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Als Blasedow die Schrecken der ersten Träume überwunden hatte, und in die zweiten kam, die, ungleich der zweiten Periode der Geburtswehen, leichter sind, als die ersten, und auflösen und dem Schlafgott volle Gewalt lassen, wenn sie auch gerundeter und deutlicher sind, hatte er sich in eine so lange Traumreihe verwickelt, daß er bis zum hellen Morgen schlief. Und noch war nicht einmal der fünfte Akt seiner Träume in eine allgemeine Schlußgruppe aufgelöst, als er schon von einem lauten Rufen an die Fenster seines Zimmers hinauf geweckt wurde. Indem er aufwachte, war sein erster Gedanke: Alboin, und sein zweiter: die Satire; er hatte aber nicht Zeit, über die Art, wie er den Unterricht seines letzten Sohnes anknüpfen sollte, in Verlegenheit zu kommen: denn man rief ihm noch einmal. Als er, aufgesprungen, Herrn Ritter hinter den herabgelassenen grauen Vorhängen (weiße gab ihm Gertrud nicht, da sie ja doch bald grau würden!) wahrnahm und noch zwei junge Männer mit ihm, dacht' er, die Satire böte sich ja ordentlich von selbst an, wie ein Eber, der uns gerade in's Messer läuft. »Herr Pfarrer, stören wir?« rief Herr Ritter, der wahrscheinlich unter dem Wir seine Begleiter nicht mit inbegriff, sondern nur sich selbst und Alles, was er vorstellte, in der Eile pluralisch zusammenraffte, wie Könige und Recensenten. »Keineswegs!« sagte Blasedow durch das halbgeöffnete Fenster und rieth den Herren, einstweilen auf dem grünen Rasen vor dem Hause zu spazieren oder in den Garten zu gehen, bis er selber käme – »und Alboin,« fügte er heimlich hinzu. Diesem rief er die Stiege hinunter, zog sich schnell an und eilte dann, sich über den Besuch der Herren zu freuen, wenigstens so es ihnen zu sagen.
»Diese beiden jungen Studenten,« sagte Herr Ritter, als Blasedow mit Alboin im Garten war, wohin sich die Ankommenden verfügt hatten, »besuchten mich, weil ich eine Abhandlung geschrieben habe über die metaphysischen Anspielungen in der Walpurgisnacht des Göthe'schen Faust. Es sind strebende junge Talente, die sich wahrscheinlich vor dem deutschen Publikum einst noch geltend machen werden und alle Zeichen tragen, daß sie es verdienen.«
»Es sind vielleicht zwei junge Schriftsteller,« bemerkte Blasedow künstlich erschreckend, »welche mich in ihren Heine'schen Reisebildern wollen als Folie ihres Witzes auftreten lassen?«
»Keineswegs,« verbesserte Herr Ritter, »über Heine und seinen Anhang sind die jetzigen Bestrebungen auf den deutschen Universitäten bereits wieder hinaus. Die Zeit geht rasch. Das Neueste ist den nach uns Kommenden schon nicht mehr neu genug. Diese jungen Männer, Herr Schmeißer und Herr Püsser, sind mit mir heilig davon überzeugt, daß wir für die meisten Resultate, die unsre Zeit zu haben glaubt, die Begründungen noch einmal prüfen müssen, und seyen Sie versichert, Herr Pfarrer, wir haben noch ein großes Feld vor uns, ein Feld, das nur zum Tummelplatz für Kinderspiele bisher gedient hat, und welches wir von Grund aus umackern, bepflügen, besäen und beernten werden.«
Blasedow bereute, daß er sich nicht hatte verleugnen lassen. Er hoffte erst, wenn keine Belehrung, doch Satire von den unklaren dialektischen Gährungen des Herrn Ritter als einen Schaum abzuschöpfen, der sich an der Sonne des Witzes recht bunt und kaleidoskopisch ausnehmen würde; allein, dachte er jetzt, wiewohl zu spät, dieser moderne Galimathias regt nicht einmal die Lachmuskeln auf, wie es, wenn man neu gebornen Kindern am Munde kitzelt, kein Lachen ist, in das sich die Lippen verziehen, sondern Krampf. Man hört nur eine wilde Jagd von Redensarten an sich vorübersausen, Gerippe verfaulter Ideen von ehemals, Embryone von jetzt, die aus dem Mutterleibe zu früh geschnitten sind, eine gräßliche Freischützenscene, wo man, wenn Samiel die gesunde Vernunft vorstellen könnte, gern ausrufen möchte: »Samiel, hilf, nämlich mir und ihnen!«
Inzwischen waren die beiden jungen Studenten, Schmeißer und Püsser, zu Anfang ehrerbietig und nicht ohne Unschuld. Sie dankten artig, wenn ihnen etwas geboten wurde (und Gertrud bot Alles, was sie hatte und sich so in der Frühe schickte!). Sie konnten ihre Jugend nicht mit Füßen treten und mußten noch zuweilen darüber stolpern, was erwachsenen Knaben so schön steht! Je mehr sie sich aber mit Hülfe Ritter's in ihren modernen Ideenjargon verkauderwälscht hatten, je mehr sie die Fährte der Universität rochen und unter die Luftpumpen der Facultäten geriethen, desto mehr gebärdeten sie sich mit wunderlich-ängstlichen Manieren und kamen in eine apostolische Pfingstsprache hinein, die wenigstens Blasedow nicht mehr verstehen konnte. Die Entfernung eines Katheders vom andern waren ihnen die Meridiane der Welt. Die Wissenschaften der Jahrhunderte waren ihnen in Gestalt einiger wenigen Professoren verkörpert; sie schwuren dabei jedoch auf Niemanden, sondern hatten an jedem ein Fehl bemerkt, eine Lücke, die sie auszufüllen dachten.
