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Sie sitzen noch im Frei'n und trinken.
Die Sonne will zur Neige sinken,
Das Weinlaub knistert welk zum Grunde,
Die Becher hallen in der Runde.
Nithart, der Sänger, hob den Pokal:
»Ich lieb' im Wein die tiefe Klarheit,
Die reine, doch verklärte Wahrheit!
Rings Erd' und Himmel, Höh'n und Thal,
Mein eigen Aug' und Angesicht
Zeigt mir sein Spiegel, treu und rein,
Nur in verklärtem, goldnem Licht!
Mein Lied soll gleich dem Becher sein.«
Rudwin, der Abt, das Kelchglas hebt:
»Ich lieb' im Wein das Körperlose,
Die unsichtbare, mystische Rose,
Den Geist, der über Fluthen schwebt,
Den Duft, der aus dem Borne strebt,
Ungreifbar und untrennbar auch,
Das Ewige im flücht'gen Hauch!
So wird der Freudenbecher wohl
Mir eines heil'gern Kelchs Symbol.«
Fürst Otto hebt den Goldpokal:
»Ich lieb' im Wein die Freudengluth,
Ich lieb' im Kelch die treue Hut,
Das schöne Maß dem wilden Strahl;
Mir gilt nur Wein und Kelch beisammen,
Im goldnen Hort die goldnen Flammen!
Mich mahnt's an ein befriedet Land,
Von mildem Kronenreif umspannt.«
Pfaff Wigand hebt das Glas mit Weine,
Leert's und zerschmettertes dann am Steine:
»Nicht ein Gefäß, so leicht in Scherben,
Mir gilt, was nimmer zu verderben!
Ich lieb' im Wein ein ganzes Leben,
Den jungen Most, die alten Reben;
Im klaren Born erkenn' ich drum
Der Menschheit heiligst Symbolum.
Aus jeder Ranke jener Stäbe
Spinnt sich ein leiser Feuerfaden,
Still keimend auf verborgnen Pfaden,
Zurück zu Noah's erster Rebe,
Und von dem Geist, den er getrunken,
Sprüht noch in uns'rem Kelch ein Funken.
Es geht ein tief geheimes Band
Vom grünen Schößling, der sich wiegt
Am Rebspalier der Kellerwand,
Hinab zum Goldborn, der gebannt
Tief in der dunklen Wölbung liegt;
Wenn Blüthendrang die Sprossen spüren,
Muß auch der alte Born sich rühren;
Ihr fühlt die Geisterboten fliegen
Aus Ahnengrüften zu Enkelwiegen.
Wir heimsen jetzt den jungen ein,
Doch mundet uns nur alter Wein!
Was ihr so hoch an diesem preist,
Die Kraft und Milde, Blut und Geist,
Das Alles trägt schon, euch zu Trost,
In sich der junge, trübe Most.
Das aber ist des Weines Art;
Wenn ihr ins Grab die Rebe scharrt,
Sie wird im Lenz doch auferstehn,
Mit frischem Aug' ins Licht zu späh'n;
Und ob ihr um den Fruchtbaum leise
Nach welscher Art empor sie windet,
Ob ihr sie fest nach deutscher Weise
An niedre, schnöde Stöcke bindet,
Doch nur nach eigenem Behagen
Wird sie die neuen Ranken schlagen.
Wenn ihr die Frucht habgierig brecht
Und ihr zu Leibe geht mit Messern,
Dabei euch in die Finger stecht,
Und euer Blut den Most will wässern;
Und wenn ihr dann den süßen Raub
Mit euren morschen Knütteln schlagt,
Mit Füßen tretet, Koth und Staub
Hinein von euren Pfaden tragt,
Ihn schändet's nicht! Ein feurig Gähren
Wird des Unreinen ihn erwehren;
Hat er's im Herbst nicht ganz vollbracht,
Wird's neu vom Lenzstrahl angefacht!
Nicht ruht das edle Zorngewitter,
Bis er den Staub, das Blut, die Splitter,
Die Erdentheile von sich warf,
Und, was er sein soll, werden darf;
Klarheit und Milde, Geist und Licht,
Der Menschheit lauterstes Symbol!«
Die Gäste lauschen dem Bericht
Und fragen sich; »Was meint er wohl?« –
Zu Thal steigt Wigand, bis er schwand
Im Dörflein an der Kirchhofwand,
Klimmt wieder zu den Gästen frisch,
Schwer den Talar von reichem Zoll,
Und schüttet vor sie auf den Tisch
Den Schurz, von Todtenschädeln voll.
»Was schreckt ihr vor so schlichten Wesen?
Es sind ja nur die leeren Trestern
Von einem größern, reichern Lesen;
Zermalmte Beeren, drin noch gestern
Dieselbe Flamme sich geklärt,
Die in den goldnen Reben gährt!
O daß sie all' nach Rebenbrauch
Die Gluth zu Licht geläutert auch
Und jeden heiligen Sonnenfunken
Andächtig still in sich getrunken;
Ihr Born schon quölle hell und rein
Im Kelch, den jede Lippe koste!
