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Eilftes Kapitel.

 

Oscar, der Schlachtenmaler.

 

Blasedow'n war sein Erziehungsprincip jetzt erst klar geworden. Die Phidias-Bestimmung seines Amandus brachte ihn darauf, wie man zu einem gegebenen Durchmesser leicht Kreise und Tangenten in Menge ziehen kann. Er wollte seine Kinder nicht wie Glasbläser von sich werfen, die ihren Gebilden erst durch einen kühnen Schwung die Form geben, welche sie wollen. Sondern er sagte zu sich selbst: »Wozu haben die Eltern Schaden gelitten anders, als daß die Kinder davon klug werden?« Blasedow legte sich gleichsam auf den Erdboden, um zu lauschen, was die nächsten Jahrzehende über Europa hereinbringen werden. Er hörte lange Zeit nur ein dumpfes Gemurmel, bis ihm die Töne immer verständlicher wurden, und er ausrufen konnte: »Ich habe Licht.« Sein Erziehungsprincip ging aber von dem Laufe aus, den ihm die Geschichte in Kürze zu nehmen schien. Er verglich alle Zeitungen miteinander, die er mit Tobianus gemeinschaftlich hielt, und sagte: »Wir gehen einer großen Katastrophe entgegen. Die große Schlange, welche das Welten-Ei umringelt, wird sich bald wieder häuten. Drei Jahrhunderte von der Reformation entfernt und nichts als eine französische Revolution, die noch dazu besiegt ist?!« Blasedow rechnete auf einen großen Fehler, der sich in der Zeitenrechnung finden würde, auf ein nicht aufgehendes Facit und einen daraus entstehenden Decimalbruch der bisherigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Blasedow war kein Apokalyptiker; er dachte, der beste prophetische Bengel, der die Offenbarung Johannis erläuterte, ist der Preßbengel. Aus den Sonnenfinsternissen machte er weniger Schlüsse, als aus den Verstandesfinsternissen, die ihm in ihr letztes Viertel bereits eingetreten schienen. Der große Komet, den er im Jahre 1834 erwarten durfte, würde nach ihm weit mehr die Köpfe, als die Erde versengt haben. Alles, was er Neues entdeckte, waren ihm Kräuter und Vögel und rothe Menschen aus einem neu entdeckten Amerika. Die grüne Insel Guanahani schien ihm manchmal schon unmittelbar vor den verlangenden Augen zu schwimmen; wenigstens waren bis jetzt seine Kinder noch in ziemlich indianischer Verwilderung stehen geblieben.

Blasedow's Ansicht war die von einer großen Reaction der Natur gegen die Kunst, der Leidenschaft gegen die Klugheit, der verfehlten Praxis gegen eine altkluge Theorie. Ob die Revolution, welche er von der Kirchthurmspitze Kleinbethlehems zuweilen signalisirte, eine moralische oder bloß politische und materielle seyn würde, das getraut' er sich nicht zu bestimmen; »allein,« sagt' er, »die Mauer um unsern Kirchhof bleibt nicht ewig so niedrig, und nicht ewig werden über unsern Gräbern da unten« – er sprach nicht in der Allegorie, sondern nur beispielsweise, weil er's gerade von dem Kirchthurm gut sehen konnte – »nicht ewig werden nur Maulbeerbäume auf unserm Kirchhof stehen der Seidenwürmer wegen und bloß, um Seide zu spinnen. Nicht ewig wird dicht am Grabe die Industrie ihre Spinnmaschinen aufschlagen, ja, aus der Ruhe der Todten selbst ihr Gebein gesammelt werden, um Stiefelwichse daraus zu machen. Nicht ewig wird dieser Jahrmarkt mit seinen Marktschreiern und Possenreißern Welt und die Geschichte dazu heißen. Sondern es kommt ein Tag der Erlösung, wo sich endlich die feindseligen Elemente der Moral und der Natur, des fordernden Staates und der leisten sollenden Gemeinde, der Kirche, des Glaubens und der Wissenschaft,« – hier stockte Blasedow: denn sein Herz fing so an zu schwanken und bewegt zu werden, wie die Glocke neben ihm, an welcher so eben der Küster unten die Stränge zog, nur mit dem Unterschied, daß diese laut, sein Herz aber ganz still wurde. Es war nicht bloß Wonne, was ihm die Sprache raubte, sondern eben so viel Besorgniß, daß er sich geirrt haben konnte. Blasedow war auf die Katastrophe gefaßt, nur wußt' er nicht, ob sie sich mit wedelndem Schweife zu unsern Füßen legen würde oder wild und schnaubend heranstürmen. Ihm konnt' es jedoch gleichgültig seyn, ob sich der kommende Herbst an den Weintrauben erlaben würde, wie sie vom Stocke kommen, oder erst an dem gährenden Moste, welchen die Weinbergsherren mit ihren Füßen erst ausstampfen und durch die Kelter bringen. Er hatte die Absicht, seine Kinder auf Krieg und Frieden abzurichten, wie es von den Vögel-Virtuosen die Dompfaffen gewöhnlich auf Alles sind, ausgenommen auf geistliche Lieder.