»Wir gehen,« sagte Ritter ganz keck, »einer Zeit entgegen« –
Hier stockte er, weil, wie Blasedow bemerkte, er sich schämte zu sagen: »wo wir junge Männer an die Stelle der ausgestorbenen alten treten werden.« Blasedow forderte ihn auf, dies ganz dreist einzuräumen, und Schmeißer räumte es ein, wobei Püsser die Augen niederschlug und Ritter anbetete: denn Ritter, so stolz er war, hielt viel von den beiden jungen Männern, und dies schon deßhalb, weil sie selbst von sich so viel hielten und, indem sie sprachen, weder grammatikalische Fehler machten, noch sich in Anakoluthien verwickelten. Die Zukunft floß den beiden Studenten glatt von der Zunge. Sie waren um so gewisser in ihren Hoffnungen, als sie in sich den Speculanten in der Philosophie mit dem Dichter vereinigten.
Es kam die Rede auf einen Lehrer der Geschichte, dessen Ruhm und auch die Bücher, die ihm denselben verschafft hatten, schon in alle lebende Sprachen, sogar in eine todte, die römische, übersetzt waren. Schmeißer schmiß Alles um. Er sagte: »Er gibt uns freilich allgemeine Gesichtspunkte und verweist uns in Betreff des Details auf die Bücher; allein seine Gesichtspunkte haben keine innere Nothwendigkeit. Sie sind ein Aggregat von dürren Lebenserfahrungen, wie Püsser einmal so schön gesagt hat: nur das schiene ihm bewiesen, was er als einen dürren Ast vom Baum des Lebens brechen kann.«
Püsser blickte verschämt nieder, als ihn sein Freund Schmeißer so hochherzig, wie eine Autorität, citirt hatte. Er übernahm den Faden des Gesprächs und führte ihn so fort: »Wie dieser Lehrer in der Geschichte nichts als Unordnung sieht, so hat ein anderer, der uns die Philosophie vorträgt, dafür einen Begriff von Ordnung, der bis an's Mathematische streift. Es paßt die ganze Fülle von Erfahrungen bei ihm in eine einmal fertige Form hinein, so daß Schmeißer einmal sehr witzig gesagt hat, dieser Mann scheine ihm ein weit größerer Gelbgießer, als Philosoph zu seyn.«
»Ganz vortrefflich,–« sagte Ritter; »und unterscheiden Sie dabei nur, daß seine Gußform ein bloß äußerlicher Schematismus ist. Seine Kategorien haben keine innere Nothwendigkeit: wie auch Einer von Ihnen Beiden vorhin schon so treffend bemerkt hat, es gäbe zwei Nothwendigkeiten, ein Muß und ein Soll. Das Soll ist das unmächtige Muß, möcht' ich hinzufügen. Das Soll ist ein beliebiges Muß, während das Muß immer das nothwendige Soll.«
»Wissen Sie wohl, Schmeißer,« bemerkte Püsser, »daß Sie« (die jungen Leute hatten so viel Hochachtung vor einander, daß sie sich nicht einmal dutzten) »bei irgend einer Gelegenheit den Gegensatz zwischen Sollen und Müssen anders und zwar unendlich tief gefaßt haben?«
»Ach, Sie meinen in Leipzig, als wir nach Gohlis gingen?« bemerkte Schmeißer.
»Ja, Sie hatten damals geäußert: das Sterbenmüssen wäre die Nothwendigkeit der Natur, und das Sterbensollen die Nothwendigkeit der Freiheit.«
»Kann seyn,« entgegnete Schmeißer. Ritter aber fand diesen Ausspruch so geistreich, daß er Blasedow triumphirend anblickte und ihm gleichsam sagen wollte: Das sind wir, die Kinder der neuen Zeit, des neuen Jahrhunderts! Blasedow wußte dabei nicht, wo aus noch ein; er bewunderte die Hochachtung, welche diese drei Menschen vor sich hatten, wie sicher sie ihrer künftigen Unsterblichkeit waren, und wie sie sich einander schon als Autoritäten citirten. Von der Speculation war jetzt das Gespräch auf die Poesie übergegangen, und es ergab sich, daß beide junge Männer, gleich den alten Philosophen, ebensowohl Dichter, wie Weise waren. Schmeißer sagte: »Wenn ich auch wohl geläufiger im Combiniren von Begriffen bin, so übertrifft mich doch Püsser an Dichtergaben. Er hat schon Ausgezeichnetes in diesem Betracht geleistet, wie wir denn überhaupt namentlich im Felde der Poesie einen blühenden und kräftigen Nachwuchs bei der jetzt studirenden Jugend zu erwarten haben. Bedeutende, ganz bedeutende Talente werden sich in kurzer Zeit aufgeschwungen haben. Die jetzigen Stimmführer ahnen nicht, daß die Verschwörung gegen ihre Macht ihnen schon mit spottendem Blicke gegenübersteht. Püsser hat unter Anderem einen neuen Faust geschrieben, einen Faust im Lichte unsrer Zeit, der Aufsehen macht. Einige Bruchstücke, die er mir davon vorgelesen (er ist heimlich damit), übertreffen die Auffassung, mit der selbst Göthe bei diesem bedeutenden Stoffe verfahren ist.«
