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Ich habe Börne nicht gekannt. Manche seiner nähern Freunde, die mir mit Rat und Tat beistanden, haben dies oft bedauert. Indessen beruhigt es mich, daß ich seine nächsten Freunde, die mit ihm gelebt, doch oft auch darauf ertappte, daß sie mit ihm nicht auch empfunden hatten. Ihre Urteile über den Verstorbenen widersprachen sich. Sie hielten mit verzeihlicher Täuschung allzusehr am Menschen fest und wußten für jede geistige Lebensfunktion des Freundes Gründe, die von den andern wieder bestritten wurden. So konnt' ich, wenigstens schien es mir so, vielleicht besser in die Wahrheit dringen, als wenn ich durch persönliche Bekanntschaft wäre mit in diesen Strudel von Widersprüchen gezogen gewesen. Das unmittelbare Leben ist selten ohne Verstimmungen. Wir sind nie in dem Grade frei von unserm eignen Interesse, daß wir bei persönlichen Kollisionen stets den Blick ungetrübt und das Vorurteil unbefangen erhielten.
Von früh an hab' ich die Neigung gehabt, mich in fremde Individualitäten hineinzuleben. Die besten Menschenkenner sind die, welche von den Tugenden und Schwächen der andern Vorteile zu ziehen wünschen; die ihnen zunächst kommen, die, welche einen Fanatismus daraus machen, gegen jedermann gerecht zu sein. Ich bin immer erschrocken, wenn ich irgendeinen unbedingt verurteilen hörte; denn meine eigene Lebensentwicklung zeigte mir nur zu sehr, daß wir in unserm Gemüt von der ganzen Welt abweichen können, ohne deshalb Ursache zu haben, uns weniger gut und gerecht zu erscheinen. Was ich mir selbst geschenkt wissen wollte, dies Vertrauen auf die individuelle Selbstgerechtigkeit des Menschen, hab' ich andern nie entzogen, ja mit Leidenschaft mir darin gefallen, mich in die Denk- und Fühlweise anderer hineinzuleben, Adern und Geflechte in fremden Seelen tief zu verfolgen und die Menschen von innen heraus zu beurteilen. Was mich in der Poesie zum Dramatiker, mußte mich in der Prosa zum Biographen machen.
Ludwig Börne wurde als Löb Baruch den 22. Mai 1786 zu Frankfurt am Main von jüdischen Eltern geboren. Diese Abstammung Börnes ist für seine spätere Geistesbildung zu entscheidend gewesen, als daß wir uns über sie nicht gleich an der Schwelle seines Lebens verständigen sollten. Börne war Jude. Seine Feinde haben dies oft genug geltend gemacht, entweder um seine angeblichen Verirrungen zu erklären oder sie mitleidig damit zu entschuldigen. Die einen, die Germanischen, die mit ihren blonden Haaren und blauen Augen unmittelbar von den Eicheln der altdeutschen Urwälder abzustammen vorgeben, haben darum Bornen nie recht an sich herankommen lassen, haben sich seines Geistes, seiner Gesinnungen erwehrt, selbst wenn diese, wie früher z. B. bei Görres mit der Tendenz des Herausgebers der Waage im allgemeinen übereinstimmten. Die andern, boshafter, als jene Phantasten, haben grade den verbissenen Groll eines nicht emanzipierten Juden geltend gemacht, um Börnes uneigennützige Liebe zur Freiheit zu verdächtigen, haben das Häßlichste, was man nur im Durchschnitt vom jüdischen Charakter zu behaupten pflegt, in das Gemüt Börnes, ob er gleich Christ geworden, zurückzuleiten gesucht und ihm jene Lieblosigkeit, jenen zersetzenden Verstand angedichtet, welchen man gern für das Erbteil der Juden ausgibt. Die Wahrheit ist aber die, daß allerdings die jüdische Abstammung auf Börnes Sinnes- und Denkweise von großem Einfluß war, daß ihm aber diese Abstammung noch um so mehr den Beruf gab, für die Freiheit aller aus dem tiefsten Bedürfnis derselben zu wirken. Es ist wahr, Börne hat erzählt, daß ihn der Juif de Francfort, welchen die Frankfurter Polizei einst in seinen Paß schrieb, bitter gekränkt und gestachelt hätte, sich einst dafür zu rächen. Aber woran hat er sich gerächt? Wahrlich nicht an etwas, das er, um seinen Zorn zu kühlen, erfand, sondern an dem ganzen Zusammenhang jener tatsächlichen politischen Zustände, die es mit sich bringen, daß wir die Leibeigenen unsrer Herrscher und die Juden wieder, die Leibeignen unsrer Herrschsucht sind. Er fand, als ihm die Dinge und Menschen klar wurden, daß dieser Juif de Francfort nicht allein dastand, sondern daß eine und dieselbe Kette, die den Juden in schimpflicher Abhängigkeit hält, ihre Fortsetzung hat auch in die größten und kleinsten Kreise der christlichen Existenz. Das eine verschmolz ihm mit dem andern; es führten die Leiden alle zurück auf dieselbe Quelle.
