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Hätt' er was gelernt, braucht' er nicht zu schreiben Bücher.
Salomon Heine.
Schon seit langer Zeit vernahm man, daß sich Heinrich Heine, unsre nach Paris verflogene Nachtigall, damit beschäftige, deutsche Mehlwürmer aus dem Gebiete der Theologie und Weltweisheit zu verspeisen. Wie er es tut, sieht man an diesem Buche, welches für Deutschland viel Erinnerung, für Frankreich viel Belehrung enthält. Die hier mitgeteilten Urteile über deutsche wissenschaftliche Zustände standen zum großen Teile schon in französischen Blättern abgedruckt. Aus der widerspenstigen Sprache des Auslandes, aus den Umgebungen der brillanten Revueliteratur Frankreichs, aus schönstem satinierten Palmen-Velin sind sie nun übersetzt worden in gutes deutsches Druckpapier, in ehrliches Altenburgisches Bourgeois. Heine fühlt, daß freilich in Paris alles glänzender und parfümiertet erschien; doch weht ihm süß die Heimat zu, der deutsche Vogel singt doch anders, als der französische, für ihn wenigstens, er mag sich in französische Anschauungen filtrieren so viel als er weniger will als muß; es ist sein gutes liebes packleinenes Deutschland mit allen seinen Blättern für literarische Unterhaltung, mit seinem halben Liberalismus, mit seiner Ängstlichkeit in Religionssachen, mit seinen Lindenbäumen, Schlafmützen und Tabakspfeifen, mit allem, wie es Heine braucht. Denn Heine ist eine ganz deutsche, mittelalterliche Figur, ein Herz voll Schweizersehnsucht, das sich oft Abseiten stellen muß, um eine Träne aus dem Auge zu drücken. Er spielt in Paris eine schiffbrüchige Rolle, um so mehr, als ihm sein Versuch, französischer Schriftsteller zu werden, mißglückt ist.
H. Heine hat in der Tat daran gedacht, sich neben Voltaire, Racine und Rabelais stellen zu wollen. Er spekulierte auf französische Lorbeern, auf einen Ruhm, der, wenn man ihn einmal hat, nicht täglich wieder angetastet wird, wie in Deutschland; Heine spekulierte auf die Akademie und das Pantheon. Aber diese ganze durch Dragomane vermittelte Unterhandlung mißlang; denn Heine besaß den schönen Stolz, sich Frankreich gegenüber nicht zu verleugnen, sondern er trat in seiner ganzen Deutschheit, mit seinem Mondschein, seiner Blässe, seiner Melancholie und dem Hasse, der alle deutschen Schriftsteller dieser Zeit charakterisiert, in die Salons der jungen französischen Literatur; aber es mögen kommen St. Beuve, Chasles, A. Pichot, die ganze französische Kritik mit ihren Feuilletons: sie werden nie begreifen können, was es heißt, wenn Heine lächelt. Dieses deutsche Heinische Lächeln, diese Mischung von Nachtigallengesang, Harziger Waldluft, von versteckter Satire auf ganz versteckte Menschen, diese Mischung von Skandal, von Sentimentalität und Weltgeschichte: wer verstünde das in Frankreich? Wer kennt dort das Hotel de Brühbach in Göttingen, die Hamburgische Gasbeleuchtung, den Berliner Jungfernkranz, den Professor Krug, die Münchner Riegelhäubchen, die deutsche Kritik, die Judengassen, alles, was man wissen muß, um Heine zu verstehen; denn er ist ganz deutsch, ein Mann von heute, wenigstens mehr Mann der Vergangenheit, als der Zukunft. Auch haben ihn die Franzosen gänzlich mißverstanden, und niemand mehr, als der ihm von allen am verwandtesten ist, Jules Janin. Dieses journalistische Genie beurteilte seine Reisebilder, und es kam drauf an, was er über sie sagen würde. Es handelte sich um Heines französisches Bürgerrecht, um eine Meisterschaft, die der deutschen Muttersprache hätte entrissen werden können; aber der heimatliche Genius verwirrte den schwatzhaften J. Janin, Frankreichs klassischsten Pastetenbäcker. Heine wurde von ihm total mißverstanden. Denn nachdem er alles gelobt hatte, die Phantasien von Neuberghausen, Franscheska mit ihren zweifarbigen Pantoffeln, Gumpelino und die schönen Naturbeschreibungen und die kleinen vorübergehenden Romane, und von nichts gesprochen hatte, als von Swift, und wieder von Swift, bleibt ihm plötzlich sein Lob im Munde stecken, wo er auf Heines Satire kommt. »Wozu« fragt der fremde Feuilletonist –, »wozu aber unter allen diesen Rosen der satirische Stachel, oder gar die Pechfackel der Revolution? Wozu bei so vieler Grazie so viel Gift? Wozu der Ärger über deutsche Perücken? Wozu diese ganze Misère der Politik unter all den sylphenhaften Scherzen, der Moniteur unter Veilchen und Liebe?« Dies ist der Tadel des Franzosen! Dies alles wundert ihn! O Jules Janin, du momentaner Mensch, du hast Deutschland nicht begriffen, du warst nie auf der Göttinger Bibliothek, du kennst uns nicht, und Heinen nicht, und die Reisebilder nicht. Du hast mehr getan, als ein Russe; du hast sogar einen Exilierten mißhandelt!
Wenn nun Heine noch zuweilen für die Franzosen schreibt, so tut er es, wie es Prediger gibt, welche vor Puppenköpfen ihre Reden einstudieren. Er fingiert sich ein fremdes Publikum, das ihn nicht versteht. Alles, was er in den französischen Wind spricht, ist immer auf uns berechnet, denen er den Rücken zukehrt. Er weiß doch, daß hier in Deutschland die Ohren sich spitzen, und spricht deshalb laut und vernehmlich, damit alles jenseits des Rheines hübsch sein Echo finde. Und so kann man diese Urteile Heines über unsre Bekanntschaft mit Gott, Natur, Welt, wie sie früher und jetzt wieder ausgeboten wurden, eine Sammlung von Anzüglichkeiten nennen. Es ist alles für diesseits berechnet. Die Franzosen haben genug mit den Doktrinären, dem hochverräterisch-architektonischen Prozesse, genug mit einem Menschen, der sterben will, mit Talleyrand, und genug mit einem Menschen, der nicht leben kann, mit Sebastiani, zu tun. Sie haben für Heine keine Zeit übrig.
Nun so komme er denn zu uns zurück! Heine ist uns, wie ein Bruder, der auf die Wanderschaft gezogen ist, und nun er heimkehrt, umringen ihn die jüngern Geschwister, die erfreuten Alten und die Nachbarn, und alle vergleichen scharfsinnig, wie er war und inzwischen geworden ist. Jedes freut sich, eine alte Ähnlichkeit zu entdecken, und ruft entzückt aus: »Seht, die Gewohnheit hat er doch noch immer!« Uns so finden alle etwas, woran sie sich halten, und was ihnen Mut gibt, ihn zu küssen, obschon er so vieles angenommen hat, was bloß ihr Erstaunen rege macht. Der junge Gewanderte schreitet stolz im Dorfe einher und spricht mit vornehmem Ausdruck, und läßt eine lange tombakne Uhrkette am Leibe baumeln, und grüßt sehr herablassend und lächelt nur etwas fein, wenn er den Baum erblickt, von dem er einst Äpfel stahl. Und wann ihm Mädchen begegnen, seine Gespielinnen, die er früher küßte, so lacht er höchst unterrichtet, höchst eingeweiht, höchst genossen. Und diese ganze Komödie dauert acht Tage, oder doch nicht länger, als man braucht, um 284 Seiten des splendidesten Druckes über deutsche Philosophie und Theologie zu schreiben. Späterhin übermannen ihn die Erinnerungen; er wirft das steife Fischbein vom Halse und umwindet sich mit einem roten geblümten Tuche der Freude, läßt bunte Bänder an seinem Hute flattern, und ist froh, im Walde die alten Plätze wiederzufinden, wo er einst saß, lyrische Querl schnitt aus Lerchenholz, und den Gesang des Buchfinken nachahmte auf einem Holunderblatt.
Heine spricht in diesem Buche viel über Christentum, Nixenglauben, über den Papst, Luther, Leibniz, Spinoza, Rothschild, Kant, Fichte, Hegel, über Sein und Nichtsein, kurz über Illusionen und Irrtümer, von welchen man eine gute Meinung behält, je weniger man davon weiß. Heine weiß in der Tat recht viel darüber; hält aber auch desto weniger davon. Seine Unbefangenheit und sein Spott nagt an den Kanzeln und Kathedern. An sogenannte heilige Gegenstände macht er mainächtliche Hexenkreuze. Alten bepuderten Autoritäten bohrt er Esel, kurz der ganzen Historie deutscher Theologie und Philosophie wird von ihm so aufgespielt, daß die langen Schleppkleider sich zu drehen anfangen, und die schweren Männer der Wissenschaft im Menuette tanzen, und sich das hintere Ende der Perücke nach vorne setzen, die dreieckten Hüte aber auf ein Ohr – kurz, es ist eine drollige, faschingsartige Fantasmagorie, welche hier aufgeführt wird. Heine hatte mit der Historie dieser Dinge zu viel zu tun, und ließ deshalb noch manche Gelegenheit zum Scherz vorübergehen, eine humoristische Entwicklung der Leibnitzschen Monaden, eine Charakteristik des Kantischen Dings an sich, Fichtesche Konsequenzen, und die Hegelschen Purzelbäume der Negation. Seien diese Stoffe verwandten Geistern empfohlen; aber ach! wir haben deren nicht viel.