Noch ward er nicht zu klarem Wein,
Noch ist's die Zeit der trüben Moste;
Noch kocht es, gährend auszuscheiden
Den Staub, das Blut, die Schmach, die Leiden!
Ihr aber sollt im ärmsten Leben
Bewahren treu die Art der Reben!
Doch was die Lebenden nicht wagen,
Das sollen euch die Todten sagen.«
Er faßt und wirft den Berg hinunter
Die Schädel, einen nach dem andern;
Die Einen kollern im Sprunge munter,
Die Andern träge taumelnd wandern,
Und rollende Knochenbälle blinken
Hier, dort, zur Rechten und zur Linken.
So viel der Köpfe, so viel der Wege!
Und jeder tritt sich selbst die Stege,
Nach eigner Wahl, in freiem Flug!
Ein Schädel bleibt im Weinberg liegen;
Ihm dünkt' es einst wohl Zieles g'nug,
Genuß zu schlürfen in vollem Zug,
In Sinnenlust sich froh zu wiegen.
Ein Andrer fiel zu deinen Füßen,
O Fürst, der Staub den Staub zu küssen;
Ehrsucht und Knechtsinn im Vereine,
Staub fliegt ja höher als Quadersteine.
Ei, vor der schönen Winzerdirne
Neigt jener die galante Stirne!
So lieblich girrt die Liebestaube,
Daß Jeder gern am Ziel sich glaube.
Ein Schock von Schädeln rollt in Eile
Thalab dort in des Dörfleins Zeile;
Der Eine läuft zur Krämerlade;
Ihm pflastre Gold die Erdenpfade;
Ein Andrer hält am Kirchenchor,
Will nicht allein die Irrfahrt wagen,
Der Pfaff soll ihm die Leuchte tragen.
Hoho, dem Waffenschmied ins Thor
Springt jener ungestümen Pralles!
Ihm soll das Schwert erringen Alles.
Ein Schädel stürzt in Donauwellen;
Im Abgrund sang's wie frische Quellen,
Die Schwermut lauschte des Gesanges
Und taucht zur Fluth des Unterganges.
Ein Knochenhaupt blieb vor uns liegen
Im Gras, – so lag es einst auch gerne,
Läßt über sich die Wolken fliegen,
Läßt neben sich die Blumen wiegen
Und starrt hohläugig in die Sterne.«
»Mich aber will es fast gemahnen,
Der Eine sei auf guten Bahnen,
Weil er sein Haupt aufs Ewige lenkt
Und nur mit Licht die Wimpern tränkt!
Das Graun der ewigen Nacht entriß
Dem Schöpfer selbst der Finsterniß
Den Angstschrei einst. Es werde Licht!
So rief, verfallen dem Gericht
In eigner Brust, vom Sündgeschlecht
Der erste Sünder: Es werde Recht!
Wie vom Beginn zum Weltenende
Der Himmel eins und ewig bleibt,
Ob auch die Zeit darüber treibt
Gewölk und Dünste, Nacht und Brände;
Wie eins und ewig bleibt die Erde,
Fest ruhend in granitner Veste,
Ob sie auch wechselt Frucht und Heerde,
Jahrszeiten und viel bunte Gäste;
Wie eins und ewig bleibt das Meer
Im wallenden Korallenbette,
In Ebb' und Springfluth, Sturm und Glätte,
Von Flotten oder Trümmern schwer.
So bleibt auch eins und ungeschwächt
Ein ewig Gutes, ewig Wahres,
Ein Heiliges, allen Seelen Klares,
Ein unzerstörbar ewig Recht,
Das keine Menschensatzung wende,
Vom Weltbeginn zum Weltenende!
An dem Unwandelbaren gleiten
Vorüber wechselnd Völker und Zeiten;
Doch aufrecht von Geschlecht zu Geschlecht,
In künft'gen, in vergang'nen Sonnen,
Ragt als ein heiliger Baum das Recht;
Aus seinem Marke springt ein Bronnen.
Was Priester lehrten, Seher sangen,
Die ehernen Tafeln der Gesetze
Sind nur Gefäße, aufzufangen
Den Schaum des Quells, der Durstige letze.
Die Schalen wechseln, doch die Quelle
Wird eine und dieselbe fließen,
Mag sie in hohle Hand die Welle,
In Urnen oder Kelche gießen.
Kämpft um Gefäße euer Zorn,
Verschüttet ihr gar leicht den Born!
Lebendig rauscht durch alle Tage
Die Deutung jener Orientsage;
Begraben ward in Felsengrund
Der erste Mensch, von Eden fern,
Verschlossen in des Todten Mund
Lag eines Fruchtbaums kleiner Kern;
Doch keimend wuchs er aus den Lippen,
Senkt in das Herz die Fasern tief,
Drang frisch zum Lichte, das ihn rief,
Sich klammernd in der Erde Rippen,
Rang in die Wolken auf und hält
Auf seinen Aesten empor die Welt;
Die Wurzeln ihm die Meere tränken,
Die Wipfel in die Sterne lenken,
Westhauch und Sturm im Laube ringen,
Da säuselt's wie Harfen, rasselt's wie Klingen,
Und wollt ihr lauschen treu und echt,
Hört ihr's wohl rauschen: »Es werde Recht!« |