So wie die Lage der Juden in Deutschland war und noch ist, muß es ein unseliges Gefühl sein, unter ihnen geboren zu werden. Schon das Spiel des Kindes hat seine Grenze; denn was der christliche Knabe nicht durch sein eignes unschuldiges Herz zu hassen und zu verspotten lernt, lehrt ihn der Haß und der Spott seiner Eltern. Eingepfercht in häusliche Gewohnheiten, religiöse Sitten, für welche dem jüdischen Knaben das tiefe Verständnis abgeht, oder das er doch verliert, wenn die Bildung, die seinen Geist mit christlichen Stoffen schwängert, über ihn kömmt, ausgeschlossen von den Bahnen, welche christliche Gespielen und Schulfreunde für ihre Zukunft einschlagen, gefesselt an eine Gesellschaft, die in ihrer Abgeschiedenheit gar zu sehr in grelle Einseitigkeiten und wunderliche Richtungen verfällt, die der reifere Verstand bald durchschaut, ausgesetzt endlich den zahllosen Gehässigkeiten, welche sich die Christen im bürgerlichen Verkehre, in der Gesellschaft, in lokalen Beziehungen gegen die Juden erlauben – o das muß tief in ein edleres Gemüt einschneiden und Wunden hinterlassen, die, da der Zustand der Juden sich immer noch nicht bessern will, nie vernarben können. Der jüdische Kaufmann zerstreut sich vielleicht durch den glücklichen Erfolg seines Gewerbes, aber der jüdische Gelehrte ist auf die traurigste Vereinsamung mit seinem Schmerze angewiesen. Hat er die Jugend mit den Nadelstichen für seinen Ehrgeiz hinter sich, so ist ihm nun die ganze Zukunft versperrt. Er hat die Früchte der Wissenschaft und Kunst brechen gelernt so wie wir, aber er darf sie nicht genießen. Alle Voraussetzungen der Bildung sind bei ihm dieselben wie beim Christen, ja, er kann durch wissenschaftliche Einsicht sogar vom Christentum eine höhere Idee haben, als mancher christliche Gelehrte sie hat, und doch bleibt er ausgeschlossen von einer Wirksamkeit für das Allgemeine, und muß, beschränkt auf seine Glaubensgenossen, eine Bitterkeit nähren, die seinem versöhnlichen Herzen sonst vielleicht ganz fremd geblieben wäre...
Überhaupt irrt man sehr, wenn man bei Börne in Betreff seiner jüdischen Herkunft jene übergroße Empfindsamkeit voraussetzt, die jetzt in der Behandlung der Emanzipationsfrage Sitte geworden ist. Freilich, da er früh Christ wurde, mag in ihm diese Stimmung auch schon allmählich verklungen sein; in der Weise, wie sie sich z. B. in »den trauernden Juden vor Babylon« und ähnlichen Versinnlichungen des Judenschmerzes ausspricht, kam sie entweder bei ihm nicht mehr auf oder hielt nicht lange an. Um aufrichtig zu sein, Börne verhielt sich weniger emphatisch zu den neuern Versuchen für die Judenemanzipation, als manche seiner Frankfurter Freunde gern gesehen hätten. Es störte ihn teils die Einseitigkeit einer solchen Freiheitserklärung, die gleichsam nur für eine Klasse von Menschen fast aristokratisch erfolgen sollte, während er die ganze Menschheit in Fesseln und Banden sah; teils kannte er die innre Organisation der jüdischen Gesellschaft zur Genüge, um nicht zu fürchten, daß der Geist der Geldsucht, die rein materielle Richtung der meisten Juden sich mit den Drängern der Menschheit verbinden und sich auf die Masse des Volkes werfen würde. Deshalb wünschte er, daß sich die Rothschilds taufen ließen. Wenn er auch in seinen Briefen dagegen protestiert, daß er die Rothschilds hasse, so entsetzte er sich doch vor der politischen Stellung, die die vorzugsweise jüdische Börse im modernen Europa einnahm, vor diesem Geist der Anleihen und der Papierspekulationen, wo mit den Tränen und dem Blut der Völker die Kurse der Staatseffekten notiert werden. Soviel Mitleid er mit dem armen Manne hatte, der durch die Straßen seinen Zwerchsack trägt und nach den Fenstern der Häuser Handle! hinaufruft, so abscheulich war ihm der Vorschub, den die reiche Judenschaft der weltlichen Tyrannei leistet, so widerlich war ihm der Ehrgeiz der reichen Judenfamilien, wenn sie des Umgangs mit der christlichen Aristokratie sich rühmten und glücklich waren, ihre Töchter auf dem Ball eines Gesandten tanzen zu sehen. Börne hatte auch kein Interesse an der neuerdings üblichen zu übertriebenen Herausstellung der Nationalität und der sittlichen Sonderung, sondern wünschte eine Verschmelzung, eine völlige Germanisierung des Judentumes; wenigstens lassen sich die Stellen in seinen Briefen, wo er den ihm werdenden Mahnungen, sich der Judensache besser anzunehmen, ausweicht, nicht anders erklären; vor allen Dingen war ihm diese Sache keine Frage für sich, sondern sie hing ihm mit den Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes, mit der Freiheit der ganzen Menschheit zusammen...
Börne, der den Aufschwung des Vaterlands mit allen Pulsen seines innersten Menschen mitempfand, ahnte nicht, daß er eines der ersten Opfer des Sieges sein sollte. Kaum war die französische Herrschaft in Frankfurt gebrochen, so trat wieder die alte freistädtische Verfassung hervor. Der Senat nahm von seiner Souveränität Besitz, die Anstellung eines Juden hob sich von selbst auf. Börne erhielt, jedoch nicht sogleich, seine Entlassung. Man glaubte ihn zuerst durch Zurücksetzungen zu bewegen, sie selbst zu nehmen. Man überwies ihm geisttötende Registraturarbeiten, doch schlugen diese Berechnungen fehl. Börne tat, was man ihm übertrug und sah den Intrigen mit ruhiger Gelassenheit zu. Endlich, da man einen Juden nicht länger mehr im Amt lassen wollte, entschloß man sich, ihn zu entfernen, konnte ihn jedoch vermöge einer Bestimmung der Kongreßakte hinsichtlich der Großherzoglich Frankfurtischen Staatsdiener die Pension nicht entziehen. Börne nahm auf das ängstliche Betreiben seines Vaters diese mit 400 Gulden an, die er leicht auf das Doppelte erhöht bekommen hätte, wenn ihn nicht sein eingeschüchterter Vater von einem ernstlicheren Widerstände gegen die Unbill der Reaktion zurückgehalten hätte.