Blasedow rechnete auf keine einzelne Periode, in welcher sich die Erziehung seiner Kinder bewähren sollte, sondern auf eine Reihefolge von Ereignissen. Er hatte, um ja recht schnell an's Ziel zu kommen und die höchste Meisterschaft zu erzielen, für Jeden nicht bloß einen Zweig, sondern ein einzelnes Blatt ausgesucht, auf dem er sein Leben lang pfeifen sollte. Nur dem Bildhauer, als einem Künstler, für welchen die Gegenwart keine rechte Voraussetzungen mehr hat, erlaubte er, allgemein und erschöpfend zu seyn. Oscar war der Aelteste und bestimmt, in den Kämpfen, die Blasedow kommen sah, sein Glück zu machen. Indem ihn sein Vater für die Schlachtenmalerei ausschließlich erziehen wollte (und dabei für die Anfangsgründe sich auf einen Lakirer in der Nähe verließ), sollte er gleichsam die Vorpostengefechte des Jahrhunderts, die kleinen Streifcorps-Affairen der Tendenzen, welche von der Landstraße abweichen, und zuletzt die großen Völkerschlachten malen, von denen allen Blasedow schon Pulver gerochen hatte. »Siegt die Sache des Volks, woran kein Zweifel,« fuhr Blasedow fort, »so wird Amandus zu thun bekommen. Während Oscar auf den blutigen Lorbeeren der Schlachtfelder, die nebenbei von ihm verewigt sind, sich ausruht, streift Amandus seine Hemdärmeln auf und backt aus Marmor die Verherrlichungen des Friedens, Bürgerstatuen und Mauerkronen auf den Häuptern verdienter Nettelbecke und Nathusins, verdienter Gotzkowski und sonstiger Patrioten, die nun nicht mehr mit Undank, sondern wenigstens mit einer Bildsäule in den großen Wal- und Ehrenhallen der Nationen bedacht werden dürften. Da aber auch dann,« schloß der besorgte Vater weiter, »noch immer die Hydra der Reaction nicht um ihren letzten aufgeschossenen Pilzkopf gebracht seyn wird, sondern die Herakliden des neuen Jahrhunderts immer zum Kampf gerüstet seyn müßten, wo also noch immer eine kleine Ueberfalls-Affaire und Fourage-Streifpartie mit etlichen Carabinerschüssen für Oscar's Schlachtenpinsel abfallen wird, so hab' ich auch Theobald und Alboin, Beide für den natürlichen Lauf der Dinge, wie er ja zu allen Zeiten war, bestimmt, indem der Zweite die Waffen,« (Waffeln waren jedoch beiden Knaben noch das Liebste) »der Satire tragen soll, der Erste aber darnach trachten, sich als Volksdichter aus dem Stegreif auszuzeichnen.« So hat uns Blasedow hiermit endlich die Nummern gesagt, auf welche er in der Zufallslotterie der Bestimmung seiner Kinder mit dem festen Vertrauen gesetzt hatte, es würden große Lose und keine Nieten darauf fallen. Oscar war jetzt unwiderruflich zum Schlachtenmaler, Amandus zum Bildhauer, Theobald zum Volksdichter und Alboin zum satirischen Schriftsteller vom Vater bestimmt worden.

