sprache und es stellte sich heraus, daß wir uns eigentlich sämmtlich noch auf dem Standpunkte jener wilden und blutigen Tage befinden. Ist nicht jede Erfahrung, die wir in unsern täglichen Conflicten machen, eine Bestätigung, daß dieser unselige Kampf immer noch nicht ausgekämpft ist? Das Ghibellinenthum ist der Herrscher des Tages. Die Gewalt nicht der Fürsten und Herren etwa allein, sondern des bureaukratischen Staats ist der siegreiche Hohenstaufe, der überall in unzugänglichen Felsenburgen thront. Verwaltung, Unterricht, Erziehung, Wissenschaft, Gewerbe, Börse, Handel, alles hat die ghibellinische Färbung angenommen, die Färbung der Centralisation, des Auffangens aller Säfte und Kräfte der Gesellschaft. Was ist diesem Mechanismus noch der Mensch? Der hat nur noch Werth, soweit er Bürger ist! Und um ihm nicht ganz das Gefühl zu rauben, daß sein Dasein auf diese Art seinem wahren Zusammenhange mit Gott und der Natur entrückt wird, hat man ihm auch zur Noth noch einige religiöse Veranstaltungen gelassen, eine Kirche, einen Geistlichen, die Formen eines alten Cultus; man gibt sich die Miene, diese Veranstaltungen, ob man sie gleich im geheimsten Einverständniß für überlebt erklären müsse, doch heilig halten zu wollen und 165 sogar vor Anfechtung zu schützen; und doch, bei jeder Frage, die nur irgendeine des Lebens ist, bei jedem Zusammenstoß zwischen dem Ewigen und dem Irdischen hat die Gewalt des Irdischen die Oberhand. Wir sind, wo wir hinblicken, in gröberer wie in feinerer Form, durch und durch ghibellinisirt! So ist denn erklärlich die von keiner äußern Veranstaltung, sondern von einem natürlichen Drang der Gläubigen aller Zonen ausgehende Bewegung unserer Zeit, innerhalb nicht nur unserer, sondern aller Kirchen, die unter Staatsbevormundung stehen, sich ihr eigenes, selbstbestimmtes, selbstbestimmendes Leben wieder zurückzugewinnen. Das neue Welfenthum ist es in den Abendcirkeln Sr. Eminenz offen und ehrlich genannt worden. Wie sogar die protestantische Kirche, wenn sie diesen Namen verdient, sich täglich mehr ablöst und ablösen wird von dem Staat, dem sie freilich dafür in seinen übrigen Nöthen und Bedürfnissen hülfreiche Hand zu leisten liebedienerisch verspricht, so hat vor allem die katholische ihren innigsten Zusammenhang wiederherzustellen mit Rom. Thörichter Wahn, der in dieser Forderung nur Botmäßigkeit unter ein herrschsüchtiges Priesterthum und eine fremde Autorität sieht! Rom ist und war und bleibt zu allen Zeiten der Ausdruck des Ewigen, Unvergänglichen und im Wandel Wandellosen! Es ist die Warte der drei in sich verbundenen großen Festlandswelttheile! Es war die Königin der alten und mittlern Welt, es muß die Königin der neuen bleiben! Worauf gründet sich die Herrschaft Roms? Auf Schlauheit italienischer Ränke? Auf Verdummung der Geister? Thörichte Anklage, die an den Grundfesten unserer Kirche gerüttelt zu haben glaubt, wenn sie die Schwäche der Menschennatur aufdeckte, die auch unter dem geweihten Kleide des Priesters sündige! Als wenn irgendeine Menschenseele ein reines Gefäß für die Göttlichkeit der Ideen sein könnte! Als wenn die Ideen etwa selbst darunter leiden 166 könnten, daß ihre Träger dem allgemeinen Menschenloose erliegen müssen! Daß ein Bekenner strauchelt, entwürdigt das sein Bekenntniß? Daß Priester unvollkommen sind, entwürdigt es das Sakrament, dem sie administriren? Rom ist das Ewige in der Geschichte! Rom ist die Zunge an der Wagschale der Welt! Rom ist, gerade als wenn es auch nur deshalb die Bewegung der Erde geleugnet hätte, ihr fester Grund, ihre granitene Wurzel, ihr Compaß, ihr Steuer auf dem schwankenden Meer steter Neuerungen und Revolutionen! Was vertritt denn sein Anmaßung? Was gewährt denn die heilige Roma den Völkern? Das ewige Heil im zeitlichen Unheil! Die Blöße und Hülfsbedürftigkeit des natürlichen Menschen allen Purpurgekleideten der Erde gegenüber! Die Schöpfung des Menschen, das Paradies, die diesseitige und jenseitige Hoffnung aller Erdgeborenen genüber der millionenfachen Verdrehung unsers Erdenberufs durch millionenfache zu dringenden Nothwendigkeiten gewordene Zufälligkeiten! O du heilige untheilbare, ewige Kirche! Stehe fest in deinem gegliederten Bau! Bist du nicht selbst wie der hohen gothischen Dome einer? Gegründet bis an die Tiefen der Hölle, mächtig dich erhebend auf der Form des Kreuzes, himmelanstrebend in ewiger, wolkenverlorener Sehnsucht! Musik ist das Zusammenspiel deiner schönen Formen! Einheit das majestätische Bekenntniß deiner Theile!

