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Ich – Ich – Ich werd' es nicht dulden – Ich – Ich werd' es nicht zugeben! Wer ist dieses Ich? Ein Student, der vor fünfzehn Jahren nach der Schweiz floh, weil man ihm die Ehre antat ihn für gefährlich zu halten. Diese polizeiliche Überschätzung seines Wertes war die erste Quelle von Menzels späterem Übermute. Die Klugheit milderte seine Ausschweifung. Er wurde von flüchtigen Patrioten besucht, die von ihm Hülfe und Schutz verlangten, und nichts als Spott dafür bekamen, die von ihm mit seiner gewöhnlichen, aus seiner immensen Geschichtserfahrung abstrahierten Phrase regaliert würden: Liebe Leute! bedenkt doch! als wenn unter diesen Verhältnissen irgend etwas andres zu bedenken gewesen wäre, als die Hingebung an alte Gelübde und Beteuerungen. Diese Unzuverlässigkeit ging damals mit der Absicht um, sich auf die Literatur zu werfen. Bei einiger Dreistigkeit ließen sich hier glänzende Resultate erringen. Claurens unsterbliches Genie, Gustav Schillings Unübertrefflichkeit, die Kritik eines Müllner, Friedrich Kind mit seiner Riesenharfe, der titanenhafte Humor eines Karl Müchler – was für Lorbeeren ließen sich hier erringen! Welch ein Mut gehörte dazu, die Literatur der Restaurationsperiode mit der Walpurgisnacht zu vergleichen, wo die unsaubern Geister auf den Besenstielen ihrer vernachlässigten Schreibart einen wüsten Lärm erhüben! Menzel hatte diesen Mut. Er wagte es, dieser goldgeränderten Periode der Taschenbücher den Krieg zu erklären. Wie sie zitterten vor seinem Grimme, die Verfasser der Stundenblumen, der romantischen Denksteine, der Federproben, der humoristischen Blicke in die Vergangenheit, der Liebesharfen, der Antipoden! Es flohen vor ihr die Flämmchen, Flocken, Freudengeister, die Katersprünge auf dem Steckenpferde meiner Laune, die Mohnköpfe, Distelblüten, Sommersprossen, Nachtfalter, kurz, die ganze belletristische Misere der Restaurationsperiode. Menzel hat sich in dieser Hinsicht ein unsägliches Verdienst erworben. Niemand würde so tief in den Mist gewatet sein, um aufzuräumen. Er tat es mit Herkulesschultern, er tat es mit frommem Eifer, wie es dem Knechte gebührt.
Die glücklichen Erfolge der Menzelschen Unratskritik ließen ihm den Kamm schwellen: er machte sich an Goethe selbst. Nicht sogleich an Goethes Person, sondern an seine Verehrer, deren Blöße ein Laie leicht durchschaute. Goethe selbst beherrschte niemals die Nation, sondern nur sein Ruhm. Diesen Ruhm tastete Menzel an: er bewies, warum einige Leute spezielles Interesse daran fänden, Goethes Ruhm zu behaupten. Menzel wagte sich an die schwachen neuern Produktionen des Dichterheros, an Kunst und Altertum; aber weiter noch nicht. Um einen andern Maßstab zu haben, gleichsam einen ästhetischen, mußte er ihn erst borgen. Er borgte ihn, wie alles, was ihn später erhob, von der romantischen Schule. Ich werde niemals in Abrede stellen, daß Menzel einen unbefangenen Naturalismus auf die Literatur anzuwenden suchte. Soviel Burschenschaftliches und Turnerhaftes war noch in ihm geblieben, daß er vor Teegeschwätz, Prüderie und Affektation einen beinah angebornen Widerwillen hatte. Was Menzel in dieser Rücksicht geleistet hat, war dankenswert; denn er brachte es wahrhaftig dahin, daß man mit Teelöffeln nicht mehr klapperte, daß man einige Dinge beim rechten Namen nannte, daß man endlich das Häßliche der Schönpflästerchen und Reifröcke, die Menzel charakteristisch genug noch immer zu sehen glaubte, erkennen lernte. Dazu kommt eine gewisse Vaterlandssucht, die Menzeln charakterisiert, die aber damals noch so widersprechender Natur war, daß Menzel ein Land verehren wollte, dessen Bewohner er auf jede Weise lächerlich zu machen suchte. Sein erstes Wort war immer eine Renommage, sein drittes der deutsche Michel. Menzels burschikose Behandlungsweise der Literatur erregte Abscheu. Er mußte eilen, sich eine solidere Grundlage für seine zunehmende Bekanntschaft zu verschaffen, und plünderte zu diesem Zwecke die Resultate der romantischen Schule, mit welcher ihn Görres vermittelte. Aus Tiecks aristophanischen Lustspielen entnahm er eine gewisse gesellschaftliche Polemik gegen das Bürgerliche, Philisterhafte, gegen die Kartoffel- und Kuhpockenpredigten der aufgeklärten Geistlichkeit, gegen Iffland, Kotzebue, gegen die Nützlichkeitstheorie in der Kunst. Schellings Vorlesungen über das akademische Studium ergänzten