Oscar war ein hochaufgeschossener Junge mit den klügsten Augen in der Welt. Gewandt und verwildert, da er in seinem jetzt dreizehnten Jahre kaum nothdürftig lesen und schreiben konnte, hatte er sich doch selbst eine Lebenstheorie angeeignet und war vielleicht zu keiner Bestimmung so wenig geeignet, wie gerade zur Malerei in Oel. Dennoch zeichnerisches Talent hatte er, wenn auch nur mit Kohle, und weit mehr zur Carricatur und zum Hogarth hinneigend, als zum Raphael. Mit Michel Angelo mocht' er das Ungeheuerliche gemein haben. Auch war er hauptsächlich wohl nur zur Frescomalerei bestimmt, da er wenigstens seine meisten Carricaturen an die Wand malte. Thierstücke gelangen ihm nicht selten, ob er sich gleich, was er als Schlachtenmaler hätte thun müssen, weit weniger mit Pferden, als mit Hunden und Eseln beschäftigte. Gertrud hätte ihn am liebsten zu einem Kohlenbrenner bestimmt, damit er sich selbst die Kohlen hätte schwelen können, wie sie sagte, die er ihr aus dem Kamine zu stehlen pflegte. Das ganze Dorf aber stimmte dem Vater bei, wenn auch mit größerem Schmerz, als dieser Freude empfand, da Oscar keine Wand im Dorfe ohne Zeichnung ließ, wenn ihn nicht gerade ein Weinreben-Spalier daran verhinderte. Am liebsten zeichnete er den Satan, was um so auffallender war, da sein Vater gerade am meisten gegen diesen predigte. Wo ihn Blasedow fortjagte, setzte ihn sein Sohn wieder hin, und Blasedow hinderte dies auch nicht, da ihm gerade die Kirchhofmauer mit Oscars Höllencartons das Unterpfand seiner Talente war. Er wird schon lernen, dachte er, an die Stelle Beelzebubs als Schlachtenmaler den Generalfeldmarschall der feindlichen Posten oder irgend ein gekröntes Haupt zu setzen, was in's Gedränge geräth. Blasedow war so gewiß, als hätt' er das Horoskop seines Jungen gelesen. Oscar's Lehrer wohnte auf der Neige, das heißt, in dem zu diesem Schloß gehörigen Dorfe und hieß Schönfärber. Allein er war gerade nur in Oelfarbe bewandert und hatte die gräfliche Kutsche als ein einiges Denkmal seiner Kunst von Zeit zu Zeit frisch anzustreichen. Schönfärber war ein schlichter Landmann, hatte aber, während seiner Soldaten-Dienstzeit, durch das Lakiren der Tschako's eine solche Kunstfertigkeit in allen Gegenständen der niedern Oel- und Lakmalerei sich erworben, daß er es schon wagte, die Kutsche anzustreichen, und sich sogar mit dem gräflichen Wappen darauf befaßte, obschon es sechzehn Felder hatte. Schönfärber's Versuch war nicht mißlungen zu nennen. Er hatte als Artillerist zu oft eine weiße Bombe, die eben zu platzen im Begriff ist, vorn auf seinen Tschako malen müssen, als daß er nicht das gräfliche Wappen, welches ohnehin gleichsam auseinanderzufallen drohte, in eine hübsche Einfassung von Hermelin hätte mit sanften Pinselstrichen hineinlegen sollen. Dieses Wappen, in welchem außer zwei Eichhörnchen, welche Buchekerne knusperten, auch ein Einhorn figurirte, und ringsherum der Orden des goldnen Vließes, welchen ein früherer Ahn getragen hatte, und der jetzt auf den Handel mit Schafwolle, welchen der Graf trieb, eine zarte Deutung zuließ – ich sage, dieses Wappen hatte Schönfärbern einen solchen Ruf und ohnedies Muth gemacht, daß er in der Umgegend alle Kirchenwände mit Frescogemälden anstrich, die aber, da er nicht wußte, daß der Kalk naß seyn mußte, bald nach der ersten Malerei wieder verschwanden, was ihm ein hübsches Geld einbrachte, da er sie immer wieder auffrischen mußte. Indem Schönfärber unter Frischmalerei bloß eine Frischdrauflosmalerei verstand, hatte er sich den Ruf eines Land-Raphaels in der ganzen Umgegend erworben. Zu diesem führte Blasedow seinen Sohn: denn, dachte er, das Technische muß doch die Grundlage bilden, und, wenn er auch nicht malen lernt, so lernt er doch Farben reiben und sich seinen Pinsel selbst machen. Den höhern Genius will ich selbst schon wecken.