Im allgemeinen kann ich mich nicht mit dem Ernste über Salon II. aussprechen, welchen Heine wenigstens von der jungen Literatur dabei zu erwarten scheint. Heine hatte immer das Verdienst eines Tirailleurs, der plänkelnd im Vordertreffen steht und nur sich, keinesweges eine gewonnene oder verlorene Schlacht einsetzt. Heine arbeitete scherzend der Julirevolution vor: er arbeitet jetzt im Scherz dem großen Ernste vor, welcher sich mit der Revision der Offenbarung, und mit allen sozialen Fragen des Jahrhunderts beschäftigen wird. Für den Kampf selbst im großen ist Heine nicht geeignet. Er ist dazu nicht massiv und systematisch genug. Sollte man es glauben! Heine hat Vorurteile. Es gibt gewisse Dinge, für welche Heine, wenn auch nicht sterben, doch den Schnupfen haben könnte. Heine will die Hüter unsrer morschen Institutionen nur ärgern. Es macht ihm Spaß, die Geheimnisse fremder Überzeugungen zu profanieren; doch tut ihm wieder leid, was er tut. Er spricht in diesem Buche viel von der Kirche; aber er will nur Angst einjagen, er will nur den Triumph genießen, in einer christlichen Gemeinde die Lorgnette gebrauchen zu dürfen. Einen Hund in den Gottesdienst mit hineinzunehmen, würde er schon nicht wagen; noch weniger aber, einen neuen Glauben zu predigen. Denn müßte dieser nicht positiv sein? Das ist es, Heine hat Furcht vor dem, was noch nicht ist. Wie ihm das Beil der Republik Schrecken einflößt, so seine Religion, welche am Ende neue symbolische Bücher erfindet, die möglicherweise in einem nicht so guten Stil geschrieben sein könnten, als die Bibel. Heine befindet sich bei unsern Zuständen, wie sie sind, ganz wohl. Er will nur hinter dem Spiegel stecken, als Schreck, als Drohung, mit der Gebärde dessen, wie er sein könnte, wenn er wollte. Stil und Witz gedeihen bei dieser Indifferenz vortrefflich. Heine kann ohne Deutschland nicht fertig werden; er sehnt sich zurück nach unsern Dienstags- und Donnerstagsgerichten, nach unsrer dummen, aber feurigen Liebe, nach den Alsterpavillons und dem Bergedorfer Boten, und dieser Schmerz steht ihm schön. Dies ist ein Motiv, das sich bei einem so reichen Genius, wie Heine, zu Dantescher Erhabenheit steigern kann. Es wäre ein ganz neues Kolorit seiner Poesie, die Sehnsucht nach Deutschland quand mème! und müßte eine Konsequenz werden dieses wunderbaren Menschen, die ihn den deutschen Herzen immer noch näher brächte.
Börne hat Heine im Feuilleton des Reformateur bei mehr, als der bloßen Partei angeklagt. Er appellierte an alle diejenigen, welche sich ein Urteil zutrauen, und hat deshalb in der Verdammung Heines einen auffallenden Anklang gefunden, selbst bei denen, welche Börne sonst gar keines Grußes würdigt. Das Resultat ist jedenfalls ein solches, was Börne nur zufällig zugunsten kommt; wir müssen das Gleichgewicht wieder herstellen und den Ankläger innerhalb seiner Partei zurückdrängen. Ich kann nicht dafür, wenn dies Verfahren wie eine Rechtfertigung Heines aussehen wird. Mich dauert des armen Kindes, wie man ihm seine Blumenkränze zerreißt und an seine liebenswürdige Torheit mit so massiven Zurechnungen geht.
O glaubt mir, beide leidet ihr an derselben Krankheit! Beide macht euch die Geliebte eures Herzens wahnwitzig! Beide schmachten nach der Freiheit; aber Börne wird aus Sehnsucht ein Verzweifelter, Heine aus Sehnsucht ein Übermütiger. Börne rettet das übrige, während er eines aufgeben muß: Heine wirft alles hin, er krankt an demselben Schmerze. Börne hält sich an Gott und gibt die Menschen auf. Heine klammert sich an die Menschen und scheidet sich von Gott. Börne will die moralische und religiöse Weltordnung kultivieren, bis wir in bessern sozialen Verhältnissen sind. Heine will alles preisgeben, ehe wir nicht am politischen Ziele sind. Wer hat recht? Törichte Frage! Fragen soll man nur: wer ist mäßiger? Auch das nicht: Wer ist mutiger? Noch weniger dies: Wer ist unglücklicher? Sie sind es beide in gleichem Grade; nur darin unterscheiden sie sich, daß der eine seiner Sache nützlicher ist, als der andre.
Börne, dem der deutsche Adler an der Leber frißt, ist kein Prometheus: Heine ist es; denn Heine flucht den Göttern, wie Prometheus. Börne glaubt früher zu seinem Ziele kommen zu können, wie Heine; denn Börne läßt der Welt, was sie hat, nur will er ihren politischen Zustand verändern. Heine will ihr noch den Glauben nehmen. Das ist der Unterschied: Börne hat nur einen, Heine hat sie alle gegen sich.
Börne leidet an einer Einseitigkeit; Heine an einer Ungerechtigkeit. Börne glaubt, die einzige Frage der Zeit wäre die der Könige. Heine rächt sich an den Gärten, Besitzungen, an dem ehrlichen Namen des Mannes, der ihm seine Tochter nicht geben will. Wenn Börne an seinem Ziele wäre, so würde er die Sitten und sozialen Meinungen angreifen. Wenn Heine es wäre, so würde er gegen Börnes Frivolität schreiben und eingestehen, daß er früher die Erde und den Himmel nur verwüstet habe, um gleichsam zu sagen: Wenn ihr uns das eine vorenthaltet, nun, so werde euch auch das andere benommen!
Börne klagt Heine der Frivolität an; aber ist es nicht der größte Leichtsinn, das Jahrhundert auf nichts zu reduzieren, als die konstitutionelle Frage? Indem Börne die theologischen Debatten in die Vergangenheit verweist und von den Angriffen auf das Christentum wie von einer antiquierten und verbrauchten Maxime spricht, schneidet er für unsre Zeit die Spekulation ab. Indem er geringschätzig redet von den Bestrebungen, über die Schönheit, neue Bestimmungen festzusetzen, tötet er die Keime künstlerischer Ausbildung, mit deren Blüte die nächste Zukunft unsres Vaterlandes bedacht zu sein scheint. Wir können nicht glauben, daß Börne eines solchen Despotismus fähig wäre, und die Zeit so wenig übersähe. Eine solche Vollendung, wie die seinige, eine Vergangenheit, die so abgerundet vor uns steht, wie die Autorschaft Börnes, braucht freilich die Gegenwart nicht. Aber die deutsche Jugend, welche die Feder führt, wird sich hüten, eine Einseitigkeit der Grundsätze zu verfolgen, welche die Tendenz des Jahrhunderts ebensosehr wie die Literatur zu vernichten droht. Sie auf nichts anweisen, als jene isolierte politische Tätigkeit, d. h. auf die Bretter, welche zu einem Sarg hinreichend sind, ist eine Grausamkeit, die die Jugend hochherzig genug wäre, wahr zu machen, die aber niemanden nützen würde, am wenigsten dem Vaterland. Je notwendiger es scheint, sich mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden, desto eher solltet ihr darauf bedacht sein, uns in den Studien zu unterstützen, welche der Zukunft gewidmet sind!
Wir haben es immer ausgesprochen, daß Heines ganz unentwickelte Charakterbildung, vor allen Dingen aber die große Leere, welche selbst in genialen Köpfen entsteht, wenn sie in einer so vollen, konkreten und überhäuften Zeit nichts tun, als von ihrem ursprünglichen subjektiven Kapitale leben, diesen Autor zum Kampfe der Zeit im großen, tragischen Stile ganz ungeschickt macht. Möge jedes Wort, was Börne in dieser Rücksicht gesagt hat, auf ein gutes Feld fallen und in Heine nicht Groll, sondern Entschlüsse hervorrufen! Im übrigen aber müssen wir uns entschieden gegen Börnes Prinzipien, so weit sie in jenen Aufsätzen zum Vorschein kommen, erklären, wie gegen alle Insinuationen, die von der rein bürgerlichen Auffassung der Ereignisse herkommen oder mit einer Meinungsschattierung des Tiersparti, sei es, welche es wolle, irgend im Zusammenhange stehen.
Die Diktion Heines ist der Kulminationspunkt der modernen Schreibart, sie hat alle Vorzüge und alle Fehler derselben. Ihr größter Fehler ist wohl einer für den sie selbst nicht kann, nämlich der, daß sie sich nachahmen läßt. Diese feine musivische Komposition, diese drei-, viermal überbürstete Einkleidung lächelnder Gedanken, diese, sogar im Erhabenen noch immer beobachtete Beobachtung ihrer selbst, könnte Methode werden, da sie ordentlich ihre Regeln hat. Alles heinisiert, alles mischt den Scherz in den Ernst, setzt die konkreten Bilder für abstrakte Begriffe, gibt den Teil für das Ganze, und hat für das Erhabene eine eigentümliche Verbindung der Sätze, die in einem gewissen Fortspinnen der Perioden durch träumerisch-gedankenlose Verbindungspartikel besteht. Jeder, der heute schön schreiben will, muß einen Teil von Heine borgen, doch gibt es mancherlei Erlösungen von dem Extreme dieser Diktion; sie sollte bei Laube in der Naivität liegen. Ich fürchte, daß seine Versuche im Goetheschen Stile kein rechtes Gegenmittel sind.
Man kann von Heine nie etwas Entschiedenes behaupten; denn seine poetische Natur wird sich und andere immer Lügen strafen. Heine mag schreiben, was er will, so muß es schön sein. Soll er nun die Kritik am Gängelbande leiten und achtbare Männer und Männer, die, wie Wienbarg, für sich selbst stehen, verführen, Inkonsequenzen zu begehen? Man soll Heine nie ohne Kautelen loben und seinen Eifer immer im Schach zu halten suchen. Anders ist es mit dem Autor, welchem Wienbarg in dem letzten Artikel so liebe und freundliche Worte sagt. Der wird nie üppig werden und aufhören, an sich zu feilen und zu raspeln. Der wird nie sein hohes Ziel aus den Augen verlieren: nämlich der Menschheit ein Schauspiel zu geben, das sie tröstet, erhebt und ihrem Auge eine grüne, lachende Weide ist. Ihm kann man schon etwas Ermunterndes sagen; denn er wird immer glauben, es geschähe nur, um ihn auf seine Fehler aufmerksam zu machen. Ich bin dies selbst. –
Heine ist (seinem Denunzianten zufolge) auf den Punkt gekommen, wo ihn sich sein Oheim dachte, als er, wenn es wahr ist, sagte: Hättest Du was gelernt, brauchtest Du keine Bücher zu schreiben! Hätte sich Heine mit dem »schwarzen Ungehängten« (Siehe seine Reisebilder Th. I.) assoziiert und lieber in Kaffee, Tran und Indigo gemacht, als in Mondschein, Pariser Zuständen und politischen Eulenspiegeleien; so würde ihn zwar auch die nordamerikanische Krisis haben werfen können; allein er hätte doch in Güte sich mit den Kreditoren abfinden, vom schwarzen Brett der Failliten sich wieder auslöschen und mit der Zeit an die Börse kommen können. Allein als Autor! Als geächteter und sequestrierter Publizist, von einer hohen Behörde zu Protokoll genommen, angewiesen, seine Schriften für das halbe Deutschland von einem einzigen Zensor, Herrn Hofrat John in Berlin, prüfen zu lassen – da hat Salomo Heine recht gehabt. Denn hätte er jetzt was gelernt, nämlich was indossierte, trassierte und gerittene Wechsel sind; dann braucht' er nicht drucken zu lassen, daß er umkäme, wenn die preußische Präventivmaßregel nicht aufhörte! Oder wär' er auch nur Advokat in Hamburg geworden, so hätte er jetzt andre, als seine eignen Prozesse zu führen. Er hätte ja doch alle Monat einmal ein Gelegenheitsgedicht machen können. Das wollte aber frei sein, wie der Vogel im Walde, war blind von dem Schatten des Lorbeerkranzes, den man dem jungen Dichter aufsetzte; das tändelte so fort, griff Fürsten und Herren an, machte die Religion zum Spott, ließ sich eine St. Simonistische Mütze aus Ägypten schicken, blieb so lange in Paris, daß der Paß ablief und aus einem Spaziergang ein Exil wurde, hat nun Kaiser und Reich gegen sich aufgebracht, und – steckt voller Schulden und Finanzverlegenheiten, die Thiers, der auch vom Mastbaume der Politik herunter geglitten ist, nicht mehr berichtigen wird!