diese neuen Kenntnisse, mit denen Menzel so viel ausrichten wollte. Die Heidelberger romantische Periode von 1806-12 lieferte neue Ideen, die mit Gewandtheit verarbeitet wurden. Oken und Schelling erschlossen die Natur und die Philosophie. Novalis rüstete Menzeln, seine berüchtigte Polemik gegen Goethe zu beginnen. Aus diesen kaleidoskopischen Ingredienzien setzte sich endlich ein Urteil zusammen, das das Schicksal der Literatur in seiner Hand haben will. In diesem weitläufigen Kopfe müssen es sich Arndt, Jahn, Görres, Tieck, Schelling, Novalis und aus eigenen Mitteln Menzels Arroganz und Grobheit einigermaßen bequem machen. Dieser zusammengeknetete Teig bekam eine äußere Kruste von Jean-Paulismus, eine Glasur, die auch seit einiger Zeit schon zersprungen ist.
Menzel ist mir immer unter dem Bilde eines Kreuzweges erschienen. Die Kreuzwege sind dem Tode geheiligt und die Hunde der Hekate bewachen sie. Die widersprechendsten Dinge laufen hier übereinander: und alles sind Straßen, die in die Köpfe anderer führen, nur eins gehört Menzeln eigentümlich, sein Fatalismus, sein Dämonismus, seine Furcht vor der Zukunft, seine Nervenreizbarkeit und seine Sammlung mittelalterlicher pietistischer Schriften. Das Hundsartige in Menzel ist pudelhafter Natur. Nur daß oft statt hinter dem Pudel ein Mephistopheles, hinter dem Mephistopheles nichts steckt, als ein bloßer Pudel. Zwischen Himmel und Hölle die Grenzen zu entdecken, Geister zu beschwören, an Gespenster zu glauben, dies sind kleine Nebeneigentümlichkeiten, die aber originell sind an Menzeln. Ich wüßte nicht, worin er freier und selbständiger wäre, als in diesem naiven Aberglauben, in welchen er sich zuweilen hüllt, in den Zitaten aus der Bengel'schen Apokalypse, in dieser Furcht und Leichtgläubigkeit. Wie gering ist Menzels ursprünglicher Beruf, in der Literatur eine Stimme zu haben! Neben Jung-Stilling wollte ihn die Natur stellen: nirgend anders wohin.
Dasjenige, was mich in dem Menzelschen Buche über die deutsche Literatur geblendet hatte, und mich bestimmen konnte, ihm die Hand zu drücken, war die Einmischung des Patriotischen in sein Räsonnement. Bei den Worten: Freiheit und Vaterland ist jedes jugendliche Herz verwundbar. Als mich Menzels spätere Bekanntschaft zwang, diese Übertünchung von seinem Buchex abzuziehen, blieb mir auch die Nacktheit der überbleibenden Wände nicht verborgen. Menzel immer begierig, seinen undialektischen Kopf, die Unfähigkeit, zehn Minuten lang ein spekulatives Gespräch zu führen, ohne in Perorationen und Alleinreden zu verfallen, immer begierig, seine chaotische Begriffsverwirrung zu verbergen, brachte die abstraktesten Rubrikate und Schematisierungen in die Literaturgeschichte. Statt von Dichtern zu sprechen, sprach er von Stoffen. Statt Individualitäten zu zeichnen, zeichnete er Tendenzen. Statt die Person aus der Vergangenheit zu entwickeln, entwickelte er sie aus der Gegenwart. Er legte an Goethe konstitutionelle Maßstäbe an. Er ordnete das ganze Gebiet der Literatur in zahllosen Branchen: Novelle, Epos, Roman, Drama usw. und diese wieder in besondere Schemata: das Wunderbare, das Phantastische, das Architektonische u.s.w. Ist das eine Literaturgeschichte! Das ist eine Ungerechtigkeit gegen die Dichter und Autoren, welche in der Literatur immer eher da sind, als ihre Manier. Die sogenannte wunderbare, phantastische, architektonische Manier zwang Menzeln, von Tieck, Goethe u. a. an fünf Orten zu sprechen, statt daß Tieck Tieck und Goethe Goethe ist, statt daß der Literaturhistoriker aus dem Individuum die dichterische Totalität beweisen soll. Was ist der Kern von Goethe und Tieck, wenn sie bald hier, bald dort in Menzels Dispositionen figurieren müssen? Wahrlich, wir haben keine Lessing'sche Kritik mehr. Schlegel machte zum Maßstab seiner Kritik die Schule, Menzel die Partei. Nur Lessing sah das Werk und in ihm den Menschen. Wenn wir eine neue Kritik bekommen, so wird es die der Charakteristik sein. Beurteilt den Dichter in seinem Wesen, aber nicht in seiner Stellung! Zergliedert sein Werk und Ihr werdet ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen! Die junge Literatur schlägt diesen Weg ein, der zum Ziele führen wird: denn es ist nicht nur der Weg, welcher der Wissenschaft würdig ist, sondern auch der der Versöhnlichkeit. Unsere Kritik schildert und porträtiert. Sie ist plastischer Natur und dient niemandem, als sich selbst.