Als Blasedow mit Oscarn zu Schönfärbern kam, war dieser gerade mit einem sogenannten Stilleben beschäftigt, welches aus mehreren neben einander liegenden Würsten, Bäckerwaaren, aus Gläsern und Fässern bestand und als Wirthshausschild in einem nahegelegenen Dorfe locken sollte. Wenn Gemälde überhaupt dasjenige, was sie vorstellen, bis zu einer täuschenden Aehnlichkeit wiedergeben sollen, so konnte man dieses beinahe vollendete unter die classischen setzen, da Alles, was Schönfärber auf ihm anbrachte, sprechend ähnlich zu nennen gewesen wäre, wären es nicht stumme und leblose Gegenstände gewesen. Eine langjährige Uebung hatte dem Maler ein so hohes Selbstbewußtseyn gegeben, daß er ordentlich zu Blasedow sagen konnte: »Herr Pfarrer, Jeder muß klein anfangen. Soll Ihr Sohn es einmal weiter bringen, so muß er ganz meine Schule durchmachen. Ich fing mit Tschakolakiren an, und das muß er auch. Er muß mir die weiße Bombe, die eben platzen will, ganz so genau hinmalen können, wie ich es mußte, und zwar aus freier Hand ohne Lineal. Haben wir das erst, dann wollen wir schon weiter sehen.« Blasedow schüttelte den Kopf; doch, weil er es hauptsächlich auf Schlachten abgesehen hatte, so dachte er: nun, platzende Bomben und Granaten, Tschako's und Patrontaschen mögen nicht ohne Nutzen seyn, wenn Oscar sie malen kann. »Schönfärber,« fuhr er fort, »zeigen Sie ihm, was Sie können. Haben Sie auch Pferde, die Sie malen können?« Schönfärber sah den Pfarrer pfiffig an und sagte: »Eigentlich sollt' ich's Ihnen nicht verrathen; aber, da das Schild, was ich hier male, gerade zum weißen Roß ist, so will ich Ihnen auch zeigen, wie ich's auf die kürzeste Manier herausbringe!« Damit zeigte Schönfärber dem Pfarrer einen großen Kasten von ausgeschnittenen Würsten, Engeln, Brödchen, Posaunen, Gläsern, Wolken, Pferden, Messern und Gabeln, alle von steifem Papier, die der Maler nur anzulegen brauchte, um gleich mit einem Pinselstrich drüber her die ganzen Figuren auszudrücken. »Das sind ja ordentlich Schablonen,« bemerkte Blasedow ganz erstaunt. »Geradeso,« bemerkte Schönfärber beifällig, »wie sie die Stubenmaler auch haben, weil's so weit kürzer geht, und Alles hübsch accurat herauskommt.« Oscar hatte sein blaues Wunder, diese Künste zu durchschauen, und Blasedow seufzte tief auf, indem er sich jedoch mit dem Gedanken tröstete: Das Technische ist vor Allem einmal die Grundlage. Er machte mit Schönfärbern einen Preis aus, wofür dieser Oscarn täglich eine Stunde geben sollte. Schönfärber behauptete, daß der Junge in acht Tagen Alles los haben würde, wobei Blasedown beinahe der Schlag gerührt hätte. »Nein, nein,« sagte er, »Schönfärber, übereilen Sie sich nicht. Er soll's aus dem Grunde lernen, und auf's Geld kommt mir's nicht an. Durch die Schablone soll er auch gar nicht zeichnen lernen, sondern Alles aus freier Hand: das bitt' ich mir denn doch aus, Schönfärber!« Dieser war unschlüssig, ob er auf eine solche Partie eingehen durfte, sagte dann aber: »Nun, wenn er aus freier Hand gezeichnet hat, leg' ich die Schablone darauf, damit wir sehen, wo er's getroffen hat und wo nicht.« – »Das allenfalls,« bemerkte Blasedow und ging, indem er Oscarn ermahnte, wie er sich bei Schönfärber zu benehmen hätte.