Heine hat sich dem deutschen Publikum von jeher mit seinen Fehlern und Tugenden wie ein poetisches Kind gezeigt. Man ist so vertraut mit seinem Taufschein, seiner Mutter, einer geb. von oder aus Geldern, mit seinen Studentenjahren und seinem Pariser Komfort. Sein ganzes Leben liegt vor uns wie eine bunte Landkarte aufgerollt. Damit stimmt nun sein Geständnis, daß er kein Geld mehr hätte, naiv zusammen. Freilich sind wir Deutsche nur poetisch bis zu einem gewissen Grade. Daß wir nun auch denken sollten: Wie viel Liebes und Gutes hat nicht Heine geschrieben, wie rührend ist sein Scherz, wie drollig sein Pathos, wie lächerlich sind seine Tränen, wie wunderlich und anziehend alle seine Gebärden! Und daß wir nun statt Goethe und Schiller und Lessing ein Denkmal aus Stein zu setzen, es so machten, wie die Franzosen mit Berryer, und Heine ein Landgut kauften, oder so wie die Engländer mit Walter Scott, und ihm seine Schulden bezahlten – dazu werden wir zeitlebens zu ungeschickt sein. Die Regierungen beschränken Heines Tätigkeit, weil es das öffentliche Wohl verlangen soll; allein kein Staatsmann wird so roh oder eingebildet sein, Heines außerordentliche Geistesgaben und seine künftige Genugtuung, die ihm die Literaturgeschichte geben wird, in Zweifel zu ziehen, wie denn grade von der äußersten politischen Intoleranz, von Gentz, das authentische Geständnis vorhanden ist, daß er für Heine nicht bloß eingenommen war, sondern schwärmte, daß sein Alter sich in Heines Buch der Lieder verjüngte und daß selbst in seinen Irrtümern und Übertreibungen ein eigentümlicher Reiz von Wahrheit und Natur läge. Niemand würde uns hindern, Heine bei einem Pariser Hause so lange eine Pension auszumachen, bis das polizeiliche Interim abgelaufen und dem Staate genuggetan wäre. Aber noch keinen roten Heller werden die Deutschen zusammenbringen. Dafür gibt es viele Gründe.
Einmal sagen die Liberalen: Ja, wenn's noch Börne wäre! Nun hatte aber Börne diese deutsche Großmut glücklicherweise nicht nötig; denn er brauchte wenig und hatte das, was er brauchte. Er konnte gut den Verlauf der Dinge mitansehen! Er konnte gut Briefe aus Paris schreiben! Daß Heine schwach ist, glaub' ich wohl; denn wir sollen nur menschliche Maßstäbe an Menschen legen. Allein charakterlos ist er nicht. Selbst das Unglück, woran er jetzt leidet, macht ihn nicht feige. Ich hab' ihn nirgends bitten oder betteln sehen.
Dann haben wir Deutsche gar eigene Begriffe von Dichtern und Zikaden, von Nektar und Ambrosia, von poetischen Müllern, die vom Winde leben; und doch zeigt uns jede Seite in der Geschichte unserer Literatur, daß unsre edelsten Geister mit den erbärmlichsten Lebensverhältnissen kämpfen mußten. Goethe hat darum auch so abscheulich gewirkt, daß er der am weitesten im Vorgrunde Stehende war und niemand ihn von menschlichen Rücksichten, weil sie ihn gar nicht plagten, bedrückt fand. Dadurch haben wir uns bei unsern großen Geistern nur an theatralische Repräsentation gewöhnt und nie daran gedacht, sie mit menschlichen Zuständen in Zusammenhang zu bringen. Später zogen sich gar die Fürsten und Hofleute von der Literatur zurück. Die Periode des Mißtrauens begann. Jean Paul würde jetzt keine bayrische Pension mehr gezogen haben, wenn sie nicht Dalberg in seiner Kapitulation mit der Krone Bayerns ihm ausbedungen hätte. Die Schriftsteller wurden entweder Vielschreiber, und hielten sich durch die Masse ihrer Produktionen; oder sie gewannen durch den Buchhandel bedeutende Summen, wenn sie auch weniger schrieben und nur recht gelesen waren. Die Literatur spaltete sich in Parteiwesen. Die Regierungen machten im Interesse der Grundsätze, auf welche sie gebaut sind, der freien Zirkulation einer aufsätzigen Literatur den Garaus. Sie hatten recht in ihrem Rechte; aber was tatet ihr, die ihr als Partei die bedrängten Autoren die euern genannt hattet? Ihr sagtet: Börne verdiente, der Pariser Briefe wegen, unsre Hilfe nicht, selbst wenn er ihrer bedurft hätte. Ich aber sage, er schrieb seine Pariser Briefe nur deshalb so heftig, weil er wußte, selbst von seiner Partei würde ihm kein Vorschub geleistet werden, so oder so! Lebte Jean Paul noch unter uns und hätte durch irgendeinen Nachtrag zu den »Dämmerungen« seine Pension verscherzt; würdet ihr sie ihm gezahlt haben? Nein, armer Jean Paul, die Deutschen vergleichen die Dichter mit den Göttern, die irdischer Speise nicht bedürfen. Jetzt erheben sie z. B. Friedrich Rückert, der von seiner Armut in seinen Gedichten ebensoviel spricht, wie Heine jetzt in seiner Prosa. Rückert hat eine Professur der orientalischen Sprachen, von der er nicht leben kann. Er muß arbeiten, er muß euch den ganzen Orient in Verse setzen. Der Gott in ihm ist freilich seinem Geist so treu, daß er selbst den gezwungenen Vielschreiber nicht verläßt. Ihr seht das alle, schickt ihm Ehrenbecher und – keinen Wein dazu. Habt ihr nicht so viel Zartgefühl, Rückerts Lage so zu heben, daß er durch die Hilfe nicht beleidigt würde? Es gibt der Mittel genug, hier zu wirken und dabei doch diskret zu sein.
Man hat gesagt, daß die gegenwärtige deutsche Schriftstellerepoche nur dazu bestimmt scheine, einer zukünftigen den Weg zu bahnen; Großes werde aus ihr nicht gedeihen; sie werde den Graben füllen müssen, über welchen ein andres Geschlecht zum Siege kommt. Und ich glaube es von Herzen. Jene Misere, die Heine nun aufgedeckt hat, wird mit an dieser Unzulänglichkeit Schuld tragen. Die Zahl von Schriftstellern, welche eine Rückwand am Staate haben, der sie als Beamte oder Pensionäre besoldet, wird immer kleiner. Noch leben: A. W. v. Schlegel, Steffens, v. Rehfues, Tieck, Ed. v. Schenk u. a. Der Nachwuchs, was man rings an Talenten erblickt, muß schon suchen, sich auf eigne Hand zu befestigen, und wie soll er es, wenn die öffentlichen Tatsachen sich ihm nicht zuneigen! Werden es diese? Ich zweifle. Das Mißtrauen gegen die Literatur ist Regierungsmaxime geworden. Man lese nur die fürchterlichen Beschuldigungen derselben, wie sie von Löffler in seiner Gesetzgebung der Presse im beinahe offiziellen Tone gegeben werden.
Blicken wir in einer solchen Gedankenverbindung noch einmal auf Heines Broschüre und den Salon III. zurück, so beschleicht uns ein tiefes Mitleid mit dem deutschen Literaturwesen, wie es sich seit einem Dezennium gestaltet hat. Diese schönen metallenen Worte, diese zarten Bilder, diese reizenden, neckenden Wendungen, die ganze Frühlingswärme des Heinischen Gemütes – und dagegen die Eiseskälte unsrer täglichen Erfahrungen, die grobe Angeberei an der Spitze der populären Kritik, die Einschüchterung des Buchhandels, die Grundsatzlosigkeit der Pressegesetzgebungsbegriffe, die Entfremdung der öffentlichen Tatsachen, die eher das Literaturwesen vernichten als begünstigen möchten und jedenfalls unter Regelung derselben ganz formelle und mechanische Hilfsmittel, die niemanden nützen und allen schaden, verstehen; was bleibt da für Trost und Hoffnung übrig? Vielleicht, daß diese Krisis vorübergeht. Vielleicht, daß noch eine Zeit kommt, wo die Literatur ihre Geburten nicht mit Angst auf offener Straße ablegt, wo die Gefahr überstanden ist, als könnte vor lauter Partei- und Zeitungswesen, vor lauter Tendenzen, wie Mystizismus und Materialismus, vor einer Politik der bloßen Administration und des Beamtenwesens, vor lauter Entfremdung der auf ihre bedrohten Vorrechte bedachten Machthaber sich gar kein einiges behagliches und im Zwecke unverdächtigtes Schriftwesen mehr aufrecht erhalten. Bis dahin kann man denn auch nichts anders tun, als denen, die die Feder schon einmal ergriffen haben, raten, daß sie an kleinen und harmlosen Aufgaben ihre Kraft sich erhalten mögen; denen aber, die begierig sind nach Schriftstellerruf und Öffentlichkeit, daß sie lieber ein Handwerk treiben, lieber graben und Schiffe ziehen mögen, als unter jetzigen Verhältnissen glauben, mit dem Dichterruhm sich eine Stellung erwerben zu können. Wie oft bieten sich uns nicht junge Talente zur Teilnahme am Literaturwesen an! Ich ermuntere niemanden. Sie mögen dichten und denken; sie mögen aber die Welt so nehmen, wie sie ist und sich mit dem Bestehenden aufs bedächtigste abfinden. Man kann der literarischen Jugend Deutschlands wahrlich keinen aufrichtigeren Rat erteilen.
Als Heine diesen Aufsatz gelesen hatte, rief er mit komischem Schmerze aus: Ach, er wird meinem Kredit schaden!