Püsser blickte bei dieser Bajazzo-Lobpreisung seiner Doctorkünste mit verschämtem Stolze zu Boden, soweit nämlich die Vexiergläser in der Brille, die sowohl er, wie Schmeißer, sein Kritiker, pränumerando trug, es zu sehen zuließen. Blasedow dachte, daß ein Faust nach Göthe, noch eine Iliade nach Homer wäre, hatte aber gar nicht den Muth, einen so gescheiten Gedanken laut werden zu lassen: denn diese drei Herren hatten ihn längst in die Tasche gesteckt oder benutzten ihn gleichsam als ein leeres Glas, auf welches sie ihre Spieldosen mit den abgerichteten Zukunfts-Melodien legten, damit es einen helleren Ton gäbe. Ritter war für den neuen Faust sehr eingenommen und hätte gern davon eine Scene gehört, allein Püsser meinte, es müßte ihnen dazu einmal eine passende Stunde kommen; auch wäre eine einzelne Person, die er aus dem Zusammenhang reißen müßte, unverständlich. »Ich habe übrigens,« fuhr er denn doch fort, »die Faustsage mit dem indischen Mythus zu verbinden gesucht oder wenigstens Faust als eine Gottheits-Incarnation geboren werden lassen, damit ich nämlich nicht die Noth habe, an der Göthe scheiterte, daß Faust in die Hölle kommen soll und doch unserem Gefühle nach alle Ansprüche auf den Himmel hat. Ich lasse Faust dann wandern und es ziemlich unklar dabei, ob er nicht auch zu gleicher Zeit den ewigen Juden vorstellt. Bei Harun al Raschid geb' ich ihm eine Zeitlang die Stelle eines Hofnarren und drücke damit den in der Literaturgeschichte nicht nachweisbaren orientalischen Humor, den Humor der träumerischen Phantasie, gleichsam die Negation von Tausend und eine Nacht aus, wie wir nur den abendländischen Narren haben, nämlich den Narren bei Shakespeare, bei den Deutschen Till Eulenspiegel, den Narren des Verstandes. Faust wird Christ in Rom und muß sogleich seine weltgeschichtliche Bedeutung in den Kämpfen der Ghibellinen und Guelfen fortsetzen, Kämpfen jedoch, die ich in einem solchen Helldunkel lasse, daß sie auch das Nibelungenlied mit in sich aufnehmen und Faust wieder als Hagen erscheinen lassen, während Siegfried die noch nicht zum Durchbruch gekommene Natürlichkeit und Unbefangenheit des Gemüths ausdrückt. Hierauf entwickelt sich die Reformation, und erst mit ihr nimmt die Wirksamkeit Mephisto's auf Faust zu. Mephisto lass' ich in verschiedenen Metamorphosen dem von seinem Leben und Wissen jetzt erst wahrhaft müden Denker gegenübertreten. Der Teufel naht sich ihm erstens als Guttenberg. Sie erfinden zusammen die Buchdruckerkunst. Dann als Berthold Schwarz. Sie erfinden zusammen das Pulver. Endlich als Luther. Sie stiften zusammen die Reformation. Ich kenne die Anfeindung, welche diese Combination finden wird; allein ich weiß, wer Faust ist, ich weiß, wer Luther ist; die Gegensätze des abstrakten Verstandes erzeugen nur den Witz, keine Poesie. Die Gegensätze, nach welchen meine Dichtung strebt, sind organische, sind Vernunft-Gegensätze, sind solche, die ohne die Negation nicht gedacht werden können. Jetzt zeigt sich Mephistopheles immer mehr in seinem wahren Lichte. Es ist der kalte, nüchterne und hohnsprechende Verstand, der Faust auf den Fersen sitzt. Faust flieht vor ihm und weiß kein anderes Rettungsmittel, als daß er sich in den Strudel der Sinnlichkeit wirft. Diese Sinnlichkeit macht ihn zum Don Juan; doch ist er nicht jener gedankenlose, leichtsinnige und bloß mit einer trivialen Moral aufgefaßte Don Juan der Oper, sondern, dem Byron'schen sich annähernd, ein Spiritualist in der Sinnlichkeit, der, statt durch die Sinnlichkeit in die Hände Satans sich hineinzuspielen, durch sie gerade aus ihnen sich herausbringt. Faust, als Don Juan, bahnt sich den Uebergang zu seiner letzten Metamorphose, nämlich der, daß er Dichter wird und sich selbst dichtet. Er überwindet sich und die Welt und steigt als entfesselter Gott wieder zu seinen Höhen empor, von welchen er herabgekommen ist.«
Selbst Blasedow konnte nicht umhin, dieser verworrenen Inhaltsanzeige wenigstens das Lob einer Consequenz zu ertheilen, die Polonius selbst in dem Wahnsinne Hamlets entdeckt hatte. Die beiden Andern, Schmeißer und Ritter, sprachen so vergnügt von diesem Riesengedichte, als hätten sie selber Theil daran, wie es denn ein schöner Zug an allen Dreien war, daß sie sich untereinander nicht beneideten, sondern weislich lobpriesen. Jeder war gleichsam eine kleine Handausgabe des Andern, wenigstens ein Register, das er neben dem Folianten seiner eigenen Ideen noch recht gut in der Tasche tragen konnte. Wer sich selbst vergaß, brauchte sich nur im Andern aufzuschlagen: dann hatt' er's gleich, was für ein großer Mann er war oder werden mußte. Püsser wußte alle Gedichte Schmeißers auswendig; und, wenn dieser den Muth verlor, was jedoch selten der Fall war, so hielt ihm jener das Gesammtbild seiner Erscheinung objectiv mit ganz fertigen Conturen vor: denn sie hatten sich Beide schon längst in ihrem Charakter, in ihren Wünschen und Bestrebungen abgeschlossen. Sie pflegten sehr oft in ihrer ersten Natur und in dem, was ihnen schon zur zweiten geworden wäre, zu kramen und schlossen den Widerspruch gegen ihre Verschanzungen und Lebenslaufgräben mit dem kurzen und spitzen Fallgitter ab: So bin ich einmal!