Als sie Beide bei ihrem Heimgang einen kleinen Hügel hinaufstiegen, fiel es Blasedow doch recht schwer auf's Herz, daß Oscar durch diesen Unterricht, so nothwendig er ihm schien, von seiner Hauptbestimmung, von den Schlachten, wenig erlernen würde. Nicht einmal Vorpostengefechte, dachte er, wird ihm Schönfärber, der doch Artillerist gewesen, beibringen können. Unter diesen Umständen ereignete sich, als sie den Hügel erreicht hatten, eine Scene, die dem bekümmerten Vater wie gerufen kam. Unten am Fuß des Hügels hatte sich nämlich eine große Heerde Gänse gelagert. Wasser, Blasedow's Hund, von Muthwillen getrieben, stürzte den Hügel hinunter und fuhr unter die schwerfälligen Thiere wie ein Hagelwetter hinein. Blasedow, von einer seltsamen Ideenverbindung ergriffen, zieht Oscar an sich und sucht ihm bei diesem Vorfalle die Anschauung einer Homerischen Erinnerung zu geben. Er verglich nämlich Wassern mit dem rasenden Ajax und die Gänse mit den fliehenden Trojanern. Er zeigte ihm, wie unten in der skamandrischen Ebene sich die Gruppen der erschrockenen Schaaren bildeten, und verglich das Toben des Helden mit dem Sturmwind, der die Fluthen des Meeres aufwühlt. Blasedow hoffte, daß sich Oscarn auf diese Weise die Schlachten anschaulich machen würden: Er rief: »Hui, hui, Telamonier, rechts und links! Sieh', Oscar, was da Leben drin ist! Das ist mehr als Ajax; da denke dir jede beliebige Schlacht, eine bei Chalons, eine bei Leipzig, immer müssen sich solche Gruppen im Vorgrunde bilden, immer mußt du einen Haupthelden vorn sich plastisch entfalten lassen und mir nicht gar die Thorheit haben, im Vorgrunde, wie das so üblich, gekrönte Häupter zu zeichnen, die, aus der Schußweite entfernt, in den Kugelregen hineinsehen und bloß mit Ordonnanzen umgeben sind, die den Triumphwagen gut schmieren, falls er gebraucht werden sollte oder Reißaus nehmen muß.« Oscar freute sich höchlichst an der Scene, was seinem Vater noch größere Freude machte. Wasser trug so eben im kecken Uebermuth eine Gans aus den dichten Schwaden heraus: »Da, Junge,« rief der Alte, »eine Gefangennehmung! Wie die Regimenter stutzen, der feindliche General ist mitten aus ihnen heraus entführt, Vandamme bei Culm, Franz I. bei Pavia muß sich ergeben. Mein Junge, betrachte nur die Entschlossenheit unsrer Partei; sie bringt ihren Raub in Sicherheit, das Gewimmel der Schlacht hört auf, die Reihen halten Stand, das Geschütz schweigt, man ahnt, daß etwas geschehen ist, was dem blutigen Tag eine neue Wendung geben muß.«

Inzwischen hatte sich aber schon das Schicksal in Gestalt des Gänsejungen auf den Weg gemacht, um dem Räuber die Eroberung seines feindlichen Anführers wieder abzujagen. Der Hirt der zerstreuten Heerde hatte schon von dem nächsten Bache, wo er sich eben badete, den Seinigen Muth zugerufen, so daß diese mit den Flügeln jauchzten, wie Homer sagt, und durch ein vieltönendes Geschrei ihre Hoffnung auf die erwartete Entscheidung zu erkennen gaben. Der Gänsejunge hatte sich nur leider in demselben Bache gebadet, von dem wir bereits mit allen Sayn-Saynschen Chirurgen und Apotheken wissen, daß er zahllose Blutigel enthält, und so mußte der Rettungsengel ein Gefühl, das ihm erst ganz sanft gethan hatte, jetzt mit einem gewaltigen Entschlusse abbrechen und die Blutigel, welche ihm an den Füßen saßen, mit den Köpfen drin lassen, ob er gleich sie abreißen wollte und sich damit nur gefährliche Wunden machte. Es hätte nicht viel gefehlt, so würde der Succurs die Stelle des rasenden Ajax, wozu er weit mehr Ursache hatte als Wasser, übernommen und diesen mächtig zerzaust haben; so aber flüchtete der Räuber, nachdem er den feindlichen General unterwegs abgesetzt hatte, den Berg hinauf, wo Blasedow seelenvergnügt war den Stifter so vieler Unordnung zu empfangen. Denn, dacht' er, den werd' ich öfter brauchen können, um Oscarn das Urplötzliche in den Situationen der Schlachten, Streifcorps-Ueberfällen und ähnlichen Kriegsgott-Offenbarungen zu enthüllen. Oscar war auch sehr für Wasser eingenommen und hatte Humor genug, um an der Unterrichtsmethode Blasedow's seinen Spaß zu haben.