Seit sechs Monaten kann ich nicht begreifen, wie man den im »Jahrbuch der Literatur« abgedruckten Schwabenspiegel von Herrn Heine nicht ebenso geistreich und witzig finden will, wie seine übrigen Schriften. Ich hielt immer die Methode seiner Polemik, wie er sie hier gegen die schwäbischen Dichter in Anwendung brachte, für unwürdig der ernsten Bedeutung jenes Almanachs; aber wer konnte von Herrn Heine Wahrheit verlangen? Er gibt uns hier, wie immer, frivole Späße, witzige Einfälle, sentimentale Ausgänge, und ich begreife nicht, wie sich die gesamte Deutsche Kritik gegen diesen Schwabenspiegel förmlich verschwören konnte. Man schnitt allgemein Gustav Pfizer von dem Galgen ab, an welchen ihn Herr Heine, über eine ihn betreffende Kritik desselben entrüstet, umständlich gehängt hatte; ja es wundert mich, daß niemand auf den Einfall gekommen ist, da Herrn Heines Bildnis die erste Seite des Jahrbuchs ziert und sein Schwabenspiegel die letzten, zu sagen: Dort hätte sich der berühmte Dichter von vorne, hier in seinem Wesen, scheußlich genug, von hinten gezeigt.
Ich kann aber wohl etwas anderes begreifen. Herr Heine in Paris stürmt an den Posttagen in das Lesekabinett von Brockhaus und Avenarius und durchfliegt mit ängstlicher Neugier die eben angekommenen deutschen Blätter. Er will wissen, um wieviel Prozent an der literarischen Börse seine flauen Aktien ausgeboten werden, und findet, daß man ihn, was mir unverzeihlich erscheint, fast gleichgültig behandelt, daß Namen, die vielleicht nicht wert sind, ihm die Schuhriemen aufzulösen, weit öfter genannt werden, als sein einst so gefeierter. Er steht einsam da in Paris; die biedre Ehrlichkeit der flüchtigen Deutschen verabscheut seine Gesinnungslosigkeit, die Heimat vergißt einen Autor, der seit sechs Jahren von der Muse verlassen scheint; so in seinem Unmut greift er nun zu jenen jetzt beliebten Erklärungen und Verwahrungen und bricht in den neuesten Nummern der Zeitung für die elegante Welt mit einem Ingrimm aus, der um so komischer wirkt, als er nicht gegen seine Feinde, sondern gegen seine Freunde gerichtet ist.
Herr Heine wird mir wohl zutrauen, daß ich ihm den Schmerz nachempfinde, seine besten Gedanken von der Zensur verstümmelt oder wohl gar gänzlich ausgelöscht zu sehen. Herr Heine mag recht haben, daß sein Schwabenspiegel ungleich mehr Aufsehen gemacht haben würde, hätte ihm die sächsische Zensur nicht die besten »Witze« weggestrichen. Da waren mehrere Hofräte in Dresden bedeutend touchiert, die evangelische Kirchenzeitung bekam, glaub' ich, einen Eselsorden und die literarische Stellung Wolfgang Menzels hatte Herr Heine besonders dadurch zu untergraben gedacht, daß er eine lange Geschichte von dem »isabellfarbenen Hemde der Frau Dr. Menzel« erzählte. Alle diese geistreichen und eines Lieblings der Nation so würdigen Paradoxen hatte die unerbittliche Schere der Zensur weggeschnitten. Herr Heine erhält die Zensurbogen nach Paris zugesandt. Er hat die von der Zensur gleichsam für wasserdicht und unverletzbar erklärten sächsischen Hofräte seinen retourgesandten Eselsorden, er hat die Fetzen des »isabellfarbenen Hemdes der Frau Dr. Menzel« in Händen und wagt dennoch, schon vor einigen Monaten, eine verzwickte Erklärung abzugeben, deren Schraube nicht auf die Zensur, sondern auf die nächsten Umgebungen des Herausgebers jenes Jahrbuches, des Herrn Julius Campe, deuten soll. Da man den Einfluß, welchen ich auf das »Jahrbuch der Literatur« habe, überschätzt, so mußte in der Meinung des Publikums ich es gewesen sein, der mit vorwitziger Hand die schönen Antithesen getilgt und unter anderm ihm auch jenes saubre Hemde ausgezogen hatte. Herr Campe, mit Recht auf seine Selbständigkeit eifersüchtig, glaubte darauf nicht schweigen zu dürfen, und gab das wahre Sachverhältnis in einer bescheidenen, nicht auf Schrauben gestellten Erklärung im Telegraphen an. Diese Auflehnung eines Buchhändlers gegen ihn erzürnt Herrn Heine nun so gewaltig, daß er die in seinen Händen befindliche Wahrheit, die Sächsische Zensur, absichtlich ignoriert und mit einer Dreistigkeit, die mehr als humoristisch ist, die Lesewelt zwingen will, ihm zu glauben, daß wenn nicht meine, doch die Hand des Dr. Wihl die Dresdner Anzüglichkeiten, den Eselsorden und das »isabellfarbene Hemd der Frau Dr. Menzel« zerrissen hätte!
Ich weiß nicht, wie Herr Campe (der gegenwärtig auf der Leipziger Messe ist) mit Herrn Heine steht. Vielleicht hat sich Herr Campe verpflichten müssen, nie zu widersprechen, wenn Herr Heine eine Lüge aussagt, die er berichtigen könnte. Ich glaub' es zwar nicht; aber möglich, daß Herr Heine dies von dem Verleger seiner Schriften voraussetzt. Es ist möglich, daß Herr Campe schweigen muß, wenn Herr Heine am Strande des Kanals mit deutschen Auswanderern geweint haben will und statistische Tabellen gar nachweisen, daß in dem Monat, wo dies geschehen sein soll, keine Auswanderer im Havre eintrafen. Es ist möglich, daß Herr Campe es bestätigen muß, wenn Herr Heine sagt, seine besten Werke, Novellen und Tragödien, wären ihm bei einer Feuersbrunst in Hamburg verbrannt; schweigen muß, wenn Herr Heine behauptet, von einem Fiaker in Paris, »der ein alter Jakobiner war«, dies und das gehört zu haben; schweigen muß, wenn Herr Heine in seiner erwarteten kleinen Schrift über L. Börne sagen wird: »Und abends geh' ich oft auf die Höhe des Montmartre und benetze auf dem Père la Chaise mit meinen Tränen das Grab des edlen Mannes, der mich verkannte.« Kurz, ich weiß nicht, wozu sich alles Herr Campe verpflichtet hat; aber mir und meinen Freunden traue Herr Heine nicht zu, daß wir eine Rolle und noch dazu die Rolle der Düpes übernehmen werden, wenn er in seiner gewohnten Art mit dem deutschen Vaterlande Komödie spielt!
Was soll man zu den indiskreten Veröffentlichungen fremder Briefe sagen, die Herr Heine sich in seinem Schreiben an Herrn Campe erlaubte? Wahrlich, wer zu solchen Kunstmitteln greifen muß, bei dem muß die natürliche Kraft bis zur Ohnmacht versiegt sein. Werden durch diese unerlaubte Handlung die Mystifikationen, die Herr Heine mit seinem Vaterlande von Paris aus treibt, gerechtfertigt? Statt uns mit bessern Dichtungen, als die in der Europa sind:
Madame, wünschen Sie
Bei der Herzogin vorgestellt zu werden
statt uns mit Dramen, Novellen, humoristischen Genrebildern zu erfreuen, will er uns durch Mystifikationen unterhalten. Er will uns glauben machen, daß all sein Witz, sein Freimut, sein Tiefsinn seit drei Jahren von der Zensur gestrichen wäre. Er mag sich darüber mit Herrn Campe verständigen! Welche ultrahumoristische Dreistigkeit aber, mich und meine Freunde zu Verbündeten der deutschen Zensur zu machen! Intrige, Kabale sieht er, wo die Welt nur offne Wahrheit sieht. Er will es für eine fremde Machination ausgeben, daß er seit mehren Jahren leider aufgehört hat, besonders originell und geschmackvoll zu sein. Es sind dies Kindereien, die jeder durchschauen wird, gegen welche aber Männer, welche er dabei eine Rolle spielen läßt, sich ernstlich verwahren müssen.
Für wie unedel ich auch den Menschen Heine halte, so groß wird doch immer meine Achtung vor dem Schriftsteller sein. Niemand kann sich über die Anklage, als benutzt' ich meinen Wohnort Hamburg zu Intrigen gegen Herrn Heine, mehr verwundern, als ich. Ich soll der neckende Überall und Nirgends sein, dieser unruhige Poltergeist, der Herrn Heine alle die kleinen Malicen, welche sich seit einigen Jahren die deutsche Presse gegen ihn erlaubt, zuwege bringt? Ich hätte für jenen moralischen Ekel, den sich E. Beurmann aus Paris an Herrn Heines persönlicher Erscheinung, die ich immer noch so gern für ungemein anziehend halten möchte, holte, diesem die Ipekakuanha dazu gemischt usw.? Herr Heine, der mich als einen Intriganten schildert, zwingt mich, jetzt einen Teil meiner wahren Stellung ihm gegenüber auszusprechen. Er verletzte das Geheimnis fremder Briefe; ich will das Siegel von meinen eignen lüften und jenes erste Schreiben hier abdrucken lassen, von dem er selbst, unser Père Enfantin, mit so wohlwollender Herablassung und vornehmer Duldung spricht. Es ist Zeit, einmal offenbar zu machen, wie ich mit meinen Freunden konspiriere, woran ich denke, wenn ich mich gegen Verleumdungen zu decken suche, ob an meinen Egoismus, oder an die Interessen der Literatur. Man überzeuge sich nun, wie ich gegen Herrn Heine intrigiere! Ich schrieb an ihn:
Hamburg, 6. August 1838 Der Augenblick einer persönlichen oder schriftlichen Begegnung, verehrter Herr Doktor, mußte zwischen uns doch einmal früher oder später eintreten; denn schon seit langer Zeit bin ich auf dem Sprunge, nach Paris zu kommen, oder die Interessen des Telegraphen hätten mich zum Schreiben bewogen, oder die innige und aufrichtige Hochachtung, die ich für Sie hege, hätte zuletzt jedenfalls die Schranke gebrochen und mich um so mehr auf Erwiderung eines dargebrachten Grußes hoffen lassen, als ich von Campe sowohl wie von Dr. Wihl die Zusicherung bekommen habe, daß Sie meine literarischen Entwicklungen mit wohlwollender Teilnahme verfolgen und aus ihnen ein Bild meiner Persönlichkeit entnommen haben, auf welches Sie Ihre Augen nicht mit Mißtrauen heften würden. Freilich ist nun die Veranlassung, die ich grade jetzt zum Schreiben genommen habe, für mich eine sehr unglückliche und für Sie wird sie eine zweideutige sein. Ich weiß nicht, was Sie zu dem fernem Inhalt dieses Briefes sagen werden, ob Sie meine Absicht mißdeuten; ob Sie gleich beim Beginn unsere nähern Verhältnisses, unmutig über meine von Ihnen nicht einmal provozierte Aufrichtigkeit; es nicht schon abbrechen werden; genug, es ist mit Gefahr verbunden, daß ich Ihnen schreibe, was zu schreiben mich meine Liebe zu Ihnen, meine Bewunderung Ihres Geistes, meine Achtung Ihres Ruhmes zwingt.