Man nimmt gewöhnlich diese bittere Erfahrung, die Börne in den Jahren der Befreiung machte, als den Wendepunkt seiner politischen Bildung an. Man hat aber Unrecht, wenn man glaubt, daß ihm persönlicher Groll oder gekränkte Eitelkeit die neue Richtung seiner Ideen gezeichnet hätte. Einmal war Börne durch seine Bildung und seinen Umgang darüber hinaus, daß ihm grade die Erinnerung an sein Judentum hätte besonders empfindlich sein sollen; sodann war er zu edel und unbefangen, um sich eine Weltansicht aus persönlichem Mißgeschick zu bilden. Das aber war der Sonnenblick, an dem sich seine politischen Begriffe aufhellten: Der Zusammenhang, in dem sein eignes Erlebnis mit dem stand, was sich mit dem Jahre 1815 nun rings um ihn her zu offenbaren anfing. Deutlich genug sah er, daß sich eine ihm widerfahrene kleine Ungerechtigkeit an große Tendenzen lehnte, die immer offner hervortraten. Mit den entarteten Söhnen der Revolution wollte man auch die großen Wahrheiten umstürzen, die die Revolution gezeitigt und den Lauf um die Welt zu machen geheißen hatte. Die Couriere, welche zwischen Wien und jenen Städten, in welchen die berühmten Reaktionskongresse gehalten wurden, hin- und herflogen, rissen Furchen in das blutgedüngte Vaterland, in die man den Samen veralteter Meinungen und Vorrechte wieder zu streuen wagte. So vieles, was uns die Restauration brachte, ging aus den edelsten Stimmungen des Zeitgeistes, aus einer schwärmerisch erwachten Liebe zum Vaterlande, zur Muttersprache, zum Christentume hervor; aber die Intrige benutzte diese Gefühle, um in ihrer trüben nebelhaften Dämmerung die eignen Vorrechte sicher zu stellen. Viele sonst besonnene Männer hatten das Unglück, erst später das falsche Spiel zu durchschauen und es unbewußt, nicht selten zum eignen Verderben, in gutem Glauben mitzumachen; andere überblickten schon früher den Gang, den die Ereignisse nehmen würden, befreiten sich von jenen an sich schönen Täuschungen und Spiegelbildern eines neu erwachten Volkstums und bildeten sich jene Theorie allmählich aus, welche unter dem Namen des Liberalismus bald eine Parole des Parteiwesens werden sollte. Börne, keiner der schönen Ideen vom Vaterland, von deutscher Einheit und Würde, von Volkserziehung und sittlich religiösem Ernste fremd, ahnte doch früh, wozu diese schönen Namen würden mißbraucht werden und reifte in der Schule sich drängender, wirrer Ereignisse, die dem Siege von 1815 folgten, zu einer politischen Intelligenz, wie sie damals nur wenige in Deutschland besaßen.
Das Leben Börnes ist, abgesehen von dem persönlichen Interesse, welches die Neugier daran nehmen kann, noch in manchen Beziehungen merkwürdig. Angedeutet ist schon, wie es uns die Stellung des Genies und des Charakters zu unsrer Zeit versinnlicht. Auch in Börnes Stellung zur Literatur, wie diese sich allmählich ergeben hat, liegen Gedankenreihen, die man an ihn zuerst anknüpfen muß, und die in der bisherigen literarischen Erfahrung zu bilden gar nicht möglich war. Außer dem denkwürdigen Einflüsse, den Börne auf die politische Bildung des deutschen Volkes hatte, gewann er, da er diesen Einfluß grade in so geistreicher Form und Sprache geltend machte, noch im besondern zur Literatur eine Stellung, die, man kann wohl sagen, epochemachend gewesen ist. Nun war es aber die harmloseste Art, wie Börne zur Literatur kam, die unbewußteste. Bisher sind wir gewohnt gewesen, daß Beamte oder Gelehrte in ihren Mußestunden in die Leier griffen und das Lob der Frauen, des Frühlings und des Weines sangen; junge Studenten dichteten Dramen, versäumten, sich die Antworten einzulernen, welche sie einst auf die in den Staatsprüfungen vorgelegten Fragen zu geben hätten, erwählten den Dichter und Schriftstellerberuf als einen ausschließlichen, indem sie Zeitungen, Almanache und literarische Genossenschaften begründeten, alle hatten sie von Goethe herab bis zum gewöhnlichsten Taschenbuchsnovellisten ein bestimmtes nur in den bisher der Literatur abgesteckten Grenzen liegendes ästhetisches Ziel. Seit den Befreiungskriegen traten freilich schon Männer auf, die, ohne speziell für die Literatur als solche zu schreiben, doch tiefe Furchen sogar in den Prinzipien derselben zogen und jedenfalls ihre Grenzen erweiterten; Arndt z. B. Görres, Steffens und andre. Doch zogen sie sich meist auf die Geschichte oder Philosophie oder sonstige wissenschaftliche Einzelgebiete wieder zurück, oder besaßen im Stil und Vortrag nicht jene Saatkeime, die in eine neue Epoche für die Literatur ausschießen konnten. Börne jedoch gelang es, ohne es zu wollen, ein deutscher Klassiker zu werden. Dasjenige, woran er am wenigsten gedacht hatte, fiel ihm am ersten zu. Er beurteilte die Dichter, die Schauspieler, die Philosophen, die Publizisten seiner Zeit: er machte aus dem Jean-Paulismus etwas Klares, Durchsichtiges, schrieb Satiren aus äußern Zwecken, trieb die schöne Literatur nur, um die Politik in ein erlaubtes Gewand zu hüllen, sprach von Schiller und Goethe und dachte dabei an Montesquieu und Metternich, schrieb fast immer nur auf äußre Veranlassung, getrieben durch eine herausfordernde Gelegenheit – und doch ist aus diesem Zufälligen etwas Notwendiges geworden, die Zusammenstellung seiner vereinzelten Tätigkeit machte Epoche, er wirkte nicht bloß auf Minister und Landstände, wie er fast allein zu wollen schien, sondern auf den ganzen Verlauf unsrer Literaturentwicklung, auf unsre Dichter, unsre Stilisten.