Dieser nämlich benutzte Alles, was ihm nur Streitsüchtiges in den Weg kam, um der Phantasie des Schlachtenmalers fortwährend Nahrung zu geben. Statt zu versöhnen, wo es Zank und Hader gab, statt eine Heerde Schafe, die von einem zottigen Hunde zur Ordnung zusammengebissen wird, zu bemitleiden, stellte er Oscarn alle Vorfälle dieser Art als Studien nach der Natur hin und pries ihn glücklich, daß er auf dem Lande lebte, wo die Natur und die Leidenschaft noch nicht unter der allmächtigen Zuchtruthe der Polizei ständen. Jeden Lärm im Hause oder im Dorfe mußte der Schlachtenmaler benutzen, um sich daraus Gruppen zu bilden. Oft wünschte Blasedow, es bräche im Dorfe einmal ein allgemeines Handgemenge aus, oder wenigstens, um ein Bild der Unordnung zu haben, der Kirchenchor bräche ein, und einige andächtige Christen stürzten in das Schiff hinunter. Alles von dieser Art war ihm erwünscht, wenn sein ältester Sohn nur gerade zugegen war. Dieser durfte keinen Sonntag vorübergehen lassen, ohne dem Vater zu erzählen, was er im Kruge für Scenen erlebt hatte. Die Beredsamkeit und malerische Auffassungskraft des Schlachtenmalers entzückte Blasedow. Es waren immer homerische Scenen, die Oscar von Zweikämpfen und allgemeinen Aufständen zu erzählen wußte; es war immer ein abgerundetes Ganze, was der Bericht Oscar's einrahmte, und der Vater dachte: Fehlt auch noch der Farbenschmelz, so rechne ich diese einfachen Erlebnisse gerade für Tischbein'sche Umrisse aus dem Homer an, bei welchem er zeichnen lernt. Blasedow opferte sich seinen Kindern seit einiger Zeit mit Leib und Seele. Er lebte nur in ihrem Leben. Er machte sich zum Gerüst, an welchem sie ihre Zukunftsgebäude aufmauerten. Er behandelte keinen mit dem andern überzwerch, sondern gab jedem die Welt und die Wissenschaften in der Zubereitung, wie sie ihm gerade dienlich seyn konnte. Während er die Geschichte vortrug, machte er sie bei dem Volksdichter zu einem Epos, bei dem Satiriker zu einer Elegie; bei dem Bildhauer sprach er nur über die Periode des Friedens, bei Oscar nur über die des Kampfes. Dem Bildhauer schilderte er die Thaten und Begegnisse der alten Zeiten als eine sanfte Harmonie mit obligater Flötenbegleitung der schönen Künste, dem Schlachtenmaler als einen wilden Fugensatz mit contrapunctirtem Kanonenlärm und Trompetengeschmetter. Wie Garrick das Alphabet hersagen konnte, vorwärts, wo Alle lachten, und rückwärts, wo Alle weinten, so benutzte auch Blasedow die gleichen Themen, um je bei Diesem oder Jenem die entgegengesetzten Wirkungen hervorzubringen. So schilderte er beim Bildhauer Alles objectiv, beim Schlachtenmaler Alles subjectiv. Dort ließ er die Massen walten, hier die Einzelnen, die sich auszuzeichnen suchten. Er zeichnete dem Einen die französische Revolution als eine Nothwendigkeit, dem Andern als eine wilde Anomalie. Beim Bildhauer mußte Alles zur Ruhe streben, beim Schlachtenmaler Alles aus ihr heraus. Jetzt ging die Krone auf Leopold