Jeder, der mit Campe so nahe stünde, wie ich, würde auf Nachrichten von Ihren Unternehmungen und Plänen neugierig sein. Ich bin es um so mehr, da sich für mich an Ihre Briefe und Vorhaben nicht bloß persönliches, sondern allgemein literarisches Interesse knüpft. Ich frage Campe: Was hat Ihnen Heine geschrieben, was bereitet er vor, was können wir hoffen? Seien Sie ihm nicht ungehalten, daß er mir in solchen Fällen wohl eine Stelle Ihrer Briefe liest, daß er mir etwas mitteilt, was eben unter die Presse gehen soll! So hab' ich Ihre Nachrede zu dem Supplement des Buches der Lieder gelesen; so hab' ich das Material, was zu dieser Ergänzung bestimmt ist, selbst gesehen. Letzteres kam nämlich vor einigen Tagen von Darmstadt zurück, wo die Zensur nach langem Besinnen den Druck verweigert hat. In Betreff dieses Nachtrages ist es, daß ich Ihnen schreiben wollte. Hören Sie nun und handeln Sie nach Ihrem Gutdünken!
Es wird Ihnen selbst in Paris nicht die Bemerkung entgangen sein, daß sich das Urteil über die Literatur der letzten zehn oder zwölf Jahre gegenwärtig bei uns in einer Krisis befindet. Das literarhistorische Urteil scheint sich feststellen zu wollen; man nimmt die Akten der frühern Prozesse wieder vor, instruiert sie von neuem, bringt neue Entscheidungsgründe heran, natürlich befinden Sie sich, als gemachter Autor gegen die erst sich machenden, in einem großen Vorsprunge. Unsre Namen sind in den Sand, Ihrer ist schon in Erz gegraben; und dennoch ist auch der Moment für Sie ein sehr beachtungswerter. Es ist nämlich die junge Generation selbst, an die jetzt die Kritik gekommen ist. Für mißliebige Urteile hat man jetzt nicht mehr den Trost, daß ja diese Pedanten und Professoren und Hofräte unverbesserlich sind. Schon Menzels Umkehr und Treulosigkeit war eine bedenkliche Wendung. Die Parteien trennten sich und Zahllose fielen ab und wandten sich einer sogenannten Tugend, dem Vaterlande und den guten Sitten zu. Vollends beachtenswert ist aber die gegenwärtige Erscheinung, daß sich grade der jüngere Nachwuchs, der sich durch Sie und teilweise auch durch uns später gebildet hat, als entscheidende Instanz aufzuwerfen beginnt. Pfizers Kritik konnte vielleicht nur noch einige wenige zu Menzel hinüberführen, aber unbedenklich nachteilig ist das, was Ruge über Sie geschrieben hat, sind die Persönlichkeiten, die Beurmann mitteilte, und so vieles andere, was Ihnen hoffentlich in Paris entgangen sein wird. Ich bin nun der Überzeugung, (und halte mich verpflichtet, sie Ihnen mitzuteilen) daß, wie die Sachen jetzt stehen, Ihre Verhältnisse zur deutschen Bildung, Nationalität und Literatur wenn nicht vollkommen, doch bei weitem überwiegend günstig ausfallen; daß Sie aber, wenn diese Gedichte des beabsichtigten Nachtrags erscheinen, in die Waage Ihrer Beurteilung ein Gewicht legen, welches auf der Schale der gegen sie erhobenen Beschuldigungen zentnerschwer lasten wird. Alle die Verse, die Pfizer mühsam aus dem Buche der Lieder zusammenlesen mußte, bieten Sie ihm jetzt dutzendweise dar. Ich möchte denjenigen genannt wissen, der nach Veröffentlichung jener Gedichte wagen würde, Sie in Schutz zu nehmen. Gentz ist tot, Varnhagen ist stumm, Laube hat Rücksichten; sonst wüßt' ich niemanden.
Dichter der Reisebilder, man hat Dir viele Sünden vergeben, weil es Dornen an Rosen waren; aber diese neuen, Heine, die nur Dornen sind, vergibt man Ihnen nicht! Für »den ungezogenen Liebling der Grazien« gibt es auch eine Grenze, und diese haben Sie in jener Gesangsmanier längst überschritten. Sie kennen die allgemeine Stimme, die über Ihre Gedichte auf die Pariser Boulevardsschönheiten mit den stolzen Namen: Angelika u.s.w. im Salon in Deutschland herrscht; warum in dieser Manier hoch eine so fruchtbare Nachgeburt? Nennen Sie mir die Nation, die solche Sachen in ihre Literatur aufgenommen hat? Wer hat in England, in Frankreich dergleichen zum Jocus der Commis herausgegeben, Gedichte, die man sich vorliest in Tabaksqualm, bei ausgezogenen Röcken, in einem gemieteten Zimmer, unter leeren Flaschen, die auf dem Tische stehen! Beranger scheut sich nicht, von einem nächtlichen Besuch bei einer Grisette zu sprechen; aber sagt er » ich habe mich wohlbefunden«? Spricht sich bei ihm je das Gefühl von Übersättigung und aufgestachelter sinnlicher Trägheit aus? Ich verletze Sie, indem ich dies schreibe, aber ich muß es Ihnen sagen; denn Sie scheinen mir in einer Sorglosigkeit über Ihren Namen befangen, die grenzenlos ist. Sie gehören doch einmal den Deutschen an und werden die Deutschen nie anders machen, als sie sind. Die Deutschen sind aber gute Hausväter, gute Ehemänner, Pedanten, und was ihr Bestes ist, Idealisten. Ich spreche hier meinen eigenen literarischen Erfahrungen nach; ich weiß, wie hoch man in Deutschland die Saiten spannen darf, aus dem Erfolge meiner eignen Schriften. Sie waren schon in Paris, als plötzlich die Anklage der neuen Literatur auf Unsittlichkeit ertönte; Sie konnten sich nicht selbst überzeugen, wie vernichtend dieser Vorwurf wirkte. Wer damals von den Autoren nicht wenigstens Geist hatte, war unrettbar verloren. Welcher deutsche Autor aufhört in die Höhe zu blicken, wer in seinen Augen den himmlischen Glanz verliert, der verliert auch seine Stellung im Volke. Ich könnte Ihnen hier viel, viel mitteilen und ausführen, aber ich fasse mich kurz und sage Ihnen: durch diesen Nachtrag ruinieren Sie Ihre Stellung so, daß selbst Ihre Freunde die Feder niederlegen und sich bescheiden müssen. Geben Sie das Buch auf! Der Ratcliff ist ja jedermann zugänglich, die Nachrede lassen Sie, wenn es nirgend anders ist, im Telegraphen drucken, und das wenige Gute, was sonst noch in dem Material vorliegt, finden Sie schon Gelegenheit, hier oder dort unterzubringen, ich meine, in Ihren eignen späteren Werken, nicht in Journalen.
Machen Sie nun mit diesem aufrichtigen Geständnisse und Rate, was Sie wollen; ich bin mir der besten, der ehrlichsten Absicht bewußt. Ich sehe, daß Sie an einem Abgrunde wandeln, den Sie nicht sehen. Ich warne Sie, die Akten Ihrer, ich möchte sagen literarischen Seligsprechung nicht zu verderben. Verdorben aber sind sie, wenn sie jetzt noch einen solchen Stoß von Anklagepunkten aufhäufen und allen Ihren Gegnern die Beweise mutwillig in die Hände spielen. Halten Sie mich für einen Pedanten? Oder glauben Sie, daß ich die grade im Prosaischen und Ordinären gesuchte Originalität jener Poesien nicht zu kosten wüßte? Ich weiß es, hier ist der Punkt, wo Sie mir am meisten widersprechen; gerade etwas Originell-Prosaisches, auf den Kopf Gestelltes und doch Poetisches dabei wollen Sie geben; Ihre Begriffe über Poesie scheinen mir in einer theoretischen Verwirrung zu sein: aber Deutschland, das versichr' ich Ihnen, wird sie praktisch verstehen und Ihre Gegenwart fallen lassen; da man Ihnen freilich die Zukunft, Ihrer Vergangenheit wegen, nicht nehmen kann.
Ich müßte bei Ihnen sein, um mich ganz so auszusprechen, wie ich möchte. Was hätt' ich Ihnen nicht alles über die Stellung der Parteien und die Resultate, die wir als wirklich gewonnen und die wir als verloren ansehen müssen, mitzuteilen! Nur in flüchtigem Umriß hab' ich angedeutet, was hier alles zu erwägen wäre. Vielleicht ergänzt Ihre Phantasie und die selbst dem Großen schön stehende Bescheidenheit, was ich alles noch verschwiegen und der trägen, Zeit raubenden Feder nicht übergeben habe. Ich gesteh' es leider, daß für unser Verhältnis viel davon abhängt, ob Sie meinen Rat befolgen; denn wenn auch unverändert bliebe die Achtung vor Ihren großen Gaben, so würde doch in dem Eifer, für Sie zu wirken, manche der Sehnen, die ich für Sie noch nicht alle in Tätigkeit gesetzt habe, vor der Zeit erschlaffen. Seien Sie versichert, daß so aufrichtig und treu, wie ich, noch wenige zu Ihnen gesprochen haben und daß mein Rat mehr wert ist, als ein Schwall lobender und nichtssagender Allgemeinheiten, mit denen ich mich Ihnen nähern könnte, wäre nicht unser Verhältnis ein organisches. Erfreuen Sie mich bald mit einer Antwort und erhalten Sie Ihr Wohlwollen Ihrem u.s.w. K. Gutzkow
Herr Heine befolgte meinen Rat und dankte mir mit jenen ihm eigentümlichen aus Ironie, scheinbarer Gutmütigkeit und vornehmer Berücksichtigung zusammengesetzten Wendungen. Er war befugt, mich an die Geschichte vom Splitter und Balken zu erinnern und deutete an: »Ihm wärs um eine gewisse vornehme Literatur zu tun.« Es tut mir leid, meine Antwort auf diese Theorie von einer vornehmen (in den Anschauungen Gentzens, Varnhagens und Laubes wurzelnden) Literatur nicht abdrucken zu können, da ich von dem Briefe keine Abschrift behielt. Da Herr Heine so sorgfältig seine erhaltenen Briefe zu dem edlen Zwecke unerlaubter Veröffentlichung aufbewahrt, sollte er ihn drucken zu lassen den Mut haben. Er würde nicht minder, wie der vorige bezeugen, wie unwürdig Herr Heine meiner ihm so frei und treu ausgesprochenen Achtung war.