Wäre Lessing nicht noch Dichter gewesen, so würde die Art, wie er sich zur Literatur seiner Zeit anregend und umwälzend verhielt, mit der, wie Börne auf die unsrige wirkte, durchaus zusammentreffen. Börne wie Lessing, beide waren bei ihren kritischen Abhandlungen immer nur vom Stoff beherrscht; und grade dieser verflüchtigte sich vielleicht zuerst und ging mit dem Augenblick verloren, die Form aber blieb und befruchtete die Tätigkeit der andern. Lessings Dramaturgie war längst vergessenen französischen Dramen gewidmet, deren übergroße steife Regelrichtigkeit er der Natur gegenüber erröten machte; die Stücke und Verfasser interessieren uns jetzt nur wenig; aber die Behandlungsweise Lessings hat sich erhalten. So wird man auch von Börne mit innigstem Vergnügen seine Theaterkritiken in der Waage lesen, die er nur zum Teil in seine »Gesammelte Schriften« aufnahm; sie sind alle würdig, erhalten zu werden; denn wenn auch die Herren Heigel, Otto, Urspruch, die Damen Busch, Pazkowska vergessen sind, so ist doch die Art, wie Börne die flüchtigen Leistungen derselben fixierte, so fein, witzig und mustergebend, daß sich die Belege derselben dauernd erhalten werden. Große Genien sind in ihren Schöpfungen harmlos, und was wir am meisten an ihnen bewundern, schenkte ihnen der Zufall vielleicht im Spiele.
Wir müssen hier gleich an der Schwelle der Betrachtungen über Börne als Schriftsteller einen Punkt erwägen, der bedenklich scheinen könnte. Börne sprach in seiner Waage über Kunst, Literatur, Gesellschaft und hatte dabei immer nur den Maßstab der Politik. Es ist nun aber in neurer Zeit zu einem sehr folgenreichen Streite über die Frage gekommen: Inwiefern politische Maßstäbe zur Beurteilung dichterischer Eigentümlichkeiten ausreichen? Daß man sie anlegte, war gewiß eine Notwendigkeit, die einmal in der Zeit lag. Unsre Literatur hat sich während der schönsten Zeit ihrer Blüte nur in Zuständen heimisch gefühlt, welche dem unmittelbaren Bewußtsein der Gegenwart fern lagen. In Griechenland, Rom, im alten Germanien, in den Nebeln des Nordens bewegten sich die Anschauungen der Dichter, und die Philosophen beschäftigten sich eher damit, das Rätsel der Weltschöpfung zu lösen, als eine schwebende Frage der Zeit. Jedenfalls mußte gegen diese idealische Welt eine Reaktion stattfinden, die um so gewaltiger war, als sie mit den Stürmen der politischen Erlebnisse selbst heraufzog und sich nach und nach sogar mit Geistesrichtungen und Dichtern verbinden konnte, welche die Stimmungen des nächsten Moments der Zeitgeschichte wiedergaben und die Leier nur zu vaterländisch-freisinnigen Gesängen stimmten. Die Fürsten hatten an dem Aufschwung unsrer klassischen Literaturperiode einen Anteil gehabt, den ihre Söhne an dem ihr folgenden silbernen Zeitalter nicht mehr nehmen wollten, weil sie vor dem neuen Geist der Dichter und Schriftsteller erschraken. Diejenigen Heroen der literarischen Vergangenheit, welche in die neue Gegenwart noch hinein lebten, konnten sich in dem Wesen derselben nicht zurechtfinden, und Goethe zeigte sogar unverholen, daß ihm das Studium der Gall'schen Schädellehre mehr Interesse gewähre, als die Neuerungen unsres öffentlichen Geistes seit dem Sieg über Napoleon.
Solange sich der patriotisch-freisinnige Zeitgeist gegen jene Tatsache entrüstete, war er ohne Zweifel in dem vollen Recht, das die Gegenwart an sich selbst hat; das Fehlerhafte fing nur an, als man über diese Tatsache als solche hinausging. Nicht genug, daß man die vorzugsweise aristokratischen Überlieferungen der klassischen Periode mit jener Sprödigkeit ablehnte, die der aufgeregten Stimmung nicht verdacht werden konnte; man dehnte seine Opposition auch über die Gegenwart aus, und übertrug sie in eine Vergangenheit, die sich unter Umständen entwickelt hatte, welche sie in politischer Hinsicht von vornherein unzurechnungsfähig machten. Von den Gesinnungen stürmte man zum Talent selbst über und glaubte, nachdem erwiesen, daß Goethe ein Aristokrat war, auch erweisen zu können, daß er kein Genie hatte.
Börne hat sich bei dieser Bilderstürmerei indessen nie von dem Fanatismus fortreißen lassen, den Wolfgang Menzel zur Schau trug. Börne empfand die vornehme Excellença Goethes schmerzlich genug, er geißelte die aristokratische Ruhe dieses Überglücklichen mit mehr als bloß kaltem Spott, er geißelte sie mit glühendem Zorn und nicht verhaltener tiefster Erbitterung; über die Gesinnung ging er aber kaum hinaus, sich anmaßend, dasjenige, was er verderblich nannte, auch stümperhaft zu nennen. Börne trat auch nicht wie Menzel im Interesse andrer Richtungen, z. B. der Romantik auf, welcher die Goethe abgerissene Pracht und Herrlichkeit angeflickt werden sollte, sondern es war ein ursprüngliches, rein menschliches Gefühl, welches er durch Goethes Stellung in Deutschland an sich verletzt sah. Er verlor sich nicht so wie Menzel in die frühesten Anfänge des Dichters, zergliederte nicht Götz Werther und Egmont schon in dem Geiste von 1819, sondern eben weil er diese Größe Goethe lassen mußte, war es ihm um so schmerzlicher, ihn nicht lieben zu können. Erst in der heftigen Aufregung, in die ihn die gehässige Aufnahme seiner ersten Pariser Briefe versetzte, ließ er sich gegen Goethe zu offenbaren Ungerechtigkeiten hinreißen. Die Kritik der Goetheschen Tag- und Jahreshefte im dritten Band der Pariser Briefe ist nicht frei davon. Sie verwandelt das, was man an Goethe bemitleiden muß, in offenbar Hassenswürdiges; sie macht aus dem, was Goethe nach dem ganzen Verlauf seiner Bildung nicht leisten konnte, etwas, das er seiner argen Natur nach nicht leisten wollte.