Blasedow litt erst bei diesem Wetter, wo der Barometer doch immer nur dieselbe Temperatur anzeigte, mehr, als wenn er gefallen und gestiegen wäre, wie schädlich dies Letztere sonst auch Rheumatikern zu seyn pflegt. Doch später verwandelte sich ihm der Schmerz über die Altklugheit unsrer Jugend in eitel Vergnügen, um so mehr, da Alboin zugegen war, von dem er erwartete, daß er Stoffe für die Satire bald zu unterscheiden wüßte. Denn die drei jungen Männer fingen allmählich an, sich in Cirkeln zu bewegen und auf die weisen Aussprüche wieder zurückzukommen, welche sie schon einmal zu fällen die Herablassung gehabt hatten. Blasedow dachte an Asmus omnia secum portans und – holte ordentlich Athem, als er sah, daß die jungen Unsterblichkeits-Candidaten den ihren verloren hatten. Er berührte sogar hin und wieder eine Frage, auf welche er hören mußte, daß darüber ihr Urtheil noch nicht abgeschlossen wäre. Als Blasedow wenigstens nach den Bausteinen fragte und den Grundriß sehen wollte, wiesen sie jede Antwort zurück und erklärten, es gäbe in unserer Zeit viele Dinge, die noch kein Urtheil zuließen. Sie meinten dies aber, wie Ritter ergänzte, ganz objectiv, da urtheilen nur so viel wäre, als die Dinge in ihre Ur-Theile, in ihre ursprünglichen Theile auflösen, d. h. man – könne nur über Ganzes und Fertiges Urtheile fällen, und jene Erscheinungen, an die Blasedow in der neuern Philosophie und Poesie erinnerte, wären alle nur halb und unvollendet. Kurz, in dieser Art tanzten die drei Unsterblichen vor Blasedow ihren pas de trois, indem sie nicht aus ihren Fugen wichen, niemals einen falschen Tritt versuchten, nie sich verwickelten, sondern immer da blieben, wo sie wußten, daß sie groß, fertig und »bedeutend« waren. Auch ihre Sprache hatte nichts von der jugendlichen Hast, die ein Ziel vor Augen hat, es im Nu erreichen will und sich in einen Wirrwarr von Anakoluthien verwickelt. Sie trugen das, was sie sprechen wollten, gleichsam vor und recitirten es. Alles dieses beschäftigte die Aufmerksamkeit Blasedow's, aber noch mehr zwei Federmesser, die Püsser und Schmeißer in Händen hielten und damit erst ganz leicht balancirten. Es fiel Blasedow auf, daß sie Beide zu gleicher Zeit den Gedanken hatten, mit Solinger Federmesser-Stahlklingen (mit denen sie auf Hieb und Stoß wahrscheinlich besser fochten, als mit krummen Säben) zu fechten und gleichsam ihren Reden selbst zu secundiren. Allmählich ermüdete den jungen Männern der Arm von dem Waffenspiel, und sie legten ihn mit Vorbedacht auf den Tisch, der ein ganz schlechter war und im Garten Wind und Wetter trotzen mußte. Wie in Gedanken versunken, senkten Beide ihre scharfen Instrumente, diese Schnepper, mit welchen sie dem Zeitgeist zur Ader lassen wollten, in das faule Holz des Tisches und schnitten nach Studentenart, dachte Blasedow erst, und aus Zerstreuung irgend ein Symbol hinein. Galeerensklaven, Wilde und Studenten haben eine Aehnlichkeit, dachte immer noch der Herr des Tisches; die Ersten tättowiren gern ihre Haut, die Letzten die Pulte, die nicht einmal ihnen gehören. Plötzlich aber verbesserten sich Püsser und Schmeißer, zogen ihre Messer zurück, klappten sie zu und steckten sie ein. Ritter aber, der schon während des xylographischen Versuches Blasedow leise zugewinkt hatte, die beiden Künstler nicht zu stören, brach jetzt in einen lauten Glückwunsch an Blasedow aus, indem er sagte: »Ein Stammbuchblatt für Sie, Herr Pfarrer!« Blasedow, recht unwirsch darüber, brummte: »Wenn das seine Frau sähe!« Allein Ritter pries ihn glücklich: denn die beiden jungen Männer machten Alles berühmt, womit sie sich abgäben, und diese Anfangsbuchstaben zweier so viel versprechender Namen würden, wenn er sie einst auch nur als Facsimile lithographiren ließe, ihm ein schönes Geld einbringen. Blasedow schlug ein helles Gelächter auf, was sonst seine Natur gar nicht war, und bat dann die jungen Männer mit spöttischer Miene, ihm doch lieber alle seine Möbel mit Erinnerungs-Einschnitten zu versehen, weil er auf diese Weise seinen alten Hausrath je am versprechendsten würde in die Versteigerung bringen können. Indeß fühlten sich die jungen Leute von dem Spotte nicht getroffen, sondern blickten mit Genugthuung, indem sie Abschied nahmen, auf einen Ort, von dem es dermaleinst heißen konnte, daß sie dort gesessen, gegessen und getrunken hätten! Sie blickten mit Rührung auf die xylographische Verewigung ihres kurzen Aufenthaltes in Kleinbethlehem und schritten dann mit Herrn Ritter zum Garten hinaus der Zukunft und der Unsterblichkeit entgegen.