Wenn man die von Herrn Heine mitgeteilten Auszüge aus den Briefen des Herrn Campe liest, so wird man zwar zunächst nur das Gefühl des tiefsten Unwillens über den Skandal der Indiskretion haben. Dann aber wird man sich bald eingestehen, daß Herr Campe ein Buchhändler ist, der bei allen persönlichen Vorzügen doch mit dem Edlen, Schönen, Großen nur – Geschäfte macht. Luthers Reformation war für den Verleger Luthers – eine gute Konjunktur; das, wofür Rousseau sein Leben gelassen hätte, wird sein Verleger immer eine Spekulation nennen, eine ernste Unternehmung wird der Buchhändler seinem Geschäftsfreunde so mitteilen, daß er sagt: »da hab' ich etwas ausgeheckt.« Häßlicher ist die Darstellung des Verhältnisses zu meinen Freunden. Freie, für sich selbst verantwortliche Bildungen werden da für mein Werk ausgegeben, aus Anhänglichkeit wird Interesse, das Organische wird als Maschine dargestellt. Was mich auf die Freundschaft eines Mannes, wie Ludwig Wihl, so stolz macht, ist nicht allein das feste Vertrauen, das ich auf sein Herz setzen kann, sondern noch weit mehr das freie Entgegenkommen der aus ihm selbst sich entwickelnden Überzeugungen seines Geistes. Würd' ich auch das Unglück haben, in so viel persönliche Fehde verwickelt zu sein, wenn ich die Gewohnheit hätte, meine Freunde immer für mich ins Feuer zu schicken? Eher hindr' ich sie an freundlichen Äußerungen ihrer Ansichten über mich; denn ich kenne die traurige Verdächtigung, der sie sich aussetzen. Ohnedies bedarf Ludwig Wihl keines Parteianschlusses, da er als Dichter und Kritiker auf persönliche, keiner Rückwand bedürftige Geltung Anspruch machen kann. Ich muß es ihm selbst überlassen, sich auch seinerseits die Rolle zu verbitten, die ihn Herr Heine in der von ihm um jeden Preis beabsichtigten Mystifikation spielen lassen will.
Zum Schluß bitt' ich Herrn Heine, sich doch am Genius unsrer Literatur nicht so sträflich zu versündigen, daß er die Geduld seines Vaterlandes auf so peinliche Proben stellt. Was soll die Nation denken, wenn sich ihrer besten Köpfe eine solche Zügellosigkeit und Skandalsucht bemächtigt! Ich bitte Herrn Heine, an den Verlust seines von so vielen noch immer geachteten Namens nicht das Äußerste zu setzen! Diese Farce mit der eigenmächtigen von Herrn Campe, Wihl und mir gewagten Zensur seines Schwabenspiegels (eine offenbar absichtliche Selbsttäuschung), sei nun zu Ende gespielt mit der Beschämung, vor welcher wir ihn leider nicht retten konnten, die aber dem Humoristen vielleicht von dem lachenden Teile des Publikums verziehen wird. Wenn jedoch die Absicht des Herrn Heine, durch solche Umtriebe sich ein neues Relief geben zu wollen, allzudeutlich wird, wenn er, statt uns lieber Gedichte, Trauer-, Lust-, Schauspiele, Romane, Novellen oder auch nur Reisebilder zu schreiben, jetzt auf den Boulevards herumgrübelt und sich aussinnt, wie er diesen Artikel wohl recht pikant beantworten, mich wie Pfizer etwa an den Galgen bringen oder wie Wolfgang Menzel mit dem isabellfarbnen Hemde meiner Frau widerlegen könnte, so würde es mich tief, nicht meinet- sondern der Literatur und seinetwegen schmerzen; denn müßte dann nicht die Achtung vor diesem einst so reichen Geiste, der seit beinahe sechs Jahren nichts mehr schaffen zu können scheint, und, um sich nicht vergessen zu machen, nach dem schmutzigsten Skandale greift, vollends verloren gehen?
Die Schrift des Herrn Heine kommt in vieler Hinsicht zu spät. Zu spät – weil Börne tot ist und man solche Verleumdungen, wie sie hier gedruckt sind, nur von einem Lebenden sollte auszusprechen wagen. Zu spät – weil Börnes Grab längst so dicht mit der freundlichen, versöhnten Anerkennung der deutschen Nation bewachsen ist, daß die Brennesseln des Herrn Heine auf dem geweihten Platze keinen Raum übrig finden. Zu spät – weil Herr Heine die deutsche Nation wegen einer Frage beunruhigt glaubt, die uns diesseit des Rheins sehr gleichgültig ist. Herr Heine weiß nicht, daß man sich jetzt in Deutschland mit den wichtigsten Erörterungen über Kirche und Staat, mit den Untersuchungen über Protestantismus und jesuitische Reaktionen, über Preußens und Rußlands Zukunft, über hundert wichtige Kulturfragen, nur nicht mehr mit seinen »Reisebildern« beschäftigt. Es hat etwas Rührendes! Herr Heine ging vor zehn Jahren nach Paris und bildet sich ein, daß Deutschland noch immer auf Vollendung der Periode harrt, die er grade angefangen hatte, als sein Fuß das Hamburger Dampfschiff betrat, welches ihn nach Havre transportierte. Er glaubt, wir knusperten noch immer an den kleinen Gedichten und Novellen der damaligen Taschenbücher, an seinem Streit mit Platen, an seinen Salonwitzen, an einem Bilde, das er von Herrn von Raumer brauchte und ähnlichen, großartigen Leistungen, von denen er (S. 363) sagt: »Meine Leistungen sind Monumente, die ich in der Literatur Europas aufgepflanzt habe, zum ewigen Ruhme des deutschen Geistes.« Weil Herr Heine glaubt, daß wir um diese Monumente wie die Zwerge noch immer mit staunender Bewunderung herumgingen, so hielt er eine Schrift über seine persönlichen Differenzen mit Börne für ein Unternehmen, dessen Erscheinung man nicht zu motivieren brauche.
Ob sich Herr Heine für witziger, poetischer, unsterblicher als Börne hält, kann dem Biographen des letztern gleichgültig sein. Immerhin mag er ein Buch schreiben, dessen Thema in folgenden Worten (S. 240) ausgesprochen liegt: »Börnes Anfeindungen gegen mich waren am Ende nichts anders, als der kleine Neid, den der kleine Tambourmaitre gegen den Tambourmajor empfindet: er beneidete mich ob des großen Federbusches, der so keck in die Lüfte hineinjauchzt, ob meiner reich gestickten Uniform, woran mehr Silber, als er der kleine Tambourmaitre mit seinem ganzen Vermögen bezahlen konnte, ob der Geschicklichkeit, womit ich den großen Stock balanciere, ob der Liebesblicke, die mir die jungen Dirnen zuwerfen, und die ich vielleicht mit etwas Koketterie erwidre!« Allein diese Schilderung der eignen Liebenswürdigkeit, des »fetten Hellenismus« seiner schönen Gestalt, der Liebesblicke, die ihm die jungen Dirnen des Palais Royal zuwerfen, mußte nicht auf Kosten eines Mannes geschehen, dessen sittliche und politische Bedeutung, publizistische Tiefe und römische Charakterfestigkeit, dessen schönes edles Gemüt und zarte Hingebung an Schmerz und Unglück, dessen Herz in allen seinen Lebensfunktionen ihn gegen Herrn Heine als einen Riesen erscheinen läßt, der ganz ruhig die Hand auf die »europäischen Monumente« des Herrn Heine legen und sagen kann: »Siehst Du, ich bin doch größer als Du!«
Herr Heine erzählt uns seine Berührungen mit Börne. Er erzählt, wie er ihn gefunden, im seidnen Schlafrock, mit der Pfeife im Munde, schwerhörig, heute krank, morgen unpäßlich. Auch diese Beschreibungen sind zum Teil wahr, teils ergötzen sie, weil sie aus dem Bestreben hervorgehen, zu zeigen, daß Herr Heine schöner gebaut, korpulenter, liebenswürdiger, kurz ein Mensch wäre, den man mit Börne gar nicht vergleichen könne. Mißlich aber ist es mit den Äußerungen, die er Börne in den Mund legt. Diese füllen oft in einem Zuge mehr als sechs bis sieben Seiten. Sollte Herr Heine schon vor zwanzig Jahren die Absicht gehabt haben, seine Memoiren zu schreiben und über die Äußerungen der Menschen, mit denen er umgeht, schon so lange Buch führen? Nein, es ist unmöglich. Diese langen Tiraden, die oft witzig, oft durch ihre Länge ungenießbar sind, kann Börne nicht gesprochen haben. Herr Heine, der ein so schwaches Gedächtnis hat, daß er sogar dasjenige, was ihm das Teuerste war, seine Grundsätze, mit der Zeit vergaß, Herr Heine sollte den Kopfrechner Dase an Intensität des Erinnerungsvermögens übertreffen? Gegen die Echtheit dieser Diatriben müssen wir also von vornherein protestieren. Sie sind ohne Zweifel durch einen schlagenden Einfall Börnes angeregt, aber in dieser Form ohne Widerrede von Heine ebenso erfunden, wie die Reden, die Cornelius Nepos jene Imperatoren halten läßt, die auch größer waren als er.
Alle Welt wird mit mir darin übereinstimmen, daß das, was Börne bei Herrn Heine redet, ihn eben nicht im liebenswürdigsten Lichte erscheinen läßt. Nicht nur, daß er sich wie ein unsinniger Coupe tête in seinem politischen Fanatismus gebärdet, er ist auch lasziv, gewöhnlich und nicht selten beinahe gemein. Diese Lüge in dem Buche des Herrn Heine hat mich – nächst der empörenden Mißhandlung eines edlen weiblichen Gemüts – am tiefsten gekränkt, hat mich um so mehr gekränkt, als vielleicht Börne sich wirklich gehen ließ, wenn er mit der saloppen Gesinnungslosigkeit, der witzelnden Blasiertheit und dem bekannten bauchgrimmenden Ennui des Herrn Heine zusammen kam. Wir sind Menschen und Börne war sogar ein guter Mensch. Wenn er in Herrn Heines Gegenwart manches Laszive und Triviale sprach, so tat er es aus Gefälligkeit gegen den Mann, der ihn besuchte. Er war zu gutmütig, Herrn Heine eine andere Sprache vorzuschlagen, als welche dieser in seiner Unterhaltung gewohnt ist. Es sind wahrhaft häßliche Dinge, namentlich über Christen- und Judentum, die Herr Heine Börne in den Mund legt. Wenn sie nicht ganz erfunden sind, so beweisen sie nur, wie freundlich Börne in seinem Wesen war, wie wenig er den Streit liebte und mit wie zarter Aufmerksamkeit er denen entgegen kam, die ihn besuchten. Womit sollte er Herrn Heine unterhalten? Er schätzte den jungen Mann, er setzte große Hoffnungen auf seinen Stil, er glaubte ihn aufmuntern zu müssen und ging harmlos auf die albernen Talmudwitze ein, an denen Herr Heine mehr seinen Humor genährt hat, als an unserm großen Jean Paul, den er in diesem Buche einen »konfusen Polyhistor« nennt! Ja, um die Wahrheit ganz zu sagen, man muß wissen, daß zwei getaufte Juden von so lachlustiger Natur, wie Börne und sein Schatten, tausend Gelegenheiten finden, an den drolligsten Vorkommnissen innerhalb der Synagoge und des Ghettos ihren Witz zu üben. Es ist betrübend für mich, daß ich manchem Israeliten vielleicht weh tue, wenn ich bekenne, daß mir nichts Ungezügelteres vorgekommen ist, als wenn zwei jüdische aufgeweckte Köpfe sich gegenseitig in witzigen Einfällen zu überbieten suchen. Der »arme Börne« (Herr Heine nennt ihn in seinem ganzen Buche nicht anders) ließ sich vor dem jungen Manne, der ihn besuchte, mehr als billig gehen und dieser benutzt jetzt dessen problematische Äußerungen, um über Börne einen häßlichen gelben Nebel zu verbreiten. Möchte diese Aufklärung des wahren Sachverhältnisses ihn von dem Andenken des trefflichen, gerade in seinem häuslichen Gespräche immer gewiegten und besonnenen Mannes für immer verscheuchen!