Um die Stimmung, die Börne gegen Goethe empfand, hier gleich vollends zu würdigen, muß man wissen, daß sie beide Landsleute waren. Börne konnte den ganzen Bildungsgang der Goetheschen Jugend verfolgen; er wurde, so oft er von der Zeil und dem Türkenschuß nach dem Eschenheimer Tore in Frankfurt einen kürzern Weg nehmen wollte, durch die schlimme Mauer, den Schauplatz des von Goethe erzählten Knabenmärchens, an den vornehmen Geheimrat in Weimar erinnert. Er kannte die patrizischen Einflüsse, die auf Goethes Jugend gewirkt hatten, er wußte das eigentümlich Hochfahrende und echt Frankfurterische in der Frau Rat genugsam zu würdigen, um sich Goethe in seiner gemütlichen Erscheinung ganz klar zu machen. Die Abneigung Goethes gegen das Judentum, eingeimpft schon durch die Geburt, anerzogen durch die Frankfurter Sitte, mochte nicht wenig zu seiner Verstimmung gegen Goethe beitragen. Und soll ich ganz sagen, was ich denke, so ist es mir oft, als hätte Börne darauf gerechnet, daß Goethe irgendwie seine Äußerungen über ihn erfahren würde; nicht als hätte ihn Eitelkeit dies wünschen lassen, wohl aber gönnte er ihm in seiner vornehmen Abgeschiedenheit, in dem Schoß jener künstlich arrangierten Glückseligkeit, wo weibliche Sorgfalt jede Unannehmlichkeit von ihm abzuhalten suchte, einmal den Einblick in Meinungen und Urteile über ihn, die von den aus Berlin jährlich zum 28. August ankommenden Weihrauchopfern sehr verschieden waren. Er gönnte ihm, daß er noch vor seinem Tode erführe, wie ihn die neue Zeit fasse, und wie ihn nichts retten könne vor der Verurteilung, die der erzürnte Genius des Vaterlandes; die beleidigte Göttin der Freiheit über ihn verhängt hätte.
Sonst wüßten wir nicht anzugeben, daß Börne je etwas Geistloses und Gewöhnliches deshalb angerühmt hätte, weil es patriotisch und liberal war, wie es Menzels Sitte; im Gegenteil konnte ihn nichts tiefer schmerzen, als Geist mit schlechten Gesinnungen vereinigt und bei guten mangeln zu sehen. Seine Briefe aus Paris verraten später oft das unheimliche Gefühl, das ihn beschlich, wenn er enthusiastische Äußerungen freier Ideen hörte und doch an dem, der sie aussprach, nichts fand, was ihn fester hätte anziehen können. Er hat seinen Überzeugungen nie den Geschmack geopfert. Er hat sich nie entschließen können, einen gewissen ästhetischen Aristokratismus an sich zu unterdrücken. Man kann jemandes bester Freund sein und sich doch nicht entschließen, mit ihm in einem Bette zu schlafen.
Die Liebe zur Freiheit ist wie jede edle Leidenschaft oft ungerecht, öfters aber noch unaussprechlich. Zuweilen ist sie auch nur deshalb ungerecht, weil sie sich nicht aussprechen läßt. Börne kam hier zuweilen in verwickelte Kollisionen seines Geschmacks für das Schöne und seiner Sympathie für das Richtige. Aus diesem Gesichtspunkt war mir aus seiner spätem Zeit immer seine Beurteilung des »Trauerspiels in Tyrol« von Immermann interessant. Es störte ihn etwas an dieser Dichtung und doch zog sie ihn an. Er fühlte an diesem Werke etwas, das ihn lähmte, kann es nicht recht ausdrücken und wiedergeben, hundert Gedanken laufen ihm quer über den Weg, keiner ist der rechte und doch will jeder erwogen sein. Er räumt dem Dichter alles ein und sagt zuletzt: Nein; es ist doch, doch etwas darin, was mir fremd ist und bleiben wird. In einer solchen Stimmung greift er wohl zur Dialektik, die er denn auch gegen Immermanns Hofer scharfsinnig genug in Anwendung gebracht hat.