Man glaube mir, daß ich am geschicktesten bin, die Blößen der Menzelschen Kritik zu durchschauen. Wann hat Menzel ein Werk in seine einzelnen Teile zerlegt; wann ist er auf dessen innres Wesen eingegangen; wann ließ er den Autor zu Worte kommen? Menzel kritisiert seit Jahren die deutsche Literatur in Bausch und Bogen, wirft sie in Fächer zusammen, statt die Fächer aufzulösen in Individualitäten. Oft paßt sein Räsonnement kaum zu den flüchtig gelesenen Büchern. Es ist eine Beleidigung für die Autoren, sich massenhaft, je mit einer Nummer, wie Soldaten aufpostiert zu sehen. Menzel denkt, was ich bei einem Buche nicht sage, sag' ich beim andern. Eine treffliche Maxime! Sie macht die Bücher zur Unterlage eines Geredes, das oft ohne Unterbrechung durch mehrere Nummern und über zwanzig Männer, die doch wahrhaftig immer etwas von einer Person sind, hinweghuscht ...
Seine Kategorien sind früher da, als die Bücher, die er zu beurteilen hat. Er liest das Buch, und paßt es in sein Schema ein. Das Publikum kennt diese Schemata: Sentimental! Prüd! Schriftstellernde Dame; goethisierend! Wehmut soll der Dichter haben, aber nicht besingen! Die Unschuld weiß nicht daß sie unschuldig ist! Berlinerei! Schon wieder Entsagung! In dem Sorgenstuhle solcher Phrasen ruht sich Menzel von seinen Kämpfen aus, und sieht nicht, daß ihm seit Jahren schon sämtliche literar-historische Prinzipien über den Kopf gewachsen sind. Es gewährt eine tödliche Langeweile, wenn man Menzels Kritiken liest. Wer ihn kennt, braucht nur die Titel der Schriften, die er anzeigt, zu überlaufen, um zu wissen, was er darüber urteilt. Eine ganz neue Gattung von Konsequenz ist dies, nämlich die Konsequenz der Faulheit und Ignoranz. Sieht man in Menzel einen ringenden Genius, der immer auf der steilen Alpenwanderung des Gedankens ist? Nein, diese riesenhaften Anläufe haben es bis zu einer friedlichen Meierei gebracht, in welcher viel Milch, Butter und Käse ökonomisiert wird.
Menzels übrige Werke erwähn' ich nicht, weil sie auf Ehre! von zu geringem Werte sind, als daß sie in einer wichtigen literarischen Angelegenheit für etwas gelten dürften. Nur über Menzels politische Stellung will ich noch einige sachgemäße Worte verlieren. Ich habe Menzels Wert für das, was er selbst die Restaurationsperiode nennt, nie außer Abrede gestellt, ich habe ihn auch mit St. Georg verglichen, der gegen den Drachen kämpfte. Aber innerlich empört hat es mich und alle tiefer fühlenden Zeitgenossen, daß Menzel in seinem blinden Wüten da noch immer fortfuhr, als die Deutschen einen Beweis für ihre Energie, soweit sie konnten, abgelegt hatten, als unter uns eine Aufregung, die historisch ist, niedergeschlagen wurde, und die Göttin des Vaterlandes sich in Trauer kleidete. Die Pietät flüsterte sich vor zwei Jahren zu, leise aufzutreten in dieser Zeit der Trauer und Worte zu wählen, welche die Toten nicht aus ihrer Ruhe störten. Menzel indessen polterte und tobte mit denselben groben Ausdrücken in seinem Wirken wie früher. Da war keine Scham und Scheu, keine Reverenz vor dem deutschen Volke. Es waren noch immer die alten Schafsköpfe und Narren und Esel, die ausgeteilt wurden. Man zischte um Ruhe, die Glocken läuteten unsre Hoffnungen zu Grabe; da ist aber ein roher, betrunkener Mensch, der noch immer tobt und in die stillen Gebete der Leidtragenden hineinschreit! Seitdem ist Menzel ruiniert: er hat die Pietät verletzt; man kennt ihn nur noch als Grobian auf eigne Faust.