Blasedow schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und selbst Alboin lachte, als sie allein waren. »Warum lachst du?« frug der Vater.
»Ei,« sagte Alboin, »der Eine hat sein Sacktuch vergessen.«
Also noch eine Reliquie! mußte sich Blasedow gestehen. Er ließ Alboin das Tuch unter dem Tisch aufgreifen und fand ein gesticktes P darin und die Zahl 6. Also sechs Sacktücher im Ganzen, dachte Blasedow, und doch opfert er eines davon der Erinnerung? Aus Liebe zum Ruhm putzt sich der junge Mann nicht einmal die Nase! Inzwischen fing sich in Alboin der Mutterwitz an zu regen und gab sich in kindischen Ausstellungen an dem Besuche zu erkennen. Blasedow fand, daß Alboin's Maßstab, da er der Jüngste war, die Verzärtelung und die mütterliche Medisance war; allein er dachte, irgendwo muß die Lust am Widerspruch anfangen. Die größten Komiker auf der Bühne sind im Leben unumgänglich. Die Laune vor den Coulissen ist nur die momentane Erstickung der Launen hinter ihnen. Die meisten satirischen Schriftsteller hatten Eigenheiten, die keine Verträglichkeit mit ihnen zuließen. Wer war eigensinniger als Voltaire, und wer verwundete heftiger? Gute Menschen können keine Satiriker seyn, da ein Satiriker gar nicht in den Zug kommt, wenn er nicht Alles tadelt.
Blasedow grübelte, wie er seinen Sohn, ohne daß er verdärbe, doch hinlänglich schlecht werden lassen konnte, um einen guten Spötter aus ihm zu machen. »Die Aufgabe ist ungeheuer,« sagte er sich, ja, er gestand sich sogar, daß er Andern nichts davon gestehen durfte. »Ein Humorist will nichts heißen,« fuhr er fort. »Wer immer vom Teufel nur die Maske vornimmt und selbst im Spotte zeigen will, was für ein reiner Engel er ist, wer die Insekten nicht mit spitzer Nadel aufsteckt und nicht ausharren kann, bis sie sich verzappelt haben, wer immer wieder auf jede Verletzung und Verwundung, die er sich aus Muthwillen erlaubt, wieder sein gutes Herz, wie ein ganzes Füllhorn von Blumen, ausschüttet und jeden Backenstreich durch hundert Küsse wieder abbittet: das ist kein Satiriker, das ist ein Humorist. Alboin aber soll ein Satiriker werden. Er soll die Menschen durch seine lose Zunge nicht unterhalten, sondern sie beunruhigen. Jede Thorheit eines guten, jede Bosheit eines schlechten Herzens soll in ihm ihre unversöhnliche Rüge und ihren Pranger finden. Sein Symbol muß nicht die Biene seyn, die zwar sticht, aber auch Honig gibt, sondern der Skorpion. Keine der Wunden, die er schlägt, darf heilbar seyn, es sey denn, daß man ihn selbst ergriffe, zerstampfte und auf die wunde Stelle einriebe. Selbst, wenn man ihn auf den Rost bringt und mit glühenden Kohlen peinigt, darf er nicht nachgeben, sondern er muß, gerade wie der Skorpion auch, nur mit seinem eigenen Stachel sich selber tödten. Die Aufgabe, die ich mit Alboin zu lösen habe, streift an Versündigung; allein folg' ich nicht der Natur meiner Kinder? Geb' ich nicht Jedem das, was er will und was er vertragen kann?«
Blasedow war Kenner des menschlichen Gemüths genug, um zu wissen, daß die Satire und der Witz überhaupt nicht die Blume ist, die von der grünen Pflanze des Geistes gen Himmel strebt, sondern das graue vertrocknete Samenkorn, welches aus der Blume befruchtend zur Erde fällt. Er wußte, daß nur Phantasie dazu gehörte, das eroberte Jerusalem zu dichten, allein Spleen und Humor dazu, das verlorne Paradies darauf folgen zu lassen; daß die Satire keine Mitgift der Natur ist, sondern eine Reaction der Nothwendigkeit gegen die Freiheit, das Product der Erfahrung und Verneinung. Dann müßt' ich aber lange warten, gestand er sich, bis Alboin seine Geißel über die Thorheiten und Gebrechen des Jahrhunderts schwingt! Erst den ganzen medicinischen Cursus durchmachen, die Pathologie der kranken und die Materia medica der gesunden Vernunft, bis er wagen darf, dem rheumatischen Leiden der Zeit eine satirische Fontanelle zu setzen, das ist lange! Blasedow fühlte wohl, daß er seinen jüngsten Sohn nicht in gerader Richtung zum gewünschten Ziele bringen konnte, sondern sich begnügen müsse, in ihm die Prädisposition zur künftigen Verhöhnung des Schlechten und Lächerlichen zu wecken. Er schlug dazu eine Methode ein, die von seiner Kenntniß des Menschen ein schönes Zeugniß ablegte.