Wenn bei Börne Fälle eintraten, wo die Idee der Freiheit mit dem Geschmack kollidierte, so wird man nach dem Vorhergehenden nicht zweifelhaft sein, daß er der ersten das Vorrecht einräumte. Er ging wie man an dem vorigen Beispiel sehen konnte, hart daran; »aber«, sagt er, »in einer wüsten, kahlen, menschenleeren Zeit greift das Herz nach jeder Nahrung, daß es sich nur fülle, daß es nur fortbestehe.« Indessen gab es doch einen Maßstab, der ihm noch höher stand, als der politische; das war der moralische. Man verstehe mich recht! Die moralischen Maßstäbe sind in Verruf gekommen, seitdem sie von der Prüderie und der Scheinheiligkeit angelegt wurden. Börnes moralischer Maßstab war ein weit höherer; es war das Maß des Gemüts und der Ehre. Das Malhonnette, Unhonorige war ihm tief verhaßt. Wir werden später, bei Entwicklung seines Charakters, auf diesen Adel des Herzens und eine ganz, eigentümliche Form, in der er sich bei ihm aussprach, zurückkommen; hier interessiert uns nur die Anwendung desselben auf seine Kritik. Börne verachtete z. B. den Schillerschen Wilhelm Tell. Dieser gepriesene Held der schweizerischen Freiheit war ihm schon in seiner Waage, nicht nur ein Philister, sondern sogar ein schlechter, unedler Mensch. Börne konnte entschuldigen, daß jemand für die Freiheit seines Vaterlandes vielleicht einen Mord beging, vielleicht einen falschen Eid schwor; aber er konnte nicht entschuldigen, daß jemand, um allen dienlich zu sein, sein Kind opfert. Daß Tell den Apfel vom Haupt seines Kindes schoß, empörte ihn; er ruft aus: »Tell hätte nicht auf seinen Sohn schießen dürfen und wäre aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden!« Etwas Trübes liegt, genau geprüft, allerdings auch in dieser Ideenverbindung, doch hängt sie mit andern dunkeln Gemütsstimmungen zusammen, die wir später entwickeln werden; wenigstens beweist dieser Ausspruch, daß Börne kein starrer Begriffsmensch war, kein kalter Terrorist, wie man ihn zu schildern pflegt, sondern ein sanftes Gemüt, dem die Liebe eines Vaters zu seinem Kinde noch höher ging, als die Liebe zur Freiheit.
Der rein politische Maßstab, angelegt an die Kunst, hätte Börne zu jenen Einseitigkeiten führen können, denen z. B. W. Menzel in seiner Kritik ganz anheimgefallen ist. Börne unterschied sehr wohl den praktischen Gesichtspunkt von dem theoretischen. In dem, was ihm praktisch verwerflich schien, hat er sicher auch immer das Rechte getroffen. So empörte ihn in unsrer dramatischen Literatur dieses Element des Alleruntertänigsten, empörten ihn diese Katzenbuckel, welche der Bauer vor dem Schulmeister, der Schulmeister vor dem Pastor, der Pastor vor seinem Patronen macht. Der Einwand, daß in diesen häßlichen Beleidigungen der Menschenwürde doch unsre Sitten getroffen würden, genügte ihm nicht. Ist diese Hundedemut da, so ist das Mittel, sie auf der Bühne lächerlich zu machen, noch immer nicht wirksam genug, sie auszurotten. Börne tadelte, daß unsre gehorsamen Diener von Dichtern die Fürsten immer edel und gut auftreten lassen oder, wenn sie doch nicht gut und edel handeln, die Schuld auf ihre schlechte Umgebung werfen. Die Unschuld, in der z. B. Lessing sogar in der Emilia Galotti den Fürsten erscheinen läßt, mußte ihm um so bedenklicher vorkommen, als die Harmlosigkeit eines Fürsten bei einem so notorisch schlechten Untergebenen, wie Marinelli einer ist, unglaublich wird. Freilich war es die Weise des 18ten Jahrhunderts, die Fürsten zu schonen und nur die Minister anzugreifen; erst im 19ten Jahrhundert wagte man sich an die Fürsten selbst heran.
Börne bemerkt sehr richtig, daß die Luft, in der allein ein dramatisches Talent gedeihen kann, politische Freiheit ist. Wo kein öffentliches Leben herrscht, muß nicht nur der dichterische Ausdruck seiner natürlichen Kraft beraubt werden, sondern die Gestalten werden auch nicht den freien Geist ureigenster Persönlichkeit atmen; Rücksichten entnerven die Sprache, und lassen die Malerei des Lebens sich nur in dämmernden Andeutungen ergehen. England, so groß durch seine dem einzelnen gestattete politische Freiheit, hat darum auch nie aufgehört, selbst beim unleugbar dort herrschenden Verfall der dramatischen Kunst Stücke zu zeitigen, die eine feine Charakteristik, eine tiefe Menschenkenntnis verraten.
Will man Börnes politische Ideen darstellen, so muß man sie von der praktischen und theoretischen Seite auffassen. Jene sind die sichtbaren blauen Adern, die sich auf der schönen Haut seiner Schriften schlängeln, diese die tiefer liegenden Muskeln. Um jene zu schildern, muß man das Gemälde der politischen Lage Deutschlands aufrollen und die Geschichte erzählen, wie sie seit dreißig Jahren, von Napoleons Invasion bis zu der Ohnmacht der deutschen Ständekammern geworden. Börne ergriff als Publizist die Feder kurz nach dem Sturze Napoleons; die Abneigung gegen Napoleon, den Testamentsverfälscher der Revolution, verließ ihn niemals. War Börne nicht edel? Das Ende der französischen Herrschaft in Deutschland nahm ihm eine achtbare Stellung, die er auf der Frankfurter Polizei bekleidete, und doch erfüllt ihn der Gedanke an die Schmach des Vaterlandes stets nur mit Grauen.
