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Der Roman des Nebeneinander

Die Weltgeschichte als Nebeneinander

Ich trage mich mit dem Vorhaben, die ganze Weltgeschichte von Adam und Eva bis auf mich und Dich in einer neuen Weise zu bearbeiten. Man erzählt mir zu viel in der Geschichte, man schildert nicht. Man verwechselt das Bequeme in der Methode mit dem Passenden. Ich sage, die Gleichzeitigkeit, das Nebeneinander muß das Hauptziel der Darstellung bleiben. Die Geschichte ist kein Drama, sondern ein Epos. Der Historiker muß seine Personen zu lebenden Bildern ordnen. Darum stehst Du mit dem einen Beine in London, mit dem andern in Paris, weil – ich glaub' an das Typische – weil die Synchronistik eingeführt werden muß. In jedem Wort, in jeder Tat die anno 1000 vorkam, muß alles enthalten sein, was zur selben Zeit geschah. Du lachst, wie ich heute auf einen so argen Dozententon komme, aber vor Grimm gegen norddeutsche Ansichten könnt' ich zum Professor werden. Da unterscheiden sie nämlich einen Weltgeist, der eigentlich niemand anders ist, als der liebe Herrgott selbst. Der wandert von Asien her, ist eine ewige Metamorphose, schlägt alle hundert Meilen und hundert Jahre seine Bude auf, wo er sich sehen und von seinen Propheten, Moses, Zoroaster, Christus sich ausrufen läßt. Das nenn' ich Blasphemie und selbst dann noch so, wenn man den Weltgeist mit dem Geiste im Hamlet vergleicht, der wie ein Maulwurf bald hier bald da unterm Boden wühlt und ruft. Mein Gott, ich muß mich ja dawider erklären; denn Du als die letzte Erscheinung dieses Weltgeistes bist nun eben überall.

Karl Eduard Vehse

Rezension der Tafeln der Geschichte. Von Eduard Karl Vehse.

1.-8. Lieferung. Dresden, Grimmer, 1834-1835.

Heute sagt man nicht mehr, die Geschichte ist die Zusammenstellung von Begebenheiten, sondern sie ist das Spiegelbild des Lebens. Das Leben chemisch zu zergliedern ist schwer, aber es sondert sich in verschiedenartig kolorierte Momente, welche von der Existenz und der Materie sich stufenweis' erheben bis zum Geiste und seinen höchsten und freisten Tätigkeiten. Leben ist der Komplex vom Leiden und Tun des Alls, Leben ist der Atem der Menschheit, das Wort selbst, es ist alles, was man nur denken, empfinden, glauben, alles, was man selbst nur sein kann. Und so gehört jetzt alles, was nur Leben atmet, zur Geschichte: die Emanzipationsfrage der Humanität, die Religion, die Kultur, die erleichterte oder erschwerte Existenz, alles wird zur politischen Debatte erhoben. Wer würde jetzt noch zu behaupten wagen, daß die Genealogie der Fürsten, die römischen Zahlen, welche an ihren Namen hängen, für den Historiker mehr seien, als bloße Erleichterungen der Übersicht? Wollte man bloß Religionsgeschichte schreiben, so würde man nicht nur in die Kategorie des Chronisten fallen, sondern auch unvollständig sein; denn was läuft nicht alles neben den politischen Ereignissen nebenher, das mit zum Leben gehört! Wie hängen die politischen Ereignisse selbst zusammen mit Erscheinungen, die nicht zu verschweigen sind! Daraus sieht man, wie hoch sich jetzt des Geschichtsschreibers Aufgabe stellt. Es war Zeit, daß die Blüte der rhetorischen Darstellung wieder zu Ehren kommt: denn man hatte es sich gar zu leicht gemacht: und am leichtesten oft die, welche die stolzesten sind, nämlich die sogenannten Quellenforscher.

Das Gerüst zu einer neuen Geschichtschreibung liefert dies ausgezeichnete Werk, eine Frucht des gründlichen Fleißes. Es belauscht das ganze Treiben der Völker, nicht bloß ihre bürgerlichen Umwälzungen, sondern das ganze Atmen des Lebens, wie es sich ahnen läßt aus allen Denkmälern, welche die Sprache und die Kunst der Nachwelt hinterlassen haben. Zweiundzwanzig verschiedene Lebensrichtungen laufen tabellarisch neben den politischen Ereignissen her, und fordern durch Farbe und Druck die Vergleichung der gleichzeitigen Momente heraus. Nun erst wird manche dunkle Tatsache von einem Lichte erhellt, welches Grund und Ursache in ganz fremden Lebensgebieten zeigt. Die Geschichte hat keine Postulate, keine Randverweisungen mehr; sondern eins ist neben dem andern unerläßlich und das Ganze baut sich wunderbar architektonisch zu einem gefugten und vollkommnen Systeme zusammen. Kein chinesischer Bau ist es, der sich monoton aus Zahlen und Daten ins Unendliche fortsetzt, sondern jedes Stockwerk hat seinen eignen Charakter und Stil, welcher immer eine besondere politische oder Kulturtendenz ist. In diesem Herausstellen des Überwiegenden, der Tendenzströmungen, der historischen Penchants ist Vehse besonders glücklich gewesen. Dies ist der besonderste Vorzug eines Werkes, auf welches wir zurückkommen werden, wenn der Schlußstein des Ganzen erschienen ist.


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