Der politische Teil der mit Börne gepflogenen Unterredungen des Herrn Heine bezweckt, ersteren als einen republikanischen Narren, letzteren als einen Royalisten, oder wie man es von den ausgesöhnten Legitimisten in Frankreich nennt, als einen Rallierten hinzustellen. Börne ist nach Herrn Heine ein Sansculott, der dagegen nur ein philosophisch-gemütlicher Beobachter des Laufes der Begebenheiten, Börne gehört zur Partei des Berges, Herr Heine zur Partei des »Sumpfes«. Ich habe die zahme, royalistische Widerrufs-Politik des Herrn Heine mit Vergnügen gelesen, denn sie läßt hoffen, daß man die Polizei-Aktuarstelle, welche Börne früher in Frankfurt bekleidete, vielleicht ihm überträgt und ihm dadurch Gelegenheit verschafft, sich im Vaterlande von dem geringen Gewicht, das man noch auf seine Worte legt, selbst zu überzeugen. Allein man bedenke: die erwähnten Gespräche mit Börne sind alle zu einer Zeit gehalten, wo Herr Heine selbst einer der unternehmendsten Jakobiner war, zu einer Zeit, wo seine Schriften mit der Marseillaise begannen und der Parisienne aufhörten; zu einer Zeit, wo seine Pamphlets nur verstümmelt erscheinen konnte, weil kein deutscher Druckherr wagte, seine Finger zum Aufbau all der staatsgefährlichen Mausfallen und Guillotinen, die in diesen Räsonnements drohten, herzugeben. Nun ist nicht zu leugnen (und mein Buch wird darüber mit Ernst und Aufrichtigkeit urteilen), daß Börne in den Tagen nach der Julirevolution sich der Hoffnung auf einen gewaltsamen Umschwung der Begebenheiten mit rücksichtsloser Leidenschaft hingab; allein was ist edler, wahrer und redlicher: diese Ansichten auch innerhalb seiner vier Wände verteidigen, oder sie, wie es bei Herrn Heine der Fall war, nur zur interessanteren Draperie seines Stiles zu benutzen und nach einigen Jahren in Hoffnung auf die Frankfurter Polizei-Aktuarstelle, als nie dagewesen leugnen? Das dritte Wort in Herrn Heines »französischen Zuständen« ist die Trikolore, die Guillotine, das ça ira u.s.w., bei Börne war es auch das dritte Wort in der Konversation. Gesetzt, sie wären beide in einem betrübten Irrtum befangen gewesen, wer war redlicher, Börne oder sein Judas?
Auch ohne meine Rüge wird man die Mißhandlung einer edeln gebildeten Dame, die Börne in treuer Anhänglichkeit ihr Leben gewidmet hat, empörend finden. Das Verhältnis Börnes zu Madame W. (es ist in meinem Buche tatsächlich dargestellt) gehört zu jenen schönen Begegnungen edler Seelen, die zum Glück der Dichter und Weisen nicht bloß von ihnen nur zum Gegenstand ihrer Schöpfungen gewählt wurden, sondern die oft sie selber beglückten und ihnen ein einsames Dasein verschönerten. Ganz Frankfurt, hierüber gewiß kompetent, stimmt darin überein, daß Börnes Verhältnis zu Mad. W. ein ebenso wohltätiges für den verlassen und einsam in der Welt stehenden Unverheirateten, wie seiner Natur nach rein und sittlich war. Herr Heine wahrlich sollte einer der ersten sein, der das Poetische einer solchen Beziehung mehr als andere zu würdigen wüßte. Statt dessen bringt er diese Dame an den Pranger der Publizität. Er entwürdigt ihr Leben, er bezweifelt ihre Sittlichkeit, er schändet sie mit der Laszivität seines gemeinen Witzes. Eine Frau, die ihn durch nichts gekränkt haben kann, als durch ihre liebende Verehrung für Börne, ihr Gatte, der der dritte in einem Seelenbunde war, für dessen Verständnis die alltäglichen Begriffe unseres Lebens nicht ausreichen, alle diese Beziehungen werden hier von dem frechen Spott des Herrn Heine so besudelt, daß sie wie ein unsittliches Verhältnis aussehen. Wie tief ist die Würde unserer Literatur gesunken! Ein Schriftsteller, der sich einbildet, »europäische Monumente« errichtet zu haben, kann sich darin gefallen, kleine Kothaufen aufzubauen, wie die Gamins der Straße! Wenn dieser zügellose Mißbrauch der Presse fortfrißt, welches sittliche weibliche Gefühl wird nicht zittern vor einer Berührung mit Dichtern und Schriftstellern? Hingebungen, wie sie Goethe, Bürger, Tieck, Schlegel fanden, werden aus Furcht, öffentlich gebrandmarkt zu werden, aussterben und der Poet wird auch darin der ärmste werden, daß kein Frauenherz mehr seinem Frieden traut, und ihm, wie Herrn Heines, des großen Sittenrichters, Beispiel lehrt, nichts übrigbleibt als eine blinde Wahl unter den Nachtvögeln des Palais Royal.
Ich bin zu Ende. Herr Heine schließt sein Buch mit einer von ihm schon abgenutzten Allegorie fast wie ein Testament. Er sagt: »Ich werde dick und fühle eine sonderbare Müdigkeit des Geistes.« So wird auch bald nach solchen Büchern, der schöne Ruhm, den er in der Literatur des Tages behauptete, sein Auge schließen und von Herrn Heine nichts mehr übrigbleiben, als ein ödes, nur mit spärlichem Grün bewachsenes Gewesen! Börnes letzte Schrift zeigte ihn uns edler, verklärter, als je. Selbst seine Feinde gewannen ihn lieb, als er sein letztes kleines Buch geschrieben und starb. Herrn Heines letzte Schrift aber zeigt ihn uns vollkommen in einer moralischen Auflösung. Börne war kein Dichter und schrieb wie ein Prophet.
Herr Heine affektiert, ein Didier zu sein und schreibt wie ein Gamin. Börne war nicht frei von Irrtümern, aber im Feuer seiner Überzeugung härtete sich ein stählerner Charakter. Herr Heine schwimmt im Meer der Lüge und wird sich allmählich ganz verdunsten in das »goldne« Nichts der Eitelkeit. Börne stritt, als er noch lebte, gegen Herrn Heine: Herr Heine wartete und antwortete dann erst, als Börne gestorben war. Börne stritt gegen die Lebenden und versöhnte sich mit den Toten. Herr Heine fürchtet die Lebenden und erst, wenn sie sterben, bekämpft er sie.
In der neuesten »Revue des Deux Mondes« befindet sich ein französisch geschriebener Aufsatz von Heine: »Die Götter im Exil«. Es sind wieder dieselben Tändeleien mit theologischen Begriffen und Traditionen, die man schon so mannigfach von ihm lesen konnte. Wenn auch die Form des Humors bei einem Schriftsteller dieselbe bleiben darf, in seinen Gegenständen sollte er wechseln. Man kann die wiederholt den Franzosen vorgetragenen Geschichten vom Tannhäuser, dem Venusberg, der Teufelinne Frau Venus und all den bekannten, zweideutig immer auf das Palais-Royal und die abendlichen Boulevards zugespitzten Pointen und Späßen dem müden und durch ein bejammernswertes Geschick auch auf dem Krankenlager noch immer im Kreise seiner alten sinnlichen Gaukelbilder festgebannten Dichter zugute halten; nur für die Franzosen hat es den Nachteil, daß sie glauben, wenn sie von deutschen Schriftstellern und deutschem Dicht- und Geistesleben etwas läsen, müßte ihnen auch immer sogleich die Lorelei, der Tannhäuser, der Venusberg, die Sage und das Mittelalter entgegentreten, eine Dichtwelt, die sich bei uns doch fast schon in der gläubigen Auffassung, ganz gewiß aber in der ironischen, überlebt hat.