über, sagte er mit Sanftmuth bei Amandus; jetzt griff des Thronerben vor Erwartung schon erstarrter Arm nach der Erbschaft des Diademes: so sprach er über Geschichte mit dem Schlachtenmaler. Diejenigen Helden, welche in Gegenwart des Bildhauers verflucht wurden, segnete er, wenn an den Schlachtenmaler die Reihe kam. »Das ist der große Uebelstand unsers Schulwesens,« sagte Blasedow, »daß man allen Wissenschaften Universalität zu geben sucht und sie auf derselben Leier abspielt, mögen nun Löwen oder Esel, Murmelthiere oder Füchse dem pädagogischen Orpheus zuhören. Wer ein Pfaff werden soll, muß Cromwell verfluchen, wer ein Staatsmann, ihn segnen, Macchiavell, Gregor, Karl V., Luther, Alle sind sie prismatisch geformt und werfen sieben verschiedene Lichter wenigstens je nach den sieben freien Künsten, die es gibt.«

Auf die Phantasie des Schlachtenmalers ließ Blasedow alles Wissenswürdige wie flimmerndes Nebelgewölke herabgleiten. Nur zuweilen blitzte der Sonnenstrahl irgend einer großen Thatsache durch den Pulverdampf hindurch, das Blitzen eines Gewehrs, der Donner eines Pulverwagens, der in die Luft gesprengt wird. Dann lichteten sich plötzlich ganze Partien und Epochen, und man sah lange Schaaren aufgestellt von Erlebnissen und gerüsteten Wahrheiten. Der Schüler orientirte sich, er brauchte das Fernrohr, er zählte die aufmarschirten Truppencorps, signalisirte die Heerführer und die großen Beweissätze, die an der Spitze der Jahrhunderte mit gezücktem Degen voraussprengen, er sieht so klar, daß er selbst in dem Momente, wo sich die ganze Anschauung wieder verrückt; ihre Ordnung nicht verliert, sondern in dem nun aufbrausenden Gewühl der entfesselten Leidenschaften, in dem nutzlosen Hin- und Herziehen der menschlichen Debatten, die so oft die Sonne der Wahrheit verdunkelt haben, nicht den Zusammenhang verliert, daß er immer den Trompeter der gesunden Vernunft zur Seite hat und die Signale hinausblasen kann, um zu wissen, daß der Phalanx seinen Plänen gehorcht. Blasedow sprengt dann plötzlich heran und bringt keuchend die Botschaft, daß dort drüben die Bataillone wankten, und schleunigst eine Verstärkung gebracht werden müßte, weil die Lüge und Bosheit ihren Pferden die Sporen gäben und die Flanken der Wahrheit durchbrechen wollten. Jetzt stürzten Beide in den Pulverdampf hinein. Sieg oder Tod! gähnt der fürchterliche Todtenkopf auf ihrer Standarte. Drauf! Dran! Dorthin, wo mein Schwert blitzt! Weicht nicht, ihr ermüdete Märtyrer der Freiheit und des Lichtes! haltet Stand: wir führen euch Ersatz zu, Sokrates auf einem Schimmel, Plato auf einem Blässen, Hurrah! Das ganze Alterthum mit seinen unumstößlichen Dioskuren-Wahrheiten, die nie gänzlich sterben, sondern nur abwechselnd und immer wieder zum Leben erstehen. Sieg! Sieg! Die Geschichte hat ihr Palladium wieder. Die Nebel verziehen sich, und die Säcularhymnen der Begeisterung und des Dankes steigen von den Herzensaltären zu den Sitzen der Götter auf!