Sie strebt empor durch Drang und Zeit,
Muß himmelan sich ringen
Und schafft ein Werk der Ewigkeit
Und läßt sich nicht bezwingen!

In deinem Sinne, heilige Roma, wollen wir wahr sein, aber der Lüge gegenüber auch eure Waffen führen! Im Schatze der Gnaden ruht Entsühnung! Krieg! Krieg! ruft die Posaune des Erzengels. Im Kriege kennt die Noth kein Gebot! Jede Waffe ist gerecht, die den Gegner abwehrt! Daß der Zweck die 167 Mittel heilige, ist nicht für den Kampf mit den Guten, sondern für den Kampf mit den Bösen gesagt! Ahmen wir vor allem die Ordnung eines Kriegsheers nach: Gehorsam dem Obern; Achtung vor jeder Waffe, auch wenn sie eine geringere scheint, als die wir selbst führen; Achtung vor jedem Ruhm, auch wenn er momentan unsere eigenen Verdienste überschattet! Bekämpfen wir in uns selbst die Abneigung gegen die Vorkämpfer der kirchlichen Freiheit, gegen die Mitglieder der Gesellschaft Jesu! Bieten wir denen, die in ihnen ihre unerbittlichsten Feinde sehen, dadurch keinen Beistand, daß wir die alte Eifersucht der Orden, der Kloster- und Weltgeistlichen auflodern lassen! Wo uns die Hände gebunden sind, sind sie jenen, den letzten Rittern vom Kreuze, frei! Sie streifen ungefesselt noch über die Länder dahin, gebunden durch kein Amt, durch kein Klostergelübde; sie sind die berittene Schar, die angreift und flieht zu gleicher Zeit, wie der Parther gekämpft! Bieten wir alles auf, daß den Jesuiten die Thore des Eingangs geöffnet sind! Sie ertragen alles, sie gehen, sie gehen noch einmal und kommen wieder! Wo ein Amt leer ist, eine Kanzel frei, ein Beichtstuhl geöffnet, lassen wir den Vätern der Gesellschaft den Vortritt! Ob alle diese Dinge reifen sollen bis zu offener Gewalt, darüber sind die Meinungen getheilt. Die einen fürchten und suchen die Erhebung der Massen zu verhüten, die andern fürchten sie nicht und wollen sie. In den Umgebungen des Kirchenfürsten herrscht die Meinung, daß offene Gewalt bisjetzt alles verderben würde. Denn auch darin spräche sich die durchunddurch ghibellinisirte Welt aus, daß Handel und Gewerbe, sogenannte Volkswohlfahrt und geregelte Ordnung dem Jahrhunderte, wie es jetzt einmal ist, über alles gehe; von den Fleischtöpfen Aegyptens wollen die Beweinenswerthen nicht lassen und sollten sie auch ewig nur die Ziegel streichen zu den Ruhmessäulen ihrer Pharaonen! Aber 168 keine offene Revolution! Im Gegentheil wünscht die Umgebung des Kirchenfürsten, daß wir alles, was nicht ein Mit-Uns ist, auch als ein Fürsten-Wider darstellen, d. h. eine Förderung der Revolution nennen. Das ist das schlagende Argumentum ad hominem der Zeit! Kämpfen wir gegen die Neuerungen des sich souverän dünkenden Menschenverstandes, so öffnen sich uns auch die Pforten der Thronsäle im jenseitigen Lager, wir werden eingeholt werden mit Triumphpforten als die Retter des Gesetzes, der Ordnung! Dieser Feldzug geht langsam, aber sicher. Halten wir am Geiste fest, fördern wir den vor allem! Denn »wer auf den Geist säet, der wird von dem Geiste das ewige Leben ernten«!