Er hat nie die Vorstellung jenes Napoleon verlieren können, der die Revolution nur deshalb bändigte, um sie zu seinem Pudel abzurichten; jenes Napoleon, der alle Traditionen derselben abschwor, nur um seine erzwungene Herrschaft mit der Legitimität, der kirchlichen und weltlichen, auszusöhnen. Er haßte die Verwaltungsgrundsätze Napoleons, seinen Verrat an der einzigen Frucht, die am Baume der Revolution zur vollendeten Reife gekommen war, der konstitutionellen Freiheit, er haßte seine Kriege, weil sie die leichtsinnige Vergeßlichkeit der Franzosen schüren und ihre Gedanken von dem ablenken sollten, was ihnen Napoleon genommen hatte. Den Hoffnungen, die der Sturz des Korsen nährte, entzog sich Börne nicht. Er war wirklich keiner von den Klugen, die nur deshalb, weil sie des Enthusiasmus nicht fähig sind, schon damals gesagt haben wollen: ich sah das alles voraus. Aber um so bittrer mußte Börnes Enttäuschung sein. Die feierliche Ankündigung der heiligen Allianz, der das einzig freie Volk Europas, England, nicht beitrat, weckte seine Besorgnis; die Verhandlungen des Wiener Kongresses bestätigten sie. Die alte Zerstümmelung des Vaterlands blieb, aber noch konnte man hoffen, der Bundestag würde mehr als eine bloß diplomatische Repräsentation werden. Männer, die für Patrioten galten, bildeten damals noch einen Teil dieses Areopags; aber bald wurde er, wie die großen Mächte sagten, epuriert. Jene Reaktion, deren aristokratischen, hierarchisch-jesuitischen, absolutistischen Zwecke von einer bestens organisierten Polizei schnell ins Werk gesetzt wurden, trat auf den Kongressen in Aachen, Karlsbad, Verona immer unverhohlener hervor, die freisinnigen Staatsmänner, welche mit dem Volke glaubten, die letzten Kriege sollten uns nicht bloß von den Franzosen, sondern auch von jenen politischen Übeln befreit haben, die jene so leicht zu Siegern über uns gemacht hatten, wurden genötigt, ihren Abschied zu nehmen und traten zum Teil sogar in die Reihen der Oppositionen ein, die sich bei den in aller Eile gegebenen Verfassungen von selbst bilden mußten. Einzelne befangene, irrende oder bestochene Köpfe mißbrauchten ihr größres oder geringeres Talent, um gleichsam a priori solche politische Theorien aufzustellen, die doch nur erfunden waren, um die Ansprüche der Aristokratie scheinbar rechtlich zu begründen; selbst die Religion, die christliche Religion, die Religion der Freiheit, wurde gebraucht, um die Untertänigkeit des Volkes zu lehren. Freisinnige Lehrer der Jugend wurden verdächtigt. Viele ihrer Stellen entsetzt, manche eingekerkert. Die Reaktion lockte natürlich etwas von einer Revolution hervor. Da man die Freiheit und die Nationaleinheit in der Idee, die das deutsche Volk damit verband, bedroht sah, bildeten sich, sie zu schützen, geheime Vereine. Sie wurden entdeckt und die Gefängnisse füllten sich mit jungen Männern, deren Schicksal doch nicht hindern konnte, daß andre immer das wieder aufnahmen, was die Vorhergegangenen verloren gegeben hatten. Um das Volk zu verwirren, wirkte man auf die schlechten Leidenschaften der Masse, auf den Zunftgeist, den Religionshaß; man ließ die Juden die Heloten der Neuerungsluft werden, wenigstens behaupteten die Juden, daß sie in den freien Städten bei den Behörden einen für ihre bedrängte Lage unverhältnismäßig lauen Schutz fanden. Es kam den Intriganten damals alles darauf an, daß die Begriffe von Freiheit und bürgerlichen Rechten dem Volke selbst verdächtig würden. Börne faßte auch in der Waage diese Verfolgungen der Juden vortrefflich auf. Nicht wie andre wandte er sich mit bittern Vorwürfen an die Christen, nicht wies er satirisch, wie das leider nur zu sehr bei den Emanzipationsschriftstellern Sitte ist, auf die »Religion der Liebe« hin; sondern er bemitleidete die Masse, die nur einem falschen Wahne, auf fremde Verführung, folgte. Er verglich noch später diese Judenverfolgungen mit der indischen Schlangenjagd. Um die Schlange zu erlegen, jage man ihr einen Ochsen in den Rachen; sie fresse sich satt und läge dann unbehülflich da, jedes Kind könne sie töten. Börne kannte den Charakter der Deutschen. Eine Heldentat, die niemanden von den Angreifenden etwas kostete, nicht einmal Blut, viel weniger Geld, hält lange im Bewußtsein der Deutschen vor: sie sprechen hundert Jahre davon und wissen sich mit ihr für tausend Niederlagen zu trösten.
Man kann über die Kunst in Börnes Schriften nicht sprechen, ohne den Anteil zu bestimmen, den daran Jean Paul hat. Börne war nicht bloß der Gesinnung und der gemütlichen Weltauffassung dieses Dichters aufs innigste zugetan, sondern auch den Wendungen und dem Stile desselben. Die erste Sympathie hat er durch seine Denkrede auf Jean Paul gefeiert, die zweite durch alle seine Schriften. Ihm behagte an Jean Paul dessen kindliche Unschuld, dessen edle unverkünstelte Natureinfachheit, sein warmes schwärmerisches Herz, das uns den Adel der Jugend in weit herrlicheren Idealen noch, als Schiller gemalt hat, seine eigentümliche Auffassung der Frauen von einer durchaus gemütlichen Seite, wo uns die Frauen als gute Wirtschafterinnen und Engel zu gleicher Zeit erscheinen; ihn fesselte Jean Pauls Ironie, wenn er Fürsten und die vornehme Welt zu schildern hatte, seine Satire auf Deutschlands politische Zustände, sein Freimut über die Religion und doch dabei seine innige Liebe zu allem Tiefen, endlich seine Scheu vor dem Geheimnisvollen. Mit dem Kindlichen und Erhabenen in Jean Paul zog auch die Lust an seiner Ausdrucksweise bei ihm ein. Die Fülle der Bilder beschäftigt unsre Phantasie, ihre Beziehung auf das, was sie erklären sollen, unsern Verstand. So sind wir bei Jean Paul immer in einer doppelten Geistestätigkeit, indem wir teils die uns gemachten Mitteilungen in uns aufnehmen, teils aber auch an der Art, wie sie der Dichter uns recht vergegenwärtigen will, mitschaffen und unser eignes, kleines Schöpfungsvermögen anstrengen müssen. Indessen hat Börne etwas voraus. Er vermied die Fehler seines Lehrers. Ob ihm dies der Geschmack eingab, oder ob ihm der übergroße Reichtum an Phantasie, in dem grade Jean Pauls Fehler liegt, mangelte, oder ob ihn seine entschlossene Gesinnung zwang, immer den Leser en face anzusehen und sein Visier, nicht einmal mit Blumen, zu verhängen: er vermied dasjenige, was die Art Jean Pauls nur zu sehr zur Manier gemacht hat.