In diesem Genre etwa wurde Blasedow's ältester Sohn unterrichtet. Der Vater lag manchmal ganz ermattet auf dem Schlachtfelde seiner phantastischen Vorträge. Er gab diese angreifenden Lectionen immer zuerst, weil auch ohnedies Oscar zu Schönfärbern hinüber mußte. Nachdem sich Blasedow erholt hatte, ließ er dann den Bildhauer kommen und den Volksdichter, weil Beide die Friedensmission hatten und die Dankgefühle nach überstandenen Titanenkämpfen in marmorne Gebete und populäre Dudelsacksgesänge verwandeln mußten. Erst, wenn Blasedow über sich selbst lachen mußte, kam der satirische Schriftsteller in den Unterricht, der dann die Freiheit hatte, sich über die ganze Welt lustig zu machen. Wir müssen hierauf ja doch noch zurückkommen und nehmen uns daher lieber die Zeit, zu bemerken, daß Blasedow einen Weg einschlug, um seine kriegerische Erziehung Oscarn einzuflößen, der dem gescheidten Jungen mißfiel. Blasedow pflegte nämlich keine denkwürdige Affaire in der Geschichte zu erwähnen, die er nicht durch plastische Anschauungen im Kleinen nachgeliefert hätte. Oscar war zu alt, um an einem Spiel mit bleiernen Soldaten Geschmack zu finden, wie er denn überhaupt weit mehr Neigung zu der Bestimmung seines jüngsten Bruders hatte, als dieser Ahnung von der seinigen. Der Mutterwitz, der die jüngsten Kinder auszuzeichnen pflegt, und die Altklugheit, die sie nicht selten entstellt, gaben Blasedow Vertrauen zu seinem Vorhaben, gerade diesen für die Satire aufzuziehen, obschon der Schlachtenmaler immer sagte, daß die bleiernen Soldaten dem gehörten. Genug, es half ihm nichts. Blasedow trug ihm die Geschichte nie anders vor, als mit dem Nürnberger Hülfsapparat. Es waren freilich nur preußische Freiwillige, bayerische Chevauxlegers und nacktbeinige Schotten, die er in der Eile zu commandiren hatte; allein sie mußten Alles vorstellen, was gerade die Jahreszahl mit sich brachte. Hatten die Preußen kaum bei Marathon mitgefochten, so wurden sie bei Cannä schon wieder in's Feuer geführt. Die Bayern drückten immer die Barbaren aus, nicht deßhalb, weil sie etwa aus Erinnerung an Napoleon von Blasedow dafür gehalten wurden, sondern bloß, weil die Infanteristen dort Helme trugen. Spielen wollte Blasedow nicht, sondern bloß jene Schlachtordnungen nachmachen, die er bei Polybius und seinen Erklärern und den andern zeitgenössischen Autoren erwähnt fand. Kurz, der Treffliche unterließ nichts, was seinen Kindern von Nutzen seyn konnte. Er stieg von dem Kothurn seiner Bildung herab, um mit ihnen zu denken und zu fühlen nur wie sie. Er glich einem Baume, der nach Oben hin verdorrt, während er an seinem Fuße neue Schößlinge treibt. Gertrud blickte die neuen Unterrichtsscenen mit Staunen an und war froh, daß die Kinder endlich mehr geistigen Honig zu weben anfingen, als sie früher natürlichen genascht hatten. Kein Mutterherz ist so eifersüchtig, daß es verlangen sollte, die Kinder lägen immer bei ihr vor Anker; sondern sie freut sich, wenn sie ihre Segel aufziehen und hinausfahren und sich Kenntnisse sammeln, die sie ihnen nicht geben kann. Nur will sie dabei die Kinder nicht aus den Augen verlieren. Das war das Einzige, was ihr Angst machte. Ihr Sohn erster Ehe war in Ungarn; aber sie war darüber öfters weniger betrübt, als über ihre Kinder, die im Nebenzimmer saßen, und von denen sie nicht mehr wußte, wo sie anlanden würden. Tobianus konnte ihr auch keinen Aufschluß, sondern höchstens seine Brille geben. Er schüttelte den Kopf, und sagte, »er wüßte nicht, wo Blasedow wieder den seinen hätte.« Dennoch lag in dem Eifer ihres Mannes etwas, was Gertrud beruhigte. Bescheidne Menschen halten Alles für tief, was sie sich nicht erklären können. Auch schien es ihr, als müßte doch die Zeit kommen, wo sich die Haselgerte, die sie bisher über ihren Kindern geschwungen, in eine Wünschelruthe verwandelte. Und in diesem Glauben hütete sie sich wohl, indem die Ruthe Blasedow jetzt zu führen schien, an ihrer geheimnißvollen Kraft einen irdischen Zweifel zu hegen.



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