Ein Empfehlungsbrief führte mich in das Haus des alten Salomon Heine, der mich zu einem sonntäglichen Familiendiner einlud. Da hatte ich denn die ganze Verwandtschaft Heinrich Heines beisammen. Die Begegnung war nur flüchtig; nur seine Schwester, eine verheiratete Frau Embden, wurde und blieb mir noch in späteren Jahren gewogen. Die Versammlung fand in jenem kleinen, aber innerlich komfortabel eingerichteten Hause am Jungfernstiege statt, das nicht mehr existiert. Schon brannten die Lampen; in Hamburg bleibt man nach dem Fünf-Uhr-Diner beisammen bis zur Teestunde. Der alte lebhafte Herr, der das Theater mit Leidenschaft, das schöne Geschlecht ebenso, doch mit Maß liebte, gönnte mir den Ehrenplatz an seiner Seite und trug mir, wahrscheinlich zum Leidwesen der nächsten Hörer, seine von diesen wohl schon unzähligemal gehörte Selbstbiographie vor. Der reiche Mann war aus Pyrmont gebürtig, war mit einigen Schillingen in der Tasche in Hamburg eingewandert und konnte nur mit den gewöhnlichen Geschäften angefangen haben, die man noch jetzt die Hamburger Juden auf dem Neuensteinweg betreiben sieht. Bald aber hatte die Kontinentalsperre seine Erfindungsgabe angespornt, jene Zeit, wo Napoleon die Engländer durch den Einfuhrtarif des Kontinents schlagen wollte und die Insel Helgoland der Stützpunkt des Schmuggels wurde, den seine eigenen Beamten leiteten. Der Schmuggel machte in dem großen Netz, das der Tyrann über den Kontinent gespannt sehen wollte, so viel Löcher, daß Handel und Wandel blühten und sich die vielen, später in die Höhe gekommenen Kommerzienräte die erste Grundlage ihrer Millionärschaft zurechtlegten. Die Kriegslieferungen taten dann das übrige. Bei Salomon Heine waren noch die russischen, dänischen, schwedischen Anleihen der Restaurationszeit hinzugekommen. »Über Literatur kann ich nicht sprechen«, pflegte er zu sagen, »ich kenne keine anderen Aufsätze, als die, welche vom Konditor kommen.« Über den Neffen in Paris, dessen noch lebende und in Hamburg wohnende Mutter, die nicht anwesend war, wich der Chef der Familie einer Erklärung aus. Was er über den Dichter sprach, hielt sich im Ton des bekannten Dictums aus seinem Munde: »Hätte mein Neffe etwas gelernt, brauchte er nicht zu schreiben Bücher«. Das sprechendste Beispiel für die Richtigkeit dieser Äußerung war in der Person des Doktor Juris und späteren Handelsgerichtspräsidenten Halle zugegen, der Stolz der Familie, der Schwiegersohn des Wirtes, ein schöner stattlicher Mann, mit funkelnden Augen, krausem, dunkelm Haar, kräftigem Backenbart. Sein Gespräch offenbarte Geist und eine weit über sein Fach hinausgehende Belesenheit. Keine der Fragen, die in den dreißiger Jahren die Welt bewegten, keine der engern, die nur die Literatur berührten, war ihm fremd. Seine Rede war wohllautend und trug jenes schöne Gepräge, wo sich Wohlwollen mit vornehmer Haltung verbindet. Das triumphierende Gefühl sämtlicher Tischgenossen über den Besitz eines so ausgezeichneten Mannes verriet sich nicht in seiner eigenen Haltung, die nur würdig und maßvoll, nicht eitel war. Und wer hätte da die tragische Veränderung ahnen sollen, die mit diesem Manne vorging! Als ich zwanzig Jahre später in den Laubgängen der sogenannten »Bürgerwiese« zu Dresden, über die mich mein täglicher Ausgang führte, täglich einem langsam schleichenden, asthmatisch aufgetriebenen, korpulenten Herrn mit grauem Haar und Bart begegnete und zuletzt in Gesellschaften die Bekanntschaft des inzwischen so auffallend Verwandelten erneuerte, erfuhr ich, der ehemalige »Präses Halle« von Hamburg hatte in Dresden eine prachtvolle Wohnung bezogen, gab Gesellschaften von einem Glanz, wie man dergleichen von einem inzwischen durch den Tod seines Schwiegervaters zum Millionär Gewordenen erwarten konnte, galt aber als ein vom Schlage getroffener, zu schonender und nicht nach den üblichen Lebensbedingungen zu beurteilender Mann. Immer noch erlaubte ihm sein umflorter Geist manche Äußerung, die in treffender Weise Vergangenheit oder Gegenwart berührte. Nur fiel mir, ehe ich ganz seinen Zustand kannte, die übermäßige Gereiztheit auf, als ich den reichen Mann um ein Geschenk für die neubegründete Schillerstiftung bat. Ich hatte dabei auf seinen eigenen Verwandten Heinrich Heine hingewiesen, der ja auch in seiner »Matratzengruft«, ich fügte ausdrücklich hinzu, ohne den Beistand seiner reichen Verwandten, schwerlich vom Ertrage seiner Schriften würde haben leben können. Noch ehe ich diesen Satz vollendet hatte, unterbrach mich der Kranke ohne jede Veranlassung mit den Zeichen des äußersten Unwillens. Als wenn eine Anklage bestünde des Inhalts, daß die reichen Verwandten nichts für Heinrich Heine getan, ihn dauernd so gering geschätzt hätten, wie dies in den Zeiten der Konfiskation seiner Bücher allerdings geschehen war, redete er sich teils in eine exzessive Bewunderung seines Verwandten hinein, die ihm wenigstens vor Jahren vollständig fremd gewesen, teils in die durch den Reichtum und die Liebe seiner Verwandten verbürgte unbedingte Widerlegung einer Möglichkeit, die ich ihm doch nur beispielsweise ausgesprochen hatte. Kurz dies maßlose, fast übermütige Selbstgefühl des Mannes hinderte nicht, daß derselbe gleichzeitig in die trübe Vorstellung versunken war, mit seinem Reichtum könnte es zu Ende gehen, ja er sei schon nahe daran, nichts mehr zu haben. In der Tat traf man ihn in denselben Anlagen um Dresden zuweilen im Begriff, Vorübergehende, einem Bettler gleich, um einige Schillinge anzusprechen.
Einen Mißton bildete in der glücklichsten Stimmung, in der ich mich befand, die Beziehung zu Heinrich Heine. Ich hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich für seine Weise keine Empfindung habe. Seine Lieder imponierten dem Studenten nicht, dem Philologen waren sie zu »loddrig« geformt; später, als sich die Komponisten des Namens bemächtigten, sah ich wohl, wie und in welchem Tone man in Deutschland das »Buch der Lieder« zu lesen angefangen hatte. Aber mir fehlten persönliche Reminiszenzen, um das fürchterliche Geschrei der Sänger, wenn sie auf die Stelle kommen: »Mich hat das unglückselige Weib vergiftet mit ihren Tränen« als Symptome einer schaudervollen Begebenheit auch für mich zu verstehen. Karthagos Untergang und noch einige andre interessante Begebenheiten der Geschichte und der Philosophie erschienen mir wichtiger als diese anbrechende neue Salonmusik mit ihrem elegischen Jammer. Ohnehin wußte ich, wie doch im Grunde alle Welt, daß die eine dieser Heine'schen »Unglückseligkeiten« die andere ablöste und dabei an eine tiefe und nachhaltige Absicht gar nicht gedacht wurde. Jedes umgeschlagene Blatt im »Buch der Lieder« brachte frivolen Trost. Wenn ich, meist von Ungebildeten, diese oder jene der ernstern Balladen mit vollen Backen deklamieren hörte, so las ich sie hernach für mich allein einfach und natürlich und fand, daß die dichterische Zutat zum gegebenen Stoff gering war. Von den parodistischen politischen Gedichten hat schon Johannes Scherr bemerkt, daß in jeder Woche das erste Gedicht des Kladderadatsch Treffenderes bringt, als der »Romanzero« oder das klägliche Buch »Deutschland«. Bei alledem hatte ich mich zum Nestling meines frühern Verlegers so verhalten, daß sogar ab und zu Briefe zwischen uns gewechselt werden konnten und ich Heine gut und gern hätte besuchen können. Aber 1837 war Ludwig Börne gestorben. Ich hatte Materialien zu einer Schilderung seines Lebens gesammelt, seine Biographie, das Manuskript schon Campe übergeben. Da schickte Heine das Manuskript seines Buches: »Heine über Börne«, eine Schmähschrift wimmelnd von Persönlichkeiten, Anspielungen auf Menschen, die niemanden interessierten, Anspielungen, die nur diesen oder jenen, der ihn vielleicht nicht gegrüßt oder von, ihm nicht mit der gehörigen Bewunderung gesprochen hatte, lächerlich machten, ihn mit einer leeren Eau-de-Cologne-Flasche oder mit einem Nachttopf' oder sonst Ähnlichem verglichen. Jeder Deutsche, der nach Paris kam, ohne bei Heine eine Visitenkarte abgegeben zu haben, war ihm sofort ein Stoff, zu fragen, ob der Mensch schiele, hinke, stottere, schlecht französisch spreche u.s.w. Darauf stützte sich sein Witz. Wie albern war z. B. die ewige Wiederholung »der Häßlichkeit« des braven Maßmann, der sich seit Jahren nicht mehr in den Vordergrund gedrängt, nirgends und durch nichts die Satire herausgefordert hatte! Meine an Campe gerichtete Bitte ging dahin, mein Denkmal der Erinnerung an einen bedeutenden und in trüber hoffnungsloser Zeit als Freiheitskämpfer bewährten Mann, ein Buch, das nun schon monatelang in seinem Pulte lag, früher erscheinen zu lassen, als die Beschimpfung. Sie wurde nicht gewährt. Versprach doch die letztre einen glänzenderen Gewinn. So schickte ich denn dem Manuskript meiner Biographie eine Vorrede voraus, die ich, als Probe des kommenden Buches, vorher im »Telegraphen« abdrucken ließ. Daran konnte mich Campe nicht hindern. Ich sprach meine Entrüstung über die Verunglimpfung des Toten aus. Später entschuldigte Campe sein Verfahren dadurch, daß plötzlich eine neue Ausgabe der Börne'schen Schriften bei Brodhag in Stuttgart erschienen sei, eine Umgehung der Anwartschaft, die er selbst, der frühere Verleger, auf die neue, inzwischen notwendig gewordene Ausgabe zu besitzen glaubte. Die in Paris wohnenden Freunde und Erben Börnes hatten allerdings diese Änderung beliebt. Aber in der durchaus irrtümlichen Voraussetzung, daß meine Hand dabei im Spiele gewesen sei, ließ Campe einen jener Fälle eintreten, die den preßkundigen Juristen Dambach in Berlin in seinen »Erläuterungen zum Urheberrecht« des nähern beschäftigen könnten. Der Verleger erklärte: »Ich bezahle das Manuskript, drucke es aber nicht! Wer will mich dazu zwingen?«
Inzwischen war meine Schrift nach Jahr und Tag denn doch erschienen und nichts hätte im Wege gestanden, einer Regung zur Versöhnung entgegenzukommen, die Heine bewogen hatte, mir einen Boten zu senden mit der Erklärung, er wollte mir zu Ehren ein Mahl geben, zu welchem er »die ganze hervorragende französische Literatur« einladen würde; ich sollte ihn natürlich zuerst besuchen. Der Überbringer dieser Nachricht lebt noch und kann sie bestätigen. Ich wußte, daß es sich nur um ein Kapitel in meinem Buche handelte, »Besuch bei Heine«. Ich war bei Ministern und den hervorragendsten Namen gewesen; die »deutsche Kolonie«, die deutschen Flüchtlinge waren mir befreundet; schöne Stunden wurden in gemütlichen Kreisen gefeiert; Heine wollte nicht davon ausgeschlossen sein. Gern hätte ich einem solchen Entgegenkommen gegenüber nachgegeben. Aber die Rücksicht auf die in Paris wohnenden Freunde Börnes, welche Heine in solchem Grade beschimpft hatte, daß sogar ein Duell deshalb notwendig hatte erscheinen können, der Schmerz, den ich vorzugsweise der treuen Freundin und Pflegerin Börnes, der gegen mich höchst gütig gewesenen Frau Strauß, würde angetan haben, mußten mich, ich konnte nicht anders, bestimmen, der Aufforderung keine Folge zu geben. Da wurde denn mein im Herbst erschienener Bericht sowohl in Paris, wie von Paris aus, in jeder Weise zur Mißachtung empfohlen. Das übrige taten die deutschen Söldlinge der französischen Ziviliste, zu denen ebenfalls Heine gehörte.