Die drei letzten Versuche, die Menzel gemacht hat, um sich zu retten, sind erstens eine Servilität, zweitens eine Übertreibung, drittens eine Lüge. Servil war es, aber klug bedacht, daß er sich hinter so geachteten Namen, wie Uhland, Pfizer u.s.w. sind, schob, und etwas von ihrem Glanze, von ihrer Reinheit der Gesinnung und Aufopferung für das, was sie glauben, auf seine eigne dekrepite, heruntergekommene Gestalt fallen machte. Er sieht ein, daß er mit diesen Männern gehen muß, um für sich noch ein Echo zu haben. Er dringt sich denen auf, die ihn zurückweisen. Er hält heuchlerische Reden an die Handwerker, welche jene lieben, da sie von Haus aus Demokraten sind und sich in die idyllischen Empfindungen des gemeinen Mannes versetzen können. Er lobt jene schwäbischen Notabilitäten, ja sogar die kleinen poetischen Springer, die ihnen nachhüpfen. Es ist ein ganzer Rattenkönig, der eine von Uhlands Haupt genommene Krone trägt, und in Stuttgart jetzt sein Wesen treibt. Menzel läuft atemlos mit, um nicht allein zu stehen.
Das dritte Mittel knüpfen wir am besten an das erste an, weil es eine Lüge ist. Ich verstehe darunter Menzels große Anläufe für die Judenemanzipation. Es ist bekannt, daß Menzel die Juden haßt; er muß es als Deutschtümler. Menzel reißt das Fenster auf, wenn ein Jude bei ihm war. Aber Menzel weiß, wie viel Popularität er durch die Konzession an die Juden gewinnt. Eine heilige Sache muß ihm dazu dienen, sich ein gewisses öffentliches Interesse zu erhalten, und nebenbei an dem Kirchenrat Paulus, welchen alten Herrn er mit einem kindischen Hasse verfolgt, sein verrostetes Schwert immer wieder etwas aufzuschärfen. Leicht erkauft sind die Lorbeern, die man durch die Judensache und die Angriffe auf einen isolierten, und von allen Parteien umgangenen Mann, wie Paulus ist, erwerben will.
Menzels neueste Übertreibung aber zielt auf Goethe und die Vaterlandsliebe. In beiden Rücksichten hat er den Bogen zu straff angezogen. Die Anrede an den Straßburger Münster, als wenn er gezittert hätte, da Goethe auf ihm stand, hat selbst die lachen machen, welche Goethes Fürstentum des Scheins anerkennen. Eine Debatte über diesen Gegenstand ist nicht möglich; denn der Wahnsinn läßt sich nicht widerlegen. Aber etwas andres ist es mit dem Franzosenhaß. Und hier frag' ich, was des Jünglings Wange freudiger glühen macht, die Liebe zu allem, was den Tempel der Menschheit und der Völkerideen erbauen hilft, oder jene aus verlornen Traditionen und dem Blute hergeleitete tierische Leidenschaft der Nationalität? Warum blutete das achtzehnte Jahrhundert? Warum haben die Nationen durch Philosophie, Industrie und historische Sympathien für die Zukunft sich genähert? Warum ein Volk hassen, das unserem Hasse jetzt keine Nahrung gibt? Die Menzel'sche Affektation einer klugen politischen Voraussicht kann nirgend Anklang finden. Sie ist nicht geeignet, in ruhigen und nur den Ideen gewidmeten Zeiten die Herzen anzuschwellen. Unser Stolz ist, die Völker lieben zu können; unsere Taktik, über dem Bestreben nach gemeinschaftlicher politischer Emanzipation einstweilen die Nationalität zu vergessen. Geht die Jugend in ihrem kosmopolitischen Idealismus zu weit, so sollte Menzel ihre Unvorsichtigkeit tadeln, aber eine Bosheit nicht züchtigen, die sie nicht hat. Ruiniert hat sich Menzel in den Augen der Hoffnung, der Jugend und einer wahrhaft säkularen Schwärmerei, ruiniert durch seinen rohen patriotischen Terrorismus.