Sein Grundsatz wurde der, in seinem Jungen früh den Zwiespalt der menschlichen Natur und den Widerspruch der gegenseitigen Verhältnisse, in welchen wir leben, zur Klarheit zu bringen. Er wußte recht gut, daß aus einem zufriedenen Gemüth nichts Beißendes kommt, und daß die Wanzen, wenn sie hungern, am empfindlichsten stechen. Blasedow lockerte die Knospenseele des Knaben und sein noch ganz mit grünen Blättern bedecktes Selbstbewußtseyn früh auf und trieb ihn aus jeder Einseitigkeit heraus, in welcher die organische Natur sich nur zu entwickeln pflegt. Er versuchte mit seinem Zögling im Geistigen Alles, was Aerzte im Körperlichen so gern mit Menschen versuchen würden, wenn sie nur Jemanden dazu fänden, der es litte, trotz der besten Bezahlung, Arsenik z. B. zu schlucken und gleich ein Gegengift hinterher, eine ansteckende Materie sich in offne Wunden zu streichen und für die Vermehrung der Wissenschaften seine Lebenszeit zu vermindern oder für acht Groschen Trinkgeld einigemal am Rande des Abgrundes herumzuklettern. Die Aerzte, dachte Blasedow ohnehin öfters, sollten sich gegen die bei Mördern und Brandstiftern immer noch übliche Todesstrafe erklären oder wenigstens das Henkeramt an sich zu bringen suchen. Was könnten sie nicht leisten und entdecken, wenn ihnen die Verurtheilten zu physiologischen und Medicinal-Experimenten überlassen würden, etwa zur Scalpirung einzelner Theile an ihrem Körper, um zu sehen, wie die Muskeln bei Lebenden sich bewegen? Würde nicht jeder Todtschläger Gott danken, wenn ihm statt der Knochen, die beim Rädern zerschlagen werden, bloß die Adern geöffnet würden, und er durch Unterbinden derselben gerettet werden könnte, wenn er nur tapfer die Zähne zusammenknirschte, wie jener englische Matrose, der sich diesem Versuch aussetzte und dafür nichts haben wollte, als bloß Durst und dann mehrere Quart Spiritus? Und wie viel Kräuter sind nicht da, von denen man bis jetzt nur weiß, daß sie Hunden und Katzen giftig sind, aber dem Menschen vielleicht gar nicht, wenn es nur Einer probiren wollte! Blasedow's Moral war fest genug, um sich in geistigen Dingen Experimente dieser Art zu erlauben, bei seinem Sohne wenigstens, dem er eine Zukunft dafür geben wollte. Er zog ihm methodisch das Fell wenigstens seiner Phantasie über die Ohren, ließ ihn manches verbotene Gift kosten und mehr wissen, als für des Knaben Alter passend war. Er tauchte ihn bald in siedendes, bald in Eiswasser, um ihm jenen Indifferentismus zu geben, jene kalte Gleichgültigkeit, welche der Rückhalt aller Satire seyn muß. Er setzte Preise aus auf die beste Lüge, die Alboin vorbringen würde, wenn auch die Wahrheit, wie z. B. genaschte Kirschen, auf seinen Lippen sichtbar war. Er wurde bevorzugt und zurückgesetzt, geschlagen und geliebkost, je nach dem Stadium, in welchem sich die Dressur des Vaters befand. Verleumdung hörte er am liebsten aus dem Munde des Jungen. Seine beklagenswerthe Erziehungstheorie sagte ihm: Je mehr der Junge fühlt, was dazu dient, Andre in ein falsches Licht zu stellen, desto mehr wird er einst lernen, der Welt und ihrem Treiben das Wahre aufzustecken. Alboin, unter diesen Umständen der Abscheu des Dorfes und der ewige Hirsch der mütterlichen Parforcejagd mit knallender Peitsche, fand bei Blasedow immer gute Aufnahme, Mitleid für Verfolgung, Entschuldigung für Anklage, Nüsse und Aepfel für verdiente Prügel.
Blasedow schauderte oft, wenn er den Abgrund sah, in welchen Alboin hineingeführt wurde! Allein der Gedanke, hier einen Taugenichts in den Eingang des Posilipp eingehen und dort am Ausgange einen Satiriker herauskommen zu sehen, gab ihm Muth, eine Erziehung durchzuführen, welche bis zum Frevel ging. Absolut schlecht, tröstete er sich, wird er auch nimmermehr! Das Gute in seinem Gemüth wird nur zurückgedrängt und einstweilen festgebunden. In Zukunft ist all' die Bosheit verraucht, und nur die Spottlust und die Menschenkenntniß übrig geblieben. Werden nicht schon diejenigen die besten Erzieher, welche in ihrer eigenen Jugend verzogen sind? Blasedow arbeitete gleichsam an einem künstlichen Satan in seinem Jungen, wie sich der Maler die Fenster verhängt, um gerade ein passendes Licht zu haben, oder am Gemälde selbst Schatten aufsetzt, die er später alle wieder wegnimmt. Ohne den Geist, der stets verneint, ist keine Satire möglich. Diesen citirte Blasedow und dachte: Besser, ich ruf' ihn, als er kommt selbst! Es war dies ein Verfahren, gerade wie man für eine Glocke die Form aufmauert und sie wieder fortnimmt, wenn der Guß gerathen ist!