Börne hat zunächst nichts von dem Stile Jean Pauls angenommen, als was dessen großes und befruchtendes Prinzip für die ganze neuere Literaturrichtung ist, die Unmittelbarkeit und die Subjektivität. Der Stil, in welchem Goethe schrieb, war nicht Goethe selbst. Man lese die frühsten Briefe Goethes, z. B. die an die Gräfin Stolberg, welche kürzlich erschienen sind, und man wird erstaunen über die Unregelmäßigkeit seiner Schreibart. Eine Partie ganz unmittelbar, wie ihm der Stil aus der Seele quillt – und plötzlich eine angeeignete Periode, eine schriftstellerische Passage, die ihm zwar auch innerlichst gehörte, aber doch mit Rücksicht auf den Leser gebildet war. In späteren Jahren steigerte sich bei Goethe dieser Zwiespalt so sehr, daß seine Wahlverwandtschaften und spätem prosaischen Leistungen in einem eignen Kunststile geschrieben sind, der immer in einer gewissen Distanz von dem unmittelbaren Entströmen des Gedankens aus dem Herzen entfernt lag. Diese Weise kannte Börne nicht. Seine Briefe an die vertrautesten Freunde sind alle in derselben Manier, in der er drucken ließ, abgefaßt, kurze Sätze, treffende Bilder, naive Wendungen, sicher und fest sich in der kleinen originellen Handschrift ausprägend. Börne war demnach ein ursprünglicher Künstler im Stile. Sein Gedanke formte sich von selbst, er kam gleich in seiner angemessenen Tracht auf die Welt; Börne konnte nicht anders denken, als wir ihn in seinen Schriften gewöhnt sind, sprechen zu hören. Was er nun dabei von Jean Paul hat, ist außer mancher naiven Redewendung die Vorliebe für Bilder und Allegorien. Da er sich aber nicht scheute, auch ohne Bild zu sprechen, so hat er vor Jean Paul, der nichts ohne Bild ausdrücken konnte, den Vorzug, daß jedes seiner Bilder zutreffend ist. Er zwang nie, wie Jean Paul öfters getan zu haben scheint, einem fertigen Bilde einen noch nicht fertigen Gedanken auf, sondern hatte erst den Gedanken und brauchte dann das Bild nur, um ihn deutlicher auszudrücken oder ihn zu verschönern. Bei Börne erhob sich der Jean Paulismus zu einer durchsichtigen, klaren und ebenmäßigen Methode. Da drängt sich keine Wendung ungebührlich vor, da duften nicht ganze Wälder von Blumen betäubend auf uns ein, wo ein einfaches Veilchen oder gar nur ein grünes Blatt als Folie genug war. Börne besaß in seiner frühern Bildung ein Gegenmittel gegen die zu üppige Manier Jean Pauls. Es war dies von Voltaire und Johannes von Müller her seine Neigung zur Aphorisme, zur Sentenz, zur Antithese. Börne hatte sogar großes Talent zum Französischschreiben; nur jener rhetorische Abandon, der das eigentliche Geheimnis des französischen Stils ist, mochte ihm fehlen; das Talent der Antithese besaß er im höchsten Grade.
Börnes Leben habe ich später selbst beschrieben. Es war mir eigen mit ihm gegangen. Schon als Primaner abonnierte ich mich auf die erste, höchst elegant gedruckte Ausgabe seiner »Gesammelten Schriften«. Ich schwelgte in seiner Denkrede auf Jean Paul, seinen witzigen kleinen Humoresken, »der Narr im Weißen Schwan«, »die Postschnecke« und den übrigen Kabinettsstücken einer wohl in den Stoffen, nicht in der Form veralteten Satire. Da erfuhr ich, daß Börne ein Jude sei und eigentlich Baruch heiße. Man wagt heutigen Tages viel, wenn ich gestehe, daß ich über diese Entdeckung unglücklich war. Heute macht man leichter die Revolutionen der Bildung durch. Die Juden nahmen vor einem halben Jahrhundert nur noch vereinzelt am Kulturkampf der Deutschen teil. Erscheinungen wie des Theologen Neander, der Juristen Hitzig und Gans, des Musikers Mendelssohn standen so vereinzelt, daß sich jene Selbstverständlichkeit des Gleichmuts, ob jemand einer Frage der Zeit, der Aufklärung, des Staates, der Kirche gegenüber Christ oder Jude sei, erst durch die Unausweichlichkeit der vollendeten Tatsache gebildet hat. »Christlich-germanischen« Judenhaß brachte schon die Burschenschaft mit sich. Auf der Schule hatte ich Juden als Verräter und Angeber kennengelernt. Ein buckliges Ungetüm aus Polen, rachsüchtig wie Shylock, wurde von allen gefürchtet. Erst dem Studenten traten liebenswertere gemütvolle Juden entgegen, der wunderlichste darunter ein Königsberger, durch und durch selbst christlich-germanisch, jener Joel Jacoby, der sich später katholisch taufen ließ, Maria Joseph Jacoby. Im Geist des Jarcke-Philipps'schen »Politischen Wochenblatts« schrieb er dies und das und wurde zuletzt von Manteuffels Preßmandarinen zum Kanzleirat und Zeitungslektor beim Berliner Polizeipräsidium ernannt. Immer mehr ergab ich mich dem Bedächtigerwerden im Kundgeben ungeprüfter Instinkte und Vorurteile. Die Dressur meiner christlich-germanischen Gefühle ging sogar bis zum aufrichtigen Mitempfinden des als literarische Mode zehn Jahre später aufgekommenen sogenannten »Judenschmerzes«, der »Ahasverustrauer«, wo ich für diese sentimental gewordene Humanitätsfrage redlich das Meinige getan und für die Sache der Emanzipation mit Wärme gestritten habe.