Der Redner war schon bei seinem Gebet an die Kirche aufgestanden und alle, selbst den Dechanten nicht ausgenommen, hatten sein Beispiel befolgt. Man schüttelte ihm die Hand, man ertheilte ihm die größten Lobsprüche und raunte sich zu, daß nun allerdings erklärlich wäre, wie dieser einfache Mönch in der Residenz des Kirchenfürsten hätte zu so hohem Ansehen gelangen können. Man erklärte sich bereit, den Athanasiusverein zu verbreiten und dies zu wagen auch ohne Genehmigung der Behörden. Man versprach die Medaillen in reichster Anzahl auszutheilen und bestellte die Zahl, die jeder davon wünschte in Vorrath zu haben. Auf dem Teller, von dem die Cigarren weggestrichen wurden, sammelte man die zur Herstellung nöthigen Beiträge. Jeder gab nach Vermögen, der Dechant, wie immer, aus seinen Theil soviel als alle andern. Der Ertrag wurde dem Frater Sebastus übergeben. Ein Zinngießer der kirchlichen Residenz hatte Verschwiegenheit gelobt und versprochen, die Medaillen zu einer bestimmten Zeit abzuliefern.

So trennte man sich. Es war Abend geworden. Beim Durchschreiten eines langen Corridors, der an die Hausthür 169 zurück und zu den inzwischen immer noch lebendig gebliebenen, ja wie vom Jahrmarktsgewühl durchwogten Straßen führte, erfuhr der Dechant, daß der, wie es schien, als Wegbereiter kommender Jesuiten wirkende Bruder Sebastus dem Kloster Himmelpfort bei Witoborn angehörte. Seines frühern Namens hieß er Heinrich Klingsohr. Er war der Sohn eines Mannes, an dessen gewaltsam erfolgten Tod sich dunkle Sagen knüpften, die sich auch nach Kocher am Fall verbreitet hatten. Standen sie doch in Verbindung mit dem gänzlich zerrütteten Geisteszustande seines alten Jugendgenossen, des Kronsyndikus von Wittekind-Neuhof.

Der Dechant dachte an seinen anonymen Brief – an Huß, Savonarola, Arnold von Brescia –. Als er, magisch umwoben vom abendlichen Dämmerlicht, zur Dechanei zurückkehrte, läuteten ihm die Glocken seines Domes wie zur Andacht in einer unsichtbaren Kirche droben über den Sternen und als er in die schon erleuchteten Fenster seiner Wohnung hinaufsah, rang sich ihm von der Brust mit tiefstem Schmerz der Seufzer: Fiat lux in perpetuis!


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