Blasedow hielt Rabener für keinen Satiriker. Er nannte, wenn man die Satire einer Pastete vergleichen wollte, Swift das Füllsel derselben und Rabener nur ihre trockene, angebrannte Brodrinde. Satire ohne Witz, Spott ohne Lachen ist ein Salat, dem der Essig fehlt. Deßhalb war auch der Vater bedacht, in seinem Sohne vor allen Dingen den Sinn für das Komische und Lächerliche zu wecken. Er bot alle seine Erfindungsgabe auf, Situationen zu veranstalten, wo Alboin lachen mußte. Ja, er gestattete es wohl selbst oder that wenigstens, als bemerkt' er's nicht, wenn ihm Alboin einen Esel bohrte oder einen Zopf drehte oder wohl gar an der gepolsterten Stuhllehne ihn am Schlafrocke feststeckte. Es war die größte Behaglichkeit in ihm, wenn ihm das durchtriebene Kind einen Aerger verursachen wollte. Ihm gab Alles das Hoffnung, was sie Andern würde genommen haben. War Gertrud's Strickknäul zur Erde gefallen, so bückte sich Alboin nie, es zu holen, verwickelte sich aber absichtlich so hinein, daß er am Strickzeug alle Maschen und Gertrud's Augen bis zur mänadenhaften Entrüstung aufriß. Blasedow pochte bei diesen Unarten das Herz vor freudiger Bewegung. »Er wird, er wird!« Dieser Ausruf erstickte auf seinen Lippen. Wenn Alboin schrie, ohne eine Thräne zu vergießen, und Gertrud gerade welche vergoß, weil der verstockte Knabe nicht einmal mehr weinen könne, so dachte Blasedow: die Verstellung ist die Mutter des Witzes; wer immer in den Gebärden, die er macht, auch mit seinem Herzen drin ist, wird nie ein Künstler, geschweige ein Satiriker! Der Junge war dem Vater oft nicht einmal verschlagen genug. Dann brütete er mit ihm zusammen Kuckukseier aus und hieß ihn sie leise in die Nester seiner Brüder fallen lassen. Er zeigte ihm, wo die besten Pfirsiche standen und im Herbst die besten Weintrauben, und hob ihn selbst auf die Mauer, um in fremde Gärten zu springen. Dann aber lief er fort und kam mit den Besitzern des Gartens wieder, um den Dieb gefangen zu nehmen, so daß Alboin an der Beurtheilung menschlicher Verhältnisse ganz irre werden mußte, wenn er in seinem Vater erst den Genossen und dann den Richter seiner schlechten Streiche sah. Wenn unter diesen Umständen nicht ein Kind aus seiner Innerlichkeit herausgerückt wird, dann müßt' es nur eine Schlafmütze seyn, und das war Alboin nicht.
Nach diesen Vorstudien der künftigen satirischen Laufbahn stieg der Erzieher eine Stufe höher. Der Sinn für das Lächerliche war bereits ausgebildet genug: es kam nun darauf an, in dem angehenden Swift auch das cholerische Temperament zu entwickeln und ihm einen Zorn und Ingrimm gegen die Menschheit im Allgemeinen künstlich beizubringen. Blasedow schloß bereits oben sehr richtig, daß nur derjenige ein guter Spötter seyn könne, der selbst Blößen genug dafür darbiete, und führte dies so weiter: Je mehr er leidet, desto mehr rächt er sich; so wie ihm der Spott selbst geschmeckt hat, so brockt er ihn später auch Andern ein. Zu diesem Ende fing er, wenn er früher eine inflammatorische, anreizende, sthenische Methode gebraucht hatte, jetzt eine asthenische und deprimirende an. Er untergrub plötzlich den Uebermuth seines Jungen, ohne ihm jedoch das gewohnte Asyl zu entziehen, wenn er irgendwo die Flucht ergreifen mußte. Er kam ihm nie mehr zur Hülfe und tröstete ihn auch nur mit einem Spotte, der früh die Gesinnung des Knaben erbitterte. Widerfuhr ihm etwas (und es widerfuhr ihm genug, da er Wenige in Ruhe ließ), so knüpfte Blasedow daran allgemeine Betrachtungen über Weltlauf und Menschenschicksal an. Alboin sammelte so viel Galle, daß Gertrud Tobianus zu Rathe zog, indem dieser sich mit einer ländlichen Apotheke und hinreichenden Dispensationskenntnissen versehen hatte, eine Folge des guten Cursus in der Pastoraltheologie, den er in Halle gehört. Blasedow war mit den depurativen Mitteln, welche ihm die beiden Aerzte verordneten, sehr zufrieden: denn er wußte, wie empfindlich und reizbar Leidende werden, wie lieblos sie die Ursachen ihrer Krankheit in Andern suchen, und wie geeignet das Krankenbett der Kinder ist, um sie früh an ihrem Alter vorangeschrittene Reflexionen zu gewöhnen. Blasedow trieb diese asthenische Methode bis auf's Aeußerste. Nachdem Alboin einige Jahre alle nur mögliche Freiheit und Zügellosigkeit genossen hatte, demüthigte er ihn zuletzt und machte ihn zum Gespött der Welt. Eines Tages klebte er sich aus alten Zeitungen (was Tobianus sehr übel nahm, da er sie zu sammeln pflegte) einen förmlichen Harnisch zusammen, ein Costume, wie es etwa die Pest- und Cholerawärter aus Wachstaffet zu tragen pflegen. Einen ganzen Jahrgang der Sayn-Sayn'schen Landeszeitung (sie erschien jedoch nur wöchentlich einmal und brachte alle Nachrichten erst in dem Moment, wo sie sicher bestätigt waren) verbrauchte er dazu. In diesem Aufzuge sollte Alboin hinfort nur noch gesehen werden. Blasedow hatte die Adler-Vignette der Landeszeitung so angebracht, daß die papierne Spottgarderobe wie ein Lakaienanzug aussah, wie ja auch die königlich preußische Staats-Uniform der Hofbedienung ganz mit weißseidenen Adlern durchwirkt ist. Gertrud wollte sich das Haar zerraufen, als sie sah, welchen Hanswurst Blasedow aus dem Jungen machte; aber dieser sagte: »Rousseau hätt' in seinem Leben nicht sein bei aller Weichheit zuweilen sehr herbes Wesen bekommen, wenn er nicht einmal in einer Bedientenlivree gesteckt hätte; auch Voltaire wäre bei Friedrich dem Großen Kammerdiener gewesen!« Alboin sträubte sich anfangs gegen den Scherz nicht; da er aber zuletzt die Zeitungstracht immer trug und immer dieselben politischen Nachrichten auf seinem Rücken gelesen werden konnten, so fingen die Leute im Dorfe bald an, seinen Aufzug lächerlich zu finden und es auch zu sagen. Blasedow bemerkte mit Freuden, daß, je mehr Alboin verspottet wurde, er desto mehr sich absonderte und innerlich ergrimmte. Könnt' ich nur einen Juden aus ihm machen, dachte Blasedow, oder wüßt' ich seine Eltern an den Galgen zu bringen oder mich wenigstens in einen Abdecker zu verwandeln, so würde der gesellschaftliche Paria schon Witz und Bitterkeit genug in sich sammeln. Blasedow wäre dessen fähig gewesen, etwas zu stehlen oder sich wenigstens für einen Todtschläger auszugeben, um Alboin recht jene Verachtung zuzuziehen, den heißen Sandboden, aus welchem die spitzen Dornen und Disteln der Satire wachsen. Glücklicherweise, als Alboin's Harnisch eines Tages von einem heftigen Gewittergang aufgeweicht war, und ihm Frankreich, England, Italien, alle stehende Rubriken der Landeszeitung nach und nach in Fetzen vom Leibe fielen, kam er auf den Gedanken, seinem Jungen eine körperliche Auszeichnung zu geben. Er dachte an Aesop's Buckel, dessen scharfe Fabeln: und, gleichsam als würde der Witz schon folgen, wenn nur der Buckel erst da wäre, so schnallte er ihm unter dem Hemde ein künstliches Polster an und band ihm die Hände so, daß er nicht versuchen konnte, es abzunehmen. Gertrud wollte Gewalt gebrauchen; aber Blasedow erhob sich riesengroß und ergriff sechs Teller auf einmal, indem er mit fürchterlichem Blicke sagte: »Entweder dein Gesundheitsgeschirr oder mein Wille!« Gertrud entschied sich für die Partie, welche ihr die wohlfeilste schien, und Alboin mußte ein Jahr lang als Aesop im Dorfe figuriren. Blasedow schützte bei Leuten, die sich über den gepolsterten Rücken verwunderten, eine orthopädische Anordnung und einige Drüsen im Rücken vor; er erklärte das Kissen für ein Kräuterkissen. Alboin mit seinem stolzen Namen war eine Carricatur geworden. Man lachte ihn aus, wo er sich sehen ließ. Nur Blasedow nahm ihn, wenn er weinte, zu sich auf's Zimmer und auf den Schoß und lehrte ihn, wie die Menschen noch weit größere Gebrechen hätten, als er. Er führte ihn in das Gewirr der Leidenschaften ein, aus welchen sich die Charaktere zusammensetzen, er zeigte ihm die Galläpfelabnormitäten, die sich selbst auf grünen Waldesblättern bilden. Ja, er ging so weit, seinen jüngsten Sohn über alle übrige zu erheben und mit ihm gemeinschaftlich über die Bestrebungen derselben zu spotten. Er sagte zu ihm: »Was malt Oscar? Schlachten, wo die Hauptsache, der Kanonendonner, nicht gemalt werden kann. Was ist Theobald? Ein Volksdichter, der keine Noten singen kann. Und was selbst Amandus mit seinem Thone jetzt und Marmor künftig? Was ist Marmor, der Stein, denn Anderes, als nach den neuern geognostischen Entdeckungen ein Amalgam verwester Infusionsthierchen, die Ewigkeit also eine Verwesung der belvederische Apoll ein Schindanger von mikroskopischen Panzerwürmchen? Und was bist du selbst, Alboin Swift, mit all' deinem Spott und Ingrimm? Ein Affe, der sein Gegenüber im Spiegel rasiren will und sich selbst den Hals abschneiden wird.« In der That, wenn Blasedow zuweilen den Deckel von dem Topfe, worin jedes seiner Kinder seinen Bildungsproceß durchgohr, abnahm und in das Gewühl von Form- und Ziellosigkeit hineinblickte, ward es ihm oft, als hätt' er schon den Verstand verloren, und wie Viele würden sich nicht in seiner Umgebung gefunden haben, die ihm eine solche Ueberzeugung gern bestätigt hätten!